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Führen mit Präsenz: Wie Manager wirksamer auftreten
Führen mit Präsenz: Wie Manager wirksamer auftreten
Führen mit Präsenz: Wie Manager wirksamer auftreten
eBook635 Seiten7 Stunden

Führen mit Präsenz: Wie Manager wirksamer auftreten

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Über dieses E-Book

Die Fähigkeit zur Präsenz ist essenziell, um als Führungskraft erfolgreich zu agieren. Silke Strauß und Anja Struchholz wissen aus langjähriger Erfahrung in Geschäftsführung und Bühnenkunst, in der Führungskräfteentwicklung, dem Coaching und der Rekrutierung, wie Menschen ihre Anliegen erfolgreicher vertreten, andere damit besser erreichen und so wirksamer in ihren Rollen werden. Sie geben Führungskräften Instrumente und Denkwerkzeuge zur Hand, um den Herausforderungen von Führung in Zeiten agilen Managements mit Kompetenz und Gelassenheit zu begegnen und auf den Bühnen des Alltags Menschen zu bewegen. Mit ihrem Buch richten sich die Autorinnen an Führungskräfte aller Hierarchiestufen bis zur ersten Ebene, die ihre Führungspräsenz weiterentwickeln möchten. 


SpracheDeutsch
HerausgeberSpringer Gabler
Erscheinungsdatum26. Okt. 2018
ISBN9783658223960
Führen mit Präsenz: Wie Manager wirksamer auftreten

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    Buchvorschau

    Führen mit Präsenz - Silke Strauß

    © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2018

    Silke Strauß und Anja StruchholzFühren mit Präsenzhttps://doi.org/10.1007/978-3-658-22396-0_1

    1. Führung braucht Präsenz

    Silke Strauß¹   und Anja Struchholz²

    (1)

    Strauss Executive, Frankfurt, Hessen, Deutschland

    (2)

    Hamburg, Deutschland

    Silke Strauß

    Email: Strauss@Strauss-executive.de

    Wandel, Veränderung, Beschleunigung, Komplexität, Vieldeutigkeit, Globalisierung, Digitalisierung – das sind die Themen unserer Zeit, die Megatrends. Und es sind die Rahmenbedingungen, mit denen wir uns alle, gleich in welchem konkreten Arbeitskontext, anfreunden müssen. Es sind gleichzeitig die Schlagwörter der modernen Führungskultur. Jedes Unternehmen hat das Bestreben, seine Organisations- und Führungskultur den jeweiligen Umständen anzupassen und dazu passende Leitlinien und Leitbilder zu finden.

    Unternehmen arbeiten in unterschiedlicher Intensität und je nach Betroffenheit daran, diesen Entwicklungen Rechnung zu tragen. Sie bilden sich als Organisation in Richtung Digital Transformation weiter, führen neue Prozesse und Techniken ein, üben sich in agiler Unternehmensführung und entwickeln darauf aufbauend neue Führungsleitbilder. Hintergrund oder Intention ist immer, besser mit den neuen Rahmenbedingungen umgehen zu können und so der Unvorhersehbarkeit, den Veränderungen und oft auch der Verunsicherung zu begegnen oder zumindest Methoden anzubieten, die den Einzelnen befähigen, diesen Entwicklungen gelassener zu begegnen, optimistisch zu bleiben und auszuhalten, dass es weniger Ankerpunkte gibt.

    Wir in unserem Metier interessieren uns schon qua unserer Aufgabe dafür, wie sich diese auf Organisationsebene gewünschten Entwicklungen auf den einzelnen Menschen und sein Handeln übertragen lassen. Oder wie es eine geschätzte Kollegin gerne treffend ausdrückt: „Ich habe die Businesswelt noch nicht getroffen, ich treffe immer nur Menschen!" Denn umgesetzt werden Ideen, Erkenntnisse und Strategien immer durch Menschen: durch die Führungskräfte und ihre Mitarbeiter.

    Und hier sind wir bei Ihnen, lieber Leser: Sie sind gemeint. Sie sind gefordert, Theorien, Erkenntnisse, Vorgaben und Aufgaben in Ihrer konkreten Führungsarbeit umzusetzen. Sie persönlich bilden die Schnittstelle zur Theorie. Sie sind die Person, die aus Sicht Ihres Unternehmens agiler, flexibler, kreativer, fehlertoleranter, team- und ergebnisorientierter agieren soll und die Erkenntnisse in praktisches Handeln zu übersetzen hat. Sie sollen künftig schneller auf das Unerwartete reagieren, die Aufgaben an die richtigen Mitarbeiter delegieren, mit den eigenen und den Fehlern anderer gelassener umgehen, dabei sich selbst und andere inspirieren und trotz allgemeiner Verunsicherung ein zuverlässiger Kompass für die Mannschaft sein. Dabei sollen Sie ressourcenschonend arbeiten, gesund bleiben, konstant weiterlernen und Ihre Persönlichkeit entwickeln. Und das alles neben dem Tagesgeschäft, in dem Sie weiterhin als Experte und Führungskraft gefragt sind.

    Die Unternehmenskultur, in der Führungskräfte all diese Kompetenzen zeigen oder sich zumindest dafür öffnen sollen, ist jedoch noch nicht von diesen Werten durchdrungen. Transformation geschieht immer langsam, vor allem in großen Unternehmen. Die Leistung der Führungskräfte ist es heute, als Vorbild und Vorreiter ein Verhalten zu zeigen, das deutlich in die Zukunft weist und heute eben noch nicht an der Tagesordnung und schon gar nicht gelebte Kultur ist. Es gilt also, „ganz da" zu sein, im Heute, und gleichzeitig das Morgen schon anzubahnen, ohne zu wissen, ob und wie es wirklich kommen wird. Diese Anforderung verlangt von den Führungskräften eine andere Art von Haltung und einen guten Kompass.

    Transformation ist von vielen Faktoren begleitet, die meist erst gesehen und verstanden werden können, wenn es hakt, wenn Ergebnisse nicht erzielt werden und die Dinge anders laufen als gewünscht. Dies bedeutet nicht, dass die guten Absichten, Pläne, Changeinitiativen und Veränderungsimpulse falsch sind. Aber: Es ist ein großer Unterschied, ob ich eine Vision und Strategie für die Zukunft auf dem Papier entwickle oder ob diese Vision mit den konkreten Bedingungen in effektive und wirkungsvolle Handlung übersetzt werden muss. Dieses Spannungsfeld ist nicht aufzulösen und muss so sein. Es bildet eine Herausforderung und Reibungsfläche für die Organisation und auch für jede Führungskraft und ihr Verhalten.

