Simulation in der Medizin: Grundlegende Konzepte - Klinische Anwendung
Von Michael St.Pierre und Georg Breuer
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Simulation in der Medizin - Michael St.Pierre
Herausgeber
Michael St.Pierre und Georg Breuer
Simulation in der MedizinGrundlegende Konzepte – Klinische Anwendung2. Aufl. 2018
Mit 118 Abbildungen
../images/213650_2_De_BookFrontmatter_Figa_HTML.gifHerausgeber
Michael St.Pierre
Anästhesiologische Klinik, Universitätsklinikum Erlangen, Erlangen, Deutschland
Georg Breuer
Klinik für Anästhesiologie und Intensivmedizin Klinikum Coburg, Coburg, Deutschland
ISBN 978-3-662-54565-2e-ISBN 978-3-662-54566-9
https://doi.org/10.1007/978-3-662-54566-9
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Vorwort zur zweiten Auflage
Sechs Jahre liegen nun zwischen der Erstauflage dieses Buches und der lange angemahnten und nun endlich verwirklichten zweiten Auflage von „Simulation in der Medizin. Auch für die klinische Simulation stand in diesen Jahren die Zeit nicht still, und so ist im Rückblick eine ganze Reihe an Mut machenden und zuversichtlich stimmenden Entwicklungen zu verzeichnen. Unter technischen Gesichtspunkten hat Simulation eine Vielfalt und Darstellungsfähigkeit erreicht, die vielen vor Jahren noch undenkbar erschienen wäre: Neue Kunststoffe und Gestaltungsprinzipien haben Simulatoren mit noch nie da gewesener und wirklich atemberaubender Realitätsnähe ermöglicht. Softwareanwendungen und virtuelle Realität haben die Grenzen zwischen Realität und Wirklichkeit zunehmend verwischt und ermöglichen es dem Lernenden, sich auch komplexe Sachverhalte nahezu mühelos anzueignen. In der deutschsprachigen Simulationslandschaft war eine stetige Zunahme an Einrichtungen zu verzeichnen, an denen Patientensimulation durchgeführt wird, und insbesondere aus der präklinischen notfallmedizinischen Ausbildung des Notfallsanitäters und teilweise auch des Notarztes (NaSIM-Konzept) ist der Einsatz von Simulation nicht mehr wegzudenken. Zu guter Letzt sind auch Bemühungen erkennbar, Simulation in die ärztliche Aus- und Weiterbildungsordnung aufzunehmen. Dies alles erscheint uns als Herausgebern keinesfalls selbstverständlich, denn wir erinnern uns noch gut an manch ein Gespräch, das wir vor einem Jahrzehnt im Kreis von Simulationsbegeisterten führten und in dem sowohl bei uns als auch bei unseren Gesprächspartnern eine gewisse Reserviertheit und Skepsis angesichts einer noch ungewissen Zukunft der Simulation herauszuhören war. Dies, so hat es den Anschein, gehört mittlerweile der Vergangenheit an, und so hat sich für viele die persönliche Einstellung grundlegend geändert: „Simulation is here to stay!
Diese positive Entwicklung der Simulation will auch die vorliegende zweite Auflage von Simulation in der Medizin unterstützen. Denn alle, die sich mit dem Gedanken tragen oder sich bereits dafür entschieden haben, ein eigenes Simulationsprogramm ins Leben zu rufen, sehen sich mit den immer gleichen Fragen konfrontiert: Was muss ich bei der Einrichtung meiner Räumlichkeiten bedenken? Wie viel Technik brauche ich wirklich? Wie finanziere ich Simulation? Wie setze ich meine Simulatoren pädagogisch sinnvoll ein? Wie kann ich wissenschaftlichen Fragestellungen mithilfe der Simulation nachgehen? Wie halte ich Kurse, und wie bespreche ich das Erlebte nach? Welche Qualifikationen benötigen Mitarbeiter, um Simulationen durchführen und nachbesprechen zu können? Welche Erfahrungen haben andere mit Simulation in meinem Fachgebiet gesammelt? Welche Tipps und Kniffe könnten andere mir geben, die mir den Anfang erleichtern und mir dabei helfen, häufige Fehler zu vermeiden?
Das Buch ist nach einem kurzen historischen Rückblick über die Geschichte der Patientensimulation in 5 Abschnitte unterteilt, die jeweils einem eigenen Schwerpunkt gewidmet sind. Wie er das Buch lesen möchte, ist dem geneigten Leser natürlich selbst überlassen: Wer sich ganz neu auf die Welt der klinischen Simulation einlässt, mag gut beraten sein, das Buch in seiner vorgegebenen Struktur zu lesen. Dem altgedienten Anwender hingegen mag es entgegenkommen, dass jedes Kapitel für sich gelesen werden kann, sodass eine gezielte Auseinandersetzung mit einzelnen Aspekten auch dann möglich ist, wenn man den Rest des Buches noch nicht kennt.
Jedes Simulationsprogramm braucht einen Ort, an dem es stattfinden kann. Und so werden zu Beginn (Kap. 2 , 3 und 4 ) Anforderungen an Räumlichkeiten und technische Ausstattung näher betrachtet und Praxistipps zum Start eines eigenen Simulationsprogramms (z. B. Finanzierung) gegeben.
Da der Kardinalfehler gerade in der Anfangszeit der Simulation an vielen Zentren darin bestand, sich einen teuren Full-Scale-Patientensimulator anzuschaffen, um dann mit dem Unterricht „einfach loszulegen", widmet sich der zweite Abschnitt (Kap. 5 , 6 , 7 , 8 , 9 , 10 und 11 ) einer nach wie vor nicht ausreichend gewürdigten Erkenntnis: „Simulators don’t teach – mit der Anschaffung eines guten Simulators ist noch lange keine gute Lehre garantiert. Vielmehr gilt es, Lehren und Lernen im Kontext erwachsener Menschen zu betrachten und jede geplante Lernintervention nach didaktischen Konzepten der Erwachsenenbildung auszurichten, denn „Erwachsene sind keinen großen Kinder
. Da den pädagogischen Aspekten einer Simulation häufig noch zu wenig Gewicht beigemessen wird, haben die Autoren und Herausgeber die wesentlichen Konzepte aufbereitet und gut verständlich dargestellt.
Neu hinzugekommen ist der dritte Abschnitt (Kap. 12 + 13 ), in dem grundlegende Aspekte der Forschung mit und über Simulation abgehandelt werden und die Frage beantwortet werden soll, ob es möglich ist, mit Simulation eine Änderung des Verhaltens von Teilnehmern zu messen.
Der vierte Abschnitt (Kap. 14 , 15 und 16 ) widmet sich der Wechselwirkung zwischen dem „Faktor Mensch" und der Simulation: Welche Grundlagen zu Human Factors und Crisis Resource Management (CRM) sollte jeder Anwender von Simulation kennen? Wie gestaltet man Nachbesprechungen (Debriefings) so, dass das Simulationserlebnis konstruktiv in ein Lernerlebnis überführt werden kann? Welche Qualifikationen sollten Trainerinnen und Trainer haben?
Nachdem die Grundlagen der klinischen Simulation gelegt wurden, stellen Experten aus den verschiedensten klinischen Fachdisziplinen in einem fünften Abschnitt (Kap. 17 , 18 , 19 , 20 , 21 , 22 , 23 , 24 , 25 , 26 , 27 , 28 , 29 und 30 ) Anwendungsmöglichkeiten der Simulation in ihrem spezifischen Kontext dar.
Wir hoffen, dass es uns durch die Auswahl des interdisziplinären Autorenteams ein Stück weit gelungen ist, die Vielfalt der klinischen Simulation auch im geschriebenen Wort darzustellen. So möchten wir mit dem Wunsch schließen, den wir bereits in der ersten Auflage an uns alle hatten: Lassen Sie uns gemeinsam an der Zukunft der Simulation bauen.
Michael St.Pierre
Georg Breuer
ErlangenCoburg
im August 2018
Über die Herausgeber
Die beiden Autoren Priv. Doz. Dr. Michael St.Pierre und Priv. Doz. Georg Breuer gehören zum „Urgestein" der deutschsprachigen Simulationsszene und blicken jeder auf über 2 Jahrzehnte Erfahrung als Instruktoren in der klinischen Simulation zurück. Bereits Ende der 90er-Jahre des vergangenen Jahrhunderts waren beide Teil des Simulatorteams der Anästhesiologischen Klinik des Universitätsklinikums Erlangen, das als eines von 5 Universitätskliniken erstmals in Deutschland ein Simulationszentrum etablierte. Seit dieser Zeit haben sie den Aufstieg der Simulation in der Medizin begleiten und teilweise auch prägen können. Nicht nur in ihrer gemeinsamen Tätigkeit als Leiter des Simulations- und Trainingszentrums, sondern auch in ihrer Rolle als Herausgeber des vorliegenden Werkes ergänzen sich ihre persönlichen Schwerpunkte.
../images/213650_2_De_BookFrontmatter_Figb_HTML.jpgPriv. Doz. Dr. Michael St.Pierre ( links ) und Priv. Doz. Georg Breuer ( rechts )
So galt das Interesse von Michael St.Pierre schon früh dem Einfluss von Humanfaktoren auf die Patientensicherheit. Eine ganze Reihe an Büchern zu Human Factors, Patientensicherheit und Komplikationen in der Anästhesiologie sowie eine Habilitationsschrift über „Simulationsbasierte Strategien zur Stärkung der Patientensicherheit zeugen von dem jahrzehntelangen Bemühen, sich diesen Themen wissenschaftlich und redaktionell zu nähern. Für den Einsatz von Simulation in der studentischen Lehre erhielt er mit Georg Breuer zusammen den Lehrpreis des Freistaates Bayern und für seine Verdienste an der Etablierung des Anästhesiologischen Incident Reporting Systems „CIRS-AINS
den Preis für Patientensicherheit der Stiftung Deutsche Anästhesiologie. Michael St.Pierre arbeitet als Oberarzt an der Anästhesiologischen Klinik des Universitätsklinikums Erlangen und leitet das Simulations- und Trainingszentrum.
