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Tote Friesen rächen sich: Friesenkrimi
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Tote Friesen rächen sich: Friesenkrimi
eBook322 Seiten11 Stunden

Tote Friesen rächen sich: Friesenkrimi

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Über dieses E-Book

Friesische Gelassenheit? Regina Langstetten reichts. Die Alkoholkrankheit ihres Mannes hat ihr Leben zerstört und die Chance auf eine glänzende Zukunft zunichte gemacht. In ihr wächst die Wut und mit der Wut steigt der Durst nach Rache in ihr auf. Rache für eine zerstörte Zukunft, für schlaflose Nächte, Zukunftsängste und peinliche Situationen. Ein gerissener Plan reift in ihr, der ihren Mann für Jahre ins Gefängnis bringen soll.

Werden Hauptkommissar Reno Tierhagen, Oberkommissarin Wiebke Dunkler und Kommissarin Jennifer Weichenbaum diesen schwierigen Fall lösen?
SpracheDeutsch
HerausgeberRuhrkrimi-Verlag
Erscheinungsdatum5. Sept. 2022
ISBN9783947848614
Tote Friesen rächen sich: Friesenkrimi
Autor

Stefan Wittenfeld

Stefan Wittenfeld ist ein echtes Nordlicht. Geboren und aufgewachsen in Wilhelmshaven zog es ihn studienbedingt zunächst an die Uni Paderborn, wo er Wirtschaftswissenschaften studierte, um dann in an die FH des Bundes nach Köln und Brühl zu wechseln. Nach dem Studium ging es dann direkt wieder zurück an die friesische Küste, wo er als Referatsleiter in einer Art Berufsgenossenschaft tätig ist. Umgeben von drei Laufenten, zwei Katzen und einer Hündin wohnt er heute in einem gemütlichen Haus auf dem Lande. Neben dem Schreiben echter Friesenkrimis gehört seine Leidenschaft der spielerischen Drogen- und Sprengstoffsuche mit Labradorhündin Phryne. Sein schriftstellerisches Hobby begann er 2014 als Herausgeber des Buches "Leben mit Hunden, gewusst wie". 2018 wechselte er dann ins blutigere Genre und schrieb mit "Tote Friesen singen nicht" seinen ersten Kriminalroman. Das zweite Buch um Hauptkommissar Reno Tierhagen und Wiebke Dunkler trägt den Titel "Tote Friesen rächen sich" und ist im im Ruhrkrimi-Verlag erschienen.

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    Buchvorschau

    Tote Friesen rächen sich - Stefan Wittenfeld

    Kapitel 1 -

    Der friesische Knackarsch – Mai 2020

    Von den kleinen Flammen, die unterhalb der Motorhaube züngelten, merkten Sybille und Wiebke nichts, was vermutlich daran lag, dass das Cabrioverdeck ihres britischen Luxussportwagens offen war. Ohnehin war Sybille abgelenkt, als sie ihren Jaguar F-Type mal wieder weitaus zu schnell durch die Straßen der friesischen Kleinstadt Jever lenkte. Es war sonnig, warm und sie hatte beste Laune. Viel zu lange war es schon her, dass sie und ihre Frau Wiebke einen gemeinsamen Nachmittag verbracht hatten.

    Sybilles lange dunkle Haare hatte sie unter einem Cappy versteckt, damit es durch den Fahrtwind des Cabriolets nicht zu sehr verwirbelt wurde. Natürlich hatte die schicke Kopfbedeckung die gleiche Farbe wie der Speziallack ihres Jaguars. Britisch Racing-Green, eine Traditionsfarbe in der englischen Rennsportgeschichte. Dabei hatte Sybille für Rennsport gar nichts übrig. Aber das Auto gefiel ihr. Sie hatte ein großes Faible für Cabriolets der Marke Jaguar entwickelt. Und natürlich passten auch Kleid, Schuhe, Handtasche, Sonnenbrille und Fingernägel perfekt zueinander. Man kann darüber streiten, ob der Stil ihres Outfits zum Auto passte, aber das war ihr egal.