    Dazu passiert es regelmäßig, dass wir in der Theorie sorgfältig durchdacht haben, wie es sein sollte. Dann kommt die konkrete Situation und es gelingt uns einfach nicht, ein notwendiges Verhalten zu zeigen. Stattdessen fallen wir wieder auf die vertrauten und etablierten Strukturen zurück und versuchen vielleicht mit Kontrolle oder Detailorientierung etwas Bekanntes zu finden. Die einzelne Führungskraft befindet sich damit oft im inneren Konflikt: mitzuspielen bei dem „alten Spiel von Hierarchie, Status, Pfründe sichern, Seilschaften nutzen, Experte sein und zum Teil auch Gehorsam vor den „Oberen zeigen. Auf „Nummer sicher gehen" und alte Rollenbilder wiederholen. Oder eben neue Fähigkeiten einsetzen, Erkenntnisse und Ideen ausprobieren, anders reagieren und weitsichtig denken, dem Druck von oben etwas entgegensetzen, gelassen bleiben und seiner Mannschaft vertrauen und sie stärken. Mit dem Risiko, Konflikte mit den Autoritäten ausfechten zu müssen. Dieses Spannungsfeld ist nicht neu, aber der heutige Aufforderungscharakter an den Einzelnen lautet: schneller, virtuoser, kreativer zu agieren und das innerhalb der Schablone der alten Systeme und Gepflogenheiten. Das verstärkt den gefühlten Kontrast und erfordert, die gewohnte Marschroute deutlich zu verändern.

    Die Herausforderung ist groß: Die Suche nach Sicherheit, Kontrolle und Steuerung ist ein menschliches Grundbedürfnis und das, was unser Verhalten am meisten steuert. Aber es ist diese eingangs erwähnte unglaublich hohe Komplexität, die es erschwert, ein individuelles Gefühl von Sicherheit und Orientierung zu entwickeln. Denn der Wandel ist eindeutig schneller als unsere Fähigkeit, zu lernen. Wir hinken somit dem „Beherrschen und Bewältigen" hinterher, von dem wir oft noch meinen (oder hoffen …), es wäre möglich.

    Mit dem Angebot der Präsenz geht es nicht nur um persönliche Weiterentwicklung, sondern auch darum, trotz des beschleunigten Wandels und hoher gefühlter Unsicherheit für uns selbst zu sorgen, handlungsfähig und wirksam zu bleiben und andere Quellen von Sicherheit und Orientierung zu gewinnen. Und dies wollen wir so konkret wie möglich beschreiben. Oder genauer: Wie können Sie als Führungskraft Ihren Teil dazu beitragen? Und zwar auf Ihre Art. Denn leider gibt es dafür nicht die eine allgemeingültige Antwort, keine ultimative Lösung und auch nicht den sicheren Weg.

    Eine sehr konkrete Anforderung an Führungskräfte lautet, das Unplanbare zu managen und zu planen. Gleichwohl bleibt in uns die Sehnsucht nach dem „Richtigen", das ist menschlich und ein wichtiger Antrieb in unserem Leben. Unser Hirn ist so gepolt. Es arbeitet darauf hin, so wenig Energie wie möglich zu verbrauchen, und wenn es sich stimmig anfühlt, dann fühlen wir uns wohl und dem Leben gewachsen. Wir tun vieles, um dieses Gefühl zu erreichen, und wir werden in den nachfolgenden Kapiteln aufzeigen, warum diese Fähigkeit so wichtig ist und wie wir sie nutzen können.

    Wir können einerseits den Wunsch nach Einfachheit und Klarheit spüren und andererseits gleichzeitig sehen, dass die Welt nicht so ist. Wir können uns in all dieser Ambivalenz bewegen. Das ist nicht immer komfortabel. Aber es ist möglich. Wir tun es jeden Tag und für manche ist es anstrengender als für andere. Und wir nennen die wichtigste Fähigkeit, die es dazu braucht, die es Ihnen erlaubt, mit den vielen Ambivalenzen und Unsicherheiten gut umzugehen: Präsenz.

    Wir zeigen auf, wie es mit Präsenz gelingen kann, in aller Komplexität und angesichts der vielen Reize und Anforderungen, die jeden Tag auf Führungskräfte einströmen, souverän agieren zu können und dabei gelassen zu bleiben. Gleichzeitig in Kontakt mit sich und anderen zu sein. Besser zu verstehen, was zwischen Menschen und in uns selbst passiert, wenn bestimmte Dinge passieren. Wir werden aufzeigen, wie dieses Wissen im Sinne von Gesundheit, Wirksamkeit und persönlicher Stimmigkeit einzusetzen ist. Ein Nebeneffekt wird dabei sein zu zeigen, wie diese schwierigen Zeiten große Chancen bieten, neue Muster zu entwickeln – für sich selbst und auch in Organisationen. Denn: „Wo nichts sicher ist, ist alles möglich."

    Es wird auch darum gehen, Unsicherheit zu erforschen und näher zu definieren, konkret zu werden, sich selbst besser kennenzulernen und zu akzeptieren, spielerisch zu werden, Kompetenz und Wärme zu entwickeln, in sich und für andere, und individuelle Gestaltungsräume zu finden, den eigenen Stil zu erproben im wahrsten Sinne des Wortes. Die für sich selbst stimmige Rolle braucht Übung und Ausprobieren. Dies passiert häufig nur in kleinen Schritten. Es geht darum, das eigene Repertoire zu erweitern. Es geht darum, vorbereitet zu sein auf das Unerwartete, Spontaneität und Beweglichkeit zu üben.

    Präsenz hat Kraft und Energie in sich. Selbst die fehlende Präsenz hat eine Aussage und bietet Erklärung, warum etwas nicht funktioniert. Zum Beispiel, warum wir nicht so wirken können, wie wir wirken wollen oder wie wir wirken sollten. Präsenz kann den Blick für den eigenen inneren Kompass öffnen, der nicht nur einem selbst gut tut, sondern auch auf andere abstrahlt und aus sich heraus wirkt. Deshalb lohnt es sich in jedem Fall, der eigenen Präsenz auf die Spur zu kommen und zu erarbeiten, wie sie sich entwickeln lässt.

    Was Führung heute ausmacht

    Führung war immer schon ein Gegenstand der theoretischen oder auch der philosophischen Betrachtung in der Managementliteratur. Mit den Veränderungen der gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen haben sich in den vergangenen 25 Jahren stets neue Schwerpunkte in Führungsfragen ergeben. Früher hatte „Chefsein viel damit zu tun, mehr zu wissen als die „Untergebenen, die besseren Verbindungen zu notwendigen Geldern, zu Märkten oder auch zu geeigneten Mitarbeitern zu haben. Erwartet wurde, dass die Funktionsinhaber ihre wirtschaftliche oder übertragene Macht voll ausüben und mit allen Symboliken zeigen. Einmal an einer solchen machtvollen Position angekommen, blieb man dort meist auch, bis es gesundheitlich oder altersbedingt nicht mehr ging. Führung passierte über Ansagen und Anweisungen, über Kontrolle der Anweisungen und Grenzensetzen bei Nichterfüllung. Der Stil der Führung war gerne autoritär bis autokratisch, auf Befehl und Gehorsam ausgerichtet, militärisch geprägt.

