Alter Mann im Bus: Eine Deutschlandreise im öffentlichen Nahverkehr
Von Bernhard Weiland
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Über dieses E-Book
Bernhard Weiland benötigte in vier Jahren 15 Etappen, um all seine Ziele im ÖPNV quer durch Deutschland zu erreichen. Am Ende hat er um die 2900 Kilometer in Bussen, Anrufsammeltaxis, Stadt- und S-Bahnen auf der Fahrt durch Deutschland verbracht, viele Stunden an Haltestellen gewartet, auf pünktliche Verbindungen gehofft und dieses Land neu für sich entdeckt. Auf der Reise sammelte er viele kleine Geschichten für das vorliegende Buch.
2016 ist er in Hannover, seiner Heimatstadt, gestartet. Mitte 2020 wollte er, so der Plan, sein Reiseprojekt auf der Insel Neuwerk beenden. Warum der Plan nicht ganz aufging, auch davon erzählt das Buch.
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Buchvorschau
Alter Mann im Bus - Bernhard Weiland
Vorweg
Schon bevor ich mit der Reise beginne, träume ich nachts neue und alte, bekannte und unbekannte Landschaften und Orte. In ihnen wähne ich mich unterwegs, verwundert, staunend, überrascht zumal. Mir erscheinen Traumbilder, zusammengesetzt wie aus Erfahrenem, Fantasiertem, Verschüttetem. Gestern und Heute, Vergangenheit und Gegenwart zu einer einzigen Folie übereinandergelegt.
Nicht nur im Traum zeigt sich eine Wirkung von Landschaften und ihren von Menschen produzierten Überformungen auf den Menschen. Schon immer haben sie sein Wesen, seine Kultur und Geschichte beeinflusst. Gibt es eigentlich eine Wissenschaft, die das untersucht, untersuchen kann? Eine ‚Kulturlandschaftspsychologie‘ oder ‚-soziologie‘. Auf welche Weise mögen heutige industrielle Landschaften, dicht bebaute Städte, gestaltete Natur unser Wesen beeinflussen?
Mystisch und rätselhaft jedenfalls beeindrucken mich meine Träume von ihr. Es gelingt mir, die meisten davon festzuhalten. Gleich nachts oder früh morgens nach dem Aufstehen sichere ich sie als Sprachmemos auf meinem Smartphone. Sie werden Teil meiner Reise, auf der ich in mehreren Jahren die Landschaften der Republik durchfahre. Sie werden damit auch zum Teil meines Fotoprojekts, das mich bis zum Ende der letzten Reiseetappe begleitet.
Diese Reise soll der Abschluss einer persönlichen Reisetrilogie sein. Die erste führte mich auf dem Liegerad von meiner Heimatstadt in die Sehnsuchtslandschaft Sahara, zu Nomaden im südlichen Marokko. Danach ging ich zu Fuß von zuhause aus nach Bad Muskau, in den weitgehend wiederhergestellten grenzübergreifenden Landschaftspark des Fürsten Pückler.
Dabei ließ ich mir unterwegs von Menschen, die mir begegneten, Weg und Richtung weisen. Auf das Mitführen von Landkarten - analog oder digital -verzichtete ich dabei. Ich verließ mich auf die persönlichen Wegweisungen.
Und nun werde ich im öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) quer durch Deutschland unterwegs sein. Der Weg ist nur ein Ziel. Denn die Wege, die ich in Etappen zurückliegen will, führen zu empfohlenen Orten, mir bekannten und unbekannten, großen und kleinen. Familie, Freunde, Bekannte, Nachbarn haben sie mir mit auf den Weg gegeben. So werde ich in jede Himmelsrichtung reisen. Mit Bussen und Straßenbahnen von Haltestelle zu Haltestelle.
