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Von einem Traum zum anderen
Von einem Traum zum anderen
Von einem Traum zum anderen
eBook164 Seiten2 Stunden

Von einem Traum zum anderen

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Über dieses E-Book

Jürgen ist der, der an der Autobahn steht und den Daumen hoch hält. Er ist der, der zwischendurch auf dem Bau jobbt und im Uhrengeschäft. Er ist der, der ganz plötzlich unbedingt nach Sizilien will. Das Meer will er sehen und wissen, warum immer hinten einer runterfallen muss, wenn vorne einer hochgekrabbelt ist. Jürgen ist der, der eben einfach nicht weiß, was er will.

Dieses authentische Erstlingswerk des bekannten Jugendbuchautors Reinhold Ziegler ist erstmals im Jahr 1982 erschienen. Wie kaum ein anderes Werk spiegelt es das Zeitgefühl der 70er und 80er Jahre wieder. Alles schien möglich, aber nichts war wirklich greifbar. Eine ganze Generation drohte zum Opfer ihrer eigenen Träume zu werden. Die Kritik verglich es oft mit Eichendorffs 'Aus dem Leben eines Taugenichts' und machte sich große Sorgen um den Zustand der Jugend allgemein.
SpracheDeutsch
Herausgeberepubli
Erscheinungsdatum18. Feb. 2015
ISBN9783737532624
Von einem Traum zum anderen
Autor

Reinhold Ziegler

Reinhold Ziegler schrieb über zwanzig Jahre Bücher für Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene. Viele seiner Romane und Erzählungen wurden mit Preisen ausgezeichnet. Bis zu seinem Tode im Jahr 2017 lebte er mit seiner Familie im Raum Aschaffenburg.

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    Buchvorschau

    Von einem Traum zum anderen - Reinhold Ziegler

    Reinhold Ziegler

    Von einem Traum zum anderen

    Erzählung

    Lektorat: Cornelia Krutz-Arnold

    Ich versuch mich jetzt oft zu erinnern, wie alles angefangen hat. War wohl irgendwann im Herbst - Oktober, November oder so. Es hat auch nie richtig angefangen. Es war einfach so, daß sie immer wieder gekommen ist, jede Woche, immer am Montag. Sie kam rein, nahm den Spiegel aus dem Regal, legte das Geld hin und ging wieder, Woche für Woche. Ich kann mich nicht erinnern, daß sie oft was gesagt hätte oder gelacht - ja, doch, vielleicht zu Claudi mal ab und zu ein Wort.

    Claudi ist meine Chefin, das kann man so sagen. Sie ist schon über sechzig, und ihr gehört der Schreibwarenladen, wo ich arbeite. Kein Job, mit dem man groß angeben könnte, Zeitschriften verkaufen und Hefte an Schulkinder, wirklich nicht, aber Claudi ist ’ne echt nette Frau. Wenn ich mal 'nen Morgen nicht aus dem Bett komm, schimpft sie nicht gleich los, auch wenn’s neun oder zehn wird. Ich war auch schon mal ’ne ganze Woche weg, hatte keine Lust. Wie ich wieder gekommen bin, hat sie bloß gesagt: »Ich kann’s dir aber nicht bezahlen, Jürgen.«

    »Is’ klar«, hab ich gesagt, »das nächstemal sag ich Bescheid.« Dann war die Sache vergessen. Normal wärste bei sowas schon draußen. In ’ner richtigen Firma mein ich, oder so.

    Wie ich mit 18 zu Hause raus bin, hab ich das auch erst alles lernen müssen. Zuerst bin ich immer ganz verrückt drauf gewesen, wenn’s viel Geld gab, hab mich echt kaufen lassen. Und dann mit meiner Steuerkarte. Ein Job unter dem anderen. Nie länger als ein, zwei Monate. Dazwischen ewig lang nichts. Ich hab einfach mein Geld aufgebraucht, bis ich nichts mehr zu essen hatte. Oder bis man mich aus dem Zimmer geschmissen hat, weil ich die Miete nicht mehr zahlen konnte. Dann bin ich in eine andere Gegend oder eine andere Stadt. Bruchsal, Pforzheim, Stuttgart. Der Laden von Claudi ist in Karlsruhe. Eigentlich Karlsruhe-Drosdorf. Das ist ein Stück außerhalb. Paar alte Häuser, die große Kirche, die Neubausiedlung und an der Hauptstraße auf die Stadt zu die Hochhäuser. Bei Claudi bin ich schon lange, über ein halbes Jahr.

