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Fleischpflanzerl: Kriminalroman
Fleischpflanzerl: Kriminalroman
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eBook308 Seiten4 Stunden

Fleischpflanzerl: Kriminalroman

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Über dieses E-Book

Ein Kriminalroman, in dem fatale Folgen von völlig unterschiedlichen Moralvorstellungen erlebt werden. Die vielschichtige Handlung zwischen 1943 und 2001 spiegelt den Wandel der gesellschaftlichen Zustände wider: Ein Kriegs-Heimkehrer, vergrabene Leichen im Garten. In einem Kloster-Internat der fünfziger Jahre findet sexueller Missbrauch an Jungen statt. Der scheinbare Selbstmord eines Schülers ändert zunächst nichts daran. Bis eines Tages ein nicht aufgeklärter Jugendlicher von der Wahrheit überrascht wird, die er zuvor dem inzwischen Toten nicht glauben wollte. Später, als Kriminalkommissar, wird er mit weiteren außergewöhnlichen Fällen konfrontiert. Die Milieuschilderungen geben Einblick in ganz verschiedene Erlebnis-Welten.

- 216 spannende Seiten mit einer Prise Humor
SpracheDeutsch
Herausgeberepubli
Erscheinungsdatum12. Dez. 2012
ISBN9783844236552
Fleischpflanzerl: Kriminalroman

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    Buchvorschau

    Fleischpflanzerl - Jonas Scotland

    1. Zwei Freunde

    Wir schreiben das Jahr 1943. Der Name Stalingrad hat bereits seine tiefere Bedeutung erhalten. Aber, getäuscht von der Propagandamaschinerie, ist sich auch die Bevölkerung in einem kleinen deutschen Dorf namens Dingeln dessen nicht bewusst:

    Hildegard Brunisch ist jung und entspricht dem jetzigen Schönheitsideal: keine ausgesprochen feminine Figur, sondern schlank vom Hals bis zu den Fesseln. Doch durch die Arbeit im Garten sind Ober- wie Unterarme leicht muskulös geworden. Ihr mittellanges, dunkelblondes Haar ist durch starke Dauerwellen gekräuselt. Zwei Seitenkämmchen verhindern, dass es störend ins Gesicht fällt. Meistens trägt sie braune kunstseidene Strümpfe mit Pumps.

    Der Krieg brachte auch für sie Ungewissheit und Einsamkeit. Sie leidet darunter, dass ihr Mann Anton schließlich doch in die Wehrmacht eingezogen wurde. Als sie sieht, wie Briefträger Chromik auf ihr Haus zukommt, eilt sie ihm aufgeregt entgegen.

    »Guten Morgen, Frau Brunisch! Ich habe einen Brief aus dem Felde. Hoffentlich nichts Unerfreuliches.«

    »Heil Hitler!«, grüßt sie stolz mit erhobener rechter Hand.

    »Heil Hitler!«, fügt der ältere Mann kleinlaut hinzu.

    »Danke, Herr Chromik.«

    »Schönen Tag wünsch’ ich Ihnen noch, Frau Brunisch!«

    Es steht geschrieben:

    Der Schreiber war, als er den Brief aufgesetzt hat, sicher, dass dieser kontrolliert werden würde. Und damit die Post auch weitergeleitet wird, hat er sie entsprechend formuliert, im letzten Teil entgegen seiner wahren Überzeugung.

    Die Empfängerin ist glücklich über die freudigen Neuigkeiten und sieht ungeduldig dem 5. Mai entgegen. Sie ist sehr optimistisch, dass es mit dem erhofften Besuch ihres Mannes klappt. Deshalb plant sie eines ihrer wenigen Hühner zu schlachten, um ein festliches Mahl bereiten zu können.

    Was ziehe ich nur an?, geht ihr durch den Kopf. Dabei fällt ihr ein, dass sie ja ihren Rock noch vom Schneider abholen muss. Sie hat ihn dort zum Wenden abgegeben, was in dieser Zeit gang und gäbe ist. Denn Textilien sind sehr teuer. Die äußerlich abgeschabte Kleidung wird aufgetrennt, nach innen gewendet und wieder zusammen genäht, so dass die heile Innenseite jetzt nach außen getragen wird.

