Entdecken Sie Millionen von E-Books, Hörbüchern und vieles mehr mit einer kostenlosen Testversion

Nur $11.99/Monat nach der Testphase. Jederzeit kündbar.

Tödlicher Nebenjob
Tödlicher Nebenjob
Tödlicher Nebenjob
eBook256 Seiten3 Stunden

Tödlicher Nebenjob

Bewertung: 0 von 5 Sternen

()

Vorschau lesen

Über dieses E-Book

Amelie ist verzweifelt, als ein Gerichtsvollzieher ihre Wohnung nach Wertgegenständen durchsucht und von ihr verlangt, die Schulden ihres Exfreundes zurückzuzahlen. Da sie als Verkäuferin nicht genug verdient, nimmt sie kurzerhand den Vorschlag ihrer Freundin Rike an und steigt in ein lukratives Dienstleistungsgeschäft ein. Zunächst scheinen sich ihre finanziellen Sorgen in Luft aufzulösen. Als dann aber nach und nach ihre Kunden ermordet werden, zweifelt Amelie an ihrem Nebenjob. Sie glaubt, selbst etwas mit den Morden zu tun zu haben. Kann sie wirklich die Täterin sein? Warum kann sie sich an nichts erinnern? Oder steckt vielleicht doch jemand anderes dahinter?
SpracheDeutsch
Herausgeberneobooks
Erscheinungsdatum15. Nov. 2019
ISBN9783750211636
Tödlicher Nebenjob

Mehr von Heidi Oehlmann lesen

Ähnlich wie Tödlicher Nebenjob

Ähnliche E-Books

Thriller für Sie

Mehr anzeigen

Ähnliche Artikel

Verwandte Kategorien

Rezensionen für Tödlicher Nebenjob

Bewertung: 0 von 5 Sternen
0 Bewertungen

0 Bewertungen0 Rezensionen

Wie hat es Ihnen gefallen?

Zum Bewerten, tippen

Die Rezension muss mindestens 10 Wörter umfassen

    Buchvorschau

    Tödlicher Nebenjob - Heidi Oehlmann

    Donnerstag, 08.09.16, 17:41 Uhr

    »Das können Sie nicht machen! Sie haben kein Recht in meinen Sachen zu wühlen!«, versuchte Amelie den Gerichtsvollzieher von der Arbeit abzuhalten. Ihre Bemühungen blieben vergebens. Herr Maier waltete seines Amtes und schaute in jeden Schrank. Selbst vor der Unterwäscheschublade machte er keinen Halt. Ihr war es sichtlich peinlich, als er in ihren BHs wühlte.

    »Warum tun Sie das? Ich habe doch gesagt, dass ich nichts Wertvolles besitze. Wenn Sie Geld wollen, müssen Sie sich an Erik, dieses Schwein, wenden!«

    Maier ignorierte sie. Er ging an ihr vorbei und verließ das Schlafzimmer, um sich als Nächstes die Küche anzusehen.

    Amelie folgte ihm. Sie ließ ihn keine Sekunde aus den Augen. »Hören Sie jetzt auf! Erik hat das Geld, nicht ich!«

    »Amelie, lass gut sein!«, mischte sich Rike ein, die das Treiben verfolgte. »Es bringt nichts!«

    »Ich weiß!«, seufzte Amelie. »Wie konnte ich nur so dumm sein und für Eriks blöden Traum bürgen? Es war doch klar, dass seine Spinnerei, einen eigenen Laden aufzumachen, in die Hose geht!«

    »Hinterher ist man immer schlauer«, versuchte Rike Trost zu spenden.

    Amelie antwortete nicht. Sie schaute Maier auf die Finger und hoffte, der Spuk würde schnell zu Ende gehen.