    Ich wollte aber erzählen, wie sie jeden Montag gekommen ist. Irgendwann hab ich sie mal mehr bemerkt, mehr wie halt sonst alle, die so durchlaufen. Sie hatte irre Augen, groß, dunkel und sehr schnell, wenn sie so rumgeguckt hat. Meistens hatte sie Jeans an und ’nen Pullover. War ein hübscher Körper, den sie da verpackt hatte, und ich habe angefangen, mich danach zu sehnen. Mich danach zu sehnen, ihr durch ihr kurzes schwarzes Haar zu struwweln oder neben ihr zu liegen und sie zu fühlen.

    Bevor ich damals zu Hause raus bin, ist ’ne größere Sache in die Brüche gegangen, und seitdem war eigentlich nichts mehr. Nichts Richtiges. Ab und zu mal ’ne Zwischen-Tür-und-Angel-Bumserei, das hat aber mehr kaputt wie ganz gemacht.

    Es hat angefangen, daß ich mich gefragt habe, wie sie wohl ist. Innendrin mein ich jetzt, nicht im Bett. Ob sie, ich weiß nicht, wie soll man das sagen, ob sie lieb ist vielleicht. Nicht so arrogant oder zickig oder unterwürfig oder wie ich’s halt nicht mag. Einfach lieb, wie’s nicht viele gibt.

    Ich wollte sie immer mal fragen, ob wir nicht mal ’nen Kaffee trinken gehen könnten, oder ob sie mal Zeit hat. Aber irgendwie bin ich da zu schüchtern. Sie ist wohl auch zwei, drei Jahre älter, das hat mir auch nicht gerade Mut gemacht, obwohl’s ja saudumm ist.

    Nach ’ner Weile war der Montag der Tag, wo ich am liebsten zur Arbeit bin. Hab oft richtig gewartet, bis ich sie durchs Fenster über die Straße kommen sah. Manchmal hab ich mir auch was zurechtgelegt, was ich sag, aber spätestens, wenn an der Tür die Glocke gegangen ist, hatte ich keinen Mut mehr. Hab auch schon mal überlegt, ob ich ihr das Buch schenk, mit Charlie Brown und dem kleinen rothaarigen Mädchen, aber auch dazu hat’s nicht gelangt. Ab und zu ist sie auch sonst mal gekommen, weil sie was anderes gebraucht hat.

    Einmal, ich glaub, es war schon in diesem Jahr, hat sie ein Blatt gebracht und wollte fünfundzwanzig Kopien. Wir haben in einem kleinen Nebenraum einen Kopierer stehen. Ich bin da hin und hab das Blatt reingelegt und den Zähler auf 25 gestellt, da hat sie plötzlich in der Tür gestanden. Ich hab gedacht, jetzt sag ich was, weil sie auch so nett gelacht hat - ja, da hat sie wirklich mal gelacht -, hab aber dann bloß irgendeinen Scheiß geschwätzt, von wegen unsere Kopien wären halt doch ein bißchen teurer als in der Stadt und so. Das geht ja auch relativ schnell mit fünfundzwanzig Kopien, und wie sie wieder weg war und ich hatte wieder nichts rausgebracht, war ich völlig fertig. Ich hab dann zu Claudi gesagt, mir wär nicht gut, und bin gegangen. Erst bin ich in der Stadt rumgelaufen, aber dann doch nach Hause und hab mich aufs Bett gehauen und geheult.

    Ich hab dann den Croce aufgelegt. Jim Croce I got a name. Das ist genau die Platte, da denk ich an sie. Ihre Platte. Da war mal ’ne Sendung - bei uns im Geschäft läuft ewig das Radio -, und da kam ein Gruß: »Von Maria an einen Jürgen aus Drosdorf.« Und dann kam genau die Platte.

    Sicher, es gibt viele Jürgen in Drosdorf, ich wußte auch gar nicht, ob sie Maria heißt, aber ich hab’s mir mal eingebildet. Daß es von ihr war und für mich. Am selben Abend noch hab ich mir die Platte gekauft.

    Das ging über Monate so, weiß nicht mehr, wie lang. Ich hatt es eigentlich aufgegeben. Hab nur noch immer drauf gehofft, sie mal in ’ner Kneipe zu treffen. Ich war oft im Depot oder in der Tangente damals, das waren so Orte, wo man ziemlich billig seinen Frust löschen konnte. Sie war nie da.

