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Mythos direkte Demokratie: Praxis und Potentiale in Zeiten des Populismus
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Mythos direkte Demokratie: Praxis und Potentiale in Zeiten des Populismus
eBook239 Seiten2 Stunden

Mythos direkte Demokratie: Praxis und Potentiale in Zeiten des Populismus

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Über dieses E-Book

Die Debatte um direkte Demokratie in Deutschland wird von einem Mythos beherrscht. Besonders Rechtspopulisten und Bürgerproteste propagieren das Bild einer elitenfreien, sachlichen und demokratischeren Politik durch Volksrechte. Tatsächlich aber ist direkte Demokratie eng mit Interessengruppen und Parteien verbunden und auch die Schweiz taugt nicht als Vorbild. Das Buch zeigt wie direkte Demokratie jenseits des Mythos funktioniert. Passgenau konstruierte Referenden könnten Reformfreudigkeit, Transparenz, Verantwortlichkeit, Politisierung und Legitimation der repräsentativen Politik erhöhen – wenn direkte Demokratie, dann richtig.
SpracheDeutsch
Erscheinungsdatum12. Juni 2017
ISBN9783847411628
Mythos direkte Demokratie: Praxis und Potentiale in Zeiten des Populismus

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    Buchvorschau

    Mythos direkte Demokratie - Eike Christian Hornig

    [8][9] Einführung

    Wir durchleben eine Zeit großer politischer, wirtschaftlicher und kultureller Unsicherheiten. Die überall bekannten Stichwörter dazu sind Europakrise, Flüchtlingsströme und Bankenrettung. Nach der Aufnahme von mehr als einer Million geflüchteten Menschen im Herbst 2015 sind weite Teile der Bevölkerung in einer Art emotionalem Ausnahmezustand – entweder positiv oder negativ. Bundeskanzlerin Angela Merkel wird insbesondere für ihre Flüchtlingspolitik nicht nur aus Teilen der Öffentlichkeit, sondern sogar von der eigenen Schwesterpartei CSU scharf angegangen. Seitdem hat die CDU versucht, durch verschiedene Restriktionsmaßnahmen ihren Ruf als Partei von Rechtsstaatlichkeit und innerer Sicherheit wiederherzustellen.

    Die Menschen in Deutschland reagieren auf die wachsenden Herausforderungen durch die Internationalisierung von ökonomischen, kulturellen und politischen Bewegungen mit einer zunehmenden politischen Unsicherheit und auch Unzufriedenheit mit der politischen Führung. Schon lange können die etablierten politischen Parteien nicht mehr die Orientierungsfunktion für die Bürgerinnen und Bürger ausüben, wie es früher einmal gewesen ist. Viele Menschen haben sich von den etablierten Parteien abgewandt. Verbunden ist dieser Prozess mit Schlagwörtern wie Politik- und Parteienverdrossenheit oder Entfremdung (auf Englisch auch häufig als „dealignment" bezeichnet).

    Unsichere Zeiten sind zugleich goldene Zeiten für Populistinnen und Populisten. Dies ist weltweit zu beobachten. Die Wahl von Donald Trump zum Präsidenten der USA im November 2016 markiert den bisherigen Höhepunkt dieser Entwicklung. Aber auch die Entscheidung der Briten zum BREXIT im Juni 2016 ist wesentlich durch die Rechtspopulisten der United Kingdom Independence Party (UKIP) angetrieben worden. In dem gleichen Fahrwasser sehen sich auch Populistinnen und Populisten in anderen Teilen West- und Osteuropas im Aufwind. Bei uns ist seit einigen Jahren besonders die Alternative für Deutschland (AfD) auf dem Vormarsch. Anfänglich als Anti-Euro-Partei gestartet, ist die Partei längst am rechten Rand angekommen. Ihre Parolen bestehen häufig aus der Ausgrenzung und Diskriminierung von Zugewanderten oder Religionsgruppen, der Verklärung und Verdrehung der nationalsozialistischen Vergangenheit in Deutschland (insbesondere[10] durch Björn Höcke) sowie einer ausgeprägten Islamophobie. Auch Straßenbewegungen wie PEGIDA und ihre verschiedenen Ableger haben in jüngster Zeit einen großen politischen Druck aufgebaut, auch wenn der Rummel um PEGIDA selbst wieder abgeflaut ist.

