Einsichten und Betrachtungen I: Handbuch des kritischen Denkens
Von Thorstein Berger
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Buchvorschau
Einsichten und Betrachtungen I - Thorstein Berger
Erstes Buch
Die Geduld des Papiers ererbt doch nicht der Leser, denn wird jene erst bemüht, so ist es um dessen schon geschehen.
Alle Selbstgerechtigkeit entspringt daraus, sich zuerst den äußeren Schein von überlegener Moralität zuzulegen, um dessen Täuschung dann selbst zu erliegen, an denselben also, als das innerste Wesen aller Moral, in eigener Person so andachtsvoll wie ehrfürchtig zu glauben.
Die in der Maske scheinheiliger Leutseligkeit auftretende Verstellung erklärt sich doch immer nur dem Schein nach für die objektive Wahrheit, nämlich allein dann, wenn ihr ein solches aus Gründen subjektiver Nützlichkeit gerade als das Gebotene erscheint.
Der Pfad zu aller Weisheit ist ein so schmaler und steiler, und der Aufstieg auf ihm darum ein so beschwerlicher, dass der Wanderer, der ihn beschreitet, alsbald alles ihm lästig fallende, dabei ganz überflüssige Gepäck freudig am Wegesrand zurücklassen wird, als für welches er Ruhmsucht und Selbstgefälligkeit, Geltungsbedürfnis und Sendungsbewusstsein erkennen muss.
Einen nicht unerheblichen Teil der Urteilskraft macht die Fähigkeit aus, zwischen der Form und dem Inhalt einer Aussage unterscheiden zu können. Denn wider den ersten Anschein ist es oftmals nicht der Inhalt, der falsch, sondern bloß die Form, die dem Inhalt unangemessen ist, unter welche er also gewaltsam gezwungen, und wodurch die Aussage zu einer falschen wurde.
Vom rationalen Prinzip zum dialektischen fortzuschreiten, bedeutet bloß, sich vom Falschen zum Widersinnigen zu versteigen, macht der Widerspruch, welcher in jenem auftreten muss, dasselbe doch zunichte, während er in diesem als endlich erlangte Erkenntnis begrüßt wird.
Im rationalen Prinzip wird die Vergottung des allzeit Seienden, im dialektischen die des ewig Werdenden betrieben.
Im Fortschreiten vom rationalen zum dialektischen Prinzip soll der Widerspruch, der sich in jenem notwendig zeigen muss, in diesem zu einer absoluten Erkenntnis geraten, und die Herrschaft der Vernunft somit zu einer unumstößlichen.
Die Ellipse (…) beschließt in allem Folgenden einen Gedankengang, den zu seinem offensichtlichen Ende zu führen dem Leser überlassen bleibt.
Die Ellipse (…) überlässt eine offensichtliche Schlussfolgerung zu ziehen im Folgenden dem Leser.
Das absolute Scheitern eines absoluten Prinzips wiederum als Beweis für die Existenz des Absoluten zu nehmen, da eben das Scheitern doch ein absolutes war…
Die eine Gesinnungslehre im Scheitern der anderen ihre Begründung und Rechtfertigung finden lassen zu wollen, heißt doch nur, auf ewig vom Regen in die Traufe, von der Traufe in den Regen zu kommen.
Anders als in der Geometrie ist in der Kultur der weiteste Abstand bereits da erreicht, wo kein gemeinsamer Berührungspunkt mehr besteht.
Wehe dem Zeitalter, in dem der Erhalt der ewigen Werke denjenigen zufällt, welche selbst ohne jedes Verständnis für dieselben sind, vielmehr ein solches nur vorgeben, um vom Glanz derselben für die eigene Person zu borgen.
Größer als jede astronomische Einheit ist der Abstand zwischen objektivem und subjektivem Intellekt, zwischen der Kultur und bloß einer Kultur.
Kultur und Kulturbetrieb sind Zwillingsplaneten zu vergleichen, die zwar auf derselben Bahn fahren, ohne einander aber doch jemals zu begegnen.
