Der Tartuffe
Von Sigrid Behrens
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Buchvorschau
Der Tartuffe - Sigrid Behrens
Molière
Der Tartuffe oder Der Betrüger
(Le Tartuffe ou l'imposteur)
Aus dem Französischen von Sigrid Behrens
Ausführliche Informationen über unsere Autoren und Theatertexte finden Sie unter www.dreimaskenverlag.de
Copyright © Drei Masken Verlag GmbH, Herzog-Heinrich-Straße 18, 80336 München
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5 D | 7 H
Personen
MADAME PERNELLE, Orgons Mutter
ORGON, Elmires Ehemann
ELMIRE, Orgons Ehefrau
DAMIS, Orgons Sohn
MARIANE, Orgons Tochter und Geliebte des Valère
VALÈRE, Marianes Geliebter
CLÉANTE, Orgons Schwager
TARTUFFE, Heuchler
DORINE, Marianes Zofe
MONSIEUR LOYAL, Gerichtsvollzieher
Ein Gesandter des Königs
FLIPOTE, Dienerin der Madame Pernelle
Ort der Handlung ist Paris.
1. AKT
Szene I
MADAME PERNELLE und FLIPOTE, ihre Dienerin. ELMIRE. MARIANE. DORINE.
DAMIS. CLÉANTE.
MME PERNELLE
Gehen wir, Flipote, gehen wir, damit ich endlich von hier wegkomme.
ELMIRE
So schnell, wie Ihr geht, kommt man ja gar nicht hinterher!
MME PERNELLE
Lasst gut sein, Schwiegertochter, begleitet mich nicht weiter – solche Förmlichkeiten kann ich gerade überhaupt nicht gebrauchen.
ELMIRE
Ehre, wem Ehre gebührt! Doch sagt mir, Mutter, warum nur wollt Ihr so rasch fort?
MME PERNELLE
Weil ich diese Zustände hier einfach nicht ertrage, und weil sich hier niemand darum kümmert, ob sie mir gefallen! Ganz genau, ich gehe ziemlich entrüstet von Euch: Was immer ich sage, mir wird widersprochen, nichts wird respektiert, jeder ist anmaßend – Hier geht es wirklich zu wie auf dem Hofe von König Knall!
DORINE
Wenn –
MME PERNELLE
Für so eine Zofe habt Ihr, meine Gute, ein reichlich großes Maul. Und unverschämt seid Ihr obendrein! Zu allem gebt Ihr Euren Senf dazu.
DAMIS
Aber –
MME PERNELLE
Ihr, mein Junge, seid ein Dummkopf, wie er im Buche steht – das sage ich Euch als Eure Großmutter, die ich bereits meinem Sohn, Eurem Vater, tausendmal vorhergesagt habe, dass Ihr sehr viel Ähnlichkeit mit einem Taugenichts habt und ihm zeitlebens nur Kummer bereiten würdet.
MARIANE
Ich glaube –
MME PERNELLE
Mein Gott, seine Schwester, Ihr tut so harmlos und sanftmütig, als könntet Ihr keiner Fliege etwas zuleide tun! Dabei weiß jeder, dass die stillen Wasser die schlimmsten sind, und im Verborgenen führt Ihr Dinge im Schilde, die mir überhaupt nicht gefallen.
ELMIRE
Aber meine Mutter –
MME PERNELLE
Beste Schwiegertochter, nehmt es mir nicht übel, aber Euer Verhalten ist in jeder Hinsicht schlecht; Ihr müsstet ihnen doch mit gutem Beispiel vorangehen! Ihrer verstorbenen Mutter ist das weit besser gelungen … Ihr hingegen seid verschwenderisch, und es kränkt mich ungemein, dass Ihr hier wie eine Prinzessin gekleidet herumlauft. Eine, die nur ihrem Ehemann gefallen will, Schwiegertochter, die braucht sich bestimmt nicht so herauszuputzen.
