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Der Wald, der die Seele nahm.
Der Wald, der die Seele nahm.
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eBook334 Seiten5 Stunden

Der Wald, der die Seele nahm.

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Über dieses E-Book

"Der Wald, der die Seele nahm" gibt Einblicke in Steves Gedankenwelt und zeigt einen tief
verunsicherten Mann, der keinen Ausweg mehr als Selbstmord sieht. Doch genau diese Absicht ruft Mächte auf den Plan, die von Steve nichts anderes erwarten, als dass er den verbannten Seelen seines Dorfes endlich Ruhe bringt. Dazu muss sich Steve seinen inneren Dämonen und jenen, die das Dorf und seine Bewohner beherrschen, stellen.
SpracheDeutsch
Herausgeberepubli
Erscheinungsdatum6. Sept. 2017
ISBN9783745017205
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    Buchvorschau

    Der Wald, der die Seele nahm. - Marcel Kraeft

    Der Wald, der die Seele nahm

    Marcel Kraeft

    Das Buch

    Der Autor

    Der Wald, der die Seele nahm

    Der Traum

    Das Schiff

    Auf der Suche

    Der schwarze Reiter

    Helen

    Der Arzt

    Der Sonnenuntergang

    Der König von Raklettan

    Die Befreiung von Raklettan

    Die Wahrheit

    Die Aufgabe

    Der Sturm

    Die vergessene Stadt

    Das falsche Schlafzimmer

    Die Hetzjagd

    Die Rückkehr

    Sarahs Rache

    Der einsame Reiter

    Das Rathaus

    Trauer

    Ein trauriger Tag

    Neue Hoffnung

    Der Aufstand

    Der letzte Tag

    Zwei Tage später

    Danksagung

    Impressum

    Marcel Kraeft

    Der Wald, der die Seele nahm.

    Das Buch

    Der Wind rauschte und warf seine Klänge ab, wenn er um die Häuser und durch die Gassen, die vielleicht ihre eigenen Geschichten erzählen konnten, zog. Der Wind rauschte, wenn er über die Felder zog und die Getreidehalme dabei beinahe umknickte. Der Wind brachte die Blätter der Bäume in den Wäldern zum Flüstern.

    Steve genoss den Wind, wenn er auf dem Weg zu seinem Steinbruch war.

    An diesem Rückzugsort beschließt Steve, seinem einsamen Leben ein Ende zu setzen. Doch genau dieser Entschluss setzt Ereignisse in Gang, die Steve an der Realität zweifeln lassen. Verbannte Seelen, Dämonen und seine große Liebe Helen stellen Steves Leben auf den Kopf und er muss sich nicht nur seinen Selbstzweifeln stellen, sondern auch der Vergangenheit des Dorfes.

    Der Autor

    Marcel Kraeft ist in Hannover geboren. Er ist gelernter Karosseriebauer und hat 2016 seinen Karosseriebau- und Fahrzeugbaumeister absolviert. Seine Leidenschaft zum Schreiben fand er vor etwa 7 Jahren. Der Wald der die Seele nahm ist sein erstes Buch. Trotz seiner Schreib- und Leseschwäche ist es ihm gelungen dieses Buch zu verfassen. Weitere werden mit Sicherheit folgen.

    Der Steinbruch

    Der Wind rauschte und warf seine Klänge ab, wenn er um die Häuser und durch die Gassen, die vielleicht ihre eigenen Geschichten erzählen konnten, zog. Der Wind rauschte, wenn er über die Felder zog und die Getreidehalme dabei beinahe umknickte. Der Wind brachte die Blätter der Bäume in den Wäldern zum Flüstern.