    In den 1960er-, 1970er-, 1980er-Jahren wurde der wirtschaftlichen Entwicklung Rechnung getragen. Da wurde „laissez faire" propagiert, partizipative Führung, Management-by-Methoden mit diversen Zusätzen, da kamen aus Asien Kaizen und Lean Management als Prinzipien. Da gab es Wirtschafts- und Finanzkrisen, die vieles durcheinander brachten und grundsätzliche Fragen aufwarfen. Da wurde nach Werten und Tugenden gerufen, die zwischenzeitlich vermeintlich auf der Strecke von Gier und Größenwahn liegen blieben.

    Bereits in den 1990ern lieferte John P. Kotter, der an der Harvard Business School Führungsmanagement lehrt, einen wesentlichen und heute noch gültigen Beitrag zur Diskussion über die Rolle von Führungskräften, indem er den Unterschied zwischen Management und Leadership aufgriff und gleichzeitig mit einigen falschen Annahmen dazu aufräumte. In seinem Buch A force for change, how leadership differs from management unterscheidet er zwischen dem Manager als Verwalter, der für die perfekte Organisation von Abläufen steht und dazu plant und kontrolliert, und dem Leader als Visionär, der seine Mitarbeiter mit seinen Ideen inspiriert und motiviert, Raum für Kreativität schafft und so Innovation, Sinnerfüllung und Wandel ermöglicht. Gleichzeitig macht Kotter klar, dass wir in den Organisationen beide Typen brauchen, dass es nicht möglich ist, ein Unternehmen nur mit Visionären zu steuern oder nur mit Managern. Und er betont, dass es nicht möglich ist, beide Typologien in sich zu vereinen.

    Heute sind sich zumindest die meisten Theoretiker der Managementlehre einig, dass die früher bewährten und heute noch weitverbreiteten Führungsstile nicht für die Zukunft tragen werden. Das klassisch hierarchisch gesteuerte Management hat schon lange ausgedient. Für die Zukunft wird meist eine Art selbst organisiertes Netzwerk propagiert, das die Verantwortung auf viele Schultern legt, in iterativen und fehlertoleranten Prozessen funktioniert und in dem Kooperationsfähigkeit wichtiger ist und weiter tragen soll als eine reine Renditeorientierung. Manchmal wird hierbei auch von hierarchiefreien Organisationen gesprochen. Ob es diese Idee allerdings wirklich großflächig vom Ideal zur Wirklichkeit schafft, wird sich noch zeigen. Die Unternehmen agieren mehrheitlich noch in Zwischenstadien, in denen es die Überbleibsel noch gibt und auch Veränderung schon Einzug hält.

    In einer Studie für das Ministerium für Arbeit und Soziales, geleitet vom inzwischen verstorbenen Organisationspsychologen Peter Kruse aus dem Jahre 2013, sind über 400 Führungskräfte in Tiefeninterviews befragt worden. Die Studie hat dabei fünf präferierte Führungsstile ausgemacht und sie auch mit Verhaltenspräferenzen hinterlegt (siehe Schaubild unten). Aus den Ergebnissen wurde klar, wie kontrovers Führungskultur heute unter Führungskräften diskutiert wird und wie weit Theorie und Praxis auch auseinanderliegen können. Flexibilität und Diversität als Erfolgsfaktoren werden beispielsweise ebenso anerkannt wie sich selbst organisierende Netzwerke als Zukunftsmodell der Führung. Gleichzeitig wird dem hierarchischen Management eine klare Absage erteilt. Die Führungskräfte wünschen sich einen Wechsel in der Führungskultur und erachten dies in Deutschland als weit weg von der Erfüllung. Interessant dabei ist auch, dass 77 % der Führungskräfte den Führungsstilen 3 bis 5 bessere Chancen zuschreiben, dennoch aber selbst im Führungsstil 1 bis 2 agieren (Abb. 1.1).

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    Abb. 1.1

    Führungstypen nach „Führungskultur im Wandel".

    (von Peter Kruse und eigene Darstellung)

    Natürlich sind neue Führungsstile erforderlich, will man die mit der Digitalisierung und Globalisierung einhergehenden Veränderungen erfolgreich bewältigen. Führung zwischen Herrschen und Dienen, ist eine gängige Formulierung heute. Ein guter Diskurs findet sich dazu in dem Buch Sinnvoll erfolgreich – sich selbst und andere führen von Hans-Georg Huber und Hans Metzger, die die Rollen der Führung in Entscheider und Entwickler aufspalten, um eine konstruktive Verbindung von Sinn und Erfolg zu gewährleisten. Voraussetzung für die Autoren ist dabei immer die innere Haltung. Als Königsweg sehen Sie den stetigen Wechsel zwischen der Rolle als Entscheider und der Rolle als Entwicklungshelfer. Es geht um ein Sowohl-als-auch statt ein Entweder-oder (Abb. 1.2).

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    Abb. 1.2

    Vom Entscheider zum Entwickler.

    (nach Huber und Metzger Sinnvoll erfolgreich und eigener Bearbeitung)

    Huber und Metzger sehen als notwendige neue Führungskompetenzen Demut und Bescheidenheit an. Und sie verdeutlichen, wie wichtig es für die Führungskraft wird, eine konstruktive Verbindung von Sinn und Erfolg als neue Dimension der Tätigkeit zu finden.

    Bemerkenswert ist, dass die Führungskräfte von morgen, heute vielfach Generation Y (1980 bis 1995) und Z (1995 bis 2010) genannt, genau diese Idee schon bei ihrem Arbeitseintritt mit einbringen: Nicht mehr die Karriere um jeden Preis ist das angestrebte Ziel, sondern ein adäquates Arbeiten mit sinnhafter Mitwirkung, hoher Sicherheit und ausreichend Freizeit für andere Aspekte des Lebens.

    Auch darum ist die Welt in den Unternehmen und gerade in den großen Konzernen schwieriger geworden. Was wir beobachten, ist weitestgehend branchenunabhängig und hat seine Ursachen in vielfältigen und zeitgleich ablaufenden Entwicklungen. Folgendes scheint die stärksten Einflüsse dabei zu liefern (Abb. 1.3).

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    Abb. 1.3

    VUCA und Auswirkungen auf Organisationen und Mitarbeiter

    1.