    Zentraler Teil der populistischen Rhetorik ist neben der Ausgrenzung von Minderheiten auch die Diffamierung der politischen Elite, egal ob in Frankreich oder bei uns. So ist z.B. Bundeskanzlerin Angela Merkel besonders auf der PEGIDA-Veranstaltung die Zielscheibe zahlreicher, größtenteils verletzender Kritik. Aber auch Bundesjustizminister Heiko Maas wird wegen seiner klaren Positionierung gegen PEGIDA und gegen rechte Parolen angegangen. Zu hören ist in diesem Zusammenhang häufig der Begriff Volksverräter. Das Wort wurde nicht ohne Grund zum Unwort des Jahres 2016 erklärt. Die etablierten Parteien, so der häufig von Populistinnen und Populisten zu hörende Vorwurf, ignorierten die Wünsche des Volkes und würden nur an eigene (ökonomische) Interessen denken. Gerade in der Flüchtlingsfrage würde demnach der Wille des Volkes ignoriert und die Selbstaufgabe der deutschen Nation, Identität usw. betrieben. Die Leipziger CDU-Bundestagsabgeordnete Bettina Kudla twitterte sogar, dass das deutsche Volk ausgetauscht werden solle (ZEIT ONLINE 2016). Allein die vermeintlich volksfeindliche Flüchtlingspolitik wird innerhalb und außerhalb der AfD als Beweis dafür gewertet, dass es sich in Deutschland schon lange nicht mehr um eine richtige Demokratie handeln würde.

    An dieser Stelle kommt die direkte Demokratie ins Spiel. Die Bundestagswahl 2017 wird eine Richtungsentscheidung über die zukünftige Gestalt des politischen Systems in Deutschland werden. Bleibt es bei der jetzigen repräsentativen Demokratie oder kommt es zur Einführung von weitreichender direkter Demokratie auf Bundesebene? Bekommen wir in Deutschland auch Schweizer Verhältnisse? Lange schon wird hierüber in der Öffentlichkeit und in der Wissenschaft diskutiert, doch der Druck zugunsten von mehr direkter Demokratie war noch nie so groß wie zurzeit und dieser Druck wird bis zur Bundestagswahl 2017 noch zunehmen. Die direkte Demokratie wird von Rechtspopulistinnen und Rechtspopulisten als Gegenmittel gegen die volksfeindliche und selbstsüchtige Politik der Eliten gepriesen. Mit ihr könne sich demnach das Volk (endlich) wieder selbst regieren. Diese Töne haben über die AfD inzwischen auch den Weg in die deutschen Landesparlamente gefunden. Gerade die AfD hat sich dabei das Thema direkte Demokratie[11] ganz groß auf ihre Fahnen geschrieben. Tatsächlich ist die allererste Forderung im Grundsatzprogramm der AfD die Einführung der direkten Demokratie in Deutschland nach dem Vorbild der Schweiz. Dies sei „nicht verhandelbarer Inhalt jeglicher Koalitionsvereinbarungen" (Alternative für Deutschland 2016: 9). Sollte es jemals zu einer Koalition im Bund unter der Beteiligung der AfD kommen und sollte die Partei dann noch zu ihrem Programm stehen, könnte ein grundlegender Wandel der Politik in Deutschland folgen. Besonders in Kombination mit der Flüchtlingsfrage soll die direkte Demokratie also scheinbar zu einem kräftigen Zugpferd für die AfD bei den kommenden Wahlen, insbesondere bei der Bundestagswahl 2017, werden.

    Die Strategie, sich Volksabstimmungen vor den politischen Karren zu spannen kommt nicht von ungefähr. Vor dem Hintergrund der politischen Unsicherheit und Unzufriedenheit bedeutender Teile der Bevölkerung mit der Regierung findet die Forderung nach mehr direkter Demokratie immer mehr Zuspruch, auch ganz unabhängig und schon bevor die AfD auf die politische Bühne trat. Hebt die AfD allerdings die Forderung nach mehr und weitreichender direkter Demokratie im Bundestagswahlkampf auf ihr Schild, kann ihr dies zusätzliche Prozente verschaffen – ganz im Sinne des Eingangszitates von Heiner Geißler: „Die politische Partei wird in Zukunft mehrheitsfähig sein, die Bürgerbeteiligung als demokratisches Zukunftsmodell vorschlägt" (Geißler 2014).