    Es war Anfang Mai, kein Montag. Ich hatte sie nicht erwartet, aber sie stand plötzlich im Laden. Sie hat sich umgeschaut, irgendwas gesucht.

    »Was suchst du, kann ich dir helfen?«

    Sie hat mich ganz langsam, ganz von innen angeguckt. »Weiß nicht, hab’s vergessen.« Sie ist einfach wieder gegangen.

    Ich Idiot frag sie: »Was suchst du?« Gerade das, »was suchst du?«

    Am nächsten Tag ist ein Brief gekommen. War ziemlich komisch, hab nie Briefe gekriegt im Geschäft. Jürgen bei Schreibwaren Lohmann, Rheinstraße. Mußte ja ich sein, bin ja nur ich bei Claudi.

    Innendrin war ein Zettel: Ich weiß nicht, was ich suche. Mach’s gut.

    Hab sicher ’ne Weile gebraucht, bis ich überhaupt wußte, was Sache war. Dann war mir das schon klar, daß es nur von ihr sein konnte. Mir hat das Mut gegeben. Wenn ich mir das vorstelle, Mut hat mir das gemacht, nichts geahnt hab ich, kein bißchen. Hab die Claudi gefragt, ob sie sie kennt, die mit den kurzen schwarzen Haaren, die immer montags den Spiegel kauft.

    Mit Namen oder so hat sie sie nicht gekannt, aber daß sie mit ’nem Mofa morgens in die Stadt fährt. Wenn die Claudi in der Früh zum Laden ist, hat sie sie oft gesehen.

    Die Claudi hat auch gemeint, daß sie in den Hochhäusern wohnen muß, jedenfalls irgendwo die Richtung. Mir hat das Mut gemacht, der Zettel, und um sechs, wie wir den Laden zugemacht haben, bin ich mal so losgezogen in Richtung Hochhäuser. Wollte sie nicht eigentlich besuchen, hätte ja wohl auch kaum ’ne Chance gehabt, sie zu finden, nur mal da hin, mal da in die Nähe hin.>

    Schon von weitem hab ich das blaue Zucken zwischen den Betonblocks gesehen. Da hab ich zum ersten Mal ein bißchen Angst gekriegt.

    Mach’s gut, stand auf dem Zettel.

    Und ich bin losgerannt.

    Bin wie ein Verrückter hingerannt, und dann hab ich sie gesehen. Ganz zusammengekrümmt war sie auf der Bahre, wie sie sie gerade aus der Tür unten getragen haben. Und zwei sind gelaufen, vorn und hinten einer, und haben sie getragen, und einer hat eine Flasche hochgehalten, und eine Frau ist neben der Bahre her und hat geheult, und geschrien hat sie: »Maria, wach doch auf, was machst du denn, wach doch auf.« Und dann sind sie alle rein in den Notarztwagen, die Frau auch, und mit der Sirene sind sie dann davongefahren.

    Ich merke, wie ich in ein schwarzes Loch falle, und ich kann nicht schreien oder weinen, ich falle einfach, falle tiefer und tiefer.

    »Wo hat sie denn gewohnt?« hör ich mich sagen.

    Und jemand gibt mir Antwort, 711, eine Nummer zur Antwort.

    Ich fahre mit dem Aufzug in den siebten Stock, weiß nicht, was ich dort noch suche, 708, 709, blauer Teppichboden auf dem Gang, riesige Fenster am Ende, 710, 711. Die Tür steht einen Spalt offen, das Schloß ist ausgebrochen. Langsam drück ich die Tür auf. Innendrin zwei Polizisten, noch ein anderer Typ.

    »Ich bin ihr Freund«, sag ich ganz leise.

    Die drei drehen sich zu mir. Schweigen plötzlich, eisern, schauen mich an.

    »Wissen Sie schon irgendwas?« sagt einer schließlich, der ältere von den Bullen.

    Ich schüttel den Kopf, kann auf einmal gar nichts mehr sagen, jemand hält mich fest, wieder der Bulle, setzt mich irgendwo rein.

    Ein Bett, ein kleiner Tisch, ein Schrank wie aus einem Kinderzimmer, an der Wand Apfelsinenkisten mit Büchern und Kram, viele Bilder. Beim Fenster das Cover der Croce-Platte. Hier lebt sie also, hat sie gelebt.