    Die Schnelligkeit des globalen Wandels: Kein Vortrag, kein Buch, keine Diskussion zur Lage der Welt, egal ob es um Wirtschaft oder Politik geht, ohne dieses Statement: Die Welt dreht sich immer schneller, wird diffiziler, unberechenbarer, komplexer, unsicherer. Sie ist voll von Mehrdeutigkeiten, undurchschaubar, unübersichtlich. Der Sprachgebrauch hat auch ein Prinzip dahinter analysiert und benannt: das VUCA-Prinzip (siehe Abb. 1.3), das ursprünglich aus der amerikanischen Militärsprache kommt und darauf abzielte, das Nichterfassbare erfassbar zu machen, das Nichtplanbare planbarer zu machen.

    Die globalisierte Managementwelt der letzten 10–15 Jahre hat immer wieder gezeigt, dass Ereignisse und ihre Auswirkungen nicht vorhersehbar sind in ihren Dimensionen. Unerwartete Unternehmenspleiten haben für Aufregung an den Märkten gesorgt. So wurde Yahoo 2012 noch gehypt und war 2017 ein Übernahmekandidat. In Deutschland haben Unternehmen wie die Drogeriemarktkette Schlecker oder Arcandor für Schlagzeilen gesorgt. Staatspleiten wie in Irland oder Griechenland passierten. Unbeherrschbarer Terror verursacht Leid und Schrecken. Verändertes Konsumverhalten zwingt Produzenten zu Strategiewechseln. Prognosen, die früher einmal gemacht wurden, treten nicht ein, wie z. B. die seit vielen Jahren existierende Behauptung, dass Erdöl in 40 Jahren verbraucht ist. Bereits seit den 1990er-Jahren hat sich die Buch- und Zeitungsbranche Katastrophenszenarien über die Existenz von gedruckten Werken gemacht. Es gibt sie immer noch. Dafür passieren eben andere Dinge, mit denen keiner gerechnet hat. VUCA hat deswegen für die Beschreibung der Managementwelt als Erklärung recht gut Fuß gefasst.

    Die Folge dieser Entwicklungen merken wir alle: steigende Erwartungen an Reaktionszeiten, an Flexibilität, an Anpassungsbereitschaft und Veränderungswille, an Selbstoptimierung und Performance in allen Belangen.

    2.

    Das Umfeld in den Organisationen verändert sich deutlich: In unserer Arbeit mit unterschiedlichen Führungskräften und ihren Organisationen haben wir Beobachtungen gemacht, die aus heutiger Sicht nicht mehr umkehrbar erscheinen und die auf unsere Arbeit als Coaches und Organisationsentwickler wesentlichen Einfluss nehmen:

    Zyklen verkürzen sich in jeder Branche und nicht nur bei technikorientierten Unternehmen. Boomphasen wechseln sich schneller mit Krisen- oder Umstrukturierungsphasen ab. Nicht zuletzt deswegen erscheint eine häufigere Strategieveränderung oder Strategieanpassung notwendig.

    Die Zeit, die Führungskräften gegeben wird, um Situationen zu verändern, Ergebnisse zu erzielen und selbst am Ruder zu bleiben, wird stetig kürzer. Das zeigt sich zum Beispiel auch in kürzeren Vertragslaufzeiten für neu eingesetzte Manager. Heute werden viel schneller Ergebnisse von neuen Führungskräften erwartet. Die Schonfrist ist häufig schon nach den berühmten 100 Tagen abgelaufen.

    In den vergangenen beiden Jahrzehnten haben wir den Niedergang auch von großen oder einst führenden Unternehmen gesehen. Sowohl in Deutschland als auch in anderen Ländern haben einige Insolvenzen für Unverständnis und Entsetzen gesorgt. Da gibt es einerseits noch das gesetzlich verankerte „too big to fail". Und andererseits ist es beobachtbare Wirklichkeit, dass von unten nachwachsende, schnellere Marktteilnehmer die Anteile abgreifen und Märkte komplett verändern.

    Führungskräfte bis hin zu Vorständen wissen heute nichts mehr besser oder mehr als ihre Mitarbeiter. Herrschaftswissen ist nahezu ausgeschlossen. Tatsächlich muss sich der Respekt für die Führungskraft auf andere Kompetenzen stützen und in immer anderen Situationen wieder neu erworben werden. So wird der Führende zwangsläufig zum kontinuierlich Lernenden.

    Karrieren von Führungskräften haben heute andere Voraussetzungen, andere Determinanten und folgen anderen Regeln: Früher waren Abwarten und Aussitzen eine gute Strategie, heute braucht es Gegenwärtigkeit und aktives Agieren; früher war Spezialistentum ein großer Reichtum, heute braucht es multiple Fertigkeiten; früher boten hierarchische Strukturen die Möglichkeit, im Strom mitzuschwimmen und sich zu verstecken, heute braucht es zunehmend mehr Sichtbarkeit.

    3.

    Auf den Unternehmen lastet großer Druck. Was Mitarbeitenden vorkommt wie ein schier nicht enden wollendes Chaos durch ständige Umstrukturierungen drücken Soziologen und Psychologen so aus: Der Mensch ist ein Gewohnheitstier. Er sucht und braucht Routinen und Rituale, etwas zum Festhalten, etwas Planbares, um sein Bedürfnis nach Sicherheit zu befriedigen. In unserer heutigen Zeit überfordert der ständige Wandel jedoch die Anpassungsfähigkeit vieler Menschen. Anders ausgedrückt: Die Halbwertszeit von Wissen ist kürzer als die Zeit, die wir gewöhnlich für das Erlernen des Wissens und das Verproben brauchen.

    Die Herausforderung ist es, gerade in großen Systemen und Organisationen eine Balance zu finden zwischen Bewahren und Erneuern, zwischen Zerschlagen und Aufbauen, zwischen Vertiefen und Verbreitern, zwischen Tradition und Moderne. Immer stehen einzelne Menschen dabei für diese Werte ein und meist gilt es, in mühevollen Diskussionen zunächst an der Spitze und später auf allen nachfolgenden Ebenen diesen Balanceakt auszuhalten. Und dies im Rahmen all der vielfältigen Restriktionen und Gesetze, die es noch zu beachten gilt.

    4.

    Der hohe Anspruch an uns selbst: Die Vielfalt, die wir heute in allen Lebensbereichen schätzen und pflegen, hat das Bild vom Menschen als höchst wandelbares Ich durchgesetzt: Er geht durch seine beruflichen und privaten Welten und bietet immer genau das, was gerade erwartet wird: am Morgen treusorgendes Elternteil, aufmerksam zum Partner, die Kinder erziehend mit aufmunternden Worten, später im Meeting Chef mit klarer Kante, alle Mitarbeiter und jeden einzelnen im Auge, in der Mittagspause verständnisvoller Kollege für die Belange von anderen, am Nachmittag Lernender bei einem Seminar mit Peers und später beim Sport der gute Freund für den Kumpel.

