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Walkürenherz: Roman
Walkürenherz: Roman
Walkürenherz: Roman
eBook467 Seiten6 Stunden

Walkürenherz: Roman

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Über dieses E-Book

Trotz körperlicher Überlegenheit - sowohl an Kampfkraft als auch an Schönheit - gegenüber den meisten Erdbewohnern findet sich Brunhild nur schwerlich zurecht. Denn einige der scheinbar unterlegenen Mitmenschen behelfen sich mit anderen Mitteln: mit ruchloser Intelligenz, Magie, List und Tücke …

Angelehnt an den klassischen Sagenkreis um die Nibelungen, entwickeln sich die dramatischen Geschehnisse dieser Erzählung aus der Sicht der Brunhild. Die sich betrogen fühlt, als sie einen Mann heiraten muss, den sie nicht liebt. - So verläuft Brunhilds Schicksal vordergründig ganz im Sinne der alten Mär. Scheinbar. Doch auch der Eingeweihte, der den alten Sagenstoff bereits von vorne bis hinten kennt, darf sich von den Hintergründen, die "Walkürenherz" vom Bekannten absondern, überraschen lassen.
SpracheDeutsch
Herausgebertredition
Erscheinungsdatum26. Nov. 2013
ISBN9783849572648
Walkürenherz: Roman

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    Buchvorschau

    Walkürenherz - Herbert Gottfried Güntert

    Brunhild schlief.

    Reglos, hingebettet, wie von umsichtiger Götterhand, lag ihre ranke Gestalt auf dem moosbewachsenen Felsen. – Wäre es einem Menschenkind Midgards vergönnt gewesen, sie zu betrachten, hätte es annehmen müssen, alles Leben sei ihr entwichen. Denn Brunhild schien nicht zu atmen, ihre Brust hob und senkte sich nicht, keines ihrer Lider verriet das leiseste Zucken, und die dunkle, lange Haarsträhne, die sich jetzt über ihre hohe Wange schlängelte, wurde lediglich von einem kalten Windhauch bewegt.

    Ein Windhauch … ein Lebenszeichen?

    Die eisigen Luftströme, die derzeit über Island hinwegfegten, schienen immerhin irdischer Natur zu sein. Zeugten sie doch von dem Odem, der alles Leben erst ermöglichte: Atemluft, ein Beweis dafür, dass die Götter sich bemüht hatten, die Insel aus Feuer und Eis zu einem Teil Midgards zu machen. Obschon dieses Eiland, am nördlichen Rande der Erdscheibe erschaffen, kaum dazuzugehören schien, viel jünger war als die übrige Landfeste und auferstanden, ja förmlich ausgespien worden war vom Drachenfeuer aus den Tiefen Utgards: Dem schwarz-rot glühenden Lavastrom, der sich einst durch das wogende Meer gebahnt und schliesslich zu Stein verfestigt hatte.

    Doch darunter war das Feuer nicht erloschen.

    Unsichtbar, wie die Glut in den Tiefen des Felsgesteins, loderte es gleichsam in der Seele der schlafenden Walküre: ein Lebenswille im reglosen Menschenkörper, gefangen wie die Vulkane unter hartem Stein, Schnee und Eis, sehnsüchtig auf die Gelegenheit zum Ausbruch wartend.

    Und die kalte, äussere Starre tarnte Brunhilds pulsierendes Innenleben, welches ihr einen immer wiederkehrenden Traum bescherte:

    Ich reite auf meinem grauen Lieblingspferd Sladar über Bifröst, der Regenbogenbrücke, die Asgard mit Midgard verbindet. Die Stute ist eine Tochter von Sleipnir, Odins achtbeinigem Hengst, so wie ich eine Tochter des Göttervaters bin. Soweit ich mich erinnern kann, bin ich schon immer eine Walküre gewesen, eine Schildjungfrau, dazu berufen, gefallene Helden von den Schlachtfeldern Midgards ehrenvoll nach Walhalla zu geleiten.

    Doch Loki – der listige Gott des Feuers und Halbbruder meines Vaters – hat mir einst verraten, meine Mutter sei eine Menschenfrau gewesen, und ihr Liebreiz habe Odin dazu bewogen, mehr als ein Auge auf sie zu werfen …

    „Loki ist verschlagen! Er ist ein Günstling der heimtückischen Riesen. Hüte dich vor ihm!"

    So hat mich mein Vater immer wieder gewarnt. – Aber ich mag Loki. Er ist der Einzige in der hehren Götterschar, der mich immer wieder zum Lachen bringt.

    Während ich gen Midgard reite, begleitet er mich in Gestalt einer züngelnden Flamme, grünlich flackernd wie das Nordlicht am Horizont. Es ist mein erster Auftrag – und so bin ich froh um Lokis Gesellschaft.

    Zu meinen Füssen brandet die Schlacht, einer Sturmflut gleich, landverheerend und todbringend, als wollten sich die Sterblichen gegenseitig von der Erdoberfläche tilgen. Wäre ich selbst ein Mensch, müsste es mich traurig stimmen, aber als Walküre bin ich dagegen gefeit. So schlägt mein Herz ruhig und kalt, während ich – unsichtbar für die Lebenden – über die Reihen der Kämpfenden hinweg gleite und Ausschau halte nach dem Ziel, welches mir bestimmt ist. Ich kenne keinen der namenlos Sterbenden. Die Schreie der Verwundeten berühren mich nicht. Wie ein Schnitter, der das Heu mäht, um im Winter sein Vieh damit zu füttern, mache ich mir keine Gedanken über das Eigenleben der Grashalme. Ihr Sterben bedeutet Leben für andere Wesen.

