Wenn Rache süchtig macht
Von Heidi Oehlmann
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Kann Betty alle Personen ausfindig machen? Wohin wird sie ihr Rachefeldzug führen?
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Buchvorschau
Wenn Rache süchtig macht - Heidi Oehlmann
1. Kapitel – Betty
Ich stochere in meinen Nudeln herum und warte, dass es endlich passiert. Solange kann es doch nicht dauern! Marc, der mir gegenübersitzt, verschlingt seinen Teller Spaghetti, ohne aufzuschauen. Er sieht immer noch munter aus, viel munterer, als ich ihn gerne hätte.
»Was ist, schmeckt es dir nicht?«, fragt Marc.
»Doch, doch das Essen ist ausgezeichnet. Ich habe nur keinen Appetit.«
Natürlich ist das Essen großartig. Ich habe es selbst in Marcs Küche zubereitet. Mit der Soße gab ich mir besonders viel Mühe. Ich verfeinerte sie mit ein paar Gewürzen und einer geheimen Zutat, von der ich nur ungern etwas essen will. Außerdem sind mir eindeutig zu viele Kohlenhydrate auf meinem Teller. Das erleichtert mir den Verzicht, obwohl ich einen ziemlichen Hunger habe. Mein Magen gibt schon Geräusche von sich, die mir sagen, er will gefüttert werden, aber ich bleibe eisern.
Marc scheint von meinen Magengeräuschen nichts mitzubekommen. Er ist viel zu sehr damit beschäftigt, seinen Teller zu leeren.
»Ach so. Na, wenn du nicht willst, gib mir doch deine Portion!«
Nach den Worten stopft er sich den Rest seiner Nudeln in den Mund, schiebt seinen Teller beiseite und zieht gleichzeitig meinen zu sich heran.
Ich freue mich über seinen großen Appetit. Das wird die Wirkung der geheimen Zutat sicherlich verstärken. Meine Bedenken, zu wenig davon in die Tunke getan zu haben, schwinden allmählich. Um die gewünschte Wirkung zu erzielen, soll schon eine Prise reichen. Zur Sicherheit habe ich bereits einen gehäuften Teelöffel meiner Geheimzutat in die Soße gegeben. Marc scheint nichts davon zu merken, sein Körper zeigt keine Reaktion. Auch geschmacklich scheint ihm nichts aufzufallen, obwohl die zugefügte Beigabe etwas bitter schmecken soll. Bei der Menge müsste man es herausschmecken. Da ich es aus gesundheitlichen Gründen nicht probieren möchte, wird es mir immer ein Rätsel bleiben, ob es wirklich stimmt.
So bitter kann es nicht sein, sonst würde Marc das Essen nicht so hinunterschlingen. Vielleicht stört ihn der bittere Beigeschmack auch nicht, weil sein Hunger so groß ist. Das werde ich wohl nie herausfinden. Ich kann Marc schlecht fragen, ob ihm die Soße zu bitter ist. Dann kann ich ihm gleich über das Gift in seinem Essen unterrichten.
»Dir scheint es ja vorzüglich zu munden«, höre ich mich sagen.
Meine Hoffnung, Marc äußert sich über den Geschmack, wird enttäuscht. Er nickt mir nur zu und kaut unermüdlich weiter. Womöglich schmeckt er nichts Ungewöhnliches heraus.
Ich versuche ruhig zu wirken. Innerlich sieht es in mir anders aus. Meine Nervosität steigt ins Unermessliche. Es fällt mir schwer, mir nichts anmerken zu lassen.
Mein linkes Bein, welches über das rechte geschlagen ist, wippt hin und her. Dabei beobachte ich Marc, wie er genüsslich meinen Teller leert. Es sind höchstens noch Nudeln für drei Gabeln auf seinem Teller. Ich sehe ihm zu, wie er sich eine Gabel Spaghetti nach der anderen in den Mund schiebt. Gleichzeitig frage ich mich, was ich damals in der Oberstufe an ihm fand. Besonders gut sieht er nicht aus. So viel besser kann er zu Schulzeiten auch nicht ausgesehen haben. Vielleicht hatte ich früher einfach eine andere Wahrnehmung. Ich weiß es nicht mehr. Es ist jetzt unwichtig. Sein Charakter scheint sich kein Stück verändert zu haben. Marc ist noch genau so oberflächlich wie früher.
