Wahlanalyse 2017: Strategie. Kampagne. Bedeutung.
Von Jan Böttger, Ralf Güldenzopf und Mario Voigt
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Über dieses E-Book
Historisch schlechte Ergebnisse der Volksparteien, der Einzug der AfD, der Wiedereinzug der FDP, der erste richtige Digital-Wahlkampf in den sozialen Medien, ein datengestützter Tür-zu-Tür-Wahlkampf, die Debatte über Social Bots und Manipulationen, ein TV-Wahlkampf mit ungeahnten Dynamiken im Wahlendspurt, massives Negative Campaigning und Fragen zur Verantwortung der Medien beim Agenda Setting, all das sind nur einige der Stichworte zum diesjährigen Bundestagswahlkampf.
Gemeinsam mit Experten aus Wissenschaft, Politik und Praxis wollen wir den Bundestagswahlkampf 2017 betrachten und erste Diskussionsbeiträge liefern. Dafür nehmen wir die unterschiedlichen Dimensionen der Kampagnen in den Fokus, werfen Fragen auf, geben aber auch erste Antworten. Die Mischung unterschiedlicher Fachrichtungen und Erfahrungen erlaubt einen möglichst breiten Zugang.
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Rezensionen für Wahlanalyse 2017
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Buchvorschau
Wahlanalyse 2017 - Jan Böttger
Wahlanalyse 2017
Vorwort
Das Ding heißt Wahlkampf
Neugierde statt Stabilität – die Lehre aus der Bundestagswahl 2017
57% – Wie Deutschland nach rechts rückte, seine Bürger aber nicht. Ein kritischer Rückblick. Und fantastischer Ausblick.
Nach 27 Jahren deutscher Einheit: vereint und doch gespalten
Vorerst geschlossenes Zeitfenster für Rot-Rot-Grün
„Wer, wie was – wieso, weshalb, warum… – von der „Ausschließeritis
zu „(Almost) Anything Goes" im deutschen Parteiensystem
Der Wahlkampf der CDU/CSU zur Bundestagswahl 2017 – Eine kurze Strategieanalyse
Probleme sind dornige Chancen: Wie sich die FDP mit Christian Lindner zurück in den Bundestag gekämpft hat
Woran lag es? Rückschau auf die Bundestagswahl und Vorschau auf die AfD im Bundestag
Wie lassen sich die Wahlerfolge der AfD erklären? Eine doppelte Erklärung aus der Perspektive der politischen Kommunikationsforschung
Agenda Setting im Wahlkampf 2017: Drei Beobachtungen
Das TV-Duell
Die Plakatkampagnen zur Bundestagswahl: Zwischen politischer Unschärfe und populistischem Protest
Negative Campaigning in Deutschland
Der Einfluss von Social Media auf das Wahlverhalten von Erstwählern
Klick-Populismus: AfD und Die Linke gewinnen Facebook-Wahlkampf
Social Bots – die unberechenbare Armee im Wahlkampf
Wenn die Politik an der Haustür klingelt - Theorie und Praxis in der Wählerkommunikation Tür-zu-Tür
Der datengestützte Tür-zu-Tür-Wahlkampf bei der Bundestagswahl 2017. Mit Daten, Technologien und Wahlkampfhelfern im direkten Wählerkontakt.
Die Zukunft des datengestützten Haustürwahlkampfs entscheidet sich jetzt
„Ein Menschheitstraum wird wahr" – die vollmundigen Versprechen von Big Data
Die Antwort auf Populisten ist nicht das, was sie erwarten. Oder: warum nicht Parteien, sondern die Demokratie an sich sexy sein sollte
Die Kampagne ist nicht vorbei
Die Jamaika-Koalition als Ausweg aus einer Gesprächsstörung
Autoren
Vorwort
Merkels Versuch einer asymmetrischen Demobilisierung sei ein Anschlag auf die Demokratie. Mit diesem Vorwurf eröffnete SPD-Kandidat Schulz die heiße Wahlkampfphase. Der Wahlkampf sei langweilig, urteilten viele Medien. Nun, wenige Wochen nach dem Wahltag kann man sagen: Die Bundestagswahl 2017 war alles andere als langweilig. Sie war sowohl im Wahlkampf als auch im Ergebnis geprägt von Innovation und Neuerungen sowie Überraschungen und Verschiebungen. Die gute wirtschaftliche Lage gab Raum für andere Debatten, insbesondere rund um Sicherheit und Flüchtlinge. Der Klassiker „Arbeitslosigkeit" spielte keine Rolle, was neue, aber vielleicht auch alte – bisher verdrängte – Konfliktlinien in der Gesellschaft deutlich machte. Die so oft thematisierte Spaltung der Gesellschaft war vordergründig keine wirtschaftliche, sondern eine kulturelle. Dadurch entfaltete sich ein kontroverser und im Ton harscher Wahlkampf. Nicht zuletzt war die gestiegene Wahlbeteiligung ein Ergebnis davon.
