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JAGDFIEBER - Manche Legenden sind wahr: Horrorthriller, Abenteuer
JAGDFIEBER - Manche Legenden sind wahr: Horrorthriller, Abenteuer
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eBook408 Seiten5 Stunden

JAGDFIEBER - Manche Legenden sind wahr: Horrorthriller, Abenteuer

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Über dieses E-Book

Im Urlaub und hoffnungslos gelangweilt schließt sich Taine McKenna der Biologin Jules Asher auf eine Wildwanderungs-Expedition in Neuseelands südlichstem Nationalpark an.
Überraschend stoßen sie dabei auf eine Gruppe der überaus scheuen Ureinwohner vom Stamm der Tureho. Wie sich herausstellt, ist ihnen auch eine Gruppe von Söldnern auf die Spur gekommen, welche fest entschlossen scheinen, das Geheimnis um die Ureinwohner für sich zu nutzen und jeden zu töten, der sich ihnen dabei in den Weg stellt.
Doch es lauert noch etwas Anderes, sehr viel Umheimlicheres in der Wildnis …
»Eine fantastische Mischung aus Military-Fiction, einem sehr realen Urzeitmonster und faszinierender Mythologie.« - Paul Mannering
SpracheDeutsch
HerausgeberLuzifer-Verlag
Erscheinungsdatum17. Juni 2022
ISBN9783958356788
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    Buchvorschau

    JAGDFIEBER - Manche Legenden sind wahr - Lee Murray

    Kapitel 1

    Fjordland, 1973

    David Summers stemmte das Gewehr gegen seine Schulter und schob den Lauf vorsichtig aus der Tür.

    »Jederzeit bereit, Kumpel«, sagte der Pilot, Wallace Makepeace, langsam.

    David sah sich das Buchengewirr genau an, welches im Abwind des Helikopters schwankte, und wartete auf das Vorbeiflitzen von braunem Fell. Nachdem eine Nebelschwade vorbeigezogen war, waren die Bäume wieder sichtbar.

    Warte, warte … dort drüben!

    Ein Wapiti-Hirsch sprang aus dem Gebüsch, aufgescheucht vom dröhnenden Lärm der Rotorblätter. Der große Hirsch rannte quer über den Talgrund, bahnte sich seinen Weg patschend über das Flussbett und kam auf der anderen Uferseite wieder heraus. Als das Tier aus dem Schneider war, machte es sich hastig und verzweifelt davon, um dem Hubschrauber zu entkommen.

    David feuerte ein halbes Dutzend Schüsse ab. Dabei flogen die verbrauchten Patronenhülsen in alle Richtungen. Die Kugeln aber prallten nur am steinigen Boden unter ihnen ab, während der Hirsch immer weiter fortlief.

    »Ich meinte heute«, sagte Wallace trocken.

    David nahm sich Zeit, visierte den Hirsch wieder an und drückte noch einmal ab. Dieses Mal fiel der Hirsch um. David zog den Kopf wieder zurück in den Helikopter hinein.

    »Das nenne ich mal eine fette Beute!« Wallace leckte sich über die Lippen.

    »Ich glaube, es waren um die vierzig in der letzten Stunde«, entgegnete David. Es mussten mindestens so viele gewesen sein, denn der Lauf seines Gewehrs war glühend heiß. »Darunter waren ebenso ein paar ziemlich große Kerle. Hast du die Größe des Geweihs gerade gesehen? Dieser Wapiti muss um die sechshundertfünfzig Pfund wiegen. Was glaubst du, wie viel das in Kilogramm ist?«

    »Ich hab keine Ahnung. Verdammte Maßeinheiten. Sechshundertfünfzig Dollar pro Tier reichen völlig aus. Hey, da ich nicht von der gierigen Sorte bin, wäre ich auch mit fünfhundert Dollar zufrieden.«

    David hielt sich an seinem Sitz fest, als Wallace den Helikopter in eine steile Kurve legte und das freiliegende Flussbett umkreiste, um sicherzustellen, dass der Kadaver immer noch am Boden lag.

    »Was hältst du von einer weiteren halben Stunde, bevor wir aufhören? Wollen wir sehen, ob wir genau fünfzig schaffen?«, rief Wallace über die Windscherung hinweg.

    David war nicht scharf darauf. Schließlich waren sie nicht die einzige Crew hier draußen. Der Preisanstieg von Wildfleisch hatte einen ganzen Haufen illegaler Anbieter motiviert, denn jeder wollte etwas von der Unsumme an Geld, welches angeboten wurde, erbeuten. Und es wurde nicht nur gewildert. In der Zeitung gab es Berichte von Jägern, die vom Boden aus beschossen werden, von stürzenden Helikoptern, Brandstiftungen, sogar von regelrechten Schlägereien. Es schien, als hätten diese Leute nicht einen Funken Stolz behalten.

