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Reformen kommunizieren: Herausforderungen an die Politik
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eBook384 Seiten3 Stunden

Reformen kommunizieren: Herausforderungen an die Politik

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Über dieses E-Book

Die Vermittlungsprobleme der "Hartz IV"-Reformen stehen ebenso wie der wenig konsistente Außenauftritt der Großen Koalition exemplarisch für die Schwierigkeiten der Politik, ihre Gestaltungsanliegen nachvollziehbar und überzeugend zu kommunizieren. Eine Reformpolitik, die darauf verzichtet, Strategien der Binnen- und Außenkommunikation von Anfang an mitzudenken, gefährdet notwendige gesellschaftliche Veränderungsprozesse - denn sie untergräbt weiter das Vertrauen der Bürger in parlamentarische Institutionen, das laut Umfragen ohnehin stetig abnimmt.
Deshalb gilt für Regierung wie Parteien heute mehr denn je: Wollen sie strategiefähig bleiben und Mehrheiten für ihre Programme sichern, müssen sie Kommunikationsfähigkeit zu einer ihrer Kernkompetenzen ausbauen. Vor diesem Hintergrund liefern die Expertenbeiträge des vorliegenden Bandes einen umfassenden Überblick über aktuelle Defizite der politischen Regierungskommunikation in Deutschland. Angereichert um Anregungen aus dem internationalen Vergleich, zeigen renommierte Fachleute aus Theorie und Praxis Optimierungspotenziale für die strategische Vermittlung politischer Reformvorhaben durch die Bundesregierung auf.
SpracheDeutsch
Erscheinungsdatum23. Juli 2010
ISBN9783867931885
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    Buchvorschau

    Reformen kommunizieren - Verlag Bertelsmann Stiftung

    42.

    Institutionen

    Regierungskommunikation in Deutschland: komplexe Schranken

    Michael Mertes

    1 Verfassungsrechtliche und politische Grundlagen

    Regierungspolitik zu kommunizieren ist heutzutage schwieriger denn je. In den letzten 50 Jahren ging es primär darum, im Zuge des ökonomischen Erfolges sowie des Ausbaus sozialer Standards Wohlstandsverteilung und Existenzabsicherung zu verkünden. Heute dagegen muss Politik häufig für Einschnitte und Beschränkungen Verständnis erwecken. Sie muss, mit anderen Worten, die Bürgerinnen und Bürger davon überzeugen, dass Wohlstand und soziale Sicherheit nur durch solche Entscheidungen erhalten bleiben können. Der »Verkauf« von Zumutungen verweist bereits auf die Sonderstellung der politischen Kommunikation, die sich von wirtschaftlicher Markenwerbung eben nicht nur deutlich abhebt, sondern sich von dieser diametral unterscheidet.

    Regierungskommunikation¹ unterscheidet sich von wirtschaftlicher Markenwerbung aber nicht nur radikal in ihren Botschaften und Methoden, sie ist auch völlig anders, und zwar ausgesprochen komplex organisiert. Mehrere Besonderheiten kennzeichnen die regierungsamtliche Öffentlichkeitsarbeit in Deutschland:

    Die binäre institutionelle Verankerung der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit. Die Informationspolitik der Bundesregierung leitet sich von der Richtlinienkompetenz des Bundeskanzlers und dem Kollegialprinzip einerseits sowie vom Ressortprinzip andererseits ab (Artikel 65 GG). Richtlinienkompetenz und Kollegialprinzip zielen auf Vereinheitlichung, während das Ressortprinzip die Fragmentierung begünstigt. Über die Richtlinien des Bundeskanzlers und die gemeinsame Regierungspolitik unterrichten das Presseund Informationsamt der Bundesregierung (im Folgenden kurz »Bundespresseamt« oder »BPA«) und auch das Bundeskanzleramt; die Bundesministerien informieren über ihre jeweiligen Politikbereiche weitestgehend autonom und eigenverantwortlich.