    Spätestens wenn sie den Sportwagen verlassen hatte, war jedem Passanten klar, dass sie sich stilvoll zu kleiden und zu bewegen wusste. Und die Passanten bemerkten sie alle, denn Sybille fiel immer auf. Durch ihre Kleidung, durch ihre Bewegungen, besonders aber durch ihre Art zu Reden und die Weise, wie sie sich in Szene zu setzen wusste. Sybille war eher schlank, verfügte jedoch über offensichtliche weibliche Rundungen, die sie sehr attraktiv erscheinen ließen. Und das lag nicht nur an ihren großen, wohlgeformten Brüsten, sondern auch an den kleinen Speckpölsterchen, die sich sanft und lieblich um ihren Körper schmiegten. Sybille war ein Rasseweib. Das dachte sie jedenfalls von sich selbst.

    Ihre neuste Spielerei waren farbige Kontaktlinsen, die sie selbstverständlich immer passend zu ihrem Kleidungsstil aussuchte. Heute waren ihre Augen katzengrün. Dazu trug sie lange, ferrarirote Fingernägel und einen ebenso knallig-roten Lippenstift. All das wurde verfeinert vom Duft ihres Lieblingsparfums der Marke Kenzo. Sybille war der Hammer.

    Um ihre Selbstverliebtheit nicht noch zu unterstützen, vermied es ihre Frau Wiebke, ihr das zu häufig zu bestätigen, und zog sie stattdessen gerne mal mit ihrer Eitelkeit auf. Insgeheim jedoch fand sie Sybille genau so sexy, wie diese sich selbst wahrnahm. Sie betonte ihr Selbstwertgefühl jeweils so stark, dass man es ihr einfach nicht verübeln konnte, sondern eher anfing zu schmunzeln.

    Wiebke war ein völlig anderer Typ, aber nicht weniger sexy. Die Oberkommissarin der Polizeiinspektion Wilhelmshaven-Friesland war nicht so pompös auf Luxus gestylt wie Sybille, sondern bevorzugte eher einen sportlichen Stil, der auch viel besser zu ihr passte. Sie trug am liebsten Skinny Jeans, schicke T-Shirts und dazu oft Sneakers in trendigen Farben.

    Wiebke war auch eher der seriöse, bodenständige Part in dieser Ehe, während Sybille ihre Seriosität auf die Tätigkeit in ihrer Oldenburger Anwaltskanzlei beschränkte. Privat war Sybille oftmals gewöhnungsbedürftig, geizte nie und nirgends mit ihren Reizen und sorgte mit ihrem manchmal ungezügelten Mundwerk einerseits für viele Lacher und andererseits für peinlich berührte Gesichter.

    Auch wenn dieses Paar auf den ersten Blick so gar nicht richtig zueinander passen wollte, ergänzten sie sich doch hervorragend. Die Intensität ihrer Liebe war ebenfalls für Außenstehende schön anzusehen. Eine Intensität, die ein Jahr nach ihrer Eheschließung keinen Millimeter nachgelassen hatte.

    Sybille donnerte die Auffahrt vor ihrem schicken Friesenhaus hinauf und trat dann voll auf die Bremse, so dass das Auto nur wenige Zentimeter vor der Hauswand zum Stehen kam. Wiebke verdrehte die Augen und sagte: »Wenn mich hier jemand sieht, wie ich als Polizeibeamtin auf dem Beifahrersitz einer Irren durch die Gegend brause. Man, man, man, das kann mich meine langjährig aufgebaute Reputation kosten«.

    Sybille sah sie schelmisch an. »So, so – es kann dich deine Reputation kosten. Aha. Ich habe jetzt ein bisschen Mitleid. Oder, warte … nee, habe ich nicht. Du bist ja mit der wundervollsten Frau Ostfrieslands verheiratet. Der beste Import, den du je nach Jever tätigen konntest. Außerdem kenne ich da eine gute Anwältin, die sicherlich gern für dich in die Bresche springt, falls dich jemand angehen sollte.«

    Erneut verdrehte Wiebke im Spaß die Augen, öffnete die Beifahrertür und schwang sich zeitgleich mit Sybille elegant aus dem niedrigen Sport-Cabriolet. Beim Aussteigen schaukelte der für Wiebke typisch gewordene Pferdeschwanz fröhlich hin und her.