    Als sie die Schneiderei betritt, alarmiert das Bimmeln der Türglocke den Besitzer. »Guten Tag, Frau Brunisch!«, begrüßt er sie. »Sie wollen sicher Ihren Rock abholen. Er ist wunderbar geworden, wie neu.«

    »Das ist ja schön, Herr Sanovski«, antwortet sie, während ihre Augen aufs Regal schweifen, wo etliche Stoffe gelagert werden. Ein Muster hat es ihr besonders angetan. Es ist ein dünner dunkelblauer Ballen.

    Der Ladeninhaber geht in die Werkstatt, um die fertige Ware zu holen. Hildegard Brunisch schaltet schnell. Sie hastet hinter den Ladentisch, springt in die Höhe und schnappt sich den begehrten Stoff. Sogleich lässt sie diesen unter ihrem Mantel verschwinden und klemmt ihn mit dem Ellenbogen fest an ihren Körper. Sie meint, dass es gewiss für ein Kleid reichen wird. Anschließend legt sie das abgezählte Geld für die Änderung ihres Rockes auf den Tresen.

    Es hätte gar nicht der Eile bedurft, denn es dauert bis der Schneider wieder da ist: »So, hier ist das gute Stück schon.«

    »Ah, ja! Gute Arbeit. Sie verstehen Ihr Handwerk. Gelernt ist gelernt«, schmiert sie ihm noch reichlich Honig um den - nicht vorhandenen - Bart.

    Herr Sanovski ist hocherfreut über so zufriedene Kundschaft. Es wird noch eine Weile dauern, bis er den Verlust bemerkt. Und er wird nie erfahren, wer es war.

    Anton Brunisch ist mit seiner Infanterie-Einheit im Osten stationiert, zusammen mit seinem Nachbarn Hans Kuchenbäcker. Der eins siebzig große Ehemann hat rote Haare, leicht bräunliche Augen, eine sehr helle, sommersprossige Haut sowie eine ansonsten sehr kräftig gebaute Figur.

    Bei einer Gelegenheit in der Mannschaftsunterkunft, holt er - wie er es oft zu tun pflegt - ein Foto seiner Frau hervor, betrachtet es und denkt an sie. Er freut sich darauf, sie wieder in seine Arme zu schließen. Die anderen Männer haben häufig Bilder von Filmschauspielerinnen hinter ihrem Rasierspiegel stecken; Frauen, die für sie unerreichbar sind. Darüber kann sich Anton nur wundern. Darum fragt er ein bisschen scherzhaft seinen alten Freund: »Sag mal, Hans, was träumst du eigentlich nur immer von den Ufa-Schönheiten? Zugegeben, sind ja nett anzusehen. Aber an die kommst du doch nie ran. Zum Beispiel deine Kristina Söderbaum, die ist doch mit ihrem Regisseur verheiratet. So ein Mädel wie meine Hilde musst du dir suchen. Das ist doch was Richtiges.«

    Hans ist acht Zentimeter länger, dafür jedoch besonders schlank. Aus dem schmalen Gesicht ragt eine ausgeprägte Nase. Eigentlich findet er die Kritik seines Gegenübers nicht gerade sehr einfühlsam. Denn schließlich kann man sein Glück nicht erzwingen. Aber er ist ein friedliebender Mensch, der die Freundschaft nicht aufs Spiel setzen will und antwortet: »Hast ja Recht, Anton. Es ist eben noch nichts geworden. Hat nicht sollen sein. Aber du hast ja hier auch nicht allzu viel von deiner Hilde.«

    »Leider, Hans. Ein paar Tage in der Heimat würden uns mal wieder gut tun, was? Aber auf dich wartet ja keiner zu Hause, wie bei mir.«

    »Das stimmt allerdings. Aber trotzdem, Urlaub ist immer gut, auch wenn ich zu Hause niemanden habe.«

    »Ja, da hast du auch wieder Recht. Aber nimm es nicht so tragisch. Du findest schon noch die Richtige, Kumpel.«

    Mitten in dieses Geplänkel platzt der Feldwebel mit einem Befehl: »Brunisch und Kuchenbäcker! Sofort zum Hauptmann kommen!«

    Die beiden hoffen, dass sie der Eindruck, den sie von dem relativ neuen Vorgesetzten gewonnen haben, nicht getäuscht hat; weil sie die Erfahrung gemacht haben, dass dieser sehr gütig mit seinen Untergebenen umgeht.