    Steve genoss den Wind, wenn er auf dem Weg zu seinem Steinbruch war. Er beobachtete alles ganz genau und freute sich, wenn er dabei zuschauen konnte, wie ein Blatt, durch den Wind aufgewirbelt, auf dem Weg um ihn herumtanzte. Solche Momente machten ihn glücklich. Es war das Einzige, was er noch hatte. Steve Readon war sehr einsam und gezeichnet von dem Leben, das hinter ihm lag. Er war groß und hatte zu seiner stattlichen Größe ein sehr markantes Gesicht, das schon ziemlich in Mitleidenschaft gezogen und über die Jahre hinweg gezeichnet war. Aus Bekleidung machte er sich auch nichts, seine kleine Garderobe genügte ihm. Die Sachen, die in seinem Schrank hingen, ähnelten denen eines Försters, nur die Flinte fehlte noch. Er war ein einfacher, jedoch schwieriger Mensch Anfang vierzig. Es störte ihn nicht, was Andere von ihm dachten. Dafür war er viel zu stolz und genoss die Ruhe, die er dadurch hatte. Das stellte er schon damals fest, bei seinen Bekanntschaften, die er hatte. Für die war er ein interessanter, geheimnisvoller Mensch. Manchmal nervten sie ihn nur, aber manchmal war er auch froh, dass er nicht alleine war. Nach einiger Zeit trennten sich die Damen immer von ihm. Sie hielten es nicht lange mit ihm aus, mit seiner kalten und mürrischen Art. Bis auf eine, die letzte Frau, Helen. Sie war anders und blieb am längsten an seiner Seite. Was die Leute aus dem Dorf hinter ihrem Rücken tuschelten, störte sie nicht. Die Dorfbewohner fragten sich immer, wie so eine Frau mit einem wie Steve zusammen sein konnte. Für Steve lag das Problem bei ihm selbst, er wusste, es lag an ihm, an seinem Verhalten. Er konnte und wollte sich nicht ändern, hing aber sehr an ihr. Umso trauriger war er, als sie ihn eines Tages doch verließ.

    Für sein Problem gab es nur eine Lösung. Steve liebte es über alles, zu seinem Steinbruch zu wandern, und so ging er, wie jeden Tag, durch den Wald dorthin, um alles zu vergessen. Er packte sich immer vor der Arbeit seinen kleinen Rucksack. Er nahm ein paar Kekse oder Kuchen mit. In der Frühe des Morgens setze er sich einen Fencheltee auf, der im Laufe des Tages abkühlen konnte. Er mochte ihn nur kalt. Fröhlich und gut gelaunt stürmte er wie ein kleiner Junge durch sein bescheidenes, heruntergekommenes Haus, das eigentlich nur noch zum Abreißen einlud, schnappte sich seinen Rucksack und machte sich auf den Weg zum Steinbruch. Manchmal, wenn er dort oben auf seinem Stein saß und über seine Vergangenheit nachdachte, verspürte er das Gefühl, Anlauf zu nehmen und sich vom Steinbruch stürzen zu wollen. Komisch. Irgendwie hatte alles keinen Sinn mehr. Aber im nächsten Moment dachte er, wie schön es doch ist, hoch zum Steinbruch zu gehen. Der Steinbruch war riesig, atemberaubend, so gewaltig von der Natur erschaffen, dass man das Gefühl hatte, als könnte man fliegen. Denn das Letzte, das man sehen konnte, war, wie sich das Ende des Horizonts abzeichnete und mit der Kante des Steinbruchs verschmolz. Gemütlich stopfte er seine Pfeife und genoss den Rest des Tages. Wenn er wieder den Heimweg antrat, war er traurig, dass seine Zeit am Steinbruch schon vorbei war, die Zeit an seinem schönen Plätzchen. Wie immer, wenn er durch das Dorf ging, kam er an Helens Haus vorbei und tat so, als würde er es nicht bemerken. Ständig redete er sich ein, dass es mit ihr vorbei war. Sie soll doch an Land gewinnen, aber im tiefsten Innersten fehlte sie ihm. Was er aber nicht wusste, war, dass Helen sich jeden Tag hinter einer Gardine versteckt, um ihn beim Vorbeigehen zu beobachten. Manchmal überlegte Steve sich, ob er nicht einfach an ihre Tür klopfen und fragen sollte, wie es ihr in der letzten Zeit ergangen war. Doch das könnte er niemals tun. Sein Stolz ließ das nicht zu und in diesem Moment war es ihm auch egal, dass er Schuld am Ende ihrer Beziehung hatte, dass alles so verlaufen war, denn schließlich hatte sie sich von ihm getrennt. Oft tat er so, als ob er noch einen dringenden Termin hätte, und ging zügig an ihrem Haus vorbei. Es hätte ja sein können, dass Helen plötzlich aus dem Haus kam und er würde dann in eine unerwartete Situation geraten, in der er vor lauter Aufregung nicht wüsste, was er sagen sollte. Diese Blöße wollte er sich vor ihr nicht geben. So verging ein Tag nach dem anderen, ganze Monate, immer derselbe Ablauf. Bis zu jenem Tag.