Möge der Fahrplan mit mir sein!
traumbild
wir sind unterwegs wir sind schüler*innen eines gymnasiums auf klassenfahrt sitzen in einem bus und wollen heute nach irgendwohin fahren machen gerade eine pause in irgendwo.
ringsumher in nirgendwo wimmelt es nur so von menschen die alle unterwegs sind da verpasse ich in dem gewimmel die abfahrt meines busses schon packe ich mein gepäck wo auch immer das gerade herkommt auf mein fahrrad wo auch immer das gerade herkommt und fahre mit l. wo auch immer der gerade herkommt zusammen los.
l. kenne ich eigentlich nur aus meiner kindheit die ist schon lange her wo wir uns als nachbarskinder in dem haus in dem wir wohnten kannten als wir noch gar nicht zur schule gingen jetzt fährt er neben mir auf dem fahrrad dem bus hinterher.
wir suchen die richtung nach irgendwo dort soll der bus heute noch ankommen denn wir wollen heute abend von dort aus noch nach irgendwohin wandern das liegt in der nähe von hamburg was mich verwirrt liegt doch das reiseziel des busses am harzrand irgendwo von wo aus man doch wohl nicht so eben mal eine abendliche wanderung in die nähe von irgendwo hamburg machen könne.
so fahren wir weiter durch eine stadt und suchen einen bahnhof in der hoffnung vielleicht unseren bus noch zu sehen erreichen dort am bahnhof einen weiten parkplatz schauen weiter nach dem weg nach irgendwo am harzrand da denke ich dass ich doch ein smartphone habe mit einer kartenapp darauf. doch zu dieser zeit als ich schüler des gymnasiums bin gibt es noch lange kein smartphone fünfzig jahre vor jetzt und doch bin ich gerade eben jung wie zu der zeit damals und alt wie heute beides gleichzeitig wie geht das denn ich habe ein handy und mache mir doch keine gedanken wie ich wohl dazu gekommen sei ich habe es einfach bei mir.
ich denke darüber nach die kartenapp zu nutzen da sehe ich einen übersichtplan wie er an bahnhöfen zur orientierung allerorten stehen mag biege unvermittelt ohne rücksicht auf den verkehr einfach ab und autos hupen da hinter mir ob meiner unachtsamkeit schon habe ich l. auf seinem rad auf dem weg durch eine große menschenmenge zum übersichtsplan verloren steige von meinem fahrrad ab um zu schieben als meine frau p. neben mir geht die es zu der zeit für mich noch gar nicht gibt und geben kann.
dennoch frage ich sie nach der telefonnummer von l. denn l. sitze in dem bus auf klassenfahrt wir gehen weiter nebeneinanderher sie antwortet ja die nummer habe sie wohl ich greife nach meinem handy und habe doch das handy von p. die ich damals ja noch nicht kenne in meiner hand und wie es dahin kommt können wir beide nicht erklären.
so treffen wir eine gruppe menschen die aus dem bahnhof hin zu einem bus strömt wir denken das sei unser bus aber es ist ein anderer wir gehen weiter immer weiter und wissen nicht in welche richtung und ob wir jemals ankommen werden und gehen weiter immer weiter.
1.Etappe
Nach Bornhausen und zum Grab von Wilhelm Busch
21.November 2016
Reiseverlauf
Diese erste Reiseetappe führt mich in Niedersachsen von Hannover durch das Calenberger Land an den Harzrand bis nach Seesen. Dabei lege ich in 5 Linien des ÖPNV einen Fahrtweg von ca. 81 Kilometern in insgesamt 2: 40 Std. zurück. Dazu kommt eine Wanderung von 2 km. (Weitere Daten befinden sich im Anhang!).
Auf großer Fahrt
Ich bin in Mechtshausen angekommen. Dieses Dorf, am Rand des Harzes gelegen, war von 1898 bis zu seinem Tod 1908 der letzte Wohnort von Wilhelm Busch, humoristischer Dichter, Zeichner und Pionier von Bildergeschichten, die heute als Comics bezeichnet werden. Sein Grab soll ich besuchen.