    Wenig später stehen sie vor seinem Klapp-Schreibtisch stramm, über welchem tief eine kleine Hängelampe an ihrer langen Leitung von der Decke baumelt. Diese wirft überlebensgroße Schatten von ihnen an die Wand, als sie die Hacken mit einem Klacken zusammenschlagen und gleichzeitig die gestreckten Fingerspitzen der rechten Hand an die Schläfe pressen.

    »Rühren!«, gestattet der Hauptmann auch schon, um sehr gute Neuigkeiten zu verkünden: »Brunisch und Kuchenbäcker, Sie haben sich beide gut geführt. Und nach den letzten Wochen ist es endlich mal ruhig hier. Deshalb wird Ihren Anträgen auf Heimaturlaub stattgegeben. Zwei Wochen.«

    »Danke sehr, Herr Hauptmann!«

    »Hier«, sagt er, während er die Urlaubsscheine aushändigt. »Und vergessen Sie nicht, Ihre Päckchen mitzunehmen. Heil Hitler!« Zu diesem Zeitpunkt wird nämlich noch jedem Fronturlauber ein Päckchen mit Lebensmitteln mitgegeben, damit die Daheimgebliebenen sehen sollen, wie gut die Wehrmachtsangehörigen versorgt sind. So gut, dass sie sogar noch etwas nach Hause mitbringen können.

    »Heil Hitler, Herr Hauptmann!«

    Am Abend in der Mannschaftsunterkunft spielen die Männer - wie so oft, um trübsinnige Gedanken zu vertreiben - Skat, als Kamerad Krüger Streit anfängt: »Na, Brunisch! Ich hab’ gehört, morgen willst du nach Hause, zu deinem Weib. Glaubst du etwa im Ernst, dass die nur die ganze Zeit auf dich wartet?! Ich kenne doch die Weiber. Die sind doch alle gleich!«

    »Was willst du damit sagen?«, erwidert der Angesprochene wütend. Anton Brunisch hat ein leicht aufbrausendes Temperament. Er ist sehr stolz auf seine Hildegard. Sie ist achtzehn Jahre jünger als er. Vielleicht ist das der Grund, weshalb er besonders empfindlich ist, wenn es um sie geht.

    »Reg dich doch nicht über den besoffenen Quatschkopf auf, Anton. Der will sich doch nur wieder schlagen«, beschwichtigt Kuchenbäcker.

    »Hast ja Recht, Hans. Der ist es gar nicht wert.«

    Aber Krüger provoziert weiter. Er weiß, dass er Brunisch gleich so weit hat: »Was ich damit sagen will? Ja, was will ich wohl damit sagen? Na, dass deine Schlampe ganz froh ist, dass du nicht da bist. Und weißt du auch warum? Weil sie sich jetzt jede Woche einen anderen angeln kann, darum!«

    »Du Hund!« Mit diesen Worten stürzt sich Anton Brunisch auf den streitsüchtigen Zeitgenossen.

    Vergeblich versucht sein Freund ihn zu beruhigen. Bald ist eine wilde Keilerei im Gange. Die Karten fliegen vom Tisch. Plötzlich steht der Hauptmann daneben: »Auseinander!«

    »Jawohl, Herr Hauptmann!«

    »Jawohl, Herr Hauptmann!«

    »Krüger, melden Sie sich zum Latrinenreinigen! Brunisch, Ihnen ist wohl die Urlaubsbewilligung zu Kopf gestiegen! Der Heimaturlaub ist gestrichen!«

    »Herr Hauptmann, Krüger hat die Schlägerei angezettelt. Ich habe es ganz genau gehört«, bemüht sich Kuchenbäcker zu erklären.