    »Ich weiß nicht«, sagte David, doch seine Augen waren immer noch auf den Wald gerichtet, für den Fall, dass sie ein weiteres Tier aufscheuchen sollten. »Wir müssen jetzt schon zehn Runden einlegen, um die ganze Beute einzusammeln.«

    »Sorgst du dich immer noch wegen dieser Militärirokesen?«

    »Sie könnten überall sein. Und ich habe gehört, sie schießen mit echten Kugeln.«

    David stützte sein Gewehr gegen sein Knie.

    »Ach, das ist nichts als Schwachsinn, sag ich dir. Die Regierung wird doch nicht wirklich ihre Luftstreitkräfte dafür benutzen, um Neuseeländer wegen ein bisschen Wilderei vom Himmel zu schießen. Die kommen höchstens vorbeigeflogen, um uns mit erhobenem Finger und ernstem Blick zu ermahnen, was für freche Burschen wir doch sind.« Er musste lachen. »Worin liegt das Problem? Was wir machen, ist nicht einmal wirklich Wilderei. Wir erbringen hier einen wertvollen Dienst, denn wir halten die Rehe davon ab, unsere wertvollen heimischen Wälder niederzutrampeln. Es ist ja nicht unsere Schuld, dass die Leute auf den Geschmack von Wildfleisch gekommen sind.«

    David grinste. Wenn er es so ausdrückte, klang das gar nicht mal so schlimm.

    »Wie dem auch sei, die Schuld liegt ganz allein bei der Regierung, wenn sie nur einer Gruppe erlauben, die Rehe zu keulen«, schimpfte Wallace.

    David hätte ihn nicht dazu bringen sollen, damit anzufangen.

    »Es gibt eine Lizenz zum Gelddrucken und nur ein Unternehmen bekommt die Chance dazu? Kein Wunder, dass die Leute aggressiv werden. Wir haben das Recht, unseren Lebensunterhalt zu verdienen, genauso wie jeder andere.«

    David blickte über das Tal, als Wallace den Helikopter von den Klippen weglenkte. Es war nicht nur irgendein Lebensunterhalt, sondern es war ein verdammt guter. An manchen Tagen verdienten die beiden noch vor dem Frühstück mehr als einen Monatslohn, selbst nachdem sie das Geld für den Helikopterkredit davon abgezogen hatten. Doch die Risiken waren groß und mit jedem Tag nahmen sie zu. Denn das Glück konnte einem nicht unbegrenzt hold sein.

    Er blickte auf das Foto seiner Frau, welches er an die Windschutzscheibe geklebt hatte. Gina lächelte ihn an und ihr weiches, braunes Haar lockte sich um ihr Gesicht. Sie war der Grund dafür, weshalb er das alles tat. Ihre gemeinsame Zukunft. Doch letzte Nacht, als sie bereits im Bett gelegen hatten, hatte dieser verrückte Krieg um das Wildfleisch die beiden zum Reden gebracht.

    »Es ist zu gefährlich, Schatz«, hatte Gina mit ihrem Kinn auf seiner Brust und einem Bein über sein eigenes geschlungen gesagt. »Alles Geld der Welt ist nichts wert, wenn man nicht am Leben ist, um es auszugeben.«

    Dann fuhr sie mit einem Finger über seine Brust. »Du solltest damit aufhören, bevor du noch verletzt wirst. Wir könnten abkassieren und das kleine Haus in der Nähe von Nelson kaufen.«

    David rutschte etwas herum, denn Ginas Gewicht ließ seine Schulter einschlafen. Selbst wenn es Zeit zum Abkassieren war, ein Dreizimmerhaus in Nelson war nicht gerade das, was er sich vorgestellt hatte. Es musste mehr im Leben geben, als nur ein Haus zu kaufen und sich niederzulassen. Es musste nicht einmal außergewöhnlich sein, nur etwas weniger … gewöhnlich.

    »Und was ist mit Wallace?«, hatte er ihr entgegnet. »Ich kann ihn nicht einfach im Stich lassen.«

    Darauf hatte Gina ihn unter ihren Wimpern hervor angesehen. »Du bist nicht der einzige Mann im ganzen Universum, der mit einem Gewehr umgehen kann.«

    »Was hältst du davon, wenn wir uns auf den Mittelwert einigen?« Wallace’ Stimme unterbrach Davids Erinnerung. »Noch eine Viertelstunde und wir machen Feierabend?«

    »Einverstanden.« Und David schulterte erneut das Gewehr.