Gestartet bin ich am frühen Morgen. Begleitet werde ich auf dieser ersten kurzen Etappe, dem Prolog für die in den nächsten Jahren folgenden Reisen durch die Republik, von P., meiner Frau. Es geht heute in ihre alte Heimat am Rande des Harzes, in der Nähe von Seesen. Es ist mein erster Versuch, nur mit Mitteln des öffentlichen Personennahverkehrs zu reisen. Sicherlich kann man Bornhausen und Mechtshausen, so heißen die beiden Tagesziele, auch einfacher und schneller mit Regionalbahnen und nur auf den letzten Kilometern ergänzend dazu mit Buslinien erreichen. Aber ich habe mir in den Kopf gesetzt, auf meinen Reiseetappen im öffentlichen Personennahverkehr möglichst nur mit Linienbussen und Straßenbahnen unterwegs zu sein. Los geht’s zu den einzelnen Etappen immer in meiner Heimatstadt Hannover. Zum Start der jeweils nächsten Etappe werde ich dann über die Schienenwege der Deutschen Bahn anreisen
So nehmen wir um kurz nach sieben unterirdisch die Stadtbahnlinie 5 vom Königsworther Platz zur U-Bahn-Station Aegidientorplatz und von dort die Stadtbahnlinie 1. Diese ist am Morgen gut besetzt und transportiert junge und alte, müde und wache, mürrische und freundliche Menschen stadtauswärts. Wie viele doch so früh aufstehen müssen! Draußen geht gerade die Sonne auf. Über dem Horizont leuchtet für kurze Zeit ein Gemisch aus satten roten Farbabstufungen. Im Inneren der Bahn scheint kaum jemand Notiz davon zu nehmen, die Gedanken und Gespräche weilen wohl an anderen Orten, erzählen die kleinen persönlichen Geschichten von gestern, heute und vielleicht auch morgen. Bis zum Endpunkt in Sarstedt wird es zusehends stiller im Waggon, die Bahn hat sich nahezu geleert. Wir steigen in der morgendlichen Novemberkälte um. Mit dem 21er Bus verlassen wir den hannoverschen Verkehrsverbund GVH in Richtung Hildesheim. Vom dortigen ZOB geht es dann nach einem zweiten Frühstück im Hauptbahnhof mit der Buslinie 34 zum Bahnhof Derneburg. Es ist wichtig, dort um 9: 37 Uhr den 461er Richtung Seesen zu bekommen. Nur mit ihm können wir das Dorf Bornhausen erreichen. Darauf ist meine heutige Planung ausgerichtet. Der nächste darauffolgende Bus mit Halt in Bornhausen führe erst wieder zwei Stunden später. So ist das mit den Verbindungen auf dem Land. Bloß den richtigen Bus zur richtigen Uhrzeit bekommen. Wehe, du bist verspätet, oder er ist verfrüht. Dann siehst du alt aus.
Tarifsystem
Gibt es in der Region Hannover mit dem Verkehrsverbund GVH ein einheitliches Zonen-Tarifsystem, so erfahren wir im Bereich des RVHI (Regional Verkehr Hildesheim), dass dergleichen hier nicht existiert. Eine einzige Fahrkarte vom ZOB Hildesheim mit den Regionalbussen innerhalb des Liniennetzes bis Bornhausen – nicht möglich. Die Nutzung des umfassenden Niedersachsentickets – nicht möglich. Der freundliche Fahrer des privaten Busunternehmens erklärt uns, dass verschiedene Fuhrunternehmen die Linien innerhalb der Stadt und dem Landkreis Hildesheim bedienen und ihre jeweils eigenen Fahrscheine in ihrem eigenen Liniennetz verkaufen. Kleinkrämerei also. 2017 könnte sich das - wer weiß - vielleicht ändern. So zahlen wir bis Derneburg bar. Von da ab wiederum lässt der Fahrer des nächsten Omnibusses im Auftrag der Deutschen Bahn Kulanz walten. Er akzeptiert unser Niedersachsenticket – ausnahmsweise. Dafür müssen wir uns unterwegs sein Motzen über die defekte Hinterachse seiner Kutsche anhören, die an jedem Schlagloch – und davon gibt es auf den Landstraßen einige – immer wieder durchschlägt.