    Jetzt nähere ich mich zwei Streitern. Am Rande des Getümmels liefern sie sich einen erbitterten Zweikampf auf Leben und Tod. Der Eine, ein graubärtiger Hüne, drischt mit seinem mächtigen Schwert auf des Gegners Schild ein, dessen Fläche, Stück um Stück zerkleinert, dem Träger kaum mehr Schutz bietet. Der folgende Hieb des Recken spaltet die Überreste des Schildes in zwei Hälften, so dass der Träger, ein schlanker junger Mann in meinem Alter, der Übermacht des Älteren schutzlos ausgeliefert zu sein scheint …

    „Achte auf den Lichtkranz, der das Haupt des Schlachtenopfers umgibt!", klingen Odins Mahnworte an mein inneres Ohr. „Der Fallende wird dir nach Walhall folgen, denn er ist als Einherier von mir ausersehen. Die letzte Kür ist hingegen deine Aufgabe."

    Mit seinem quergehaltenen Speer versucht der Junge den tödlichen Schwerthieb aufzufangen. Der hölzerne Schaft zerbricht in zwei Teile – und im selben Moment sehe ich Odins Lichtschein, der das blutverklebte Blondhaar aufleuchten lässt. Ich hebe meinen Walküren-Speer, will mit der Spitze den Unterliegenden berühren …

    Plötzlich werde ich geblendet vom grünen Nordlicht. Der grauhaarige Schwertträger erstarrt mit erhobener Waffe. Auch er muss die Augen schliessen, ist nicht in der Lage, den finalen Todesstoss auszuführen.

    Lokis Stimme zischt in mein Ohr: „Warte, Brunhild! Überlege dir gut, was du tust. Sieh dir den jungen Krieger genauer an: Erkennst du nicht dein eigenes Antlitz in seinen Zügen? – Es ist Agnar, dein Bruder, der Sohn von Sigrun, deiner leiblichen Mutter! Willst du sein junges Leben so frühzeitig heimsuchen?"

    „Mein Bruder …?!"

    Innerlich aufgewühlt und mit zitterndem Herzen, wie es nur einem sterblichen Menschenwesen vergönnt sein mag, schaue ich in die blauen Augen Agnars. Unfähig meinen Speer zu heben, lausche ich des Feuergottes flammenden Worten:

    „Regt sich deine Menschenseele? Gut so! Sieh dir den alten Helmgunther an: Ist er nicht besser geeignet für Odins Kriegerschar? Er ist mächtig und stark, hat sein Leben auf Mittelerde ausgekostet, unzählige Schlachten geschlagen, Frauen gehabt, Kinder und Enkel gezeugt. Agnar ist kaum dem Knabenalter entwachsen, kennt weder Lebensfülle noch Frauenliebe. Du, Brunhild, bist eine junge Frau – Walküre hin oder her –, die Seele deiner Mutter lebt in dir. Du hast ein Herz wie ein Mensch – auch wenn du das bisher vielleicht nur geahnt hast …"

    Und ob ich mein Herz spüre! Heiss pulsiert das menschliche Blut in meinen Bahnen. Und mit einem inneren Feuer der Überzeugung hebe ich meinen Speer, berühre mit der goldenen Spitze Helmgunthers Schulter … Agnar sinkt in die Knie. Er hat keine brauchbare Waffe mehr, um seinen Gegner zu fällen.

    Du musst ihm helfen, befiehlt mir mein Herz … und ich tue es:

    In selbstgerechtem, heiligem Zorn umfasse ich den Schaft meines Speeres fester und stosse die Spitze mit aller Macht durch das alte Herz Helmgunthers …

    Erfüllt von menschlichem Gerechtigkeitssinn und beflügelt von der überirdischen Fähigkeit einer Walküre reite ich zurück nach Asgard, überzeugt, das Richtige getan zu haben. Helmgunther, der hinter mir auf Sladars Rücken sitzt, scheint nicht traurig über sein Ableben zu sein. Denn er frohlockt:

    „Heil Odin!

    Die Schönste der Walküren

    geleitet mich nach Walhall.

    Ihr göttlicher Leib wärmt meine Seele.

    Gepriesen sei Walvater,

    der ein hartes Erdenleben

    mit Seiner hehren Gunst entlohnt.

    Heil Dir, Schlachtenlenker, mein Schwert ist Dein!

    Ragnarök mag kommen.

    Nimmermehr ist mir bang!"

    So betrete ich guten Mutes die Götterburg Gladsheim, mit Helmgunther an meiner Seite. Die Speerwunde auf seiner Brust ist einer Narbe gewichen, und obwohl sich sein grauer Bart nicht verfärbt hat, wirkt er jünger und voller Lebenssaft. Seine leuchtenden Augen richten sich staunend auf das mächtige Portal Walhallas, welches von einem Wolfskopf und einem Adler mit ausgebreiteten Schwingen gekrönt wird.

    Die Halle meines Vaters ist die grösste in Gladsheim, wie überhaupt in ganz Asgard. Schilde aus purem Gold bilden das Dach, glänzende Speere stützen es als Pfeiler und an den Wänden hängen ebenso Schilde und gleissende Waffen aller Art. Schwerter aus Sternenstahl reflektieren das rotgoldene Licht, hell wie die Sonne.