CLÉANTE
Aber Madame, bedenkt doch –
MME PERNELLE
Was Euch, ihren Bruder, betrifft, so schätze ich Euch sehr, liebe und verehre Euch; wäre ich allerdings mein Sohn, ihr Gatte, ich bäte Euch eindringlich, uns nicht mehr zu besuchen. Ständig predigt Ihr Grundsätze fürs Leben, die ehrbare Menschen niemals befolgen sollten. Ich spreche frei heraus, so bin ich eben – wenn mir etwas auf der Seele brennt, nehme ich kein Blatt vor den Mund.
DAMIS
Da hat es Euer Herr Tartuffe aber gut getroffen …
MME PERNELLE
Das ist in der Tat ein guter Mensch, auf den man hören sollte, und es macht mich wütend, mit anzusehen, wie er von einem Verrückten wie Euch lächerlich gemacht wird.
DAMIS
Bitte? Soll ich etwa erdulden, dass sich ein miesepetriger Heuchler in diesem Hause breitmacht und seine tyrannische Herrschaft errichtet, auf dass wir uns an gar nichts mehr erfreuen dürfen, solange es dem feinen Herrn nicht beliebt?
DORINE
Hörte man auf ihn und glaubte seinen Grundsätzen, jede Handlung wäre schon eine Straftat; alles kontrolliert er, dieser übereifrige Kritiker –
MME PERNELLE
– und alles, was er kontrolliert, ist seine Kontrolle auch wert. Sein Ziel ist es, Euch den Weg des Himmels zu weisen! Mein Sohn sollte Euch beibringen, ihn zu mögen.
DAMIS
Nein! Versteht doch, Großmutter, dass weder ein Vater noch irgendetwas mich dazu bringen wird, ihm wohlgesonnen zu sein – ich verriete mein Herz, würde ich anders sprechen. Über sein bloßes Benehmen kann ich mich jedes Mal aufregen. Ich ahne es schon, irgendwann werde ich mit diesem Plattfuß gehörig aneinander geraten.
DORINE
Im Übrigen ist es doch wirklich skandalös, wie sich hier ein Wildfremder zum Hausherren aufschwingt – ein Habenichts, der, als er kam, keine Schuhe besaß und dessen gesamte Kleidung gerade mal sechs Heller wert war! Dass es so einem gelingt, sich derart zu verkennen, über alles hinwegzugehen und den Herren zu spielen –
MME PERNELLE
Ja, Gottlob! Die Dinge lägen weit besser, wenn sich alle an seine frommen Befehle hielten.
DORINE
In Eurer Phantasie habt Ihr es offenbar mit einem Heiligen zu tun … Dabei ist sein ganzes Wesen, glaubt mir, die reinste Heuchelei –
MME PERNELLE
Hütet Eure Zunge!
DORINE
Weder ihm noch seinem Laurent würde ich trauen, es sei denn, ich hätte einen sehr guten Bürgen zur Hand.
MME PERNELLE
Über seinen Diener weiß ich im Grunde nichts, dafür bürge ich für seinen Herren als einen ganz hervorragenden Menschen. Ihr wollt ihm doch nur Schlechtes und weist ihn ab, weil er jedem von euch die Wahrheit ins Gesicht sagt! Die Sünde ist es, gegen die sein Herz in Zorn gerät, das Anliegen des Himmels allein ist es, was ihn antreibt.
DORINE
Mag sein, nur: Weshalb erträgt er es neuerdings nicht mehr, dass irgendjemand hier verkehrt? Wie kann ein ehrlicher Besuch den Himmel so kränken, dass man darüber in ein derartiges Geschrei verfällt und uns allen hier die Ohren abfallen? Darf ich einmal sagen, was ich darüber denke, ganz unter uns? Ich glaube, er ist wegen Madame – nun ja: eifersüchtig.
MME PERNELLE
Haltet den Mund – und passt auf, was Ihr sagt. Er ist nicht der einzige, der diese Besuche nicht gutheißt. All der Lärm, der von den Leuten ausgeht, mit denen Ihr verkehrt, all die Kutschen, die pausenlos vor der Tür stehen, dazu Ansammlungen von kreischenden Lakaien, all das ist dieser Nachbarschaft ein Dorn im Auge. Ich will gerne glauben, dass da im Grunde nichts passiert, aber man spricht darüber, und das ist nicht gut.