Das Herz von Georg Breuer schlug schon immer für die akademische Lehre. So war er Mitbegründer des heutigen Skills Labs PERLE der Medizinischen Fakultät der Universität Erlangen, das er ein Jahrzehnt lang neben seiner Tätigkeit als Anästhesist mit leitete. Ein Masterstudium für „Medical Education und eine Habilitation über „Curriculumsentwicklung und Lernprozessunterstützung im Bereich Anästhesiologie, Intensiv- und Notfallmedizin
spiegeln seine intensive akademische und wissenschaftliche Auseinandersetzung mit pädagogischen und didaktischen Themen der Erwachsenenbildung wider. Für seine Verdienste in diesem Bereich erhielt er den Thieme Teaching Award und den Lehrpreis des Freistaates Bayern. Seit Juli 2018 ist Georg Breuer Chefarzt der Klinik für Anästhesiologie und Intensivmedizin des Klinikums Coburg und hier auch mit dem Aufbau einer Medical School und eines Simulations- und Trainingszentrums beschäftigt.
Inhaltsverzeichnis
1 Blick zurück: Die Geschichte der Patientensimulation 1
Michael St.Pierre
1.1 Einführung 2
1.2 Historische Wurzeln der Simulation 4
1.3 Leben retten 5
1.4 Fertigkeiten trainieren 7
1.5 Gerätefehlfunktionen verstehen 10
1.6 Menschliche Performance verstehen und verbessern 12
1.7 Einzellösungen 13
1.8 Software 15
1.9 Zunehmende Verbreitung der Full-Scale-Simulation 16
Literatur 16
I Räumlichkeiten, Ausstattung, Finanzierung
2 Vom Zimmer zum Zentrum – „form follows function" 21
Christina Jaki, Michael St.Pierre und Georg Breuer
2.1 Vom „Kellerraum" zum Simulationszentrum 23
2.2 Grundprinzipien eines Simulationszentrums 25
2.3 Von „function follows form zu „form follows function
– Gestaltungsprinzipien 27
2.4 Grundsätzliche Gedanken zum Planungsprozess 34
2.5 Komponenten eines Simulationszentrums 40
Literatur 46
3 Bild und Ton: Audiovisuelle Technik moderner Simulationszentren 49
Eric Stricker und Oliver Szcypula
3.1 Technische Planung eines Simulationstrainings 50
3.2 Arbeitsbereiche und die verwendeten Komponenten 50
3.3 Wahl des Audio-Video-Systems 54
3.4 Positionierung von Kameras im Simulationsraum 56
3.5 Mikrofone 56
3.6 Funkverbindungen und Frequenzen 58
3.7 In-situ-Simulation 59
3.8 Bevor ein Szenario startet 59
Literatur 59
4 Simulation trotz knapper Kassen: Finanzplanung 61
Malte Issleib, Gunter Schmidt, Michael Käser und Georg Breuer
4.1 Einleitung 62
4.2 Simulationszentrumsmodelle 62
4.3 Betriebswirtschaftliche Überlegungen 64
4.4 Geschäftsplan: Finanzplanung 66
4.5 Fördermöglichkeiten 67
4.6 Fazit 71
Weiterführende Literatur 71
II Lehren und Lernen
5 Simulators don’t teach – Lernprozesse und Simulation 75
Georg Breuer
5.1 Einführung 76
5.2 Konkrete Erfahrungen durch Simulation 76
5.3 Lernen braucht Feedback 77
5.4 „Situiertes Lernen: Vermeidung von „trägem Wissen
77
5.5 Die Mischung macht’s 78
5.6 Lernen und Motivation 79
5.7 Lernen braucht ein Rahmenwerk 79
5.8 Übersicht im Lern- und Wissensdschungel behalten 79
5.9 Simulators don’t teach 80
Literatur 80
6 Lernen im Vollzug: Der Erwerb praktischer Fertigkeiten 83
Nils Thiessen, Andreas Fichtner und Georg Breuer
6.1 Hintergründe 84
6.2 Grundlagen praktischer Ausbildung 84
6.3 Sieben Schlüsselfragen zur Vermittlung praktischer Kompetenzen 85
Literatur 89
7 Der richtige Rahmen entscheidet: curriculare Implementierung der Simulation 91
Olaf Ahlers
7.1 Einführung 92
7.2 Curriculumentwicklung in Anlehnung an den Kern-Zyklus 92
7.3 Curriculumkartierung 95
Literatur 96
8 „Assessment drives learning": Konzepte zur Erfolgs- und Qualitätskontrolle 97
Saša Sopka, Melanie Simon und Stefan K. Beckers
8.1 Assessment in der medizinischen Ausbildung 98
8.2 Überblick Assessment-Methoden 98
8.3 Prüfen mit Simulation 105
8.4 „Spezialfall" OSCE 108
Literatur 108
9 Auch Lehrende lernen dazu: Grundkonzepte der Didaktik 111
Maria Lammerding-Köppel, Jan Griewatz und Christine Baatz
9.1 Einführung 112
9.2 Anforderungen an die Gestaltung einer erfolgreichen Hochschullehre 114
9.3 Kritische Reflexion der klassischen Lehr- und Lernformate 116
9.4 Lehrveranstaltungsdesign nach dem Sandwich-Modell 118
9.5 Spezifische Empfehlungen für Lernarrangements 120
9.6 Keynote 122
Literatur 123
10 Simulation aus Fleisch und Blut: Schauspielpatienten 125
Kai Schnabel
10.1 Einführung 126
10.2 Begriffsdefinitionen 126
10.3 Einsatz von Schauspielpatienten in Unterricht und Assessment 127
10.4 Vor- und Nachteile des Einsatzes von Schauspielpatienten 129
10.5 Perspektiven 130
Literatur 130
11 Wie im wahren Leben: Simulation und Realitätsnähe 131
Daniel Stein, Katrin Schwerdtfeger, Eike A. Nickel und Sebastian G. Russo
11.1 Low- versus High-Fidelity-Simulatoren 132
11.2 Möglichkeiten, „Realität" zu erschaffen 133
11.3 Wie viel Realität ist notwendig? 140
Literatur 141
III Forschung
12 Simulation und Forschung 145
Michaela Kolbe, Julia Seelandt, Andrina Nef und Bastian Grande
12.1 Simulation als Trainingsmethode 146
12.2 Simulation als Untersuchungsmethode 148
Literatur 155
13 Verhalten ist messbar: Behavioural-Marker-Systeme und Kompetenzentwicklung 159
Tanja Manser, Jan Schmutz und Juliana Perry
13.1 Verhalten messen 160
13.2 Behavioural-Marker-Systeme 161
13.3 Kompetenzen entwickeln 167
13.4 Behavioural-Marker-Systeme zum Leben erwecken 171
13.5 Schlussbemerkung 172
Literatur 172
IV Simulation und „Faktor Mensch"
14 Human Factors für Simulatortrainings 177
Gesine Hofinger
14.1 Human Factors – mehr als menschliches Versagen 178
14.2 Human Factors als Wissenschaft und Anwendung 178
14.3 Die Vielfalt ordnen: Ebenen von Human Factors 180
14.4 Individuelle Human Factors und Simulatortraining: Was kann gelernt werden? 181
14.5 Teamfaktoren und Simulatortrainings: nichttechnische Kompetenzen/CRM 182
14.6 Simulatortrainings in die Organisation einbetten 184
14.7 Nutzung von Simulatoren für Human-Factors-orientierte Gestaltung von Arbeitsprozessen 184
14.8 Fazit 186
Literatur 186
15 Gute Nachrede – Debriefing 189
Peter Dieckmann
15.1 Einführung 190
15.2 Praxis des Debriefings 193
15.3 Wie lassen sich Debriefingprozesse beschreiben? 197
15.4 Was beeinflusst Debriefing? 201
15.5 Schwierigkeiten in Debriefings 207
15.6 Zur Effektivität des Debriefings 208
15.7 Bezug zu Debriefings in der klinischen Praxis 209
15.8 Tipps für die Praxis 209
Literatur 210
16 Schlüsselpersonen des Simulationsgeschehens: Simulationsinstruktoren 215
Peter Dieckmann und Walter Eppich
16.1 Überblick 217
16.2 Begriffe und Definitionen 217
16.3 Veränderung der Rolle der Instruktoren über den Kursverlauf 220
16.4 Aspekte der Instruktorentätigkeit und mögliche Hilfen 221
16.5 Lernen in der Simulation als Sozialpraxis 224
16.6 Summative Bewertung: Kompetenz beschreiben und bewerten 226
16.7 Formative Bewertung: Kompetenz aufbauen 229
16.8 Abschließende Überlegungen 231
Literatur 231
V Interdisziplinäre Praxis der Simulation
17 Entwicklung von Simulationsszenarien 235
Bastian Grande, Carl Schick, Alfons Scherrer, Hubert Heckel, Andrina Nef, Adrian Marty und Michaela Kolbe
17.1 Grundlage für Simulationsszenarien 237
17.2 Formulierung von Lernzielen 237
17.3 Umsetzung von Lernzielen in Szenarien 238
17.4 Zürich-Strategie zum Erstellen von Simulationsszenarien 240
17.5 Technische Umsetzung der Lernziele in den Szenarien 242
17.6 Fokussierte Beobachtung der Teaminteraktion hinsichtlich der Lernziele 245
17.7 Debriefing der Szenarien anhand von Lernzielen 245
Literatur 247
18 Bitte einsteigen: Das Simulationserlebnis startet hier 249
Stefan Gisin
18.1 Sehen, hören, fühlen, messen 250
18.2 Stop and Go 254
18.3 Zurück auf Start 256
18.4 Immer den Richtlinien entlang 257
18.5 Das Team macht den Unterschied 258
18.6 Aus dem Vollen schöpfen 259
Literatur 260
19 Mobile In-situ-Simulation – „Train where you work" 261
Marcus Rall
19.1 Mobile In-situ-Simulation 263
19.2 Voraussetzungen/Vorbereitung von mobilen In-situ-Trainings 270
19.3 Schwierigkeiten und Gefahren von mobilen In-situ-Trainings 271
19.4 Perspektiven der mobilen Simulation 274
19.5 Fazit 280
Literatur 281
20 Simulation des schwierigen Atemwegs 283
Arnd Timmermann und Michael Müller
20.1 Einführung 284
20.2 Klinische Relevanz 284
20.3 Simulatoren und Szenarien 285
20.4 Reale Patienten versus Simulatoren 287
20.5 Fazit 289
Literatur 289
21 Simulation in der Anästhesie 291
Michael Müller und Arnd Timmermann
21.1 Einführung 292
21.2 Was kann am Simulator trainiert werden? 293