Auf der Ebene der Kampagnen-Instrumente gab es zentrale Weiterentwicklungen. Die systematische Integration neuer Technologie in die Organisation und Kommunikation haben dazu geführt, dass wahrscheinlich mehr persönlicher Kontakt mit dem Wähler entstand als je zuvor. Der datengestützte Tür-zu-Tür-Wahlkampf war sicherlich eine der interessantesten Neuentwicklungen. Aber auch das mittlerweile standardmäßige TV-Duell der Spitzenkandidaten gepaart mit neuen Townhall-Formaten, dem Fünfkampf der „kleinen Parteien bis hin zum demonstrativen Verlassen Weidels’ einer TV-Debatte, hat dem TV-Wahlkampf eine besondere Rolle für den Wahlkampfendspurt verliehen. Und klar: Auch die Kampagnen über facebook und Co. sorgten dafür, dass der Wahlkampf deutlich anders war, als der zuvor. Wir haben den ersten richtigen Digital-Wahlkampf erlebt. Die Digitalbudgets sind deutlich gestiegen, die Parteien haben sich wahrnehmbar professionalisiert, die Ansätze und Instrumente waren so vielfältig wie noch nie. Aber auch Debatten um „Manipulation
und Social Bots haben dem Social-Media-Wahlkampf eine neue Dimension gegeben. Auch die Rolle der Medien, angefangen bei der thematischen Schwerpunktsetzung des TV-Duells bis hin zum Agenda-Setting der letzten Wahlkampfwochen, wird deutlicher als je zuvor hinterfragt.
Die historisch schlechten Ergebnisse der CDU, CSU und SPD sind flankiert durch den Einzug der AfD und Wiedereinzug der FDP in den Deutschen Bundestag. In dem neuen „Bundestag XXL" mit über 700 Abgeordneten und sieben Parteien ist das Schmieden einer stabilen Regierungskoalition nicht nur aufgrund der Mehrheitsverhältnisse schwierig, sondern vor allem wegen der Entscheidung der SPD, sich nicht an einer Regierung zu beteiligen. Neue Optionen haben sich aufgetan, leichter wird es dadurch aber nicht – im Gegenteil. Diese Situation wird die deutsche Parteienlandschaft für die kommenden Jahrzehnte prägen. Auch das ist ein Resultat dieser Bundestagswahl.
Gemeinsam mit Experten aus Wissenschaft, Politik und Praxis wollen wir den Bundestagswahlkampf 2017 betrachten und erste Diskussionsbeiträge liefern. Dafür nehmen wir die unterschiedlichen Dimensionen der Kampagnen in den Fokus, werfen Fragen auf, geben aber auch erste Antworten. Die Mischung unterschiedlicher Fachrichtungen und Erfahrungen erlaubt einen möglichst breiten Zugang.
Sicher: Die Parteien müssen diesen Wahlkampf für sich aufarbeiten. Das Gleiche gilt jedoch auch für die Wissenschaft und Gesellschaft, denn es war alles andere als trivial oder langweilig. Diese Bundestagswahl wird noch lange nachwirken.
Jan Böttger, Ralf Güldenzopf, Mario Voigt
Das Ding heißt Wahlkampf
Peter Radunski, Senator a.D.
So kann‘s kommen. Ein langweiliger Wahlkampf trotz gelegentlicher Veranstaltungsstörungen – das war die allgemeine Meinung. Aus dem normalen Wahlkampf erwuchs ein ungewöhnliches Ergebnis. Hohe Verluste der Regierungsparteien Union und SPD, hohe Gewinne für FDP und AfD. Die CDU-Strategie war zu kurz gedacht: Es fehlte eine Schlussphasenstrategie. In den letzten beiden Wochen fehlten Inhalte und Themen bei der Union. Aus 37/38 Prozent in Umfragen wurden 33 Prozent, die stärkste Partei mit einem Knacks.
