Fegoria - In den Wäldern des Faunus
Von Annika Kastner
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Über dieses E-Book
»Es gibt nichts, was ich mehr begehre als meine Seelengefährtin.«
Der letzte Kampf steht bevor. Crispin braucht eins mehr als alles andere: Verbündete. Er hat Fegoria bewiesen, dass ein Bündnis mit den Alben möglich ist.
Nun liegt es an Elil, Crispins Befehl auszuführen und ihm seine Loyalität zu beweisen. Die Götter haben hingegen andere Pläne und spinnen die Fäden im Hintergrund geschickt zu ihren Gunsten. Was für eine Hexerei hält ihn auf der Insel, auf der er gestrandet ist, gefangen?
Licia ist die letzte ihrer Art - die letzte Tochter des ewigen Waldes. Der Faunus hat von ihrer Welt Besitz ergriffen. Als ist ein Monster nicht genug, strandet auch noch ein Alb auf ihrer Insel. Sie ist sich sicher, dieser Krieger führt nichts Gutes im Schilde: Wer tötet sie zuerst?
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Buchvorschau
Fegoria - In den Wäldern des Faunus - Annika Kastner
Fegoria
In den Wäldern des Faunus
Roman
Annika Kastner
Erstausgabe im Juni 2022
Alle Rechte liegen beim Verlag
Copyright © Juni 2022
Booklounge Verlag
August-Bebel-Str. 57
23923 Schönberg
Cover: @Subbotina | @Booklounge Verlag
9783947115389
Inhalt
Willkommen
Zitat
Fegoria - In den Wäldern des Faunus
Elil
Licia
Elil
Licia
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Licia
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Licia
Playlist
Willkommen
Hallo, meine lieben Leser. Schön, dass ihr wieder den Weg nach Fegoria gefunden habt.
Diesmal stehen nicht Alice & Crispin im Vordergrund und doch ist diese Geschichte ein wichtiger Schritt, den unsere Freunde gehen müssen, damit Crispin sein Schicksal erfüllen kann. Ich habe beim Schreiben nie erwartet, dass Elil sich so in unser Herz schleichen wird, aber er tat es. Daher habe ich beschlossen, ihm seine eigene Geschichte zu geben. Es wird uns vor allem die Albe näherbringen. Wie sagt man so schön? Nichts ist einfach nur schwarz und weiß, nein, es gibt auch Grautöne. Und unsere Gruppe muss lernen, einander zu vertrauen, zusammen zu arbeiten und darauf hoffen, dass die Götter ihre Pläne haben.
Ich widme dieses Buch jedem, der Bücher und Fantasy so liebt wie ich.
Ich widme es dir, mein lieber Leser, denn ohne dich gäbe es diese Welt nicht.
Meinem Mann Philipp und meinem wundervollen Sohn danke ich von Herzen. Jungs, ich liebe euch so sehr!
Und meinen Freunden und meiner Familie. Danke, dass es euch gibt.
Vor allem auch meinem Vater, ich wünschte, du könntest noch einmal in die Welt von Fegoria eintauchen, und die Reise mit uns erleben.
Und auch ein Dank an Sabrina, für all die Jahre, die wir nun zusammenarbeiten. (Anm. v. Verlag – Sabrina dankt dir ebenso und hat dich vollends ins Herz geschlossen.)
Eure Annika
Zitat
Dem Schicksal kann man nicht aus dem Weg gehen, wenn zwei Seelen sich treffen.
Zitat – Verfasser unbekannt
Fegoria - In den Wäldern des Faunus
Image4.jpgVielen Dank an Diana Gus!
