Der Sport und das weiße Kaninchen
Von Martina Anschütz
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Über dieses E-Book
Mit Blick auf den alltäglichen Wahnsinn und trockenem, mitunter auch schwarzem Humor beschreibt die Autorin in vielen kurzen Episoden die Tücken des Subjekts
Martina Anschütz
Martina Anschütz studierte Medizin. Sie lebt und arbeitet in Thüringen.
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Buchvorschau
Der Sport und das weiße Kaninchen - Martina Anschütz
U m ernst zu sein, genügt Dummheit,
während zur Heiterkeit
ein großer Verstand unerlässlich ist.
W. Shakespeare
Inhalt
Bio-Bauern
Abspecken
Cola und Wein
Servicewüste Deutschland
Spiegelbild
Blitzlichter
Axt-Fehler
Spezialisierung
Das merkwürdige Verhalten des mündigen Bürgers
Angsthasen
Coole Belohnung
Das Frühstück-Desaster
Freundliche Helfer
Blitzlichter
Kurgast
Grillparty
Den musst du doch kennen
Griechisches Kompliment
Hyperkinetische Störung
Blitzlichter
Nachhaltig
Der Sport und das weiße Kaninchen
Neujahrsblues
Strumpfspaltung
Der Wahnsinn wächst
Frühwarnsystem
Blitzlichter
Das Du im Wir
Verstaubte Ansichten
Telekommunikation
Inflation der Wörter
Blitzlichter
Im Dienst des Fortschritts
Kein Beinbruch
Bio-Bauern
Meine Tochter bekam zu Weihnachten einen Pachtvertrag für ein Stück Bio-Ackerland geschenkt. Sie hat sich gefreut. Seit sie selbst Mutter und verantwortlich für eine kleine, dreijährige Hexe ist, liegt ihr der Erwerb hochwertiger Nahrungsmittel am Herzen. Der eigene Anbau von Gemüse und Obst ohne Zusatz von Dünge- oder Schädlingsbekämpfungsmitteln, noch dazu wohnortnah, ist selbstverständlich der Olymp der Hochwertigkeit.
Natürlich freut sich auch mein Mutterherz, wenn die Tochter begeistert ist. Da ich aber über etliche Jahre mehr Lebenserfahrung verfüge, findet mein Radar sofort das Haar in der Suppe. Und diesmal ist es kein einzelnes Haar, sondern ein kleines Fell.
Bislang erschöpften sich die gärtnerischen Fähigkeiten meines Kindes in der Betreuung einzelner Zimmerpflanzen. Wären es statt Pflanzen kleine Tiere gewesen, hätte der Tierschutzbund bereits mehrfach Anklage erhoben wegen fahrlässiger Tötung. Die Zuverlässigkeit, mit der sie jegliche Grünpflanze in Heu oder Stroh verwandelt, ist bemerkenswert. Ich würde sagen, dass sie die Mumifizierung von Topfpflanzen zu einer Art Meisterschaft entwickelt hat. Sie hätte es zu Reichtum bringen können, wenn es denn jemals einen Markt für Heu in Übertöpfen gegeben hätte.
Ihr Meisterstück war übrigens ein Säulenkaktus, dessen Ableben sich über mehrere Monate hinzog, bis er eines Tages einfach abbrach und auf den Wüstenboden seiner Pflanzschale fiel. Wie sich herausstellte, war es ihr gelungen, ihn derartig auszutrocknen, dass nur noch eine schrumpelige grüne Hülle verblieb, die das buchstäbliche Nichts umschloss. Komplett hohl. Die unbekümmerte Leichtigkeit, mit der sie selbst resilienteste Wüstenpflanzen ins Nirwana schickte, ließ mich für Grünkohl und Zucchini nichts Gutes ahnen.
Vorerst jedoch tagte der Familienrat, weil die Parzelle getauft werden musste. Eine Holztafel, so hatte die Gemeinschaft der Hobby-Biobauern im Parzellenland entschieden, sollte kreativ bemalt und mit einem heiteren Namen beschriftet werden.
Da malerisches Talent in unserer Familie unterreprä-sentiert ist, probierten wir es zunächst mit der Namensfindung. Lustig sollte er sein, kreativ, und er sollte am besten etwas über die Besitzer der Parzelle aussagen. Daher fiel unsere erste Wahl auf den Vorschlag meines Mannes: „Saat des Grauens".
Die Mimik der Tochter ließ uns erahnen, dass sie mit der Wahl nicht hundertprozentig einverstanden war. Außerdem wurden wir darüber unterrichtet, dass unser Sinn für Heiterkeit möglicherweise nicht konform gehen würde mit dem Humor ihrer Parzellennachbarn. Ohnehin war sie bei ihrem Nachbarn zur Linken bereits in Ungnade gefallen. Der Typ mit den verfilzten Haaren und dem Hipster-Bart missbilligte nämlich, dass Giersch und Brennnessel in unserer Familie wenig Begehrlichkeiten auslöst und daher nicht als schleimiger Smoothie auf dem Frühstückstisch, sondern als lästiges Unkraut auf dem Kompost landet. Man müsse sich erst einmal belesen, wozu man das „Beikraut" noch nutzen könne, bevor man es so einfach vernichte, hatte er kritisiert.
