Kostja Kiefholz
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Über dieses E-Book
Naiv-zuversichtlich war er mal gestartet. Als Selbständiger und Sinnsucher konnte er's nicht lassen, das 'Schöne, Wahre, Gute' zu ersehnen. Im Chaos des Neuen findet er sich nur schwer zurecht. Als Musiklehrer, Werbetexter, Wissenschaftler verdient er den Lebensunterhalt. Kaum etwas scheint geblieben vom euphorischen Beginn. Tugenden und Werte der Kinderzeit sind längst verramscht. Doch taugt sein Anspruch noch? Träumend, augenwischend, gescheitert – ist nun überholt und ganz vergeblich, was vormals noch wichtig und richtig war? Was zählt im Jahr 22 nach der Wende?
Dem Lebenskünstler wider Willen bei seinen Strampelkämpfen zuzusehen, macht Vergnügen, berührt, entsetzt. Es scheint, als müsse Kostja Schiffbruch erleiden, um zu haltbarer Identität zu finden. Er stößt sich an Liebschaften, Kindererziehung, konkurrenzgetriebenen Arbeitsverhältnissen, schlingert zwischen Selbstoptimierung und Selbstsabotage. Das hat, außer dass es als persönliches Desaster schwer zu ertragen ist, auch eine soziale Dimension: Was kann, darf, will Intelligenz? Was bleibt übrig, wenn einer seine Sohnes-, Mitarbeiter-, Bürgerpflichten ebenso abstreift wie Rollenerwartungen an den Liebesfähigen, Verantwortungsbewussten?
Das Kippen aus der Jugend ins Älterwerden ist mit "Wendeverlierer in Midlife-Crisis" unzutreffend etikettiert: Hier versucht einer, sich nicht in Einsamkeit zu verlieren. Was die bitterböse Abrechnung des Berufsversagers so komisch macht, ist, wie ernsthaft und systematisch Kiefholz auf Fehlersuche geht. Man muss nicht zwischen 40 und 50 sein: Wer Vorbilder noch nie leiden konnte, findet in diesem Antihelden ein Prachtexemplar. Sein Anrennen gegen die Übermacht der Zwänge macht jede Menge Lust auf Leben. Mehr davon, weiter so!
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Buchvorschau
Kostja Kiefholz - Mathilde Schrumpf
Mathilde Schrumpf
Kostja Kiefholz
Copyright: © 2020 Mathilde Schrumpf
www.epubli.de
1
Kostja liebte den Schlaf und das Erwachen, er liebte den Übergang von Orange zu Milchkaffee, und er liebte es, leise für sich zu singen. Er liebte verspätete Schneeflocken im März, die letzten für lange Zeit, er liebte das Steigen der Sonne, und wie die Wolken über den Himmel liefen. Kostja Kiefholz hatte Musik, Papier und Tinte, ausreichend zu essen und den unendlichen Fluss der Gedanken auf dem ruhigen Fluss der Zeit.
Er bewegte sich hölzern, in ständiger Sorge, lichterloh zu brennen. Kiefholz war aus dem weichen Holz seiner Heimat geschnitzt. Schnell schießt es auf und steht gedrängt als Massenware in der Landschaft – Material, aus dem früher Puppen und Spielzeuge waren. Strahlt Ruhe aus, lebt und altert, lässt sich ein auf kleinste Veränderung der Umgebung. Dehnt, streckt und verzieht sich, arbeitet, gibt nach oder bricht, ächzt, klopft und knackt. Sammelt Harz, zählt die Jahre, redlich, stumm, in guten wie in schlechten Zeiten.