    Im Saal wächst die Zahl der auferstandenen Helden; fröhlich sitzen sie in langen Tischreihen, heben ihre Methörner und prosten Helmgunther aufmunternd zu. Manch einer erkennt meinen gekürten Begleiter und freut sich über das Wiedersehen mit dem alten Schlachtgefährten. Aber bevor sich mein Schützling zu ihnen gesellen darf, muss er mich zu Odins Thron begleiten, damit ich ihn vorstelle.

    Vor uns hat sich eine Reihe gebildet. Meine acht Walküren-Schwestern sind vor mir da, ich bin die letzte. Jede präsentiert ihren Helden dem Göttervater, und mit einem wohlgefälligen Nicken bedeutet Odin dem gekürten Krieger, dass er willkommen ist und in die Schar der Einherier aufgenommen wird. Nach dieser Ehrenbekundung – die mehr oder weniger Formsache ist, wie ich finde – darf sich der Held am göttlichen Met laben, den ihm seine Wegbegleiterin in einem goldenen Trinkhorn kredenzt.

    Als letzte vor mir ist Randgrid an der Reihe. Sie fährt sich mit den Fingern durch die wallenden blonden Locken, legt dann die Hand auf die Schulter ihres Helden, dreht sich kurz nach mir um, wirft mir einen spöttischen Blick zu und wendet sich anschliessend mit einem strahlenden Lächeln an Odin:

    „Siehe, Walvater, einen tapferen Recken bringe ich dir: Es ist Halmar, aus Sachsenland; kühn hat er gestritten, wohlfeil ist meine Kür. Kein Besserer wird heute einherschreiten!"

    „Wohlgetan, spricht Odin. „Mir scheint, du hast nicht übertrieben. Getreu hast du deine Pflicht erfüllt – wie immer!

    Ich werfe ihr einen giftigen Blick zu, während sie hocherhobenen Hauptes an mir vorbeirauscht und ihren Helden zur Tafel begleitet. Ich hasse sie! Wähnt sie sich doch als Erfolgreichste und Schönste der gesamten Walküren-Schar! Neidisch schiele ich auf ihre stolze Brust und ihre herausfordernd wiegenden Hüften …

    Odin räuspert sich.

    „Ich rieche Missgunst, ja, Stutenbissigkeit; Regungen einer Menschenfrau, welche sich meiner Töchter nicht geziemen! – Wen bringst du mir, Brunhild?"

    Seine tadelnde Stimme ruft mir jäh ins Gedächtnis, warum ich vor ihm stehe.

    „Verzeih … Vater", stammle ich, während ich in sein eines, bohrendes Auge blicke und um Fassung ringe. Dann atme ich tief durch, indem ich mich zwinge, Randgrids selbstherrliche Pose nachzuahmen. Meine Kür ist mindestens so überzeugend, versuche ich mir einzureden.

    „Ich bringe dir Helmgunther. Er ist gross und stark; ein erfahrener Krieger, der in unzähligen Kämpfen den Sieg davongetragen und sich seinen Platz in deiner Halle redlich verdient hat. Kein Gegner war ihm ebenbürtig und …"

    „Warum ist er dann hier?", unterbricht mich Odin ungnädig. „Ist er der, den mein Lichtkranz umgürtet hat? – Sag mir die Wahrheit!"

    „Loki hat gesagt …"

    „Wieso Loki?" Eine tiefe Zornesfalte durchfurcht Odins Stirn. „Loki hat Nichts zu sagen! Du hast meine Anweisungen zu befolgen. Und so weit ich mich entsinne, habe ich einen anderen Mann ausersehen: Agnar! – Richtig? Deinen irdischen Bruder! Hast du ihm den Ehrenplatz an meiner Tafel nicht gegönnt?"

    „Ich wollte … ich konnte nicht zusehen, wie er erschlagen wird. Er war doch noch so jung … Dank Loki habe ich erst erfahren, dass ich auf Mittelerde einen Bruder habe … Ich habe es einfach nicht übers Herz gebracht …" Tränen steigen mir in die Augen – und ich kann mich nicht daran erinnern, jemals geweint zu haben!

    Helmgunther, zu meiner Rechten, tritt unruhig von einem Fuss auf den andern; sein verständnisloser Blick irrt zwischen Odin und mir hin und her.

    „Helmgunther, spricht Walvater, „du bist wahrlich ein kühner Recke. Hugin und Munin, meine Raben-Boten, haben mir berichtet wie du dich geschlagen hast. Du hast dir einen Platz unter den Einheriern redlich verdient, obwohl … Er scheint zu überlegen und schaut mich dabei finster an. Dann ringt er sich eine Entscheidung ab: „Brunhild! Du wirst deinen Gekürten jetzt an seinen Platz geleiten und ehrenvoll bewirten …"

    „Danke, Erhabener", murmle ich.

    „Unterbrich mich nicht!, grollt Odin. „Freue dich nicht zu früh! Wenn du deine Pflicht erfüllt hast, wirst du mich in meinem privaten Gemach aufsuchen. – Wir zwei haben noch etwas zu bereden!

    Derweil ich Helmgunther durch die Halle zu seinen Kameraden führe, ihm das Trinkhorn reiche und so freundlich wie möglich zu lächeln versuche, plagen mich Gewissensbisse: Wird mich Odin bestrafen, oder lediglich zurechtweisen?