    Die ganze Nacht schon plagten ihn Alpträume, er konnte sie aber nirgends einordnen. Ein Gefühl von Vorwürfen ließ ihn nicht los. Er stand die ganze Zeit vor seinem Spiegel, schaute sich an und merkte, dass er gar nicht wusste, wer er war. So viele Jahre, was war nur geschehen? Später, auf der Arbeit, dachte er die ganze Zeit über sich nach, sodass er sich nicht einmal auf das Wesentliche konzentrieren konnte. Er beschloss, ein paar Tage Urlaub zu nehmen.

    Steve hatte so viele Urlaubstage angesammelt, dass sein Chef sie eigentlich hätte auszahlen müssen. Als er um den Urlaub bat, schickte der Chef ihn gleich, wenn auch mit einem leicht vorwitzigen Lächeln, früher nach Hause. Selbst auf dem Heimweg dachte Steve ununterbrochen nach, es ging ihm schlechter, so sehr, dass sich schon Schweißperlen auf der Oberlippe bildeten. Wie immer gab es für ihn nur eine Lösung. Er musste zum Steinbruch, dann würde es ihm schon wieder besser gehen. Er war wie besessen vom Steinbruch. Diesmal ging er gar nicht erst nach Hause, sondern gleich weiter. Er vernahm eine unnatürliche Ruhe im Dorf. Niemand war zu sehen. Irgendwas stimmte nicht. Auch der sanfte Wind, der ihn sonst immer begleitete, war nicht da. Es war so ruhig und so still, als hätte jemand die Zeit angehalten. Aber er ließ sich nicht aufhalten und ging zielstrebig in den Wald. Als er auf der Hälfte des Weges angekommen war, bemerkte er, dass er schon ziemlich außer Atem war. Er musste kurz anhalten, um zu verschnaufen. Plötzlich vernahm er undefinierbare Stimmen, die aus dem Wald kamen. Erschrocken drehte Steve sich um. Ist da jemand? Niemand antwortete, die Stille war alles, was er vernehmen konnte. Er schüttelte den Kopf, dachte sich nichts mehr dabei und setzte seinen Weg fort. Plötzlich, ein Windstoß traf ihn mit der Wucht eines Schlages, sodass er im selben Moment seinen Atemrhythmus verlor und zu Boden fiel. Zugleich waren wieder diese Stimmen da, sie umkreisten ihn. Steve versuchte aufzustehen, aber beim ersten Versuch gelang es ihm nicht und er fiel abermals zu Boden. Er versuchte sich zum nächsten Baum zu schleppen, um sich daran abzustützen. Wieder kam ein Windstoß, ließ ihn zurückrollen, sodass er den Baum gar nicht erst erreichte. Was ist hier los? Er wurde, wie es seine Art war, wütend und bekam es gleichzeitig mit der Angst zu tun. Er schob dieses Gefühl weit von sich weg und versuchte wieder auf die Beine zu kommen – diesmal gelang es. Schaudernd und immer um sich blickend und angestrengt lauschend ging er weiter. Der Wind und die Stimmen waren so schnell verschwunden, wie sie gekommen waren. Als er, mit den Nerven am Ende und völlig erschöpft, am Steinbruch ankam, atmete er erstmal tief durch. Noch immer fragte er sich, was das wohl gewesen war und setzte sich auf seinen Stein, auf dem er immer saß. Fragen über Fragen überkamen ihn. Was ist los mit mir? Diese Alpträume, das Geschehen im Wald. Zum ersten Mal hatte er keine Lösung für ein Problem. Unvermittelt waren die Stimmen wieder da, sie peitschten direkt an ihm vorbei und verschwanden in der Weite des Steinbruchs. Er versuchte den Stimmen zu lauschen, konnte aber nichts heraushören. Langsam kroch die Angst wieder in ihm hoch. Ein Trampeln in der Ferne ließ seinen Atem stocken. Unmittelbar vor ihm schlug ein Blitz ein. Voller Angst sprang er rückwärts, hinter einen Felsen, an dem er sich eine Platzwunde am Hinterkopf zuzog und sich fast das Genick gebrochen hätte. Im selben Moment hörte er, wie das Trampeln immer lauter wurde. Es klang wie eine Pferdeherde. Er versuchte sich hinter diesem Felsen zu verstecken und schüttelte den Kopf. Was passiert denn hier? Der Boden fing an zu vibrieren, im selben Takt wie das Trampeln, das geradewegs auf ihn zukam. Steve versuchte sich zu beherrschen, aber sein Puls schlug so heftig und er wusste nicht, was er machen sollte. Er fror und zitterte am ganzen Körper, die Temperatur fiel und fiel, es wurde bitterkalt und es fing an zu schneien. Er versuchte sich zusammenzureißen und sich zu beherrschen, aber es ging nicht. Aus Angst liefen ihm Tränen über die Wangen, die er sich immer wieder mit den Armen wegwischte. Das ist alles ein Traum, alles ein Traum, nur ein Traum. Auf einmal wurde es ruhig, das Trampeln hörte auf, die Stimmen waren verschwunden.