Kostja nahm an, dass seine kleine, ehrenwerte Person das Zentrum der Welt sei, dass unsere verrückte Welt mit all ihren Überflüssigkeiten und Absurditäten sich nur um ihn drehe. Diese Annahme gab Kiefholz´ Weltauffassung Struktur und Richtung, formierte jene Einheiten, die Geist und Körper verarbeiteten. Kostja sah sich von der Welt dazu aufgefordert, eine zusammenhängende, in sich schlüssige Erklärung seines So-Seins abzugeben. Hätte jemand ihn beobachtet, hätte er bemerkt, dass er ihm ein bisschen leid tat, überflüssige Empfindung, vielleicht. Versuche der unangemessenen Art, sein Verhältnis zur Umgebung ein für alle Mal zu klären, müssen in unserer chaotischen Welt scheitern. Wer Kiefholz über Jahre begleitet hatte, konnte sich eigentlich nur wundern, wie er in all der Zeit seine Unterschiedenheit von der übrigen Welt zu bewahren suchte, als Abgeschiedenheit und Sonderbarkeit, als habe er durch vertieftes Studium des ihn umgebenden Fremden, Befremdlichen die Beschaffenheit der eigenen Existenz deutlicher herausarbeiten können. Er musste Teil der Welt sein. Doch Kostjas Empfinden von seiner Person, als fremd in der Welt, und das Erkennen seiner Person, als untrennbar in der Welt, gingen nicht zusammen. Sein Wollen und sein Wissen passten einfach nicht zueinander.
Wollen und Wissen, gleich stark, einander zuwiderlaufend, trieben Kiefholz zu fortgesetzter Aktivität. Weder sein Wille noch sein Verstand, obwohl von Zeit zu Zeit triumphierend aufblitzend, trugen je einmal dauerhaft den Sieg über den Gegenspieler davon.
Wo hatte Kostjas Gefühl, er und die Welt seien unvereinbar, seinen Ausgang genommen? „Du bist nicht die anderen, hatte seine Mutter ihn oft zurechtgewiesen – immer dann, wenn er sie bat, ihre Verhaltensmaßstäbe doch bitte einmal an den Maßstäben zu überprüfen, mit denen andere Eltern das Verhalten ihrer Kinder bewerteten. Ihre Abwehr (sie wollte sich nicht mit anderen vergleichen lassen) projizierte sie in jenem Satz auf den Sohn. Wie ein Dorn saß er fest in ihm, er bekam ihn nicht heraus. Kostja wusste, ebenso „er
wie „die anderen waren Konstrukte, gemacht für ihre Zwecke, ihre verquere Argumentation. Doch obwohl er das wusste, konnte er nicht ermessen, wo ein vergleichender Blick angezeigt war (darauf, wie andere Menschen ihre Angelegenheiten regelten), und wo er sich über Vergleiche hinwegsetzen konnte. ‚Dahin hat es sogenannte bürgerliche Freiheit gebracht‘, dachte Kiefholz. ‚Jede und jeder entschied allein, was für sie oder ihn gut und richtig war. Eine übergeordnete Instanz, die aussprach und überwachte, was Recht und Unrecht war, gab es nicht. Kiefholz konnte es nicht lassen. Unvollendetes, Widersprüchliches, Absurdes ließ ihn nicht los. Er schlug sich so lange damit herum, bis er an Stelle einer Lösung, die es nicht gab, eine Scheinlösung errichtet hatte. Kiefholz vergaß zuweilen, dass er die unhaltbaren Zustände dieser Welt nicht durch Grübelei in haltbarere umwandelte. Ihm schien Nachdenken das Allheilmittel. Kostja wollte die Welt verbessert sehen, wie man gemeinsam eine Sinfonie einübt. So aber funktionierte das nicht: Die meisten seiner Mitmenschen stürzten sich ohne Bedenken in ihr Tun, getrieben von dunkel empfundenen Wünschen, kaum ausgereiftem Reden, trügerischen Vorbildern und unverarbeiteten Erfahrungen, die sich zu keinem besseren Wissen formten. „Einfach machen
war die Devise der Zeit, und Kiefholz hielt sie in mehrfacher Weise für verfehlt.
Je mehr er glaubte, sich absondern zu müssen und je mehr er sich selbst als Sonderling erlebte, desto mehr sah er sich einem Sumpf einverleibt, dem er nicht entkam, so sehr er auch strampelte und sich an den Haaren riss. In seiner Umgebung, zum Verschlingen bereit, bewahrte er sich stets gerade so. Er widerstand und ging