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Kommunikation in kritischen Situationen
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eBook412 Seiten3 Stunden

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Über dieses E-Book

Kritische Situationen stellen Einzelne und Teams vor große Herausforderungen. Das weitere Schicksal eines Zwischenfalls, eines Projekt oder einer Entwicklungsidee wird in solchen Situationen entschieden. Entscheiden unter Unsicherheit, Analyse, Planen, entschlossenes Handeln sind gefragt.
In kritischen Situationen spielt Kommunikation eine zentrale Rolle. Ob ein Zwischenfall in einer Operation gemanagt werden muss, eine Großschadenslage bewältigt, eine Kollision von Flugzeugen vermieden oder ein Bergsteigerteam einen Gipfel erreichen will: Gute Kommunikation ist eine wichtige Bedingung guten Gelingens. Mangelhafte Kommunikation dagegen ist selber ein Faktor, der zur Entstehung von Unfällen und Katastrophen beiträgt.
In diesem Buch wird das Thema Kommunikation in kritischen Situationen von Experten aus verschiedenen Arbeitsfeldern unter folgenden Schwerpunkten beleuchtet: Kommunikationsmodelle, Die Rolle der Kommunikation für das Handeln in Teams, Typischen Fallen und Fehler in der Kommunikation und ihre Ursachen, Kommunikation in komplexen und unbestimmten Situationen, Regeln für sichere Kommunikation.

Dieses Buch entstand aus der Kommunikation von Praktikern und Wissenschaftlern in einem Workshop zu "Kommunikation und Handeln in kritischen Situationen" (2003). Für die Neuauflage wurden die Texte aktualisiert und überarbeitet und es wurden Beiträge aus dem Bereich der interkulturellen und interorganisationalen Kommunikation hinzugenommen.
Neben anschaulichen Texten zu Kommunikationstheorien werden Fallbeispiele guter und misslungener Kommunikation diskutiert. Es wird Verständnis geweckt für Fehler und Fallen in der Kommunikation von Teams und Organisationen. Ansatzpunkte für Verbesserungen durch Trainings und organisationale Veränderungen werden vermittelt.
SpracheDeutsch
Erscheinungsdatum18. Apr. 2022
ISBN9783866767430
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    Buchvorschau

    Kommunikation in kritischen Situationen - Verlag für Polizeiwissenschaft

    I

    Kommunikation, Handeln und Komplexität

    1Kommunikation in Kritischen Situationen

    Petra Badke-Schaub

    1.1Einleitung

    Kommunikation als Austausch von Mitteilungen bestimmt unser tägliches Leben. Denken wir an die Kommunikation einer Crew bei einem Triebwerkausfall, kann Kommunikation sogar in wörtlichem Sinn unser Leben bestimmen. Die Bedeutung von Kommunikation für die erfolgreiche und effektive Bewältigung Kritischer Situationen ist Merkmal verschiedenster komplexer Arbeitstätigkeiten (Badke-Schaub & Frankenberger, 2003a). Wie aber kann Kommunikation in Kritischen Situationen zielführend beeinflusst werden? Welche Faktoren sind für Erfolg und Misserfolg der Kommunikation in Kritischen Situationen von zentraler Bedeutung? Diese Fragen legen einen breit gefächerten thematischen Rahmen nahe, der von der technischen Frage der Übermittlung von Information über linguistische Aspekte der Sprache bis hin zum Thema Kommunikationskompetenz der Kommunikationspartner reicht, wobei Einzelpersonen, Gruppen und Organisationen im Blickfeld stehen können. Dieses Themenspektrum kann und wird in diesem Beitrag nicht geleistet werden (für detaillierte Analysen siehe Heath & Bryant, 2000). Das Ziel besteht vielmehr darin, ausgewählte Charakteristika von Kommunikation aufzuzeigen und deren Bedeutung für den weiteren Prozess und den Erfolg oder Misserfolg Kritischer Situationen zu ermitteln. Dazu werden zunächst das Sender-Empfänger-Modell und dessen Implikationen für den Kommunikationsprozess in Kritischen Situationen dargestellt (Kap. 1.2). Sodann wird Kommunikation in ein Gesamtmodell des Handelns gestellt, um verschiedene Einflussbereiche zu verdeutlichen (Kap. 1.3), und schließlich werden anhand von sieben Thesen wichtige Grundsätze von Kommunikationsprozessen dargelegt (Kap. 1.4) und miteinander in Beziehung gesetzt (Kap. 1.5).