    »Sportlich, sportlich Frau Oberkommissarin«, sagte Sybille grinsend, klapste ihrer Frau mit der flachen Hand leicht auf den Po und ergänzte dann: »Alte Schwedin, ich mag ja das feurige Blut der Anden in mir haben, aber dein friesischer Knackarsch ist echt durch nichts zu toppen«.

    »Das feurige Blut der Anden?«, wiederholte Wiebke und lachte dabei, ohne diese Aussage weiter zu kommentieren. Stattdessen ging sie wieder vor die Tür, um ein paar Einkäufe zu holen, die sie im Kofferraum vergessen hatte.

    Als sie am Fahrzeug stand, nahm sie den Geruch von verbranntem Kunststoff wahr, lief schnell zurück ins Haus und rief: »Du sag mal, irgendwas riecht da verschmollert an deinem Auto. Kann das sein?«

    »Was ist denn bitte schön verschmollert? Das Wort habe ich noch nie gehört«, antwortete Sybille.

    »Na ja, verkokelt eben. Angebrannt.«, sagte Wiebke und sah Sybille dabei mit leicht sorgenvoller Miene an. Doch die war völlig entspannt und versprach, mit dem Auto in den nächsten Tagen einmal zur Werkstatt zu fahren.

    »Der Jaguar ist aber `ne geile Kiste, oder Frau Oberkommissarin?«, fragte Sybille, griff ihrer Frau dabei erneut an den Hintern und ergänzte grinsend: »Genau wie diese Kiste. Meine Güte, ist Dein friesischer Knackarsch beeindruckend.«

    »Vorsicht Frau Rechtsanwältin«, antwortete Wiebke und schaute Sybille dabei mit gespielt-ernsthafter Miene an: »Das Betatschen weiblicher Polizei-Popos kann sie teuer zu stehen kommen. Auf Paragraf 184i des Strafgesetzbuches muss ich eine Anwältin wohl kaum hinweisen, oder?« Dann lachte Wiebke laut los und ergänzte: »Zu mindestens, wenn es nicht mein Polizei-Popo ist.«

    »Käme mir nie in den Sinn«, antwortete Sybille, »obwohl … lass mich nachdenken.«

    »Da will sich wohl jemand unbedingt Ärger einhandeln« erwiderte Wiebke und drohte mit der Faust. Anschließend brachen beide in schallendes Gelächter aus.

    Während Wiebke die Einkaufstaschen in die Küche brachte, drehte Sybille ihren Oberkörper seitlich nach hinten und drückte mit der linken Hand auf ihre eigene Pobacke. »Dein durchtrainierter Polizei-Po ist schon bewundernswert. Ich hingegen bin so müde, dass sogar mein ganzer Po wabbelt«.

    Wiebke lachte: »Ja, iss klar. Und wenn du ausgeschlafen bist, dann wabbelt dein Po nicht?«

    »Natürlich nicht«, antwortete Sybille und sah ihre Frau mit großen Augen an. »Wenn ich ausgeschlafen bin, habe ich da hinten einen richtig geilen, ostfriesischen Hinterschinken. Und zwar vom Allerfeinsten. Ich habe auch einen richtigen friesischen Knackarsch. So!«

    Wiebke prustete los vor Lachen, stellte sich so dicht vor Sybille, dass zwischen ihnen nur noch etwa ein Zentimeter Platz war. Dann nahm sie Sybilles Hände und führte diesen auf ihren Polizei-Po. »Jetzt fühl mal mein Schatz. Ich sag nur: dreimal pro Woche 10 km Laufen, dreimal pro Woche Kickboxtraining und zweimal pro Woche 80 km Rennradfahren.«

    »Ich kenne deinen Po!«, protestierte Sybille und fuhr dann fort: »Na gut, du hast gewonnen. Vor Gericht gewinne ich fast jeden Prozess. Hier zuhause gewinnt die Frau Oberkommissarin den Po-Contest.« Gerade wollte sie verspielt-spaßig schmollen, da zog Wiebke sie fest an sich und sagte: »Ich liebe dich, so wie du bist, mein Schatz.« Anschließend küsste sie ihre Frau lange und leidenschaftlich.