    Wenn Sie heute Anforderungskataloge und Persönlichkeitsprofile für Manager gerade für die erste Führungsebene lesen, liegt der Gedanke nahe, dass es solche Menschen eigentlich gar nicht geben kann. Von Führungskräften wird darin nahezu Übermenschliches erwartet: Neben einer langen Liste von fachlichen Fähigkeiten und Erfahrungen werden vor allem immer wieder die Flexibilität, Wandelbarkeit und die Offenheit beschworen. Die Liste der gewünschten persönlichen Eigenschaften liest sich wie eine Sammlung von sich ausschließenden Merkmalen, von Ambivalenzen und Gegensätzlichkeiten: Sie sollen nahbar und anfassbar sein, sich aber auch hart zeigen und die notwendigen Vorhaben gegen Widerstände durchsetzen können. Sie sollen Grenzen respektieren und den Anstand wahren, Sie sollen Vorbild sein für die Mitarbeiter, aber nicht zu abgehoben. Sie sollen fördern und fordern, empathisch und mitfühlend sein. Sie sollen eine stimmige und nachvollziehbare Vision haben und diese auch anpassen können. Sie sind selbst ihr engagiertester Mitarbeiter, stets ansprechbar und flexibel, stehen selbstverständlich immer auch als Coach und Sparringspartner parat, sind Chef und guter Kollege zugleich, agieren als Ratgeber und Experte und zeigen sich jederzeit bereit zum selbstlosen Einsatz. Dennoch sind Sie hervorragend abgegrenzt, da Burn-out-Gefährdung nicht mehr als Privileg verstanden wird, sondern eher als ein Mangel an Achtsamkeit für sich selbst. Es ist offensichtlich, wie schnell und komplex die Welt geworden ist und weiter sein wird. Es ist auch ganz offensichtlich, dass die vielfältigen Anforderungen vieles abfordern, was uns Menschen nicht ohne Weiteres gelingt, sondern harte Arbeit an uns selbst bedeutet.

    Dies führt zu einer Welle von Selbstoptimierung und Selbstinszenierung – und macht es sehr anstrengend, sich zu positionieren, ohne sich im ständigen Mangelzustand zu wähnen. Dazu hören wir Aussagen wie: „Ich tue alles und oft über meine Grenzen, warum reicht es dennoch nicht? oder „Ich habe doch alles, ich müsste glücklicher, gelassener, erfolgreicher, gesünder, beliebter, reicher etc. sein.

    Wir nehmen in vielen Einzelcoachings wahr, dass Führungskräfte angesichts dieser unglaublich hohen Ansprüche von allen Seiten versuchen, es auch allen recht zu machen. Besonders in großen Unternehmen und Konzernen sind Führungskräfte einem ausgefeilten internen Bewertungs- und Beurteilungsprozess unterworfen, der auch Besitzstände immer wieder auf den Prüfstand stellt – bis hin zu der geübten Praxis, dass sich Führungskräfte im Rahmen von Geschäftsleitungswechseln oder Umstrukturierungen erneut auf die bereits ausgeübte Position bewerben müssen. Aus Unternehmenssicht ist dies nachvollziehbar. Für Mitarbeiter und Führungskräfte baut dies Druck auf.

    Für den Einstieg in eine höhere Führungsebene haben die meisten viel und hart gearbeitet und sind jede Extrameile gegangen. Karriereratgeber empfehlen diese Strategie auch zu Recht, um von jenen gesehen zu werden, die bestimmen, wer weiterkommt. Ist man erst in der Führungsaufgabe, braucht es eine deutlich langsamere Gangart, um einerseits gut wahrnehmen zu können, was neben dem Offensichtlichen auch noch auf anderen Ebenen passiert und was an Verhalten gebraucht wird und auch wirkt. Andererseits braucht es in der schnelllebigen Unternehmenswelt dokumentiertes Tempo und tatkräftige und entschlossene Energie. Im Bild gesprochen muss ich mich katapultartig bewegen, um in eine Führungsaufgabe zu kommen, während ich in der Führungsaufgabe die Gabe haben muss, im Höhenflug nach allen Richtungen zu schauen, um bei Bedarf zu justieren oder langsamer werden zu können. Das erfordert gegenläufige Fähigkeiten. Ebenso wie vor dem Eintritt ins obere Management das „Freischwimmen und „Freiboxen ein großes Thema sind, so ist nach dem Eintritt nicht mehr nur dieses Verhalten, sondern genau das Gegenteil notwendig: Allianzen und Kooperationen sind essenziell, denn ohne die Gefolgschaft anderer werde ich nichts bewegen.

    So wird im Prinzip bei jedem Aufstieg in die nächsthöhere Ebene eine verhaltenstechnische innere Häutung fällig, um die dann neuen Regeln für Erfolg anwenden zu können. Was Sie gerade auf diese Ebene gebracht hat, wird Sie eben nicht weiterbringen (dies ist ein zitierter Buchtitel von Marshall Goldsmith zu diesem Thema, siehe in der Literaturliste), wenn Sie angekommen sind auf der nächsten Stufe. Vielmehr gilt es, die dort herrschenden Regeln und ungeschriebenen Gesetze zu beobachten und sich ein Stück neues Verhalten anzueignen, um sich in einem neuen Kontext mit anderen Spielregeln bewegen zu können.

    Mit dem Aufstieg ins Topmanagement wird ein besonderes Umdenken und Anders-Handeln abgefordert. Zum einen, weil die Regeln sich tatsächlich in vielerlei Hinsicht verändern. Und zum anderen, weil das nun erforderliche oder Erfolg versprechende Verhalten entgegengesetzte Fähigkeiten zu denen verlangt, die Sie vorher ausgebildet haben. Das heißt konkret, dass Sie wieder einiges an Verhalten und Gewohnheit ablegen müssen und anderes aufzubauen haben.

    In unserer Beobachtung verläuft das Hineinwachsen in neuen Rollen gleich auf welcher Ebene stets in Phasen: Der Aufstieg wird zunächst begrüßt und gefeiert, wir sind glücklich über den Aufstieg und die damit erhaltene Bestätigung und Würdigung der eigenen Leistung. Wir haben eine angenehme Schub- und Schaffenskraft und sind bemüht, alle und jeden zu verstehen, stets auch mit guten Vorsätzen und dem Wunsch, Spuren zu hinterlassen, je nachdem was vorher passierte, es besser oder konsequenter oder nachhaltiger zu machen. Doch meist folgt recht schnell die Ernüchterung: Aha, so läuft das hier. Deswegen geht das nicht. Es fehlen ja die Ressourcen, die Strategien, die richtigen Mitarbeiter, die funktionierende Einstellung, die passende Kultur. Und dann wird alle Kraft in die Veränderung gesetzt, bis – häufig sehr schnell – Frustration eintritt.