    Angesichts eines wachsenden Protestpotentials in Deutschland, das durch das Flüchtlingsthema noch verstärkt wird, hat die AfD damit eventuell einen Hebel gefunden, um die etablierte Politik unter erheblichen Druck zu setzen. Denn diese wird sich dem „Demokratie-Hammer" nur sehr schwer erwehren können. Ist mehr Demokratie falsch, nur weil sie von den falschen Leuten gefordert wird? Denn grundsätzlich ist nichts dagegen einzuwenden, wenn die Frage nach einer Ausweitung der sogenannten Volksrechte auch Gegenstand einer politischen Auseinandersetzung wird, ja sogar eines Bundestagswahlkampfes. Schließlich ist es eine relevante Grundfrage, die diskutiert und entschieden werden sollte. Es ist aber schon mehr als klar erkennbar, dass in dieser Auseinandersetzung nur noch ein Zerrbild der direkten Demokratie übrig bleiben wird und die Populistinnen und Populisten von AfD, PEGIDA oder LEGIDA haben daran einen großen Anteil.

    [12] Szenenwechsel. In den vergangenen Jahren kam es in Deutschland an ganz anderer Stelle, aber nicht minder intensiv, ebenfalls zu großen Aufwallungen der Volksseele. Überall im Land schossen sogenannte Bürgerproteste aus dem Boden. Sie richteten und richten sich meistens gegen lokale Infrastrukturprojekte. Der für Deutschland berühmteste Fall ist der Konflikt um das Bahnhofsprojekt Stuttgart S21, das monatelang die Medien und die Gemüter dominierte. Davor und danach gab und gibt es aber noch hunderte weitere Konflikte landauf, landab um Flughäfen, Stromtrassen, Windkraftanlagen oder Bahntrassen. Getragen werden die Proteste oftmals von lokalen Bürgerinitiativen. Auch sie fahren im Fahrwasser der allgemeinen politischen Unsicherheit und hauen zum Teil in dieselbe Kerbe wie die Rechtspopulistinnen und Rechtspopulisten, was zunächst etwas gewöhnungsbedürftig klingt. Der Punkt ist folgender: Unter der Oberfläche eines scheinbar harmlosen Bürgerprotestes vermischt sich ausgeprägte Elitenkritik allzu häufig mit einem anti-pluralistischen Bild von repräsentativer Politik. Oftmals wird bei den Bürgerprotesten ein ausgeprägter „Kult des Experten" gepflegt. Politische Entscheidungen sollen demnach auf der Grundlage von sachlichen Erwägungen getroffen und nicht von Partikularinteressen geleitet werden. In diesem Gegensatz besetzen die Bürgerproteste die Seite der sachlichen Politik für sich, während die (etablierten) Politikerinnen und Politiker und Parteien doch nur Spezialinteressen dienen würden – vor allen Dingen aus der Wirtschaft. Der Punkt ist, dass angeblich allein die Sachlichkeit von Politik zum wirklichen Gemeinwohl führen kann und politische Parteien diesem Gemeinwohl demnach im Wege stehen.

    Beide Entwicklungen – Rechtspopulistinnen und Rechtspopulisten und Bürgerproteste – werden zunehmend zu einem Problem für die Diskussion über die direkte Demokratie in Deutschland, auch wenn sie scheinbar ganz unterschiedliche Ziele, Ansprüche und Akteure kennzeichnen. Beide Entwicklungen üben einen starken Druck auf die Debatte über direkte Demokratie aus, der allerdings in die falsche Richtung führt. Direkte Demokratie wird überbewertet und geradezu als elitenfrei, sachlich und demokratischer idealisiert, die repräsentative Politik zugleich verachtet. Mit diesem gemeinsamen Zerrbild tragen beide Bewegungen, trotz aller Unterschiede, zur Mythologisierung von direkter Demokratie bei.