Elil
Wie ein Dieb schleiche ich mich im Morgengrauen davon, noch bevor die ersten Vögel zum Morgenlied ansetzen oder die ersten Wüstenmäuse ihre Nasen aus dem Sand schieben. Unbemerkt verschmelze ich mit dem Zwielicht, ehe die Sonne wirklich aufgeht und dem Mond seine Schranken weist, um die Schatten der Nacht zu vertreiben. Es ist die Zeit, die ich am meisten mag. Die Stille. Die Dunkelheit. Die Ruhe, die sie für meine aufgewühlten Gedanken bringt. Das Wissen, dass hell und dunkel nebeneinander existieren können. Meine Schritte sind leise, kaum zu vernehmen, denn ich verstehe mich in dem, was ich mache.
Es liegt mir im Blut, mich wie ein Schatten zu bewegen, ein Trugbild in der Finsternis, und wenn ich nicht gesehen werden möchte, so bleibe ich unbemerkt. Einer der Gründe, wieso Castiell stets auf mich gesetzt hat und ich jahrelang seine Truppen anführen durfte, ehe Grimm sich bequemte, meinen Platz einzunehmen. Unverdient wohlgemerkt, wofür ich seinen Kopf noch immer in den Boden rammen könnte. Während ich mir meinen Ruf hart erkämpfen musste und ihn mit Blut und Schweiß bezahlt habe, so bekam er meinen Rang vor die Füße gelegt, nur, weil er als Sohn des Königs geboren worden war. All das Leid, die Anstrengungen und die Schmerzen, die ich erduldet habe, nur um mir einen Namen zu machen. Und all das habe ich aufgegeben, für das hier. Diesen Ort, den ich jetzt Heimat nenne und der so anders ist als alles, was ich kenne – in jeglicher Hinsicht.
Ein kurzes Gefühl des Bedauerns durchzuckt mich, ohne es verhindern zu können. Ein Leben löscht man nicht von heute auf Morgen aus. Nein, ich bin noch nicht vollends angekommen, hier, in meiner neuen Heimat, meinem neuen Platz und der Verantwortung, die er mit sich bringt. Ebenso dem Vertrauen, welches Crispin und Alice mir zollen. Es ist ein neues, ein anderes Leben. Eins, das mir noch nicht so ganz passt, aber immer mehr zu meinem wird. Es gefällt mir, wie sonderbar es hier ist und wie anders ich sein kann. Eine ganz andere Version von mir als jene, die ich all die Jahrhunderte verkörpern habe müssen.
Spion, Mörder, Krieger – im Laufe der Jahrhunderte, die ich nun in Fegoria verweile, hat es viele Bezeichnungen für mich gegeben. Ich höre sie flüstern, die anderen Wesen, spüre ihre Angst und das Misstrauen, welches sie mir entgegenbringen. Ich werde anders angesehen als die Elben, dabei sind sie uns im Kern ähnlicher, als man denkt. Allerdings ist mir gleich, was sie über mich reden oder gar denken. Ich habe mir nie viel aus der Meinung der anderen gemacht. Ehre für den Namen der Familie. Loyalität, Anerkennung, Ruhm. Alles Dinge, nach denen wir stets streben, nach denen ich bis vor Kurzem gestrebt habe, weil ich der Meinung gewesen bin, dass es für mich nur einen Weg gibt. Gnadenlos, tödlich, ohne Gewissen, so sagt man es meinem Volk nach und so habe ich mich verhalten. Wenn sie über uns reden und diese Worte wählen, haben sie kein Unrecht. Aber ist es nicht die Welt selbst, die uns genau dazu macht? Erfülle ich nicht die Rolle, die mir angedacht ist? Habe ich eine Wahl – bis jetzt? Nein. Ich bin in dieses Leben und diese Welt hineingeboren worden, habe unter der Herrschaft von Castiell jenes getan, um zu überleben und das Überleben meiner Schwester zu sichern. Es ist nun mal die Art und Weise, wie wir leben.