    Wir erleben Führungskräfte verständlicherweise und situationsbedingt oft mit ihren Zweifeln, mit ihren Unsicherheiten und manchmal auch mit Resignation. Performen – gerade in großen Organisationen – erfordert die Bereitschaft, sich auf extrem viele Faktoren einzulassen, sich mit wechselseitig bedingenden Wirkungen auseinanderzusetzen und sich immer wieder kritisieren zu lassen. Gleichzeitig braucht es einen unerschütterlichen Optimismus, der auch in schwierigen Zeiten funktionieren sollte. Dazu die Fähigkeit, persönlich wandelbar zu sein für den Fall, dass die Strömungen sich verändern. Die heutigen Organisationen machen es notwendig, sich immer wieder mit der eigenen Rolle auseinanderzusetzen und eine ständige Rollenanpassung zu gestalten.

    Persönliche Spannweite ist gefordert

    Beruflicher Erfolg verlangt Führungskräften heute deswegen so viel ab, weil der Weg dorthin eine große persönliche Spannweite an Verhaltensrepertoire erfordert. Die Zeit ist nicht mehr vorhanden, gemächlich und nach und nach zu erlernen und mittels Versuch und Irrtum zu erproben. Darüber hinaus braucht es heute zunehmend die Teamleistung. Und die ist nur mit einem ausgeprägten Maß an Anpassungsfähigkeit und einigen psychologischen Erkenntnissen über sich selbst und andere erzielbar.

    Aus diesem Grund erinnert die Ausgangslage im Management und gerade im Topmanagement an den Hochleistungssport, wo die absoluten Verbesserungen auf Topniveau eben nicht mehr über mehr Training oder intensiveres Training zu lösen sind, sondern stets über andere additive Formen des Trainings erfolgen, sei es über Crosstrainings, indem andere Muskelgruppen aktiviert werden als die, die es eigentlich braucht (der Tennisspieler macht Krafttraining, der Läufer fährt Fahrrad etc.), oder auch über die unterschiedlichen Formen des Mentaltrainings, wie zum Beispiel Atmungs- oder Entspannungsübungen, progressive Muskelrelaxation oder Life Kinetic, also Trainingsmethoden, die hirnbiologisch ansetzen und Motivations- oder Aufmerksamkeitsaspekte fördern.

    Präsenz wird genauso multidimensional entwickelt. Dabei geht es nicht darum, noch ein Tool oder noch eine Methode zu lernen. Vielmehr geht es darum, die eigene Spannweite der Managementfähigkeiten über ein ganz anderes Training auszudehnen. Ziel ist es, die Automatismen zu überwinden, mit denen wir uns sonst gerne wie auf einer Autobahn bewegen. Und sich damit selbst in die Lage zu versetzen, an künftige Situationen auf andere Arten herangehen zu können.

    Konkret heißt das: anderes Verhalten zu trainieren und durch Zuschaltung weiterer Sinne oder Aktivierung anderer Muskelgruppen neue Synapsen entstehen zu lassen, die im Bedarfsfall für andere Verknüpfungen im Gehirn und in der Folge für anderes Verhalten sorgen. Mit Muskelgruppen meinen wir sowohl die inneren als auch die äußeren Anteile von Präsenz. Dies können neue Wege sein, seine Aufmerksamkeit zu richten, eine andere innere Haltung zu einem Gegenüber oder auch sich selbst einzunehmen oder auch sich körpersprachlich anders, deutlicher zu vermitteln und die eigene Rolle stärker zu verkörpern.

    Die Arbeit an der Präsenz kann ein anfängliches Befremden auslösen. Es ist definitiv eine andere Art von Arbeit an Führungstechniken. Früher hat man alternative Heilmethoden gerne belächelt. Heute sind die Kraft und der messbare Erfolg zum Beispiel von Entspannungstechniken oder Yoga so gründlich belegbar, dass es keine Gründe mehr gibt, diese nicht auch einzusetzen. Ein Präsenztraining hat durchaus Elemente einer alternativen Herangehensweise. Wir erleben bisweilen bei unseren Klienten eine Skepsis am Anfang und hören hinterher häufig, dass dieser Teil des Trainings oder des Coachings der beste Teil, das effektivste und lehrreichste Lernerlebnis überhaupt war.

    Was verstehen wir also unter persönlicher Spannweite im Management? Um es in einem Bild zu beschreiben: Wir haben alle bereits ein Repertoire an Verhalten, das wir uns im Laufe der Jahre angeeignet haben, und wir verfügen über ein „Vorzeigeverhalten", das sich bewährt hat in den meisten Situationen. Wir wissen in den meisten Situationen, wie wir an die Kontaktlinien nach draußen, also mit anderen Menschen, herantreten müssen. Diese Konstellation hat schließlich dazu geführt, dass wir erfolgreich sind und uns entwickelt haben und diese Position begleiten. Auf jeder Stufe unserer Entwicklung stellen sich uns jedoch auch wieder neue Themen, die nicht mit den vorhandenen Bordmitteln gelöst werden können. Die meisten Führungskräfte haben ein Problemlösungstool im Werkzeugkoffer. Und trotzdem gibt es immer wieder die Aha-Momente und die Überraschungen: Warum ist dies nicht gelungen, so funktionierte es doch sonst auch? Warum ist mein wichtigster Mitarbeiter so empfindlich bei diesem Thema gewesen? Und warum ist diese Verhandlung so unglücklich verlaufen?

    Die Arbeit an Präsenz kann dazu führen, dass es uns möglich wird, sehr schnell und effektiv ein deutlich größeres Spektrum an Verhaltensalternativen abzurufen, als man es mit bewährten Verhaltensweisen unter sonst gleichen Umständen könnte. Wir setzen mit unserer Arbeit auf mehreren Ebenen gleichzeitig an: Wir beleuchten Motivationen und Antriebe, innere Werte und Selbstwahrnehmung und auch, wie sich dies im Außen niederschlägt, durch ein anderes Energieniveau und stimmige Körpersprache. Das intensive Wahrnehmen der anderen und deren Intentionen und Motive und die Fähigkeit, darauf einzugehen, sind ein wichtiger Bestandteil. Mehr Aufmerksamkeit für das, was um mich herum geschieht, zu trainieren und dadurch die Möglichkeit zu erhalten, buchstäblich mehr vorherzusehen, mehr zu antizipieren als ohne diese Art der Aufmerksamkeit. Dadurch können wir unbekannten Situationen anders und flexibler begegnen.

    Präsenz als Führungskompetenz Nr. 1

    Führungskräfte kommen nicht umhin, im Sinne eines Crosstrainings sukzessive ergänzende Kompetenzen aufzubauen. Die erforderlichen Zusatzqualitäten basieren einerseits stark auf Selbstreflexion und andererseits immer wieder auf dem Austausch auf Augenhöhe. Die Arbeit und Stärkung der eigenen Resilienz sind dabei genauso wesentlich wie der weitere Ausbau der kommunikativen Fähigkeiten.