    [13] Das griechische Wort Mythos beschreibt ein vielschichtiges soziales Phänomen, das in unserer Alltagssprache eher unreflektiert bleibt, aber dennoch häufig Gebrauch findet. Die Lexikon-Definition übersetzt den Begriff mit Wort, Rede und Erzählung (Zeit-Verlag Bucerius 2005: 191). Dabei weist der Begriff Mythos verschiedene Dimensionen und einen langen historischen Entstehungshorizont auf. Grundlegend ist die philosophische Natur des Mythos als antike „Erzählung (Sage) über Götter, Heroen und Ereignisse aus vorgeschichtlichen Zeiten und die sich darin ausdrückende Weltdeutung (Zeit-Verlag Bucerius 2005: 191). Hieraus gehen verschiedene Bindestrich-Mythen hervor, die sich z.B. auf die Entstehung der Götter (theogonischer Mythos), den Wechsel der Jahreszeiten (kosmologischer Mythos) oder aber die Entstehung des Menschen (anthropogonischer Mythos) beziehen. Vereinfacht könnte man sagen, dass aus Mangel an tatsächlichem Wissen über die Entstehungszusammenhänge von Mensch und Natur Mythen als Ersatzerklärungen entstanden sind. Demnach ist ein Mythos „das Resultat einer sich auch noch in der Gegenwart vollziehenden Verklärung von Personen, Gegenständen (z.B. Kunstwerken), Ereignissen und Ideen (Zeit-Verlag Bucerius 2005: 192). Mythen spielen in der Soziologie, der Ethnologie, der Anthropologie und der Religionswissenschaft eine Rolle.

    Auch im politischen Kontext geht es um Mythen. Im Lexikon der Politikwissenschaft definiert Herfried Münkler einen politischen Mythos als eine prinzipiell vage Großerzählung, die das Potential hat, politische Konstellationen zu beeinflussen bzw. zu steuern (Münkler 2004: 774). Politische Mythen können also durchaus eine Wirkung entfalten. Zwar kann sich ein politischer Mythos auch teilweise mit Ideologien überschneiden, doch kennzeichnet gerade den politischen Mythos der Verzicht auf umfassende Weltdeutungen und das Ungefähre. Sehr verbreitet sind historisch geprägte politische Mythen, etwa über Bismarck, Kaiser Barbarossa oder das Wirtschaftswunder als Gründungsmythos der Bundesrepublik Deutschland. Daneben gibt es zukunftsgewandte politische Mythen, die sich etwa auf die Revolution oder den gesellschaftlichen Fortschritt beziehen. Prägend für den politischen Mythos ist weder die historische Wahrheit noch die reale Vorhersagekraft. Münkler beschreibt politische Mythen als ein Wahrnehmungsfilter, „der Störendes verdeckt, überlagert oder marginalisiert" (Münkler 2004: 775). Anders ausgedrückt sind politische Mythen[14] mehr Dichtung als Wahrheit, in denen Fakten rundgebogen oder sogar ignoriert werden. Verschiedene politische Mythen können parallel und dauerhaft nebeneinander bestehen, wobei nicht alle auch immer klar als Mythen identifiziert werden. Eine Entmythologisierung kann durch Aufklärung und Vernunft erfolgen, bei einem politischen Mythos vor allen Dingen durch politische Bildung. Dies wird allerdings erschwert, wenn es einen expliziten Gegenmythos gibt, aus dem der Mythos einen Großteil seiner Legitimation und Energie zieht. Ein politischer Mythos gewinnt umso mehr an Orientierungsfunktion und Loyalitätsdruck, je stärker er die Negation eines Gegenmythos ist. Als Beispiel nennt Münkler die deutsch-französische Erbfeindschaft. Nur in sehr kleinen Schritten und mit massiven Anstrengungen kam es in den 1960ern zur deutsch-französischen Aussöhnung (Münkler 2004: 775).

    Die Debatte um direkte Demokratie in Deutschland wird von einem solchen politischen Mythos beherrscht. Dieser Mythos direkte Demokratie ist weniger ein Stück Erinnerungskultur als eine kontinuierlich bestehende Mär, ein verbreiteter Irrtum, eine unhinterfragte Verklärung davon, wie Volksabstimmungen funktionieren können oder müssen. Ähnlich wie in der Definition von Münkler vereinen sich in der deutschen Diskussion um direkte Demokratie zudem Mythos und Gegenmythos zu einer Symbiose. Im Kern des Mythos direkte Demokratie steht die Überhöhung der Volksrechte als elitenfrei und sachlich und damit demokratischer als die Politik von Parteien, Parlamenten und den gesellschaftlichen Eliten. Die repräsentative Politik wird als interessengeleitet, korrupt und undemokratisch dargestellt. Der Mythos direkte Demokratie hat einen unverkennbar konfrontativen Charakter, der aus seinem Gegenmythos mindestens genauso viel Kraft zieht, wie aus den eigenen demokratietheoretischen Quellen. Erst im Zusammenspiel beider Seiten ist das Gesamtphänomen zu verstehen.