    Die Budgetierung von Regierungskommunikation. Sie erlaubt nur begrenzt Flexibilität im politischen Marketing und ermöglicht politische Werbung nur mit vergleichsweise bescheidenen Mitteln.

    Die verfassungsrechtlichen Schranken amtlicher Presse- und Öffentlichkeitsarbeit, wie sie vom Bundesverfassungsgericht herausgearbeitet worden sind (siehe die zwei wegweisenden Urteile des Bundesverfassungsgerichtes vom 2. März 1977 BVerfGE 44, 125 und vom 23. Februar 1983 BVerfGE 63, 230 zur »regierungsamtlichen Öffentlichkeitsarbeit im Wahlkampf«). »Die Öffentlichkeitsarbeit der Regierung findet dort ihre Grenze, wo die Wahlwerbung beginnt« (BVerfGE 44, 125).

    Der Zwang zur Koalitionsbildung. Dieser kommt in Deutschland als Besonderheit hinzu, die es in vielen anderen westlichen Demokratien (namentlich den USA, Großbritannien und Frankreich) nicht gibt. Diese »Partnerschaft der Rivalen« bedeutet eine zusätzliche, nämlich parteipolitische Fragmentierung der durch Ressortegoismen ohnehin schon strapazierten Einheitlichkeit der Informationspolitik.

    Zentripetale und zentrifugale Kräfte der Regierungskommunikation

    Eine zentrale Aufgabe politischer Kommunikation besteht in der Zurechnung von Erfolgen (Beispiel: Jeder Wirtschaftsaufschwung ist das Verdienst der Regierung) und der Nichtzurechnung von Misserfolgen (Beispiel: Jede Rezession hat externe, von der Regierung nicht beeinflussbare Ursachen). Diese Grundregel bezieht sich nicht allein auf die Regierung als Kollegium, sondern auch auf die einzelnen Koalitionspartner. Wird in der öffentlichen Wahrnehmung der gemeinsame Erfolg nur oder im Wesentlichen dem einen Koalitionspartner zugerechnet, sind interne Spannungen mit dem anderen Koalitionspartner auf Dauer unvermeidlich. Da solche Spannungen wiederum das Bild der Regierung insgesamt beeinträchtigen können, gibt es immer auch ein gemeinsames Interesse der Koalitionspartner, dem jeweils anderen eigene Erfolge zu gönnen.

    Dem größeren Koalitionspartner kommt der »Kanzlerbonus« zugute. Daher muss der kleinere Koalitionspartner stets besonders darauf achten, dass sein Anteil am gemeinsamen Erfolg gebührend herausgestellt wird. Er wird sich deshalb auch den »Außenminister-Bonus« sichern, wie es seit der ersten Großen Koalition (1966 - 1969) üblich ist: Willy Brandt (SPD) 1966 - 1969, Walter Scheel (FDP) 1969 - 1974, Hans-Dietrich Genscher (FDP) 1974 - 1992, Klaus Kinkel (FDP) 1992 - 1998, Joschka Fischer (Grüne) 1998 - 2005 und Frank-Walter Steinmeier (SPD) seit 2005.

    Möglichkeiten und Wirkungen der Informationspolitik unterliegen nach alledem erheblichen Beschränkungen, die in der Wirtschaft so nicht bekannt sind. Regierungskommunikation ist ohnehin nicht Werbung für ein fertiges Produkt. Sie ist selbst Teil des Produktionsprozesses, d. h., sie wird also durch (immer wieder wechselnde) politische Absichten, Interessen, Strategien und Ziele beeinflusst und gesteuert. Ihre Planbarkeit ist extrem begrenzt (siehe Schröder 2002: 40 - 48), nicht zuletzt infolge der chaotischen Dynamik ständiger Indiskretionen. Die Schwierigkeiten, ein solches Hybridwesen systematisch und umfassend zu beschreiben, werden mit Blick auf die Fachliteratur deutlich, der es bis heute an einem umfassenden Kompendium zur Thematik mangelt.²

