Das fünfte Dorf: Eine Urlaubsgeschichte
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Über dieses E-Book
Ihre katalanischen Gastgeber Fran und Len wollen der Besucherin einen Ort der Selbstbesinnung und Inspiration bieten, ein Stück Heimat in der Fremde, zum Ausruhen und Krafttanken. Hilde trifft im entlegenen Bergdörfchen Conocer unterhalb des gigantischen Manigo-Passes ein und wird von den Pensionsbetreibern freundlich empfangen. Sie lernt hier auf Gäste aus aller Welt kennen, Künstler und Suchende wie sie selbst, voller Fragen an das Leben und neugierig auf Abwechslung. Sonnendurchflutet scheint die atemberaubende Gebirgslandschaft ringsum zur Erkundung einzuladen: Mehr und mehr traut Hilde sich zu, schnell werden ihre Mutproben zur Grenzerfahrung. Was sie wagen kann, zeigt sich erst, als sie es ausprobiert –
Angefüllt mit Bildern, Eindrücken und Phantasien kehrt die Alleinreisende abends nach Conocer zu ihren Gastgebern zurück. Hilde genießt die freundliche, unbeschwerte Atmosphäre in ihrer kleinen Pension, doch das Ehepaar gibt Rätsel auf: Fran, die kleine Katalanin, fasziniert Hilde, während Len ihr freundlich-distanziert gegenübersteht. War Fran ihrem Mann in 25 Ehejahren treu? Und ist Frans Freundlichkeit gegenüber Hilde mehr als nur gastfreundlich gemeint? Aus Anziehung wird rasch tiefe Zuneigung, doch Fran und Hilde wagen es nicht, sie auszusprechen. Und so wird auch die Reise nach Innen zur Mutprobe: Beide Frauen erfahren, wie schwer es ist, der anderen ein Zeichen zu geben.
Das Leben ist schön, unerwartet und macht vieles möglich. Leserinnen und Leser, die eine gute Geschichte und meisterhafte Sprache mögen, werden in dieser Erzählung von der Magie der Worte verführt. "Das fünfte Dorf" erkundet psychologisch stimmig, wie Menschen über ihre Gewohnheiten hinauswachsen.
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Buchvorschau
Das fünfte Dorf - Mathilde Schrumpf
1
Es war still geworden im Haus von Fran und Len. Die Touristenherberge, die sie betrieben, ließ ihnen Zeit, sich Gedanken darüber zu machen, wie um alles in der Welt man das anstellen sollte: gemeinsam alt zu werden. Beide waren verheiratet, seit mehr als 25 Jahren. Fran war 50, doch fühlte sie sich alt. Wie die meisten Frauen war sie weder darauf vorbereitet, noch dazu bereit. Die zwei erwachsenen Söhne ließen sich im elterlichen Haus hoch oben in den katalanischen Pyrenäen höchstens ein, zwei Mal im Jahr blicken.
Mit den Jahren hatte sich eine gute Arbeitsteilung eingespielt zwischen Len und Fran: Ihr Mann organisierte das Geschäftliche des Hotels, sie kümmerte sich um die Küche und die Zimmer der Gäste. Meist kamen Westeuropäer oder Nordamerikaner, die sich für Künstler hielten und, einer langen Tradition folgend, in der Abgelegenheit jene Einsamkeit und Natürlichkeit suchten, von der es hieß, sie befördere Selbstfindung und Inspiration. Ihre Herberge war ein gut organisiertes Kleinunternehmen: Man verließ sich darauf, dass das Haus wie ein Geheimtipp unter Insidern von Gast zu Gast weiterempfohlen wurde. Beiden Gastgebern machte es Vergnügen, ihren Interessenten eine „Bewerbung" abzufordern, die ihre künstlerische Befähigung belegte und Vorhaben schilderte, die sie für einen Aufenthalt in Frans und Lens Bergdörfchen empfahlen.
Fran hatte, seit sie sieben Jahre alt war, gekocht: Sie beherrschte alles, was mit der Zubereitung von Nahrung und leiblichem Genuss im Zusammenhang stand: das Aufspüren der besten Märkte, die Auswahl geeigneter Zutaten. Auch beim Feilschen um den Preis ließ sich die kleine, resolute Katalanin nicht die Butter vom Brot nehmen. Für die Einrichtung der Gästezimmer hatte sie ein gutes Händchen: Noch jedes Eckchen, jede Nische wusste sie mit einem Sträußchen, einem Geschirr, einer Schale voller Gewürze zu verzieren. Dennoch: Malen oder schreiben oder komponieren, tanzen, singen, wie es viele ihrer Besucher konnten – das konnte sie nicht.
Dann und wann quälte sie Len mit der immer gleichen Frage: Ob er ebenso wie sie darunter litte, dass jeder Fremde, der aus seinem Heimatland zu ihnen hinaus in die Berge, die Einöde gefunden hatte, ein Talent mitbrachte – nur sie beide seien eben komplett unbegabt? Len war klug genug, die Trauer, die in der Frage seiner Frau mitschwang, zu respektieren. Da er auf seine Weise Fran von ganzem Herzen liebte, unternahm er mit ihr Reisen in die europäischen Metropolen, Venedig, Paris, London, Berlin, wo sie wissensdurstig wie Kinder alles in sich aufsaugten, was es an Kunst, Architektur, Malerei zu besichtigen gab.
Auf einer dieser Reisen hatten sie beide Hilde kennen gelernt, an kalten deutschen Januarabenden vor zweieinhalb Jahren. Sie hatten sich mit Freunden bei einer Ausstellungseröffnung und einer Theaterpremiere getroffen, und Hilde fuhr mit einem alten verrosteten Fahrrad herum, was Fran zu spöttisch-ironischer Aufmunterung reizte. Hilde wiederum war erfreut, dass sie Lens und Frans Englisch, mochte es auch noch so kurios klingen, ganz ausgezeichnet verstand. Mit den beiden konnte sie sich sofort über die Inszenierung einer Jugendtheatergruppe und die Bilder eines jungen nervösen Malers unterhalten. Dann hatte Len sie in das pyrenäische Bergdorf eingeladen, und Hilde hatte diese Höflichkeitsgeste (denn nicht anders war sie gemeint) sofort wieder vergessen.
Dies alles war nun Jahre her. Vor einigen Wochen aber hatte Hilde beschlossen, dass sie ihre Dissertation schreiben würde, und da fiel es ihr ein, auf Lens Einladung zurückzukommen. Rasch gingen E-Mails hin und her, und schließlich machte sich Hilde auf den Weg zu den beiden in das Dörfchen hoch oben an der Grenze zu Andorra. Hilde hatte in der größten Buchhandlung ihrer Heimatstadt Autokarten studiert, um den Ort überhaupt zu finden, und siehe da, es gab ihn tatsächlich: Conocer.
Fran und Hilde waren von ihrer Wesensart her so verschieden, wie sie unterschiedlicher nicht hätten sein können. Ihre Treffen blieben zunächst auf die geselligen Zusammenkünfte aller Gäste am Abend beschränkt. Fran ging in diesen Stunden in