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Das Osteoporose Manual: Biologie, Diagnostik, Prävention und Therapie
Das Osteoporose Manual: Biologie, Diagnostik, Prävention und Therapie
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eBook1.397 Seiten7 Stunden

Das Osteoporose Manual: Biologie, Diagnostik, Prävention und Therapie

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Über dieses E-Book

Heute ist der Knochenschwund als früh diagnostizierbare und gut behandelbare Krankheit einzustufen. Ein tieferes Verständnis der komplexen Knochenbiologie, eine standardisierte Diagnostik der Osteoporose, leicht umsetzbare Vorsorgeprogramme, neue wirksame Medikamente und erprobte operative Verfahren zur Versorgung osteoporotischer Frakturen rechtfertigen diese optimistische Einschätzung. Alle diese Fortschritte sind in diesem Manual in systematisch aufgebauten, ausführlichen und reich bebilderten 61 Kapiteln mit berücksichtigt. „Key points“ am Anfang der Kapitel und Übersichten im Anhang verbessern den praktischen Nutzen zusätzlich.

SpracheDeutsch
HerausgeberSpringer
Erscheinungsdatum14. Juli 2021
ISBN9783662625286
Das Osteoporose Manual: Biologie, Diagnostik, Prävention und Therapie

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    Buchvorschau

    Das Osteoporose Manual - Reiner Bartl

    Teil IDas Skelett

    © Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2021

    R. Bartl, C. BartlDas Osteoporose Manualhttps://doi.org/10.1007/978-3-662-62528-6_1

    1. Evolution des Skelettes

    Reiner Bartl¹   und Christoph Bartl¹  

    (1)

    Osteoporosezentrum München am Dom, München, Deutschland

    Reiner Bartl (Korrespondenzautor)

    Email: reiner.bartl@osteologie-online.de

    Christoph Bartl

    Email: info@osteoporose-bartl.de

    1.1 Vom Urmeer bis zum Präkambrium

    1.2 Die „kambrische Explosion"

    1.3 Evolution des äußeren Skelettes

    1.4 Vom äußeren zum inneren Skelett

    1.5 Vom Baustoff Kalziumkarbonat zum Kalziumphosphat

    1.6 Evolution der Wirbelsäule

    1.7 Eroberung des Festlandes

    1.8 Ansiedelung der Blutbildung im Knochengerüst

    1.9 Das menschliche Skelett – ein Meisterwerk der Evolution

    Literatur

    Key points

    Die Entwicklungsgeschichte des Skelettes war entscheidend für das Überleben von mehrzelligen Lebewesen im Wasser und auf dem Lande.

    Die „kambrische Explosion" – die Geburtsstunde des Außenskelettes.

    Die Entwicklung von Panzern und Greifarmen (Exoskelett) – ein ständiges Wettrüsten von Jägern und Gejagten, das Spiel von Jagen und Verstecken.

    Die Entwicklung des Endoskelettes – ein entscheidender Vorteil für das Überleben.

    Beide Körpergerüste – Außen- und Innenskelett – erlaubten den Tieren komplexere Körper auszubilden und damit schneller und größer zu werden und dadurch im Überlebenskampf zu bestehen.

    Die Produktion harter Substanzen ermöglichte die Überwindung der Schwerkraft im Wasser und v. a. auf dem Lande.

    Die Umstellung von Kalziumkarbonat auf Kalziumphosphat – das Material für den hochwertigen Knochenbaustoff Hydroxylapatit und für die hohe Belastbarkeit des Knochens.

    Die Entwicklung der Wirbelsäule und des Muskelsystems – die Basis für schnelle Beweglichkeit.

    Die Funktionseinheit „Knochen-Knochenmark-System" – die Basis für den dynamischen Knochenumbau, die Selbstreparatur und die Blutbildung.

    1.1 Vom Urmeer bis zum Präkambrium

    Die Erde entstand vor rund 4500 Mio. Jahren. Dies entspricht rund einem Drittel seit der Entstehung des Kosmos. Die ältesten tierischen Fossilien (Vielzeller) stammen aus der Zeit um 500–1000 Mio. Jahren vor der Entstehung der Menschen. Eine Tauchfahrt durch das Urmeer vor ungefähr 600 Mio. Jahren wäre sehr eintönig und unspektakulär verlaufen. Gerade 10 Mio. Jahre zuvor war die Erde aus einer mehrere Millionen Jahre dauernden Eiszeit erwacht, die selbst am Äquator Gletscher wachsen ließ. Die Erde hatte über viele Millionen Jahre ausgesehen wie gegenwärtig der Jupitermond Europa, dessen gesamte Oberfläche von einem mächtigen Eispanzer bedeckt ist. Die sonnenlichtabhängige, auf pflanzlicher Photosynthese beruhende Biosphäre war erstarrt und völlig zusammengebrochen. Das Leben hatte harte Zeiten hinter sich und es bevölkerten nur einfachste Organismen die Ozeane. Der Meeresboden war bedeckt von festen Bakterienmatten und an den Küsten wuchsen durch die Photosynthese von Blaualgen riesige Kalktürme, „Stromatolithen". Von höheren, differenzierten Tieren keine Spur!

    Auf dem Grund der Ozeane entlang der tektonischen Bruchzonen zwischen den qualmenden Schloten der „Black Smokers" allerdings wimmelte es geradezu von bizarrem Leben. Die Biomasse in diesen Tiefseeoasen schätzen Experten auf mehrere Kilogramm pro Quadratmeter. Die Basis des Ökosystems in dieser Unterwelt konnte nicht die Photosynthese der Pflanzen im Küstenbereich sein, sondern eine Chemosynthese der Mikroben: Schwefelbakterien oxidierten den in den Schloten aufsteigenden Schwefelwasserstoff.

    Im anschließenden Präkambium entwickelten sich erste mehrzellige Lebewesen: Schwämme und Nesseltiere, primitive Vorfahren aller modernen Tierstämme. Langsam entwickelten sich wesentlich komplexere Lebewesen, spiegelbildlich aufgebaute Lebewesen („Bilateralia "). Diese Tiere hatten erstmals unterschiedliche Gewebe, ein Nervensystem, einen Blutkreislauf, innere Organe und Mund- und Darmöffnungen. In Gestein, das älter als 550 Mio. Jahre ist, findet man aber kaum Lebensspuren von diesen Tierarten. Die Tiere waren offensichtlich zu klein, zu weich und hatten kein Skelett, um erkennbare Fossilien im Gestein zu hinterlassen.

    Die Entwicklungsgeschichte des Skelettes – ein spannender Roman mit vielen Kapiteln, und noch kein Ende abzusehen.

    1.2 Die „kambrische Explosion"

    50 Mio. Jahre später aber hat sich das Bild gründlich gewandelt: Das ganze Meer wimmelte von vielfältigem Leben. Mit Beginn des Erdzeitalters Kambrium vor 550 Mio. Jahre wurden plötzlich Sedimente voller kleiner Schalen, Zähnchen und Stacheln abgelagert. Angesichts der schier endlosen Epoche von mehr als 3 Mrd. Jahren, in denen nur primitive Einzeller die Ozeane bevölkerten, musste jetzt ein Ereignis für die entscheidende Zündung dieses „Urknalls des Lebens" aufgetreten sein.

    Die „kambrische Explosion" – die Geburtsstunde des Aussenskelettes.

    Diese „kambrische Explosion" hatte wahrscheinlich sowohl äußere wie innere Ursachen:

    Erwärmung und Zirkulation der Ozeane und zunehmende Sauerstoffkonzentration in der Atmosphäre. Nährstoffreiche Tiefenwässer strömten nach oben und überschwemmten die Schelfgebiete mit Nährstoffen.

    Anreicherung der Ozeane mit Kalzium. Infolge der Erosion auf den Urkontinenten wurden gewaltige Mengen an Kalzium und anderen Mineralien in die Meere gespült. Kalzium ist zwar bei zu hoher Konzentration ein Zellgift, die Lebewesen machten aber aus der Not eine Tugend. Sie verarbeiteten die Kalziummengen zu Schalen und Panzern: die Geburt der Außenskelette (Ektoskelette) (Abb. 1.1). Die Hartschalen dienten anfangs v. a. als Schutz gegen hohe Wellen- und Strömungsbewegungen und markierten den Beginn der „kambrischen Radiation (Stammbaum)" mit Entwicklung immer raffinierterer Skelette, die das Überleben garantierten.

    Entwicklung von Fleischfressern. Das Auftreten der ersten „Raubtiere" war ein wesentlicher Katalysator der Evolution und es begann ein unaufhörliches Wettrüsten zwischen Jägern und Gejagten, mit vielfältigen Möglichkeiten durch die neuen Gene: Greifarme, Stacheln, Flossen und Augen. Damit kam ein neues Gesetz der Evolution in die Welt: Fressen und gefressen werden. Natürlich hatte unter diesem Prinzip derjenige einen Vorteil, der sich zu panzern vermochte.