Dabei war Merkels Wahlkampf so gut angelaufen. Guter Auftritt im TV-Duell, relativ gute Figur in den TV-Publikumsbefragungen. Viele gute Bilder von Auftritten in allen gesellschaftlichen Bereichen. Dieser PR-Teil lief hervorragend – solche Bilder hat es bei Helmut Kohl sehr selten gegeben. Alles sah nach einem Merkel-Triumph aus, jetzt muss ein schwaches Ergebnis analysiert werden.
Die Plakatkampagne, der aufwendigste und erkennbarste Teil deutscher Wahlkampagnen, ist der Union und der SPD nur bedingt gelungen. Sie waren kaum zu unterscheiden. Entweder konnte die CDU-Agentur nicht wie sie wollte. Oder sie ist in die politische Kommunikation nicht wirklich eingestiegen. Sauberes Handwerk, aber keine Funken. FDP, Linke und AfD klebten interessantere Plakate. Das Schlussplakat der CDU mit einem überzeugenden Merkel-Bild zeigt, wie sicher man offensichtlich seines Sieges war. Neben dem Bild nur eine kurze Zeile „Erfolgreich für Deutschland". Das sollte der Wähler wohl nur noch ratifizieren. Lindners Model-Kampagne, die verspielten Links-Thesen und die fast leichten AfD-Plakate machten einen weit stärkeren Eindruck.
Die Leichtigkeit im Auftritt der Union in 2009 und 2013 hat offensichtlich 2017 nicht mehr gezogen. Auf Attacken wurde wiederum verzichtet, während alle anderen Parteien kämpferisch aggressiv agierten. Das war wohl der letzte Wahlkampf der Union ohne Angriff.
Attack Strategies und Negative Campaigning gehören zur Wähleransprache, zumal die Wähler „für etwas oder „gegen etwas
motiviert werden können. Die asymmetrische Demobilisierung ist als Gedanke nun Wahlkampfgeschichte.
Auch personell wird es wohl nicht mehr die einmalige Dominanz einer Kanzlerin wie Angela Merkel im Wahlkampf geben. Politikerinnen und Politiker müssen durchaus für bestimmte Themen oder Regionen (Ministerpräsidenten!) eine wichtige Nebenrolle spielen.
Im Netz war was los. Es war wohl der erste wirkliche Social Media-Wahlkampf in Deutschland. Von Linkfluence Media wurden vom 1. Juni bis 20. September 64.500 Beiträge im Netz mit potentieller Reichweite von 33,7 Millionen Kontakten analysiert. Hier lohnt sich für alle künftigen Wahlkämpfer die genaue Analyse. Das begehbare Programm und #fedidwgugl werden sicher noch Trends in kommenden Wahlkämpfen setzen.
Die CDU hat auf Merkel gesetzt, die persönlich einen überragenden Wahlkampf geführt hat und praktisch auch das Programm der CDU war. Aber der Eindruckt täuscht wohl nicht, dass Viele in der Partei mehr zusahen, wie die Kanzlerin wahlkämpfte, als dass sie die Kanzlerin kräftig unterstützt haben. Überhaupt muss die Partei wieder ein wichtiges Wahlkampfinstrument der CDU werden. Der erste Schritt der Mobilisierung von Tür zu Tür in Verbindung mit der App von connect17 scheint erfolgreich gewesen zu sein.
Die Mobilisierung der Partei insgesamt muss in der Strategie der Partei eine wesentliche Rolle spielen. Die Partei muss dann in der Wählerschaft spürbar bemerkt werden. Dann entgeht der Union auch kein Wählertrend, denn eine Partei die am Wähler ist, weiß auch besser, wie die Meinungen laufen. Das ist eine wesentliche Ergänzung zu Umfragen.