Zum bloßen Kulturbetrieb verhält sich die Kultur wie die Sonne zum Mond, erborgt dieser seinen Schein doch allein von jener, und das auch noch, wenn sie schon lange untergegangenen ist, und er nun als das hellste Gestirn am Himmel steht.
Den größten Unterschied bedeutet es, ob ich ein Denkprinzip seinem Grundsatz nach ablehne oder lediglich eine Ausprägung desselben, dafür aber eine andere solche befürworte. Und diesen Unterschied nur immer verschleiern und dadurch ableugnen zu wollen, ist eben dem Verfechter des Denkprinzips angelegentlich, um sich derart jeglicher ihm lästig fallender Kritik zu entledigen.
Den größten Unterschied bedeutet es, ob man ein Denkprinzip seinem Grundsatz nach verwirft, oder aber bloß eine besondere Ausprägung desselben, dabei einer anderen solchen allerdings zustimmt.
Den größten Unterschied bedeutet es, ob man eine Sache dem Prinzip nach ablehnt, oder aber bloß eine besondere Erscheinungsweise derselben, dem Prinzip der Sache selbst also dennoch zustimmt.
Den größten Unterschied bedeutet es, ob man einen Denkfehler seinem Grundsatz nach verwirft, oder aber bloß eine bestimmte Ausprägung desselben, um dabei einer anderen solchen allerdings zuzustimmen.
Und diesen Unterschied nur immer verschleiern zu wollen ist dem Verfechter des Denkfehlers angelegentlich, um so dem Gegner des Denkfehlers im Grundsatz unterstellen zu können, bloß ein Gegner des Denkfehlers in einer bestimmten Ausprägung zu sein, mithin einer anderen solchen selbst anzuhängen, wodurch der Grundsatz des Denkfehlers vom Gegner also als wahr zugegeben wäre, und damit auch zumindest eine Ausprägung desselben wahr sein müsse, und zwar doch wohl diejenige des ursprünglichen Verfechters des Denkfehlers, welche also zu Unrecht angegriffen wurde.
Der ewige Traum der Einäugigen, über diejenigen Blinden zu herrschen, die sie selbst zu diesem Zwecke erst geblendet haben…
Nur einen Teil der Wahrheit für die ganze Wahrheit auszugeben, ist - schon wieder eine Unwahrheit.
Eine halbe Wahrheit für die ganze Wahrheit auszugeben, macht selbst wieder eine Unwahrheit.
Für manchen Schreiberling ist das Schreiben ein ebenso natürlicher Vorgang wie das Verdauen - bei gleichem Ergebnis.
Aller Unverstand fragt nicht nach dem Denkfehler in einer Irrlehre, um denselben künftig vermeiden zu können, sondern bloß danach, wie allein der äußere Anschein zu vermeiden wäre, zu den Anhängern derselben zu gehören.
Anstatt zu sagen „Ich will! ist es doch ziemlicher zu sagen „Ich soll!
, drückt sich im ersteren doch das Selbstische, im letzteren aber das Selbstlose aus, und ewig glücklich, wer einer Lehre anhängen darf, in der das subjektiv Gewollte gerade gleich dem objektiv Gebotenen ist, das „Ich will! und das „Ich soll!
also immer zusammenstimmen…
Wenn alle Freiheit allein darin gefunden werden kann, sich auf die Seite der Unterdrücker zu stellen, um nur nicht selbst zu den Unterdrückten zu gehören, so ist eben gar keine Freiheit.
Aus Gründen der Pietät alle Auseinandersetzung in der Sache untersagen zu wollen, heißt nur, für viele künftige Anlässe zur Pietät zu sorgen.
Die nackte und lautere Wahrheit hat immer den denkbar schlechtesten Stand und steht zudem noch im geringsten Ansehen, da sie so überaus frei von jeder Pietät und Ehrfurcht gegenüber dem ist, was in den Augen des großen Haufens als ebenso heilige wie unantastbare Wahrheit zu gelten habe.
