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Doch meistens kommt es anders
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eBook131 Seiten1 Stunde

Doch meistens kommt es anders

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Über dieses E-Book

Kurzgeschichten zum zweimal Lesen.
Von skurril bis esoterisch, immer knapp neben dem, was man erwartet. Teils ernst, teils verschmitzt. Verblüffende Perspektiven.
Kurze Reisen ins Erstaunen. Auflösungen, die man so nicht möchte - oder gerade doch.
SpracheDeutsch
Herausgebertredition
Erscheinungsdatum2. Nov. 2020
ISBN9783347128583
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    Buchvorschau

    Doch meistens kommt es anders - Erwin Böning

    1. Maya

    Ich hatte einen schlechten Lauf. Eigentlich schon seit Jahren. Dabei fing es eigentlich gar nicht so schlecht an.

    Im ersten Leben bin ich Gitarrist. Früher habe ich geübt wie ein Besessener. Auf jeden Fall jeden Tag; manchmal zwei Stunden oder noch länger.

    Ich glaube, ich war auch richtig gut. Mein einziger Traum war es, Gitarrist in einer Top-Band zu werden. Einer Band, die jeder kennt – überall auf der Welt. In meinen Wachträumen stehe ich vorne auf der Bühne eines Fußballstadions, dass bis auf den letzten Platz ausverkauft ist und spiele ein Gitarrensolo. Die anderen Bandmitglieder begleiten mich leise – minutenlang.

    Wegen der Scheinwerfer kann ich nur die ersten drei Reihen erkennen: Alle Fans sind wie erstarrt und sehen mit großen Augen und offenem Mund zu mir herauf. Dann brüllender Zwischenapplaus, die Band nickt mir anerkennend zu ……

    Irgendwann wurde der Traum immer seltener und verlor an Farbe und Strahlkraft. Zum Einstieg brauchte ich dann ein paar Bier, später auch einen Schnaps. Nach einer Weile kam der Traum dann auch trotz mehrerer Schnäpse und mehrerer Biere nicht mehr.

    Ich habe strikt weiter geübt und mich bei vielen Künstleragenturen in ganz Deutschland beworben. Eine hat mich sogar zum Vorspielen nach Hannover eingeladen. Sie zeigten sich dort von meinem Können auch durchaus angetan. Sie haben meine Daten erfasst und es hieß: „Da wird sich gewiss etwas machen lassen".

    Leider habe ich nie wieder etwas von ihnen gehört – bis letztes Jahr.

    Da ich von der Musik nicht leben konnte, bin ich irgendwann mit einfachen Lagerarbeiten angefangen. Später bekam ich einen richtigen Arbeitsvertrag: Regale einräumen in einem Baumarkt. Knochenarbeit und schlecht bezahlt. In der ersten Zeit habe ich noch ganz besonders auf meine Hände geachtet. Nur keinen Finger einklemmen oder schlimmer verletzen, denn der Traum, berühmter Gitarrist zu werden, lebte weiter. Zunächst.

    Abends war ich häufig zu müde und kaputt, um noch zu üben. Der Traum schlich sich langsam aus meinem Leben – die Biere und Schnäpse blieben.

    Ganz allmählich sackte ich immer weiter ab. Das Geld reichte vorne und hinten nicht. Mittags gab es Kantinenfraß und am Wochenende Junk-Food: Pizza, Döner, Hamburger, Fischstäbchen, Bratwurst.

    Die Wohnung verlotterte zusehends – und ich wohl auch. Kleidung wurde mir egal, es interessierte sich ja ohnehin keiner für mich. Die Frauen machten einen weiten Bogen um mich und bei den Männern reichte es bestenfalls einmal zum „Saufkumpel".

    Ich war alleine und lebte ein sinnleeres Leben, als mich der Anruf der Agentur aus Hannover erreichte. Ob ich noch spiele, wollte man wissen, frei sei und überhaupt noch Interesse habe? Ich bejahte alles und wollte natürlich sofort wissen, worum es denn ginge. Das könne man mir am Telefon leider nicht sagen, ich möchte doch bitte am übernächsten Tag nach Hannover kommen, dann würde man mir alles zeigen und erklären. Alles Insistieren half nichts; mehr Klarheit war nicht zu bekommen.

    Also trank ich am nächsten Abend etwas weniger, duschte mich am folgenden Morgen ausgiebig, rasierte mich mal wieder und kramte die vermeintlich besten Klamotten aus dem Schrank. Im Dienst meldete ich mich mit krächzender Stimme krank. Das letzte Geld des Monats ging für die Fahrkarte drauf, Auto und Führerschein hatte ich schon lange nicht mehr.

    Ich kam pünktlich in der Künstleragentur an, musste aber trotzdem noch eine Viertelstunde warten. Dann brachte mich die ausnehmend hübsche Empfangsdame zu „meinem" Agenten. Ein gegelter, schmieriger Typ in einem schlechtsitzenden Anzug. Sein Rasierwasser gehörte nicht zu den hochpreisigen – dafür hatte er reichlich davon aufgelegt.

    Ich durfte ihm gegenüber Platz nehmen, er blickte mich eine Weile stumm an, um dann zu sagen: „Sie Glückspilz, Sie ausgesprochener Glückspilz".

    Die Sache war die, dass die weltbekannte Rockband „The Frozen Androids", von der ich noch nie etwas gehört hatte, eine Südostasien-Tournee plante.

    Mein Agent: „Alles ist organisiert, alle Termine stehen, alle Hotels sind gebucht. Und was passiert? Zwei Bandmitglieder fallen wegen einer Salmonellen-Infektion für längere Zeit aus. Die Tour muss aber auf jeden Fall stattfinden, sonst sind die Jungs pleite".