    Unterdessen hatten die Flammen unter der Motorhaube eine kleine Abdeckung weggebrannt und damit binnen einer Sekunde freien Zugang zu frischem Sauerstoff. Schlagartig breitete sich das Feuer über das gesamte Auto aus. Meterhoch schossen die Flammen jetzt aus allen Ritzen des Fahrzeugs und tiefschwarzer, öliger Qualm stieg auf, der sich unter anderem auf die Außenwand des schicken Friesenhauses legte.

    Im Haus selbst bekam vorerst niemand etwas von diesem Autobrand mit. Sybille scherzte ausgelassen weiter mit ihrer Wiebke herum. Sie schaltete die Musikanlage ein und begann erotisch zu tanzen. Wobei das insbesondere in Sybilles Selbstwahrnehmung außerordentlich sexy war. Insgesamt wirkte sie schon ein wenig feurig-südländisch, das würde ihr Wiebke aber aus Prinzip nie bestätigen.

    Mit ihren katzengrünen Augen verfolgte Sybille jede Regung von Wiebke. Als sie langsam außer Atem kam, unterbrach sie ihren Shakira-Tanz, wie sie es selbst nannte und sagte dann lachend: »Mein Körper hat weibliche Rundungen. Das liegt an meinem südamerikanischen Blut. Ich bin heiß wie Lava. Ich bin die Glut der Anden. Ich bin die Samba-Queen aus Kolumbien.« Dann erhöhte Sybille die Lautstärke, als wolle sie es in die Welt hinausrufen, damit es alle Menschen hören können:

    »Ich bin so heiß, von mir kann sogar das Feuer noch etwas lernen.«

    Erneut konnte sich Wiebke nicht mehr halten und lachte laut schallend los. »Hör mal, du Ersatz-Shakira. Soweit es polizeilich bekannt ist, kommst nicht nur du aus Wittmund, sondern auch deine Eltern und Urgroßeltern. Ich kenne deine Familie.«

    »Polizeilich bekannt? Hast du etwa meinen Namen vor unserer Hochzeit durch den Polizeicomputer laufen lassen?«, fragte Sybille.

    Wiebke antwortete: »Natürlich nicht. Aber da die zu Kanthausens Anwälte in dritter Generation sind und von der Familie Dunkler, solange ich zurückdenken kann, schon immer jemand bei der Polizei war, haben sich die Wege unserer Familien hier und da schonmal gekreuzt.«

    »Ach du spinnst doch. Du lügst mich an.«, antwortete Sybille, war sich aber nicht ganz sicher, ob Wiebke sie tatsächlich wieder mal auf den Arm nahm oder ob die Aussage stimmen könnte.

    »Apropos Polizei. Ich möchte vor dem Abendbrot unbedingt noch 10 km laufen.« Sie schaute Sybille an und ergänzte dann grinsend: »Damit ich meinen friesischen Knackarsch behalte und meine Wittmunder Feuerfrau mich immer schön attraktiv findet«.

    »Feuerfrau? Was bitte ist eine Feuerfrau? Ich habe dich ertappt. Du meinst also doch mein argentinisches Temperament«.

    »Argentinisch? Ich dachte, du bist eine feurige Kolumbianerin?«

    »Egal«, sagte Sybille, »südamerikanisch halt«.

    »Hmm«, antwortete Wiebke und murmelte grinsend-leise vor sich hin »südlicher als Süd-Wittmund wird es nicht«.

    »Das habe ich gehöööööört!«, antwortete die Oldenburger Rechtsanwältin mit gespieltem Schmollen.