    2 Institutionelle Verankerung der Regierungskommunikation

    Das Presse- und Informationsamt der Bundesregierung als oberste Bundesbehörde ist die institutionelle Ausgestaltung des Kanzler- und des Kollegialprinzips. Es ist dem Bundeskanzleramt, dessen Arbeit ebenfalls von diesen beiden Prinzipien geprägt ist, nicht nach- oder untergeordnet. Die Wege beider Behörden trennten sich schon 1952; bis dahin war das Bundespresseamt ins Kanzleramt integriert. Verklammert werden sie seither durch den Bundeskanzler, der in Personalunion Vorgesetzter sowohl des Kanzleramts- als auch des Presseamtschefs ist.

    Gleichwohl behandelt das Kanzleramt in der Praxis das Presseamt oft wie eine nachgeordnete Behörde oder wie ein Fachressort: Es fordert dort Informationen und Auskünfte an, die es für eigene Vorlagen (Informationsvermerke und Entscheidungsvorschläge) an den Bundeskanzler benötigt. Seine Autorität leitet das Kanzleramt dabei nicht aus einer formellen Weisungsbefugnis ab, sondern aus der faktisch größeren Nähe zum Regierungschef. Diese informelle Vorrangstellung gilt allerdings nicht automatisch für die Leiter der beiden Behörden. Sowohl der Chef des Bundeskanzleramtes als auch der Chef des Bundespresseamtes (Regierungssprecher) gehören zu den engsten Beratern des Bundeskanzlers. Ob sie einander auf gleicher Augenhöhe gegenüberstehen, hängt maßgeblich von ihrer persönlich-politischen Nähe zum Regierungschef ab.

    Etat und Personal für ressortspezifische Informationen, die von den Arbeitseinheiten (meist Referaten) für »Presse« und »Öffentlichkeitsarbeit« in den einzelnen Ministerien verantwortet werden, ergeben sich aus dem Recht jedes Bundesministers, seinen Geschäftsbereich selbstständig und in eigener Verantwortung zu leiten (Ressortprinzip).

    Die Aufgaben des Bundespresseamtes werden besonders bestimmt durch

    • die Vorbemerkung zu Kapitel 0403 im Bundeshaushaltsplan,

    • §25 (»Presse- und Öffentlichkeitsarbeit«) der Gemeinsamen Geschäftsordnung der Bundesregierung (GGO) sowie den

    • Organisationserlass des Bundeskanzlers vom 18. Januar 1977 (Bulletin der Bundesregierung vom 22. Januar 1977).

    Die informationspolitische Tätigkeit der Ressorts wird in §25 der GGO ebenfalls näher bestimmt. Diese Auflistung weist bereits darauf hin, dass institutionelle wie auch in sehr ausgeprägter Weise informelle Strukturen der Regierungskommunikation der Bundesregierung in einem historischen Prozess langsam gewachsen sind und sich fortlaufend weiterentwickeln.

    So existiert beispielsweise weder eine spezielle Rechtsnorm noch ein formeller Organisationserlass, der den Rechtscharakter des Bundespresseamtes definiert (siehe Schürmann 1992: 82ff.). Aufgaben und Zuständigkeiten unterliegen einem ständigen, je nach (koalitions-) politischen Notwendigkeiten definierten Veränderungsprozess. Dennoch lässt sich insgesamt festhalten, dass die vom Bundespresseamt verantwortete einheitliche, zentral gesteuerte oder zumindest koordinierte Kommunikation der Politik der Bundesregierung über die Jahrzehnte mehr und mehr, unterbrochen von kurzen gegenläufigen Bewegungen, zugunsten der Vielstimmigkeit von Ressortkommunikation zurückgetreten ist.