Bei anderen den Trugschluss hervorrufen zu können, den äußeren Schein bereits für den Kern der Sache selbst zu nehmen, ist eine Kunstfertigkeit, die doch nie ihr Publikum verfehlt, ihrem Adepten also stets einen auskömmlichen Broterwerb zu sichern versteht.
Derjenige Lügner muss doch der erfolgreichste sein, der sich selbst nicht einmal bewusst ist, dass er überhaupt lügt.
Eine Frage derart zu beantworten, dass sich für die gegebene Antwort dieselbe Frage, nicht nur der Form, sondern gerade dem Inhalt nach, sogleich aufs Neue und in gleicher Weise stellt, heißt eben, sie gar nicht zu beantworten.
Die Frage nach der Herkunft des Lebens auf der Erde kann nicht in der Abkunft von einem fremden Planeten ihre letzte Antwort finden, die Frage nach der Legitimation des Staates nicht in einem übergeordneten Staatenbund, usw.
Das, wonach man sich nur immer sehnt, vermag man selbst doch schlechterdings nicht zu sein, erst recht nicht, um somit allem Sehnen selbst ein Ende zu machen und alles Wollen hierin endgültig zu befrieden.
Gibt es die Götter oder nur den Glauben an dieselben, ist das, was den Menschen als Religion mächtig bewegt, gerade unumstößlicher Beweis für ihr Dasein oder bloß sichtbares Unterpfand seines blinden Wähnens?
Nicht sind die Götter wirklich, sondern es ist vielmehr nur der Glaube an dieselben ein wirksames.
Sind die äußeren Wahrzeichen und sichtbaren Zeugnisse einer Religion, das sind die in ihrem Namen unternommenen Eroberungszüge, die ihr zu Ehren errichteten sakralen Prachtbauten sowie die geistige Vorherrschaft ihrer Glaubenslehre, schon hinreichender Beweis und Gewähr der überlegenen Macht und Wahrhaftigkeit der in ihr angebeteten Gottheit oder nur Ausdruck des planvollen, wie auf Verabredung geschehenden Vorgehens und Handelns ihrer Anhänger zur Erreichung der eben allein erst durch die Religion selbst aufgegebenen Absichten und Zwecke?
Erkennen wir in der Vorherrschaft einer Religion die überlegene Macht und Wirklichkeit der in ihr angebeteten Gottheit oder nur den Umstand, dass gerade eine auf solcher Annahme gegründete Glaubenslehre das Handeln und Denken ihrer Anhänger auf das Wirksamste und Tiefgreifendste zu bestimmen vermag?
Erkennen wir in der Vorherrschaft einer Religion die Wirklichkeit der in ihr angebeteten Gottheit als eines allmächtigen Prinzips, und darin bereits auch die Wahrheit ihrer Glaubenslehre, oder nur die Wirksamkeit ihrer Glaubensartikel als eines Beweggrundes für das ebenso übereinstimmende wie absichtsvolle Handeln ihrer Bekenner?
Die Wirklichkeit eines Prinzips soll bedeuten, dass es sowohl Dasein habe als auch Wirksamkeit zeitige. Wiederum aus der Wirksamkeit allein kann aber eben nicht bereits auch auf das Dasein und damit die Wirklichkeit des Prinzips geschlossen werden, vermag sich dieselbe Wirksamkeit doch auch aus dem bloßen Glauben an die Wirklichkeit des Prinzips, als eines Beweggrundes für das menschliche Handeln, einzustellen.
In der Wirksamkeit des Glaubens an ein Prinzip, als eines Beweggrundes, soll der Anschein erweckt werden, als wäre dieselbe gleichbedeutend mit der Wirksamkeit des Prinzips selbst, als eines Erkenntnisgrundes und Realgrundes gleichermaßen, und somit durch die vermeintliche Wirksamkeit auch schon die Wirklichkeit des Prinzips bewiesen.