    Ich wäre auf Grund meines Spiel-Stils, meines Alters und auch meines Aussehens prädestiniert, kurzfristig einzuspringen. Eine fantastische Chance auf eine Mords-Karriere, das Sprungbrett auf die großen Bühnen dieser Welt. Wenn nicht jetzt, wann dann?

    Das Ganze ehrte mich natürlich sehr und meine alten Träume begannen wieder vor mir aufzutauchen. Im Stillen und in aller Ehrlichkeit war mir natürlich klar, dass man vermutlich auch keine so große Auswahl an Künstlern für diesen speziellen Zweck hatte finden können. Wer kann sich schon so kurzfristig – es sollte in der kommenden Woche losgehen – von allen beruflichen und sozialen Verpflichtungen frei machen? Wer richtig gut ist, hat sicherlich einen Job, den er nicht einfach so für ein halbes Jahr Ostasien aufgibt. Auch die Bedingungen waren bei ehrlicher Betrachtung eher irdisch: Alle Flug- und Reisekosten würden übernommen, Übernachtungen in Mittelklassehotels, Verpflegung und achtzig Euro Taschengeld pro Tag.

    Für die sechs Monate waren vierundachtzig Konzerte in acht Ländern vorgesehen. 3.800 km Distanz zwischen den äußeren Spielorten. Das klang nach einer harten Zeit.

    Ich sagte trotzdem zu. Nicht nur, weil mich die Aufgabe reizte, sondern auch, weil ich so endlich den Schritt tun konnte, den menschenverachtenden Lager-Job zu kündigen. Heimlich hoffte ich auch, im Stress des Veranstaltungs-Zirkus mein Alkohol-Problem loszuwerden. Man sagt ja immer, es geht nur, wenn man in ein völlig anderes Setting kommt. Und das wäre ja hier der Fall: Andere Menschen, andere Länder und ganz andere Aufgaben.

    Einerseits freute ich mich auf das Abenteuer, andererseits hatte ich auch einen gehörigen Respekt davor.

    Wir trafen uns knapp eine Woche später in Frankfurt auf dem Flughafen. Die Band bestand aus acht Mitgliedern, von denen die zwei erkrankten fehlten. Hinzu kam eine Handvoll Techniker, Übersetzer und Organisatoren. Man kannte sich seit vielen Jahren, entsprechend gelöst war der Umgang.

    Ich ersetzte den Lead-Gitarristen. Die Tunes waren einfach, das meiste waren Cover-Versionen von Songs, die ich ohnehin im Repertoire hatte, der Rest ließ sich intuitiv lösen.

    Der gleichfalls erkrankte Bass wurde durch eine junge Frau ersetzt. Eine dunkelhäutige Amerikanerin mit Namen Maya. Sie strahlte eine unbändige Herzlichkeit und Fröhlichkeit aus und war von Anfang an jedem sympathisch. Wenn sie einen mit ihren weißen Zähnen anlachte und ihre Augen dabei aus dem dunkelbraunen Gesicht strahlten, ging einem regelmäßig das Herz auf.

    Besonders bemerkenswert waren auch ihre mindestens hundert Rastazöpfe, die in alle Richtungen vom Kopf abstanden. Jeder einzelne nur zehn bis fünfzehn Zentimeter lang, aber am Ende mit einer bunten Abschluss-Perle versehen.

    Der Flug dauerte elfeinhalb Stunden

    Das erste Konzert fand schon am darauffolgenden Abend in einer asiatischen Millionenstadt statt, von der ich vorher noch nicht einmal den Namen gehört hatte.

    Alles verlief planmäßig. Mittelgroßer Saal, gut zur Hälfte gefüllt, artiger Applaus, zwei bis drei Zugaben, fertig.

    Und so sollte es in den nächsten Wochen und Monaten bleiben: Flug oder Bahnfahrt zum nächsten Auftrittsort, Einchecken im Hotel, Soundcheck, Auftritt, Feierabend, kurze Nacht und dann weiter zum nächsten Auftritt. Schon nach kurzer Zeit wussten wir nicht mehr, in welchem Land, geschweige denn in welcher Stadt wir uns befanden. Manchmal sahen die Schriftzeichen an den Hotels anders aus als an denen vom Vortag, so dass ich annahm, dass wir wohl in einem anderen Land angekommen waren.

    Das mit dem Alkohol hatte ich tatsächlich im Griff und das lag ausschließlich an Maya.

    Die Band und das gesamte Team waren nett, blieben aber unter sich. Maya und ich waren und blieben Fremdkörper. Nach den Konzerten klatschte man sich ab, verabredete sich für den Folgetag und ging seiner Wege. Die Band tauchte regelmäßig in das lokale Nachleben ein, Maya und mich ließ man auf der Bühne stehen und wir hatten Zeit zur freien Verfügung: In Ländern, deren Sprache wir nicht kannten, deren Schrift wir nicht lesen konnten und deren Sitten und Gebräuche uns fremd waren.

    Ich ging regelmäßig auf mein Hotelzimmer und freute mich, wenn die Klimaanlage funktionierte, was nicht immer der Fall war. Bei den gebuchten Mittelklassehotels lag die Betonung eindeutig auf „mittel und nicht auf „klasse. Bei ehrlicher Betrachtung waren die meisten Häuser Bruchbuden. Aber da wir fast nie länger als eine Nacht blieben, lohnte es sich nicht, sich über irgend etwas zu beschweren oder unnütz aufzuregen.

    Was das Erhellendste überhaupt war und mich bei Stimmung hielt, war der Blick auf Maya bei den Konzerten. Sie stand halbrechts vor

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