    2.1 Von Konrad Adenauer bis Helmut Schmidt

    Vom Aufbau der Bundesrepublik Deutschland 1949/1950 bis zu den 80er Jahren überwog die zentrale Steuerung der Regierungskommunikation: 1955 hatte das BPA unter dem Kanzlerberater und Regierungssprecher Felix von Eckhardt bereits knapp 400 Mitarbeiter, im Jahre nach dem Mauerbau waren es fast 600.³ Der Dynamik des personellen Zuwachses entsprach die Generalzuständigkeit des Amtes in allen Fragen der Pressearbeit und der politischen Öffentlichkeitsarbeit. 1968 konstatierte der stellvertretende Regierungssprecher Conrad Ahlers: »Die Bundesregierung hat sich im Laufe der Jahre in der technischen Apparatur des Presseamtes ein Instrument geschaffen, das einer Großmacht würdig wäre« (Walker 1982: 96).

    Die Presse- und Öffentlichkeitsreferate der Ressorts, die nach und nach (meist in den 60er Jahren) eingerichtet wurden, führten dagegen ein Schattendasein. Ermöglicht wurde das zentralistische Prinzip der Aufbaujahre politisch durch die beherrschende Stellung der Unionsparteien im System der adenauerschen Kanzlerdemokratie.

    Kennzeichnend für die beherrschende Stellung des Amtes war neben der Personalstruktur (1965 erreichten elf Ressorts einschließlich des Kanzleramtes nicht die Personalstärke des BPA!) das Budget für Regierungskommunikation. Die Bestrebungen des Bundespresseamtes, die Etats der Ressorts verwalten zu können, sind so alt wie das Amt selbst. Der Zugriff auf Ressortmittel gelang dem Amt zwar nicht generell, dennoch bildeten sich Einzelbeziehungen heraus, die teilweise jahrzehntelang Bestand hatten. So verwaltete das BPA beispielsweise in den 60er Jahren die Etats für Verteidigung sowie Entwicklungshilfe (Walker 1982: 226ff.) und hatte überdies die Zuständigkeit für die »Politische Öffentlichkeitsarbeit Ausland« (bis 2002). Das BPA versuchte diese Kooperationsmodelle immer als Leitbilder den Ressorts anzudienen. Diese bevorzugten allerdings unisono die entgegengesetzte Strategie, nämlich die Emanzipation vom BPA und den durch das Ressortprinzip grundsätzlich ermöglichten Aufbau ressorteigener Kommunikationsstrukturen.

    Die informationspolitische Bedeutung der Ressorts stieg, je mehr die Koalitionspartner erkannten, welche Chancen sich mit dem Instrument der politischen Öffentlichkeitsarbeit verbanden. Dies war besonders in den 70er Jahren der Fall, als die FDP in der sozialliberalen Koalition lernte, diese Funktion »ihrer« Häuser zu nutzen. Damit wurde, mit einer durch die Kanzlerdemokratie Adenauers bedingten erheblichen Verspätung, das eigentliche Dilemma der Regierungskommunikation immer deutlicher sichtbar. Die Kommunikationsanstrengungen der Regierungen unterlagen zunehmend partei- und koalitionspolitischem Kalkül: »In einer Koalitionsregierung muss einerseits Geschlossenheit... demonstriert werden, andererseits sind beide Regierungsparteien darauf angewiesen, ihr eigenes politisches Profil zu wahren« (Pfetsch 2003: 74). In diesem Zusammenhang wurde es zunehmend schwierig, sich im Rahmen der interministeriellen Koordinierung der Öffentlichkeitsarbeit intern auf eine einheitliche kommunikationspolitische Linie (Sprachregelung, Konzept, Vorhaben) zu verständigen.

    Insofern war die Klarstellung der Rolle des BPA im Organisationserlass des Bundeskanzlers von 1978 ein erster Versuch, die Rolle regierungsamtlicher Öffentlichkeitsarbeit stärker, als dies bisher der Fall war, zu definieren und dabei vor allem Zuständigkeitsabgrenzungen zwischen dem BPA und den Ressorts durchzuführen (siehe Bulletin der Bundesregierung vom 22. Januar 1977 und Schürmann 1992: 79).