Damals in der siebten Klasse war ich schrecklich verliebt in ihn. Er ist ein Jahr älter als ich und war zu der Zeit eine Stufe über mir. Als ich es endlich schaffte, nach monatelanger Schwärmerei meinen ganzen Mut zusammenzunehmen, und ihm sagte, was ich fühlte, lachte er mich eiskalt aus. Seit diesem Tag machten sich Marc und seine Freunde jeden Tag über mich lustig. Er hatte allen seinen Freunden von mir und meinem Liebesgeständnis erzählt. Ich hätte nie damit gerechnet, wie fies er sein kann.
Der tägliche Schulaufenthalt wurde für mich zum Spießrutenlauf. Jeden Tag musste ich Beleidigungen ertragen, die sich überwiegend auf mein Gewicht bezogen. Zugegeben, ich hatte mehr als nur ein paar Kilo zu viel auf den Rippen. Um es genau zu sagen: Ich war fett! Ganz gleich, was ich anzog, ich sah aus, wie eine Presswurst in einer zu engen Pelle. Alles an mir quoll regelrecht aus meinen Klamotten raus und wabbelte vor sich hin. Selbst weite Kleidung brachte keinen Erfolg. Ich fühlte mich immer wie eine Tonne.
Am schlimmsten war es im Sportunterricht. Nicht nur, dass mir Sportoutfits überhaupt nicht standen. Ich hatte bei jeder Bewegung das ungute Gefühl, mein Körper würde sich verselbstständigen. Natürlich machten sich die anderen Mädchen, die mit einer normalen Figur, regelmäßig über mich lustig. Es gab in meiner Klasse nur ein anderes Mädchen, was eine ähnliche Figur hatte wie ich. Sie hatte auch einige Kilos zu viel auf den Hüften. Mein Gewicht konnte sie aber nicht schlagen. Ich war eindeutig die Dickste in der Klasse. Deshalb wurde nur ich gehänselt.
Alle Diätversuche, die ich in der Jugend ausprobierte, waren zum Scheitern verurteilt. Am Anfang war ich immer die Motivation in Person. Das legte sich schnell wieder. Nie hielt ich eine Diät länger als zwei bis drei Tage durch. Die täglichen Beleidigungen waren ein Grund für mein mangelndes Durchhaltevermögen. Wenn ich aus der Schule kam und einen besonders schrecklichen Tag hinter mir hatte, war das Essen mein einziger Trost. Ich schaufelte täglich kiloweise Lebensmittel in mich hinein. Gesundes Essen suchte man darunter vergeblich. Ich aß eher die Sachen, die sich schnell zu Hüftgold umwandelten. Das Essen meiner Mutter Renate trug ebenfalls seinen Teil dazu bei. Es gab beinahe jeden Tag Hausmannskost. Auf Fett und Kalorien wurde dabei nicht geachtet. Meine Mutter hatte auch keine Modelmaße. Sie war ähnlich stabil gebaut wie ich.
Auf mein Bitten kalorienärmer zu kochen, erwiderte sie nur: »Ach Kind, das liegt doch nicht an meinem Essen. Wir Garbers sind halt so veranlagt, etwas mehr auf den Hüften zu haben. Guck dir doch deine Oma, deine Uroma oder Tante Margarete an! Das hat die Natur so gewollt. Wir können nichts dagegen machen!«
Anschließend kochte sie weiter wie bisher. Nebenbei reichte sie täglich Schokolade und andere Süßigkeiten, die ich brav in mich hinein stopfte. Anstatt weniger zeigte die Waage bei jedem Wiegen mehr an. Irgendwann vermied ich es, mein Gewicht zu kontrollieren. Ich wusste genau, jeder Wiegevorgang würde mich deprimieren. Stattdessen machte ich jahrelang so weiter, wie ich es gewohnt war und verdrängte die konstante Gewichtszunahme.
Ich sehe Marc, wie er den leeren Teller wegschiebt und noch immer kauend auf meine Seite des Tisches kommt. Er setzt sich auf den Stuhl neben mir. Sein Mund ist mit meiner Spezialsoße verschmiert. Er kommt näher. Ich spüre, was er vorhat, er will mich küssen. Das darf nicht passieren!
Um Schlimmeres zu verhindern, springe ich auf, schnappe mir die Teller und flüchte in die Küche. Ich stelle die Teller neben die Spüle, und beginne abzuwaschen. Weit komme ich nicht, ich höre einen dumpfen Aufprall.
Jetzt ist es passiert!, schießt es mir durch den Kopf. Mit leisen Schritten schleiche ich zurück zum Wohnzimmer. An der Tür bleibe ich stehen und stecke nur meinen Kopf ins Zimmer.