    1.2Grundmodell der Kommunikation

    Das klassische Modell zur Veranschaulichung des Informationstransfers als Grundmuster zwischenmenschlicher Kommunikation ist das Sender-Empfänger-Modell (Shannon & Weaver, 1949): Ausgehend von der Quelle, dem Sender, erfolgt eine Nachricht über einen Kanal zu dem Ziel, also zu dem Empfänger, der die Nachricht wahrnimmt und übersetzt. Diese nachrichtentechnische Sichtweise beschreibt lediglich den technischen Prozess, die konkreten Parameter menschlicher Interaktionen müssen abgeleitet von theoretischen Überlegungen eingesetzt und überprüft werden. Das Modell stellt somit lediglich einen abstrakten Rückkopplungsprozess dar, der für den spezifischen Fall mit den konkreten Merkmalen menschlicher Kommunikation präzisiert werden kann.

    Wie in Abb. 1.1 veranschaulicht, sind kognitive Prozesse wie zum Beispiel interpretative und kontextbezogene Wahrnehmung relevant, die diesen Informationstransfer beeinflussen.

    Abb. 1.1: Erweitertes Grundmodell zwischenmenschlicher Kommunikation.

    Ad a) Interpretation und Anpassung: Interpretation und Anpassung sind Prozesse, die in einem ‚Einigungsprozess’ zwischen Sender und Empfänger hinsichtlich einer „angemessenen Sprache" in Bezug auf das Repräsentationsformat und die Detailtiefe der Mitteilung erfolgen (Garrod & Anderson, 1987; Garrod & Doherty, 1995). Durch die Wahrnehmung bzw. Zuschreibung von Merkmalen des Gesprächspartners, die sich vornehmlich an der wahrgenommenen Gruppenzugehörigkeit des Empfängers orientiert, z.B. Geschlecht, Alter, Nationalität, aber auch Expertenstatus, wählt der Sender ein entsprechend auf den Empfänger abgestimmtes Repräsentationsformat. Damit nimmt der Sender Bezug auf (angenommenes) geteiltes Vorwissen und vereinfacht die Kommunikation dadurch in der Weise, dass in einem Dialog nicht alles expliziert werden muss. Kommuniziert z.B. eine Krankenschwester mit dem Chefarzt ihrer Abteilung, wird sie in der Benennung der Krankheitsbilder das entsprechende medizinische Fachvokabular verwenden. In einem Gespräch mit den Angehörigen dagegen wird sie eine Sprache verwenden, die der Patient versteht. Ebenso wird sie hinsichtlich der Detailtiefe nicht den kompletten mikrobiologischen Befund mitteilen, sondern in einer Zusammenfassung eine grobe Gesamtbewertung äußern. Diese Zuschreibung von Merkmalen des Gesprächspartners kann allerdings fehlerhaft sein, was in der Folge zu Problemen in der Kommunikation führen wird.

    Eine andere Form der Abstimmung zwischen Kommunikationspartnern erfolgt durch die Bezugnahme auf physikalisch sichtbare Objekte im Raum, denn die Objekte, die der Sender selbst wahrnimmt, kann er auch beim Beobachter voraussetzen. Diese Bezugnahme birgt ebenfalls vielfältige Möglichkeiten zu Missverständnissen, insbesondere wenn die Annahme, dass der Gesprächspartner den Bezug versteht, nicht zutrifft, oder der Gesprächspartner einen anderen Bezug wählt. Darüber hinaus gibt es Situationen, in denen sich die Kommunikationspartner zwar in demselben Raum befinden und gleichermaßen auf die jeweiligen physikalisch sichtbaren Objekte Bezug nehmen, jedoch die konkreten Zustände der Objekte nur durch die Ansage des Kommunikationspartners erfahren. So sieht beispielsweise der Anästhesist Informationen, die der Chirurg nicht sieht und umgekehrt, weshalb die Kommunikation solcher Informationen klar geregelt sein muss (siehe Kap. 1.4).