21.3 Realitätsgrad der Simulation 294
Literatur 298
22 Simulation in der Intensivmedizin 299
Georg Breuer, Stephan Hüttl und Torsten Schröder
22.1 Einleitung 300
22.2 Herausforderungen intensivmedizinischer Simulation 300
22.3 Tipps und Tricks zur Durchführung intensivmedizinischer Szenarien 302
22.4 Das Szenario 305
Literatur 306
23 Simulation in der Notfallmedizin – stationäre Simulation 309
Bert Urban, Marc Lazarovici und Benedikt Sandmeyer
23.1 Einleitung 311
23.2 Simulatortechnologie 313
23.3 Medizinisches und medizintechnisches Material 316
23.4 Simulationszentrum 319
23.5 Trainingsformate 326
23.6 Herausforderungen 330
23.7 Zusammenfassung 334
Literatur 334
24 Simulatortraining in der inneren Medizin 337
Wolfram Voelker und Friedrich P. Gauper
24.1 Einführung 338
24.2 Kardiologie und Angiologie 338
24.3 Pneumologie und Gastroenterologie 348
24.4 Curriculare Einbindung der Simulation in die internistische Ausbildung 352
24.5 Schlussfolgerungen und Ausblick 354
Literatur 354
25 Simulation in der Chirurgie 357
Kai Lehmann und Jörn Gröne
25.1 Einleitung und Hintergrund 358
25.2 Simulatortechnologie 360
25.3 Komponenten und didaktische Konzepte der chirurgischen Simulation 363
25.4 Leistungsbewertung 368
25.5 Herausforderungen der Zukunft 370
25.6 Schlussfolgerungen 371
25.7 Weiterführende Literatur 372
Literatur 373
26 Simulation in der Geburtshilfe 375
Franz Kainer, Christoph Scholz und Corinna Mann
26.1 Einleitung 376
26.2 Geschichte der Simulation in der Geburtshilfe 376
26.3 Simulationsmöglichkeiten im Kreißsaal 377
26.4 Simulationskreißsaal 378
26.5 Trainingsszenarios 380
26.6 Ablauf eines Trainingsszenarios im Simulationskreißsaal 381
26.7 Zukunftsperspektiven 382
Literatur 383
27 Simulation in der Kinderakutmedizin 385
Eva-Maria Jordi Ritz und Christoph Eich
27.1 Kompetenzbasierte medizinische Weiterbildung: Was ist der Bedarf? 386
27.2 Von Kindern, Küche und Kompetenz 386
27.3 6-Stufen Modell der Curriculumentwicklung für die Kinderakutmedizin 389
27.4 Einige konkrete Rezepte 399
27.5 Fleisch, Fisch, Gemüse oder nur die Würze? 401
27.6 Quo vadis infans simulationis 407
Literatur 407
28 Simulationsausbildung im Sanitätsdienst der Bundeswehr 409
Joachim Hoitz, Michael Braun, Lars Schneidereit, Marc Jurić, Christopher Görsch und Kevin Röhrborn
28.1 Einleitung 411
28.2 Historie von Simulationsausbildung im militärischen Umfeld 411
28.3 Besonderheiten beim Sanitätsdienst der Bundeswehr 412
28.4 Grundsätzlicher Ausbildungsaufbau im Sanitätsdienst 415
28.5 Geeignete Simulationstechniken 418
28.6 Simulation in der Individualausbildung 427
28.7 Simulation in der Teamausbildung 428
28.8 Simulation in der Kohäsionsausbildung 429
28.9 Grenzen der Simulationsausbildung und der CRM-basierten Ausbildung im militärischen Umfeld 431
28.10 Zusammenfassung und Ausblick 432
Literatur 432
29 Simulation in der Rettungsdienstausbildung 435
Timo Friedrich, Michael Langner und Peter Sigmund
29.1 Einleitung 436
29.2 Entwicklung des Lehrens und Lernens in der Rettungsdienstausbildung 436
29.3 Besondere Aspekte von Simulation in der Rettungsdienstausbildung 439
29.4 Formale Voraussetzungen für die Simulation in der Rettungsdienstausbildung 440
Literatur 443
30 Simulation in der Berufsbildung der Pflege 445
Angelika Kirsten und Dunja Kagermann
30.1 Einleitung 447
30.2 Differenzierung von Simulation in der Pflege 447
30.3 Ziele von Simulation in der Berufsbildung der Pflege 448
30.4 Vorteile von Simulation als Unterrichtsmethode 449
30.5 Einbindung der Simulation in die Berufsbildung 450
30.6 Verwirklichung von Simulation in der Berufsbildung der Pflege 454
30.7 Durchführung von Simulation in der Berufsbildung der Pflege 460
30.8 SimNAT Pflege 464
Literatur 464
Serviceteil466
Sachverzeichnis469
Mitarbeiterverzeichnis
Olaf Ahlers
Klinik für Anästhesiologie, Charité-Universitätsmedizin Berlin, Berlin, Deutschland
Christine Baatz
Kompetenzzentrum Medizindidaktik BW, Universität Tübingen, Tübingen, Deutschland
Stefan K. Beckers
AIXTRA Kliniken für Anästhesiologie und OIM, RWTH Aachen, Aachen, Deutschland
Michael Braun
Klinik für Anästhesiologie, Klinikum Itzehoe, Itzehoe, Deutschland
Georg Breuer
Klinik für Anästhesiologie und Intensivmedizin Klinikum Coburg, Coburg, Deutschland
Peter Dieckmann
Copenhagen Academy for Medical Education and Simulation (CAMES), Center for Human Resources, Herlev Hospital, Herlev, Dänemark
Christoph Eich
Anästhesiologische Klinik, Kinder- und Jugendkrankenhaus Auf der Bult, Hannover, Deutschland
Walter Eppich
School of Medicine, Departments of Pediatrics and Medical Education, Ann & Robert H. Lurie Childrens Hospital of Chicago, Division of Emergency Medicine, Northwestern University Feinberg, Chicago, USA
Andreas Fichtner
Klinik für Anästhesiologie und Intensivtherapie, Klinikum Chemnitz gGmbH, Chemnitz, Deutschland
Timo Friedrich
Leitung Fortbildung & Training, Fachbereich Medizin, ADAC Luftrettung gGmbH, München, Deutschland
Friedrich P. Gauper
München, Deutschland
Stefan Gisin
Simulation Basel „SimBa", Departement für Anästhesie, Operative Intensivbehandlung, Präklinische Notfallmedizin und Schmerztherapie, Universitätsspital Basel, Basel, Schweiz
Bastian Grande
Simulationszentrum, Universitätsspital Zürich, Zürich, Schweiz
Jan Griewatz
Kompetenzzentrum Medizindidaktik BW, Universität Tübingen, Tübingen, Deutschland
Jörn Gröne
Klinik für Allgemein- und Viszeralchirurgie, Rotes Kreuz Krankenhaus Bremen, Bremen, Deutschland
Christopher Görsch
Abteilung D, Sanitätsakademie der Bundeswehr, München, Deutschland
Hubert Heckel
Simulationszentrum, Universitätsspital Zürich, Zürich, Schweiz
Gesine Hofinger
Team HF – Human Factors Forschung Beratung Training, Hofinger, Künzer & Mähler PartG, Ludwigsburg, Deutschland
Joachim Hoitz
Kommandeur und Ärztlicher Direktor, Bundeswehrkrankenhaus Hamburg, Hamburg, Deutschland
Stephan Hüttl
Anästhesiologische Klinik, Universitätsklinikum Erlangen, Erlangen, Deutschland
Malte Issleib
Zentrum für Anästhesiologie und Intensivmedizin, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, Hamburg, Deutschland
Christina Jaki
Stuttgarter Pädiatrie- und Patienten-Simulator (STUPS), Klinikum Stuttgart, Stuttgart, Deutschland
Eva-Maria Jordi Ritz
Universitätskinderklinik beider Basel, Basel, Schweiz
Marc Jurić
Abteilung C, Sanitätsakademie der Bundeswehr, München, Deutschland
Dunja Kagermann
Kempten, Deutschland
Franz Kainer
Abteillung für Geburtshilfe und Pränatalmedizin, Klinik Hallerwiese, Nürnberg, Deutschland
Angelika Kirsten
Kempten, Deutschland
Michaela Kolbe
Simulationszentrum, Universitätsspital Zürich, Zürich, Schweiz
Michael Käser
Leiter Project & Grant Service Unit, Schweizerisches Tropen- und Public Health Institut, Assoziiertes Institut der Universität Basel, Basel, Schweiz
Maria Lammerding-Köppel
Kompetenzzentrum Medizindidaktik BW, Universität Tübingen, Tübingen, Deutschland
Michael Langner
Rettungsdienstschule, Berufsfeuerwehr Wuppertal, Wuppertal, Deutschland
Marc Lazarovici
Institut für Notfallmedizin und Notfallmanagement, Klinikum der Universität München, München, Deutschland
Kai Lehmann
Klinik für Allgemein-, Viszeral- und Gefäßchirurgie, Charité – Universitätsmedizin Berlin, Campus Benjamin Franklin, Berlin, Deutschland
Corinna Mann
Klinik und Poliklinik für Frauenheilkunde und Geburtshilfe, Campus Innenstadt, Universität München, München, Deutschland
Tanja Manser
Institut für Patientensicherheit, Bonn, Deutschland
Adrian Marty
Simulationszentrum, Universitätsspital Zürich, Zürich, Schweiz
Michael Müller
Klinik für Anästhesiologie, Intensiv- und Notfallmedizin, St. Josef-Krankenhaus, Freiburg, Deutschland
Andrina Nef
Simulationszentrum, Universitätsspital Zürich, Zürich, Schweiz
Eike A. Nickel
Klinik für Anästhesiologie und Schmerztherapie, HELIOS Klinikum Emil-von-Behring, Berlin, Deutschland
Juliana Perry
Nyon, Schweiz
Marcus Rall
InPASS, Reutlingen, Deutschland
Sebastian G. Russo
Klinik für Anästhesiologie, HELIOS Universitätsklinikum Wuppertal, Wuppertal, Deutschland
Kevin Röhrborn
Abteilung C, Sanitätsakademie der Bundeswehr, München, Deutschland
Benedikt Sandmeyer
Institut für Notfallmedizin und Medizinmanagement (INM), Klinikum der Universität München, München, Deutschland
Alfons Scherrer
Simulationszentrum, Universitätsspital Zürich, Zürich, Schweiz