    Sie sackten zwei weitere Rothirsche ein, bevor Wallace sie wieder zurück zum Flussbett flog, wo sie den großen Hirsch umgelegt hatten. Dort gab es genug Platz, um mit der Fleischzerteilung zu beginnen.

    Als sie über die Lichtung flogen, fluchte Wallace. »Schau dir das an!«

    David lehnte sich aus dem Helikopter, worauf ihm der kalte Wind ins Gesicht stach. Er musste blinzeln. Zwei Männer in karierten Swanndris hockten neben dem umgelegten Hirsch. Sie hatten bereits den Kopf des Tieres abgehackt und die Hufe abgehauen.

    »Was zum Teufel denken die, wer die sind?«, fauchte Wallace wütend. »Verdammte Diebe!« David wollte ihn nicht daran erinnern, dass sie im Grunde selbst das Tier gestohlen hatten. Wallace konnte eine echte Plage sein, wenn er aufgebracht war. Oder wenn er den gesamten Inhalt eines Bier-Sixpacks in sich hatte.

    »Vergiss es einfach, Mann«, bat ihn David. »Das ist es nicht wert.«

    Doch Wallace dachte nicht einmal daran, deren Verhalten zu tolerieren. Wie ein Hai, der seine Beute umkreist, wendete er den Helikopter erneut herum. Falls sich die beiden am Boden dafür überhaupt interessierten, so ließen sie es sich nicht anmerken. Sie fuhren einfach damit fort, das Tier zu häuten. Wallace wedelte mit der Faust herum und fluchte abermals.

    »Lass uns einfach die anderen Hirsche einsammeln«, sagte David, der von einem Anflug von Unbehagen erfasst wurde.

    Aber Wallace schüttelte nur den Kopf. »Ich werde uns nach unten bringen. Lehn dich heraus und feuere ein paar Warnschüsse in ihre Richtung ab, verstanden? Das sollte sie verscheuchen.«

    »Was? Nein!« Er würde auf keinen Fall auf irgendjemanden schießen.

    Wallace hörte ihm jedoch nicht zu und brachte den Helikopter herunter. Dadurch wurden Sand und Steine durch den Abwind aufgewirbelt und in Richtung der Räuber geschleudert.

    Einer der Männer hob seinen Kopf in Richtung des Windes, seine Arme bis zu den Ellenbogen in Blut getränkt. Nachdem er sein Messer niedergelegt hatte, den Blick nicht für einen Augenblick vom Helikopter abwendend, stand er auf und hob sein Gewehr an seine Schulter.

    »Scheiße! Wallace! Er wird gleich schieß…«

    Kugeln bombardierten die Seite des Helikopters und der Lärm erinnerte dabei an eine Reihe von Mülltonnen, die auf den Bürgersteig umfielen. Der Helikopter wankte zur Seite.

    »Scheiße!« Wallace zog das Höhensteuer zurück, um die beiden von dort wegzubringen.

    Noch mehr Kugeln trafen die Hinterseite des Helikopters.

    Wallace drehte sich in seinem Sitz und schaute nach hinten. »Scheiße. Ich glaube, sie haben den Heckrotor getroffen.«

    »Ist das schlimm?« Es hörte sich schlimm an. Vielleicht hatte das Gespräch vom Abrechnen gestern Abend ihr Glück verhext.

    Wallace warf David ein heiteres Grinsen zu. »Ich glaube nicht, dass es allzu schlimm ist. Wenn er abgebrochen wäre, würden wir bereits trudeln. Vermutlich haben die ihn nur eingebeult. Schnall dich besser an. Ich werde unsere Geschwindigkeit erhöhen und versuchen, unser dynamisches Gleichgewicht zu verbessern. Mit etwas Glück könnten wir nach Hause humpeln.«

    Während der nächsten paar Meilen streiften sie Baumkronen und schwankten über Hügelkämme. Als sie über einem See vorbeiflogen, berührten die Landekufen praktisch das Wasser. David hielt seinen Atem an, während sein Freund damit kämpfte, den Helikopter horizontal zu halten. Wallace’ Haar klebte an seiner Stirn und sein Gesicht war starr wie Beton. Er biss seine Zähne zusammen. Ausnahmsweise hatte er nicht viel zu sagen.

    Sie befanden sich in einer steilen Erosionsrinne, als plötzlich ein Knirschen aus dem hinteren Teil des Helikopters zu ihnen drang.