    Hin und hergerissen zwischen Schuldbewusstsein und Trotz, schleiche ich gesenkten Hauptes meiner Verurteilung entgegen. Der Gerichtsraum befindet sich hinter dem Hochsitz. Auf dem Weg dorthin, zwischen den engen Sitzreihen hindurch, muss ich mich ausgerechnet an Randgrid vorbeidrängeln, die sich aufreizend über die Tafel gebeugt hat und mit den Einheriern schäkert.

    Du hast mir gerade noch gefehlt! rumort es in mir. Aber warte…!

    Mit einem wohlfeilen Seitwärts-Schwung meiner Hüfte stosse ich heftig gegen das Gesäss, das da so herausfordernd in den Gang hinausragt …

    Es ist nur fett! – durchblitzt es mich boshaft; obschon ich neidvoll zugestehen muss, dass die schöne Walküre damit die begehrlichen Blicke aller Mannsbilder erheischt – von gekürten Helden wie Göttern!

    Randgrid gerät aus dem Gleichgewicht, fällt vornüber, landet bäuchlings auf dem Tisch.

    „Was für ein Trampel…?, höre ich sie zornig aufschreien. – Mit dem Gesicht zwischen umkippenden Trinkhörnern und reflexartig zupackenden Fäusten kann sie mich wohl nicht sehen. Met schwappt über den Boden, derweil sich die Zecher mit überraschtem „Hallo! am vermeintlichen Missgeschick meiner Rivalin weiden. Hinter meinem Rücken höre ich die ergötzlichen Kommentare und derben Zoten der dienstbeflissenen Männer, die sich eifrig um die Gestrauchelte kümmern. Ich drehe mich nicht nach ihnen um; doch Randgrids schrillem Gekreische entnehme ich, dass lüsterne Hände dort hin greifen, wo es sich für gewöhnlich nicht geziemt …

    Sollen sie ihren Spass haben, durchfährt es mich hämisch, während ich stur geradeaus schreite und mich ins Fäustchen lache. Die Schadenfreude verschafft mir Genugtuung, stärkt mein Selbstbewusstsein und schürt meinen Stolz, so dass ich hocherhobenen Hauptes vor meinen Vater treten kann:

    „Hier bin ich, was hast du mir zu sagen?" Fordere ich ihn keck heraus, als ich eintrete.

    Odin hat seine Hände im Rücken verschränkt und schreitet nachdenklich in seinem Gemach auf und ab. Er schweigt zunächst, dreht noch eine Runde und bleibt dann abrupt vor mir stehen. Ich bin zwar grossgewachsen, für eine Frau, aber mein Vater überragt mich um Hauptes Länge, so dass ich unwillkürlich zu ihm aufschauen muss.

    „Was hast du dir bloss dabei gedacht, Brunhild?", fragt er mich ernst, aber beherrscht und ruhig. „Habe ich dir nicht immer wieder geraten, nicht auf den hinterlistigen Loki zu hören? Wie kannst du mich so hintergehen! – Ich weiss, du gesellst dich gerne zu diesem Fuchs …"

    „Hat er nicht recht gehabt?, wage ich zu entgegnen. „Wenn er mich nicht gewarnt hätte, wäre mein eigener Bruder von Helmgunther erschlagen worden. Und wenn mir Loki nicht ins Gewissen geredet hätte, wäre ich ahnungslos geblieben und hätte nie erfahren welche Pein einem die eigene Seele bereiten kann!

    „Seele, Gewissen! Tugenden, die ich den Menschenwesen auf Mittelerde einverleibt habe. Ebenso wie Hass, Neid, Missgunst und andere Schwächen mehr, die einer Walküre nicht anstehen. Du bist meine Tochter, mein Ebenbild. Du hast über diesen Dingen zu stehen; du hast mich zutiefst enttäuscht!"

    „Und was ist mit meiner Mutter? Sie ist eine Menschenfrau! Auch dies habe erst ich von Loki erfahren, nicht von Dir, Vater … Lebt sie noch auf Midgard?"

    „Nein, seufzt Odin. „Sie ist bei eurer Geburt gestorben …

    „Eurer Geburt? Du sprichst in der Mehrzahl?"

    „Agnar ist dein Zwillingsbruder. Ihr wart beide zu stark und zu gross für Sigruns irdischen Leib …"

    „Aber, wieso lebt mein Bruder auf der Erde und ich hier, in Asgard? Du hast mich nie darüber aufgeklärt … warum nur?"

    „Glaube mir … Ich habe deine Mutter geliebt, wie ich keine Menschenfrau bisher geliebt habe. Aber auch meine Macht ist begrenzt. Die Nornen, am Fusse der Weltesche Yggdrasil, spinnen die Schicksalsfäden. Ich habe mit ihnen um Sigruns Leben geschachert, und auch um dein Leben, Brunhild! Die Nornen hatten dir eine Totgeburt zugedacht. Urd, die Älteste von den Dreien, hat wortwörtlich gesagt:

    Odin, wir bieten dir einen Handel:Wir überlassen dir deine Tochter; ziehe sie auf als Walküre, aber sie wird mit einem menschlichen Herzen gestraft sein. Was dann aus ihr wird, werden wir genüsslich verfolgen und die Kurzweil darüber, wird uns entschädigen!

    Frija, meine Gattin, hat sich geweigert dich aufzunehmen. Sie ist eifersüchtig auf alle Menschenfrauen, die ich auf Midgard … besucht habe. Übergib sie Loki, hat sie gesagt. Er ist der Einzige, der in allen Welten beheimatet ist und mit den Unzulänglichkeiten einer Menschenseele sein Spiel treiben mag.