Carl Schick
Simulationszentrum, Universitätsspital Zürich, Zürich, Schweiz
Gunter Schmidt
Anästhesiologie, Intensivmedizin, Notfallmedizin und Schmerztherapie, Asklepios Klinik Altona, Hamburg, Deutschland
Jan Schmutz
Department of Mangement, Technology and Economics, ETH Zürich, Zürich, Schweiz
Kai Schnabel
Abteilung für Unterricht und Medien, Institut für medizinische Lehre, Unterricht und Medien, Bern, Schweiz
Lars Schneidereit
Abteilung C, Sanitätsakademie der Bundeswehr, München, Deutschland
Christoph Scholz
Frauenklinik, Universitätsklinikum Ulm, Ulm, Deutschland
Torsten Schröder
Klinik für Anästhesiologie, Charité-Universitätsmedizin Berlin, Berlin, Deutschland
Katrin Schwerdtfeger
Anästhesie, Intensivmedizin und Schmerztherapie, Klinikum Traunstein, Kliniken Südostbayern, Traunstein, Deutschland
Julia Seelandt
Simulationszentrum, Universitätsspital Zürich, Zürich, Schweiz
Peter Sigmund
Ausbildungskoordination, Rettungsdienst Kreis Olpe, Olpe, Deutschland
Melanie Simon
AIXTRA Kliniken für Anästhesiologie und OIM, RWTH Aachen, Aachen, Deutschland
Saša Sopka
AIXTRA Kliniken für Anästhesiologie und OIM, RWTH Aachen, Aachen, Deutschland
Michael St.Pierre
Anästhesiologische Klinik, Universitätsklinikum Erlangen, Erlangen, Deutschland
Daniel Stein
Klinik für Anästhesiologie, Universitätsmedizin Göttingen, Göttingen, Deutschland
Eric Stricker
Universitätsklinik für Anästhesiologie und Intensivmedizin – tüpass, Tübingen, Deutschland
Oliver Szcypula
Stuttgart, Deutschland
Nils Thiessen
Studiendekanat der Medizinischen Fakultät der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn, Bonn, Deutschland
Arnd Timmermann
Klinik für Anästhesie, Schmerztherapie, Intensiv- und Notfallmedizin OP-Management, Berlin, Deutschland
Bert Urban
Institut für Notfallmedizin und Medizinmanagement (INM), Klinikum der Universität München, München, Deutschland
Wolfram Voelker
Med. Klinik und Poliklinik I, Universitätsklinikum Würzburg, Würzburg, Deutschland
© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2018
Michael St.Pierre und Georg Breuer (Hrsg.)Simulation in der Medizinhttps://doi.org/10.1007/978-3-662-54566-9_1
1. Blick zurück: Die Geschichte der Patientensimulation
Michael St.Pierre¹
(1)
Anästhesiologische Klinik, Universitätsklinikum Erlangen, Erlangen, Deutschland
Michael St.Pierre
Email: michael.st.pierre@kfa.imed.uni-erlangen.de
1.1 Einführung
Patientensimulatoren sind Systeme, die ein breites Spektrum an Eigenschaften und Verhaltensweisen der realen Patientenphysiologie und Pharmakologie in interaktiver Weise präsentieren. Patientensimulatoren sind in eine fast vollständige Nachbildung eines Operationssaals, einer Intensivstation oder eines beliebig anderen Ortes der Patientenversorgung eingebettet. Mittlerweile werden Patientensimulatoren in den Altersgruppen der Neugeborenen, Säuglinge, Kinder und Erwachsenen angeboten und können auch mehrere Stunden „autark" (über WLAN und ohne physikalische Verbindung wie Druckschläuche oder Stromkabel) betrieben werden.
Simulation zum Zweck der medizinischen Ausbildung hat eine jahrhundertelange Tradition und hat – entgegen landläufiger Annahmen – bereits sehr früh eine ganze Reihe von komplexen Simulatoren hervorgebracht. Diese Simulatoren wurden verwendet, um Anatomie und Physiologie zu lehren, geburtshilfliche Maßnahmen zu trainieren und um für operative Eingriffe üben zu können [30].
Patientensimulation, wie wir sie heute verstehen, hat hingegen ihre Ursprünge in der zweiten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts. Wie an vielen anderen Stellen in der Geschichte der Wissenschaft auch taucht dieses Konzept in dieser Zeit nicht unvermutet auf. Vielmehr lassen sich auch hier Vorläufer finden, die für ihre Zeit zu innovativ waren und für deren Potenzial es damals keine Verwendung gab, sodass sie wieder in Vergessenheit gerieten und erst Jahrzehnte später unter geänderten Rahmenbedingungen wiederentdeckt wurden. Im Fall der Patientensimulation wird klassisch der 1961 von Abrahamson, Carter und Denson entwickelte „SimOne " genannt [1, 6], dessen Konzept nach kurzer Aufmerksamkeit erst Jahrzehnte später wieder neu belebt wurde. Erst Mitte der 1980er-Jahre war dann die „Zeit reif geworden für erneute Pionierarbeiten, die dann allerdings eine Entwicklung anstoßen konnten, die sich zunehmend etablierte und dazu geführt hat, dass Simulation wohl nicht mehr aus der Medizin wegzudenken sein wird. Persönliche Berichte der Pioniere der Patientensimulation zeugen davon, dass diese Entwicklung keinesfalls vorauszusehen war. Vielmehr waren Enthusiasmus, Beharrlichkeit und die tief gehende Überzeugung, mittels Simulation die Sicherheit der Patientenversorgung stärken zu können, – neben „glücklichen Zufällen
– die Zutaten dieser beispiellosen Erfolgsgeschichte [35]. Dass Simulation im „zweiten Anlauf" dann doch erfolgreich wurde, ist neben den genannten persönlichen Faktoren v. a. 2 grundsätzlich geänderten Rahmenbedingungen zu verdanken. Dazu gehören:
Wandel in der pädagogischen Konzeption des klinischen Lehrer-Schüler-Verhältnisses
Hatte die jahrhundertelange Tradition darin bestanden, dass ein Kliniker die wesentlichen Fertigkeiten seines Berufes durch Beobachtung von und Anleitung durch erfahrene Kollegen entwickelt, mehrten sich zu Beginn der 1980er-Jahre die Stimmen derjenigen, die erklärten, dass diese Vorgehensweise weder aus ethischen Gründen noch aus Aspekten der Patientensicherheit heraus länger zu vertreten sei. Man dürfe nicht erst im Patientenkontakt erkennen, ob Wissen und handwerkliches Geschick für eine erfolgreiche Bewältigung der gestellten Aufgabe ausreichten. Simulation sei aufgrund der Entkopplung der Vermittlung von Fertigkeiten von der eigentlichen Patientenversorgung das Gebot der Stunde. Gänzlich neu war dieser Gedanke freilich nicht: Für das Training der kardiopulmonalen Reanimation hatte man bereits seit fast 2 Jahrzehnten auf Simulation zurückgegriffen.
Rasanter technischer Fortschritt im Allgemeinen und die Entwicklung der Computertechnik im Besonderen
Die augenscheinlichste und weitreichendste Veränderung bestand in der Verfügbarkeit von (im Vergleich zu den Minicomputern der 1970er-Jahre) leistungsfähigen Personal Computers (PC), die zu einem erschwinglichen Preis angeboten wurden. Dadurch war es Anfang der 1980er-Jahre möglich geworden, für die mathematische Beschreibung der menschlichen Physiologie und Pharmakologie Software zu entwickeln, die auch auf handelsüblichen Computern lief. Ursprünglich für computerbasiertes Training (CBT) entwickelt, wurde diese Software zur Modellbildung in Full-Scale-Simulatoren herangezogen. Bestimmte Aspekte der „Patientenphysiologie (kardiovaskuläres System, Lunge, Säuren-Basen-Haushalt) und deren Interaktion mit Medikamenten konnten dadurch komplett von der Software übernommen und von der direkten Intervention durch die den Simulator steuernde Person unabhängig gemacht werden. Neu auf den Markt gekommene Frequenzgeneratoren ermöglichten es darüber hinaus, die vom Computer errechneten biophysikalischen Messwerte (z. B. EKG, Pulsoximetrie, intravaskuläre Drücke) in Signale zu „übersetzen
, die von handelsüblichen Monitoren interpretiert und dargestellt werden konnten. Fortschritte in der Kunststoffverarbeitung schließlich schufen die Möglichkeit, Mannequins mit menschenähnlichen Formen und Texturen auszustatten und dadurch die „Fidelity" der Simulation zu erhöhen.
Auf dem Hintergrund dieser begünstigenden Rahmenbedingungen lassen sich grob 3 Bewegungen identifizieren, die im letzten halben Jahrhundert die Entwicklung und Verbreitung der Patientensimulation vorangetrieben haben [3] (Abb. 1.1):
../images/213650_2_De_1_Chapter/213650_2_De_1_Fig1_HTML.gifAbb. 1.1
Die 3 wesentlichen Bewegungen, die zur Entwicklung und Verbreitung von Patientensimulatoren in der Medizin geführt haben.
(Adaptiert nach [3])
Kardiopulmonale Reanimation: Jahrzehnte vor Beginn der ersten High-Fidelity-Simulatoren entstand durch Asmund Laerdals Pionierarbeit der erste Part-Task-Trainer für die Herz-Lungen-Wiederbelebung: Resusci-Anne. In den darauf folgenden Jahrzehnten wurden Simulatoren entwickelt, mit deren Hilfe sich nicht nur die Basismaßnahmen zur Wiederbelebung, sondern auch die erweiterten Reanimationsmaßnahmen trainieren ließen.