    »Es ist mir vollkommen egal, wer angefangen hat! Ich will keine Streitereien unter meinen Leuten. Das habe ich oft genug gesagt! Deshalb muss ich hart durchgreifen und beide bestrafen! Und jetzt ist Ruhe im Quartier!«

    Nachdem der Vorgesetzte die Mannschaftsunterkunft wieder verlassen hat, versucht der Freund Trost zu spenden: »Tja, Anton, tut mir Leid für dich. Da kann man nichts machen. Nimm es nicht so schwer. Lange kann der Krieg ja nicht mehr dauern. Und dann bist du wieder für immer bei deiner Hilde.«

    »Ach Hans, am Fünften ist unser Hochzeitstag. Wer weiß, ob ich den nächsten noch erlebe? Naja, dann musst du halt allein nach Dingeln.«

    »Ich kann doch nicht alleine gehen und dich in deinem Pech zurücklassen. Ich verzichte auf meinen Urlaub, Kumpel.«

    »Das würdest du für mich tun? Du bist ein wirklicher Freund. Aber meine Frau ist ganz alleine. Ich will ihr wenigstens eine kleine Freude machen. Ich bitte dich, dass du zur Hilde gehst und ihr alles von hier erzählst, und dass du mit ihr über ihre Sorgen sprichst und ihr sagst, dass ich immer nur an sie denke und bald heimkomme. Mein Freund, willst du das für mich tun?«

    »Klar, Anton. Wenn du das wirklich willst.«

    »Und vergiss nicht ihr zu sagen, dass ich jetzt viel schlanker bin, weil mir ihr gutes Essen fehlt.«

    »Apropos Essen, kennst du den schon?:

    Es tönt ein Ruf wie Donnerhall:

    In Deutschland sind die Zwiebeln all’.

    Doch Hermann Göring sprach vor kurzem:

    Man kann auch ohne Zwiebeln furzen.«

    Gemeinsam bricht man nach der aufheiternden Reimeinlage in Gelächter aus. »Haha! Der ist wirklich gut«, findet Anton. »Aber da brauchst du dir keine Sorgen zu machen. Weißt du, warum?«

    »Nein«, antwortet Kuchenbäcker humorvoll abwartend.

    »Ich will dir’s sagen: weil meine Hilde bei uns im Garten ihre eigenen Zwiebeln anbaut. Hahahaha! Da wird sie bestimmt für dich eine Zwiebel übrig haben. Dann erzähl ihr doch auch gleich den Witz, damit sie auch was zu lachen hat.«

    Am nächsten Morgen verabschieden sich die Freunde:

    »Auf Wiedersehen, Hans! In zwei Wochen sehen wir uns wieder. Und komm gut durch, Alter!«

    »Klar, ich gehe doch nur durch erobertes Land. Also, bis dann!«

    Aber Gefreiter Brunisch kann sich nun doch nicht damit abfinden, dass man so ungerechtfertigt seinen Heimaturlaub gestrichen hat. Die Sehnsucht schmerzt ihn so sehr, dass er gegen alle Vernunft handelt und sich ein paar Stunden später unerlaubt von der Truppe entfernt, um sich heimlich nach Hause zu begeben. Der Hitzkopf weiß genau, dass ihn dafür eine schwere Strafe erwartet. Doch das Verlangen seine Frau wiederzusehen ist einfach stärker.

    Bereits am Vortag des Hochzeitstages holt letztere das Beil aus dem Keller, um den Braten vorzubereiten. Heute nieselt es etwas. Sie hat ihr buntes Kopftuch mittels einer Schlaufe über der Stirn turbanartig um das Haupt geschlungen, wie es Mode ist. Das Beil wird gegen den Hackklotz gelehnt, welcher im Garten steht. Dann geht sie auf den Hühnerstall zu, sucht sich das fetteste Federvieh aus, öffnet das Gatter und schnellt mit beiden Armen hinein. Unter dem wilden Gegacker und Umherflattern der verängstigten Tiere, gelingt es ihr endlich das auserwählte Huhn zu packen und herauszuziehen.

    Das verschreckte Wesen zuckt am ganzen Körper und dreht aufgeregt den Kopf hin und her, als ob es wissen würde, was es erwartet. Hildegard Brunisch umklammert mit der linken Hand beide Hühnerbeine und lässt den Körper nach unten kippen, so dass sie bequem den Kopf gegen den Klotz lehnen kann. Jetzt greift sie mit der rechten Hand das Beil, holt rückwärts weit aus und hackt durch einen kräftigen Schlag den Hals durch. Das Blut spritzt ihr ins Gesicht, während der abgetrennte Kopf klatschend vor ihre Füße fällt.