    Das hat er wahrlich getan. Er weidet sich förmlich an allem, was die Ordnung durcheinander bringt. Er ist das Chaos in Person!

    Es tut mir leid für dich, Brunhild, aber ich kann dich nicht hier behalten …"

    „Was soll das heissen? Ich bin innerlich aufgewühlt über diese Offenbarung. „Willst du mich nachträglich dem Tod überantworten und mich zur Hel schicken?

    „Nein, mein Kind. Du bedeutest mir viel, glaube mir. Ich werde dich nach Midgard bringen lassen, dorthin, wo deine Menschenseele sich hätte entfalten sollen. Du wirst in einen tiefen Schlaf sinken und erst wieder aufwachen, wenn dich ein Mensch erweckt und zur Frau nimmt."

    Diese Aussicht lässt mich nicht gerade frohlocken:

    „Soll das heissen, dass jeder beliebige Mann, jeder Knecht oder Vagabund der mich findet, in Besitz nehmen darf? Ich bin Deine Tochter, vergiss das nicht! Ein unwürdiger Gatte würde auch Dir nicht zur Ehre gereichen!"

    „Vertraue mir, Brunhild. Niemals würde ich dich einem Geringen überlassen. Der dich erweckt, wird ein König sein, ein Held, wie es keinen zweiten geben wird. Er wird das Antlitz deines Bruders tragen – aber es wird nicht Agnar sein. Erst sein Urenkel, der noch nicht geboren ist, wird vermutlich der Auserwählte sein. Vermutlich, sage ich, weil die Nornen seinen Lebensfaden erst spinnen müssen. Deshalb kann ich dir auch keinen Namen nennen. Aber ich werde noch mit ihnen reden und darauf hoffen, dass sie meinen Willen respektieren."

    Ich habe so meine Zweifel:

    „Agnars Urenkel sagst du, Vater? Dann werde ich steinalt sein, als Menschenfrau; hässlich, zerfallen, kaum begehrenswert für einen Freier. Selbst ein Troll oder ein Schwarzalb täte sich angewidert von mir wenden, mich verschmähen!"

    „Sorge dich nicht um dein Äusseres. Du wirst zwar nach irdischem Ermessen sehr lange im Schlafe liegen, dennoch bist du die Tochter eines Asen. Du wirst die Jahre nicht zählen müssen wie ein Mensch. Dein Leib wird so schön und lieblich bleiben wie er ist: keine Frau auf Mittelerde wird dich übertreffen. Und auch deine Körperkraft, die mein Erbe ist, bleibt dir erhalten: Nur der stärkste aller Recken Midgards wird dereinst im Stande sein, dich zu erringen – für einen Anderen bist du mir zu schade!" –

    Dieser Traum, die Erinnerung an alles Geschehene, wiederholte sich immer wieder aufs Neue, während Brunhild auf Islands moosigem Felsgestein ruhend auf den Erwecker wartete, der noch nicht geboren war, der irgendwann in naher Zukunft die Sonne Midgards erblicken sollte.

    Kein Menschenkind lebte zu jener Zeit auf der Insel im Nordmeer, und es wagte kaum jemand, mit einem Schiff durch die eisigen Wellen zu kreuzen, um zwischen den dräuenden Klippen von Brunhilds sagenumwobener Schlafstatt an Land zu gehen.

    Daran war Loki nicht ganz unschuldig, denn er hatte die Midgardschlange um Hilfe gebeten:

    Dieses Meerungeheuer war seine Tochter, von riesenhafter Gestalt; und unter den Menschen hatte sich die Mär verbreitet, sie sei so gewaltig, dass sie sich um die ganze Erdscheibe winden könne. Ihre Schwanzspitze sei lang genug, Island zu umschlingen und so vor unerwünschten Eindringlingen zu schützen.

    Natürlich hatte Loki damit gerechnet, dass die Grössenvergleiche in ähnlichem Masse auswuchsen wie sich die Gerüchte ausbreiteten. Aber es kam ihm durchaus gelegen, dass die Seeleute glaubten, bei Sturm und haushohen Wellen auf den Meeren treibe die Midgardschlange ihr Unwesen – und sofern ein Sterblicher das Untier jemals leibhaftig zu Gesicht bekommen hatte, hatte er es nicht überlebt, um davon zu erzählen.

    Wie dem auch sei, sagte sich der Listenreiche. Ich kann mich auf mein Riesen-Töchterchen verlassen: Nur mit meiner Hilfe wird ein Mensch zu Brunhild gelangen …

    Der Fuchs schnürte rastlos durch das herbstliche Laub, zwischen den hohen Tannen und Kiefern hindurch, die spitze Schnauze immer mal wieder prüfend in den Wind hebend. Eine Hasenfährte erregte seinen Spürsinn. Es war an der Zeit, den knurrenden Magen zu besänftigen. Denn die letzte Beute, eine magere Feldmaus, war nicht geeignet gewesen, für längere Zeit den Appetit zu stillen.

    Ein plötzliches, fremdartiges Geräusch schreckte den lautlosen Jäger auf, hielt ihn ab von der Verfolgung der erhofften Beute. Ein tiefes Grollen, wie es keinem Wildtier in dieser Gegend zuzuschreiben war, erschütterte nicht nur des Fuchses Gehör, sogar der Waldboden schien darob zu erbeben.

    Ein gewöhnlicher Artgenosse hätte bestimmt den Schwanz eingezogen und das Weite gesucht, doch unser Rotfuchs schien wenig überrascht. Er setzte sich auf die Hinterpfoten und lauschte, als ob er überlegte, was nun zu tun sei.