    »Oh Scheiße, der Rotor ist hinüber«, krächzte Wallace. Er kämpfte mit dem Steuer, doch der Helikopter trudelte bereits wild herum. David klammerte sich an seinen Sitz. Der Wind überfiel ihn. Sein Körper wurde umhergeworfen. Nach links. Hoch. Runter. Er sah den Himmel, die Schlucht, Ginas Lächeln. Sie stürzten in die Tiefe. Der Boden raste auf sie zu. Der Wald verschluckte den stürzenden Helikopter und David hob den Arm schützend vor sein Gesicht.

    ***

    David öffnete die Augen. Er befand sich immer noch angeschnallt in seinem Sitz. Er war am Leben, doch seine Beine taten so verdammt weh, dass er sich beinahe wünschte, tot zu sein. Ein Ast war durch die Windschutzscheibe des Helikopters geschossen und hatte ihn nur um wenige Zentimeter verfehlt. Er schob das Laubwerk aus seinem Gesicht. Eine oder sogar mehrere seiner Rippen mussten gebrochen sein, denn das Bewegen seiner Arme schmerzte höllisch.

    »Wallace? Alles in Ordnung bei dir, Kumpel?« David schaute durch das Astgewirr zum Pilotensitz. Sein Partner war nicht da. War er ins Freie geschleudert worden oder war er aus eigener Kraft herausgeklettert? Für einen Augenblick wurde David von Panik ergriffen. Hatte Wallace ihn hier zum Sterben zurückgelassen?

    »Wallace!«, schrie er, während seine Finger mit dem Sitzgurt kämpften. Schließlich fiel der Gurt von ihm ab. Er versuchte, sich zu bewegen, doch bei dem Versuch wurde er von Schmerz überwältigt. Sein Blick verschwamm. Er steckte fest, sein Bein zwischen dem Sitz und dem Cockpit gefangen.

    »Wallace!« Mit flachem Atem sowie verbluteten und wunden Fingern rang er mit dem Gestrüpp. »Wallace!« Nach seinem Partner zu schreien, gelang ihm nur mit viel Mühe.

    Schließlich war das Fenster frei von Ästen.

    Und David fiel zurück in seinen Sitz. Wallace lag draußen auf dem Boden. »Oh, du dämliches Arschloch.«

    Wallace grinste ihn an. Mit einem Arm hinter seinen Rücken gekrümmt, klemmte er zwischen zwei Baumstämmen fest. Während des Absturzes musste er hinausgeworfen worden sein, denn sein Bein war am Knie zur Seite gespreizt. Der eine Arm, den David sehen konnte, war wegen einer Schramme, die von seiner Schulter bis zum Ellenbogen verlief, in Blut getränkt. Schlimmer noch – es schien, als wäre er mit dem Gesicht am Baumstamm heruntergeglitten, wodurch seine Haut hochgezogen wurde und nun die zerstörten Muskeln darunter zur Schau gestellt waren. Seine Nase fehlte genauso wie seine Lippen. Somit blieben ihm nur die Augäpfel, die aus einem blutigen Hackfleischklumpen herausstarrten. Sein Schnurrbart sowie der Großteil seines Bartes mussten sich irgendwo unter dem Hautlappen befinden, welcher gefaltet auf seinem Kopf lag. Es sah so aus, als wäre sein Gesicht eine Sonnenbrille, die hochgeschoben wurde.

    David drehte sich der Magen um und er erbrach sich, weswegen sich sein gebrochener Oberkörper erheben und wieder senken musste. Und als sein Körper den Schmerz nicht mehr ertragen konnte, verlor er das Bewusstsein.

    Das nächste Mal, als er zu sich kam, versuchte er verzweifelt, jemanden über das Funkgerät zu erreichen. Irgendjemanden. Doch es war zwecklos. Das Funkgerät war ein einziges Wrack.

    Da war ja noch sein Gewehr!

    Er könnte ein paar Schüsse abfeuern. Vielleicht würde ihn ja jemand hören und dem Geräusch auf den Grund gehen. Tief im Inneren wusste er, dass es eher unwahrscheinlich war – jeder, der einen Gewehrschuss hörte, würde denken, es wäre nur ein weiterer Hirschjäger, und würde sich wahrscheinlich sogar noch weiter entfernen, um eine bessere Beute zu erzielen – dennoch tastete er nach dem Gewehr. Das Kolbenblech war in Griffweite, doch der Lauf war im Fußraum eingeklemmt. Mit qualvollem Schieben und Ziehen gelang es ihm, das Gewehr herauszuziehen. Doch bei dem Anblick zog sich sein Herz zusammen. Der Lauf war verbogen, genauso ruiniert wie alles andere. Seine Beine. Wallace’ Gesicht. David unterdrückte ein Schluchzen, während sich die Kälte in seinen Knochen ausbreitete und das Zittern einsetzte. Er erkannte die Anzeichen eines Schocks.