    »Bereitest du uns schon mal das Abendessen vor? Und schick Reno eine Nachricht, ob er Lust hätte, später mit uns zu essen? Sofern du nichts dagegen hast? Aber denk dran, dass Reno Vegetarier ist.«

    »Ich? Dagegen? Reno? Niemals! Wenn ich nicht lesbisch wäre, wäre er kein Single mehr. So viel ist sicher. Und von meinem Fleisch würde ich ihn gern überzeugen wollen.«

    Wiebke verdrehte lachend die Augen und begann unter den begierigen Blicken von Sybille mit ihren Dehnübungen.

    »Das sieht ziemlich sexy aus Frau Oberkommissarin. Ich wüsste noch einen anderen Sport, der Spaß macht«, sagte Sybille und schaute Wiebke dabei auffordernd an. Doch ihre Partnerin lachte nur und schüttelte den Kopf.

    »Reno habe ich geschrieben, das Essen für später bereite ich vor, gehe jetzt aber erstmal fix duschen«, sagte Sybille, verschwand im Bad und zog sich aus.

    Kapitel 2 - Der feurige Sportwagen

    Mit dem Öffnen der Haustür drang Wiebke plötzlich massiver Brandgeruch in die Nase. Ihr wurde schlagartig klar, was sie unterschwellig schon seit ein paar Sekunden wahrgenommen hatte, aber nicht bewusst zuordnen konnte: Feuer! Irgendetwas brannte hier. Wiebke trat vor das Haus und sah, wie meterhohe Flammen aus Sybilles teurem Jaguar F-Type schlugen.

    Da Wiebke kein Handy dabeihatte, rief sie ins Haus hinein und teilte Sybille mit, dass sie die Feuerwehr rufen und das Haus verlassen solle, weil ihr Auto brennen würde.

    Nachdem Sybille dies mit einem lauten »Huch, ach du Schande!«, kommentiert hatte, war Wiebke klar, dass Sybille sie gehört hatte. Nur eine Sekunde später lief Wiebke zur Garage und suchte dort nach dem Feuerlöscher, den sie hinter einigen Kisten und Gartengeräten in der Ecke stehend fand.

    Da Sybille schon angefangen hatte, sich zu entkleiden, rannte sie nun, nur mit einem Slip bekleidet erst quer durchs Haus ins Wohnzimmer, um das Telefon vom Wohnzimmertisch zu holen und anschließend in Richtung Ausgang. Von draußen sah Wiebke durch die geöffnete Tür wie Sybille, fast nackt, auf die Ausgangstür zu gerannt kam. Sybilles riesiges Oberkörper-Tattoo stellte eine Justitia dar, auf deren Waagschalen ihre Brüste lagen.

    Beim Rennen in Richtung Tür wippten ihre großen Brüste so stark auf und ab, dass es aussah, als würden die Waagschalen sich nicht entscheiden können, welche von Ihnen die Überhand hatte. Durch die Bewegung des gesamten Oberkörpers sah es kurzzeitig so aus, als würde die Göttin der Gerechtigkeit zum Leben erwachen. Wiebke musste herzhaft lachten und stellte sich ihr in den Weg.

    »Nun übertreib mal nicht«, sagte Wiebke, als sie Sybille an der Ausgangstür abfing, »Dein Auto brennt und nicht das ganze Haus. Ruf erst einmal die 112 und dann ziehst du dir bitte ganz schnell etwas über und kommst sicherheitshalber vor die Tür. Justitia muss nun wirklich nicht jeder sehen. Und bitte, ohne zu rennen. Ruhiges und kontrolliertes Handeln ist das oberste Gebot bei Bränden.«

    Sybille fügte sich, rief die Jeveraner Feuerwehr an, erklärte ihnen am Telefon, dass ihr Auto in Flammen stünde, dass niemand drinsäße und wo sie wohnt. Fast zeitgleich lief sie ins Bad und griff nach den erstbesten Kleidungsstücken, die sie aus dem Korb mit der Schmutzwäsche zu fassen bekam. Leider erwischte sie dabei eine Jogginghose von Wiebke und ein Shirt, welches sich Sybille im Internet bestellt hatte. Dieses gab es nicht mehr in ihrer Größe, sondern nur noch eine Nummer kleiner. Weil sie den darauf stehenden Spruch aber so lustig fand, hatte sie es sich trotzdem bestellt und wollte einfach testen, ob es passen würde. Sybille zog beides schnell an und rannte, entgegen Wiebkes Anweisungen, wie eine Irre in Richtung Haustür.