    Nachdem der Gerichtsvollzieher den letzten Schrank durchgesehen hatte, drehte er sich zu ihr und sagte: »Sie scheinen wirklich keine Wertgegenstände zu besitzen.«

    »Das habe ich doch gesagt.«

    »Ja, das haben Sie. Trotzdem muss ich das kontrollieren! Sie könnten mir ja sonst was erzählen«, rechtfertigte sich Maier. »Sie haben jetzt zwei Möglichkeiten: Entweder Sie hören auf, sich gegen eine Ratenzahlung zu sträuben oder Sie geben die Eidesstattliche Versicherung ab. Die Entscheidung liegt bei Ihnen. Ich kann Ihnen nur raten, die erste Variante zu wählen.«

    »Aha. Warum soll ich Geld zurückzahlen, was ich niemals hatte? Würden Sie das tun? Erik, mein Exfreund, hat die Kohle verjubelt, nicht ich! Warum sollte ich jetzt die Fünfunddreißigtausend Euro für ihn abzahlen?«

    »Frau Sturm, das habe ich Ihnen doch schon erklärt. Sie haben für Erik Meisner gebürgt. Da Herr Meisner nicht auffindbar ist, müssen Sie den Kredit zurückzahlen.«

    »Woher soll ich das Geld denn nehmen? Was glauben Sie, was ich als Verkäuferin verdiene? Nach Abzug aller meiner Kosten bleibt mir kaum noch etwas übrig.«

    »Das mag ja sein. Wenn Sie aber keinen guten Willen zeigen und sich nicht auf die Ratenzahlung einlassen, bleibt Ihnen nur die Eidesstattliche Versicherung.«

    »Von welcher Ratenhöhe reden wir hier?«

    »Bei einer Größenordnung von fünfunddreißigtausend Euro Schulden sollten Sie mindestens zweihundert Euro im Monat zahlen, besser wäre mehr.«

    »Was? Zweihundert Euro? Woher soll ich die jeden Monat nehmen?«

    »Suchen Sie sich doch einen Nebenjob!«

    »Ich soll für Eriks Schulden arbeiten gehen? Das kann nicht Ihr Ernst sein«, antwortete Amelie schnippisch und verzog den Mund. Sie war kurz davor zu explodieren.

    »Na schön, wenn Sie nicht wollen, muss ich Ihnen die Eidesstattliche Versicherung abnehmen. Von ihrem Einkommen ist in der Tat nichts mehr zum Pfänden übrig.«

    »Überleg` es dir gut!«, mischte Rike sich ein. »Ich würde mich an deiner Stelle auf die zweihundert Euro einlassen. Wir schaffen das! Ich helfe dir!«

    »Ach ja, und wie?«

    »Ich habe eine Idee!«

    »Und was?«

    »Das sage ich dir später«, antwortete Rike und zwinkerte ihrer Kollegin zu.

    Amelie wusste nicht, was sie von den Andeutungen ihrer Freundin halten sollte. Dennoch stimmte sie zu. »Also gut. Dann mache ich eben das mit der Ratenzahlung.«

    »Das ist eine gute Entscheidung, Frau Sturm.«

    »Das wird sich zeigen«, antwortete sie und zog einen Flunsch.

    »Wie viel wollen Sie zahlen?«

    »Wollen? Nichts? Da ich zahlen muss, nehme ich die zweihundert Euro.«

    »Sie müssen nur noch hier unterschreiben!«, forderte Maier sie auf und hielt ihr ein Papier entgegen. Ihm war die Erleichterung ins Gesicht geschrieben.

    Amelie las, was auf dem Schriftstück stand und schaute Rike fragend an. Sie nickte ihr zu und Amelie unterschrieb die Ratenzahlungsvereinbarung. Maier nahm ihr die Vereinbarung ab und überreichte ihr anschließend die Durchschrift. »Hier steht drauf, wohin Sie das Geld überweisen müssen!«

    »Aha.«

    »Wir können das Geld auch von Ihrem Konto einziehen, wenn Ihnen das lieber ist?«

    »Nein, nein. Das geht so.«

    »Gut, ich verlasse mich auf Sie, Frau Sturm«, antwortete Maier und reichte ihr die Hand. »Lassen Sie nur! Ich finde schon alleine raus«, sagte er, als Amelie ihn zur Wohnungstür führen wollte. Er ging an den Frauen vorbei, den Flur entlang und verließ die Wohnung.

