Der perfekte Mann für mich
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Über dieses E-Book
Beim späteren Studium in München scheint diese Welt der Kindheit in Vergessenheit zu geraten. Der neue Lebensabschnitt mit seinen Abwechslungen wie dem abendlichem Ausgehen, dem spielerischen, und zugleich leidenschaftlichen Umgang mit dem anderen Geschlecht und – natürlich nicht zu vergessen – den Pflichten des Studiums nimmt ihn voll in Anspruch.
Unvermittelt rüttelt ein Anruf aus Polen an seiner Sichtweise der Dinge: Ihm wird klar, dass das Leben seine eigene Regie führt und er lediglich eine Statistenrolle einer geschichtlichen Entwicklung spielt.
Michael M. Zagorowski
Michael, Jahrgang 1979, studierte zwischen 2001 und 2004 Internationales Steuerrecht in Villingen-Schwenningen, München und in Lyon. Seit 2005 lebt Michael in Zürich und arbeitete als Produktmanager für eine Vermögensverwaltungsgesellschaft. 2019 machte er sein Hobby zum Beruf, wurde Numismatiker und setzte einen Standard mit dem ersten numismatischen Index (NUMINDEX). Daneben textet er leidenschaftlich gerne.
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Buchvorschau
Der perfekte Mann für mich - Michael M. Zagorowski
Personen und Handlung dieses Buches sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen sind demnach zufällig.
Impressum
© 2012 Michael M. Zagorowski, Zürich
eBook-Erstellung: text + taler GmbH, Hamburg
Verlag: epubli GmbH, Berlin, www.epubli.de
ISBN 978-3-8442-2041-4
Erster Teil
I.
Lodz. Das ist die Stadt, deren Bild bis heute von roten Backsteinkaminen geprägt ist. Und von den dazugehörigen Fabriken, aus deren gusseisernen Fenstern der Lärm von Webstühlen schallt. Es ist der Ort, der seit Mitte des vorletzten Jahrhunderts das halbe Polen mit Stoffen und Garn versorgt hatte und wegen seiner Textilindustrie das Manchester des Ostens genannt wurde. In dieser Stadt fängt meine Geschichte an und es ist somit eine polnische Geschichte.
In den späten siebziger Jahren bin ich in Lodz zur Welt gekommen. Dort wuchs ich zwischen all den grauen Plattenbauten und roten Backsteinfabriken des neuen, aufstrebenden Stadtteils Widzew auf. Meine Eltern waren hierhergezogen, nachdem sie als Dank für ihre Arbeit und ihr Engagement für den Sozialismus eine Einraumwohnung zugeteilt bekommen hatten. Zuvor wohnten sie mit dem 75-jährigen Großonkel meines Vaters zusammen und schrieben einmal wöchentlich seitenlange Anträge an die Stadtverwaltung, in denen sie ihren Nutzen für und ihre Abhängigkeit von der Stadt darlegten. Nach knapp drei Jahren hartnäckiger Überzeugungsarbeit schenkte ihnen der Stadtteilpräsident endlich Glauben und ihr Name wurde auf eine Warteliste für Eineinhalb-Zimmer-Appartements gesetzt. Das zusätzliche halbe Zimmer war übrigens das Bad.
Die Freude über die zugeteilte Wohnung in der Plattenbausiedlung war selbstverständlich riesig, da meine Mutter zu dieser Zeit bereits schwanger war. Dessen ungeachtet wurde das Glücksgefühl einen halben Monat nach dem Umzug getrübt. Der gebrechliche Großonkel verstarb unglücklicherweise, wodurch seine Zweiraumwohnung frei wurde, doch nach dem vollzogenen Auszug konnte man sich nicht mehr bei der Genossenschaft darauf berufen, das Wohnrecht als Untermieter geltend machen zu wollen. Schließlich zog in die Wohnung des Großonkels ein älteres Pärchen mit einem durchgeknallten Rottweiler ein, der sämtliche Nachbarn von morgens bis nachts mit seinem Bellen terrorisierte. Manchmal gar mit seinen scharfen Zähnen, wenn die Nachbarn es wagten, ihre Wohnung zu verlassen, während er Gassi ging. Wobei die Nachbarn den Dreh recht schnell rausbekamen und das Haus einfach nicht mehr so oft verließen. Dieser Lauf der Dinge wird meine Mutter wenigstens über die entgangene Gelegenheit hinweggetröstet haben – gleichwohl konnte sie sich nie damit anfreunden.