    Wiebke war gerade dabei den Flammen mit dem Feuerlöscher ein wenig Einhalt zu gebieten und ein Übergreifen auf das Haus zu verhindern. Auf der anderen Straßenseite hatten sich ein paar Nachbarn eingefunden. Einige von ihnen standen nur da und schauten zu. Andere waren mit ihren eigenen Feuerlöschern herbeigeeilt und unterstützten beim Löschen des brennenden Fahrzeugs. Durch so viel Unterstützung war das Feuer recht schnell unter Kontrolle gebracht worden. Das Auto schien nur noch etwas vor sich hin zu schmollern, wie Wiebke sich ausdrückte. Die Feuerwehr war unterwegs und konnte gleich den Rest übernehmen.

    Mitten in all dem Trubel trat dann Sybille vor ihr Haus. Barfuß, mit wild durcheinandergewuschelten Haaren, verschmiertem Lippenstift, der Schlabber-Jogging-Hose von Wiebke und einem viel zu engen T-Shirt, auf dem in großen Glitzerbuchstaben »Big Tits Club« stand. Das T-Shirt war so klein, dass ihre großen Brüste es fast zu sprengen drohten. Kurzum: Sybille sah aus, als hätte sie die Hauptrolle in einer weiteren TV-Folge der Familie Flodder.

    Wenige Sekunden nachdem der Brand gelöscht war, hörte man die Sirenen der herannahenden Feuerwehr. Wiebke drehte sich um, sah Sybille und brach trotz der Situation um das soeben abgebrannte Auto, in schallendes Gelächter aus. »Davon brauche ich ein Foto«, sagte sie lachend und zeigte auf Sybille.

    Der ältere, höfliche Nachbar Edgar Kulpstett, mit dem beide Frauen ein gutes und humorvolles Nachbarschaftsverhältnis pflegten, hörte Wiebkes Fotowunsch und zog sein Handy aus der Tasche.

    Doch plötzlich hörte man eine schrille Stimme von der anderen Straßenseite herüberkreischen: »Das hättest du wohl gerne, Freundchen!« Als er sich umdrehte, sah er, wie seine Frau Trude über die Straße gelaufen kam, als würde ein wildgewordener Stier durch das Viertel toben. »Hier werden keine Fotos von großen Möpsen gemacht« schrie sie ihren Ehemann wie eine Furie an.

    Trude Kulpstett war in der gesamten Nachbarschaft für ihr Geläster und ihre Tratscherei bekannt. Sie wusste, dass man ihr den Spitznamen Meta Boldt gegeben hatte. Jener hinterlistigen Hausbewohnerin aus dem Ohnsorg-Theaterstück Tratsch im Treppenhaus, die die gesamte Nachbarschaft mit ihrer Tratscherei gegeneinander aufbrachte. Doch daran störte sich Trude Kulpstett nicht. Sie tratschte und lästerte fröhlich weiter, obgleich sie viele der Nachbarn schon mieden.

    Eines ihrer Lieblingsthemen waren Wiebke und Sybille, die ihr als lesbisches Paar immer genügend Gesprächsstoff boten. Gern erfand sie Geschichten über Sexpartys und Drogenkonsum, die ihrer Meinung nach vermutlich in dem schönen Friesenhaus am Bullhamm 20c in Jever regelmäßig stattfanden. In der Sammlung ihrer filmreifen Fantasiegeschichten fehlte eigentlich nur noch das Abhalten eines Satanskults. Auf Sybille und Wiebke hatte sie es aber nicht nur abgesehen, weil sie lesbisch waren, sondern vor allem, weil ihr Mann Edgar bestens mit den beiden auskam und ein fast schon freundschaftliches Verhältnis zu den jungen, attraktiven Frauen pflegte. Oft hielten sie ein kurzes Schwätzchen, wenn sie sich auf der Straße trafen. Und danach war es dann leider taktisch unklug, dass Edgar Kulpstett zuhause mit strahlendem Gesicht von den tollen Gesprächen mit seinen sympathischen Nachbarinnen berichtete. Es gefiel ihr einfach nicht, dass ihr Mann so viel Spaß mit diesen jungen, attraktiven Dingern hatte.

