Die Fragwürdigen: Geschichten
Von Judith Keller
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Über dieses E-Book
Es herrscht ein wunderbares Durcheinander in diesem Buch. Judith Kellers Prosa gibt all jenen eine Stimme, die sonst in den Wörtlichkeiten hängen bleiben. Manchen genügt ein Kurzauftritt, andere brauchen etwas länger. Immer aber müssen sie durch jene feingeschliffene Sprache hindurch, die ihnen diese Schwyzer Autorin für einen Moment zur Verfügung stellt und sie und uns die Lage erkennen lässt.
Ein Buch zum Aufblättern und Darin-Versinken.
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Buchvorschau
Die Fragwürdigen - Judith Keller
Bucheggplatz
Kunst
Patrick studiert Kunst. Auf einem seiner Bilder steht: Ich liebe meine Eltern. Alle finden das lustig. Aber Patrick meint es ganz ernst.
Literatur
Der Junge kam herein und setzte sich an den Tisch. Es gab sein Lieblingsessen, aber er sprach kein Wort. Plötzlich, nachdem er sich eine Pommes in den Mund geschoben hatte, begann er zu weinen. Als ihm seine Mutter über den Kopf strich, verdeckte er sein Gesicht mit seinen Armen und schluchzte. Sie war keine Mutter, die viele Fragen stellte, wir aber wissen, dass er um Winnetou trauerte, der auf Seite 474 starb.
Fünf Frauen
Theodoa will keine Kinder. Aber sie ist immer in Erwartung. Augustine möchte allen Menschen fehlen. Gudrun blüht immer etwas. Über Claire sagt man, sie komme noch. Veronique ist eine viel versprechende Frau. Sie weiss aber nicht, was sie verspricht. Immer etwas nicht zu halten – dies ist ihre Angst.
Bruderbesuche
Der Bruder besuchte seinen Bruder einmal im Jahr. Beide freuten sich darauf. Wenn er da war, ärgerten sie sich darüber, dass ihnen nichts Rechtes zum Sprechen einfiel. Nach drei Tagen fuhr der Bruder wieder fort. Immer etwa einen Monat nachher schrieb er, wie schön die gemeinsam verbrachte Zeit gewesen sei. Bis zum nächsten Treffen glaubten sie, dass die gemeinsam verbrachte Zeit schön gewesen sei. Dann glaubten sie es drei Tage lang nicht. Danach glaubten sie es wieder fast ein ganzes Jahr. Nur drei Tage im Jahr waren sie sich sicher, dass sie sich nicht mochten.
Bernhard
Bernhard findet fast alles schlecht. Wenn er doch etwas gut findet, fühlt er sich verpflichtet, seinen überraschten Zuhörern zu begründen, warum. In der Begründung zählt er auf, was im Vergleich zu dem, was er gut findet, schlecht ist. Währenddessen beginnt in Bernhards Herz ein rauer Wind immer mehr zu stürmen, seine in Gang gekommenen Aufzählungen nehmen kein Ende. Man sieht Bernhard vermehrt auf einer Bank sitzen an einer zentralen Tramhaltestelle. Ab und zu kommen die Zuhörer von früher. Sie wechseln sich ab.
Eine moralische Geschichte
Was Frau Ochsenbein betrifft, so befindet sie sich nun bereits in den Ferien, nahe einem See, in dem sich die Berge spiegeln. Frau Ochsenbein hat eine neue Variante zur Begegnung mit Dieben herausgefunden. Die Methode funktioniert so: Zuhause, auf ihrem Küchentisch, liegen drei Portemonnaies. Zwei davon sind leer, in einem sind noch ein paar Zwanzigrappenstücke. Die Brieftaschen umrahmen einen Zettel, auf dem steht: Einbrecher, das ist alles, was ich habe. Der Rest ist auf der Bank. Und wenn Frau Ochsenbein das den anderen Hotelgästen erzählt, fügt sie listig hinzu, dass natürlich doch noch ein paar hundert Franken in der Wohnung liegen, nämlich zwischen den Seiten 306 und 307, im Grünen Heinrich, wobei die anderen Hotelgäste ebenso listig nicken. Als Frau Ochsenbein zwei Wochen später von den Ferien nach Hause kommt, ist das Türschloss aufgebrochen. Aber die Wohnung ist gut aufgeräumt und das Geld ist im Grünen Heinrich. Auf dem Küchentisch liegt der Zettel. Unter ihren Zeilen steht in einer ihr unbekannten Handschrift: In Ordnung. Frau Ochsenbein leidet seither an einem schlechten Gewissen, und was die Listigkeit angeht, so hat sie die ganz abgelegt.
Beziehung
Ein Mann wünscht sich von der Frau, mit der er zusammen ist, dass sie ihn umhaut. Da es nicht so ist, kann er sie nur schätzen. Dass er sie nur schätzen kann, aber von ihr nicht umgehauen ist, erfüllt ihn mit einer komplizierten Schuld, die er an langen Sonntagnachmittagen in Worte zu fassen sucht. Sie aber will lieber von ihm geschätzt werden als ihn umhauen. Sie verstehen sich nicht ganz.
Fredi oder Maximilian
Ein Mann namens Fredi oder Maximilian vertrat immer Meinungen, die jene, die gerade um ihn herumstanden, nicht teilten. Er war nicht sicher, ob die Meinung, die er vertrat, eine gute Meinung war, aber mit seiner Redekunst konnte er alle überzeugen. Während er nicht sicher war, ob seine vertretene Meinung eine gute Meinung war, waren die anderen plötzlich sicher. Er liess sich dann von ihnen überzeugen. Aber was die anderen sagten, überzeugte ihn nie. Darum war er auch von sich nicht überzeugt.
Der Schwiegersohn
Die Familie der frisch Verheirateten erwartet, dass der Schwiegersohn sich so verhält, wie es die Mitglieder der Familie erwarten. Er will sich aber verhalten, wie sie es nicht erwarten, um die Familie dahingehend zu erziehen, dass sie nichts von ihm erwarten. Denn er will