    Eine ähnliche Funktion kann auch die Visualisierung von Objekten in der Kommunikation übernehmen, beispielsweise Skizzen oder andere Formen der Materialisierung.

    Ad b) Kontext und Koordination: Sowohl Sender als auch Empfänger setzen die Nachricht in einen Kontext, der situations- und personenbezogen der Nachricht Bedeutung verleiht. Diese Bedeutungszuweisung setzt der Sender durch die Wahl des Kontextes, der Empfänger dekodiert die Nachricht, indem er wiederum aufgrund seiner Erwartungen und Kenntnissen die Nachricht auf einen Kontext bezieht und damit Bedeutung verleiht, was er gegebenenfalls an den Sender zurückmeldet.

    Folgende Aussage: „Die Distanz des Objektes zum Zielobjekt beträgt 3,7 Einheiten!" wird von einem Astronomen (Einheit = Lichtjahre) anders verstanden als von einem Piloten (Einheit = Meile) oder von einem Mikrobiologen (Einheit = ngström=10-10 Meter). Somit wird der Kontext insbesondere dann wichtig, um bei Unklarheit der Nachricht diese angemessen einordnen zu können und somit einen gemeinsamen Bezugsrahmen herzustellen.

    Neben der inhaltlichen Kontexteinordnung sind weitere Aspekte wichtig, hinsichtlich derer eine Nachricht wahrgenommen und interpretiert werden kann. Schulz von Thun spricht in diesem Zusammenhang vom „vierohrigen Empfänger" (1998), denn nach Schulz von Thun hat jede Nachricht vier verschiedene Aspekte oder auch Botschaften. Jeder dieser vier Aspekte ist gleichbedeutend, auch wenn je nach Person und je nach Situation ein Aspekt im Vordergrund steht und jeder Aspekt unterschiedliche Wirkungen hat, wie in Tabelle 1.1 aufgezeigt ist. Diese Differenzierung der Wahrnehmung von Mitteilungen ist deshalb wichtig, weil Kommunikation insbesondere im Arbeitsleben oft als ‚wertneutral’ bzw. als ‚ausschließlich faktenorientiert’ bezeichnet wird – eine Annahme, die nach diesem Modell von Schulz von Thun nicht möglich ist.

    Tabelle 1.1: Vier Seiten einer Nachricht (Schulz von Thun, 1998).

    1.3Kommunikation in komplexen Arbeitsumgebungen

    Unter dem Begriff ‚komplexe Arbeitsumgebungen’ fallen unterschiedliche Berufsfelder, die jeweils sehr spezifische Anforderungen haben können. So ist die Kommunikation im Flugverkehr beispielsweise in wesentlich höherem Ausmaß standardisiert als in der Medizin. Dennoch gibt es einige Merkmale, die typisch für komplexe Arbeitsumgebungen sind und sich als besondere Anforderungen auf die Kommunikation auswirken.

    1)Komplexe Arbeitsfelder erfordern Koordination und Zusammenarbeit im Team: In Teams arbeiten und kommunizieren Personen mit unterschiedlichen Zielen, unterschiedlichem Wissen und unterschiedlichen ‚Kommunikationsgewohnheiten’. Je größer das Team ist, desto mehr Koordination ist notwendig und desto schwieriger ist eine effektive Kommunikation. Dabei ist Kommunikation nicht um ihrer selbst relevant, sondern hat das Ziel, dass die Kommunikationspartner ein gemeinsames Modell des jeweiligen Inhalts entwickeln (Badke-Schaub, Neumann, Lauche & Mohammed, 2007; Neumann, 2012). Insbesondere die im Zeitalter von Globalisierung zunehmende Dislokalität von Gruppen, die an verschiedenen geografischen Orten, über unterschiedliche Medien, in verschiedenen Kulturen miteinander kommunizieren, stellen zum Teil neue Anforderungen an die jeweiligen Kommunikationspartner.