    Das war’s dann. Er steckte hier fest. Er fragte sich, wie lange es dauern würde, bis er starb. Stunden? Tage? Eine Woche? Ein langsamer, langwieriger Tod. Gina wusste, dass sie hier draußen waren, doch Fjordland war groß und nach einem kurzen Blick nach oben wusste er, dass der Helikopter tief unter dem Blätterdach vergraben lag. Der Such- und Rettungsdienst könnte jahrzehntelang nach ihm suchen und ihn nie finden. Der Wald, der Helikopter, dieser Sitz würde sein Grab sein.

    David erschauderte.

    Doch dem makabren Grinsen nach zu urteilen, welches an seine Visage geheftet war, fand Wallace, dass es ein toller Scherz war.

    Manapōuri, 1973

    Gina rieb sich mit den Händen über ihr Gesicht, als sie sich aus dem Sessel erhob, in dem sie die Nacht verbracht hatte. Sie prüfte ihre Uhr: 7:01. Viel zu früh. Sie hätten die Suche noch nicht begonnen. Doch vielleicht waren David und Wallace über Nacht heimgekommen? Eilig lief sie zum Fenster und schob die Netze auseinander, in der Hoffnung den Helikopter wieder auf dem hinteren Feld zu sehen.

    Wunschdenken.

    Dort war nur Wallace’ Ford, den er neben dem Schuppen geparkt hatte. Langsam atmete sie ein, um ihre Enttäuschung zu zügeln. Sie hätte es wissen müssen, denn die beiden hätten sich nicht hereinschleichen können, ohne dass sie es bemerkt hätte. Das Dröhnen der Rotorblätter war kaum zu überhören. An den meisten Tagen reichte das ganze Kommen und Gehen der beiden aus, um Kopfschmerzen zu bekommen. Heute jedoch würde Gina alles dafür geben, um diese Rotoren zu hören. Wenn Gott sie nur dieses eine Mal zurückbringen würde, würde sie sich nie wieder über den Abwind des Helikopters beschweren, der ihre Wäsche immer wieder von der Leine blies.

    Sie ging in die Küche und machte sich eine Tasse Kaffee. Die Küchenuhr zeigte zehn Minuten nach sieben. Immer noch zu früh. Nachdem sie das Hundefutter aus dem Kühlschrank genommen hatte, öffnete sie die Hintertür und befüllte Dukes Schüssel damit. Dann drehte sie den Wasserhahn auf, um seinen Wasserbehälter aufzufüllen. »Duke!«, rief sie.

    Der Schäferhund stieß die Tür der Hundehütte auf und rannte springend hinaus. Bevor Gina ihn mit seinem Frühstück allein ließ, tätschelte sie noch seinen Kopf.

    Wieder im Haus blickte sie erneut auf die Uhr: 7:23.

    Sie öffnete den Ofen und nahm die Auflaufform von letzter Nacht heraus, um die trockenen Reste in den Mülleimer zu schaben. Sie würde David etwas Frisches kochen, wenn er wieder zu Hause war.

    Wenn sie ihn fanden.

    Sie spülte die Auflaufform ab und stellte sie weg. Dann trocknete sie ihre Hände am Geschirrtuch ab, bevor sie es über den Backofengriff hängte.

    Es war genau 7:30 als sie endlich die Nummer auf dem Notizblock, der neben dem Telefon lag, eingeben konnte. Sie fragte nach Patrick Choat. Der Koordinator des Southland Such- und Rettungsdienstes meldete sich mit seiner Stimme, die vom jahrelangen Zigarettenrauchen rau klang.