    2.2 Die Kanzlerschaft Helmut Kohls (1982 - 1998)

    Indes veränderte sich das Kräftefeld zwischen zentraler Informationspolitik und Ressortkommunikation zuungunsten des Richtlinienund zugunsten des Ressortprinzips unter Bundeskanzler Kohl weiter. Der Kanzler misstraute dem politisch »unzuverlässig« gewordenen Apparat des BPA: Es galt bis 1969 als Domäne der CDU, besonders die politisch wichtige Abteilung 3 (Inland). Die SPD versuchte, nicht ohne Erfolg, dem in den 13 Jahren der sozialliberalen Ära entgegenzuwirken (siehe Walker 1982: 99ff.). Das BPA war aus Kohls Sicht ein »rotes« Amt. Er brachte ihm äußerstes Misstrauen entgegen und schuf sich ein gesondertes informationspolitisches Zentrum im Kanzleramt.⁴ Die seit den 70er Jahren zu konstatierende parteipolitische Heterogenität des Personalkörpers des BPA, die im Gegensatz zum Bundeskanzleramt auch nicht in kurzer Zeit wettgemacht werden kann, wurde so zu einem bis heute die Bedeutung des Amtes mindernden Problem. Im Bundeskanzleramt dagegen galt und gilt das Rotationsprinzip: 90 Prozent der Beschäftigten des Kanzleramtes haben sogenannte Stammhäuser, können also jederzeit in ein Ressort zurückversetzt werden. Von dieser Möglichkeit wird nach Regierungswechseln ausgiebig Gebrauch gemacht.

    2.3 Die Kanzlerschaft Gerhard Schröders (1998 - 2005)

    Bundeskanzler Schröder wertete das BPA zunächst auf:

    • Der Regierungssprecher hatte wieder unmittelbaren und direkten Informationszugang zum Kanzler.

    • Die Regierungskommunikation wurde von Printmedien auf größtenteils elektronische Kommunikation umgestellt und somit den medialen Realitäten angepasst.

    • Die Regierungskommunikation erhielt ein einheitliches Corporate Design als Bestandteil eines vom BPA entwickelten »kommunikativen Rahmenkonzeptes der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit der Bundesregierung« (Kabinettsbeschluss vom 2. Juni 1999), das für die gesamte 14. Legislaturperiode (1998 - 2002) galt (siehe zu den Veränderungen unter Staatssekretär Heye 1998 - 2002 den Aufsatz des damaligen Direktors des BPA, Peter Ruhenstroth-Bauer 2003).

    Diese Neuerungen verdeckten in der öffentlichen Wahrnehmung, dass auch unter Rot-Grün die Autonomie der Ressorts wuchs. Zwei Maßnahmen haben das BPA dabei in entscheidendem Maße geschwächt: die Veränderung der GGO im Jahre 2000 und der Verlust der »Politischen Öffentlichkeitsarbeit Ausland« im Jahre 2002.

    2.4 Die Veränderung der Gemeinsamen Geschäftsordnung der Bundesregierung im Jahre 2000

    In der alten, bis 2000 geltenden Fassung der GGO war festgeschrieben, dass Verlautbarungen der Ressorts, die über die Behandlung fachlicher Angelegenheiten aus dem Geschäftsbereich eines Ministeriums hinausgehen und allgemein-politische Bedeutung haben, »über das Presse- und Informationsamt zu leiten« sind. Auch musste das Bundespresseamt »so bald wie möglich« (ebd.) über Absichten und Maßnahmen der ministeriellen Öffentlichkeitsarbeit informiert werden. Die Rolle des Regierungssprechers war hervorgehoben: »Das Presse- und Informationsamt vertritt die Bundesregierung auf den Pressekonferenzen« (siehe GGO-GOBReg, 7. Lfg., März 1996). Jahrzehntelang hatte das BPA darauf gedrungen, dass diese Koordinierungsfunktion von den Ressorts respektiert wurde.