    2)Komplexe Arbeitsfelder haben Schnittstellen: Da in komplexen Arbeitsfeldern unterschiedliche organisatorische und inhaltliche Bereiche zusammenarbeiten, entstehen Schnittstellen zwischen diesen Bereichen, z.B. zwischen Abteilungen (Chirurgie und Anästhesie), zwischen Einzelpersonen (Pilot und Co-Pilot) wie auch zwischen Organisationen (Automobilfirma – Automobilzulieferer). Da diese Schnittstellen hinsichtlich Aufgaben, Zielen und Verantwortlichkeiten oftmals intransparent und nicht eindeutig definiert sind, bedeutet jede Schnittstelle ein potenzielles Kommunikationsproblem.

    3)Komplexe Arbeitsfelder entwickeln spezifische Sprachen und Kulturen: Dieser Grundsatz gilt für die Kommunikation zwischen zwei einzelnen Personen ebenso wie für die Kommunikation von Abteilungen oder Berufsgruppen. So kommuniziert der Chefarzt Dr. Müller mit der Pflegedienstleitung Frau Schmidt in einer ‚spezifischen Müller-Schmidt-Sprache’, die sich durch jahrelange Zusammenarbeit entwickelt hat. Diese Kommunikationsroutinen sind oftmals nützlich, da sie effektiv und zeitsparend sind, können allerdings zu Problemen führen, wenn die verkürzte Kommunikation in einer Situation fehlinterpretiert wird oder auch, wenn diese spezifische Kommunikation, gebunden an eine Dyade oder Gruppe, auf andere Personen oder Gruppen übertragen wird. Missverständnisse und Kommunikationsprobleme sind die Folge.

    Das in Hinblick auf Kommunikation bislang am besten untersuchte Arbeitsfeld ist der Bereich der Luftfahrt. Nach Helmreich (2000a; 2000b) sind zwei Drittel aller Luftfahrtunfälle auf mangelhafte Kommunikation im Cockpit zurückzuführen. Aber auch die zunehmenden Studien aus der Medizin stellen Kommunikationsprobleme als zentrale Fehlerquelle im Arbeitsalltag heraus (St. Pierre, Hofinger & Buerschaper, 2005). Die häufigsten negativen Folgen von Kommunikationsproblemen sind mangelhafter Informationstransfer und mangelhaftes Schnittstellenmanagement zwischen verschiedenen Berufsgruppen. In einer umfangreichen Befragung in US-amerikanischen Krankenhäusern nannten zwei Drittel der Schwestern und Ärzte auf die Frage, welcher Einflussfaktor von größter Bedeutung für eine bessere Sicherheit und Effektivität sei, die Verbesserung der Kommunikation (Sexton, Thomas & Helmreich, 2000). Diese Einschätzung wird auch von weiteren Studien gestützt. Donchin et al. (1995) stellten beispielsweise fest, dass auf Intensivstationen mangelhafte Zusammenarbeit, z.B. zwischen Ärzten und Pflegepersonal, 70-80% der unerwünschten Ereignisse („adverse events", Brennan et al., 1991) verursacht.

    Allerdings folgt aus der Feststellung einer mangelhaften Kommunikation noch keine Aussage über mögliche Ursachen. Daher werden im Folgenden zwei Beispiele aus dem Flugverkehr gewählt, die verdeutlichen, dass in komplexen Arbeitsfeldern inadäquate Kommunikation aus sehr unterschiedlichen Quellen resultieren und in der Folge zur Katastrophe führen kann:

    Beispiel 1: Am 25. Januar 1990 nähert sich eine Boeing 707 aus Kolumbien zur Landung dem JFK Flughafen in New York. Der erste Anflug muss wegen zu starkem Seitenwind abgebrochen werden, worauf der Fluglotse das Flugzeug in die Reihe der anfliegenden Maschinen in einer Entfernung von 23 Meilen einreiht. Die Piloten akzeptieren diese Maßnahme, weisen jedoch darauf hin, dass sie nicht mehr „allzu viel Treibstoff hätten (wegen schlechten Wetters hatte der Flug 1,5 Stunden länger gedauert als geplant). Eine klare Aussage der Piloten erfolgt 2-3 Minuten später und zwar in dem Augenblick, in dem der Treibstoff tatsächlich ausgegangen ist „…just running out of fuel!. 30 Sekunden später melden die Piloten den Ausfall aller Triebwerke und erbitten höchste Dringlichkeitsstufe – zu spät, die Boeing zerschlägt 12 Meilen vor der Landebahn.

    Beispiel 2: Am 7.2.1996 startet anstatt der geplanten Boeing 767 die Boeing 757 in Puerto Plata, Dominikanische Republik den Flug ALW 301 nach Stunden Verspätung. Aufgrund der Anzeige des linken Fahrtmessers, der fälschlicherweise die Höhe auf einer Geschwindigkeitsskala anzeigt, glaubt der Pilot, zu schnell zu fliegen. Diese Annahme wird unterstützt durch die ständige Overspeed-Warnung. Drei weitere korrekt arbeitende Fahrtmesser (in der Mitte des Cockpits und auf der Seite des Co-Piloten) sowie die Stall-Warnung (= Gefahr von Strömungsabriss, d.h., die Tragflächen eines Flugzeuges erzeugen keinen Auftrieb mehr), in dieser Situation die zuverlässigere Information, werden ignoriert. Stattdessen leiten die Piloten weitere Maßnahmen zur Reduzierung der Geschwindigkeit ein (vergrößern den Anstellwinkel, reduzieren den Schub). Diese Maßnahmen sind jedoch genau verkehrt, da die Geschwindigkeit viel zu gering ist. Die Folge ist ein Strömungsabriss und der führt zum Ausfall eines Triebwerks und zu panikartigem Verhalten der Besatzung. Die Folge ist der Absturz der Boeing, bei dem alle 189 Personen sterben. Das Tragische an diesem Unglück ist, dass der Co-Pilot den Fehler bemerkt hatte – wie aus dem Voice-Recorder nachträglich festgestellt werden konnte – aber aus Respekt vor dem Alter und der Erfahrung des Piloten sich nicht gegen diesen durchgesetzt hatte.

    In beiden Fällen kann von inadäquater Kommunikation in einer Kritischen Situation gesprochen werden, was sich eindeutig im jeweiligen Ergebnis widerspiegelt. Wann aber ist Kommunikation erfolgreich? Das wichtigste Kriterium ‚erfolgreicher Kommunikation’ besteht darin, dass die notwendigen Informationen in einer Art und Weise transferiert werden, dass die Intention der Nachricht des Senders vom Empfänger verstanden wird. In beiden oben dargestellten Beispielen ist der adäquate Informationstransfer misslungen. Wo liegen die Ursachen?

    Im ersten Beispiel wird die korrekte Interpretation der Mitteilung auf Seiten des Empfängers durch uneindeutige sprachliche Aussagen des Senders verhindert. Hinzu kommen weitere Faktoren, wie zum Beispiel die fehlende Ausbildung der Crew, ein Beratungssystem zu nutzen, welches auf internationalen Flügen für Anflüge auf Flughäfen mit viel Verkehr und schlechtem Wetter zur Verfügung steht. Auch fehlte eine standardisierte Terminologie für Piloten und Fluglotsen bezüglich minimaler Kerosinlage. Darüber hinaus ergab die Analyse des National Transportation Safety Board (1990), dass Scherwind, Müdigkeit und Stress der Crew als Ursachen für die missglückte erste Landung anzusehen sind, welche ihrerseits die Voraussetzung für diesen Unfall war.