    »Sie sprechen mit Choat.«

    »Patrick, ich bin es, Gina Summers. Gibt es irgendwelche Neuigkeiten?«

    »Noch nicht, Liebes, aber die ganze Belegschaft ist gerade dabei, sie da draußen zu suchen.«

    »Die Wettervorhersage sieht nicht gut aus.«

    »Wann hat uns schon ein bisschen Regen aufgehalten, hm? Die Jungs werden so lange sie können da draußen bleiben. Versuche, dir keine zu großen Sorgen zu machen. David und Wallace sind zwei clevere Burschen. Ich bin mir sicher, die beiden werden noch auftauchen.«

    Gina bemühte sich, ihrer Stimme eine heitere Note zu geben. »Oh, ich mach mir doch keine Sorgen um die beiden. Ich nehme an, sie werden sich irgendwo niedergelassen haben. Ich sollte wahrscheinlich die Bierkästen nachzählen gehen. Bei meinem Glück haben die beiden bestimmt entschieden, das ganze Wochenende mit Alkohol zu verbringen und haben einfach vergessen, mir Bescheid zu sagen. Gegen Ende des Tages wird David wieder mit hochgelegten Füßen vor dem Fernseher sitzen und eine seiner Spielshows anschauen. Wäre nicht ich dann diejenige, die dumm dastehen würde, wenn ich mich jetzt sorgen würde?«

    Patrick kicherte. »Das ist die richtige Einstellung, Liebes. Wir müssen weiterhin positiv denken, nicht wahr? Ist jemand bei dir?«

    »Nein, ich komme auch allein zurecht. Aber mein Nachbar wird später noch vorbeischauen«, log sie ihn an, während sie einen Finger in das gekräuselte Telefonkabel wickelte.

    »Gut, dann mache ich mal besser weiter, Gina. Sollten wir etwas von den beiden hören, werde ich mich sofort bei dir melden.«

    »Und ich werde darauf warten«, antwortete Gina, doch Patrick hatte bereits aufgelegt.

    Sie ließ sich in den Sessel sinken und legte ihren Kopf in ihre Hände.

    Fjordland, 1973

    Als David den Kopf hob, ließ ihn die kleine Bewegung zusammenfahren.

    Er konnte seine Beine nicht mehr spüren. Sie waren erstarrt. Seine Lippen waren aufgerissen und trocken. Zu diesem Zeitpunkt wäre er bereit gewesen, seine eigene Mutter umzubringen, wenn er im Gegenzug etwas zu trinken bekäme.

    Hat da gerade jemand gesprochen? Vielleicht Hirschjäger? Angestrengt versuchte er zu lauschen. Jemand war in der Nähe! Sein Herz machte einen Sprung. Vielleicht würde er doch nicht sterben.

    »Hey, ich bin hier!«, rief er, was seine Brust vor Schmerz explodieren ließ. »Hier drüben!« Vielleicht konnten sie den Helikopter nicht sehen. Er konnte sie nicht ohne ihn gehen lassen. Also musste er mehr Lärm machen, auch wenn es ihn umbringen würde. Mit dem beschädigten Gewehr gegen die Seite des Cockpits schlagend krächzte er: »Helft mir!«

    Nach einer Weile hörte er mit dem Lärmen auf und lauschte erneut. Es war niemand mehr zu hören. Waren sie auf dem Weg zu ihm? Raschelte es gerade hinter dem Helikopter? Versuchten seine Erretter durch das Unterholz zu kommen? Entgegen dem Schmerz in seiner Brust atmete David langsam ein und versuchte, sich zu beruhigen. Er musste geduldig sein. Der Wald um ihn herum war dicht und das Gelände steil. Er könnte schwierig sein, zu ihm zu gelangen.

    »Mein Name ist David Summers«, sagte er, nachdem er sich entschlossen hatte, seinen Rettern eine Stimme zu geben, der sie folgen konnten. »Es macht mir nichts aus zuzugeben, dass ich verdammt froh bin, euch zu treffen. Ich habe schon gedacht, ich wäre ein verlorener Mann, wisst ihr? Der Heckrotor wurde beschädigt und wir erlitten einen Sturzflug. Ich stecke hier fest. War hier die ganze Nacht. Scheint, als wären meine Beine nicht in ihrer Bestform, also hoffe ich, ihr habt eine Klapptrage dabei. Haha, vermutlich nicht. Vielleicht aber eine Aspirintablette. Dazu würde ich gerade nicht nein sagen.« Er kicherte, doch das Brennen in seinen Seiten erinnerte ihn daran, es sich noch mal gut zu überlegen, ob er denn wirklich lachen wollte.

    Plötzlich vernahm er ein Gemurmel, das hinter dem Helikopter zu ihm vordrang.

    Und auf einmal dachte David, es könnte ein Swanndri-Typ sein, der gekommen war, um ihm den Garaus zu machen. Doch das war unwahrscheinlich; nachdem die Schüsse abgefeuert waren, waren Wallace und er meilenweit vom Flussbett weggeflogen. Wahrscheinlicher war es, dass es zu schwierig war, sich einen Weg zurück durch das Gestrüpp zu bahnen. Wenn es aber wirklich der Schütze war, würde David einfach das Risiko eingehen müssen. Es war ja nicht so, als hätte er viele Möglichkeiten zur Auswahl.