    Entwicklung von Panzern und Schalen. Das große Angebot von Kalzium und anderen Mineralien im Wasser beschleunigte die Entwicklung einer Vielfalt von harten Substanzen zum Schutz vor den „Jägern. Skelette erwiesen sich als eine bahnbrechende Erfindung im Sinne der Evolution. Mithilfe dieser Stützen vermögen Lebewesen erstmals komplexere Körper auszubilden und größer, schneller und widerstandsfähiger zu werden. Durch Einlagerung von Kalziumkarbonat in organische Matrixgewebe entstanden schützende Panzer, Schalen und Dornen für die „Gejagten (Abb. 1.2), aber auch neuartige Jagdwerkzeuge wie Zähne und Klauen für die „Jäger (Abb. 1.3). Die Hartteile der Tiere aus der Zeit der „kambrischen Explosion, einem geologisch kurzen Zeitraum von nur 10–20 Mio. Jahre, finden sich in den Becken ehemaliger Meere als meterdicke Sedimentschichten.

    ../images/490481_1_De_1_Chapter/490481_1_De_1_Fig1_HTML.png

    Abb. 1.1

    Versteinerung eines großen Ammoniten. Die Kalkgehäuse der Ammoniten hatten einen Durchmesser von 2–200 cm mit 4–12 getrennten, luftgefüllten Kammern

    ../images/490481_1_De_1_Chapter/490481_1_De_1_Fig2_HTML.png

    Abb. 1.2

    Drei Varianten eines Exoskelettes: form- und funktionsgerecht – und auch schön!

    ../images/490481_1_De_1_Chapter/490481_1_De_1_Fig3_HTML.png

    Abb. 1.3

    Variante eines knöchernen Werkzeuges bzw. einer Waffe mit zahlreichen Zähnen, evolutionär betrachtet ein umgewandelter Oberkiefer

    Der kambrische Ozean erwies sich als „Spielwiese der Evolution" mit Entwicklung merkwürdigster Kreaturen. Das früheste bekannte Lebewesen, das die hohe Konzentration von Mineralstoffen im Ozean nutzte, ist Cloudina , ein 1,5 cm kleines längliches Wesen, das sich mit der Produktion von steinharten Wohnröhren gegen Feinde erfolgreich zu schützen wusste. Es lebte vor ca. 550 Mio. Jahre, gilt als das erste „skeletonized und „biomineralized Fossil und ist inzwischen ausgestorben. Das Tier drehte beim Absondern der Kalkteilchen den Kopf und schichtete so nach und nach schubweise eine Röhre um sich herum auf. Dieses erste Exoskelett sieht aus wie ineinander geschichtete Eiswaffeln. Die harte Röhre stützte den weichen Körper und schützte vor den meisten Feinden. Manche Schnecken, die zu Beginn des Kambriums eine Blütezeit erlebten, bauten gewundene Gehäuse, die sie auf dem Rücken mit sich herumtragen und in die sie sich bei Gefahr zurückziehen können. Der überwiegende Anteil dieser Tiere starb wieder aus, doch unter denen, die sich durchsetzen konnten, befanden sich bereits die Vorläufer aller Tiere, die heute die Erde besiedeln. Biologisch erfolgreiche Modelle dagegen wie die Monoplacophora, primitive Vorläufer der Schnecken, haben 450 Mio. Jahre nahezu unverändert überdauert. Man findet zum Beispiel Neopilina immer noch als lebendes Fossil im Pazifik in 3000 m Tiefe. Heute gibt es immer noch Tiere mit einem immer wieder angepassten äußeren Skelett, die also mit einer Schale oder Panzer umhüllt sind, etwa Muscheln, Insekten oder Spinnen.

    1.3 Evolution des äußeren Skelettes

    Nur wenige Tierarten kommen ganz ohne Körperstütze aus, sie haben aber mit Einsatz von starken Giften andere Strategien zur Verteidigung entwickelt. Ein großer Nachteil der Tiere mit Panzern und Schalen liegt in der geringen Beweglichkeit und im geringen Fluchtpotenzial gegenüber den zunehmend schneller werdenden Jägern. Eine wichtige Entwicklung stellen kräftige Muskeln dar, die den Körper der Schnecken mit dem Gehäuse verbinden. Bei Gefahr vermögen sie sich rasch in die schützenden Kammern zurückzuziehen. Die scharnierartige Verbindung zweier Schalen bei Muscheln ermöglicht eine ruckartige Fortbewegung und eine weitere Mobilität.

    Die Entwicklung von Greifarmen und Kalkpanzern spiegelt das ständige Wettrüsten zwischen Jägern und Gejagten wieder. Das neue Gesetz der Evolution lautet: „fressen oder gefressen werden".

    Eine Tiergruppe übertrifft aber mit Hilfe eines ausgeklügelten Muskel-Skelett-Systems und dessen Segmentierung alle anderen an Vielfalt: die Gliederfüßer. Von ihnen stammen später alle Insekten, Krebstiere, Spinnen und Tausendfüßer ab. Die ausgeklügelte Mischung von Kalzium, Eiweiß und Kohlenhydrat, bekannt als Chitin, erlaubt die Konstruktion unterschiedlichster Organe wie Fangarme, Scheren, Zangen und Kauwerkzeuge. Einen großen Nachteil aber hat das Außenskelett der Gliederfüßer: ist die harte Schale einmal gebildet, vermag sie nicht mehr mit dem größer werdenden Körper zu wachsen. Sie zwängt die Tiere in ein steifes Korsett und erlaubt kein Wachstum. Der Akt einer „Häutung" bedeutet in der gefahrvollen Unterwasserwelt aber eine unverzeihliche, ja tödliche Fehlentwicklung.

    1.4 Vom äußeren zum inneren Skelett

    Tiere mit einem inneren Skelett, einem Gerüst aus Knorpel, Knochen oder einer Kombination von beidem, sind Fische, Amphibien, Reptilien, Vögel und Säugetiere. Die Nachfolger der Chordatiere, die heutigen Wirbeltiere, verlagerten das stützende Außenskelett (Ektoskelett) nach innen (Endoskelett), entwickelten ein ausgeklügeltes Muskelsystem und gewannen dadurch eine bedeutend höhere Beweglichkeit.

    Mit der Entwicklung des Innenskelettes werden Jäger und Gejagte schneller, ein entscheidender Vorteil für das Überleben.

    In der Tat brachte die Umstellung vom Außen- zum Innenskelett einen entscheidenden Vorteil für die Entwicklung des Bewegungsapparates und vergrößerte v. a. den Aktionsradius. Die Geschwindigkeit der Fortbewegung wurde entscheidend für das Überleben und damit zur Triebfeder der weiteren Evolution. Auch das Wachstum des Lebewesens wird nicht mehr eingeschränkt.

    1.5 Vom Baustoff Kalziumkarbonat zum Kalziumphosphat

    Ein weiterer Fortschritt in der Entwicklung eines stabilen, aber leichten Innenskelettes (Endoskelett) und für die Beweglichkeit liegt im chemischen Bereich: Das in den Hartteilen eingebaute strukturlose Kalziumkarbonat wird durch kristallines Kalziumphosphat ersetzt.

    Die Umstellung von Kalziumkarbonat auf Kalziumphosphat schuf den elastischen und stabilen Baustoff für das Skelett: die Basis für die Leichtbauweise des Knochens.

    Im Meereswasser und auf dem Land waren riesige Mengen des Minerals Kalzium komplex mit Pyrophosphat gelöst. Vulkane und Thermalquellen aus dem Meeresboden speien Unmengen gelöster Mineralien in die Ozeane, Regen wäscht verwitternde Gesteine aus, massenhaft werden Kalzium und Phosphat ins Meer gespült. Diese „Krise" erweist sich aber als Glücksfall für die Evolution: Die Lebewesen sind in der Lage, diese Flut an Mineralien in ihren Zell zu verarbeiten. Die Zellen scheiden diese stark kalziumhaltigen Substanzen aus und lagern sie auf der Außenseite ihrer Körper ab, wo sie langsam in Schichten kristallisieren. Durch enzymatische Spaltung des Pyrophosphats in Phosphat wird schwerlösliches Kalziumphosphat in Form von Hydroxylapatit, Ca10(PO4)6OH, in die neu entwickelte Knochenmatrix eingelagert (Abb. 1.4). Dieses Baumaterial bestehend aus Kollagen und wenige Nanometer großen Kalziumphosphatkristallen ist gegenüber dem unelastischen, brüchigen und leicht löslichen Kalziumkarbonat der Schalentiere fester, elastischer und säureresistenter: der ideale Baustoff für die Anforderungen der Leichtbauweise.