    Im zweiten Beispiel findet keine Informationskorrektur statt. Es reicht nicht aus, wenn ein Interaktionspartner über die notwendigen Informationen verfügt, diese aber nicht entsprechend mitteilt.

    In dem obigen Beispiel wurde eine situationsangepasste Kommunikation in der Dyade Pilot - Co-Pilot durch strukturelle Merkmale (Hierarchie) verhindert. Die beiden in den Beispielen herausgehobenen Merkmale (Präzision der Sprache, strukturelle Merkmale der Interaktionspartner (Dyade, Gruppe, etc.) können in Kritischen Situationen die Kommunikation beeinflussen, jedoch sind diese durch weitere Merkmale zu ergänzen, wie in einer Übersicht in Abb. 1.2 dargestellt ist. So ist im ersten Beispiel die Maschine schon mit 90 Minuten Verspätung unterwegs, zusätzliche Flugmanöver haben eine vermehrte Belastung der Crew erzeugt, also zusätzliche Faktoren, die die Aufmerksamkeit beeinflussten.

    Abb.1. 2: Kommunikation im Kontext einer Vielfalt von Faktoren.

    Betrachten wir somit die Qualität von Kommunikation als das Ergebnis einer Vielzahl von Einflussfaktoren, wie in Abb. 1.2 veranschaulicht ist, und berücksichtigen, dass die verschiedenen Bereiche ihrerseits miteinander in Relation stehen, wird deutlich, dass Aussagen über ‚richtige’ Kommunikation präzisiert werden müssen. In dem folgenden Abschnitt wird daher das Zusammenwirken einiger dieser Faktoren präzisiert und der Zusammenhang zu Kommunikation in Kritischen Situationen an Beispielen ausführlicher betrachtet.

    1.4Kommunikation in Kritischen Situationen

    Wie in den obigen Beispielen deutlich wurde, beeinflussen immer mehrere Faktoren zugleich die Kommunikation und den Erfolg des Informationstransfers in Kritischen Situationen. Im Folgenden wird anhand von sieben Thesen aufgezeigt, welche Faktoren für Kommunikation in Kritischen Situationen von besonderer Bedeutung sind.

    Kommunikation basiert auf ‚shared understanding’.

    Voraussetzung für die Etablierung einer gemeinsamen Verständigung ist die Herstellung eines geteilten Bezugsrahmens, des ‚common ground’ (Clark, 1994, 1996). Dies geschieht vornehmlich durch die Berücksichtigung des antizipierten Wissens des Gesprächspartners. Als Resultat sollte sich ein ‚shared understanding’, also ein gemeinsames mentales Modell (Craik 1943; Klimoski & Mohammed, 1994; Neumann, 2012; Tschan & Semmer, 2001) einstellen. Unter einem mentalen Modell kann man die Summe aller handlungsleitenden Konzepte verstehen, die sich auf Personen, Situationen und Ereignisse beziehen.

    In der Gruppe erfolgt die Entwicklung eines gemeinsamen Modells weitgehend über verbalen Informationsaustausch. Orasanu (1993) konnte in Untersuchungen nachweisen, dass Gruppen mit einem ‚shared mental model’ bessere Leistungen zeigen, weil die Gruppenmitglieder in der Lage sind, Erläuterungen und Prognosen bezüglich der Aufgabe, aber auch der Gruppe abzugeben. Auch Entin & Serfaty (1999) konnten belegen, dass diejenigen Gruppen mit stressreichen Situationen besser umgehen können, die durch wiederholte individuelle Einschätzungen der aktuellen Situation ein ‚shared mental model’ erzielen. Ein aktualisiertes gemeinsames Situationsverständnis ermöglicht implizite Koordination, welche den Vorteil hat, dass die Prozeduren der Koordination sehr flexibel sind, da nicht jede Änderung explizit angeordnet werden muss.

    Konsequenz: Eine wichtige Voraussetzung für adäquaten Informationsaustausch ist demnach die Kommunikation von Abweichungen und Änderungen der Situation im Sinne eines ‚update’, damit das ‚shared mental model’ aller beteiligten Personen möglichst auf dem aktuellsten Stand ist. Dazu ist eine entsprechende Gruppenstruktur mit der Möglichkeit zu offenen Gesprächen notwendig.