    »Wenn ihr von der Backbordseite kommt, so seid gewarnt: Mein Kumpel hat es nicht überlebt. Er sieht auch nicht gerade gut aus. Ich würde sogar sagen, etwas entsetzlich.«

    David nahm eine Bewegung wahr. Wenige Sekunden später blickten ihn mehrere Gesichter durch die Helikoptertür an. Vier Männer. Groß und hellhäutig. Und abgesehen vom weißen Stofffetzen, den sie um ihre Hüften gebunden trugen, waren sie nackt. Grundgütiger. War ihnen nicht kalt? Was war das denn? Eine Art Hippiekommune? Vermutlich. Man nannte sie ja nicht umsonst die freizügigen 70er. Heutzutage gab es eine Unmenge an alternativen Lebensstilen, auch wenn deren Anhänger eigentlich dazu tendierten, sich in wärmeren Regionen zusammenzuscharren, wie zum Beispiel in Northland am oberen Ende des Landes. David hatte noch nie von solchen hier unteren gehört.

    »Hey«, sagte er.

    Die Männer antworteten nicht.

    »David Summers. Sehr erfreut, euch kennenzulernen.« Sich einem Haufen halbnackter Männer vorzustellen, fühlte sich etwas dumm an. Da er sich aber vor nicht allzu langer Zeit sicher gewesen war, dass er sterben würde, konnten sie auch Tutus und Diademe tragen – er wäre trotzdem erfreut, sie hier zu treffen.

    Schließlich sprach ein breitnasiger Mann, der eine Reihe von Worten ausspie. Er richtete sie an einen der anderen Männer, welcher ihm zischend antwortete. Seltsam. David erkannte die Sprache nicht. Es könnte Māori gewesen sein – er hatte sich nie die Mühe gemacht, mehr als ein paar Worte zu lernen – aber es klang nicht wie Maōri.

    Während die beiden stritten, bot ein dritter Mann David einen Schluck aus einer alten Feldflasche an. David nahm sie an und trank dabei alles aus. Es war eine verdammt scheußliche Brühe, eine Art Tee, doch nach einer Nacht gefangen in einem Helikopter, war es David egal, solange es seinen Durst stillen konnte.

    Breitnase stieß etwas bellend hervor, was den Streit letztendlich beendete. Dann benutzen er und der Feldflaschentyp zwei Holzspeere als Hebel, um das zertrümmerte Metall zurückzubiegen, und die beiden zogen David aus dem Helikopter heraus.

    David wurde von einer Welle aus Übelkeit und Schmerz erschüttert und schrie auf, worauf er zu Boden fiel. Sein linkes Bein fühlte sich so an, als wäre es mit einem heißen Schüreisen durchstochen worden. Er blickte an sich herunter und stellte fest, dass seine Wade missgestaltet war: Die Haut war noch ganz, doch seine Achillessehne war durchtrennt worden und hatte sich vom Knochen gelöst, weshalb sich der nutzlose Muskel hinter seinem Knie zusammengehäuft hatte.

    Er würde nicht bald aus dem Wald herausspazieren können.

    Und somit trugen ihn die Männer; genauso wie Wallace, was David in den Momenten, in denen er nicht bewusstlos war, bemerkte. Als er das nächste Mal bei Bewusstsein und sich seiner Umgebung bewusst war, befanden sie sich auf einem Strand. Die felsigen Klippen der Sounds erhoben sich über ihnen. Scheinbar machte das kalte Wasser den blassen Männern nichts aus, denn sie tauchten hinein, ohne auch nur mit der Wimper zu zucken, und nahmen Wallace mit sich. David erhaschte einen Blick auf das Gesicht seines Freundes – auf die Hautmaske mit ihren leeren Augenhöhlen –, während er unter die Wasseroberfläche glitt.

    Dann schlug sich Breitnase mit David herum, als er ihn mit sich in das eisige Wasser zog.

    »Was? Nein …«

    Sie hatten ihn gerettet, nur um ihn jetzt zu ertränken?

    Einen Scheiß werden sie tun.

    David befreite sich aus Breitnases Umklammerung und versuchte verzweifelt, auf Händen und einem Knie zum Strand zu kriechen, sein unbrauchbares Bein hinter sich herschleppend. Seine gebrochenen Rippen schrien vor Schmerz und seine Wunden brannten, während er aus dem Wasser kroch. Doch der Mann ergriff ihn und riss ihn zurück. David hatte kaum Zeit, um einen qualvollen Atemzug zu nehmen, bevor er unter Wasser gezogen wurde.