Niemand hat je gefragt, ob wir uns nicht auch nach mehr sehnen. Nach einem Zuhause, wo die Sonnenstrahlen mich durch das Fenster wecken, statt auf den kalten Stein zu starren. Nicht, dass ich es zugeben würde, aber ich genieße es, den warmen Wüstensand unter meinen Füßen zu spüren und jetzt im Wüstenhain die Sonne aufgehen zu sehen. Ich mag die Hitze und wohlige Wärme. Und es geht nicht nur mir so. Ich sehe es meinem Volk an, all den Alben, die mir hierher gefolgt sind. Es wirkt so, als würden sie das erste Mal frei atmen können, denn Castiells Augen wachen nicht länger über sie. Jene, die alles riskieren, weil sie mir vertrauen und hierher gefolgt sind, zu ihrem einstigen Feind. Nur mein Wort darauf, dass wir Willkommen sein werden. Ja, selbst ich habe lernen müssen, zu vertrauen, in Alice und Crispin, auch wenn es mir anfangs schwergefallen ist und ich nur meine Schwester vor Ärger bewahren habe wollen, kann ich heute einen Elben meinen Freund schimpfen.
Freund. Elbenfreund. Es geht mir noch nicht locker von der Zunge. Manchmal irritiert es mich, aber es ist die Wahrheit. Der König der Elben und Gemahl meiner Cousine ist mein Freund. Mein Verbündeter. Crispin, jener, der seit Jahrhunderten mein Feind gewesen ist. Ein genauso großer Krieger wie ich, auch wenn ich ihm das nie sagen würde. Wären wir je gegeneinander angetreten, weiß ich nicht, wer von uns gesiegt hätte. So ungern ich es mir eingestehe, sind wir uns ähnlicher, als man meinen mag. Mein Leben hat sich wirklich von Grund auf gewandelt.
Die Abenteuer, die ich nun erlebe, sind anders als alles Vorherige. Crispins Aufgaben an mich sind nicht vergleichbar mit denen Castiells. Er erwartet nicht, dass ich Angst und Schrecken verbreite oder Gewalt anwende, um Furcht zu schüren. Ich kann frei entscheiden, mich einbringen und dazu beitragen, diese neue Ordnung aufzubauen, ohne mit einer Bestrafung rechnen zu müssen, wenn ich anderer Ansicht bin als mein König. Ich bin nicht nur ein Zuschauer, sondern kann für mein Volk das beste erwirken. Dieses Wissen verursacht eine tiefe Befriedigung in mir und beweist, dass es wert ist, altes hinter sich zu lassen. Ich fühle mich als wertvoller Teil von etwas Großem und glaube fest an Crispin als König. Seine Ideale sind edelmütig und groß. Mit Alice an seiner Seite wird er uns Frieden bringen, da bin ich sicher.
Crispin ist ein anderer König als Castiell oder Elon. Er ist zwar meist kühl und reserviert zu anderen, aber nicht grausam. Er versucht, etwas zu bewegen, mit allen Mittel und Wegen, auf seine Art. Sein Volk verehrt ihn für seine Tapferkeit, den Mut und die Hingabe, die er an den Tag legt. Den, der eine Albin zu der seinen gemacht hat, ein Zeichen gesetzt hat, allen Widrigkeiten zum Trotz. Er hat jede Regel Fegorias gebrochen. Für sie, eine Albin. Er hat Blut und Schweiß gelassen, das ganze Land durchquert, nur um sie zurückzuholen und sein Leben anschließend in die Hände eines Alben gelegt – in meine Hände wohlgemerkt. Sein Wille ist unermüdlich, ebenso seine Liebe zu ihr. Daran zweifelt niemand mehr, nicht hier. Ich am Allerwenigsten.
Wo wir gerade bei ihr sind: Alice – sie stellt ganz Fegoria auf den Kopf, aber auf eine gute Art und Weise, auch wenn sie immer wieder aneckt. Sie schenkt uns Hoffnung, wo es keine gibt, auch wenn ich mir wenig Chancen auf eine Seelengefährtin ausmale, gönne ich es meinem Volk. Jedem, dem dieses Privileg zugeteilt sein wird. Viel zu lange haben sie unter Castiells Tritten und Tyrannei leiden müssen. Dass wir verhasst und gefürchtet sind, kann ich Fegoria nicht verübeln. Wir sind nicht unschuldig an dieser Angst. Und doch haben wir stets das getan, was unser Oberhaupt befohlen hat, denn eine Wahl gibt es für keinen von uns. Nein, ich korrigiere mich – hat es einst gegeben. Jetzt haben wir sie!