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    Abb. 1.4

    Enzymatische Spaltung von Kalziumpyrophosphat im extrazellulären Raum (Meer) und Einbau von Kalziumphosphat in Form von kristallinem Hydroxylapatit in die Knochenmatrix

    1.6 Evolution der Wirbelsäule

    Vor etwa 500 Mio. Jahren tauchte ein kleiner unscheinbarer und urtümlicher Fisch auf, der beim Überlebenskampf nicht mehr auf einen Panzer, sondern auf eine simplen biegsamen Stützstab aus Bindegewebe im Körperinneren baute. Das machte ihn zu einem besonders schnellen und wendigen Schwimmer. Aus diesem Stab entwickelte sich allmählich die gegliederte Wirbelsäule, anfangs aus Knorpel, später aus Knochen (Knorpel- und Knochenfische). An die Wirbel schließen sich Gräten bzw. Rippen an, die den Körper schützen und weiteren Muskeln Halt bieten. Neben der Optimierung der Fortbewegung entstehen im Bereich der Kiemen knöcherne Kiefer, mit denen die Fische ihre Beute ergreifen und zermalmen können. Einige Arten werden so zu den größten Räubern der Ozeane: die tonnenschweren Haie.

    1.7 Eroberung des Festlandes

    Nachdem an der Grenze Silur/Devon (etwa vor 400 Mio. Jahren) die Pflanzen das Festland zunehmend besiedelten, versuchten in der Folge nun auch die tierischen Organismen auf das Land zu folgen. Anders als im Wasser wirkten auf dem Land aber Kräfte, die denkbar lebensfeindlich waren:

    Die Schwerkraft zieht auf dem Land wesentlich stärker am Körper, sie macht z. B. den Körper einer Amöbe „platt".

    Der Körper trocknet an Land ohne schützende Außenhaut oder Schale schnell aus.

    Die Luft filtert das UV-Licht weitaus weniger als Wasser. Diese Strahlung schädigt aber das Erbgut.

    Erst die Entwicklung eines leichten Baustoffs ermöglichte das Verlassen der Ozeane und die Besiedelung des Festlandes.

    Trotz all dieser Hindernisse haben die Tiere und Pflanzen diesen gewaltigen Schritt auf das Land geschafft. Sie sind dem Meer entstiegen und haben das Land und die Luft erobert (Abb. 1.5). Die ersten Wesen, die im Wasser und für kurze Zeit auch auf dem Trockenen überleben konnten, hatten eine einfache Lunge und kräftige Stützflossen, um sich von einem Gewässer zum nächsten zu bewegen Im ausgehenden Devon (vor etwa 350 Mio. Jahren) spalteten sich die Amphibien aus der Gruppe der Knochenfische ab und begannen das Festland zu besiedeln. Aus ihnen entwickelten sich die Reptilien, die die Hauptvertreter der Wirbeltiere ab dem Karbon darstellten. Die Belastung durch die Schwerkraft auf dem Lande stellte besondere Ansprüche auf die Belastbarkeit des Knochens, die mit vielfältigen Neuerungen bezüglich einer Leichtbauweise des Knochens gemeistert wurde: die „Spongiosierung und die „Lamellierung des Knochengewebes. Zusätzlich wurde durch die Entwicklung von Markhöhlen Raum für die Blutbildung, für das Knochenmark, geschaffen.

    ../images/490481_1_De_1_Chapter/490481_1_De_1_Fig5_HTML.png

    Abb. 1.5

    Evolution des Skelettes, vom Röhrenwurm (Cloudina) bis zum Säugetier, vom Wasser auf das Land und in die Luft

    Die nächste Entwicklungsstufe waren die Dinosaurier, die bis Ende der Kreidezeit (etwa vor 60 Mio. Jahren) Herrscher auf der Erde waren. Die Ankylosaurier schützten sich mit dicken Knochenplatten in ihrer Haut (Prinzip der uneinnehmbaren Festung gegenüber Fleischfressern). Diese Rüstung entwickelte sich in den ersten Lebensjahren und verschlang Unmengen von Kalzium und Phosphat. Bonner Paläontologen konnten kürzlich zeigen, dass die Panzer-Dinos ihre langen Skelettknochen als Mineralquelle nutzten und wahrscheinlich in der Jugend phasenweise unter starkem Knochenschwund litten. Sobald die Panzerung komplett war, wurde der Knochen in den Extremitäten wieder verstärkt.

    Vor dem jähen Aussterben der Dinosaurier entwickelten sich die Vögel mit der Modellierung besonders leichter Knochen (Prinzip des elastischen, belastbaren spongiösen Knochens). Der bis heute anhaltende Siegeszug der Säugetiere begann mit dem Massensterben der Dinosaurier vor etwa 60 Mio. Jahre.

    1.8 Ansiedelung der Blutbildung im Knochengerüst

    Ein weiterer Fortschritt in der Evolution des Skelettes stellt das Zusammenspiel der Blutbildung und des Knochens dar. Das Knochenmark findet einerseits in den zahlreichen Spongiosaräumen des Skelettes Schutz, andererseits werden Knochenzellen direkt aus dem Knochenmark rekrutiert (Osteoklasten von der hämatopoietischen Stammzelle und Osteoblasten und Osteozyten von der Stromazelle), sodass man von einer anatomischen wie funktionellen Einheit, dem Knochen-Knochenmark-System , spricht (Abb. 1.6a, b).

    ../images/490481_1_De_1_Chapter/490481_1_De_1_Fig6_HTML.jpg

    Abb. 1.6

    (a) Beckenkammbiopsie mit Darstellung der Spongiosa und der Hämatopoiese. Acrylat-Einbettung, Giemsa-Färbung. (b) Schützender Knochen und blutbildendes Knochenmark: der geniale Schritt der Evolution zum multifunktionalen Knochen-Knochenmark-System. Das Skelett liefert das Gerüst und den Schutzraum („homing"), das Knochenmark die Gefäßversorgung, das Immunsystem, die Hämatopoiese und die Vorläufer der Knochenzellen

    Die enge topografische Verbindung des Knochens mit dem blutbildenden Knochenmark ermöglichte die Entwicklung der Anpassung und Selbstreparatur des Knochens.

    Der ständig ablaufende Knochenumbau („modelling und „remodelling) und die Frakturheilung wären ohne Rekrutierung von Zellen aus dem benachbarten Knochenmark nicht denkbar. Der Knochen ist ein intelligentes Gewebe, das sich selbst der jeweiligen Belastung anpassen und Verletzungen heilen kann, – mit Hilfe des Knochenmarks.

    1.9 Das menschliche Skelett – ein Meisterwerk der Evolution

    Diese Stadien der Entwicklung des Lebens im Wasser und auf Erden lassen sich durch Fossilienfunde belegen. Damit läßt sich in den Versteinerungen die Entwicklung des intelligenten inneren Skelettes aus einfachen äußeren Schalen und Panzern eindrucksvoll chronologisch nachvollziehen. So fällt insbesondere das Vogelskelett durch die Raffinesse seiner Leichtbauweise („Pneumatisierung") auf, die das Fliegen erst ermöglichte. Das derzeitige moderne Skelett der Säugetiere besticht einerseits durch seine Belastbarkeit und Elastizität (Widerstand gegen die allgegenwärtige Schwerkraft), andererseits durch sein niedriges Gewicht (Vorteile für Beweglichkeit und schnelle Fortbewegung). Beim Menschen entfallen durch die Leichtbauweise des Knochens nur 10–15 % des Gesamtkörpergewichtes auf das Skelett (7–10 kg), während 30 kg Muskulatur für die Bewegung der Skelettteile verantwortlich sind. Abb. 1.7 fasst einige Messwerte des menschlichen Skelettes im Erwachsenenalter zusammen. Mit einer ausgewogenen Mischung aus kompaktem und spongiösem Knochen passt sich der individuelle Knochen seinem für ihn speziellen Belastungsmuster an (Abb. 1.8), zu erkennen an den Trajektions- oder Spannungslinien im Röntgenbild. Im Vokabular der Biomechanik handelt es sich beim menschlichen Skelett um eine „form- und funktionsgerechte Konstruktion". Die im mikroskopischen Bereich erkennbare Lamellierung und die ausgewogene Mineralisation der Knochenmatrix sind für die hohe Elastizität und Bruchfestigkeit des Knochens verantwortlich. Kollagenfasern besitzen eine hohe Zugfestigkeit und sind kaum dehnbar. Die dichte Wicklung ist entscheidend für die hohe Zugfestigkeit von Kollagenfasern.