Entwicklung humanoiderFull-Scale-Simulatoren, die wesentliche Aspekte der menschlichen Physiologie und klinischen Pharmakologie abbilden sollten. Der Impetus für die Entwicklung der Prototypen kam aus sehr unterschiedlichen Zielsetzungen:
Training manueller und diagnostischer Fertigkeiten: SimOne und Harvey Cardiac Patient Simulator,
Diagnostik von Gerätefehlfunktionen: Gainsville Anesthesia Simulator (GAS), Leiden Anesthesia Simulator (LAS),
Untersuchung von Human Factors und Teamtraining: Comprehensive Anesthesia Simulation Environment (CASE).
Grundlegende Reform der medizinischen Ausbildung, die zu einer zunehmenden Verbreitung von Skills-Labs geführt hat, in denen mithilfe von Simulatoren unterschiedlichster Fidelity ein breites Spektrum an diagnostischen und praktischen Fertigkeiten vermittelt werden kann. Medizinstudenten werden dadurch bereits sehr früh in ihrer Ausbildung mit den verschiedensten Aspekten der Simulation konfrontiert.
Die in Abb. 1.1 dargestellten Bewegungen dürfen jedoch nicht den Eindruck erwecken, als ob es sich (von Laerdals Entwicklungen einmal abgesehen) um eine einheitliche, koordinierte Bewegung gehandelt hätte. Eine genauere Betrachtung der Entwicklungsgeschichte von 1960 bis 1990 vermittelt vielmehr den Eindruck, dass die Pionierjahre der Simulatorentwicklung durch verschiedene, parallele, aber unabhängig voneinander stattfindende Entwicklungen gekennzeichnet waren [35]. Weder wussten die einzelnen Arbeitsgruppen voneinander noch tauschten sie ihre Erfahrungen aus. Erfahrungen aus sehr frühen Arbeiten (z. B. SimOne) wurden nicht für die Konzeption der eigenen Entwicklungen fruchtbar gemacht, da sie aufgrund der damals mühsamen Literaturrecherche schlichtweg nicht bekannt waren [35]. Wenngleich die einzelnen Projekte am Ende jeweils in einem „lebensechten Mannequin" mündeten, wurden die Entwicklungen jedoch mit unterschiedlichen Zielsetzungen verfolgt, was sich in der Tatsache widerspiegelt, dass unterschiedliche technische Ansätze zu deren Realisierung verfolgt wurden [12].
Entscheidet man sich, in dem knappen Rahmen eines Buchkapitels über die Geschichte der Patientensimulation in der Medizin zu schreiben, so muss dieser Entschluss auch die Entscheidung beinhalten, um der Kürze und Übersichtlichkeit willen bestimmte Inhalte nur zu streifen und andere Themen überhaupt nicht zu behandeln: So kann die Entwicklung der medizinischen Simulationssoftware nur angerissen werden, und es muss die Entwicklung der virtuellen Realität gänzlich unerwähnt bleiben. Ist die Entwicklung der Patientensimulation bis zum Ende des vergangenen Jahrtausends noch relativ übersichtlich, so beschleunigen sich Entwicklungstempo und Diversifizierung im 21. Jahrhundert. In der vergangenen Dekade sind so viele neue Firmen und noch mehr innovative Projekte am Markt erschienen, dass eine angemessene Beschreibung weder sinnvoll noch möglich zu sein scheint. Somit sind es v. a. die ersten „Gehversuche" von Arbeitsgruppen, denen die Beschreibung auf den nächsten Seiten gilt.
1.2 Historische Wurzeln der Simulation
Liest man Publikationen zur Geschichte der Simulation in der Medizin, so findet sich in deren Einführungsteil regelhaft eine kurze Darstellung der Anfänge der Simulation in der Luftfahrt [14, 23, 34]. Abgesehen davon, dass diese Darstellung für den Leser in der Regel einen faszinierenden Ausflug in für ihn unbekanntes Terrain darstellt, lässt sich diese Vorgehensweise auch durch die historischen Verflechtungen und inneren Zusammenhänge begründen. Im Gegensatz zu anderen historischen Beispielen, die gelegentlich als Beleg dafür zitiert werden, dass die Wurzeln der Simulation bereits in den Anfängen der Kulturgeschichte zu finden sind (z. B. Schach als taktische Simulation, die römische Quintaine als Trainer für Bewegungsabläufe [12]), hat die Simulation in der Luftfahrt auf vielfältige Weise zur Entstehung und Entwicklung der Simulation in der Medizin beigetragen. Konkret erfolgte dieser Einfluss darüber, dass …
jahrzehntelange gute Erfahrungen und eine weite Verbreitung in der zivilen und militärischen Luftfahrt zur Akzeptanz eines Trainings mit Simulatoren beitrugen,
Simulatoren entweder in direkter Unterstützung durch Firmen aus der Luftfahrt gebaut (SimOne) oder nach Erwerb der Lizenzen von Prototypen kommerzialisiert wurden (CASE durch CAE Inc., GAS durch Loral Data Systems),
die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit den Grenzen menschlicher Leistungsfähigkeit und den Ursachen kognitiver Fehlleistungen (Human-Factors-Forschung) in der Luftfahrt bereits eine längere Tradition hatte und dadurch zu substanziellen Resultaten geführt hatte,
Trainingskonzepte für die Entscheidungsfindung und Zusammenarbeit im Team („cockpit/crew resource management [CRM]) entwickelt worden waren, die später auf die Akutmedizin übertragen wurden (z. B. „anesthesia crisis resource management
[ACRM]).
Anfänge der Flugsimulation
Anfang 1900 gründete Antoinette, eine französische Flugzeugmanufaktur, in Zusammenarbeit mit der französischen Armee die erste Flugschule. In ihr lernten junge Piloten auf dem Antoinette-Trainer (der aus übereinandergestapelten Fässern bestand und von Assistenten bewegt wurde), ihre Maschine im Gleichgewicht zu halten (Abb. 1.2).
../images/213650_2_De_1_Chapter/213650_2_De_1_Fig2_HTML.jpgAbb. 1.2
Der „Antoinette-Trainer" bestand aus übereinandergestapelten Fässern, die von Assistenten bewegt wurden und bei dem Piloten versuchten, ihre Maschine im Gleichgewicht zu halten
Der erste wirkliche Flugsimulator wurde 1929 von Edwin Link gebaut und patentiert. Dieser stellte in technischer Hinsicht eine Weiterentwicklung der bisherigen Systeme dar, da eine elektrische Saugpumpe (in der väterlichen Pianofabrik entwickelt) die Ventile für die Quer- und Seitenruder steuerte und eine motorgetriebene Einheit die Fluglage und Turbulenzen simulierte. Als industrieller Partner für die Kommerzialisierung fand sich die Singer Company, die von Isaac Singer im vorausgehenden Jahrhundert als Nähmaschinenhersteller gegründet worden war. Dieser von der Link Aeronautical Corporation hergestellte und aufgrund seiner leuchtend blauen Farbe auch als Blue Box bezeichnete Trainer fand zunächst mehr als Jahrmarktsattraktion denn als Schulungshilfe Interesse. Erst als 1934 das US Army Air Corps die Luftpostzustellung übernahm (private Firmen waren aufgrund von Betrug und Paketdiebstahl in Misskredit geraten) und reihenweise Flugzeuge abstürzten, weil die Piloten bei schlechtem Wetter nicht nach Instrumenten fliegen konnten, wurde die Army auf den Link-Trainer aufmerksam. Nachdem Edwin Link Vertretern der US Army Air Corps die erfolgreiche Landung in dichtem Nebel demonstrieren konnte, bestellten diese die ersten 6 Modelle. Mit Ausbruch des 2. Weltkriegs wurden über 10.000 Blue-Box-Trainer angeschafft, um die Schulungszeiten der jungen Rekruten reduzieren zu können. Bis 1945 hatten über 500.000 Piloten ihre ersten Flugstunden am Link-Trainer absolviert (Abb. 1.3). Darüber hinaus erfand Edward Link einen Celestial Navigation Trainer, der nächtlichen Sternenhimmel simulieren konnte und der den Bomberbesatzungen zur Vorbereitung auf ihre Missionen über dem Deutschen Reich diente. „To have some Link time" wurde zu einer festen Redewendung unter Piloten.
../images/213650_2_De_1_Chapter/213650_2_De_1_Fig3_HTML.jpgAbb. 1.3
Der für das Training des Instrumentenflugs von Edward Link entwickelte Link-Trainer. Dieser wurde von den Kadetten wegen seiner leuchtenden Farbe auch Blue-Box-Trainer genannt
Nach 1950 fusionierte Link mit weiteren Firmen und erweiterte ihr Spektrum auf digitale Simulation, die ihnen immer weitere Anwendungen erschloss. Unter anderem waren alle von der NASA für ihr bemanntes Raumfahrtprogramm (Gemini, Apollo, Skylab) verwendeten Simulatoren Ur-Ur-Enkel der ersten Blue Box. Im Jahr 1988 schließlich wurde Link Simulation Systems von dem Marktführer, dem kanadischen Simulatorhersteller CAE Industries, Ltd aufgekauft.
1.3 Leben retten
1.3.1 Resusci-Anne
Obwohl sie weder computergesteuert und mit viel Funktionalität ausgestattet war, kann die Bedeutung von Resusci-Anne für die Geschichte der medizinischen Simulation nicht hoch genug eingeschätzt werden.
Kein anderer Simulator wird dem Leser dieser Zeilen aus seiner eigenen Anfangszeit in der Medizin (oder mittlerweile seiner täglichen Lehrtätigkeit) so vertraut vorkommen. Kein anderer Simulator kann auf über ein halbes Jahrhundert Einsatz zurückblicken, und kein anderer Simulator wird sich mit Resusci-Annes Anspruch messen können, weltweit von über 300 Mio. Menschen verwendet worden zu sein. So gesehen, kann Resusci-Anne zu Recht als erfolgreichster Low-Fidelity-Simulator und als Patin aller heute kommerziell erhältlichen Simulatoren angesehen werden.