Vereinfachung
Eine Woche nach unserem Tagesausflug nach Bornhausen durch das Hildesheimer Nahverkehrswirrwarr erscheint folgende Nachricht in der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung: „Die Grünen wollen das Fahren mit Bus und Bahn vereinfachen: Sie schlagen dafür eine einheitliche Fahrkarte vor – einen sogenannten Mobilpass. Fahrgäste sollen damit bundesweit alle öffentlichen Verkehrsmittel nutzen können. … Ziel ist, dass Fahrgäste überall in Deutschland verschiedene Verkehrsmittel damit nutzen und kombinieren können. …"
Am 6.Januar beeilt sich die politische Konkurrenz CDU/CSU dagegenzuhalten: Elektronische Chipkarten oder Handytickets sollen bis 2019 Papierfahrkarten für Busse und Bahnen in nahezu allen deutschen Städten überflüssig machen. Das sieht ein Aktionsplan des Bundesverkehrsministeriums vor …
(Zeit ONLINE)
Wird damit das Ende der Kleinstaaterei der ca. 144 deutschen Verkehrsverbünde, Kooperationsräume und verbundfreien Gebiete, mit und ohne Schienenpersonennahverkehr-Integration, mit Dachtarif und ohne, mit Verbund und gänzlich ohne eingeläutet? Alles wird übergangslos nutzbar? Das soll mit allen unzähligen Subunternehmen und Kooperationspartnern möglich werden? Warten wir’s ab.
Ich werde erst einmal Papierschnipsel sammeln und von Fahrkarte zu Fahrkarte, von Tarif zu Tarif unterwegs sein. Möge auf diesen Wegen und bei allen Umstiegen immer der Fahrplan mit mir sein!
Bushalt
In Bockenem wartet unruhig eine alte Frau auf den Bus, Gehstock und Einkaufstasche in der Hand. Wie sie den Bus kommen sieht – wie ist es möglich, so zu gehen –, trippelt, watschelt, wackelt sie so, mit den Armen nach unserem Bus winkend, Stock und Tasche durch die Luft schwingend, dass sie gerade noch das Gleichgewicht hält, in kleinsten Schritten eilig der Bushaltestelle zu. Wie langsam man doch eilig vorankommen kann. Ein den Bus besteigendes Paar bleibt in der Automatiktür stehen und feuert sie an, doch schneller zu machen. Aber wie kann sie das denn? Sie gibt doch schon alles. Keuchend steigt sie beim Fahrer ein und muss erst einmal Atem holen. Dann braucht sie eine Auskunft, ob denn der Bus in Rhüden dann und dann wieder zurückführe, mit ihr. Der Fahrer reagiert erst ein wenig störrisch, wie ein Busfahrer eben reagiert, wenn er aus seiner Routine geworfen wird, etwas seinen Fahrplan verhageln könnte. Wenn ihm ein Mensch gegenübersteht, der seinem Fahrplan nicht gerecht wird. Doch nach einem tiefen Atemzug und Ausatmen desselben hat er sich wieder gefangen und antwortet freundlich und zugewandt mit den Daten des fahrplanmäßigen Fahrplans, wie ein Busfahrer eben reagieren muss.
Dorfleben
In Bornhausen steigen wir an der Haltestelle Kammerkrug aus. Hier sind wir in der alten Heimat meiner Frau. Hier liegen ihre Eltern begraben. Wir statten zunächst dem Friedhof einen Besuch ab. Heute auf den Tag genau jährt sich der hundertste Geburtstag ihres Vaters.
Während eines anschließenden Spaziergangs durch das Dorf machen wir Halt am Dorfgemeinschaftshaus. Hier befindet sich offensichtlich der Mittelpunkt des sozialen Lebens des heutigen Dorfes. In Schaukästen finde ich Aushänge der Gruppen, die dieses Haus regelmäßig nutzen: CDU, SPD, Kindergarten, DRK, SOVD, Schildberger Theatergruppe, Turnverein MTV, Gesangsvereine, Schützenverein, Heimat- und Verkehrsverein, Freiwillige Feuerwehr und Ortsrat. Einige der Namen von Mitgliedern und Vorständen, Aktiven und Geehrten tauchen in mehreren Gruppierungen gleichzeitig auf. Das lässt auf lebendige menschliche Netzwerke schließen. In diesem Dorf haben die sozialen Netzwerke des WorldWideWeb mit ihren „digital communities" vermutlich eine eher untergeordnete Bedeutung. Hier scheint man sich wöchentlich noch von Angesicht zu Angesicht Aug in Aug zu begegnen.