    Amelie hielt so lange die Luft an, bis sie die Tür ins Schloss fallen hörte. »Puh, endlich ist er weg! Zweihundert Euro ist eine Menge Geld. Jetzt erzähl mir mal, wie ich die jeden Monat auftreiben soll!«

    Rike grinste. »Durch einen Nebenjob.«

    »Na toll, die Idee hatte der Gerichtsvollzieher auch schon. Ich habe doch gesagt, dass ich nicht zusätzlich arbeiten gehen will, um Eriks Schulden abzuzahlen. Ich muss diesen Mistkerl finden, damit er die Kohle selbst zurückzahlen kann.«

    »Amelie, du sollst ja nicht nur für die Schulden arbeiten gehen. Mit dem Geld kannst du dir eine Menge leisten und musst nicht mehr in dieser Absteige wohnen!«

    »Was?«, rief Amelie und sah ihre Arbeitskollegin fragend an. Die beiden Frauen kannten sich erst seit einem halben Jahr. Amelie war nach der Trennung von Erik auf Arbeitssuche gewesen und bewarb sich in dem Supermarkt, in dem Rike schon seit fünf Jahren arbeitete. Als sie die Zusage bekam, war sie erleichtert. Sie hatte keine abgeschlossene Lehre und war froh, ihr eigenes Geld verdienen zu können.

    Zu Rike hatte sie von Anfang an ein gutes Verhältnis. Es war so, als würden sich die Frauen seit Jahren kennen. Die anderen Kollegen waren auch nett, aber keiner war Amelie so vertraut wie Rike.

    »Niemand weiß davon, aber ich arbeite auch noch nebenbei!«

    »Wirklich? Wann denn?«

    »An den Wochenenden. Was glaubst du, wie ich sonst als Alleinerziehende über die Runden komme?«

    »Und was machst du?«

    »Ich arbeite für einen Escortservice.«

    »Du machst was? Steigst du etwa mit wildfremden Männern ins Bett?«

    »Klar, wenn sie mir gefallen.«

    »Das ist nicht dein Ernst!« Amelie konnte nicht fassen, was Rike ihr da erzählte. Sie traute ihrer Freundin einiges zu, aber dass sie sich mit wildfremden Männern traf und mit einigen davon schlief, damit hätte sie nie gerechnet.

    »Warum nicht?«, fragte Rike und lächelte.

    »Nein! Du denkst jetzt nicht, dass ich mit fremden Männern durch die Betten hüpfe, oder?«, antwortete Amelie irritiert. Bei dem Gedanken wurde sie kreidebleich.

    »Was spricht dagegen? Du bist Single und kannst tun und lassen, was du willst. Dich zwingt niemand mit jemandem zu schlafen, den du nicht magst. Du gehst einfach mit den Männern aus, leistest ihnen Gesellschaft und wirst dafür bezahlt. Das ist alles. Leichter kannst du dein Geld nicht verdienen!«

    »Die erwarten doch sicher mehr für ihr Geld!«

    »Nein! Du hast nur Sex, wenn du es auch willst. Wenn nicht, dann lässt du es sein.«

    »Und nur fürs Ausgehen soll ich so gut bezahlt werden? Wo ist der Haken?«

    »Es gibt keinen. Der Verdienst ist eben spitzenmäßig.«

    »Echt? Das kann ich gar nicht glauben!«

    »Es ist aber so. Ich arbeite schon seit drei Jahren für die Agentur und bessere mir so die Haushaltskasse auf.«

    »Wenn es wirklich so toll ist, wie du sagst, warum arbeitest du dann noch im Supermarkt?«