    Künftig werden solche Führungskräfte reüssieren, die bereit sind, immer wieder an sich selbst zu arbeiten, sich immer wieder zu kalibrieren, um die eigene Kraft, die Freude und die Neugier aufrechtzuerhalten. Es werden die Führungskräfte Erfolg haben und herausstechen zwischen den anderen, die sich selbst in allen Dimensionen begreifen können und dadurch in der Lage sind, anderen in ihrer Aufrichtigkeit ein Vorbild zu sein. Dazu gehört zwingend die Kompetenz, sich zu vermitteln, wertschätzend zu kommunizieren und aus einem eigenen tiefen Antrieb heraus zu agieren, statt lediglich zu reagieren.

    Im Thema Präsenz ist interessant, dass wir uns alle als die geborenen Experten zu diesem Thema einschätzen. Jeder weiß doch ganz genau, wann jemand anderes wirklich präsent ist – oder zumindest so erscheint. Jeder hat auch eine Idee davon, wie wir uns präsente Menschen vorzustellen haben. Da haben wir alle sofort mindestens ein gutes und meistens auch besonders schlechte Beispiele vor Augen. Das sieht man doch auf den ersten Blick, wenn jemand keine Präsenz hat, oder? Auch wir selbst haben ein Empfinden für unsere Präsenz. Wenn wir Sie jetzt fragen würden, wann Sie sich besonders präsent gefühlt haben, würde Ihnen sofort etwas einfallen, oder? Bei der letzten Präsentation vielleicht, für die Sie Applaus oder Lob erhalten haben? Im Kundenmeeting, als Sie das Auftragsvolumen unerwartet nochmal erheblich ausweiten konnten und Sie so bereits im April Ihr Jahressoll erfüllt hatten? Kürzlich, als Sie im Tennis das Match gegen Ihren schwierigsten Gegner gewonnen haben? Was auch immer es ist, was dieses Gefühl von Stimmigkeit oder Erfolg oder Stolz tatsächlich ausmacht, wir sind in der Lage, es zu erkennen, wenn es da ist, und wissen doch oft nicht, wie wir es produzieren oder steuern könnten.

    Obwohl wir alle bereits Experten sind, ist es eben doch nicht so einfach, in unseren Rollen im Arbeitsalltag zum Beispiel die Präsenz auszustrahlen, die wir gerne hätten, oder die Wirkung zu erzielen, die wir erzielen wollen. Häufig handeln wir in guter Absicht und bewegen nichts oder – noch schlimmer – Gegenteiliges. Jede Führungskraft kennt diese diffuse Emotionslage: Da wollten Sie gerade einem Mitarbeiter etwas Gutes tun und irgendwie kam das völlig falsch an und Sie bemerken, dass Sie offenbar ungewollt eine Grenze übertreten haben, der Mitarbeiter zumacht oder abblockt. Und Sie verstehen gar nicht den Hintergrund seiner Reaktion. Oder Sie merken, dass Sie auf einmal Angst und Misstrauen geschürt haben, wo Sie mit einer ganz anderen Absicht unterwegs waren, nämlich durch gezielte Information für Sicherheit und Ruhe sorgen zu wollen. Ganz unangenehm wird es, wenn Ihnen erst über andere zugetragen wird, was Sie als Wirkung erzeugt haben sollen.

    Noch schwieriger kann es werden, wenn Sie in bester Absicht beginnen, an der eigenen Präsenz zu arbeiten, um die persönliche Wirksamkeit zu beeinflussen. Und da kommt sofort ein innerer Widerstand hoch. Ihr Wächter der Authentizität ist hellwach: Keiner will sich verstellen oder verbiegen oder zu sehr anpassen. Vielmehr streben wir doch alle nach der Einzigartigkeit, der Individualität, nach der Besonderheit, herauszuragen aus der Masse der anderen. Das wollen wir und wollen es auch erhalten, und zwar ohne Verbiegen und Anstrengen. Wir wollen doch genauso gemocht werden, wie wir sind. Oder? Wir sind sicher, dass Sie diese Gedanken auch kennen.

    Hier ist nun unsere erste Definition von Präsenz, die wir in den folgenden Kapiteln noch weiter auffächern werden, um in den einzelnen Facetten zu zeigen, wie Übung daran möglich wird:

    Präsenz ist die Fähigkeit, als „Mensch in der Rolle" für andere sichtbar zu sein und eine stimmige energetische Verbindung auf Augenhöhe herzustellen, in der gleichzeitig Verstand und Emotion berührt werden (Abb. 1.4).

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    Abb. 1.4

    Die Bausteine der Präsenz

    Genau an diesen fünf Stellen wollen wir mit Ihnen arbeiten. Jeder Baustein hat seine eigene Bedeutung und Wirkung. Zusammen ergeben die fünf Dimensionen das Gesamtbild der Präsenz.

    In diesem und den nächsten Kapiteln werden wir den Begriff der Präsenz sukzessive schärfen, indem wir ihn in verschiedenen Kontexten ansehen, aber auch indem wir ihn abgrenzen zu einigen anderen Begriffen, die manchmal ineinander übergehen oder auch synonym verwandt werden.

    Wichtig

    Präsenz ist aus unserer Sicht eine notwendige Voraussetzung, um im Führungsalltag von heute bestehen zu können. In den grundlegenden Verhaltensankern der agilen Führung, der transformationalen Führung und im Umfeld einer VUCA-Welt mit allen Rahmenbedingungen werden wir ohne die Eigenschaften von Präsenz nicht weiterkommen. Und noch mehr: So, wie wir heute arbeiten und leben, werden wir nicht mehr vorankommen, ohne uns selbst immer wieder zu hinterfragen, ohne die Flexibilität, im Moment agieren zu können, ohne Rollenbewusstsein und dessen Wandel, niemals ohne die anderen und auch nicht, ohne immer weiter zu experimentieren.

    Here we go!

    © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2018

    Silke Strauß und Anja StruchholzFühren mit Präsenzhttps://doi.org/10.1007/978-3-658-22396-0_2

    2. Präsenz – Definition und Abgrenzung

    Silke Strauß¹   und Anja Struchholz²

    (1)

    Strauss Executive, Frankfurt, Hessen, Deutschland

    (2)

    Hamburg, Deutschland

    Silke Strauß

    Email: Strauss@Strauss-executive.de

    You need to release control and exercise control at the same time.

    Del Close, amerikanischer Schauspieler

    Präsenz. Wir spüren sie. In Gegenwart eines Menschen. Oder bei uns selbst. Präsenz ist etwas, das für jeden wahrnehmbar ist. Das Wort Präsenz taucht immer dann auf, wenn es um Menschen geht, wo die Wirkung eines Menschen auf einen anderen thematisiert wird oder wo Menschen ihre Wahrnehmung von sich selbst beschreiben. Präsenz ist fast immer positiv konnotiert. Selten hört man: „Der hat eine schlechte Präsenz. Öfter hört man: „tolle Präsenz. Oder: „Da müssen Sie einfach mehr Präsenz zeigen."