    Wild schimpfend und kopfschüttelnd, griff sie nach dem Ärmel der Jacke ihres Mannes und zog ihn daran vom Grundstück der beiden Nachbarinnen weg. Hörbar laut flüsterte sie ihm dabei zu: »Habe ich dir doch gesagt. Diese Lesben veranstalten da bestimmt Sex- und Drogenpartys. Schau dir die mal an. Unmöglich sowas. Wir können ja froh sein, dass hier nicht das ganze Viertel abbrennt. Und das T-Shirt. Nicht mal einen BH hat sie drunter. Du brauchst da gar nicht so hinstarren. Schämen sollten die sich. Und du auch, du geiler alter Bock.«

    Edgar reichte es. Er blieb stehen und bewegte sich keinen Millimeter weiter. So sehr sie auch zog und dabei zeterte. »Jetzt hör mir mal zu du garstiges Weib. Erstens sind das einfach nur Wiebke und Sybille, zwei total liebe Nachbarinnen. Zweitens ist Sybille nicht nackt, sondern trägt nur ein zugegebenermaßen etwas enges T-Shirt. Dass du daraus auf Sexpartys schließt, lässt nur darauf blicken, was DU in deinem Kopf hast. Ich weiß nicht, warum deren Auto gebrannt hat, aber das kann tausend verschiedene Gründe haben. Also fahr dich mal runter Trude«.

    Nun war es Sybille, die Mühe hatte, sich das Lachen zu verkneifen. Es spielten sich Szenen ab, wie in einem Theaterstück. Trude stapfte wütend davon, während Edgar sein Grinsen kaum verbergen konnte. »Ich glaube, ich gehe mal besser hinterher«, sagte er zu Wiebke, machte noch schnell ein Foto von Sybille, die dazu wie Marylin Monroe posierte, und folgte dann, leise in sich hineinkichernd, seiner Frau Trude, um sie nicht völlig zu verärgern.

    Zeitgleich mit einem gesamten Löschzug der Feuerwehr traf auch Hauptkommissar Reno Tierhagen am Bullhamm 20c ein. Wie so oft, hatte er seine Nichte, die Jungpolizistin Jennifer Weichenbaum dabei, die fest zum Freundeskreis gehörte. Schon aus dem Auto heraus erblickte Reno die gesamte Szene und nahm als Erstes wahr, dass es Wiebke und Sybille gut zu gehen schien. Schwungvoll wie es auch Wiebke immer tat, stieg er aus und joggte mit leichtem Gang zu seinen beiden Freundinnen. »Mann, ihr jagt mir ja einen Schrecken ein.« Er nahm zuerst Wiebke, dann Sybille in seine Arme.

    Anders als Reno verließ Jenny den Dienstwagen nur sehr langsam und schritt mit bedächtigen Bewegungen auf das schwarzverkohlte Autowrack zu.

    Inzwischen standen etliche Feuerwehrmänner und -frauen auf der Auffahrt und hielten Schläuche für den Fall bereit, dass die Flammen wieder auflodern würden. Man hörte den Brandmeister Kommandos rufen. Sicherheitshalber wurden Dach und Wand des Hauses mit einem Wasserstrahl gekühlt und feucht gehalten. Der Feuerwehrmann wandte sich an Wiebke und bat sie, die Haustür zu öffnen, damit einige seiner Leute im Dachgebälk kontrollieren könnten, ob dort die Gefahr eines Schmorbrandes vorhanden war. Nachdem sie das Haus kontrolliert hatten und alles in Ordnung zu sein schien, sprach er noch kurz mit Reno und Wiebke.