    Kommunikation folgt Regeln.

    Eine wichtige Kommunikationsregel nach Watzlawick besagt: „Man kann nicht nicht kommunizieren. Handeln oder Nichthandeln, Worte oder Schweigen haben Mitteilungscharakter." (Watzlawick et al., 2000). ‚Nicht kommunizieren’ erzeugt also in jedem Fall Information, z.B. wird der Kommunikationspartner ein Schweigen auf eine Nachricht hin als Zustimmung interpretieren.

    Aus diesem Grund wird beispielsweise im Flugverkehr in definierten Situationen jede Information ‚gegengelesen’, womit klar ist, was der Gesprächspartner tatsächlich verstanden hat. Eine andere Form von Präzisierung erfolgt in den sogenannten Standard Operating Procedures (SOPs). SOPs sind präzise schriftlich formulierte Beschreibungen für konkrete Vorgehensweisen, mit dem Ziel, durch Vereinheitlichung, Vollständigkeit und Sicherung des Ablaufs mögliche Fehler zu verhindern. Reinwarth (2003) verweist auf eine Vielzahl von Untersuchungsberichten von Flugunfällen, die durch die Unterlassung wichtiger Arbeitsschritte verursacht wurden. Genau zur Vermeidung solcher Nachlässigkeiten sind SOPs geeignet, die im Flugverkehr in Form von Checklisten realisiert sind. Checklisten helfen, insbesondere in komplexen Situationen unter Zeitdruck effizient handeln zu können, ohne jedes Mal neu nachdenken und Maßnahmen generieren zu müssen.

    Konsequenz: Wichtige Information muss explizit kommuniziert werden. Regeln bewirken eine Reduktion der Komplexität und sind für die Sicherstellung standardisierter Abläufe hilfreich.

    Kommunikation braucht Präzision.

    Im Alltag gibt es in unterschiedlichen sozialen Kontexten verschiedene Normen hinsichtlich des Präzisionsgrades kommunizierter Inhalte. So ist bekanntermaßen in asiatischen Ländern eine klare sprachliche Ablehnung nicht sozial verträglich, weshalb es unterschiedliche Wege gibt, dies zu kommunizieren, während es gleichermaßen extrem unhöflich wäre, eine Wegbeschreibung in derselben unpräzisen Form mitzuteilen. Da diese Normen und Regeln für Fremde und Ausländer nicht unmittelbar ersichtlich oder bekannt sind, ergeben sich in interkulturellen Kommunikationssituationen vielfach Missverständnisse.

    In Kritischen Situationen ist unpräzise Kommunikation gefährlich, zum einen weil zusätzliche Zeit für Klärung erforderlich wird, sofern die Beteiligten überhaupt bemerken, dass eine unpräzise Aussage vorliegt („nicht mehr allzu viel Treibstoff"); diese ‚Zusatz’-Kommunikation zum Zweck der nachträglichen Klärung erzeugt weiteren Zeitdruck und Stress. Zum anderen können unklare Aussagen oder scheinbare Klarheit Missverständnisse und Fehler bewirken. In dem oben angeführten Beispiel hätte eine präzise Angabe der Piloten über die Treibstoffsituation und die sofortige Meldung der Dringlichkeit den Fluglotsen veranlasst, diesem Flugzeug absolute Priorität zum Anflug der nächstmöglichen Landebahn zu geben. Eine Analyse von 28000 Zwischenfällen von Piloten und Fluglotsen, die von 1976 und 1981 an die NASA (Aviation Safety Reporting System) gemeldet wurden, beziehen sich 70% auf Probleme beim Informationstransfer. Die Analysen zeigten, dass die vorrangigen Probleme darin bestanden, dass Personen Informationen nicht weitergaben, weil sie glaubten, die Informationen seien unwichtig, und dass Informationen nicht akkurat weitergegeben wurden (Billings & Cheaney, 1981).

