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Serenus II: Roman Teil 2
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eBook248 Seiten3 Stunden

Serenus II: Roman Teil 2

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Über dieses E-Book

Weshalb gibt ein Mann in den Dreißigern die Suche nach der Liebe auf? In welche Sackgasse führt ihn seine Sexualität? Wie viel von der weiblichen Seele bleibt dabei noch übrig? Teil Eins endete damit, dass Serenus eine langjährige Liebe verliert. Teil Zwei beginnt mit seiner gescheiterten Ehe, dem Tod der Mutter und dem Verrat, den seine neue Gefährtin und sein bester Freund zusammen begehen. Bei der jungen Prostituierten namens Alba hätte es für Serenus vielleicht eine Chance gegeben. Stattdessen verfolgt er ein Kind mit seiner Gier nach sexueller Lust. Später fixiert er sich ganz auf seine schöne Nachbarin. Allerdings wird diese nie erfahren, dass sie monatelang aus dem Haus gegenüber observiert wird. Als Serenus schon in die mittleren Jahre kommt, kehrt Alba, inzwischen geschiedene alleinerziehende Mutter, zurück. Bekommt er eine zweite Chance? Auch bei diesem Buch von Raya Mann besorgte Nina Eisen das Lektorat.
SpracheDeutsch
Herausgeberepubli
Erscheinungsdatum12. März 2019
ISBN9783748519836
Serenus II: Roman Teil 2

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    Buchvorschau

    Serenus II - Raya Mann

    Die Ehefrau 1995 – 1999

    Mitte Dezember brachte ein früher Winter zuerst Frost und Glatteis, ein paar Tage später dann Mengen von Schnee. Es dämmerte bereits, als Serenus an einem Freitagnachmittag zu Fuß durch den Schneematsch nach Hause stapfte. Aus dem Supermarkt in seiner Straße besorgte er sich ein paar Kleinigkeiten und bevor er zur Kasse ging, tat er noch eine Flasche Doppelkorn in den Einkaufskorb. Zu Hause im Tiefkühlfach lagen die Eiswürfel vom letzten Sommer. Er wurde schnell betrunken und auf einmal fand er, es sei eine gute Idee, Sabina einen Brief zu schreiben, also holte er seinen Füllfederhalter und Briefpapier.

    Serenus hatte Bina fünf Jahre lang geliebt. Im Juni hatten sie beide ihr Studium abgeschlossen und zum Ende des Sommers kam plötzlich die Trennung. Bina war für zwei Monate verreist und hatte nichts mehr von sich hören lassen, auch nicht, nachdem sie zurückgekehrt war. Er wusste nicht einmal, dass sie zum ersten September eine Stelle an der Uni angenommen hatte. Dass Bina für ihre Beziehung keine Zukunft mehr sah, war für ihn unerwartet gekommen. Der Verlust war ein Schock gewesen. Serenus wusste, was da auf ihn zukam. Das Leid lag auf der Lauer, das hatte er die ganze Zeit gefühlt. Aber er redete sich ein, dass es am Anfang einer neuen Lebensphase Wichtigeres gab als Liebeskummer.

    Jetzt setzte das Leid zum Sprung an und stürzte sich auf ihn. Der Angriff traf ihn mit voller Wucht. Er vermisste Bina. Er hatte sie schon die ganze Zeit vermisst. Sein Körper begann zu zittern, die Tränen liefen ihm übers Gesicht, er senkte seinen Kopf auf das Briefpapier und fing an zu weinen, bitterlich und hemmungslos. Er glaubte, er würde nie wieder damit aufhören können.

    Zwei Tage später fiel ihm das Hanföl ein, welches er an Weihnachten vor vier Jahren in Amsterdam gekauft hatte. Er erinnerte sich an die kleine Dose aus dunklem Glas, wie Apotheker sie früher als Gefäß für Salben verwendeten. Heute, am ersten Advent, war genau der richtige Zeitpunkt dafür. Hanföl bereitete keine Umstände. Man nahm eine Messerspitze davon und bestrich eine gewöhnliche Zigarette damit, die man sogleich anzünden konnte. Er lief schnell zur Kneipe an der Kreuzung, um sich ein Päckchen zu besorgen. Dann stieg er auf den Küchenstuhl und suchte oben hinter den Gewürzen. Die kleine Dose aus sepiafarbigem Glas war klebrig und staubig. Zuerst säuberte er sie, dann schraubte er den Deckel ab. Der Inhalt sah aus wie Waldhonig, stank aber eindringlich nach Haschisch. Er präparierte eine Zigarette, rauchte sie und wartete. Nach einer halben Stunde rauchte er eine zweite mit der gleichen Dosierung. Als er schon nicht mehr damit rechnete, setzte die Wirkung ein.