Neugierde statt Stabilität – die Lehre aus der Bundestagswahl 2017
Prof. Dr. Udo Zolleis
An der Oberfläche ist alles stabil
Angela Merkel ist weiterhin der Stabilitätsanker Europas: Auch nach der Bundestagswahl 2017 bleibt das bundesrepublikanische Parteiensystem im europäischen Vergleich ein Unikat. Trotz aller Wahlverluste von CDU, CSU und SPD gilt das Parteiensystem als vergleichsweise stabil und die Bevölkerung ist in überwiegenden Teilen positiv gegenüber der Zukunft wie auch den politischen Institutionen eingestellt. Ebenfalls wirtschaftlich ist dieses Land von keinen Erschütterungen bedroht: weder Arbeitslosigkeit noch sinkender Wohlstand waren im Wahlkampf große Themen. Selbst die Wähler der AfD waren zu 73 Prozent mit ihrer eigenen wirtschaftlichen Lage zufrieden. Die Regierungschefin wurde so auch von keinem Wählerfrust weggespült, sondern muss sich lediglich ein wenig gerupft neue Koalitionspartner suchen, da der bisherige die Lust am Regieren verloren hat. Auch gibt es im Gegensatz zu den meisten europäischen Parteiensystemen in Deutschland keine Partei, die die EU vollkommen abschaffen will. Das fordert (bis jetzt) nicht einmal die sich zunehmend radikalisierende AfD. Der bundesrepublikanische Grundkonsens ist durch die Wahl (zunächst) nicht erschüttert worden. Von außen sieht alles nach „business as usual aus. So ließen Kommissionsmitarbeiter via Twitter ihre Freude auf ein mögliches Jamaika-Bündnis freien Lauf und europäische Parteifreunde schauten etwas verdutzt auf die hängenden Köpfe aus Deutschland, als sie am Montag nach der Wahl nach Brüssel zurückkehrten. Die deutschen Politiker spürten: 2017 war keine „Weiter-so
Wahl. Das Beunruhigende an diesem Wahlergebnis war weniger eine mögliche schleppende Regierungsbildung. Am Beunruhigstem war, dass auch in Deutschland die Bindefähigkeit gerade von Volksparteien abnahm. Trotz einer enorm guten Wirtschafts- und Finanzbilanz verloren alle Volksparteien zusammen mehr als 3, 5 Mio. Wähler an andere Parteien. Alle drei Volksparteien rutschten auf ihr schlechtestes Ergebnis seit 1949 überhaupt ab. Ein Ergebnis, das nur bedingt mit der großen Koalition erklärt werden kann; zulange existiert jetzt schon der Trend, der sich 2017 lediglich nochmals verschärfte. Dabei verkörpern die drei Volksparteien den bundesrepublikanischen Grundkonsens. Die Volksparteien sind bis heute das beste Mittel, damit der in vielen europäischen Ländern bereits vorhandene Konflikt zwischen Kosmopoliten und „Natives" nicht prägend für unser Parteiensystem wird, mit all den negativen Auswirkungen auf die politische Kultur und Richtungsentscheidungen. In ihren guten Zeiten haben sie stets Innovation und Stabilität garantiert.
Ohne Volksparteien wäre Deutschland ein anderes Land
Bei der Bundestagwahl 2017 erreichten Christ- und Sozialdemokraten zusammen nur noch 53,2% Stimmen und nähern sich damit an ihre schwächelnden europäischen Schwesterparteien an. Gerade das Ergebnis der Sozialdemokraten ist erschreckend: Die SPD ist nicht nur mit ihren knapp 20 Prozent aufgrund der Wählerarithmetik her kaum noch eine Volkspartei. Auch in den Tagen nach der Wahl rüttelten die führenden Sozialdemokraten ganz grundsätzlich an der Volksparteiidee, indem sie nicht nur Regierungsverantwortung rundweg ablehnten, sondern auch einer zunehmenden Polarisierung das Wort redeten. Aber sind wirklich Flucht vor der Verantwortung und eine programmatische Polarisierung Kernelemente von Volksparteien? Der umfassende Volksparteitypus bildet doch gerade einen Gegenkonzept gegen ideologische Massenparteien und egoistischen Honoratiorenparteien. Er orientiert sich nicht an den Rändern, sondern stärkt die Klammern innerhalb der politischen Spektren.
Den nun von Schulz, Nahles & Co propagierten Linkstrend, den bereits die französischen Sozialisten unter Holland das Wort redeten, ist im Grunde eine programmatische Bankrotterklärung der heutigen Sozialdemokratie. Polarisierte Antworten können kurzfristig erfolgreich sein, untergraben aber langfristig die politische Glaubwürdigkeit und das sozialdemokratische Alleinstellungsmerkmal gegenüber den Linkspopulisten. Schulz Wahlkampf war nicht zu „mittig", sondern zu