Lodz war eine sehr angenehme Stadt und ich wohnte dort liebend gerne. Meine ersten Erinnerungen an diesen Ort sind noch aus den frühen achtziger Jahren, ich werde damals wohl zwischen fünf und sechs Jahre alt gewesen sein. Vor dem Plattenbau hatten wir zusammen mit den Nachbarskindern einen wunderbaren Spielplatz, dessen Besuch jeden Spätnachmittag aufs Neue den Höhepunkt des Tages markierte. Der Spielplatz bestand aus einer rotgelb gestrichenen Schaukel, einem schwarzen Schotterwegund einem Klettergerüst, dessen hellgrüne Ölfarbe die vorangegangenen Generationen recht stark beansprucht hatten, denn unter den übrig gebliebenen Farbresten konnte man das rötlich glänzende Metall erkennen. Aber in diesen Jugendtagen war uns der Zustand des Spielplatzes völlig egal. Worauf meine Freunde und ich hingegen achteten, das weiß ich noch ganz genau, war der mit schwarzem Schotter bedeckte Boden: Zu oft haben meine Knie Bekanntschaft mit dessen Steinen gemacht und der pochende Schmerz trieb mich heulend über die Treppen in den fünften Stock des Hauses. Und zu oft hat meine Mutter Jod aus dem Medizinschrank geholt und mir damit die Steine aus der blutenden Wunde getupft, als dass ich die gnadenlos brennende Qual aus meinem Gedächtnis löschen oder zumindest verdrängen könnte.
Trotzdem sind die Jahre in der Plattenbausiedlung eine sehr schöne Zeit gewesen und die sozialistische Spielanlage hat uns Kinder glücklich gemacht. Sie war der Treffpunkt und der Ausgangspunkt aller abgefahrenen Ideen, an denen es uns niemals fehlte. An gewöhnlichen Werktagen trafen wir die Nachbarskinder auf dem Spielplatz und schmiedeten strategische Pläne für den Restnachmittag. Diese konnten durchaus intelligenter Natur sein und gingen weit über Schurke und Milizbeamter hinaus. Zumindest manchmal.
Allerdings kommt einem in diesem Alter Unsinn in den Sinn, ohne dass man großartig darum bitten oder sich anstrengen muss. Abgesägte Kastanienbaumäste stellten nur ein kleines Problem dar, verglichen mit den Eltern der Freunde, die sich bei meinem Vater darüber beklagten, dass ihr Sohn zur Zeit des Sägens auf der falschen Seite des Astes saß und er daher die Newton’sche Gravitationstheorie am eigenen Leibe habe erfahren dürfen.
Meine Eltern waren beide berufstätig. In den achtziger Jahren war es in Polen überhaupt kein Problem, eine Anstellung zu bekommen. Meine Mutter brachte mich täglich um kurz nach sieben Uhr morgens in den Kindergarten und mein Vater holte mich nach vier Uhr nachmittags ab. Ab dem Alter von sechs Jahren besuchte ich die Vorschule, während meine Eltern auf der Arbeit waren.
Ich war besonders stolz darauf, ein Schlüsselkind zu sein, denn es gehörte eine gewisse Portion Selbstständigkeit und Vertrauen dazu, den Wohnungsschlüssel um den Hals tragen zu dürfen. Nur wenige meiner Klassenkameraden kamen in den Genuss dieses Privilegs und wir verstanden uns als eine zusammenhaltende und überlegene Clique. Wenn wir nach dem Unterricht wieder zu Hause waren, ließ unser Stolz jedoch massiv nach, da wir unsere Schulaufgaben erledigen mussten und alleine bis vier Uhr auf einen Elternteil zu warten hatten. Erst dann durften wir wieder raus auf den Spielplatz vor dem Haus und in die Straßen mit den braunroten Fabriken.
Der Anblick von roten Backsteinhäusern ist mir bis heute angenehm und wenn ich von anderen höre, dass sie von Plattenbausiedlungen nicht besonders angetan sind, ist mir das unverständlich. Optisch betrachtet finde ich sie unheimlich stylisch und ansprechend. Als wir zu jener Zeit in einer solchen Anlage wohnten, wäre niemand auf die Idee gekommen, etwas an den Lebensumständen dort auszusetzen. Schließlich gab es genügend Bekannte in anderen Stadtteilen, die keine funktionierende Kanalisation besaßen und das Wasser auf dem Ofen erwärmen mussten. In Widzew zu wohnen bedeutete Fortschritt und stand stellvertretend für das junge, aufstrebende Polen. Vielleicht haben gerade aus diesem Grund in unserem Haus größtenteils die jüngeren Jahrgänge gewohnt.