Ich nehme die ängstlichen Blicke der anderen Wesen durchaus wahr, aber sie werden sich an uns gewöhnen und merken, wie sehr wir uns bemühen. Eines Tages. Wir geben unser Bestes, na ja, wir versuchen es wenigstens. Man kann schließlich nicht über Nacht ein anderer werden. Wir sind, wie wir sind. Aber wer definiert Gut und Böse? Wenn ich ehrlich bin, werde ich gern gefürchtet. Ich genieße den Respekt, der mir entgegengebracht wird. Angst sorgt für Vorsicht, was wiederum für Sicherheit und Kontrolle sorgt. Nur so habe ich meine Familie all die Jahre schützen können, oder das, was noch davon übrig geblieben ist.
Fühle ich Bedauern für all die Toten, die auf den Schlachtfeldern durch meine Hand gestorben sind? Nein. Würde ich es tun, würde es mich zerfressen. Sie oder ich. Ich habe getan, was nötig gewesen ist, um zu überleben, und meine Schwester zu schützen. Mit diesem Wissen kann ich nachts ruhig schlafen. Würde ich es wieder so machen? Auf jeden Fall, wenn ich die, die mir am Herzen liegen, so schützen kann.
Ich mustere die Wachen im Vorbeigehen und kneife verärgert die Augen zusammen. Verfluchte Zwerge, eingeschlafen mit dem Trinkschlauch in der Hand. Man sollte sie zur Strafe auspeitschen, an den Pranger stellen. Sie sollen Wache halten, sich nicht bis zu Besinnungslosigkeit betrinken. Halt, schalle ich mich selbst. Das wird hier anders geregelt. Trotzdem möchte ich ihm meine Faust in den Magen rammen und aufwecken, weil er nicht nur sich gefährdet, sondern alle, die sich auf ihn verlassen. Gerade jetzt ist es umso wichtiger, achtsam zu sein. Castiell und Grimm werden nicht lange die Füße stillhalten – nein, ich kenne beide besser, als mir lieb ist. Sie werden Rache nehmen und Pläne schmieden. Schreckliche Pläne, in denen keiner von uns überleben wird. Castiells Vergeltungsschlag ist uns sicher. Dafür, dass Crispin Alice zurückbekommen hat und vor allem auch Rache an uns, jenen, die ihm den Rücken gekehrt haben. Castiell verzeiht nicht, es gibt keine zweiten Chancen. Auch uns erwartet dort nur noch der Tod. Wir sind Verräter. Dieses Wort schmeckt bitter. Bin ich ein Verräter, wenn ich mir nur das Beste für mein Volk erhoffe?
Ich gebe ein Zeichen mit meiner Hand und aus dem Schatten löst sich ein Alb, den ich dort in weiser Voraussicht positioniert habe. Er nickt mir zu, verschmilzt dann wieder mit der Dunkelheit – für unwissende Augen unsichtbar. Vorsicht ist gut, Kontrolle ist besser. Ich habe meine eigenen Wachen aufgestellt, die unser Zuhause im Auge behalten. Ich leiste still meinen Beitrag zum Wohle aller, ohne, dass Alice und Crispin es erfahren müssen. Ich erwarte keinen Dank oder Lobpreisungen, meine Krieger ebenfalls nicht. Sie vertrauen auf meine Führung und sind stolz auf jenes, was sie leisten. Nein, wir machen das, was getan werden muss. Dies habe ich stets so gehandhabt. Ihr Volk ist nun auch mein Volk. Dieser Ort ist unser Zuhause, wo alle leben, die mir etwas bedeuten. Diesen Ort gilt es, zu schützen, und zwar mit allen Mitteln, die mir zur Verfügung stehen.