CLÉANTE
Ja, wollt Ihr denn, Madame, tatsächlich verhindern, dass man plaudert? Das wäre wahrlich eine unerfreuliche Sache im Leben, wenn man angesichts all der dummen Reden, die über einen geschwungen werden, auf seine besten Freunde verzichten sollte! Und selbst wenn es einem gelänge, glaubt Ihr wirklich, Ihr brächtet die ganze Welt zum Schweigen? Gegen üble Nachrede ist keiner gefeit … Kümmern wir uns also nicht um die dummen Lästermäuler, sondern bemühen wir uns darum, ein anständiges Leben zu führen – und lassen wir die Schwätzer schwätzen, so viel sie lustig sind.
DORINE
Daphné, unsere Nachbarin, und ihr kleiner Gatte – sind es nicht vielleicht die beiden, die so schlecht über uns sprechen? Die, deren eigenes Verhalten das lächerlichste von allen ist, sie sind immer die ersten, die über andere herziehen! Kaum ahnen sie auch nur den leisesten Schimmer einer Zuneigung, schon ergreifen sie die Gelegenheit und versäumen es nicht, die Neuigkeit freudig zu verbreiten und die Sache so hinzubiegen, wie es ihnen gerade passt! Genüsslich tauchen sie das Verhalten dritter in ihre Farben und meinen, damit ihr eigenes Tun zu rechtfertigen, spekulieren auf irgendwelche Ähnlichkeiten, die ihre eigenen amourösen Verwicklungen verharmlosen würden und bilden sich ein, der öffentliche Tadel, mit dem sie längst überhäuft sind, könnte womöglich andere treffen als sie selbst –
MME PERNELLE
Solche Überlegungen tun nichts zur Sache. Nehmt zum Beispiel Orante, von der jeder weiß, dass sie ein vorbildliches Leben führt: Ihr ganzes Trachten gilt dem Himmel. Nun, ich habe mir sagen lassen, dass auch ihr das Treiben hier ganz und gar nicht gefällt.
DORINE
Das Beispiel ist bemerkenswert, denn, Gott!, was ist diese Dame nicht gut! Es ist wahr, dass sie ein enthaltsames Leben führt, allerdings war es das Alter, das ihr das glühende Verlangen danach eingegeben hat – man weiß doch, dass diese Enthaltsamkeit ihren Körper viel kostet! Solange es ihr noch möglich war, den Herzen Schmeicheleien zu entlocken, hat sie die Vorteile reichlich zu nutzen gewusst; allein, seit ihr Glanz zu verblassen beginnt, da will sie der Welt, die sie hinter sich lässt, lieber entsagen, um mit dem pompösen Schleier höchster Weisheit die Schwäche ihrer verbrauchten Züge zu verbergen – so gehen die Koketten von einst mit der Zeit: Es fällt ihnen schwer, mit anzusehen, wie die Reihen der Verehrer ausdünnen, und derart zurückgelassen sieht ihre dunkle Verzweiflung keinen anderen Weg als den der Prüderie. Die Strenge dieser ach so guten Damen verurteilt alles und verzeiht nichts. Lauthals tadeln sie das Leben selbst, nicht etwa aus Nächstenliebe, oh nein! Aus purem Neid, der es einfach nicht erträgt, dass andere jenen Freuden nachgehen dürfen, um die das zunehmende Alter ihre Sehnsüchte gebracht hat …
MME PERNELLE