    Er war wieder mit Bina im Urlaub in der Ardèche. Sie saßen an einem der Gartentische vor dem Gasthaus Chez David mitten im lauschigen alten Dorf Aiguèze. Er war dabei, ihr zur erklären, dass ihre Unzugänglichkeit und seine Langeweile einen Teufelskreis bildeten. Er wollte sie anflehen, ihn wissen zu lassen, was in ihrem Inneren vorging. Sie sah ihn an wie eine Fremde, die kein Wort in seiner Sprache verstand. An ihrem Blick erkannte er, in welch sinnloses Unterfangen er sich gerade verstrickte. Weil sie ihm so fremd war, gefiel sie ihm, warb er um sie, bekam er niemals genug von ihr. Und sie setzte voraus, dass er sie liebte, weil sie so war, wie sie war, so fremd und nicht anders. Wollte er wirklich von ihr verlangen, dass sie zutraulicher, nachdenklicher und mitteilsamer sein sollte? Aber dann wären sie nicht mehr Bina und Serenus, sondern sie wären ein anderes Paar, von dessen Liebe sie nichts wissen konnten.

    Während der Weihnachtszeit und über den Jahreswechsel hinaus wendete Serenus das Hanföl täglich an. Wenn er ihm vor dem Einschlafen zugesprochen hatte, fühlte er sich anderntags erlöst und lebensfähig. Er kam sich vor wie ein Gevierteilter, dessen Körper zusammengesetzt und komplett wiederhergestellt worden war. Er teilte sein Hanföl umsichtig ein, denn er wollte keinen neuen Stoff besorgen, wenn die kleine Glasdose eines Tages leer sein würde. Am Neujahrsnachmittag, als er gerade den ersten Joint anstecken wollte, erlebte er eine Überraschung. Das Telefon klingelte und Ralf erklärte etwas umständlich, dass sie sich ja seit dem Examen weder gesehen noch gehört hätten und dass er sich mal melden und sich nach ihm erkundigen wollte.

    „Ach ja, und meine Glückwünsche zum neuen Jahr wollte ich dir bei der Gelegenheit auch bestellen."

    Ralf hatte den gestrigen Abend auf Anjas Silvesterparty verbracht. Die Hälfte der Gäste waren Kommilitonen ihres Jahrgangs, die sich zum ersten Mal wiedersahen. Es wurden dementsprechend Gerüchte und Tratschgeschichten verbreitet, aber niemand wusste, ob Serenus auf dem Arbeitsmarkt oder auf dem Arbeitsamt gelandet war, ob er und Bina inzwischen einen gemeinsamen Hausstand gegründet oder ob sich ihre Wege getrennt hätten. Anja meinte sogar gehört zu haben, dass Serenus weggezogen sei, in eine andere Stadt oder sogar ins Ausland. Er war ganz gerührt von der Vorstellung, wie die Freunde herumrätselten, was wohl aus ihm geworden sei. Als er Ralf von seiner Stelle im Krankenhaus erzählte, freute sich dieser aufrichtig über die gute Nachricht. Er hatte ungefähr gleichzeitig bei einem Pharmakonzern zu arbeiten begonnen. Er sei im Übrigen allein zur gestrigen Silvesterparty gegangen und auch allein nach Hause zurückgekehrt. Er gerate nicht in Versuchung, mit einer Uniabsolventin anzubändeln, um entweder nach ein paar Monaten wieder Schluss zu machen oder nach ein paar Jahren zu heiraten. Sie verabredeten sich für das nächste Wochenende und beendeten das Gespräch.

    Am Samstagabend trafen sie sich bei Ralf, der ein einfaches Gericht vorbereitet hatte, Rindersteaks und Kartoffelsalat. Serenus brachte zwei Flaschen Rotwein mit, die sie ohne Eile austranken. Den ganzen Abend schwelgten sie in heiteren und ernsten Erinnerungen. Sie hatten damals dieselben Seminare besucht und sich in die gleichen Arbeitsgruppen einteilen lassen. Sie hatten sich jedoch nicht über die Uni hinaus angefreundet. Auch über diese zwar innige, aber auf die Wissenschaft beschränkte Freundschaft sprachen sie noch, bevor sich Serenus auf den Heimweg machte. Zuhause präparierte er eine Zigarette mit Hanföl, aber dann verzichtete er darauf, sie zu rauchen. Er würde die Leichtigkeit des Abends in den Schlaf mitnehmen, anstatt Binas Gespenst heraufzubeschwören, das ihm doch nur die Kehle zuschnürte. Vielleicht hatte ihm der Abend deshalb gutgetan, weil er sein Leid einmal beiseitegelassen hatte.

    Eine Woche später kam Ralf zu ihm zu Besuch. Serenus schob ein Fertiggericht aus überbackenem Fisch in den Ofen und kochte Reis dazu. An diesem Abend erzählten sie sich mehr von ihrer Arbeit. Ralf war in ein aufwändiges Programm für Nachwuchskräfte aufgenommen worden. Die Firma würde ihn drei Jahre lang ausbilden und ihn anschließend für längere Zeit ins Ausland schicken. Serenus beneidete ihn nicht darum. Nach zehn Jahren Studium in drei verschiedenen Ländern drängte es ihn nicht danach, zu verreisen oder auszuwandern.