Alice und Crispin haben genug erlebt, sie müssen Kraft sammeln für jenes, was vor ihnen, ach was, vor uns liegt. Darum ist es jetzt an mir, die mir aufgetragene Aufgabe zu erledigen. Egal, ob es mir gefällt oder nicht, sie zu verlassen. Wie wird das Ende aussehen? Ich weiß es nicht. Bei den Göttern, werde ich es erleben? Nun aber, handle ich im Auftrag von Crispin, unserem König.
Ich werde zu der Insel der Wolfsmenschen reisen und schauen, ob Castiell bereits dort gewesen ist oder ob wir dort mehr Verbündete finden werden, nachdem der letzte Posten auf dem Festland von ihm vernichtet worden ist. Wir sind viel zu wenige, um zu siegen. Castiell sammelt ebenso Anhänger wie wir. Alle Stämme der Wolfsmenschen auf dem Festland sind ausgelöscht. All meine Drachenreiter haben nur noch Schutt und Asche vorgefunden. Es gibt keine Überlebenden, aber wenn es noch welche geben sollte, dann werde ich sie dort finden. Die Zeit arbeitet gegen uns und ich weiß, wie schwer Crispin diese Bitte an mich gefallen ist und doch hat er darum gebeten – seinen einst größten Feind. Dies ist mehr Vertrauen, als ich jemals erwartet habe. Es erfüllt mich mit Stolz. Er weiß um meine Qualitäten. Auf Bararod, meinem Drachen, werde ich schnell sein, viel schneller als jedes Pferd oder Boot. Ich höre sein Schnauben schon von Weitem, er wittert mich, als ich mich den Höhlen nähere.
Meine Mundwinkel verziehen sich zu einem ehrlichen Lächeln, als ich die dunkle Felsspalte betrete, in der er mit den anderen Drachen ruht, geschützt vor der brennenden Sonne. Im Gegensatz zu mir mag er es dunkel und feucht, die Hitze setzt ihm eher zu. Ich bleibe im Eingang stehen, kurz darauf erscheint er aus der pechschwarzen Dunkelheit. In seinen Augen spiegeln sich das Mondlicht und die Sterne, die über mir am Firmament funkeln, wider. Majestätisch ragt er über mir empor. Aus einem Impuls heraus lege ich meine Stirn an seine, nachdem er den Kopf senkt. Seine Haut ist fest wie Leder und warm. Er ist nicht nur ein Reittier, nein, er ist durchaus mehr.
»Hallo, mein Freund, bist du bereit für ein neues Abenteuer«, begrüße ich ihn, mein Schutztier. So viele Jahre sind wir schon aneinandergebunden. So viele Kämpfe haben wir ausgetragen und Narben davongetragen – innerlich und äußerlich. Er ist mehr als eine Kreatur an meiner Seite. Er ist ein treuer Freund und Gefährte.
Das erste, was Castiell einem austreibt, sind Gefühle. Dabei habe ich immer mehr gefühlt als andere Albe, es nur besser zu verstecken gewusst. Vollkommen anders als meine Schwester, die all ihre Empfindungen offen darlegt. Als Castiell gemerkt hat, wie zielstrebig und wertvoll ich für ihn bin, hat er mein Training persönlich übernommen. Meine Familie trägt den Namen großer Kämpfer. Allen voran Kota, Alice‘ Vater. Ich stamme aus einer angesehenen Familie, mein Rang und das Prestige bringen eine gewisse Verantwortung, einen Ruf, dem ich gerecht werden will. Es hat da eine Albin in meiner Jugend gegeben, sie ist … zu sanft, viel zu sanft gewesen, wenn ich heute an sie denke. Aber wir sind Freunde gewesen, wenn man es so nennen kann, ich habe sie mit durch das Training bringen wollen, doch Castiell hat es als Schwäche gedeutet, dass ich mich für sie eingesetzt habe. Mitgefühl macht schwach. Nichts verachtet er mehr. Nein, er will seine Krieger gefühllos, kalt. Es darf uns nicht kümmern, was mit den anderen geschieht.