    »Weil es einfacher ist zu sagen, man arbeitet als Verkäuferin. Oder würdest du jedem erzählen wollen, dass du als Escortlady dein Geld verdienst? Außerdem kann man den Job nicht ewig machen. Irgendwann ist man zu alt dafür. Also braucht man noch ein solides Standbein.«

    »Aha. Was machst du mit Joshua, wenn du arbeiten bist?«

    »Er ist bei meiner Mutter.«

    »Weiß sie davon?«

    »Nicht direkt. Sie denkt, ich gehe kellnern.«

    »Oh je, wenn das rauskommt …«

    »Also, was ist? Soll ich dich mit zur Agentur nehmen, oder nicht? Es ist deine Chance, dich finanziell zu verbessern.«

    »Nein, das ist nichts für mich! Ich muss mir wohl einen anderen Job suchen, um die Schulden abzahlen zu können«, seufzte Amelie.

    »Du kannst ja noch eine Nacht darüber schlafen. Wir können auch morgen nach der Arbeit zur Agentur fahren. Dann kannst du dir alles anschauen und ich stelle dir Stella, die Agenturchefin, vor. Das wird deine Entscheidung sicher erleichtern. Jetzt muss ich aber los, Joshua wartet. Denk dran, zu niemandem ein Wort! Das ist unser kleines Geheimnis«, sagte Rike grinsend. Sie stupste ihre Freundin an und verließ die Wohnung.

    Amelie blieb alleine zurück. Sie stand wie angewurzelt in ihrer Küche und war unsicher, ob dies wirklich geschah oder sie sich das Gespräch mit Rike nur eingebildet hatte.

    Freitag, 09.09.16, 16:05 Uhr

    »Okay, los geht`s«, rief Rike ihrer Kollegin zu, als beide Frauen auf dem Parkplatz standen. »Es ist offen. Du kannst ruhig einsteigen!«

    Amelie stand unsicher vor dem kleinen grünen Flitzer. Ihr war anzusehen, wie unwohl sie sich fühlte. Sie war blass und ihre Knie zitterten. Es fiel ihr schwer, sich auf den Beinen zu halten.

    »Husch, husch, einsteigen!«, forderte Rike sie ein weiteres Mal auf.

    Amelie griff widerwillig nach dem Türgriff und öffnete die Tür. Sie stieg ein und schnallte sich an.

    Rike nahm neben ihr Platz, steckte den Zündschlüssel ins Schloss und drehte das Radio auf. Bevor sie vom Supermarktparkplatz fuhr, legte sie sich den Gurt an. Gut gelaunt summte sie während der Fahrt zur Agentur bei jedem Lied mit.

    Amelie konnte sich nicht auf die viel zu laute Musik konzentrieren und war genervt. Doch sie hielt sich zurück. Ihre Angst, vor dem, was an diesem Tag kommen sollte, war zu groß. Noch immer fehlte ihr die Vorstellungskraft mit wildfremden Männern auszugehen, und erst recht mit ihnen intim zu werden. Am gestrigen Abend, nachdem Rike ihr von ihrem kleinen Geheimnis erzählt hatte, versuchte sie permanent sich vorzustellen, wie sie mit irgendwelchen Kerlen ausging. Sogar in ihren Träumen wurde sie davon verfolgt. Dort wollten die Männer aber mit ihr ins Bett und Amelie schaffte es nicht, sich die Typen vom Leib zu halten. Zum Glück wachte sie jedes Mal auf, bevor es zur Sache ging.

    Auch an diesem Tag konnte sie es nicht fassen, dass ihre hübsche Freundin Rike, die sie meinte, gut einschätzen zu können, mit fremden Kerlen ausging und mit einigen davon sogar schlief. Es erklärte aber, warum sie immer genügend Geld in der Tasche hatte und sich mehr leisten konnte. Amelie hatte sich schon oft gefragt, wie sie es machte. Am Ende kam sie zu dem Entschluss, ihre Kollegin bekäme ein besseres Gehalt, weil sie im Gegensatz zu ihr eine abgeschlossene Ausbildung hatte.