    Die Mythologisierung der direkten Demokratie wird in jüngster Zeit durch die erstarkenden Rechtspopulistinnen und Rechtspopulisten sowie die verbreiteten Bürgerproteste massiv verstärkt. Die Rechtspopulistinnen und Rechtspopulisten beklagen die Entmachtung des deutschen Volkes durch die korrupten Eliten. Angesichts der verfehlten Eliten-Politik in Punkte Euro oder Flüchtlinge soll das Volk „endlich" wieder das Sagen haben; die Politikerinnen und Politiker hätten ja bewiesen, dass sie es nicht könnten. Herangezogen wird als Argument immer die direkte Demokratie in der Schweiz. Dort würde sich das Volk[15] erfolgreich selbst regieren. Warum lässt sich dies nicht auch bei uns in Deutschland einführen? Die wahre Demokratie herrsche nur dort, wo Volkes Wille auch Rechnung getragen werde – so ist zumindest häufig zu hören. Bei den sogenannten Bürgerprotesten wird dagegen der Interessenklientelismus in der repräsentativen Politik gegeißelt und stattdessen eine sachliche Politik gefordert. Politikerinnen und Politiker sollten endlich aufhören zu reden und anfangen zu handeln. Dabei finden sich gerade bei den sogenannten Bürgerprotesten häufig die formal Hochgebildeten. Diese Politikprofis möchten so viel wie möglich politisch selbst, das heißt ohne politische Parteien und Politikerinnen und Politiker und damit vermeintlich sachlich, entscheiden. Direkte Demokratie als ein extra Handlungsraum würde ihnen hierfür die institutionelle Möglichkeit bieten – deswegen ist direkte Demokratie gerade bei diesen Gruppen sehr beliebt.

    In der Mythologisierung der direkten Demokratie ist das Muster klar: Direkte Demokratie vereint die guten Eigenschaften der Demokratie und der Menschen, die repräsentative Politik die schlechten. Auf die Schmähung repräsentativer Politik folgt die übertriebene Wertschätzung direkter Demokratie. Die Politik- oder Parteienverdrossenheit wird so nicht bekämpft. Der Mythos direkte Demokratie führt vielmehr zu einer massiven Verzerrung der Wahrnehmung demokratischer Politik in der Öffentlichkeit. In der Realität kann die direkte Demokratie die Wundervorstellungen niemals erfüllen und sollte es zum Teil auch nicht. Durch die Mythologisierung drohen wir ein wahres Verständnis von direkter und repräsentativer Demokratie zu verlieren. Zu eng, vorgezeichnet und vergiftet werden die Bahnen auf denen sich die Debatte über mehr Volksrechte bewegt. Wie der Mythos direkte Demokratie zu einer Einengung der Diskussion führt, zeigt nicht zuletzt die deutsche Fixierung auf die sogenannte Volksgesetzgebung.

    Bei der häufig gebrauchten Bezeichnung Volksgesetzgebung, die allerdings irreführend ist, handelt es sich typologisch um eine Gesetzesinitiative – einen der drei Haupttypen der direkten Demokratie. Die anderen beiden sind das Referendum und das obligatorische Referendum. Unter Initiativen versteht man alle Verfahren mit offener Auslösung und Urheberschaft. Sie stehen prinzipiell jedem Akteur als Instrument der politischen Einflussnahme zur Verfügung. Ihre Auslösung hängt von einer bestimmten Hürde von zu erbringenden Unterschriften ab. In den deutschen Ländern lautet die Bezeichnung für[16] diesen Verfahrenstyp Volksbegehren bzw. Volksentscheid. Beim Referendum, als dem zweiten Haupttypen, erfolgt die Auslösung dagegen von „oben", also in der Regel durch das Parlament oder die jeweilige Regierung. Sie bestimmen allein das Thema und den Zeitpunkt der Abstimmung. Dieser Umstand macht das Referendum bei den Verfechtern von mehr direkter Demokratie sehr unbeliebt. Im

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