    Dann lässt sie den Torso los. Dieser breitet die Flügel aus, flattert etwa zwei Meter in die Höhe und fliegt anschließend etwa fünf Meter durch die Luft. So lange, bis er völlig entkräftet zu Boden sinkt, um mit letzten Zuckungen zu verenden.

    Als Anton sein Heimatdorf erreicht, wird ihm ganz warm ums Herz. Die längste Strecke hat er mit der Dampfeisenbahn zurückgelegt. Nur noch ein paar hundert Meter, und er ist zu Hause. Was für ein Gefühl für einen Mann, der seine Frau ein langes Jahr des Krieges und der Entbehrungen nicht gesehen hat. Auf dem Kopf trägt er die Uniformkappe. Hinten am oberen Teil des breiten Rucksackes sind eine Decke und der Stahlhelm festgesurrt. Um die Hüften baumeln eine zylinderförmige Metalldose, welche seine Gasmaske beinhaltet, die Menage sowie die Feldflasche.

    Frohgemut durch den Ort marschierend, wird er ab und zu freundlich von alten Bekannten gegrüßt, wie von Großvater Oberbeck: »Ach, der Herr Brunisch! Endlich wieder mal zu Hause. Schöne Tage und einen freudigen Aufenthalt wünsche ich Ihnen!«

    »Danke, Herr Oberbeck!«

    Nun kann Soldat Brunisch schon sein Haus erblicken. Das Haus mit den roten Backsteinen und dem spitzen, dunklen Dach. Die kleine, schwarze Laterne davor. Und er fragt sich: Ob meine Hilde gerade im Garten arbeitet? Der Hans war bestimmt schon da und hat ihr gesagt, dass ich nicht kommen kann. Das wird eine Überraschung für sie!

    Nachdem er die Pforte leise geöffnet hat, schreitet er durch den blühenden Vordergarten. Die summenden Bienen sind gerade eifrig dabei, die Blüten zu befruchten. Freudig erregt schleicht er sich am Haus vorbei in den Garten. Aber seine Frau ist nicht bei der Gartenarbeit. Die Terrassentür steht nicht offen. Folglich geht er nun zur Haustür, steckt den Schlüssel ins Schloss und schließt auf. »Hilde?«, fragt er zaghaft.

    Aber — keine Antwort. Stattdessen vernimmt er lautes Stöhnen und andere Geräusche aus dem Wohnzimmer.

    »Hilde! Was ist passiert? Ist dir nicht gut?« Mit diesen Worten stürmt der Heimkehrende in den Raum. Doch was er jetzt sehen muss, entsetzt ihn: Seine Frau mit Kuchenbäcker. Sie sind nur spärlich bekleidet! Anton hat die beiden beim Liebesspiel überrascht! »Mein bester Freund! Du Dreckschwein!«

    »Hör gut zu, Anton! Ich ...«

    Der betrogene Ehemann stürzt sich auf seinen Kameraden. Wutentbrannt umklammern seine Hände dessen Hals!

    Der Drangsalierte will sich nun zur Wehr setzen. Aber ihn verlassen die Kräfte. Gegen den vor Zorn tobenden Mann hat er keine Chance.

    »Anton, nicht!«, versucht seine Frau ihn davon abzuhalten.

    Doch — vergebens. Kuchenbäcker sinkt leblos zusammen!

    »Anton! Was hast du getan!«

    Der Blick des in Rage geratenen Gatten wendet sich auf seine Frau: »Ich?! Ich getan?! Du hast es getan! Und das an unserem Hochzeitstag! Du verdammtes Miststück!« Schon streckt er seine kräftigen Arme auch nach ihr aus.