    Steve versuchte sich so klein wie möglich zu machen, als würde er versuchen, sich unter dem Stein zu verkriechen. Er wartete einen Moment. Plötzlich erreichte ihn ein grüner Nebel, der langsam über den Boden schlich und ihn verschlang. Es war immer noch still. So still, als hätte jemand die Welt angehalten und wartete nur darauf, dass wir alle herunterfallen. Vorsichtig versuchte Steve, über den Stein zu schauen. Er erschrak so heftig, dass er gleich wieder nach hinten fiel und sich an der Steinwand hinter ihm wieder den Kopf stieß. Was ist das? Das kann doch nicht echt sein! So etwas hatte er noch nie gesehen. Trotzdem, er war neugierig, lehnte sich abermals nach vorne und schaute vorsichtig über den Stein. Er schüttelte den Kopf, rieb sich die Augen und konnte es immer noch nicht glauben. Da stand eine riesige Kutsche, die Tür offen und hundert Pferde davor gespannt. Der Atem, der aus ihren Nüstern und Mäulern dampfte, glich dem grünen Nebel, der schon überall zu sein schien. In der Kutsche stand ein Mann, er war ziemlich groß, trug einen langen Mantel und einen langen Bart. Steve nahm seinen Mut zusammen, stand vorsichtig auf und versuchte sich mit kleinen Schritten zu nähern. Langsam durchbrach er den Nebel, der sich gleich hinter ihm wieder schloss. Mit ängstlicher Stimme rief Steve dem Mann zu: „Wer sind Sie? Er zeigte keine Regung, also versuchte Steve es erneut: „Wer sind Sie, wo kommen Sie her? Er wagte sich weiter heran, versuchte auf dem Weg dorthin mehr zu erkennen und sah, dass die Kutsche mit den vielen Pferden direkt vor der Steinbruchkante schwebte. Es war unglaublich. Dort, von wo man sonst bis zum Horizont schauen konnte, war ein Gebräu von braunen und schwarzen Wolken, durchzogen von Blitzen und grünen Nebel. Es entstand der Eindruck, als würde die Kutsche direkt aus der Hölle kommen. Steve war schon sehr nahe herangekommen, rief immer wieder zu dem Mann, erhielt aber nie Antwort. Als er an der Kante des Steinbruchs ankam, nur noch einen Schritt von der Kutsche entfernt war, drehte der Mann unvermittelt seinen Kopf herum, von einer Sekunde auf die andere. Steve zuckte zusammen, fiel erschrocken nach hinten auf sein Gesäß und hielt den Atem an. Der Mann öffnete seinen Mund und der grüne Nebel kroch heraus auf den Boden. Steve war so geschockt, dass er fast vergaß zu atmen. Im selben Moment sagte der Mann mit tiefer, vibrierender, rauer und lang gezogener Stimme: „Du hast uns gerufen, steig‘ ein."