    »Hey ihr beiden, da habt ihr ja mächtig Glück gehabt. Es ist nur das Auto betroffen. Gleich kommt ein Kollege, der die Brandursache zu klären versucht und alles aufnimmt. Wir rücken schon mal wieder ab. Ihr kennt euch ja aus. Ruft ihr nachher mal durch, wegen des Protokolls?« Reno reichte dem Brandmeister die Hand. Über die jahrelange Zusammenarbeit zwischen Polizei, Feuerwehr und Rettungsdiensten kannte man sich in der Region Friesland untereinander recht gut und hatte auch schon so manches Bier gemeinsam geöffnet.

    »Und mit deiner Frau ist alles in Ordnung?«, fragte der Brandmeister an Wiebke gerichtet.

    Sie nickte nur und sagte: »Du kennst doch Sybille. Alles gut.«

    »Und die junge Dame?«, fragte der Feuerwehrmann und zeigte dabei auf Renos Auto, »umgefallen vor Schreck?«.

    Zuerst wusste Reno nicht so genau, wen er meinte. Wiebke, Sybille und Jenny standen schließlich alle vor dem Haus. Erst bei genauerem Hinsehen sah er es. Durch die Scheiben des Fahrzeugs konnte man eine Hundepfote sehen, die steil nach oben ragte. Nur eine Pfote, sonst war von ihr nichts zu sehen. Doch Reno kannte diese Schlafstellung seiner Hündin nur zu gut. Meistens lag sie auf ihrem Hundesofa auf dem Rücken, hatte eine Vorderpfote weit in die Luft gestreckt und die andere angewinkelt. Der Kopf hing dabei so weit herunter und ihre Lefzen berührten fast den Teppich des Fußbodens.

    Reno lachte: »So schläft sie immer. Meistens schnarcht sie dann auch noch so laut, dass sich die Balken biegen. Kein Witz, zuhause muss ich oft den Fernseher lauter stellen, weil ich sonst keinen Filmdialog mehr verstehen kann.«

    Wie aufs Stichwort fing Sleepy plötzlich so laut an zu schnarchen, dass man sie noch außerhalb des Autos hörte, obwohl der Lärm durch die vielen Menschen und laufende Motoren nicht ohne war. Der Brandmeister lachte laut, klopfte Reno kumpelhaft auf die Schulter und gab seinem Team das Signal zum Abrücken. Nachdem die spannendsten Szenen vorbei waren, liefen auch die Nachbarn wieder zurück in ihre Häuser.

    »Kaffee?«, fragte Sybille in die Stille, die plötzlich und unwirklich eingetreten war.

    »Einen großen Becher bitte«, antwortete Reno und ging hinter Wiebke und Sybille ins Haus hinein.

    Reno öffnete die hintere Glasschiebetür, um frische Luft hereinzulassen und so den vorhandenen Brandgeruch abziehen zu lassen. Dann nahm er im Wohnzimmer Platz. Er war schon so oft bei Wiebke und Sybille gewesen, dass er sich dort wie zuhause fühlte. Mit seiner Körperlänge von fast zwei Metern, dem muskulösen Brustkorb und dem leichten Bauchansatz wirkte der Fünfziger selbst auf der großzügigen Ledercouch etwas überdimensioniert.

    Sybille kümmerte sich um den angebotenen Kaffee. Aus der Küche hörte man, wie der Automat die Bohnen zermahlte und es dauerte nicht lange, bis der leichte Brandgeruch durch den Duft kräftigen und aromatischen Kaffees verdrängt wurde. Wiebke war unterdessen im Bad und tauschte ihre Sportkleidung gegen Alltagsklamotten. Dadurch, dass sich jeder in einem anderen Raum aufhielt, bemerkte vorerst niemand, dass Jenny gar nicht mit ins Haus gekommen war.

    Die junge, blonde Polizeibeamtin stand noch immer vor dem Autowrack, atmete den Brandgeruch ein und starrte apathisch auf die schwarzverkohlten Reste des ehemaligen Luxusgefährts.

    »Ach, wir haben wohl jemanden vergessen«, sagte Reno plötzlich und klatschte sich selbst vor die Stirn. Gerade wollte er seine 100 kg hochwuchten, da winkte Wiebke ab.

    »Lass man, ich gehe schon.«

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