    In der 2000 in Kraft getretenen GGO hingegen steht im Zentrum die Informationspflicht des BPA gegenüber den Ressorts, während von den bisherigen Verpflichtungen der Ministerien gegenüber dem BPA keine Rede mehr ist. Die Vertretung der Bundesregierung durch den Regierungssprecher auf den Bundespressekonferenzen findet keine Erwähnung mehr. Mit dieser Umkehrung von Informationspflichten zwischen dem BPA und den Ressorts und der Relativierung der Funktion des Regierungssprechers im interministeriellen Kontext schreibt die GGO eine seit den 80er Jahren bereits praktizierte Verwaltungspraxis fest,⁵ die die Koordinierung und Harmonisierung der regierungsamtlichen Öffentlichkeitsarbeit erschwert.

    2.5 Der Verlust der »Politischen Öffentlichkeitsarbeit Ausland«

    Die Vielstimmigkeit als Markenzeichen der Regierungskommunikation wurde des Weiteren durch einen Kanzlererlass vom 18. Oktober 2002 gefördert, der die Verlagerung der »Politischen Öffentlichkeitsarbeit Ausland« (PÖA) vom Bundespresseamt ins Auswärtige Amt bestimmte (Organisationserlass des Bundeskanzlers vom 22. Oktober 2002: »Dem Auswärtigen Amt wird aus dem Geschäftsbereich des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung die Zuständigkeit für die Politische Öffentlichkeitsarbeit Ausland übertragen«). Damit verlor das BPA die gesamte Zuständigkeit für die Vermittlung des Deutschlandbildes im Ausland sowie die Beziehungspflege zu in Deutschland akkreditierten ausländischen Journalisten. Die Verlagerung einer Abteilung mit rund 70 Stellen und einem Etat von 20 Millionen Euro war nicht sachlich begründet, sondern der politischen Machtarithmetik geschuldet (hier der durch die Bundestagswahlen 2002 bedingten Stärkung des grünen Koalitionspartners und besonders der Person des Vizekanzlers und Bundesaußenministers Fischer).

    Obwohl in Regierungskreisen unisono die Auffassung vertreten wird, dass die PÖA in der Abteilung K im Auswärtigen Amt »versickert« sei, spielte die Frage der Rückübertragung der PÖA an das BPA während der Koalitionsverhandlungen zwischen CDU, CSU und SPD im Herbst 2005 keine Rolle.

    Die Vernachlässigung der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit im Ausland und für das Ausland ist ein kommunikationspolitischer Sündenfall, da diese für die innenpolitische Reformkommunikation von wesentlich größerer Bedeutung ist, als es auf den ersten Blick scheinen mag: Was ausländische Korrespondenten, die in Berlin akkreditiert sind oder Informationsreisen dorthin unternehmen, in ihren Blättern berichten, kommt häufig als Meldung nach Deutschland zurück und trägt hier zur Willens- und Meinungsbildung bei. Die deutsche Tradition des Respekts vor allem, was »das Ausland über uns sagt«, bleibt somit ein innenpolitischer Faktor ersten Ranges. Insofern gehört es zum taktischen Arsenal von Regierungskommunikation, Informationen und Wertungen gelegentlich »über Bande«, also über den ausländischen Umweg, in die innenpolitische Debatte einzuspeisen.

    Ein besonders instruktives Beispiel für das Gewicht ausländischer Stellungnahmen ist die Berichterstattung des »Economist« über die deutsche Reformagenda. Im Endspurt des letzten Bundestagswahlkampfes spielte das Heft »Germany’s surprising economy« (20. August 2005) eine wichtige Rolle als Argumentationshilfe für Bundeskanzler Schröder,⁶ nachdem das Magazin in seiner Ausgabe vom 21. Februar 2005 noch über »Germany’s declining economy« geschrieben hatte.