    ../images/490481_1_De_1_Chapter/490481_1_De_1_Fig7_HTML.png

    Abb. 1.7

    Das menschliche Skelett – ein Meisterstück der Architektur. Es umfasst etwa 220 individuelle Knochen, jeder speziell geformt durch den Prozess des Modelling und ständig erneuert und angepasst durch den Prozess des Remodelling. Es wiegt ungefähr 10 kg (Mineralien 50–70 %, organische Matrix 20–40 %, Wasser 5–10 % und Fettgewebe 3 %) und beträgt 15 % des Körpergewichtes

    ../images/490481_1_De_1_Chapter/490481_1_De_1_Fig8_HTML.png

    Abb. 1.8

    Bauprinzipien des Knochens im proximalen Femur: Anordnung von kompaktem und spongiösem Knochen mit belastungsabhängigen Trajektionslinien (Verstärkungen des Trabekelnetzes nach Zug und Druck)

    Kollagen ist entwicklungsgeschichtlich ein uraltes Protein, das bei allen vielzelligen Tieren – bei Schwämmen bis zu den Säugetieren – hauptsächlich in der extrazellulären Matrix vorliegt. Kollagene finden sich dagegen nicht bei anderen Organismen wie Pilzen, Pflanzen oder Einzellern. Die Evolution der Einzeller zu den Vielzellern wäre ohne die Erfindung des Kollagenmoleküls nicht möglich gewesen. Kollagen ist neben Hämoglobin ein Meisterwerk funktionsgerechter hochkomplexer Moleküle, die die Evolution der Säugetiere entscheidend geprägt haben.

    Das Knochengewebe wird von Knochenzellen aufgebaut, geformt, den Belastungen angepasst und bei Verletzungen repariert. Osteoblasten produzieren das Kollagen und andere Matrixproteine und Osteoklasten bauen den alten, minderwertigen Knochen ab. Osteozyten sind die bei weitem häufigsten Knochenzellen und überwachen und regulieren mit einem weitverzweigten Kanalsystem die Funktion und Alterung des Knochengewebes (Abb. 1.9). Hochkomplexe zelluläre Knochenumbaueinheiten erneuern altes Knochengewebe, passen die Knochenstruktur ständig den Erfordernissen an und sind zudem auf die Ausheilung von Mikrofrakturen bis hin zu sekundären Makrofrakturen ausgelegt. Das heutige menschliche Skelett ist somit in allen Strukturordnungen – vom molekularen über den mikroskopischen bis in den makroskopischen Bereich – ein über 500 Mio. Jahre weiterentwickeltes Meisterwerk der Bioarchitektur, die Selbstreparatur bei Brüchen mit eingeschlossen (Abb. 1.10 und  1.11) [1–3]!

    ../images/490481_1_De_1_Chapter/490481_1_De_1_Fig9_HTML.png

    Abb. 1.9

    Osteozyt, eingebettet in einer Höhle im Knochengewebe. Lange zytoplasmatische Ausläufer in einem weitverzweigten Kanalsystem („canaliculi") verbinden die Osteozyten untereinander und stehen mit der Knochenoberfläche in Kontakt; Elektronenmikroskop (EM)

    ../images/490481_1_De_1_Chapter/490481_1_De_1_Fig10_HTML.png

    Abb. 1.10

    Strukturordnungen des Knochens, die für die Stabilität und Elastizität des Knochens verantwortlich sind: vom makroskopischen über den mikroskopischen bis in den molekularen Bereich

    ../images/490481_1_De_1_Chapter/490481_1_De_1_Fig11_HTML.jpg

    Abb. 1.11

    Lamellierung der Kompakta, mitverantwortlich für die Elastizität des Knochens. Polarisation, Gomori

    Literatur

    1.

    Bartl R, Frisch B (1993) Biopsy of bone in internal medicine, an atlas and sourcebook. Kluwer, Dordrecht/Boston/LondonCrossref

    2.

    Heuck F (1976) Allgemeine Radiologie und Morphologie der Knochenkrankheiten. In: Diethelm L (Hrsg) Diseases of the skeletal system (roentgen diagnosis) Teil I. Springer, Berlin/Heidelberg/New York, S 3–267

    3.

    Heuck F, Vanselow K (1980) Klinische Osteologie: Radiologische Methoden. In: Kuhlenkordt F, Bartelheimer H (Hrsg) Klinische Osteologie A, Handbuch der Inneren Medizin, 6. Band Teil 1A. Springer, Berlin/Heidelberg/New York, S 221–372

    © Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2021

    R. Bartl, C. BartlDas Osteoporose Manualhttps://doi.org/10.1007/978-3-662-62528-6_2

    2. Knochenstruktur

    Reiner Bartl¹   und Christoph Bartl¹  

    (1)

    Osteoporosezentrum München am Dom, München, Deutschland

    Reiner Bartl (Korrespondenzautor)

    Email: reiner.bartl@osteologie-online.de

    Christoph Bartl

    Email: info@osteoporose-bartl.de

    2.1 Übersicht und Funktion des Skelettes

    2.2 Struktur des Knochens

    2.3 Biomechanik des Knochens

    2.4 Blutgefäße und Nerven des Knochens

    Literatur

    Key points

    Das Skelett wiegt etwa 8–10 kg, macht etwa 10–15 % des Körpergewichts aus und besteht – je nach Alter und Definition – aus etwa 220 Einzelknochen.

    Das Skelett hat 4 Aufgaben zu erfüllen: Stützfunktion und Fortbewegung, Schutzfunktion innerer Organe, Kooperation mit dem Knochenmark und Mineraldepot.

    Die komplexe Verbindung von Knochenmatrix und Kalziumphosphat bildet das belastbare Baumaterial, vergleichbar mit dem Baumaterial des Spannbetons („Zweiphasenkomponente").

    Der Knochen vereint als Baustoff die beiden wesentlichen Baueigenschaften Rigidität und Elastizität bei gleichzeitig niedrigem Gesamtgewicht.

    Das Knochengewebe – „high tech" vom makroskopischen Bereich (kortikaler und trabekulärer Knochen) über den mikroskopischen Bereich (Lamellierung) bis in den molekularen Bereich (Kollagenfibrillen, Einbau der Mineralien).

    Im Gegensatz zu technischen Materialen kann der Knochen seine Struktur den mechanischen Belastungen anpassen, er kann sich selbst regenerieren, anpassen und reparieren.

    2.1 Übersicht und Funktion des Skelettes

    Das menschliche Skelett ist unsichtbar in den Tiefen des Körpers unter Haut, Faszien und Muskeln versteckt und seine Existenz kann allenfalls getastet oder bei einem Knochenbruch schmerzhaft gespürt werden (Abb. 2.1). Es umfasst 208–214 einzelne Knochen (ohne die etwa 50 Sesambeine), wiegt etwa 10 kg und macht etwa 15 % des Körpergewichtes aus, mit folgender Zusammensetzung:

    29 Schädelknochen (davon 6 Gehörknöchelchen und ein Zungenbein),

    28–32 Knochen der Wirbelsäule,

    25 Knochen des Brustkorbs,

    4 Schultergürtelknochen,

    2 Hüftbeine (als Beckenknochen Verschmelzungsprodukt aus dem paarigen Darm-, Scham- und Sitzbein),

    60–62 Knochen der oberen und

    60 Knochen der unteren Extremitäten.

    ../images/490481_1_De_2_Chapter/490481_1_De_2_Fig1_HTML.png

    Abb. 2.1

    Das Skelett – unsichtbar in den Tiefen des Körpers versteckt

    Säuglinge haben sogar über 300 Knochen, von denen einige im weiteren Verlauf zusammenwachsen. Eine Grobunterteilung unterscheidet das Skelett des Stamms (Rumpfskelett) vom Skelett der Extremitäten (Extremitätenskelett).

    Als Organ hat das Skelett 5 Funktionen zu erfüllen:

    1)

    Stütz- und Fortbewegungsorgan: Es gibt unserem Körper die Form und bildet das Gerüst des „Bewegungsapparates", gemeinsam mit Muskeln, Sehnen, Faszien und Gelenken.

    2)

    Schutzorgan: Es gibt uns Schutz vor äußeren Einwirkungen. So schützen die Rippen wie ein Panzer Herz und Lunge, der Schädel umgibt als knöcherne Box das Gehirn, die Wirbelsäule schützt Rückenmark und Nerven für die sensorische und motorische Versorgung in der Peripherie und das Becken die weiblichen Geschlechtsorgane (Abb. 2.2).

    3)

    Knochen-Knochenmark-System: Das Knochengewebe ist mit der Hämatopoiese viel enger verknüpft als bisher angenommen. Beide Funktionssysteme – Hämatopoiese und Skelett – haben gemeinsame Vorläuferzellen und ein gemeinsames hochspezialisiertes Gefäßsystem mit einer hohen Durchblutungsrate.