Die früheren persönlichen dörflichen Treffpunkte sind jedoch offensichtlich gegen Null geschrumpft, denn fast alle Läden des täglichen Bedarfs sind verschwunden. Und damit auch die Orte spontaner Begegnungen. 1965, als P.s Familie von Seesen nach Bornhausen in das eigene Haus zog, gab es einen Fleischer, zwei Bäcker, vier Lebensmittelläden, einen Kurzwarenladen, später eine Versandhausniederlassung in einem der Bäckerläden und drei Gaststätten. Noch in den 80er Jahren setzten unsere noch nicht schulpflichtigen Söhne an einer der Ladentheken im Dorf die Münzzuwendungen von Oma heimlich in ‚verbotene‘ Leckereien um. Wie wir erst viele Jahre später erfuhren. Heute wäre das mangels Möglichkeiten nicht mehr machbar. Jedenfalls nicht an altem Ort.
Versorgungsstationen
Unter einem Regendach zwischen dem Flüßchen Schildau und der ‚Domäne‘ ersetzt heute eine öffentliche Lebensmittelversorgungsstation auf ca. zwei Quadratmetern die früheren Einkaufsmöglichkeiten nur spärlich: Ein Kühlschrank gefüllt mit Zehnerpacks Eiern, vom Bauern irgendwo aus der Nachbarschaft, ein Kühlschrank mit Honiggläsern, befüllt vom Seesener Imker, und eine Kiste mit abgepackten Kartoffeln, auch aus der Gegend. Daneben kleine, festmontierte Kassen, in denen der geneigte Kunde den ausgepreisten Obulus abgezählt hinterlassen möge. Sehr praktisch. Wir nehmen ein Zehnerpack Eier und ein Glas Honig mit auf die Reise zurück nach Hannover. Und hinterlassen den geforderten Betrag.
Eine letzte Gaststätte, der Kammerkrug, scheint noch in Nutzung zu sein, ausgewiesene Öffnungszeiten oder eine Speisen- und Getränkekarte finde ich nicht, allerdings einen Auftritt bei „Facebook". Dann gibt es einen Kiosk incl. Getränkehandel dort, wo früher in einer Tischlerei gewerkelt wurde. Der hat nur stundenweise geöffnet. Für die Dorfgesundheit bietet eine Heilpraktikerin ihre Dienste an. Für einen Arztbesuch müsste man nach Seesen fahren. Dorthin konnte man bis 1989 auch den schienengebundenen Nahverkehr der Bahn nutzen. Die Verbindung vom Bornhäuser Bahnhof existiert schon lange nicht mehr, die Schienen der Strecke Derneburg - Seesen sind teilweise abgebaut. Auf einem Abschnitt verläuft mittlerweile ein touristischer Radweg. Würde man den Europaradweg R1 von Boulognesur-Mer bis St. Petersburg fahren – irgendwann führe man auch durch Bornhausen über die Schildau. So hat die große Weltpolitik nach der deutschen Einheit auch in Bornhausen sichtbaren Einzug gehalten.
Im Gebäude der ehemaligen Schule – jetzt Teil des Dorfgemeinschaftshauses – ist seit 1986 ein Kindergarten in Trägerschaft des ‚Kindergarten Selbsthilfeverein Bornhausen‘ beheimatet. Die lärmenden Dorfjüngsten sind nicht zu überhören. Die Kirche samt Pfarrhaus hat man natürlich im Dorf gelassen, auch wenn der Pfarrer seit einiger Zeit auch die Schäfchen in den benachbarten Dörfern Mechtshausen und Bilderlahe mitversorgen muß. In Sichtweite runden eine Tankstelle mit EC-Karten-Zahlung, wo früher die Bauern ihren steuerbefreiten Raiffeisen-Diesel zapfen konnten, und ein Geldautomat das Bornhäuser Dienstleistungsangebot ab. So sieht die Infrastruktur eines gewachsenen Dorfes von heute aus.