    Voller Angst und Panik sprang Steve schreiend vom Boden auf und versuchte, so weit wie möglich wegzulaufen. Aus der Ferne hörte Steve den Mann etwas sagen, es klang wie ein an die Pferde gerichteter, lauter Zuruf und das Trampeln begann erneut. Steve drehte sich vor Angst um, stolperte dabei über eine Baumwurzel und fiel im selben Moment, als er sah, wie die vielen Pferde mitsamt Kutsche und dem Mann über ihn hinwegsetzten. Steve versuchte sein Gesicht mit den Armen zu schützen und wurde, von der Gewalt der Eindrücke übermannt, ohnmächtig.

    Nach einiger Zeit kam er langsam wieder zu sich, hielt aber die Augen immer noch vor Angst geschlossen. Er atmete erst einmal tief ein und bemerkte, dass er auf etwas Weichem lag. Noch immer roch es nach Pferden und er vernahm ein Wiehern. Vor Angst zuckte er sofort zusammen. Er ist noch immer hier! Vorsichtig öffnete er die Augen und musste ungläubig schmunzeln. Er konnte es nicht fassen. Die Umgebung kam ihm bekannt und sehr vertraut vor. Dann wusste er es. Es war der Pferdestall seines Nachbarn. Er lag in einer Box, in der sich ein Pferd befand, das gerade äpfelte. Wie bin ich vom Steinbruch hierher in den Stall gekommen?

    Der Traum

    Sehnsucht überkam Steve. Ein Gefühl von Heimweh, er fühlte sich jetzt richtig einsam. Seit jenem mysteriösen Abend hatte Steve Angst, wieder zum Steinbruch zu gehen.

    Sein Urlaub war vorbei und bei der Arbeit machte man sich auch schon Gedanken über ihn, obwohl Steve seinen Arbeitskollegen eigentlich immer egal war. Wegen seiner mürrischen Art und Weise wollte niemand etwas mit ihm zu tun haben. Nur das Nötigste, nicht mehr, nicht weniger. Steve war aber immer ein sehr zuverlässiger Mitarbeiter, und stets pünktlich. Seit einiger Zeit bemerkten sie, dass etwas mit Steve ganz und gar nicht stimmte. Er ging nach der Arbeit direkt nach Hause und hatte absolut keine Energie mehr. Selten ging er einkaufen, es war ihm angenehmer, nach der Arbeit auf dem Sofa zu liegen und zu hungern. Den Hunger stillte er dann meistens mit einem Glas Wasser. Dafür muss ich nur in die Küche oder das Badezimmer gehen. Meistens schlief er direkt nach der Arbeit ein, auf seinem alten braunen Sofa, an dem die Polster und die Lehnen so durchgesessen waren, dass er den Federkern hartnäckig an seinem Gesäß spürte. Dass er deswegen seit geraumer Zeit Rückenschmerzen davontrug, war ihm auch egal. Irgendwie hatte alles keinen Sinn mehr für ihn. Das Einzige, was er noch hatte, war sein Wald, den er immer durchkreuzte, um zu seinem geliebten und jetzt gefürchteten Steinbruch zu kommen. Das Schlimmste war, dass er sich die Geschehnisse noch immer nicht erklären konnte. Was war da passiert? Bilde ich mir das nur ein? Er versuchte, sich selber Ausreden einfallen zu lassen, um zumindest irgendeine Erklärung zu finden, damit er wieder zum Steinbruch gehen könnte.