    4)

    Mineraldepot,Kollagen, nichtkollagene Proteineund Proteinasen: Der Knochen ist die größte Mineralbank unseres Körpers. Es sind 99 % des gesamten Kalziums, 85 % des Phosphats und 50 % des Magnesiums im Knochen gespeichert. Ungefähr 1–1,5 kg Kalzium sind als Hydroxylapatit im Knochen eingebaut. Die mineralisierte Knochensubstanz besteht zu 50 % aus anorganischen Materialien, zu 25 % aus organischer Grundsubstanz (Matrix) und zu 25 % aus Wasser. Die Matrix enthält 90 % Kollagen Typ I und 10 % andere nichtkollagene Proteine wie z. B. die Glykoproteine Osteokalzin, Osteonektin, Bone Sialoprotein, Osteopontin sowie verschiedene Proteoglykane. Die lebenswichtige Kalziumhomöostase bedient sich des Skeletts als fast unerschöpfliches Depot. Die Mobilisation von Kalzium aus dem Knochen und die Einlagerung von Kalzium in das Skelett werden über das Parathormon in Verbindung mit aktivem Vitamin D gesteuert. Osteoklasten sezernieren zahlreiche lysosomale Proteine wie Kathepsin K und Metalloproteinasen (MMP-9), während Osteoblasten und Osteozyten neutrale Proteinasen wie z. B. Plasminogenaktivatoren (PAs) und Metalloproteinasen (MMP-13) produzieren.

    5)

    Endokrine Regulation des Energiehaushaltes: Die notwendigen Mechanismen umfassen Leptin und Osteokalzin, mit denen der Glukosespiegel im Blut und die Adipositas gesteuert werden. Eine Fehlsteuerung dieses Energiegleichgewichtes beeinträchtigen die Organe Leber, Pankreas und Skelettmuskulatur, die wiederum den Knochen beeinträchtigen.

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    Abb. 2.2

    Das Skelett –Schutzorgan aller empfindlichen und wichtigen inneren Organe

    2.2 Struktur des Knochens

    Der Knochen hat zwei mechanische Aufgaben zu erfüllen: Belastbarkeit und Elastizität bei möglichst niedrigem Gesamtgewicht. Dies realisiert er mit einer durchdachten, funktionsgerechten Architektur der einzelnen Knochen, einer „Lamellierung" der Matrix nach den Spannungslinien (Abb. 2.3) und einer speziellen Mischung der Baumaterialien, die wir im Bauwesen als Prinzip des Spannbetons kennen: die Zweiphasenkomponente [1–3]. So besteht der Knochen aus einer elastischen Knochenmatrix, in der lange Kollagenmoleküle wie Seile in Schichten angeordnet sind. Dazwischen wird Kalzium und Phosphat in kristalliner, plattenartiger Form (Kalziumapatit-Kristalle) eingelagert und verfestigt, wobei die Kristallgröße im Nanobereich einzuordnen ist. Magnesium und Spurenelemente dienen auch als Quelle für die Mineralhomöostase. Tierexperimentelle und klinische Studien haben belegt, dass jede Strukturveränderung, insbesondere die Vergröberung der Kristalle oder die Zusammensetzung der Matrix, eine Qualitätsminderung verursachen können.

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    Abb. 2.3

    Lamelläre Anordnung der Kollagenfibrillen in Knochenbälkchen mit zentralem Knochenpunkt. Die Dichte der Knotenpunkte ist entscheidend für die Belastbarkeit des Knochens; Polarisationsmikroskopie, Gomori

    Die hohe Belastbarkeit des Knochens wird durch folgende Baukomponenten erreicht:

    Seilartige Anordnung der Kollagenmoleküle

    Einbau von Kalziumphosphat-Kristallen zwischen den Hohlräumen

    Belastungsorientierte Lamellierung der Trabekel

    Verknüpfungen der Trabekel untereinander (Knotenbildung, „nodi")

    Belastungsorientiertes Zusammenspiel von kompaktem und spongiösem Knochen.

    Zu den Matrixproteinen gehören neben dem Typ-I-Kollagen noch Osteopontin, Osteokalzin und die Sialoproteine. Vor allem Osteokalzin zählt zu den gebräuchlichsten osteoblastären Knochenmarkern im Serum. Die aktive, karboxylierte Form des Osteokalzins ist an der Mineralisation des Knochens beteiligt. An der Aktivierung des Osteokalzins ist Vitamin K als Kofaktor der γ-Glutamylkarboxylase beteiligt. Vitamin-K-Antagonisten, wie z. B. Warfarin bei langjähriger Antikoagulantientherapie, führen daher zu einer Mineralisationsstörung, niedrigeren Knochenumbauraten und letztendlich zu Knochenschwund.

    Osteokalzin und seine größeren Fragmente im Serum sind ein gebräuchlicher Indikator für Knochenformation.

    Die Glykoproteine wie z. B. Osteoadherin, Osteopontin und Sialoproteine dienen der Reifung von Osteoblasten, dem „Andocken der Osteoklasten auf der Knochenoberfläche und der Anlagerung von Kalzium an die Knochenmatrix. Spurenelemente, Wasser und Riesenmoleküle (Mucopolysaccharide) dienen als Leim, der die Proteinseile mit den Mineralkristallen fest verbindet und an Oberflächen „Zementlinien bildet. Proteoglykane sind Makromoleküle, die für die Integrität der Knochenmatrix verantwortlich sind und als Regulatoren des Knochenaufbaus wirken. Das Kollagen ist für die Elastizität zuständig, die kristallinen Mineralien für die Festigkeit und Rigidität des Knochens. Die Kollagenbündel sind in parallelen, lamellären Matrixschichten wellenförmig angeordnet (Abb. 2.4) und über Kittlinien verknüpft.

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    Abb. 2.4

    Lamelläre, wellenförmige Anordnung der Kollagenfibrillen im Knochenbälkchen, mit Einlagerung von kristallinem Hydroxylapatit zwischen den „Kollagenseilen"; Giemsa-Färbung

    Der äußere Anblick des Knochens verbirgt die geniale Architektur. Erst im Anschnitt und im Röntgenbild (Abb. 2.5) oder in der aufgeschnittenen Knochenbiopsie (Abb. 2.6a, b) erkennen wir die beiden Bauelemente:

    Kompakta (Kortikalis, Knochenrinde): Sie bildet die Oberfläche der Röhrenknochen, ist extrem dicht und hat eine niedrige metabolische und resorptive Rate. Die Lagen der Knochenrinde der langen Röhrenknochen (Femur, Tibia, Humerus und Radius) bestehen aus Osteonen, auch Havers-System genannt (Abb. 2.7a). Sie setzen sich zusammen aus longitudinal angeordneten Zylindern von ungefähr 5 mm Länge und bestehen aus 5–20 Ringen (Abb. 2.7b). Die Kortikalis besitzt drei verschiedene Oberflächen mit unterschiedlicher Struktur: das Endost mit Abgrenzung zu den Markräumen, das Periost als Abgrenzung nach außen zu den Ligamenten, Sehnen und Muskeln und die Oberflächen innerhalb der Osteone als Abgrenzung zu Gefäßen und Nerven.

    Spongiosa (trabekulärer Knochen, Knochenbälkchen): Das axiale Skelett (Schädel, Wirbelsäule, Thorax und Becken) hat eine spezielle Konstruktion aus Knochenbälkchen, die genau nach den Belastungslinien (Trajektionslinien) angeordnet sind und teils spongiöse, teils plattenförmige Strukturen bilden (Abb. 2.7c). Die Dichte der trabekulären „Knoten" zwischen den Bälkchen korreliert mit der Stabilität und Belastbarkeit des Knochens.

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    Abb. 2.5

    Frontalschnitt durch den proximalen Femur, der die belastungsabhängige Verteilung von Kompakta und Spongiosa zeigt. Die Spongiosazüge (Hauptspannungslinien, Trajektorien) sind schematisch eingezeichnet

    ../images/490481_1_De_2_Chapter/490481_1_De_2_Fig6_HTML.png

    Abb. 2.6

    a, b Darstellung der Knochenstruktur in der Beckenkammbiopsie: a) angeschnittener Acrylatblock, b) Semidünnschnitt, Gomori-Färbung zur Darstellung von Kompakta und Spongiosa

    ../images/490481_1_De_2_Chapter/490481_1_De_2_Fig7_HTML.png

    Abb. 2.7

    (a) Knochenstrukturen mit Darstellung des Periostes, der Spongiosa und der Kortikalis einschließlich deren Gefäße und Nerven. (b) Mikroradiogramm der proximalen Femurdiaphyse eines 85-jährigen Mannes. Die Diaphysenkompakta ist zum Markraum (links) hin bereits lakunenhaft aufgelockert; Vergr. 10×. (c) Verschiedene Formationen der Spongiosa aus Bälkchen, Lamellen und Platten. (b und c [2])

    Die Gesamtmasse des normalen Skelettes beträgt etwa 10 kg, wobei 8 kg auf kompakten Knochen und nur 2 kg auf Spongiosa entfällt. Dafür hat die Spongiosa eine 10-fach größere Oberfläche als die Kompakta.