Die Entstehungsgeschichte von Resusci-Anne ist insofern bemerkenswert, weil sie dem günstigen Zusammentreffen von neuen Erkenntnissen und ungewöhnlich visionärem Unternehmergeist zu verdanken ist. Der heute oftmals zwischen der wissenschaftlichen Erkenntnis und der Umsetzung für die Praxis liegende „translational gap" von einem Jahrzehnt war im Falle der Entwicklung von Resusci-Anne nicht existent. Zu verdanken ist dieser glückliche Umstand der Innovationsfreude des dänischen Industriellen Ansgar Laerdal. Im Jahr 1940 gegründet, stellte Laerdal zunächst Postkarten und Kinderbücher, später Puppen und Plastikspielsachen her.
Im Jahr 1958 publizierte Peter Safar [36] seine Forschungsergebnisse, in denen er zeigen konnte, dass eine Mund-zu-Mund-Beatmung den bisher gelehrten Reanimations(beatmungs)techniken von Silvester (in Rückenlage mit Armbewegungen) oder von Nielsen und Schafer (beide in Bauchlage) überlegen war. Daraufhin traten die norwegische Zivilverteidigung und das schwedische Rote Kreuz an Asmund Laerdal heran und baten ihn, ein Trainingsgerät für diese neue Form der Wiederbelebung zu entwickeln. In Zusammenarbeit mit dem damals einzigen Anästhesisten in Stavanger experimentierte Asmund Laerdal so lange, bis er einen Prototyp entwickelt hatte und diesen Peter Safar in Baltimore vorstellen konnte. Laerdal nannte sein Trainingsmannequin Anne, um die Brücke zu seinen bisherigen Puppen zu schlagen und Resusci nach dem erst kürzlich neu in die wissenschaftliche Welt eingeführten englischen Wort. Die Funktionalität seines Übungsphantoms stieß bei Medizinern auf breite Zustimmung, da beispielsweise die Verlegung des Atemwegs nur durch eine Hyperextension der Halswirbelsäule und durch Vorverlagerung des Unterkiefers durchbrochen werden konnte. Im gleichen Jahr riet Peter Safar Asmund Laerdal, in Resusci-Anne noch eine innere Federaufhängung für das Sternum zu implementieren, um auch die externe Herzdruckmassage trainieren zu können, deren Nutzen mittlerweile wissenschaftlich erwiesen war [29]. Dies war die Geburtsstunde der kardiopulmonalen Wiederbelebung [23, 41] und für Laerdal Anlass, die Identität seiner Firma neu zu begründen. Als die Resusci-Anne 1960 in die Serienproduktion ging, änderte Laerdal auch das Firmenlogo: Bis heute zeugt das Bild des barmherzigen Samariters von dem veränderten Fokus und der neuen Mission.
Viele Jahrzehnte lang legte Laerdal seinen Schwerpunkt fast ausschließlich auf die Entwicklung von Part-Task-Trainern [7]. Erst Mitte der 1990er-Jahre, als nur 2 Firmen (MedSim Eagle und METI) High-Fidelity-Simulatoren kommerziell anboten, begann Laerdal, einen eigenen Simulator zu entwickeln: den SimMan . Um sowohl Hard- als auch Software der Simulatoren nach eigenen Vorstellungen herstellen zu können, erwarb Laerdal Anfang 2000 Medical Plastics Laboratories Inc. (Texas), SimQuest und den auf Mikrosimulationstrainings spezialisierten Softwarehersteller Sophus Medical.
Hintergrund
„L’inconnue de la Seine"
Generationen von Akutmedizinern und Laien sind mit der Mund-zu-Mund-Beatmung mit Resusci-Anne groß geworden. Nur Wenigen dürfte dabei bewusst gewesen sein, dass sie beim Anblick der Resusci-Anne die künstlerische Aufarbeitung der Totenmaske eines jungen Mädchens sahen, das zu Beginn des vergangenen Jahrhunderts in Paris lebte und dessen Name bis heute unbekannt blieb: die „Unbekannte aus der Seine („L’inconnue de la Seine
). Irgendwann nach 1890 wurde ein toter Mädchenkörper aus der Seine gefischt. Niemand wusste, wer sie war, noch woran sie gestorben war. Einer der Gerichtsmediziner war jedoch von ihrem Gesichtsausdruck so gefesselt, dass er eine Totenmaske aus Wachs anfertigen ließ und diese als Souvenir verkaufte (Abb. 1.4). Aufgrund ihres geheimnisvollen Lächelns fand diese Maske so großes Interesse, dass gleich mehrere Firmen begannen, Kopien davon herzustellen und in alle Welt zu verkaufen. Geheimnisvolle Erzählungen und wilde Spekulationen um das Mysterium des ungeklärten Todes machten zusammen mit einer der zahlreichen Reproduktionen der Totenmaske in ganz Europa die Runde; selbst von Rainer Maria Rilke sind Betrachtungen zu diesem Gesicht überliefert.
Abb. 1.4
„L’inconnue de la Seine". Totenmaske eines unbekannten Mädchens, das Asmund Laerdal als Vorbild für das Gesicht seiner Resusci-Anne diente
Als Generationen später Asmund Laerdal mit der Entwicklung einer lebensgroßen und realistisch dargestellten Übungspuppe für die Mund-zu-Mund-Wiederbelebung begann, stieß er auf die Geschichte und die Totenmaske der Unbekannten aus der Seine. Ergriffen von der Geschichte des Mädchens, das so tragisch einen frühen Tod erlitt, gestaltete er das Gesicht seiner neuen Wiederbelebungspuppe Resusci-Anne nach ihrem Bild. Sie sollte weder Furcht einflößend noch verängstigt aussehen, sondern zu bewusstem Handeln einladen. Mit dem Bezug zu ihrem geheimnisvollen Ende wollte er der Hoffnung Ausdruck geben, dass künftigen Generationen durch die damit entstandene Trainingsmöglichkeit das Schicksal eines zu frühen Todes erspart bleiben würde [34, 41].
1.3.2 Mega-Code-Training
Während Resusci-Anne den Teilnehmern ermöglichte, die Grundlagen des „Basic Life Supports (BLS) zu trainieren (Atemwege freimachen, Beatmen, Herzdruckmassage), erfolgten die ersten Schulungen der erweiterten Reanimationsmaßnahmen („Advanced Cardiac Life Support
[ACLS]), die 1974 erstmals als Kurs durch die American Medical Association angeboten wurden, an unterschiedlichen Einzelstationen. Diese bestanden aus CPR-Mannequins, EKG-Simulatoren, Intubationsphantomen etc. Keine der damaligen Stationen versetzte den Teilnehmer in eine „reale" Reanimationssituation, an der er als Teilnehmer eines Teams in einer klar definierten Verantwortlichkeit partizipieren konnte. Die Notwendigkeit dafür begründete Kayne [28] bereits 1981 mit den Worten:
Das Wort „Chaos" beschreibt am besten die meisten innerklinischen Wiederbelebungsversuche. Ein Alarm wird ausgelöst, und Personal aus dem ganzen Haus strömt zusammen. Eine große Menschenmenge versammelt sich um das Patientenbett, von denen einige sinnvolle Tätigkeiten ausführen, während die meisten lediglich zuschauen oder manche sogar das Geschehen behindern. Normalerweise existiert kaum ein Bewusstsein dafür, ein Team zu sein, und ein starker Teamleader ist selten sichtbar. […] Das Mega-Code-Training wurde mit der Zielsetzung entworfen, das Chaos zu eliminieren oder zumindest zu minimieren.
Um das erforderliche „ganzheitliche Lernen (Wissen, manuelle Fertigkeiten, Arbeiten im Team) ermöglichen zu können, beschrieben William Kaye und sein Team eine eigens zu diesem Zweck konzipierte Hybridlösung: Der simulierte Patient bestand dabei ursprünglich aus verschiedenen Mannequins, die zu einem „Opfer
zusammengefügt wurden: ein defibrillierbarer CPR-Torso (bei dem der nichtintubierbare Kopf entfernt worden war), ein Erwachsenenintubationstrainer, der oberhalb der Schultern angebracht werden konnte, ein i.v.-Trainingsarm für die Medikamentengabe und ein EKG-Generator samt Bildschirm. Das Szenario mit dem Low-Fidelity-Simulator wurde dabei ausschließlich durch direkte Intervention des Instruktors gesteuert [28, 31]. Auch die Verteilung der Verantwortlichkeiten innerhalb eines 4 bis 5 Mann starken Teams legte man damals mit
Code-Leader,
Airway-Manager,
Durchführung der Herzdruckmassage,
Legen des i.v.-Zugangs und
Bedienung des Defibrillators
fest. Die dadurch möglich gewordene Teamversorgung bezeichneten sie in ihrer Arbeit als Mega-Code-Training – ein Begriff, der zum festen Bestandteil der medizinischen Ausbildung geworden ist.