Eines Morgens habe ich sie enthauptet vor meiner Tür aufgelesen. Ich habe die Botschaft verstanden. Sie ist in seinen Augen entbehrlich gewesen, nichts wert. Im Reich der Albe darf man nicht lieben. Man darf nichts fühlen, oder man wird von Castiell vernichtet. Ich bin froh, dass es an jenem Tag nicht Alliarias Kopf gewesen ist. Jeder kann ihm von Nutzen sein oder den Platz freimachen. Unter seiner Herrschaft gibt es täglich Auspeitschungen und Hinrichtungen. Auch wenn meine Narben geheilt sind, spüre ich sie, die Peitschenhiebe für Ungehorsam, für Fehler. Versagen darf man nicht. Er hat mich zu dem gemacht, der ich heute bin. Ich mache keine Fehler mehr und bin stärker denn je. Ich zeige keine Gefühle, bin zu dem Krieger geworden, den er für mich angedacht hat, nur, dass ich jetzt für die andere Seite mein Leben einsetze, mit Freuden. Dies hat niemand vorhersehen können, ich am wenigsten. Ich kämpfe nicht nur mit. Nein, ich kämpfe für einen Elben.
Meine Schwester Alliaria ist wie Alice. Eine Träumerin. Es ist so schwer gewesen, sie all die Jahre zu schützen und zu vertuschen, dass sie Kranke gepflegt oder Essen an jene, die nicht genügend davon haben, verteilt hat. Sie und ihr weiches Herz sind die größte Gefahr für sie selbst. Das ist auch der Grund, weshalb ich heute überhaupt hier stehe. Bereue ich es? Absolut nicht! Das Wissen, dass sie hier sicher ist, lässt mich des Nachts besser schlafen. Mein Posten ist mir stets zugutegekommen, um Alliaria zu helfen, sie zu schützen, wenn sie wieder zu leichtsinnig gewesen ist. Nicht zu vergessen die Furcht, es sich mit mir zu verscherzen, sollte man ein falsches Wort darüber verlieren, was man eventuell glaubt, gesehen zu haben. Nur so hat sie überhaupt die Stelle als Zofe ergattern können und ist auf Alice getroffen – es ist mein Rang, mein Einfluss gewesen.
So, genug davon, ich habe eine Aufgabe, die es zu erledigen gilt und die meine volle Aufmerksamkeit benötigt. Ich verschränke die Finger ineinander und lasse sie knacken, ehe ich die Höhlen verlasse. Bararod folgt mir ins Freie, atmet tief die kühle Morgenluft ein. Er schüttelt sich und streckt seine langen muskulösen Glieder von sich, ehe er mich erwartungsvoll anblickt und drauf wartet, dass ich aufsitze. Ich werfe noch einen Blick auf mein neues Zuhause, welches schlafend vor mir liegt, und verabschiede mich still. Mögen wir uns wiedersehen, wenn die Götter es für richtig erachten. Wer weiß, wohin mein Weg mich noch führen wird …
Kaum sitze ich auf, breitet Bararod seine langen Schwingen aus und steigt empor in den Nachthimmel. Der Wind reißt an mir, während ich mich an ihm festhalte.
Ich halte mich oben, weit über den Wolken, genieße den kalten Wind, der mir ins Gesicht weht, und schließe kurz die Augen, lasse mich völlig in diesem Moment gehen. Frei. Hier oben bin ich fessellos. Das Gefühl, alles ist realisierbar, begleitet mich schon immer. Gelöst von sämtlichen Pflichten für einen winzigen Augenblick. Ein Gefühl, welches nicht unmöglich zu sein scheint, wenn ich hier oben in die unendliche Ferne blicke. Nur ich und meine Gedanken.