Damals
Natürlich schauen wir auch an P.s Elternhaus vorbei. Das ist so ein einfaches freistehendes Einfamilienhaus, wie es in vielen Dörfern zu finden ist. Nach dem Krieg wurde es im Einheitsbaustil der Niedersächsischen Siedlungsbaugesellschaft mit preiswerten Krediten gefördert: Satteldach, Keller, Untergeschoss, Obergeschoss, Dachboden, überdachter Hauseingang, kleiner Multifunktionsstall, großer Garten. In den Genuss der Baumittel kamen Menschen aus den ehemaligen deutschen Ostgebieten. Voraussetzung war allerdings, dass sie dort einen Bauernhof besessen hatten. So wurden im ländlichen Raum ganze Neubaugebiete als Nebenerwerbssiedlungen zur Selbstversorgung erschlossen. Flüchtlingspolitik der fünfziger Jahre.
Wir stehen vor dem Gartenzaun und sehen, dass die früheren Nutzflächen eines großen Obst- und Gemüsegartens pflegeleichtem Rasen gewichen sind. Vor dem Haus stehen diese modernen, in Form geschnittenen Buchsbäumchen auf hellem sauberen, unwirklich weiß wirkendem Kies, warum auch immer. Die große Tanne ist abgeholzt. Auf mich wirkte früher alles viel gemütlicher. Bei der Gemütlichkeit war auch Schnaps mit im Spiel. Der Schnaps – immer ein Klarer – den ich mit dem Schwiegervater nach einigen Runden Schafskopf trank oder wenn er mir seine Sorgen über die linken Ideen seiner Tochter, die auch meine waren, anvertraute. Seine Familie gehörte zu denen, die vor den Russen – den Kommunisten – hierher ins Harzvorland geflohen waren. Unsere vermutete politische Weltsicht weckte unangenehme Erinnerungen und alte Ängste in ihm.
Den letzten Schnaps, den ich in Bornhausen trank, nahm ich mit St., meinem Schwippschwager aus dem tiefsten Bayern, und dem Onkel O. meiner Frau aus dem nahen Vienenburg im Kammerkrug zu mir. Wir hatten uns dort im Saal mit Freunden und Verwandten zur siebzigsten Geburtstagsfeier meiner Schwiegermutter zusammengefunden. Onkel O. hatte uns an der Theke eine Runde Kümmel bestellt, den es nur hier gab. Eine regionale Spezialität. Sie mundete uns dreien so gut, dass die Flasche am Abend wohl geleert wurde. Als meine Frau uns nachts mit unseren kleinen Kindern in unserer „Ente" in strömendem Regen auf der Autobahn zurück nach Hannover fuhren – sie saß natürlich nüchtern am Steuer! -, stank es von meinem Atem im Auto wie in einer Kneipe. Wie das Schicksal es wollte, hielt uns die Polizei an. Sie machte uns auf ein defektes Rücklicht aufmerksam und komplimentierte uns zur nächsten Tankstelle abseits der Autobahn. Zu Alkoholgenuss befragten sie uns nicht. Obwohl mein Atem doch ein hohes Maß an Trunkenheit verströmt haben musste.
Das Grab des Zeichners
Bevor wir heute weiter zu Fuß in das Nachbardorf Mechtshausen gehen, möchten wir uns noch im dörflichen Postmuseum des Herrn Puhst umschauen. Doch im Museum dieses alteingesessenen Dorfbewohners und ehemaligem Postangestellten, dessen Vorfahren erst Post, dann Pust hießen, finden wir leider keinen Einlass. So entgeht uns der Anblick von Briefen, Briefmarken, Uniformen, Telefonen und vielem mehr aus vergangenen staatlichen Bundespostzeiten. Die Ehefrau des Postmuseumleiters, die auch das vorher von uns besuchte Elterngrab im Auftrag der Familie pflegt, teilt uns an der Wohnungstür mit, dass sie mit ihrem Mann zu einer Beerdigung auf den Friedhof müsse und es daher leider keine Öffnungszeit und Museumsführung für uns geben könne.