    Der Anteil an Spongiosa variiert in den verschiedenen Skelettregionen:

    Lendenwirbel 75 %,

    Kalkaneus 70 %,

    proximaler Femur 50–75 %,

    distaler Radius 25 %,

    Radiusschaft 5 %.

    Die chemische Zusammensetzung (Mineralien, Matrix) von trabekulärem und kortikalem Knochen unterscheiden sich nur wenig. Hauptunterschiede für die mechanischen Eigenschaften beider Knochenarten liegen vielmehr in der Bauweise der Knochenmatrix (Lamellierung) und im Grad der Porosität, die beim kortikalen Knochen von 5–30 % und beim spongiösen Knochen von 30–90 % reicht. Die mechanischen Eigenschaften beider Knochenarten hängen von folgenden Eigenschaften ab:

    Dichte,

    Grad der Mineralisierung,

    Porosität,

    Mikrostruktur (Lamellierung der Matrix),

    Kollagengehalt,

    Dicke der Knochenrinde und Grad der Spongiosierung (Zunahme im Alter!),

    Anordnung der Knochenbälkchen und deren Dichte an Verknüpfungen,

    Versorgung mit Blutgefäßen.

    Diese mechanischen Eigenschaften werden durch die Art und Weise der Belastung bestimmt:

    schnelle oder langsame Belastungen,

    Zug, Dehnung oder Scherung.

    Während im kortikalen Knochen ein deutlicher Unterschied der mechanischen Eigenschaften zwischen Zug- und Druckbelastung besteht, ist dieser im trabekulären Knochen weit weniger ausgeprägt. Wiederholte starke, zyklische Belastungen führen zu Beschädigungen auf mikrostruktureller Ebene, resultieren in einer Abnahme der Steifigkeit und Festigkeit des Knochengewebes und führen schließlich zu Ermüdungs- oder Stressfrakturen sowohl am kortikalen wie am trabekulären Knochen.

    Die langen Röhrenknochen zeigen fünf topografische Abschnitte (Abb. 2.8):

    Die Epiphysen, die proximalen und distalen Gelenkenden, die zwischen den Epiphysenscheiben und dem Gelenkknorpel liegen.

    Die Metaphysen, die die Diaphyse an beiden Seiten mit den jeweiligen Epiphysen verbinden.

    Die Diaphyse, das lange, zylindrische Mittelstück, das sich aus Osteonen zusammensetzt. Im Inneren befindet sich die Markhöhle.

    Die Epiphysenscheiben trennen Epi- und Metaphyse und stellen eine Gefäßgrenze dar.

    Die Apophyse, eine sekundäre Epiphyse, die einen größeren Knochenvorsprung bildet, an denen Sehnen und Bänder inserieren.

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    Abb. 2.8

    Der Röhrenknochen mit 5 topografischen Abschnitten: 2 Epiphysen, 2 Metaphysen und die lange Diaphyse. Hinzu kommen die Epiphysenscheiben zur Abgrenzung von Epi- und Metaphysen sowie die Apophyse, die einen größeren Knochenvorsprung bildet

    2.3 Biomechanik des Knochens

    Der Knochen bildet ein stabiles Gerüst, das die inneren Organe schützt, die Körpergestalt gegen die Kräfte der Gravitation aufrechthält und im Zusammenspiel mit den Muskeln und Sehnen die Fortbewegung ermöglicht. Der Knochen hat dabei zwei mechanische Aufgaben zu erfüllen: Belastbarkeit und Elastizität bei möglichst niedrigem Gesamtgewicht. Dies realisiert er mit einer durchdachten Architektur (kortikal vs. trabekulär), einer Orientierung der Matrix nach den Spannungslinien (Lamellierung und Trajektionslinien) und einer speziellen Mischung der Baumaterialien (Kollagen- und Mineralgehalt). Der kortikale Knochen der Diaphyse ist an eine maximale Druck- und Scherbelastung angepasst, während der trabekuläre Knochen der Metaphyse die auftretenden Kräfte gleichmäßig auf eine möglichst große Knorpelfläche des Gelenkes verteilt (Pascal = Kraft pro Flächeneinheit). So sorgen die beiden Bauprinzipien des Oberschenkelknochens für eine maximale Belastbarkeit: Die Diaphyse entspricht der Röhrenbauweise des Fernsehturms und die Metaphyse der Fachwerkkonstruktion des Baukrans (Abb. 2.9a, b). Ein zusätzlicher Hauptgrund für die verschiedenen biomechanischen Eigenschaften ist die unterschiedliche Porosität (5–30 % beim kortikalen Knochen und 30–90 % beim trabekulären Knochen). Beim alternden Knochen kommt es zu einer verstärkten Porosität des kortikalen Knochens, die zu einer verminderten Belastbarkeit und damit zu einer erhöhten Bruchneigung führt. Die mechanische Belastbarkeit und Frakturneigung wird zusätzlich durch die Art und Weise der Belastung (schnelle oder langsame Krafteinwirkung sowie Zug, Dehnung oder Scherung) beeinflusst.

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    Abb. 2.9

    (a) Die beiden Bauprinzipien des Femur sorgen für eine maximale Belastbarkeit: die Röhrenbauweise des Fernsehturms und die Fachwerkkonstruktion des Kranes. (b) Darstellung des kortikalen und spongiösen Knochens des proximalen Femur im Mazerationspräparat. (Aus Heuck [2])

    Die Biomechanik untersucht und analysiert v. a. die Tragfähigkeit des Knochens, deren Überschreiten zu einem Knochenbruch führt. Die Tragfähigkeit hängt von folgenden Faktoren ab:

    Architektur (Größe, Form, Porosität),

    Trabekelstruktur (Dicke, Anzahl der Resorptionslakunen, Verknüpfungspunkte),

    Material (Matrix, Mineralien, Knochendichte),

    Anzahl der Mikrofrakturen,

    einwirkende Kräfte (N, Newton) und Momente (Nm, Newtonmeter),

    Art der Kräfte (harte Schläge oder Dauerbelastung, Zug, Druck, Scherung).

    Die lokal wirkenden Belastungen werden auf die wirkende Fläche bezogen und als Spannung (Pascal, Kraft pro Flächeneinheit) bezeichnet. Als Reaktion auf die Belastungen deformiert sich der Knochen und diese Verformung wird als Längenänderung in Millimetern gemessen. Die relative Verformung bezieht sich auf die Gesamtgröße des Knochens und wird dimensionslos in % angegeben. Das Kraft-Verformungs-Diagramm zeigt die beiden wichtigsten Eigenschaften des Knochens: Steifigkeit und Elastizität (Abb. 2.10 und 2.11).

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    Abb. 2.10

    Die Hauptbelastungen des Knochens: a) Zug, b) Druck, c) Torsion

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    Abb. 2.11

    Kraft-Verformungs-Diagramm zur Bestimmung der mechanischen Eigenschaften des Knochens (Steifigkeit, elastischer Bereich, Übergang, plastischer Bereich, Bruch)

    2.4 Blutgefäße und Nerven des Knochens

    Alle Funktionen des Skelettes einschließliche Bewegung, Beherbergung der Hämatopoiese, Kalzium/Phosphat-Metabolismus und endokrine Sekretion hängen von einer geregelten Blutversorgung ab. Das Gefäßsystem des Knochens (Abb. 2.12) liefert als Transportsystem Sauerstoff, Baustoffe, regulatorische Faktoren und sogar Vorstufen von Knochenzellen und transportiert ausgereifte hämatopoietische und lymphatische Zellen sowie metabolische Abbauprodukte ab. Das Knochen- und Knochenmarkgewebe selbst hat einen intensiven Stoffwechsel und bedarf daher einer hohen Durchblutung (bis zu 1 L Blut pro Minute, ungefähr 10–20 % des gesamten kardialen Auswurfs entsprechend).