1.4 Fertigkeiten trainieren
1.4.1 SimOne
Die Ursprünge des computergesteuerten Anästhesiesimulators mit einem realistisch dargestellten Mannequin liegen ebenfalls über 50 Jahre zurück. Von Donald Carter, dem Projektingenieur, Dr. Stephen Abrahamson, einem Ingenieur, und Dr. Judson Denson, einem Arzt, entwickelt, wurde der erste Simulator in Zusammenarbeit mit Sierra Engineering und Aerojet General Corporation gebaut [1, 6]. Als Allererster seiner Art wurde der Patientensimulator SimOne genannt und in nicht einmal 9 Monaten Entwicklungsarbeit fertiggestellt:
Sierra Engineering Company had the same amount of time to produce SimOne as it takes our good Lord to deliver the real thing, so we had to move out rapidly with this project. [6]
Abrahamson beschrieb viele Jahre später, dass die Idee für SimOne aus der Notwendigkeit entstanden war, dass die Firma Aerojet mangels Aufträgen aus der Rüstungsindustrie gezwungen war, ihre Kapazitäten auf nichtmilitärische Aufgaben auszuweiten [11]. Ziel der avisierten Entwicklung sollte ein lebensechter Patient sein, an dem die Narkoseeinleitung und die endotracheale Intubation geübt werden konnten. Das Mannequin (das genau genommen nur aus einem auf einem Tisch montierten Torso bestand) war erstaunlich lebensecht und wurde von einem analog-digitalen Hybridcomputer („mit 4096 Wörtern Speicherkapazität") gesteuert (Abb. 1.5). Es hatte viele Merkmale, wie sie auch heute noch in High-Fidelity-Simulatoren zu finden sind: Der Brustkorb war anatomisch geformt und bewegte sich atemsynchron, die Atemwege waren anatomisch korrekt und ließen sich intubieren. SimOne konnte einen Laryngospasmus darstellen, gegen den Tubus husten, grünlichen Mageninhalt erbrechen, die Stirn runzeln, blinzeln, mit den Pupillen auf Licht reagieren, unterschiedlich stark mit dem Unterkiefer zubeißen und auf die Gabe von Succinylcholin hin faszikulieren. Selbst eine Zyanose war sichtbar: Im Gesicht- und Halsbereich veränderte sich das Kolorit von rosa über blau zu grau [35]. Das kardiovaskuläre System war durch palpable Pulse an der Karotis und Femoralarterie (nicht aber durch eine EKG-Ableitung) abgebildet und spiegelte somit den damals üblichen Überwachungsmodus wider. Darüber hinaus konnte SimOne eine Maskenbeatmung (durch kleine Relais unter der Haut), eine adäquate Intubationstiefe (durch magnetische Markierungen an einem speziell dafür konstruierten Tubus), die Blockung des Endotrachealtubus (Drucksensoren in der Trachea) sowie Menge und Art von 4 i.v.-Medikamenten (Thiopental, Succinylcholin, Methoxamin, Ephedrin; die jeweils mit Nadeln unterschiedlicher Größe injiziert wurden) und 2 Gasen (O2 und N2O; durch Informationen aus dem Beatmungsgerät) erkennen [6, 14]. Das Programm reagierte auf das injizierte Medikament anhand einer abgespeicherten Dosis-Wirkungs-Kurve, eine Simulation der Pharmakokinetik und -dynamik fand jedoch nicht statt. Eine Reihe an Komplikationen war vorprogrammiert und konnte vom Trainer bei Bedarf aktiviert werden. Die Autoren führten einige wenige Studien damit durch, in denen sie bereits damals zum Schluss kamen, dass mithilfe der Simulation die Zeit zum Erlernen der Intubation verkürzt und die Gefährdung für die Patientensicherheit reduziert werden konnte [1].
../images/213650_2_De_1_Chapter/213650_2_De_1_Fig5_HTML.jpgAbb. 1.5
Der von Donald Carter, Stephen Abrahamson und Judson Denson entwickelte SimOne
Die für damalige Zeit exorbitant hohen Kosten (272.000 US $, heute 450.000 US $ entsprechend) und die Komplexität des Computers bedingten, dass die Technik zu teuer für eine Kommerzialisierung war. Darüber hinaus waren die Erfinder mit ihrer Idee, auch in der Medizin ein Training am Simulator zu etablieren, ihrer Zeit zu weit voraus. Möglicherweise war aber auch der publizierte Benefit (Verbesserung der Intubationsfähigkeit) zu eng und die Kosten-Nutzen-Rechnung zu ungünstig, um die Technik für andere Anwendungen interessant zu machen. Darüber hinaus fehlte den Erfindern damals eine Vorstellung von den relevanten Inhalten der menschlichen Performance, für welche Training, Testung oder Forschung mit einem Simulator ein ideales Werkzeug wäre. So kam es, dass „SimOne nach und nach in Vergessenheit geriet und 1975 „starb
, nachdem defekte Bauteile nicht mehr ersetzt werden konnten [35]. Ein ursprünglich geplanter SimTwo wurde nie gebaut.
Manche gute Ideen werden nicht beachtet und verschwinden von der Bildfläche, nur um Jahrzehnte später wieder auf der Bühne zu erscheinen.
1.4.2 Harvey Cardiology Patient Simulator
Eines der frühesten Beispiele für das moderne Konzept des Part-Task-Trainers für die medizinische Ausbildung war der 1968 von Dr. Michael Gordon vorgestellte Cardiac Patient Simulator (Abb. 1.6). Angeregt durch das klinische Vorbild seines damaligen Mentors Dr. Proctor W. Harvey, der seinen Assistenzärzten die Grundlagen der Kardiologie mithilfe von audiovisuellen Lernhilfen vermittelte, baute Gordon in Kollaboration mit dem Center for Research in Medical Education (CRME) den ersten Prototyp und benannte ihn nach seinem klinischen Lehrer. Harvey war in der Lage, die für die Kardiologie relevanten klinischen Untersuchungsbefunde zu simulieren: nichtinvasive Blutdruckmessung, bilaterale Jugularispulse, arterielle Pulse, präkordiales Schwirren an 6 Stellen sowie die Auskultation in den klassischen 4 präkordialen Bereichen. Zusammengenommen konnte Harvey damit ein weites Spektrum von insgesamt 27 kardialen Erkrankungen und deren Abhängigkeit von der Spontanatmung simulieren. Von allen Simulatoren dürfte Harvey am intensivsten auf seine Effizienz in der Lehre hin getestet worden sein. Bereits vor 30 Jahren dokumentierten Pilotstudien die Effektivität eines „bedside teachings" mit Harvey [21, 22]. Im Jahr 1997 wurde von japanischen Kardiologen ein kleineres, tragbares und kostengünstigeres Nachfolgemodell auf den Markt gebracht, der Simulator K.
../images/213650_2_De_1_Chapter/213650_2_De_1_Fig6_HTML.jpgAbb. 1.6
Dr. Michael Gordon vor seinem von ihm 1968 entwickelten Harvey Cardiology Patient Simulator
1.5 Gerätefehlfunktionen verstehen
1.5.1 Gainsville Anesthesia Simulator
Gainesville, im Norden des US-Bundesstaates Florida gelegen, war der Geburtsort des zweiten großen Simulators, der im Rahmen eines universitären Projektes entwickelt wurde. Der Gainesville Anesthesia Simulator (GAS) reproduzierte ebenfalls das klinische Setting der anästhesiologischen Patientenversorgung und bestand aus einem Patientenmannequin, einem Beatmungsgerät mitsamt Standardmonitoring und einer dahinterliegenden Soft- und Hardware, die die zugrunde liegenden physiologischen und pharmakologischen Modelle zur Verfügung stellte [20] (Abb. 1.7). Eine Hybridlunge, bestehend aus einem mechanischem Balg und einer Software, die Aufnahme und Verteilung von volatilen Anästhetika beschreibt, erlaubte eine Echtzeitdarstellung der Gasaufnahme in der Lunge und der daraus resultierenden Blutgasveränderungen.
../images/213650_2_De_1_Chapter/213650_2_De_1_Fig7_HTML.jpgAbb. 1.7
Der in Gainsville, Florida, entwickelte Gainsville Anesthesia Simulator (GAS)
GAS war ursprünglich entwickelt worden, um Trainees die systematische Herangehensweise an Probleme mit dem Beatmungsgerät zu vermitteln: Das zu GAS gehörige Beatmungsgerät war so modifiziert worden, dass es 13 Gerätefehlfunktionen produzieren konnte, wie beispielsweise Leckagen, Absorberkalkerschöpfung, Ventilfehlfunktionen und die Zumischung von hypoxischen Gasgemischen [18, 19].
Wie auch im Fall von CASE lag bei GAS der Gedanke nahe, die erreichten Vorzüge dieses Modells der medizinischen Welt zur Verfügung zu stellen: Die in der Luft- und Raumfahrttechnik beheimatete Firma Loral Data Systems (Sarasota, Florida), übernahm die Herstellung und den Vertrieb dieses nun als Human Patient Simulator (HPS) bezeichneten Systems. Als Loral aufgrund ungenügenden Profits nach nur 2 Jahren die Patientensimulation wieder einstellen wollte, kaufte Lou Oberndorf die Rechte für den HPS und gründete zusammen mit 5 Mitarbeitern die Firma Medical Education Technologies Inc. (METI). Oberndorf als visionärer CEO, substanzielle Aufträge der US Army, das Debüt des ersten pädiatrischen Simulators (PediaSim) und die Entwicklung eines wesentlich transportableren Simulators (Emergency Care Simulator [ECS]) machten METI gegen Ende des vergangenen Jahrtausends zum Marktführer und Hauptinnovator. Im Herbst des Jahres 2011 schließlich wurde METI von CAE Healthcare, einer Subdivision der kanadischen CAE Inc., dem weltweit führenden Hersteller von Simulationstechnik für die zivile und militärische Luftfahrt, für 130 Mio. US$ aufgekauft. Damit schließt sich symbolisch der Kreis, bei dem Simulation in der Luftfahrt begann und nun wieder in Firmen aus der Luftfahrt beheimatet wird.
1.5.2 Leiden Anaesthesia Simulator
Auch auf dem europäischen Festland gab es Bemühungen, Patientensimulation in die Aus- und Weiterbildung der Anästhesisten zu implementieren. Ähnlich wie zuvor CASE und GAS bestand auch der am Universitätsklinikum Leiden (Holland) entwickelte Leiden Anesthesia Simulator (LAS) aus einem mit einem elektromechanischen Lungenmodell modifizierten Airway-Management-Trainer , das mit einem Standardnarkosegerät und dessen Monitoring betrieben werden konnte (Abb. 1.8) [8]. Die modifizierte Lunge erlaubte sowohl die Spontanatmung als auch eine kontrollierte Ventilation, simulierte CO2-Abgabe und Sauerstoffverbrauch und ließ sich hinsichtlich ihrer Compliance und Resistance verändern. Neben Atemgeräuschen und tastbaren Pulsen konnten sowohl ein Laryngospasmus als auch Regurgitation von Mageninhalt ausgelöst werden. Infusionen und Medikamente wurden über einen separaten Infusionsarm infundiert. Über eine volumetrisch kontrollierte Infusionspumpe und gefärbte Lösung wurde eine Urinproduktion simuliert. Vom Kontrollraum aus, in dem der Instruktor über einen 33 MHz 486-PC die Modelle steuerte, ließ sich anhand von 15 verschiedenen Parametern eine Reihe an Szenarios generieren.