Da sieht man mal, was für Ammenmärchen es braucht, um Euch zu gefallen! Meine Schwiegertochter, bei Euch ist unsereins zum Schweigen gezwungen, weil Madame, wo es ums Tratschen geht, das Zepter den lieben langen Tag fest in der Hand behält. Höchste Zeit, dass endlich ich das Wort ergreife! Ich sage Euch, dass mein Sohn in seinem Leben nichts Klügeres getan hat, als diesen ergebenen Menschen bei sich aufzunehmen; dass der Himmel diesen gerade zur rechten Zeit hierher geschickt hat, um Euch allen Eure verwirrten Gemüter zurechtzurücken; und dass Ihr ihn, um Eurer aller Seelenheil willen, anhören solltet, weil er nichts tadelt, was nicht zu tadeln wäre. All diese Besuche, diese Bälle, dieses Salongeplauder sind nichts anderes als Erfindungen des bösen Geistes. Nie hört man hier fromme Worte, stets sind es flüchtige Reden, Lieder und Hirngespinste – wie oft bekommt der Nächstbeste sein Fett weg, während über dritte und vierte auch noch hergezogen wird! Kein Wunder, dass zu guter Letzt sogar verständige Leute verwirrt sind von dem Durcheinander solcherlei Versammlungen! Da entsteht in kürzester Zeit tausendfaches Geschwätz, und wie es neulich ein Gelehrter so richtig bemerkte, es verhält sich dabei tatsächlich wie beim Turmbau zu Babel: Jeder faselt pausenlos etwas vor sich her, um dann irgendwann endlich die Geschichte zu erzählen, die ihn überhaupt auf die ganze Faselei gebracht hat – Lacht der Herr etwa schon wieder? Dann sucht Euch gefälligst andere Verrückte, die Euch so zum Lachen bringen, denn sonst – Lebt wohl, Schwiegertochter, ich habe alles gesagt. Und wisst, dass Ihr mir alle gestohlen bleiben könnt – ich komme wieder, sobald der Fluss gelernt hat, zur Quelle zu fließen. (gibt Flipote eine Ohrfeige) Jetzt aber! Ihr träumt ja mit offenem Mund! Himmelherrgott, Euch werde ich aber die Ohren lang ziehen. Ab mit Euch, Schlampe, Marsch!
Szene II
CLÉANTE. DORINE.
CLÉANTE
Ich mag ihr nicht nachgehen – sie wird doch nur weiter über mich herziehen, und dieses gute Weib –
DORINE
Ach wie schade, dass Eure Worte sie gerade nicht erreichen, sie würde Euch bestimmt gerne sagen, wie gut sie Euch findet – und dass sie noch lange nicht alt genug ist, um Weib genannt zu werden.
CLÉANTE
Wie sie sich wieder grundlos über uns aufgeregt hat! Und wie besessen sie von ihrem Tartuffe ist!
DORINE
Oh! Und dabei ist das noch gar nichts, verglichen mit dem Verhalten ihres Sohnes – wenn Ihr den gesehen hättet, Ihr würdet sagen: Der ist noch schlimmer … Während der Unruhen hat er den besonnenen Mann gegeben, und um seinem König zu dienen, zeigte er sich mutig; dabei ist er nachgerade stumpfsinnig geworden, seit er von Tartuffe besessen ist: Er nennt ihn seinen Bruder und liebt ihn aus tiefster Seele, hundertmal mehr als Mutter, Sohn, Tochter und Frau. Ihm allein vertraut er seine Geheimnisse an, er ist es, der seine Schritte lenkt; er umhegt und verhätschelt ihn, ich glaube, einer Geliebten könnte man kaum mehr Zärtlichkeit entgegenbringen. Bei Tisch soll er immer den Ehrenplatz besetzen, mit Freuden sieht er, wie er für sechs isst, die besten Stücke sind für ihn reserviert, und wenn er endlich rülpsen muss, sagt er nur Gott helfe Euch – Mit anderen Worten: Er ist verrückt nach ihm, er ist sein Alles, sein Held; er bewundert ihn ohne Unterlass, zitiert ihn bei jeder Gelegenheit, was immer er tut, ihm erscheint es als Wunder, und jedes Wort, das er spricht, tönt in seinen Ohren wie ein Orakel. Und Tartuffe? Der kennt seinen Narren wohl und nutzt ihn aus, wo er nur kann, er versteht es blendend, ihn mit hunderten von Tricks bei der Stange zu halten; seine Scheinheiligkeit vergrößert stündlich ihren Gewinn und nimmt sich heraus, jede einzelne unserer Handlungen zu bekritteln. Es geht