    Eines Morgens verspürte er eine Besinnungslosigkeit, die in Gleichgültigkeit umschlug. Er redete sich ein, alles, was nur möglich war, dass alles, was er in seiner Vergangenheit erlebt hatte, ihm egal geworden war, ob er noch Angst hatte oder dabei sterben könnte. Nachdem er für sich alles durchdacht, bedacht und mit sich beredet hatte, hatte seine Lösung gefunden: Er musste hoch, sich wieder aufraffen. Mit seinem letzten Mut, der letzten Entschlossenheit, die er noch zusammenraffen konnte, machte er sich auf den Weg. Schon auf den ersten Metern bemerkte er, dass er die ganze Zeit über sehr schwach geworden war. Er hatte ja kaum noch gegessen, er war nun doch sehr abgemagert und wirkte zudem sehr krank. Einen Schritt nach dem anderen setzte er, immer wieder ein paar Schritte. Noch nie war ihm etwas so wichtig gewesen. Er kämpfte mit sich selbst. Immer wieder und wieder hielt er an, um zu verschnaufen. Sein kariertes Hemd war schon völlig klamm, klamm von seinem Körperschweiß. Haare und Hemdkragen waren durchnässt. Er zog einen Geruch hinter sich her, als hätte er schon mehrere Tage nicht mehr geduscht und seine Kleidung nicht gewechselt. Vor Anstrengung fiel ihm das alles gar nicht auf. Es gab nur ein Ziel – ich muss die Steinplatte oben am Steinbruch erreichen. Die Puste ging ihm immer wieder aus, und während er durch den Wald ging, stützte er sich an den Bäumen ab. Ein Ast, den Steve von einem Baum brach, war ihm eine Hilfe. Auf dem Weg zur Steinplatte überlegte er die ganze Zeit, was ihn wohl erwarten würde. Werde ich meine Angst bekämpfen können? Er redete sich ständig ein, dass dort bestimmt nichts Außergewöhnliches sein würde. Nach unendlich langer Zeit und einem letzten Durchatmen kam er endlich an. Sofort setzte er sich und genoss die wundervolle Aussicht. Der Wind rauschte, wie immer, an seinem Rücken vorbei und verschwand hinter einer Felswand, bis der nächste Windstoß kam. Steve saß einfach nur da und war selig. Plötzlich vernahm er ein Knacken aus dem Wald, der neben der Steinplatte verlief. Steve zuckte sofort zusammen, bekam schnappte nach Luft und sein Puls schnellte in die Höhe. Dann hörte er wieder die Stimmen, sie kamen direkt auf ihn zu! Nicht schon wieder! Er blinzelte, um vielleicht irgendetwas im Wald zu erkennen. Die Stimmen wurden immer lauter, es schien, als würde jemand lachen. Vorsichtig rutschte er mit seinem Rücken die Felswand entlang, bis er mit dem Gesäß den Boden berührte und versteckte sich. Noch immer konnte er nichts sehen. Erleichterung machte sich breit – es war nur ein Pärchen, das den Waldpfad herunter kam. Sie waren gut gelaunt und scherzten über die Sachen, die sie sich gegenseitig erzählten. Sie bekamen gar nicht mit, dass Steve sich hinter dem Felsen versteckte. Sie waren zu sehr mit sich selbst beschäftigt. Durchatmend stand er wieder auf und freute sich, dass seine Befürchtungen sich in Rauch aufgelöst hatten. Er saß noch eine ganze Weile zufrieden und glücklich auf seinem Stein, genoss die Umgebung und spürte, wie sehr ihm das alles gefehlt hatte. Aber trotzdem fragte er sich immer wieder, was eigentlich an dem Tag, als er im Stall erwacht war, geschehen war. Er beschloss, dass es nicht weiter von Interesse oder Wichtigkeit für ihn war.

    Es fing an zu dämmern und er hatte noch ein Stück Fußmarsch vor sich. In der Dunkelheit wollte er nicht durch den Wald gehen, schon der Tiere wegen, die dann den Wald durchstreiften. Fröhlich pfeifend trat er den Heimweg an. Nichts ist passiert, alles ist gut. Selbst später, als er ins Bett ging, bekam er das Lächeln gar nicht mehr aus dem Gesicht. So schlief er zufrieden ein.