../images/213650_2_De_1_Chapter/213650_2_De_1_Fig8_HTML.jpgAbb. 1.8
Der im holländischen Leiden entwickelte Leiden Anesthesia Simulator (LAS)
Alternativen: Simulation ohne Simulationspatient
Dass in den Pionierjahren auch andere Ansätze verfolgt wurden, um Anästhesisten im Management von kritischen Zwischenfällen zu trainieren, zeigte die norwegische Arbeitsgruppe um Berge. Sie modifizierten einen Standardanästhesierespirator dahingehend, dass er bei unverändertem Äußeren 20 vorkonfigurierte Gerätefehlfunktionen implementiert bekam, die ferngesteuert aktiviert werden konnten. Die Zielsetzung bestand einerseits darin, Anwender im Gerätecheck vor Inbetriebnahme zu schulen, andererseits im laufenden Betrieb auftretende Probleme rasch zu erkennen und zu beheben. Im Gegensatz zum Gainsville Anesthesia Simulator, der mit einem modifizierten Anästhesiegerät begann, dann aber in eine Weiterentwicklung des Mannequins mündete, blieb dieser Trainingsansatz auf den Respirator begrenzt [2].
1.6 Menschliche Performance verstehen und verbessern
Comprehensive Anesthesia Simulation Environment (CASE)
Angeregt durch Forschungsarbeiten zu Fehlern und Human Factors und unterstützt durch ein Funding der neu gegründeten Anesthesia Patient Safety Foundation, begann Mitte der 1980er-Jahre ein Team an der Stanford Universität in Kalifornien um David Gaba, Anästhesist mit einem Bachelor der Ingenieurwissenschaften, mit der Entwicklung eines realistischen Anästhesiesimulators , der Comprehensive Anesthesia Simulation Environment (CASE) genannt wurde [17] (Abb. 1.9). CASE 0.5, 1.2 und später 1.3 waren die ersten Prototypen eines Simulators, der mit der Zielsetzung entwickelt worden war, das Verhalten und die Entscheidungsprozesse von Anästhesisten während des Managements von kritischen Zwischenfällen zu untersuchen. CASE verwendete ein kommerziell erhältliches Mannequin, das modifiziert worden war, um CO2 in die Lunge einzuspeisen, eine Okklusion des linken Hauptbronchus zu ermöglichen und die Anlage eines Zentralvenenkatheters simulieren zu können. Das Mannequin erlaubte Maskenbeatmung, Intubation und die Auskultation von Atemgeräuschen, hatte aber weder Spontanatmung noch tastbare Pulse. CASE war in einem Operationssaal aufgebaut und kombinierte kommerziell erhältliche Signalgeneratoren (die reale Monitore ansteuerten) mit virtuellen Instrumenten, bei denen Messergebnisse (z. B. der nichtinvasive Blutdruck) auf einem Computerbildschirm abgebildet wurden. Die Kontrolllogik wurde durch einen Mitarbeiter auf einem Macintosh Plus-Computer vorgenommen, bei dem er anhand von vorgefertigten Skripts auf die Handlungen des Anästhesisten reagierte [15].
../images/213650_2_De_1_Chapter/213650_2_De_1_Fig9_HTML.jpgAbb. 1.9
Der erste Prototyp des von David Gaba in Stanford entwickelten Comprehensive Anesthesia Environments: CASE 1.1
Darüber hinaus spielte der Verantwortliche eine aktive Rolle innerhalb des Szenarios (z. B. als Chirurg oder Pflegekraft). Die Szenarien wurden auf Video aufgezeichnet und im Anschluss besprochen.
Die Weiterentwicklung von CASE konnte auf verstärkte Rechenkapazität der Computer zurückgreifen, wodurch physiologische Modelle des kardiovaskulären Systems implementiert werden konnten und es somit teilweise modellgetrieben war [14]. CASE 2.0 diente dazu, ein neues Trainingskonzept in der Anästhesiologie durchzuführen, das Anesthesia Crisis Resource Management (ACRM). Da die Idee der Teamarbeit und des Rückgriffs auf die Crew-Ressourcen einen wesentlichen Bestandteil bildeten, spielten die beteiligten Personen eine wesentliche Rolle in den Szenarien [16, 25, 26]. Von der weiterentwickelten Form war der Schritt zur Kommerzialisierung nicht mehr weit: 1993 erwarb die CAE-Link Corporation, ein Hersteller von Luft- und Raumfahrtsimulatoren und direkter Nachkomme der Link Aeronautic Corporation, die den legendären Link-Trainer hergestellt hatte, Lizenzen sowohl von David Gabas Simulator als auch von Howards Software des Anesthesia Simulator Consultant. Beide dienten als Grundlage für den CAE Patient Simulator , der ein breites Spektrum von Patientencharakteristika, Pathophysiologien und pharmakologischen Interaktionen abbilden konnte. Das Mannequin besaß neben den grundlegenden Eigenschaften (Pulse, Thoraxexkursion, Auskultation etc.) einen Atemweg, der an mehreren Stellen manipuliert werden konnte, um die Intubationsschwierigkeit zu erhöhen, Augen- und Pupillenbeweglichkeit, einen Arm, mit dem spontane Patientenbewegungen simuliert werden konnten, und einen beweglichen Daumen, mit dessen Hilfe die Relaxometrie überwacht werden konnte. Gesteuert wurde das System von einer Sun SPARC 1-Workstation, die physiologische Auswirkungen von Medikamentengaben berechnete und eine manuelle Steuerung physiologischer Variablen erlaubte [13].
Der CAE Patient Simulator hatte eine kurze und wechselvolle Geschichte: Sein Eigentümer wandelte sich von CAE-Link zu CAE Medical Electronics und dann weiter zu Eagle (Binghampton, New York), um schließlich an MedSim Ltd verkauft zu werden, die ihren Firmensitz in Kfar Saba, Israel, hatte. MedSim, die eigentlich Ultraschallsimulatoren vertrieb, gab im Jahr 2000 schließlich die Produktion von MedSim Eagle-Patientensimulatoren aus nie näher ausgeführten Gründen auf [15]. Zu vermuten ist jedoch, dass dieser Leistungsbereich nicht in ihr damaliges Marketingkonzept passte.
1.7 Einzellösungen
Eine Reihe von weiteren Patientensimulatoren wurde von einzelnen Abteilungen gebaut und sowohl zu Trainingszwecken als auch zur Klärung wissenschaftlicher Fragestellungen eingesetzt, ohne dass diese kommerziell erhältlich wurden.
1.7.1 Sophus Anaesthesia Simulator
Der Sophus Anaesthesia Simulator wurde von einem Team des Herlev Hospitals (Dänemark) in Zusammenarbeit mit der Universität und der Industrie entwickelt. Er bestand aus einem Erwachsenenmannequin und verwendete ebenfalls reales Anästhesieequipment, um den anästhesiologischen Arbeitsplatz nachzustellen [10, 27]. Der Steuerungssoftware lagen umfangreiche physiologische und pharmakologische Modelle zugrunde, die ihre generierten Signale an Standardmonitore weiterleiteten. Vergleichbar mit der Arbeitsgruppe in Stanford wurde der Sophus Anaesthesia Simulator verwendet, um Konzepte des Crew Resource Managements zu vermitteln. Das Kurskonzept, das ebenfalls aus klinischen Szenarien mit anschließendem Debriefing bestand, wurde Rational Anaesthesia genannt [9].
1.7.2 Wilhelm Tell-Simulator
Der Wilhelm Tell-Simulator wurde 1994 am Universitätsspital in Basel installiert. Es bestand aus der Nachbildung eines kompletten Operationssaals, bestehend aus einem Anästhesiesimulator (der ein Replikat des dänischen Sophus-Simulators war) und einem chirurgischen Simulator, der aus artifiziell perfundierten Kadaverorganen bestand und eine laparoskopisch assistierte Chirurgie erlaubte. Da mit dem Simulator ein integriertes Training aller am operativen Geschehen beteiligten Personen durchgeführt werden konnte, wurde das zugrunde liegende Konzept als teamorientierte medizinische Simulation (TOMS) bezeichnet. Operative Komplikationen mussten in gemeinsam koordinierten Maßnahmen von Operateuren und Anästhesisten bewältigt werden. Auch hier beruhte der zugrunde liegende Kursaufbau auf der Dreiteilung in Briefing, Szenario und videogestütztes Debriefing [24, 37].
1.7.3 PatSim-Simulator
Unterstützt durch Fördermittel von Laerdal, wurde der PatSim-Simulator in Stavanger (Norwegen) von einem Team aus Ingenieuren, Anästhesisten und Pädagogen entwickelt, um Anästhesie- und Intensivpersonal im Management von Zwischenfällen trainieren zu können. Ein wesentlicher Aspekt bei der Entwicklung war das Bestreben, dass die vom Computer generierten physiologischen Signale von Standardgeräten (bzw. manuell durch den Anästhesisten) abgegriffen werden konnten. PatSim bestand aus einem modifizierten Intubationsmodell, das an eine Simulationslunge angeschlossen war und sowohl zur Spontanatmung als auch zur kontrollierten Ventilation in der Lage war. Compliance und Resistance waren variabel, und CO2 konnte in die Lunge eingespeist werden. Die Lunge ließ sich auskultieren (und die Atemgeräusche über der linken Lunge bei Bedarf drastisch abschwächen), und es ließ sich sowohl ein Laryngo- als auch ein Bronchospasmus auslösen. Darüber ließ sich der Hauptbronchus mit Sekret verlegen und Mageninhalt regurgitieren. Die Farbe der Lippen wechselte bei Hypoxie von Rot nach Blau, und farbige Flecken auf den Wangen konnten ein Exanthem imitieren. Zusätzlich war PatSim in der Lage, zu weinen und an der Stirn zu schwitzen. An einem extra Infusionsarm ließ sich der nichtinvasive Blutdruck durch Auskultation von Korotkov-Geräuschen bestimmen und der invasive Blutdruck über eine arterielle Kanüle ableiten, aus der im Falle einer