    Ein Aufschrei, entwichen aus einer Menschenkehle, übertönte das urweltliche Grollen, welches nun leiser wurde und in ein zischendes Röcheln überging. Dann war alles still. Nur das Rauschen der Blätter im Wind verriet Waldes Stimme …

    Der Fuchs wartete ab, bewegte nur die Lauscher, minutenlang. Doch dann schien er genug gehört zu haben: Er gähnte kurz und stellte sich wieder auf alle Viere. Umsichtig pirschte er sich auf leisen Pfoten in die Nähe des Geschehens; und hinter einem Felsen versteckt spähte er mit heraushängender Zunge und hochgezogenen Lefzen hervor, als ob er hämisch lächelte.

    Mir scheint, ich bin meinem Ziel einen Schritt näher gekommen – zischte ein menschenähnlicher Gedanke durch des Fuchses Bewusstsein, als er sah, was er sich erhofft hatte:

    Ein stattlicher junger Krieger reckte sich mit hocherhobenem Schwert neben einem gefällten Ungeheuer, welches nicht von dieser Welt zu sein schien: Es hatte die Gestalt einer Riesenechse aus grauer Vorzeit, einer Spezies, deren Artverwandte längst ausgestorben waren. – Oder war es ein Wesen, das aus der Unterwelt emporgestiegen war und sich nach Midgard verirrt hatte?

    Loki, kein anderer Geist hatte sich unter dem roten Pelz versteckt, wusste es besser. Er behielt seine Fuchsgestalt, schlich ungesehen hinter den siegreichen Kämpfer, setzte sich wie ein getreuer Jagdhund neben ihn und leckte sich unbefangen die Vorderpfote.

    „Gut gemacht, mein Junge; mein Lob für diese Heldentat!"

    In jähem Schrecken fuhr der hochgewachsene junge Mann herum, sein blutiges Schwert auf den unverhofft aufgetauchten Störenfried richtend. Als er gewahrte, dass der Sprecher im Fuchspelz kein gefährlicher Unhold zu sein schien – im Vergleich zu der Bestie, die er soeben besiegt hatte – liess er seine Waffe sinken und starrte nur mit grossen Augen auf ihn hernieder. Er suchte wohl nach Worten – aber Loki kam ihm zuvor:

    „Für einen Drachentöter bin ich doch keine lohnende Beute", sagte er spöttisch, während er sich erhob, den urweltlichen Kadaver umrundete und neugierig beschnupperte.

    Der junge Mann verfolgte ihn argwöhnisch mit unsicherem Blick.

    „Wer bist du?, stiess er endlich hervor. „Wie ist es möglich, dass ein Fuchs mich mit eines Menschen Stimme anspricht? Bist du auch ein Gestaltwandler, wie Fafnir, den ich soeben getötet habe?

    „Mag sein", sprach Loki leichthin. Er musterte den Siegreichen interessiert: Der hatte wohl im Drachenblut gebadet; sein nackter Oberkörper war fleckig verkrustet und auch auf seiner Hose – die er vermutlich gerade eben wieder angezogen hatte – waren blutige Handabdrücke zu sehen.

    „Es gibt viele wundersame Dinge, die du noch lernen musst, fuhr Loki fort. „Immerhin, wie ich sehe, hast du bereits bemerkt, dass dich das Drachenblut schützen wird … Nenn mir deinen Namen, danach wirst du noch Manches erfahren.

    „Ich bin Siegfried, der Sohn Siegmunds, des Wälsungen. Aber mein Ziehvater ist Regin, der Schmied …"

    „Sieh dich vor, Siegfried", grollte jetzt die tiefe Stimme eines versteckten Zaungastes aus dem seitlichen Dickicht hervor. Daraufhin kroch eine kleine aber muskulöse Gestalt ans Tageslicht, baute sich neben dem jungen Mann auf und zeigte mit einem russgeschwärzten Finger auf den Fuchs.

    „Dieser getarnte Geselle ist mir schon einmal begegnet … Aber er soll selber erklären, was er hier zu suchen hat. Ich sage dir nur eins: Ihm ist nicht zu trauen!"

    Loki gähnte, reckte und streckte sich, wie ein Hund nach einem schönen Schläfchen. Auf seinem Rücken glitt das Fell zurück in Richtung Hinterkopf, verblieb dort als roter Haarschopf, währenddessen Gesicht, Rumpf und Gliedmassen menschliche Formen annahmen.

    So wandelte sich der Fuchs zum Mann, bekleidet mit dem grünen Gewand eines Jägers. Aufrecht stehend strich er sich seinen feuerroten Umhang glatt, fuhr sich mit den Fingern durch das dichte flammende Haar, grinste schief und sagte:

    „Regin, Regin! Wie lange ist es her, seit wir das Vergnügen hatten? Ein Menschenalter? Zwei? Oder gar mehr? Du bist alt geworden! Doch wenn du mich nicht kennengelernt hättest, würdest du längst dein Eisen in einer finsteren Grotte der Hel schmieden. Du bist mir also zu Dank verpflichtet. – Ist es nicht so?"

    „Dank?" Regins Stimme klang wie das Reibeisen, mit dem er die Erzeugnisse seiner Schmiedekunst zu entgraten pflegte. Die tiefen Furchen auf seiner Stirn verfinsterten sich noch um eine Spur.