Der November ist in unserem Kulturkreis der Totenmonat. So passt auch unser nächstes Ziel in Mechtshausen. Dorthin gelangen wir von Bornhausen aus per pedes über eine Landstraße, begleitet von herbstlich entlaubten Apfelbäumen. Einige der letzten Früchte sind erst frisch in den Grünstreifen gefallen und werden als Wegzehrung eingesteckt. Dann erreichen wir, auf einem Weg durch Felder wandernd, einen Friedhof. Von hier, am Dorfrand erhaben gelegen, geht der Blick über das sanft gewellte und hügelige Harzer Vorland hinweg. Das Grab von Wilhelm Busch steht gepflegt, aber etwas schmucklos da, umrankt von Efeu, flankiert von immergrünen Büschen. Attraktiver erscheint das benachbarte Seemannsgrab
, ein steinerner Baumstumpf, ohne Pflanzenschmuck blank auf dem Rasengrund stehend. Der ist umschlungen von einem steinernen Tampen, endend am steinernen Anker. Die steinerne Inschrift ist leider nicht mehr lesbar. So bleibt uns der Ursprung dieser maritimen Gedenkstätte weit ab vom nächsten befahrbaren Meer verborgen.
Die Originale der im Dorf aufgestellten Skulptur von Max und Moritz vor der Kirche sind dafür weltbekannt. Die gußeisernen Comicfiguren weisen uns den Weg zum letzten Wohnhaus des berühmten Mechtshäuser Bürgers. Das Hinweisschild dort ist geschmückt mit dem bekanntesten Selbstportrait des Künstlers aus dem Jahr 1894. Allerdings hat das Haus am heutigen Tag geschlossen. So kehren wir um und gehen auf dem Wilhelm-Busch-Ring Richtung Bushaltestelle.
Mechtshausen ist nicht gerade der Ort, in den ich mich hineinträumen würde. Baumarktangebote und Bausparkassen-Kundenzeitungen haben hier sichtbar Spuren hinterlassen. Neben stolzen alten Gebäuden ist vorgefertigte Stangenware auf den Baugrundstücken gewachsen. Der örtliche Bierkrug steht offen. Wir spazieren durch den Schankraum, durch den Saal, klopfen, rufen in die Küche hinein, die Stiege zum Wohnraum hinauf. Keine Antwort, alle Räume sind menschenleer. Durstig ziehen wir von dannen und warten an der Haltestelle noch eine Stunde lang auf den Bus nach Seesen. Dieser wird im Auftrag der Deutschen Bahn von einem Fahrer gesteuert, der unser Niedersachsenticket akzeptiert. Nach einer Stärkung in der Seesener Fußgängerzone bringen uns am frühen Abend Regionalbahnen über Kreiensen nach Hannover zurück.
Schlagzeilen aus Hannover, Deutschland und der Welt:
Meinem Verein Hannover 96 gelingt in der 2.Liga mit Mühe ein Pflichtsieg gegen Erzgebirge Aue, eine Rollstuhlfahrerin stürzt von der Rampe eines Regio-Busses (Region Hannover) und das neue Pflaster am Kröpcke (Platz in der City Hannovers) bröckelt. Rot-Grün in Niedersachsen fordert Türkisch und Arabisch als Schulfach. Der VW-Chef beklagt sich über die Inkonsequenz der Deutschen bei der E-Mobilität. Im syrischen Aleppo hat der Krieg alle Kliniken zerstört.
traumbild
ich bin unterwegs auf einer straße sie ist sehr befahren mittig laufen schienen beides scharf erkennbar was daneben sei erscheint verschwommen die straße als ob sie bekannt sei aus meiner stadt und ich sei ein fremder in ihr mir ist als wolle ich in eine straßenbahn einsteigen dort an einem hochbahnsteig der sieht so aus wie eine einfache haltestelle dann auch gleichzeitig wieder wie ein bahnhof mit vielen bahnsteigen ich suche nach einem fahrplan finde keinen