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    Abb. 2.12

    Arterielle und venöse Blutversorgung langer Röhrenknochen (proximaler Femur)

    Vor allem das rote Knochenmark ist reich mit spezialisierten Blutgefäßen versorgt. Die Markarterien gelangen als Vasa nutricia – begleitet von zahlreichen Nervenfasern – über Kanäle in der Diaphyse in den Binnenraum des Knochens und verzweigen sich in den Markräumen. Die lokale Durchblutung wird durch lippenartige, nerval gesteuerte Sphinkter am Abgang der arteriellen Gefäße gesteuert (Abb. 2.13). Sie gehen in Arteriolen und Kapillaren und diese selbst in dünnwandige Sinusgefäße über. Die Wände der Sinusoide bestehen aus einer einfachen Lage von Endothelzellen und einer immer wieder unterbrochenen Adventitia. Die arteriellen Gefäße sind zusätzlich von Perizyten ummantelt, die zusätzliche Aufgaben bei der Regulation der hämatopoietischen Areale ausfüllen. Unterschieden werden die Marksinus im Zentrum der Markräume, die für den Eintritt reifer Blutzellen in den Blutkreislauf verantwortlich sind, und die endostalen Sinus, die mit den „lining cells der Knochenoberfläche in Kontakt stehen und die Energieversorgung und den Stoffwechsel des Knochens gewährleisten (Abb. 2.14). Expansion und Kontraktion des Sinussystems innerhalb des starren Knochengerüstes werden unterstützt durch den Blutrückfluss aus dem Knochen, der durch eine Sogwirkung über das Periostvenengeflecht sowie über größere Venen (Vasa nutricia) mittels Muskelkontraktionen („Muskelpumpe) entsteht. Eine zusätzliche Blutversorgung übernehmen epiphysale, metaphysale und periostale Arterien, die den subchondralen Knochen, die Wachstumsfuge, einen Teil des trabekulären Knochens und den äußeren Anteil des kortikalen Knochens versorgen. Im kortikalen Knochen verlaufen die Havers-Gefäße vertikal in den Osteonen, während die Volkmann-Gefäße im rechten Winkel auf die Havers-Gefäße zulaufen und vom Periost ausgehen (Abb. 2.15). Bei einer Atrophie des Knochens und mit reduzierter Hämatopoiese werden die weiten Sinusgefäße zunehmend durch Fettzellen ersetzt („paratrabekuläre Adipozytensäume"). Lymphgefäße finden sich nur im Bereich des Periostes, nicht aber im Inneren des Knochens.

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    Abb. 2.13

    Arterielle Gefäße im Knochenmark. Beachte den lippenartigen Sphinkter am Abgang eines Gefäßes zur Regulation des Blutflusses

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    Abb. 2.14

    Endostaler Sinus auf der Oberfläche eines Knochenbälkchens zur Energie- und Materialversorgung

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    Abb. 2.15

    Arterielle Blutversorgung des kompakten Röhrenknochens vom Periost aus über die Havers-Kanäle (längsorientiert) und Volkmann-Kanäle (querorientiert), bis in die Spongiosa reichend

    Die Mehrheit (>80 %) der Nerven im reifen Knochen sind nur dünn oder nicht myeliniert. Die Verteilung, Dichte, Typen und Aufgaben der Nerven und Nervenfasern im Knochen sind unterschiedlich. Sie sind v. a. in Nachbarschaft von Gefäßstrukturen (Abb. 2.16) zu finden und besonders mit 4 Kompartimenten verknüpft [4]:

    Nachbarschaft zu den zentralen Sinus, Kapillaren und Arteriolen in den Markräumen zur Regulation der Durchblutung und zur Steuerung des Übertrittes reifer hämatopoietischer Zellen in den Blutkreislauf.

    Nachbarschaft zu den „bone remodelling units" und den endostalen Sinus auf der endostalen Knochenoberfläche zur Steuerung des Knochenumbaus und der Durchblutung in diesem Bereich. Bei Vorliegen einer Markatrophie und eines verminderten Knochenumbaus mit Vermehrung des Fettgewebes nimmt auch die Dichte der Nerven und Gefäße deutlich ab.

    Im Periost und in den kortikalen Poren zur Registrierung mechanischer Stimuli („loading") und zur Schmerzempfindung.

    Sympathische und parasympathische Nerven steuern den ausgewogenen Knochenumbau und die Knochenreparatur.

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    Abb. 2.16

    Querschnitt durch einen Nerv (links unten) und eine Arterie (rechts oben) in Nachbarschaft zum Knochen und zum endostalen Sinus (unten); Gomori-Färbung

    Literatur

    1.

    Bartl R, Frisch B (1993) Biopsy of bone in internal medicine, an atlas and sourcebook. Kluwer, Dordrecht/Boston/LondonCrossref

    2.

    Heuck F (1976) Allgemeine Radiologie und Morphologie der Knochenkrankheiten. In: Diethelm L (Hrsg) Diseases of the skeletal system (roentgen diagnosis) Part 1. Springer, Berlin/Heidelberg/New York

    3.

    Heuck F, Vanselow K (1980) Klinische Osteologie: Radiologische Methoden. In: Kuhlenkordt F, Bartelheimer H (Hrsg) Klinische Osteologie A, Handbuch der Inneren Medizin, 6. Band Teil 1A. Springer, Berlin/Heidelberg/New York, S 221–372

    4.

    Sayilekshmy M, Hansen R, Delaissé J et al (2019) Innervation is higher above bone remodelling surfaces and in cortical pores in human bone: lessons from patients with primary hyperparathyroidism. Nat Sci Rep 9:5361Crossref

    © Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2021

    R. Bartl, C. BartlDas Osteoporose Manualhttps://doi.org/10.1007/978-3-662-62528-6_3

    3. Knochenzellen

    Reiner Bartl¹   und Christoph Bartl¹  

    (1)

    Osteoporosezentrum München am Dom, München, Deutschland

    Reiner Bartl (Korrespondenzautor)

    Email: reiner.bartl@osteologie-online.de

    Christoph Bartl

    Email: info@osteoporose-bartl.de

    3.1 Abstammung der Knochenzellen

    3.2 Osteoklasten (knochenabbauende Zellen)

    3.3 Osteoblasten (knochenaufbauende Zellen)

    3.4 Osteozyten (knochenüberwachende Zellen)

    3.5 Endostale Lining Cells (schützende Knochenzellen), endostale Sinus und Adipozyten

    Literatur

    Key points

    Hauptakteure beim Aufbau sowie bei der Anpassung und Erneuerung des Knochens sind spezialisierte Zellen des Knochenmarks: Osteoklasten, Osteoblasten, Osteozyten und Lining Cells.

    Osteoklasten (knochenabbauende Zellen) sind vergleichbar mit „Bagger", die alten Knochen in nur wenigen Tagen abbauen.

    Osteoblasten (knochenaufbauende Zellen) sind mesenchymalen Ursprungs und bauen den Knochen langsam über viele Wochen wieder auf. Ihre Hauptfunktion ist die Synthese von Knochenmatrix (überwiegend Kollagen).

    Eine ungestörte Mineralisation der Knochenmatrix ist entscheidend für die mechanische Belastbarkeit des Knochens. Vitamin D- und Kalziummangel, Hormonersatztherapie (HRT), antiresorptive und osteoanabole Therapie beeinflussen die Mineralisation und damit das Frakturrisiko.

    Osteozyten (knochenüberwachende Zellen) sind multifunktionale Zellen und entwickeln sich aus „eingemauerten Osteoblasten. Sie dienen der Regulierung, Erneuerung, Anpassung und Versorgung des Knochengewebes. Über ein weitverzweigtes Kanalsystem („canaliculi) sind sie untereinander und mit der Oberfläche verbunden und kontrollieren die Aktivität der Osteoblasten und Osteoklasten. Die Osteozyten spielen auch eine wesentliche Rolle bei der Entstehung bestimmter Krankheiten: z. B. bei der diabetischen Osteopathie und dem Wachstum von Tumorzellen im Knochen.

    Endostzellen (Lining Cells, knochenschützende Zellen) bilden eine Schutzschicht auf der Knochenoberfläche während der „Ruhephase" und haben eine wichtige Funktion in der Aktivierungsphase der Osteoklasten.

    3.1 Abstammung der Knochenzellen

    Von der Abstammung her ist das Knochengewebe ein spezialisierter, „verknöcherter" Anteil des Knochenmarkstromas. Die Hauptmasse des Knochens besteht aus extrazellulärer mineralisierter Grundsubstanz, produziert und ständig erneuert von spezialisierten mesenchymalen Zellen. In der Tat stammen Osteoblasten, Osteoklasten und deren Vorstufen von Zellen des Knochenmarks ab: Osteoblasten und Osteozyten von multipotenten mesenchymalen Stammzellen (MSCs) des Knochenmarkstromas und Osteoklasten vom Granulozyten-Makrophagen-System der Hämatopoiese. Weitere Zellen wie Stammzellen, Fibrozyten, Adipozyten (Fettzellen), Adventitiazellen, Endothelzellen, Immunzellen und hämatopoietische Zellen bilden ein strukturell komplexes Netzwerk, das die funktionelle Einheit von Knochen und Knochenmark bildet und steuert (Abb. 3.1a, b) [1].