Als Bararod mich gefunden und sich dazu entschlossen hat, sich mir anzuschließen, ist es einer der besten Tage meines langen Lebens gewesen. Nicht jedem Alb ist ein Drache vergönnt. Sie wählen ihre Gefährten genau aus und ich weiß dieses Privileg zu schätzen. Ich lebe für das Fliegen. Schon immer ist es mein größter Traum gewesen, eines Tages hier oben zu sein, wo sonst nur Mond und Sterne in der Nacht funkeln und die Sonne uns wärmt. Bararod kennt meine dunkelsten Geheimnisse und ist mir stets ein treuer Gefährte. Er würde für mich sterben, das weiß ich. Wie oft habe ich mich ihm anvertraut, wohlwissend, dass er weder wertet, noch urteilt. Drachen sind überaus feinfühlig und intelligent. Es ist mir ein Rätsel, wieso Elben dies nicht erkennen.
Hier oben verfliegt die Zeit nur so. Ich könnte ewig weiter reisen, bis ans Ende der Welt. Ich lenke Bararod tiefer, breche mit der Abenddämmerung durch die violette Wolkendecke und lasse das Land hinter mir. Unter mir erstreckt sich nur die Weite des Meeres.
Wir sind den ganzen Tag geflogen, und doch strotzt er noch vor wilder Energie. Den Wüstenhain, die Eisebene, den Nebelwald und auch die Lagunen haben wir weit hinter uns gelassen. Mit jeder Meile wächst aber auch die Sorge, was in meiner Abwesenheit passieren wird. Was, wenn sie mich brauchen und ich nicht schnell genug bin? Es fällt mir schwer, mich auf andere zu verlassen, die Zügel abzugeben. Es kann so viel geschehen. Ich habe mich nie zuvor anderen Wesen so geöffnet wie diesen. Leicht angespannt mustere ich die Umgebung. Immer wieder überfliege ich kleine Inseln, die unter mir farbenprächtig im Licht der Sonne erstrahlen.
Doch in diesem Moment erstreckt sich unter mir ein weites, mir unbekanntes Waldgebiet. Mit hohen Klippen und Bergen. Der Wald wirkt braun und trostlos, was nicht zu dem warmen Klima passt, durch das ich gerade fliege. Es müsste nur so strotzen vor grünen kräftigen Pflanzen. Mysteriös. Ich durchquere diese Route heute zum ersten Mal. Was hätte mich auch vorher zu der abgelegenen Insel der Wölfe führen sollen? Die Stille unter mir sollte friedlich wirken und doch sind all meine Sinne plötzlich auf Vorsicht. Ein Gefühl, dass ich achtsam sein sollte, welches mich schon oft gerettet hat. Doch ich entdecke nichts, was dieses Gefühl ausgelöst haben könnte. Alles ist ruhig. Zu ruhig? Kurz erwäge ich eine Pause, aber ich höre lieber auf die innere Stimme in mir und werde keinen Fuß auf das Eiland unter mir setzen. Tatsächlich frage ich mich gerade, wieso ich überhaupt diese Route gewählt habe. Ich hätte auch weiter südlich fliegen können, sie wäre sogar schneller gewesen, und es war eigentlich auch der ursprüngliche Plan. Habe ich mich verschätzt? Oder war es mein Unterbewusstsein? Es fühlt sich an, als habe mich etwas hierher gelenkt. Als müsste ich genau hier sein, was ich nicht verstehe. Als gäbe es hier mehr als jenes, welches sich gerade zeigt. Unwillkürlich streiche ich mir über mein Herz, verborgen unter meiner schwarzen Kampfmontur. Es klopft hart gegen meine Rippen, als wäre es aufgeregt. Etwas in mir fühlt sich komisch an, ich vermag nur nicht zu sagen, woher das Gefühl kommt – ein leichtes Ziehen in meiner Brust.
»Sei wachsam«, flüstere ich meinen Drachen zu, schmiege mich an seinen Rücken und lasse ihn dicht unter den Wolken fliegen. Aufmerksam beobachte ich den Himmel