Größtenteils, wohlgemerkt. Denn im ersten Stock der Gemeinschaft fristete eine ältere Witwe ihr Dasein. Ihr Mann starb im Ersten oder Zweiten Weltkrieg und abgesehen von ihrem Sohn, der sie einmal monatlich besuchte und um Geld für Alkohol anpumpte, waren die Tauben auf dem Hof ihre einzigen Lebensbegleiter. Ihre ungeheuer faltigen Gesichtszüge, die von dunkelbraunen Flecken gefärbte Haut und das lange, ungekämmte weiße Haar führten dazu, dass ich sie in meiner kindlichen Leichtsinnigkeit auf etwa 150 Jahre schätzte. Von meinen Spielkameraden wird sie in einem ähnlichen Alter eingeordnet worden sein, da wir zum einen in ihrer ehrfurchtsgebietenden Gegenwart alle leise wurden und uns kaum trauten, uns zu bewegen. Zum anderen fürchteten wir ihren Blick wie der Teufel das Weihwasser und zollten ihr einen Heidenrespekt. Ich weiß nicht mehr, ob es an ihrer über Jahrhunderte erworbenen Weisheit lag, die man ihr deutlich ansah, oder doch an der Tatsache, dass sie einen für unsere damaligen Größenverhältnisse riesigen Krückstock besaß und wir schlicht nur Schiss hatten, mit diesem bei Ungehorsam einen übergebraten zu bekommen.
Wenn die Dame spätnachmittags mit ihren Einkäufen nach Hause ging und an unserem Spielplatz vorbeilief, verbeugten wir uns alle tief und wünschten ihr einen erholsamen Abend. Kaum war sie hinter der Haustüre verschwunden, rannten wir, die wir noch vor wenigen Augenblicken die Höflichkeit in Person waren, weg und riefen uns, so laut wie es uns die Kehlen ermöglichten, zu: »Rennt schnell weg, bevor die Hexe wieder rauskommt und uns mit nach Hause nimmt!«
Manchmal hallten die Warnungen recht lange durch die Plattenbausiedlung und die halbe Nachbarschaft durfte zur Kenntnis nehmen, dass Frau Kowalski mit ihren Einkäufen in ihrer Wohnung angekommen war. Wenn unser Gekreische laut genug war und selbst Mutter es wahrnahm, durfte ich mir am Abend stundenlange Vorträge über Anstand und Respekt anhören. Gleichwohl wird sie die furchtlosen Schreie durch die Nachbarschaft mit einem Schmunzeln aufgenommen haben, denn ich musste niemals versprechen, zukünftig darauf zu verzichten.
Diese wunderbaren und nie langweiligen Tage machten die Lodzer Wohnanlage zu einem idyllischen Ort.
II.
Wenn ich heute an meine Kindheit zurückdenke, verknüpfe ich den größten Teil dieses Zeitraums mit der Wohnsiedlung in Widzew. Sie war mein Mikrokosmos, in dem sich das Leben abspielte und man die täglichen Abläufe nicht in Frage stellte. Die sich wiederholenden Vorgänge ergaben eine Konstanz, die ein Kind für sein Wohlbefinden braucht. Im Herbst verbrachte ich die Freizeit auf dem Spielplatz mit dem schwarzen Schotter, im Winter verabredete ich mich morgens mit meinen Klassenkameraden in der Schule und traf sie nachmittags bei ihnen oder bei mir zu Hause.
Ab dem siebten Lebensjahr besuchte ich die Volksschule Nummer 5, die in den späten sechziger Jahren erbaut und nach einem linientreuen Polen benannt worden war. Seinen Namen weiß ich nicht mehr, er wird in die damalige Ideologie der Volksrepublik gepasst haben. Es ist eigenartig, welche Probleme ein Kind bewegen und woran man sich auch über die zeitliche Distanz hinweg zu erinnern vermag. Gut möglich, dass mir ein banales Detail wie die mit knallgelber Ölfarbe gestrichenen Wände der Schule gerade deshalb noch heute vor Augen sind, weil sie mit meinem Ästhetikbewusstsein nicht im Einklang stehen oder weil sich die helle