    In unseren Coachings ist Präsenz ein häufig formuliertes Ziel und ihre positive Kraft steht dabei immer im Vordergrund. Denn in der Regel wird Präsenz positiv wahrgenommen oder man wird dafür sogar bewundert. Doch auch, wenn jeder Präsenz spüren und benennen kann, ist es schwierig, den Begriff klar zu definieren. Ihm haftet fast etwas Magisches an, etwas Unbeschreibbares. Dies führt dazu, dass Präsenz manchmal wie ein Talent wahrgenommen wird: Man hat Präsenz oder eben nicht. Es gibt Menschen, die damit gesegnet sind. Nicht jeder hat Zugang zu dieser Quelle. Diese Einschätzung hören wir in unserer Praxis immer wieder.

    Präsenz ist eng verknüpft mit der Wirkung, die wir auf andere haben. Tatsächlich erscheint Präsenz auch abgekoppelt von Worten wahrnehmbar, denn nicht selten attestieren wir Präsenz, selbst wenn wir von der betreffenden Person noch kein Wort gehört haben, wenn jemand lediglich einen Raum betritt oder eine Bühne. Ein Phänomen also, das auch mit „Aura, „Ausstrahlung oder „Charisma" beschrieben wird. Was macht diese Wirkung aus?

    Menschen, von denen wir sagen, dass sie Präsenz haben, ziehen unsere Aufmerksamkeit auf sich. Sie sind sichtbar und, viel entscheidender, spürbar für andere. Sie lösen etwas aus in der wahrnehmenden Person, bringen emotional etwas in Bewegung. Es kann der Wunsch sein, der präsenten Person näher zu kommen, von ihr zu lernen, sich inspirieren oder führen zu lassen. Mindestens aber machen Menschen mit Präsenz uns neugierig oder vermitteln eine positive subjektive Erfahrung. Wenn wir selbst Präsenz haben wollen, dann ist dies der Wunsch, auf andere Menschen so zu wirken, selbst in anderen Menschen ähnliche Gefühle auszulösen, sie energetisch zu uns hin zu ziehen.

    Präsenz hat also etwas mit Gefühlen zu tun. Und Gefühle sind, wie wir im nächsten Kapitel noch genauer erläutern werden, vor allem eins: Signalgeber. Gefühle haben eine wichtige Aufgabe in unserem System: Sie weisen uns darauf hin, ob ein wichtiges Bedürfnis in uns erfüllt wird oder nicht. Diese Signalgebung läuft bewusst oder unbewusst ab, aber unser gesamtes Körper-Geist-Emotionssystem ist permanent damit beschäftigt. Einige Bedürfnisse spüren wir schnell und leicht, wie zum Beispiel unsere physiologischen Bedürfnisse nach Essen, Trinken, Schlaf, Sex. Andere wichtige Bedürfnisse, die uns leiten und beeinflussen, wie zum Beispiel unser Sicherheitsbedürfnis oder unser Bedürfnis nach Kontakt und Zugehörigkeit, agieren mehr im Unbewussten. So kann uns die Ankündigung einer Umstrukturierung der Abteilung ängstigen, weil wir befürchten, unsere Zugehörigkeit im gewohnten Terrain zu verlieren oder mit neuen Aufgaben konfrontiert zu werden, die uns unsicher fühlen lassen.

    Wir können aber schon einmal festhalten: Menschen, die Präsenz ausstrahlen, befriedigen in anderen wichtige Bedürfnisse. Sie vermitteln Signale, die in anderen positiv wirken. Präsente Menschen erzeugen in anderen ein Wohlgefühl, das es ermöglicht, sich auf ihre Ideen, Entscheidungen und Anstöße einzulassen und sich dafür zu öffnen, inspiriert, überzeugt und zu einem veränderten Verhalten bewegt zu werden.

    Präsenz ist eine kostbare Ressource, die Führungskräften hilft, Herausforderungen zu bewältigen. Denn wenn Druck, Verunsicherung und äußere Ansprüche steigen, geht es für den Einzelnen oft nur um Bewältigung des Alltags und nicht mehr darum, weit zu blicken, sich selbst und andere dabei im Blick zu haben und dafür zu sorgen, dass eine tragfähige Verbindung zwischen Menschen als Voraussetzung für Verständigung und die Lösung von Problemen entsteht. Dies betrifft nicht nur Führungskräfte, aber sie ganz besonders. Denn sie müssen nicht nur ihre eigenen Themen bewältigen, sondern qua Rolle auch gleichzeitig Vorbild, Motivator und Visionär für andere sein. Und sie stehen dabei immer unter Beobachtung.

    In Zeiten großer Komplexität und Unsicherheit können Führungskräfte mit starker Präsenz wichtige Kraftquellen sein und anderen Halt und Orientierung geben. Damit ist nicht gemeint, dass Führungskräfte auf jede Frage eine Antwort geben können müssen. Niemand konnte jemals und kann heute noch weniger alles überschauen und die Lösungen für Probleme alleine finden. Aber sich dieser unbequemen Wahrheit zu stellen, trotzdem Verantwortung zu übernehmen und in seiner Funktion, in seinem Gestaltungsraum sichtbar und verstehbar zu sein und sein Bestes zu geben: Dies allein hat große Wirkungskraft. Und dies ist erreichbar.

    Wir können erleben, dass manch einer ob dieser Kraft schnell zum „Retter stilisiert wird und andere Menschen unrealistische Hoffnungen darauf setzen, dass es der Person gelingen möge, drängende Probleme zu lösen und alle „ins gelobte Land zu führen. Hier finden Projektionen statt, bei denen ein urmenschlich scheinendes Bedürfnis nach gottähnlicher Führung und Erlösung und somit unreflektierte, ja unrealistische Wünsche maßgeblich sind. Wir werden darauf zurückkommen, wenn wir genauer erläutern, wie wir Präsenz verstehen und mit welchem Präsenzbegriff wir in die Führungskräfteentwicklung gehen.

    Trotz dieser Gefahren und Überhöhungsmomente sind wir der Auffassung, dass es Menschen geben muss, die sich den Anforderungen unserer Zeit bewusst stellen und dabei sichtbar und deutlich werden. In unserer Profession heißt es, den Einzelnen zu befähigen, sich dies zuzutrauen, den notwendigen Mut und die Kreativität zu entwickeln, Stärke in sich selbst zu finden und mithilfe seiner persönlichen Wirkungskompetenzen und in der Klarheit seiner Rollenfunktion Einfluss zu nehmen. Auf diesem

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