    Von diesem Tag an kam er nur noch gut gelaunt nach Hause. Er wusste, dass nichts mehr passieren würde – so dachte er zumindest. Steve verdrängte, was damals oben am Steinbruch passiert war und versuchte, nicht mehr darüber nachzudenken, sagte sich jedes Mal, wenn die Erinnerung wie der grüne Nebel durch seinen Kopf geisterte, dass es nur Einbildung gewesen war, oder dass er eingeschlafen sein, geträumt haben musste. Denn manchmal, wenn er oben auf dem Stein saß, schlichen sich die Bilder doch in seine Gedanken, es wollte ihm einfach nicht aus dem Kopf gehen. Ständig sah der diese Wurzel, über die er gestolpert war, von seinem Sitzplatz aus. Noch immer war es für ihn ein Rätsel, wie er nach Hause gekommen war.

    Als er an einem Herbsttag etwas unterkühlt nach Hause kam, ging er sofort in die Küche, um Teewasser auf seinem Gasherd aufzusetzen. Plötzlich knackte es und Steve sackte zusammen. Eine Holzdiele war gebrochen. Sie war schon so morsch, dass sie Steves Gewicht nicht mehr standgehalten hatte. Es war vorhersehbar, dass die anderen bald folgen würden. Egal war es ihm trotzdem, auch wenn er sich gerade beim Durchbruch das Fußgelenk blutig geschrammt hatte. Steves Gleichgültigkeit siegte, er sah nur kurz mit schmerzerfülltem Blick an sich hinunter, sah seinen blutigen Fuß und freute sich eigentlich. Darüber, dass er kein Pflaster brauchte, denn seine Socke würde die Aufgabe eines Verbandes erledigen. Das Einzige, das ihn ärgerte, war, dass es jetzt noch mehr stank. Nach altem Fachwerkhaus. Er öffnete sogleich ein Fenster in der Küche. Er wusch sich kurz im Badezimmer, holte sich anschließend seinen Tee aus der Küche und ging in seine Wohnstube. Skeptisch las er die Tageszeitung und fand an jedem Artikel etwas auszusetzen. Seine Augen wurden müde und nach einiger Zeit schlief Steve ein. Seine Zeitung deckte ihn zu, sie hatte sich durch seine Atembewegungen wie eine Decke über ihn gelegt. Die Kerze, die er angezündet hatte, verglühte und ließ den Raum langsam abdunkeln. Es war Nacht geworden.

    Plötzlich ein lauter Knall. Steve wachte sofort auf und sprang vom Sofa. Was war das? Von wo kam der Knall her? Ein Einbrecher, vielleicht? Er nahm vorsichtig die Forke, die aus schwerem Gussmetall bestand, vom Karmin. Das Adrenalin schoss ihm durch den ganzen Körper, vorsichtig und auf jedes Geräusch achtend arbeitete er sich von Raum zu Raum. Aber da war niemand. Leise ging er die Treppe hoch und lehnte sich dabei mit der Rückseite an die Wand, um mehr zu sehen. Es war so still im Haus, dass er selbst sein trockenes Schlucken hören konnte. Auch oben befand sich niemand. Es muss etwas umgefallen sein. Noch schnell wollte er, bevor er wieder hinunterging, von oben aus dem Fenster auf die Straße schauen. Von dort aus hatte er eine sehr gute Aussicht auf das Dorf. Es sollte nur ein schneller, prüfender Blick werden. Hin und sofort wieder weg. Als er das tat, brach er zusammen, sein Herz blieb fast stehen. Steve war geschockt. Sein Gesicht verzerrte sich angsterfüllt, leise wimmernde Schreie entfuhren seiner Kehle.