„Beikraut! Er hatte tatsächlich „Beikraut
statt „Unkraut gesagt, wohl, um die ethnischen Gefühle des Giersch nicht zu verletzen. Wenn die Vorsilbe „un
derart verletzend ist, sollte man dann eigentlich statt Unhold auch Beihold sagen, statt Ungeziefer Beigeziefer? Oder statt Ungarn Beigarn?
Ich überlegte, ob es nicht möglich sei, sich durch die Wahl eines geeigneten Parzellennamens von vornherein vor übergriffigen Ratschlägen von links zu schützen und schlug den Namen „Glyphosat-Bunker, sponsered by Monsanto" vor, der zwar allgemeine Zustimmung fand, aber dennoch die Befürchtung weckte, man könne statt Abgrenzung möglicherweise sofort Kalten Krieg auslösen.
Einige Gläser Wein und ein paar Bierchen später sinnierte mein Sohn: „Wenn der Name auch etwas über den Besitzer und dessen ackerbauliche Talente verraten soll, würde ich die Bepflanzung „Survival of the fittest nennen.
„Obwohl es auch der Fitteste bei meiner Schwester mit dem Überleben schwer hat."
Im Verlauf des weiteren Abends standen noch zur Debatte: „Die Ärdbären, wegen des Dialekts des Nachbarn, oder „Mangold könnte weniger
, weil die Sinnhaftigkeit von Mangold in unserer Familie bis heute ungeklärt ist, sowie „Helmuts Kohl", einfach just for fun.
Kurz vor Mitternacht einigten wir uns auf „AfD- Alles für den Dinkel". Ein Vorschlag, den wir am nächsten Morgen wieder verwarfen. Hauptsächlich, weil wir alle an einer Dinkelphobie leiden.
Abspecken
Jahrtausendelang musste der gemeine Homo sapiens gegen Hunger und Unterernährung kämpfen. Es ist kaum hundert Jahre her, dass sich die Dinge in einigen Teilen der Welt so grundlegend geändert haben.
Heute muss er gegen Übersättigung und Übergewicht antreten. Das trifft ihn unerwartet und hinterlässt ihn ratlos. Keine archaische Strategie ist dagegen gewachsen, nichts bislang Erprobtes konnte auch nur ansatzweise hilfreich sein. Er überlegt, nur kleine Mammuts zu töten oder mehr mit den Nachbarn zu teilen. Aber selbst die kleinen sättigen zu stark, und die Nachbarn haben auch schon eines über Amazon bestellt. Deshalb ersinnt er lauter unbrauchbare Lösungen.
Ganz vorne auf der Beliebtheitsskala stehen Tabletten, Pulver und Tropfen. Was für eine wunderbare Idee! Man kann genauso viel Zucker, Fett, Kuchen und Alkohol ins Gedärm schaufeln wie immer, schluckt ein paar Pillen dazu und sieht schon bald aus wie Germany`s Next Top-Model. Und ganz ohne Feindkontakt mit Sportgeräten! Die Erfolgsquote beträgt dabei einhundert Prozent. Jedenfalls für die Hersteller der Abspeckmittel. Es ist ein bisschen so, als ob man einem Alkoholiker einredet, wenn er zwischendurch ein Gläschen Mineralwasser trinke, könne er ruhig weitersaufen.
Bei der Null-Diät handelt es sich um ein recht simples Modell des Hungerns. Man isst einfach nichts. Meine Studienkollegin Katrin hat es mehrere Tage erprobt. Morgens gab es eine Tasse schwarzen Kaffee ohne Zucker und Milch. Mittags ein Gläschen Wasser. Am Nachmittag wieder schwarzen Kaffee, abends Wasser. Gegen 23 Uhr saß sie auf dem Bett und sah vor Hunger weiße Mäuse. Dann sprang sie plötzlich auf und verwandelte sich in eine Art Staubsauger für Essen. Innerhalb von wenigen Minuten verschlang sie ganze fünf Brötchen, fingerdick mit Schweineschmalz bestrichen, bevor sie sich wieder sehr diszipliniert für die nächsten 23 Stunden im Hungern übte. Herausgekommen dabei sind drei Kilo Gewichtszunahme und ein lebenslanger Ekel vor Schmalzbrötchen.
Dann folgte die Apfelessig-Diät. Jeweils vor den drei Haupt- und den zwei Zwischenmahlzeiten trank sie zwei Esslöffel Apfelessig in einem Glas lauwarmen Wassers, um die Verdauung und Verbrennung der Nährstoffe anzuregen. Problematisch bei dieser Diät war, dass sie normalerweise höchstens drei Mal etwas aß, jetzt aber noch zwei Zwischenmahlzeiten hinzufügte, weil es so im Diätplan stand. Am Ende verkündete die Waage stolz einen Zuwachs von vier Kilogramm!
Der nächste Diätversuch hatte das Potential für eine mehrteilige Fernsehserie im Vorabendprogramm. Er begann mit Kindernahrung. Eine Art Müsli. Schon die Idee an sich hatte diskrete logische Defizite. Wer jemals Kinder großgezogen hat, weiß, dass Kindernahrung grundsätzlich eher zum Aufpäppeln als zum Aushungern produziert wird. Jedenfalls erklärte Katrin, dass hundert Gramm nur 180 Kalorien enthalten würden. Sie könnte davon sogar vier Mahlzeiten täglich essen