    „Einen Fluch hast du über mich und meine Sippe gebracht! Fafnir, mein Bruder, der hier in Drachengestalt sein elendes Leben ausgehaucht hat, ist nur eines deiner Opfer! Das erste war Ottur, der Bruder, den alle verehrt haben … Soll ich noch mehr aufzählen?"

    „Lassen wir die alten Geschichten ruhen", sprach Loki gelassen. „Befassen wir uns mit der Gegenwart: „Hast du deinem Zögling erklärt, was es mit dem Gold auf sich hat, das da oben in der Drachenhöhle ungenutzt herumliegt?"

    Er wies mit einer lockeren Geste in Richtung der Felsgrotte, oberhalb ihres Standortes, die eingerahmt wurde von verkohlten Baumstümpfen, die von keinem natürlichen Feuer versengt worden waren. Ohne auf eine Antwort zu warten, drehte er sich um und stieg empor zu dem Höhleneingang.

    Siegfried und Regin folgten ihm zögernd.

    Das Innere der Grotte war geräumig wie die Halle eines mächtigen Germanenfürsten und der goldene Lichtschein, der von dem grauschwarzen Felsengewölbe unnatürlich reflektiert wurde, war so gleissend hell wie in Odins Walhalla. In der Höhlenmitte wölbte sich ein Berg aus purem Gold: Waffen aller Art, Edelsteine, Halsketten, Armreifen; Kleinodien von überirdischer Pracht; mit geheimnisvollen Runen verzierte Trinkhörner, wie sie Loki aus der Götterburg kannte – er konnte nur staunen! Obwohl der Anblick des immensen Schatzes für ihn nicht neu war: Er hatte ihn seinerzeit eigenhändig dem Wächter des Hortes abgeknöpft: Andvari, dem Hüter des Rheingoldes. Aber, das war eine eigene Geschichte, die sich der Feuergott in Menschengestalt in diesem Moment nicht in Erinnerung rufen mochte. Sein vordergründiges Ziel war es gewesen den Helden ausfindig zu machen, dem bestimmt war, diesen Schatz zu gewinnen. Und dieses Ziel hatte er jetzt erreicht!

    Siegfried starrte mit grossen Augen auf die funkelnde Pracht – während Regins Blick unruhig zwischen ihm und Loki hin und her flackerte. Der alte Schmied hatte seine eigenen Geheimnisse, die er seinem Ziehsohn nur bruchstückhaft offenbart hatte: nur das Nötigste, dem Zweck dienend, ihn zu befähigen Fafnir zu töten, um an den Goldschatz zu gelangen. Dafür hatte er ihm das Schwert Gram neu geschmiedet – denn Siegfrieds Vater Sigmund hatte es bei seinem letzten Kampf zerbrochen.

    So wähnte sich der junge Held in einem unwirklichen Traum, als Loki einen besonders schönen Ring aufhob und den selbigen ihm mit den Worten an den Finger steckte:

    „Dieser Ring ist das bedeutendste Kleinod, bestimmt für deine zukünftige Braut, die sehnlichst deiner harret!"

    Regin schien nach Luft zu japsen; er wollte warnende Worte ausstossen, doch seine Kehle war auf seltsame Weise wie zugeschnürt, so dass er ihr nur ein unverständliches Krächzen entringen konnte. Loki war daran schuld – es war sein Spiel: denn der Widerspruch des alten Schmieds kam ihm nicht zupass!

    „Meine Braut?" Stammelte Siegfried, während er auf den Ring an seinem Finger starrte.

    „Ich kann dies alles kaum fassen! – Ist sie schön?"

    „Sieh genau hin …" Loki fuhr mit einem Finger über den roten Rubin, der inmitten der kunstvoll verzierten Fassung leuchtete.

    Glühende Hitze, die unverhofft dem Kleinod zu entströmen schien, übertrug sich auf Siegfrieds Hand. Und in dem Edelstein funkelte ein Feuer, welches allmählich abkühlte, eiskalt wurde, und sich zu einem Eiskristall wandelte. Nun sah Siegfried das Gesicht einer Frau, umgeben von Feuer und Eis. Das Bild war so klar, als stünde sie ihm leibhaftig gegenüber. Der junge Mann hatte noch keine Schönere je gesehen: Ihr ebenmässiges Antlitz glich dem seiner Mutter, so wie er es als Kleinkind in Erinnerung hatte, dieselben leuchtend blaugrauen Augen; nur das lange Haar war dunkel, im Gegensatz zu Sieglindes rotblonden Locken.

    „Gefällt sie dir?"

    Die Frage war überflüssig. Siegfrieds Augen leuchteten so hell wie der Kristall. Als er den Kopf hob, verschwand das Bild und der Ring glänzte wieder rubinrot.

    „Wo kann ich sie finden?" Stammelte er beseelt. – Nichts, nicht einmal der immense Schatz, schien ihm im Moment wichtiger zu sein.

    „Später." Sagte Loki ungerührt. Er unterdrückte sein triumphierendes Lächeln.

    „Hier ist noch etwas …"

    Der Listenreiche bückte sich abermals nach dem Goldhaufen, nahm ein feingliedriges, netzartiges Gespinst in die Hand und streifte es über Siegfrieds Haupt:

    „Diese Tarnkappe verleiht dir die Fähigkeit, dich unsichtbar zu machen, aber …"

    Hastig nahm er dem jungen Mann die Kopfbedeckung wieder ab und drückte sie ihm in die Hand. „Es ist Vorsicht geboten! Ich werde dir bei passender Gelegenheit erklären, was es genau damit auf sich hat und wie du damit umgehen musst."