    »Nein! Anton!«, bettelt sie, während seine dicken Finger sich anspannen, um auch ihr die Luft abzuschnüren: »Ich bring’ dich um, du dreckige Hure!«

    »Ich fleh’ dich an! Er hat mich gezwungen!«

    »Was sagst du da?«

    »Ja! Ich habe ihn reingelassen. Er hat mir gesagt, dass du nicht kommen kannst und dass du ihn beauftragt hättest, mir eure Erlebnisse zu erzählen. Kaum waren wir drinnen, ist der gemeine Kerl über mich hergefallen.«

    »Der Hans? Das glaub’ ich nicht! Der Hans würde so was nie machen! Du hast ihn verführt, du Hexe!«

    »Es ist die Wahrheit! Ich konnte mich nicht wehren. Er hat mich einfach gepackt und genommen. Ich bin doch so schwach!« Die Frau beginnt nun zu schluchzen, um ihren Mann zu beruhigen.

    Der lässt daraufhin von ihr ab.

    »Oh, Anton, es war furchtbar!«

    Der Zurückgekehrte schweigt einen Moment. Dann blickt er auf den leblosen Körper, schlägt seine Hände vor die Augen, stöhnt »Oh, Gott!« und lässt sich auf einen Stuhl nieder.

    Nach einer Weile bemühen sie sich, einen klaren Gedanken zu fassen: »Hilde, jetzt ist alles aus. Die bringen mich ins Zuchthaus, wegen Totschlags, wenn sie mich nicht gleich hinrichten!«

    »Ach was. Es weiß doch keiner was davon.«

    »Ja und?! Was sollen wir denn machen?«

    »Zuerst müssen wir dafür sorgen, dass ihn keiner findet.«

    »Oh, wie soll das denn nur weitergehen?«

    »Das werde ich dir sagen: Wenn es dunkel ist, vergraben wir Hans im Garten.«

    »Du meinst, einfach begraben? Das geht doch nicht! Wenn uns jemand dabei sieht!«

    »Weißt du vielleicht was Besseres? Schließlich hast du ihn umgebracht und nicht ich!«, schlägt es ihm entgegen.

    »Nein. Aber ...«

    »Na also!«

    »Aber wie soll es weitergehen? Man hat ihn doch sicher gesehen, als er ins Dorf gekommen ist und bestimmt auch, als er in unser Haus ging!«

    »Das macht nichts. Wenn jemand fragen sollte, werden wir sagen: Du bist dazugekommen, wir haben uns unterhalten und viel zusammen erzählt. Warte — ich weiß: Wir werden sagen, Hans wollte nur bis morgen früh in Dingeln bleiben. Dann wollte er noch irgendwo eine Bekannte besuchen. Deshalb haben wir bis spät in die Nacht zusammen gesessen und erzählt, weil er ja morgen in aller Frühe loswollte. Hier im Dorf wird ihn ja sonst keiner vermissen. Ja, und wenn er sich dann nicht von seinem Heimaturlaub bei der Truppe zurückmeldet: Wir wissen von nichts.«

    »Hm — klingt überzeugend.«

    »Ist es auch.«

    »Ich kann es immer noch nicht fassen, dass man sich so in einem Menschen täuschen kann. Hans, mein bester Freund!«

    »Tja, so was passiert eben.«

    Der Flüchtige sieht das noch geschlossene Päckchen des Toten auf dem Küchenbuffet liegen und erzählt: »Dabei wollte er zuerst gar nicht alleine kommen. Weißt du, es sah nämlich so aus, als wenn ich keinen Urlaub bekäme. Deshalb sind wir auch nicht zusammen angekommen. Und dann so was!«

    »Ach, das hat doch nichts zu sagen. Vielleicht war das nur ein Trick von ihm, und er hatte die Sache von Anfang an geplant!«

    »So ein Schuft! Der Kerl hat den Tod wirklich verdient!«

    Am späten Abend geht Anton Brunisch, mit dem Spaten ausgerüstet, in den hinteren Teil des großen Gartens und beginnt damit, ein tiefes Loch auszuheben. Er hat kein Licht mitgenommen, um nicht das Risiko einzugehen, die Aufmerksamkeit eines Nachbarn, welcher nicht schlafen kann, auf sich zu ziehen. Nur ab und zu dringt der kalte Schein des Mondes durch die dunklen Wolken. Die Blätter der umstehenden alten Bäume rauschen, als wenn sie sich über den Ablauf des Geschehens aufregen würden.