    »Wir sind gleich da«, sagte Rike, als sie in eine Seitenstraße einbog.

    Amelie schaute sich um. Die Gegend war ihr fremd. Obwohl sie schon eine Weile in der Stadt lebte, war sie noch nie hier gewesen. Die Stille in der Straße machte ihr Angst. Kein einziger Mensch war zu sehen. Nervös kaute sie an ihren Fingernägeln, so wie sie es immer tat, wenn sie vor Aufregung platzen könnte.

    »Du sollst nicht ständig an den Nägeln kauen!«, ermahnte Rike sie, so wie sie es jedes Mal tat, wenn sie ihre Kollegin beim Nägelkauen erwischte.

    Amelie zuckte zusammen und ließ von dem Nagel ab, den sie gerade in Bearbeitung hatte.

    Rike bog auf einen Hinterhof ein und brachte ihren grünen Kleinwagen zum Stillstand. »Wir sind da!«

    Amelie sah sich um. Sie konnte nicht glauben, dass in so einer Gegend eine Escortagentur ihren Sitz haben sollte. Es war ihr ungeheuer. Das Gebäude, vor dem sie parkten, strahlte nichts Seriöses aus. Amelie erinnerte alles an das Rotlichtmilieu. Ihre Panik wurde größer. Umso länger sie darüber nachdachte, desto sicherer wurde sie, vor einem Bordell zu stehen, in dem sie nicht arbeiten wollte.

    Rike schnallte sich ab und öffnete die Tür. »Los, aussteigen!«

    Amelie klammerte sich an ihrem Gurt fest und machte keine Anstalten das Fahrzeug zu verlassen. Sie bereute es, sich von Rike zu diesem Termin überreden zu lassen. Ihre Freundin hatte so eine Art an sich, Menschen so lange zu nerven, bis sie ihren Willen bekam. Normalerweise wäre Amelie ihr aus dem Weg gegangen, bis sie sich beruhigt hätte, da die beiden Frauen aber zusammenarbeiteten, ging das nicht. Amelie war ihrer Freundin samt ihrer Überredungskünste den ganzen Tag im Supermarkt ausgeliefert. Irgendwann konnte sie es nicht mehr hören und sagte zu.

    »Was ist denn los?«

    »Hier soll eine Escortagentur sein?«, fragte sie mit zittriger Stimme.

    »Ja. Ich weiß, die Gegend macht nicht gerade den besten Eindruck, aber die Agentur ist seriös. Du brauchst dir keine Sorgen zu machen!«

    Mit ernster Miene schaute Amelie ihre Freundin an. »Bist du dir sicher?«

    »Ja, jetzt komm schon!«

    Im Schneckentempo schnallte Amelie sich ab, öffnete die Tür und stieg aus.

    Nachdem Rike die Fahrertür geschlossen hatte, kam sie auf die Beifahrerseite und hakte sich bei ihrer Kollegin ein. Die beiden Frauen gingen auf das Gebäude vor ihnen zu. Es war grau, die Fassade bröckelte an einigen Stellen ab. Das Haus wirkte unbewohnt. In keiner Etage hingen Gardinen an den Fenstern und nirgendwo war Licht eingeschaltet.

    Amelie zitterte. Sie befürchtete Rike war im Begriff sie zu verschleppen. Insgeheim wusste sie, dass ihre Freundin so etwas nie tun würde. Amelies Fantasie ging nur wieder einmal mit ihr durch. In ihrem Kopf passierten oft Dinge, über die sie mit niemandem reden konnte, auch nicht mit Rike. Viel zu sehr schämte sie sich für ihre Gedanken.