    Siegfried spürte Lokis Hand auf seiner Schulter, heiss wie das Feuer, das der Ring ausgestrahlt hatte. Doch heisser noch regte sich das Verlangen in seiner Brust, nicht nach der Tarnkappe, der Anblick der Schönen im Ring hatte seine Leidenschaft entfacht. Achtlos stopfte er die magische Haube in seinen Gürtelbeutel. Flehend bat er Loki: „Nenn mir wenigstens ihren Namen! Ich werde bis ans Ende der Welt reiten, solange, bis ich sie finde!"

    „Zu Pferd, wirst du Brunhild nicht erreichen. Es sei denn, du leihst dir Odins Hengst Sleipnir aus, der imstande ist über die Wolken zu gleiten. Die verstossene Walküre ist auf einer Insel im eisigen Nordmeer. Dort wartet sie auf den Helden, der bereit ist, sie aus dem Schlaf zu erwecken, der bereits mehr als ein langes Menschenleben währt …"

    „Eine Walküre eignet sich nicht als Ehegespons!", meldete sich jetzt Regin zu Wort. Er hatte lange geschwiegen – schweigen müssen. „Glaube mir, Siegfried, sie wird dir den Tod bringen!"

    „Das ficht mich nicht. Ich will SIE, und keine andere! Selbst wenn sie eine Walküre ist, die mein Leben fordert. Freudig werde ich ihr nach Walhall folgen!"

    Regin wiegte bedenklich sein ergrautes Haupt. „Was redest du da, Dummkopf! Habe ich dich aufgezogen, damit du jetzt dein junges Leben wegwirfst? Ist dies dein Dank für meine Mühe?!

    Du bist schuld daran, Rotfuchs!, wandte er sich gehässig an Loki. „Du hast ihm diesen Floh ins Ohr gesetzt! – Höchste Zeit, dass du verschwindest!

    Er zog sein kurzes scharfes Schwert aus der Scheide. Und mit einem blitzartig schnellen Hieb nach Lokis Hals, versuchte er dessen Haupt vom Rumpf zu trennen.

    Der Kopf flog tatsächlich zur Seite, rot leuchtete der Halsstumpf … aber statt Blut schoss eine Stichflamme heraus. Und nachdem diese erloschen war, kam Lokis grinsende Fratze am richtigen Platz wieder zum Vorschein.

    „Eigentlich sollte ich dich vernichten, alter Zwerg; der du es wagst, dein Schwert gegen einen Gott zu erheben! Du kannst von Glück reden, dass ich dich noch brauche: Du wirst diesen Schatz hier bewachen, an Fafnirs statt, und auf Siegfried warten bis er zurückgekehrt ist. Deine Gier nach dem Gold ist ebenso gross wie der Wahn deines Bruders gewesen ist: Werde meinetwegen zum Ungeheuer – ich bin mir sicher, dir wird etwas einfallen!"

    Loki liess Regin stehen, fasste Siegfried am Ärmel und sagte zu ihm: „Komm, mein Junge, deine Braut wartet schon sehr lange auf dich. Ich werde dir zeigen, wo Brunhild schläft. Es ist ein weiter und gefährlicher Weg bis nach Island, du wirst gar manches Hindernis überwinden müssen. Aber wenn du meine klugen Ratschläge beherzigst, wirst du dein Ziel erreichen!"

    Regin blieb allein in der Höhle zurück.

    Siegfried hatte sich nur kurz nach ihm umgedreht und ihm zu gewinkt. Und Regin dachte: Der Junge steht völlig unter Lokis Bann, er will nur noch Eines: sich arglos in die Fänge dieser Walküre werfen!

    „Nichts Gutes wird dabei herauskommen …, murmelte der alte Schmied kopfschüttelnd. Seufzend liess er sich auf einem Steinblock nieder und betrachtete sein Schwert, an dessen Klinge kein Blutfleck zu sehen war: lediglich ein russiger, schwarzer Streifen, in der Breite von Lokis Hals! Er fuhr mit dem Ärmel über die Stelle, bis sie wieder blank schimmerte, und steckte das Schwert wieder in die Lederscheide. Dabei grollte er: „Dein Feuer ist auch nicht heisser als die Glut meiner Esse, arglistiger Weltenverführer! Sieh dich vor, auch du wirst dereinst zur Rechenschaft gezogen, falscher Fuchs!

    Der Goldberg zu seiner Seite glitzerte herausfordernd, erzeugte einen übernatürlichen Lichtschein, der Regins Gesichtszüge in Berge und Täler zerklüftete, die Furchen auf Stirn und in den Mundwinkeln in den Tiefen schwärzte und andere Partien, wie den Rücken der dicken Knollennase, umso greller betonte.

    Regins Gemüt wurde dagegen nicht erhellt; es verkroch sich im nachtdunklen Schattenreich. Dumpf brütend waberte es in ihm:

    Was mache ich nun mit dem verfluchten Gold? Ist es das, was ich gewollt habe: Die Rache an Fafnir, mit Siegfrieds Hilfe; den Tod meines Bruders und die Macht über den Hort? Unheil hat er über alle gebracht, die ihn besitzen wollten! Den grössten Teil meines Lebens habe ich darauf hingearbeitet, das zu erringen, was mir einst verweigert wurde … und jetzt? Siegfried ist fort … er wird ins Verderben laufen … Plötzlich spüre ich mein wahres Alter … Generationen sah ich kommen und gehen … Ich bin müde … nur noch

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