    Der ältere Polizist zündet sich eine Zigarette an, gibt mir auch eine, gibt mir Feuer. »Tabletten, ein ganzer Haufen, wahrscheinlich schon gestern abend!«

    »Wir wollen gehen hier«, sagt der eine Typ, der wohl der Hausmeister ist. »Was machen wir mit der Katze?«

    Richtig, eine Katze. Schwarz-weiß, mit einem Stups auf der Nase. Sitzt ganz verängstigt neben mir in der Ecke.

    »Ich nehm sie mit«, sag ich und hol sie hoch. Sie zittert am ganzen Körper.

    Sie schauen sich an. »Na gut, geben Sie uns Ihre Adresse. Wenn Sie wollen, nehmen Sie sie, bis wir das andere regeln.«

    Es ist nachts um elf jetzt. Ich bin zu Hause, oder besser in dem Zimmer, wo ich seit fünf Monaten wohne. Es ist bei so’ner alten Frau, der ich lieber aus dem Weg gehe. Jedesmal, wenn sie mich sieht - ich muß bei ihr in der Wohnung durch den Flur-, läßt sie irgendeine Bemerkung fallen. Von wegen Musik zu laut, oder dem Licht nachts, wegen Strom, oder so. Aber das Zimmer kostet nur 150,- DM, und meistens kriegt sie ihre Miete pünktlich. Schade, daß nicht alle alten Frauen so sind wie Claudi.

    Ich hab nicht viel drin im Zimmer - von mir, mein ich. Ein Bett, ein Schrank und ein viel zu großer Schreibtisch waren schon drin, ein Nachttisch auch. Außerdem eine Kochplatte, ein Kühlschrank und in der Ecke ein Waschbecken. Von mir - an Möbeln, meine ich - ist eigentlich nur eine olle Kiste. Für mich ist das ein Möbel. Ich schleif sie seit bald drei Jahren mit rum, überall wo ich bin. Auf dem Speicher hab ich sie damals gefunden, als ich weg bin. Ist wohl ’ne Seekiste oder sowas. Recht massiv jedenfalls. Normal nehm ich die als Tisch, aber jetzt hab ich den Deckel runtergemacht und das Ding mit ein paar alten Zeitungen ausgepolstert, für die Katze.

    Die Frau, die unten beim Wagen dabei gewesen war, war ihre Mutter. Die hat ’nen Brief gekriegt, ist hingefahren und hat sie gefunden. Aus Rastatt kommt die. Die Bullen wollten da noch unheimlich viel wissen, aber ich hab ja selbst nichts gewußt, und wenn, was hätt ich denn sagen können. Irgendwann hab ich’s nicht mehr ausgehalten da. Hab gesagt, sie hätten ja jetzt meine Adresse, und bin einfach gegangen, die Katze immer noch auf dem Arm. Dann bin ich bei Claudi vorbei und hab Bescheid gesagt, daß ich nicht komm heut und morgen auch nicht. Sie hat natürlich gefragt, was los ist, aber ich hab bloß gesagt, es ist jemand gestorben, den ich kannte, und da hat sie wohl gemerkt, daß ich nichts reden will, und hat nicht weiter gefragt.

    Auf dem Rückweg hab ich noch für die Katze was zum Fressen gekauft, aber jetzt, wo ich ihr das auf meiner einzigen Untertasse vorsetz, will sie nichts. Ich glaube echt, die weiß, was passiert ist, ich bring auch nichts runter. Stundenlang geht das jetzt schon, daß ich hier sitz und mit der Katze rede. Zuerst ist sie durchs ganze Zimmer; jede Ecke hat sie beschnuppert, aber irgendwann ist sie zu mir aufs Bett gesprungen und liegt jetzt einfach da, hört mir zu.

    Ich überleg mir, warum ich eigentlich so fertig bin. Ich kannte die doch kaum. Maria Wilder, komisch, jetzt hat sie auf einmal einen Namen. Vorher war sie immer die mit den schwarzen Haaren oder mit den lieben Augen, aber jetzt hat sie einen Namen, jetzt, wo sie tot ist. Ich weiß nicht, was ich suche. Monatelang kommt sie jede Woche, monatelang, und sagt nichts. Da muß doch was gewesen sein, die hat doch nicht einfach so den Zettel geschrieben. Und gekommen ist sie vorher, muß ja direkt vorher gewesen sein. Zu mir ist sie gekommen und hat gesucht und wußte nicht, was. Sie hätte doch nur zu lachen brauchen oder irgendwas, was weiß ich. Aber ich hab schließlich den Mund auch nicht aufgebracht. Scheiße. Wenn ich Idiot gewußt

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