    Vor ihrem geistigen Auge tauchten Bilder auf. Sie sah zwei dunkel gekleidete Männer, die auf sie warteten und sie aus Rikes Armen rissen, um sie zu entführen. Sie stülpten ihr einen alten stinkenden Jutesack über den Kopf und brachten sie weg. Amelie war das ideale Opfer. Es gab kaum jemanden, der sie vermissen würde. In ihrer Fantasie schrie sie wie am Spieß, aber niemand konnte sie hören. Sie wurde in ein Fahrzeug gebracht und verlor ihr Bewusstsein.

    Sie kehrte zurück in die Realität.

    Die beiden Frauen betraten das Gebäude. Sie standen in einem dunklen Flur. Nirgendwo war ein Schild angebracht, das auf die Escortagentur hingedeutet hätte. Rike zog ihre Freundin die Treppe hinauf in den ersten Stock. Dort blieb sie vor einer schäbig aussehenden dunkelbraunen Tür stehen und klopfte an. Das Klopfen schallte im Treppenhaus. Amelie zuckte zusammen und zitterte am ganzen Körper. Wenn Rike sie nicht festgehalten hätte, wäre sie weggelaufen.

    »Reiß dich zusammen! Es ist alles gut«, ermahnte Rike sie.

    Doch Amelie konnte nichts tun, um sich zu beruhigen.

    Hinter der Tür waren Schritte zu hören. Dann wurde sie mit einem quietschenden Geräusch geöffnet.

    Amelie lief ein eiskalter Schauer den Rücken hinunter. Vor den beiden Frauen stand eine Blondine. Ihre Locken waren zu einem Zopf zusammengebunden. »Hallo Rike! Schön, dass ihr es geschafft habt.«

    »Hallo Stella«, antwortete Rike, löste sich von ihrer Freundin, die sich nicht einen Millimeter bewegen konnte, und umarmte die Blondine.

    Als beide Frauen die Umarmung beendet hatten, drehte die Fremde sich zu Amelie. »Du musst Amelie sein. Ich bin Stella, mir gehört dieser Laden hier.«

    Amelie nickte. Sie brachte kein Wort heraus.

    »Kommt rein!«, sagte die Agenturchefin und ging voraus.

    Die beiden Freundinnen folgten ihr.

    Amelie schaute sich um. Sie war überrascht, wie es hinter der Tür aussah. Alles war perfekt renoviert und eingerichtet. Es passte nicht zu dem äußeren Eindruck des Hauses und der Gegend.

    Die Agenturchefin führte ihre beiden Besucherinnen in einen großen hellen Raum. In der Mitte standen ein riesiger Schreibtisch aus Glas und ein beigefarbener Ledersessel. Dahinter befanden sich moderne Regale. Sie waren mit Aktenordnern befüllt. Im vorderen Bereich des Zimmers befand sich eine Sitzecke. Sie bestand aus einer Couch, die in der gleichen Farbe wie der Sessel gehalten war. Davor stand ein kleiner Holztisch, der farblich mit den Regalen harmonierte.

    Stella ging auf die Couch zu und setzte sich. Rike folgte ihr und fläzte sich daneben. Amelie zögerte. Sie blieb vor dem Tisch stehen, bis Rike ihr mit auffordernden Handbewegungen zu verstehen gab, sich zu setzen. Sie nahm am äußersten Rand des Sitzmöbels Platz und war gespannt, was passieren würde.

    Rike zog ihre Freundin am Arm näher heran.

    »Also Amelie, wir sind eine Escortagentur, die Frauen an einsame Männer vermittelt, um sie zu unterschiedlichen Anlässen zu begleiten. Aber das hat Rike dir sicher schon erzählt?«

    Amelie nickte.

    »Alle Frauen werden in der Kartei aufgenommen und die Kunden suchen sich ihre Begleitung aus. Wie viel du verdienst, hängt von der Länge der Betreuung

    Gefällt Ihnen die Vorschau?
    Seite 1 von 1