    3 Finanzielle Grenzen: die Entwicklung der Budgets für Regierungskommunikation

    Nirgendwo deutlicher als in den Haushaltsansätzen lässt sich die Autonomie der Ressorts in Angelegenheiten der Öffentlichkeitsarbeit ablesen. Besonders durch den Verlust der PÖA im Jahre 2002 ist der Etat des BPA massiv geschrumpft: Mit 19 Millionen Euro im Jahre 2005 (2002: 43 Millionen Euro) stellte das Bundespresseamt nur noch knapp über 20 Prozent der Gesamtausgaben für regierungsamtliche Öffentlichkeitsarbeit, die sich insgesamt auf 90 Millionen Euro beliefen. Damit lag das BPA im Vorjahr unter dem Einzeletat des Auswär-tigen Amtes mit knapp über 20 Millionen Euro sowie des Bundesministeriums für Wirtschaft und Arbeit (BMWA) mit über 25 Millionen Euro für deren ressortspezifische Öffentlichkeitsarbeit.⁷ Die Verschiebung der Etatmittel zu den Ressorts wird noch deutlicher, wenn man miteinbezieht, dass einzelne Ministerien über teils beträchtliche Mittel für sogenannte »Fachinformationen« verfügen.⁸

    Abbildung 1: ÖA-Haushalte 2005 (in Mio. Euro)

    Während die Gesamtausgaben der Bundesregierung für Öffentlichkeitsarbeit, d.h. die Summe aller einzelnen Ressortansätze für diesen Bereich zuzüglich des BPA-Etats, mit 90 Millionen Euro im Jahre 2005 gegenüber 85,7 Millionen Euro im Jahre 1998 leicht gestiegen sind, ist der relative BPA-Anteil zurückgegangen; und mit ihm in erheblichem Maße auch die operationellen Wirkungsmöglichkeiten einheitlicher Regierungskommunikation. Die Finanzplanung bis 2008 sieht mit der anteilig durchgängigen Kürzung um zehn Prozent der Etatansätze keine Änderung des Verhältnisses von BPA-Öffentlichkeitsarbeit und Öffentlichkeitsarbeit der Ressorts vor (die Finanzplanung sieht für 2008 insgesamt 71,5 Millionen Euro vor, für das BPA 17,9 Millionen Euro).

    Auch innerhalb des BPA-Haushaltes selbst hat es eine Verschiebung der Größenordnungen und Gewichte zulasten der Öffentlichkeitsarbeit gegeben. Bei einem Gesamtetat von 77 Millionen Euro standen 2005 den 19 Millionen Euro Öffentlichkeitsarbeits-Anteil knapp 27 Millionen Euro Personalausgaben gegenüber.⁹ Die Tatsache, dass die interne Organisation erheblich mehr Haushaltsmittel beansprucht als die eigentliche Aufgabe des BPA, spiegelt eine bedenkliche Schieflage wider.

    Der beengte Wirkungskreis von Regierungskommunikation erschließt sich indes nicht nur aus den Zahlen des BPA, sondern gerade auch aus der für die Bundesregierung zur Verfügung stehenden, in den nächsten Jahren um zehn Prozent sinkenden Gesamtsumme im Vergleich mit den Werbeausgaben in Deutschland: 2004 wurden in Deutschland insgesamt rund 30 Milliarden Euro (!) in Werbung investiert, für 2005 ist mit einer ähnlichen Summe zu rechnen. Die für 2005 für den gesamten Bereich der Bundesregierung veranschlagten 90 Millionen Euro liegen deutlich niedriger als der Werbeetat allein für Spirituosen, der ein Jahr zuvor in Deutschland bei 97 Millionen Euro lag! Regierungskommunikation macht also im Ergebnis weniger als 0,3 Prozent der Werbung in Deutschland aus.

    Dennoch wäre es ein Trugschluss anzunehmen, der Mangel an Geld sei das eigentliche Problem der regierungsamtlichen Informationspolitik. Dieses besteht eher in der nicht koordinierten und nicht zielgerichteten Anwendung vorhandener Mittel.