    Breitnase hielt David fest umklammert, wodurch er dessen Rippen zusammendrückte und ihn somit daran hinderte, sich zu bewegen. Aufgrund eines aufflammenden Schmerzes wurde David von Schwindel ergriffen. Wenn er jetzt das Bewusstsein verlor, würde er ertrinken! Zu schwach, um sich zur Wehr zu setzen, hörte David mit dem Sträuben auf und hielt an der verbliebenen Luft in seinen Lungen fest.

    Breitnase begann zu schwimmen und zog sie sanft durch das dunkle Gewässer. Er versuchte nicht, ihn zu ertränken. Er wollte ihn irgendwo hinbringen. Und es war eiskalt, ganz, als würden sie in einem Eimer voll Eis schwimmen.

    David ließ sich dahintragen und versuchte, sich gleichzeitig zu orientieren. In diesen Sounds, wo das Meer riesige Höhlen in das Land meißelte, von denen einige mehr als 500 Meter tief waren, traf Salzwasser auf Süßwasser. Und er sah es mit eigenen Augen: Die Salzwasserschicht unter ihm war so dunkel wie das Trikot der All Black. Breitnase hielt sich an der trüben Süßwasserschicht und am Schelf, der sich ungefähr 3 Meter unter der Wasseroberfläche befand. Die anderen Männer, die Wallace immer noch mit sich zogen, waren in eine Höhle geschwommen. Davids Puls pochte, als sie ihnen hineinfolgten.

    Und zwar nicht in eine Höhle, sondern in einen Tunnel. Führt dieser irgendwo hin? Langsam ging ihm die Luft aus.

    Breitnase bewegte sie zügig durch die Stille. Ein horizontaler Riss, der so groß wie ein Laster war, klaffte zu ihrer Rechten. Durch die trübe Dunkelheit erspähte David eine Bewegung.

    Dort befand sich etwas. Etwas Großes. Oh mein Gott, es kam aus dem Riss heraus. David wollte schreien, wollte Breitnase sagen, er solle die beiden so schnell wie möglich von hier wegbringen, doch der blasse Mann umklammerte David nur noch fester und schwamm weiter. Hilflos konnte David nichts anderes tun, als mit Entsetzen zuzusehen, wie ein Monster langsam zum Vorschein kam, während seine Lungen zu platzen drohten.

    Es war gigantisch, mehr als fünfzig Meter groß, hatte einen kegelförmigen Körper, der so groß wie ein Wal war, und leuchtete auf eine unheimliche Art und Weise. Tintenfischtentakeln, die weiß und breiter als der Stamm eines Tōtara-Baumes waren, wogten in der Dünung und eine riesige Pupille betrachtete ihn boshaft.

    Bei dem Anblick lockerten sich Davids Gedärme und etwas Warmes breitete sich um seine Beine herum aus.

    Auf einmal löste sich der Feldflaschentyp von der Gruppe vor ihnen. Er schwamm zum Monster und zerrte Wallace’ Leichnam mit sich. Davids Herz hämmert in seiner Brust. Der Feldflaschentyp warf Wallace im Wasser umher. Anschließend ließ er ihn los und schwamm davon.

    Aus einem Wirbel von Gliedmaßen, die mit Saugnäpfen übersät waren, streckten sich zwei Tentakeln mit Widerhaken heraus, stachen in die Opfergabe und zogen sie zu sich. Ein riesengroßer Schnabel schloss sich um Wallace, bevor sich das Seeungeheuer wieder zurück in die Schatten schlich.

    Und als Wallace’ Gesicht frei im Wasser umherschwebte, zog Breitnase David fort.

    Kapitel 2

    Fjordland, Gegenwart

    Ka sonnte sich gerade auf einem Stein, die Füße unter sein Gesäß gezogen, als er eine Veränderung des Luftstroms wahrnahm. Auf einmal wurde der Wind stärker, was das Rascheln der Blätter bezeugte. Ka witterte die Luft, vernahm jedoch nur die normalen Waldgerüche, die aus Buchenduft und Verwelkung bestanden. Dennoch hatte ihn etwas alarmiert. Im Himmel erschien etwas, was sofort seine Aufmerksamkeit erregte. Die Silbervögel kamen wieder angeflogen. Im Augenblick waren sie weit entfernt, doch das tiefe Dröhnen ihrer Flügel wurde immer lauter. Schnell flüchtete er zum Fuß des Felsbrockens, nahm mit seiner Hand etwas Wasser auf und bespritzte die Kinder damit, die am Wasserrand spielten.

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