    Er schluckte kurz und heftig, zwei, drei Mal, sodass seine Kehle kratzte. Dann stand er auf und ging wieder zum Fenster. Er hatte das Gefühl, dass er im Haus ziemlich sicher war und ihm nichts passieren würde. Leicht von der Seite des Fensters, um nicht gesehen zu werden, schaute er nochmals runter auf die Straße, die direkt vor seinem Haus verlief, und fasste sich mit beiden Händen auf den Kopf. Unten stand die Kutsche mit dem mysteriösen Mann. Überall war wieder der grüne Nebel. Für Steve hatte es den Anschein, als würde es nur noch sein Haus geben. Die anderen Häuser vom Dorf waren verschwunden, verschlungen vom grünen Nebel. Steve wusste nicht, was er tun sollte. Er dachte, der Mann würde ihn nicht sehen, wie er sich neben dem Fenster versteckte, doch der öffnete seinen Mund und sprach. Steve zuckte zusammen. Es hörte sich an, als stünde er direkt neben ihm: „Du hast uns gerufen …". Wieder diese tiefe, vibrierende Stimme. Steve schaute vorsichtig über die Fensterbank, um den Mann zu sehen und stellte fest, dass dieser direkt in seine Augen sah. Vollkommen verängstigt kauerte Steve am Fenster. Er kann nicht ins Haus … Ich bin hier sicher … Plötzlich fing sein Haus an zu beben, Bilder fielen von den Wänden, Türen und Schränke gingen auf, Regale fielen herunter. Steve schaute wieder aus dem Fenster, um zu sehen, was der Mann tat. Er hörte wieder die Stimme: „Ich hol‘ dich!" Auf einmal schoss, wie eine Rakete, sein alter Gasofen aus der Küche senkrecht nach oben, durchschlug den Boden der ersten Etage und das Dach, bevor er in einem riesigen Feuerschwall davonflog. Fassungslos verfolgte Steve den Flug seines Ofens. Was ist hier nur los? Er schaute zu dem Mann und sah, wie dieser einen dicken Stab hochhielt und in Richtung des Hauses zeigte. Steve schluckte und in derselben Sekunde explodierte das gesamte Obergeschoss. Ein heulender Sturm tobte um Steves Haus und verzehrte alle Überreste des Hauses. Der Sturm heulte, finster, schauerlich, bedrohlich. Steve sah nur, dass der Mann keine Miene verzog, nur seinen Arm bewegte. Er wusste, gleich würde wieder etwas passieren und sprang schnell auf, so schnell er konnte, und versuchte, sich in den Kellner zu retten. Dabei drehte er sich um und sah, wie Stück für Stück seines Bodens in die Lüfte verschwand. Es heulte fürchterlich. Panisch stürzte Steve die Kellertreppe hinunter und schlug sich beide Knie auf. Er sah, dass auch hier unten schon Teile seines Hauses fehlten und seine Küche, durch die entzündete Gasleitung, einem Flammenmeer glich. Kurz dachte er daran, als ein Teil der Decke auf ihn fiel, dass er den Küchenboden nun nicht mehr zu reparieren brauchte.

    Ohne Vorwarnung war es vorbei, der Wind war verschwunden, jaulte nicht mehr, und von seinem Haus waren nur noch vereinzelte, traurige Reste der Grundmauer übrig. Mehr war nicht übrig geblieben. Das Feuer in der Küche war, als hätte jemand einen Schalter umgelegt, verschwunden. Obwohl, Küche konnte man das auch nicht mehr nennen. Steve wischte sich den Staub aus dem Gesicht und schüttelte ihn mit seinen Händen aus den Haaren. Er blinzelte kurz und sah, dass der Mann vor ihm stand. Vor Schreck wollte Steve wegrennen, doch im selben Moment prallte er hart mit dem Rücken auf den Boden. Der Mann hatte ihn schon am Kragen gepackt und zu Boden geworfen. Dann bückte er sich, griff wieder nach Steves Kragen und schleifte ihn, den Boden entlang, in Richtung Kutsche. Steve versuchte sich zu wehren, hatte aber keine Chance. Der Mann war übermenschlich stark. Er holte aus und beförderte Steve, ohne jegliche Anstrengung, in die Kutsche. Die Tür schloss sich von selbst und die Pferde liefen sofort, mit enormem Tempo, los. Steve wurde ruckartig gegen die Wand gepresst und stieß sich so den Kopf, dass er wie betäubt war und sich nicht bewegen konnte. Bevor er ohnmächtig wurde, sah er noch, wie die Kutsche abhob.

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