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    Abb. 3.1

    (a) Das Knochen-Knochenmark-System: eine enge Verknüpfung der Zellsysteme untereinander. (b) Abstammung der Knochenzellen. M-CSF Macrophage Colony-Stimulating Factor; IL-6 Interleukin 6; OPG Osteopotegerin; RANKL Receptor Activator of Nuclear Factor-kB Ligand

    3.2 Osteoklasten (knochenabbauende Zellen)

    Für diese ständigen Reparaturen bedient sich das Knochengewebe spezialisierter Zellen:

    Osteoklasten bauen alten Knochen in nur wenigen Tagen ab (Abb. 3.2). Diese mehrkernigen Riesenzellen leiten sich von Zellen der Hämatopoiese (Monozyten-Vorläufer, Monozyten, Makrophagen) ab. Selbst die im Blut zirkulierenden Monozyten können sich zu voll funktionsfähigen Osteoklasten differenzieren. Je nach Aktivität haben sie 4–20 Kerne und liegen in ihren Resorptionslakunen (Howshisp’sche Lakunen). Die Zellgröße, die Anzahl der Zellkerne, der Nachweis von Nukleolen und die Lakunentiefe verraten die Aggressivität der Osteoklasten (Abb. 3.3a, b und 3.4). Charakteristisch ist die stark gefaltete Zellmembran („ruffled border") auf der Knochenoberfläche (Abb. 3.3b, 3.4, und 3.5a). Hier werden große Mengen proteolytischer Enzyme (Matrixmetalloproteinasen, Kathepsine) und H+-Ionen sezerniert, die die Mineralkristalle auflösen und die restliche Matrix verdauen (Abb. 3.5b).

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    Abb. 3.2

    Schematische Darstellung der Struktur, Funktion und Steuerung des Osteoklasten

    ../images/490481_1_De_3_Chapter/490481_1_De_3_Fig3_HTML.png

    Abb. 3.3

    (a) Flache Resorptionslakune mit beginnender osteoklastischer Tätigkeit; Giemsa-Färbung. (b) Aktiver Osteoklast mit charakteristischer, stark gefalteter Zellmembran („ruffled border), vergleichbar mit dem Bild einer „gefräßigen Raupe; Giemsa-Färbung

    ../images/490481_1_De_3_Chapter/490481_1_De_3_Fig4_HTML.png

    Abb. 3.4

    Hochaktive mehrkernige und nukleolenhaltige Osteoklasten bei Morbus Paget des Knochens; Gomori-Färbung

    ../images/490481_1_De_3_Chapter/490481_1_De_3_Fig5_HTML.png

    Abb. 3.5

    (a) Aktiver Osteoklast mit schlauchförmigem „ruffled border" (links oben) bei der Auflösung des Knochenmaterials (links unten); Elektronenmikroskopie (EM). (b) Bei stärkerer Vergrößerung Nachweis von ganzen Knochenpartikeln in intrazytoplasmatischen Vesikeln (Pfeile) des Osteoklasten; EM

    Viele genetische Erkrankungen, die den Osteoklasten betreffen, sind charakterisiert durch eine anomale Funktion des „ruffled border".

    Im Blut tauchen die Kollagenfragmente wie z. B. die carboxyterminalen Telopeptide (CTx) auf und dienen als klinische Marker für den Knochenumbau. Der klassische Enzymmarker der Osteoklasten ist die tartratresistente saure Phosphatase (TRAP). Lysosomale Enzyme finden sich im endoplasmatischen Retikulum, im Golgi-Apparat und in Transportvesikeln. Die zahlreichen Mitochondrien verraten den hohen Energieverbrauch der Knochenresorption. Die Kristalle werden vom Kollagen getrennt und im sauren Milieu in Kalzium und Phosphat aufgelöst. Die übrigbleibenden Kollagenfasern werden von Kollagenasen und Kathepsinen bei niedrigem pH-Wert zu Aminosäuren (z. B. Hydroxyprolin) verdaut (Abb. 3.5b). Osteoklasten haben auch Östrogenrezeptoren, wobei Östrogen v. a. die Rekrutierung der Osteoklasten unterdrückt.

    Osteoklasten haben bei einer Fehlregulierung ein hohes Zerstörungspotenzial und sind der Schlüssel zu fast allen Knochenkrankheiten. Vor allem Östrogenmangel und Entzündungen führen zu einer Aktivierung der Osteoklasten und damit zur Osteoporose. Die Osteoklasten sind daher das therapeutische Ziel aller antiresorptiv wirkenden Medikamente.

    3.3 Osteoblasten (knochenaufbauende Zellen)

    Osteoblasten bauen neuen Knochen langsam über viele Wochen wieder auf. Die multipotente Stammzelle der osteogenen Zelllinie ist die mesenchymale oder stromale Stammzelle, nach der hämatopoietischen Terminologie auch „colony forming units-fibroblasts oder „CFU-f genannt. Kulturen mit Knochenmarkstromazellen belegen auch eine gemeinsame Vorläuferzelle der Adipozyten (Fettzellen) und der osteogenen Zellen (Osteoblasten, Osteozyten und Lining Cells). Osteoblasten sind in Schichten epithelartig angeordnet (ungefähr 100–400 Zellen im Verband) (Abb. 3.6). Die Zellkerne liegen der Knochenoberfläche abgewandt. Das Zytoplasma ist stark basophil und reich an alkalischer Phosphatase, als Ausdruck der Proteinsynthese. Ihre Hauptfunktion ist die Synthese von Knochenmatrix (Osteoid ) (Abb. 3.7a, b), insbesondere Kollagen Typ I, Osteokalzin, Osteonektin und Bone Morphogenic Protein (BMP) (Abb. 3.8a, b). Osteoblasten haben Rezeptoren für Östrogen und Parathormon, jedoch nicht für Kalzitonin. Viele Hormone und Zytokine steuern die Osteoblasten: Insulin-like Growth Factors (IGFs), Transforming Growth Factor Beta (TGF-β), Fibroblast Growth Factors (FGFs), Placelet-derived Growth Factor (PDGF), Bone Morphogenetic Proteins (BMPs) und Prostaglandine. Fluoride, Statine und Parathormon (PTH) aktivieren, Leptin dagegen hemmt die Knochenproduktion.

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    Abb. 3.6

    Aktiver Osteoblastensaum mit neugebildeter Osteoidschicht. Weites Sinusgefäß in enger Nachbarschaft zu den Osteoblasten als Zeichen einer hohen Durchblutungsrate und einer gesteigerten Stoffwechselaktivität; Giemsa-Färbung

    ../images/490481_1_De_3_Chapter/490481_1_De_3_Fig7_HTML.png

    Abb. 3.7

    (a) Spezielle Darstellung des Osteoidsaumes (neu gebildete, noch nicht mineralisierte Knochenmatrix, rot), bedeckt von aktiven Osteoblasten. Mineralisierter alter Knochen (blau) und Hämatopoiese (links oben). (b) Beachte die farbliche Schichtung des Osteoidsaumes als Ausdruck der Mineralisationsphasen. Auf der rechten Bildhälfte zahlreiche aktive, nukleolenhaltige Osteoblasten. In der Mitte ein eingemauerter Osteoblast mit funktioneller Metamorphose zum Osteozyten; Ladewig-Färbung

    ../images/490481_1_De_3_Chapter/490481_1_De_3_Fig8_HTML.png

    Abb. 3.8

    (a) Osteoblastensaum mit ausgeprägtem endoplasmatischem Retikulum als Zeichen der Proteinsynthese. Darunter ein breiter, geschichteter Osteoidsaum und mineralisiertes Knochengewebe. Beachte die zahlreichen Mineralkeime (schwarz), die im unteren Bildanteil in Hydroxylapatit-Kristalle übergehen. EM (b) bei starker Vergrößerung ausgedehntes rauhes endoplasmatisches Retikulum (oben) als Ausdruck der hochaktiven Proteinsynthese (Kollagen) EM (c) bei starker Vergrößerung zahlreiche Mineralisation-Vesikel umgeben von gesättigter Mineralflüssigkeit und Kollagenfibrillen als Kristallisationspunkte. Diese Vesikel stellen extrazelluläre, von einer Membran umgebene Partikel mäßig kristallinen Bioapatitminerals dar. EM (d) Vereinfachtes molekulares Modell der Kollagenmineralisierung, Kollagenfasern quer angeschnitten (Modell nach Miller und Parry 1973 sowie modifiziert nach Grandfield et al. Calcified Tissue International 2018). Bei einem bestimmten Durchmesser der Kanäle zwischen den Subfibrillen (etwa 16 Angström = 0,0016µm) können sich aus

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