    4 Verfassungsrechtliche Schranken der Regierungskommunikation

    Neben den engen monetären Spielräumen ist die Regierungskommunikation auch an verfassungsrechtliche Auflagen gebunden. Es versteht sich, dass der »Verkauf« von Regierungspolitik immer das große Interesse der im Bundestag vertretenen Oppositionsparteien gefunden hat, die jahrzehntelang der jeweiligen Bundesregierung, und dies nicht immer zu Unrecht, »Wahlpropaganda« oder »Parteienwerbung mit Mitteln der Steuerzahler« vorgeworfen haben.

    In der Tat ist die vom Bundesverfassungsgericht gezogene Trennlinie zwischen »Öffentlichkeitsarbeit« und »Wahlwerbung« im Einzelfall schwierig zu bestimmen, wie unzählige parlamentarische Anfragen aus dem Kreis der jeweiligen Oppositionsparteien, besonders in der Zeit kurz vor Bundestagswahlen, verdeutlichen (siehe aus der Vielzahl der Anfragen die fünf parlamentarischen Anfragen zur »Öffentlichkeitsarbeit der Bundesregierung in der Vorwahlzeit« von Juli/August 2004, die insgesamt 200 Einzelfragen enthielten). Die Zahl dieser Anfragen nahm besonders in den letzten Jahren stark zu. So hatte das BPA die Federführung bei der Beantwortung von 28 parlamentarischen Anfragen allein im Wahljahr 2002. Dieser »Dauerbeschuss« seitens der parlamentarischen Opposition führte dazu, dass sich ganze Arbeitseinheiten des BPA über Monate vornehmlich mit der Beantwortung der Anfragen aus dem Bundestag beschäftigen mussten. Die Frage, was überhaupt getan werden darf, überlagerte die Frage, was getan werden soll und muss.

    Seither wird BPA-intern wieder stärker auf die Beachtung der vom Bundesverfassungsgericht aufgestellten formalen Kriterien geachtet. Dies gilt besonders für die rechtlichen Restriktionen im Rahmen der Öffentlichkeitsarbeit in Vorwahlzeiten, also fünf Monate vor einem Wahltermin im Bund (oder in einem Bundesland, aber dann nur auf dessen Territorium bezogen).

    5 Defizite der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit der Bundesregierung

    Das Dilemma der Regierungskommunikation in Deutschland besteht zu einem wesentlichen Teil darin, dass der Wille zu einer einheitlichen Kommunikation in einer Koalitionsregierung politisch fehlt. Der zur Verfügung stehende Gesamtetat ist bisher niemals in einer Legislaturperiode koordiniert, konzentriert und nachhaltig eingesetzt worden. Trotz der Versuche des BPA, im Rahmen der interministeriellen Koordination die Ressorts auf Mindeststandards gemeinsamer Kommunikation zu verpflichten, wurde und wird diese »Hilfe« des BPA nur ungern in Anspruch genommen.

    Die Referate für Presse (Pressesprecher) und Öffentlichkeitsarbeit der Ressorts - meist kleine Schaltzentralen mit wenigen Mitarbeitern, die politisch wie räumlich in unmittelbarer Umgebung zum Minister angesiedelt sind - richten ihre Arbeit unisono und konsequent auf die politische Führung des eigenen Amtes aus. In den meisten Ressorts handelt es sich um zwei Referate; in großen Ressorts bestehen »Stäbe« mit mehreren Referaten oder gar »Kommunikationsabteilungen«, in denen Presse, Öffentlichkeitsarbeit, Redenschreiben und Politische Planung zugleich angesiedelt sind. Die Struktur wechselt je nach politischem Prestige oder personellen Notwendigkeiten. ¹⁰ Zudem sind diese Stäbe politisch homogen besetzt, ganz im Gegensatz zum politisch heterogenen BPA.¹¹

    Die »gemeinsame« Öffentlichkeitsarbeit der Bundesregierung findet auf zwei Ebenen statt: Das BPA lädt zweimonatlich

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