Ist die Wirksamkeit eines Prinzips von der Wirksamkeit des bloßen Glaubens an die Wirklichkeit des Prinzips nicht zu unterscheiden, so kann eben aus einer solchen Wirksamkeit die Wirklichkeit des Prinzips mitnichten geschlossen werden.
Mangelt einem Prinzip zwar auch die Wirklichkeit, so kann der Glaube an dieselbe aber doch schon hinreichend für dessen Wirksamkeit, als eines bloßen Glaubensartikels, sein.
Ein Prinzip muss, um nur immer wirksam, doch nicht wirklich sein, kann der bloße Gaube an die Wirklichkeit desselben für seine Wirksamkeit, als eines bloßen Glaubensartikels, doch schon ausreichen.
Es kann doch gerade die mangelnde Wirklichkeit eines Prinzips die größte Wirksamkeit desselben, als eines bloßen Glaubensartikels, bedeuten, als welche dann wiederum den überzeugendsten Schein herbeizuführen versteht, als käme dem Prinzip auch Wirklichkeit zu.
Es kann gerade die fehlende Wirklichkeit eines Prinzips die größte Wirksamkeit desselben, als eines bloßen Glaubensartikels, bedingen, welche dann wiederum den überzeugendsten Schein herbeizuführen versteht, als wäre das Prinzip auch ein wirkliches.
Es kann gerade die mangelnde Wirklichkeit eines Prinzips die größte Wirksamkeit, nicht des Prinzips selbst, als Realgrund, sondern bloß des Glaubens an dasselbe, als Beweggrund, bedingen, welche dann wiederum den überzeugendsten Schein herbeizuführen versteht, als wäre das Prinzip tatsächlich ein wirkliches.
Gerade die mangelnde Wirklichkeit eines Gegenstandes vermag doch Ursache für die äußerste Wirksamkeit des bloßen Glaubens an denselben zu sein.
Steht die Wirklichkeit eines Prinzips der menschlichen Willkür eben nicht als Hindernis entgegen, so kann gerade der bloße Glaube an die Wirklichkeit des Prinzips die größte Wirksamkeit zeitigen.
Für die Wirksamkeit des Glaubens an ein Prinzip, als Beweggrund, ist die Wirklichkeit des Prinzips, als Realgrund wie Erkenntnisgrund, nicht nur nicht notwendig, sondern derselben zumeist sogar geradezu abträglich.
Die Wirksamkeit des Glaubens an die Wirklichkeit eines Prinzips vermag sich eben gerade auch bei Abwesenheit der Wirklichkeit des Prinzips einzustellen.
Ist die Wirksamkeit des Glaubens an ein Prinzip nur augenscheinlich genug, so muss die Wirklichkeit des Prinzips hierdurch eine allemal ausgemachte und bewiesene Sache sein…
Kommt einem Prinzip Wirklichkeit zu, als Realgrund der Gegenstände, oder nur dem Glauben an ein solches Wirksamkeit, als Beweggrund des Handelns in Bezug auf die Gegenstände?
Die Überzeugung von der Wirklichkeit einer Sache kann wirksam sein, ohne dass dafür die Sache selbst überhaupt wirklich sein muss, vermag doch gerade die mangelnde Wirklichkeit einer Sache deren Wirksamkeit als eines bloßen Glaubensartikels aufs Äußerste zu steigern, welches dann wiederum den überzeugendsten Schein herbeizuführen versteht, als wäre damit auch die Sache eine wirkliche.
Die äußerste Wirksamkeit eines Prinzips kann doch gerade aus der mangelnden Wirklichkeit desselben herrühren, wenn dieselbe sich also nicht aus dem Prinzip selbst, als eines Realgrundes, sondern vielmehr bloß aus dem Glauben an die Wirklichkeit des Prinzips, als eines Beweggrundes, einstellt.
Der Wirksamkeit eines Prinzips, als eines bloßen Glaubensartikels, kann gerade die Wirklichkeit des Prinzips entgegenstehen, sodass es besser ist, es würde bloß geglaubt, denn