    Während Anton schaufelt, drehen sich ihm die Gedanken im Kopf: Ist das richtig, was er tut? Hat seine Frau ihm wirklich die Wahrheit gesagt? Ist sie ihm treu geblieben? War sein alter Freund Hans wirklich ein gemeiner Frauenschänder? Er gräbt und gräbt, grübelt und zweifelt. Aber es nützt nichts. Selbst wenn Hilde ihn belogen hat — er muss die Sache jetzt zu Ende bringen.

    Da — war das nicht ein Geräusch?

    Wahrscheinlich nur der Wind. So, nun ist die Grube wohl tief genug. Aber — was ist das?

    Unversehens spürt Anton eine Hand von hinten auf seinem Rücken. Er verliert das Gleichgewicht und fällt in das Loch!

    Die schaurige Furcht, sein eigenes Grab geschaufelt zu haben, ist es, was ihm den Schmerz vergessen lässt und ihm die Kraft gibt, sich sofort wieder auf die Beine zu rappeln.

    »Wer... wer ist da?«, ruft er zitternd ins Dunkle.

    »Pst! Sei ruhig! Du wirst noch alles verderben! Ich bin es. Wer sonst?! Du Dummkopf!«

    »Hilde! Was ...?«

    »Ich komme extra an, um dich zärtlich zu umarmen und dir so Kraft zu geben, und du lässt dich einfach in die Grube fallen und schreist die ganze Nachbarschaft zusammen!«, beschwert sie sich.

    »Aber ... du hast mich doch hineingestoßen!«, sagt er verstört.

    »Gestoßen soll ich dich haben? Nu’ hör aber auf! Du bist doch der Gewalttäter hier! Du hast ihn doch kaltgemacht! Vergiss das nicht! Und jetzt hol ihn!«

    Anton gehorcht. Vorsichtshalber schleicht er noch einmal ums Haus, um zu überprüfen, dass sich in der Nachbarschaft nichts regt. Als er in das Wohnzimmer kommt, erstarrt er vor Schreck. Der Boden, auf dem vorhin noch die Leiche lag, ist leer!

    Sollte der Gewürgte am Ende doch nicht tot gewesen sein? Haben ihn die Lebensgeister nach dem Atemstillstand wieder gepackt und zu Kräften kommen lassen?

    Als seine Frau den Raum betritt, treibt diese ungeduldig an: »Was ist denn? Wo bleibst du denn?«

    »Er ... er ist... weg! Hilde, er ist verschwunden!«

    »Rede doch nicht so einen Unsinn, Mann! Hans ist schon vorne bei der Terrassentür. Ich habe ihn dahin geschleift, weil ich ihn hier nicht mehr liegen sehen konnte, und damit wir ihn nicht ums Haus tragen müssen, damit uns am Ende keiner sieht.«

    Vor der Terrassentür glotzen Anton die weit aufgerissenen Augen des Leichnams erwartungsvoll entgegen.

    »Ein schauriger Anblick!«, zögert er. Mit großer Überwindung schafft er es, die Lider zuzudrücken: »O Gott!«

    »Zuerst ihn töten, und dann stellst du dich so an! Soll er ewig hier liegen?!«, ereifert sie sich.

    »Ich mach’ ja schon.« Aber als er den Toten hochnimmt, springt das rechte Auge wieder auf! Anton lässt ihn erschrocken fallen.

    »Bist du nun ein Soldat oder nicht?! Der Augenmuskel ist noch gespannt. Na und!«

    Folgsam bückt er sich runter, packt die Leiche an den Armen und zieht sie sich auf den Rücken: »Tür auf! Oder soll ich das auch noch machen!«

    Frau Brunisch öffnet die Tür. »Los! Aber leise!«, zischt sie.

    Es geht über die Steinplatten, dann die Stufen hinab und auf den Rasen. Mit schweren Tretern stapft der Mann durch das feuchte Gras. Die Beine des Toten baumeln mit jedem Schritt willenlos hin und her. Anton atmet schwer unter der grausigen Last. Ihm ist, als ob Hans ihn mit sich nach unten drücken will. Seine

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