    Oftmals wird mangelnde Präzision der Kommunikation allerdings erst nach einem langen Prozess fehlerhaften Informationsaustauschs entdeckt, wie das folgende Beispiel zeigt:

    Der Satellit Mars Orbiter MCO sollte nach 9 Monaten am 23.9.1999 in eine Umlaufbahn um den Mars einschwenken, aber er verschwand. (…) Die Sonde sollte sich dem Mars bis auf 160 km nähern und dann ihre Triebwerke zünden - der MCO näherte sich dem Mars aber bis auf 57 km mit der Konsequenz, dass in dieser Höhe das Raumfahrzeug entweder von der Atmosphäre abprallte oder darin verglühte. Diese Diskrepanz von 100 km hatte vom Start an bestanden. Warum? Im Steuerungszentrum der NASA rechnete man im metrischen System, im Team des Herstellers der Sonde auf der Basis von yards, pounds und pounds of force. Neben der Tatsache, dass schon während des Fluges eine Abweichung von 100 km nicht erkannt worden war, ist auch bemerkenswert, dass offenbar während des Informationsaustauschs keine Angaben bezüglich Einheiten angegeben bzw. gelesen worden wurden, denn sonst wäre der Fehler früher aufgefallen.

    Konsequenz: Präzise Informationen sind nicht nur im Cockpit wichtig. Daher ist für risikoreiche Arbeitsfelder zu überprüfen, an welchen Stellen eine Standardisierung der Kommunikation von Vorteil sein könnte. Aber auch in Meetings und Gesprächsrunden könnte mehr Klarheit erzeugt werden, wenn Leiter oder Moderatoren auf unpräzise Aussagen Bezug nehmen und vom Sender eine Präzisierung ihrer Aussagen einfordern und ggf. schriftlich festhalten würden.

    In Extremsituationen entstehen ‚Kommunikationstunnel’.

    Kritische Situationen sind nicht notwendigerweise Extrem-Situationen. Extrem-Situationen sind Situationen, in der unmittelbar Gefahr für das eigene Leben und/oder anderer Personen vorliegt. In solchen Situationen werden Denkprozesse stark vereinfacht und die resultierende Kommunikation erfolgt oft einseitig und reduziert. Diese Reduktion im Denk- und Kommunikationsprozess ist in manchen Situationen erforderlich, um schnelle Aktionen und Reaktionen zu erzielen. Gleichzeitig wird in extremen Situationen aber auch zuerst die dominante Reaktion, also die Reaktion mit den stärksten Assoziationen im Gedächtnis aufgerufen. Das heißt, dass keine genauere Prüfung der Gesamtsituation erfolgt, keine Prüfung von Neben- und Fernwirkungen, keine Suche widersprechender Informationen; es werden keine Alternativen generiert und kein worst-case-Szenario überlegt. Der Denk- und Entscheidungsprozess ist ‚tunnelartig’ eingeengt und wirkt dementsprechend auf die Kommunikation, d.h., adäquate Kommunikation wird durch den ‚Tunnelblick’ verhindert.

    Ein Beispiel: Es ist der 10. Mai, 1996, 7:30 Uhr auf 8400m Höhe am Mount Everest, 500m oberhalb des Lagers IV, als Beck Weathers, ein Teilnehmer einer geführten Mount-Everest-Besteigung feststellt, dass er nichts mehr sehen kann. Er lässt die anderen Bergsteiger, die ebenfalls auf dem Weg zum Gipfel sind, passieren und sagt zu Rob Hall, dem Bergführer und Leiter, dass die Gruppe ohne ihn weitergehen soll. Er werde nachkommen, wenn er wieder sehen kann – er hofft, dass mit zunehmender Sonne seine Probleme nachlassen werden – oder andernfalls – wenn er nur ein bisschen besser sehen kann – ins Hochlager zurückkehren. Rob Hall ist von den Vorschlägen nicht angetan und nimmt Beck Weathers ein Versprechen ab: „Du

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