Marc liegt auf dem Fußboden. Er muss vom Stuhl gefallen sein. Ich nähere mich vorsichtig und schaue zu ihm herab. Er zittert am ganzen Körper und schaut mich an. In seinem Blick kann ich Angst erkennen. Er versucht, zu sprechen, doch es kommt kein verständliches Wort aus seinem verschmierten Mund. Alle seine Versuche aufzustehen, scheitern. Er scheint gelähmt zu sein. Ich starre ihn an und warte, bis es vorbei geht.
Natürlich will ich ihn für das, was er mir angetan hat, leiden sehen. Mir war nur nicht bewusst, wie lange es dauern würde. Das Warten kommt mir endlos lang vor. Nach einem kurzen Röcheln liegt Marc reglos am Boden.
»Marc?«, frage ich leise.
Er antwortet nicht. Ich strecke meine Hände nach ihm aus und prüfe seinen Puls. Er hat keinen mehr. Um sicherzugehen, halte ich mein rechtes Ohr an sein Gesicht. Er atmet nicht. Ich habe es geschafft. Marcs lebloser Körper liegt vor mir auf dem Boden. Ich betrachte ihn eine Weile und stelle fest, dass er aussieht, wie ein kleines Kind. Ein kleiner Junge, der sein Essen nicht aufgegessen hat.
Wenigstens den Mund hättest du dir waschen können, bevor du dich hinlegst!
»Da siehst du, was du davon hast! Du hättest mich damals einfach nicht so fertig machen sollen. Dann würdest du jetzt noch leben«, flüstere ich ihm zu. Er kann mich nicht mehr hören, das ist mir bewusst. Dennoch tut es mir verdammt gut, meine Gedanken laut auszusprechen.
Ich bin erleichtert, wie gut es funktioniert hat.
Für mich ist es immer noch ein kleines Wunder, Marc vor wenigen Wochen gefunden zu haben. Die Suche zog sich über mehrere Tage hin, bis ich ihn endlich ausfindig gemacht hatte. Ein Hoch auf die Sozialen Netzwerke, die auch Marc nutzte. Er gab in der Öffentlichkeit ziemlich viel von sich preis.
In seinen Profilen hatte er angegeben, Single zu sein. Außerdem verriet er, was er in seiner Freizeit machte und wo er arbeitete. Marc auf seiner Arbeit aufzusuchen, war zu schwierig für mich. Er war in einem Unternehmen für Softwareentwicklung tätig. Von den strengen Sicherheitsmaßnahmen abgesehen, den ich mich hätte unterziehen müssen, wäre ein Besuch zu auffällig gewesen. Da sah es bei seinem Freizeitprogramm schon anders aus. Marc machte keinen Hehl daraus, in welchen Locations er sich öfter aufhielt. Das war meine Chance.
Ich klapperte eine Diskothek nach der anderen ab, bis ich ihn tatsächlich fand. Als ich die Disco betrat, saß Marc an der Bar. Ich erkannte ihn sofort. In all den Jahren hatte er sich kaum verändert. Sein Gesicht sah genauso aus wie damals, nur etwas älter.
Wie zufällig setzte ich mich auf den freien Hocker neben ihn. Er war sehr betrunken und bemerkte mich zunächst nicht. Um seine Aufmerksamkeit zu bekommen, fragte ich ihn nach einer Zigarette, obwohl ich Nichtraucherin bin. In meinem Leben zog ich nur ein Mal an einem Glimmstängel meines Onkels und fand es so ekelhaft, dass ich mir schwor, niemals wieder zu rauchen. Bis jetzt hielt ich mich auch strikt daran.
Marc hatte schon zu Schulzeiten geraucht, daran kann ich mich genau erinnern. Nach Schulschluss sah ich ihn oft mit den anderen Jungs in einer Ecke stehen und heimlich rauchen. Sobald jemand vorbei kam, versteckten sie ihre glühenden Zigaretten. Sie glaubten, niemand sah, was sie trieben. Mir blieb es jedoch nicht verborgen.
Marc griff sofort nach der Zigarettenpackung in die Brusttasche seines Hemds und gab mir eine Zigarette. Als er mir Feuer geben wollte, lehnte ich ab. Ich tat so, als hätte ich mir gerade das Rauchen abgewöhnt und diese Tatsache für einen Moment vergessen. Ich sagte ihm, ich wolle nicht wieder anfangen. Er lächelte und wir kamen ins Gespräch.
Mein früherer Schwarm erkannte mich nicht. Als ich mich vorstellte, verzog Marc keine Miene. Er erwähnte, früher mal ein Mädchen namens Betty gekannt zu haben. Darauf, dass wir uns kennen könnten, kam er nicht. Das