    Ralf machte große Augen, als er begriff, dass Serenus die Administration des städtischen Krankenhauses leitete und für insgesamt sechzehn Angestellte, davon drei Teamleiterinnen, verantwortlich war.

    „Du hast aber ganz schön Karriere gemacht", meinte er bewundernd.

    „Ich bin ja auch schon über dreißig. Ich muss Rückstand aufholen", erwiderte Serenus.

    Ein paar Tage später rief Ralf ihn gegen fünf im Büro an und erklärte, er habe Lust auf einen Drink. Sie trafen sich im Bermuda, einer Bar, wo Büroangestellte und junge Akademiker in modischen, teuren Kleidern ebensolche Cocktails tranken. Die Gäste kamen zwar zu zweit oder in Grüppchen, aber man scherzte und flirtete über die Tische und Theken hinweg. Serenus kannte ein Dutzend der Anwesenden von der Uni. Von da an nahm Ralf ihn regelmäßig zu solchen After Work-Partys mit. An den Samstagabenden besuchten sie sich weiterhin zu Hause und wechselten sich als Gastgeber ab. Bald kiffte Serenus fast nur noch am Sonntagnachmittag. Aber seine Gefühle für Bina, sein Gram und sein Groll, nutzten sich nicht ab. Doch jedes Mal, wenn er Ralf sein Herz ausschütten wollte, blockte dieser ihn ab. Sein Kumpel hielt Liebeskummer für ein unwürdiges Gesprächsthema.

    „Da musst du durch. Wenn du tapfer bist und die Zähne zusammenbeißt, hast du deinen Herzschmerz nach einem Jahr ausgestanden. Du kannst dein Selbstmitleid auch auf zwei Jahre ausdehnen und deine Zeitgenossen damit langweilen. Aber wenn du willst, dass dein Appetit schon in wenigen Wochen wiederhergestellt ist, dann solltest du die vielen leckeren Mädels in den Bars beachten."

    Ralf brachte ihn mit seiner Schwester Walli zusammen, denn er hielt sie für besonders intelligent, aufgeschlossen und draufgängerisch. Eine solche Frau musste einfach eine heilsame Wirkung auf jemanden wie Serenus ausüben, dachte er. Es fiel nicht weiter auf, dass Ralfs Schwester dieselben Lokale besuchte und sich immer zu ihnen setzte. Tatsächlich mochte Serenus sie von Anfang an, aber nicht auf eine Weise, die sein seelisches Befinden verändert hätte. Walli hatte im Schnelldurchlauf das Medizinstudium mitsamt dem Staatsexamen hinter sich gebracht und daneben gutes Geld verdient, zuerst als DJ, später als Veranstalterin von legalen und illegalen Partys. Vor vier Jahren hätte sie mit den Praktika für angehende Fachärzte anfangen müssen. Aber Schichtarbeit, Bereitschaftsdienst und Überstunden widerten sie an. Inzwischen produzierte Walli die bedeutendsten und einträglichsten Techno-Events im ganzen Land und erzielte damit mehr Einkommen als eine Chefärztin.

    Mit den ersten schüchternen Frühlingssonnenstrahlen erschien Yvette auf der Bildfläche. Serenus wusste nur, dass sie im zweiten Jahr ihrer kaufmännischen Lehre war und für ein paar Monate in der Patientenadministration die Fakturierung auf SAP erlernen sollte. Eigentlich hatte er nichts mit ihr zu tun und er bekam sie nicht einmal jeden Tag zu Gesicht. Aber wenn er ihr begegnete, freute er sich, und gelegentlich beobachtete er sie. Yvette war eine natürliche junge Frau, mittelgroß und mittelschlank, mit mittellangem mittelbraunem Haar. Selbst ihr Busen hatte mittleres Volumen. Es gab nichts Besonderes an ihr. Was Serenus jedoch berührte, war die vollkommene Harmonie all ihrer unauffälligen Eigenschaften und Merkmale. Mit dem ersten Blick, den er auf sie warf, hatte sie schon sein Herz erobert. Insgeheim nannte er sie „meine stille Schönheit". Er kannte sie nur in Jeans, Pulli und Mokassins, die Haare zu einem Pferdeschwanz gebunden. Außer Wimperntusche verwendete sie keine Kosmetik, nicht einmal ein Eau de Toilette. Sie roch wie das Weiße von einem hart gekochten Ei.

    Jeden Dienstagnachmittag lud Serenus Yvette in die Cafeteria ein, wo sie einen Apfelkrapfen aß und heiße Schokolade dazu trank. Bei diesen Anlässen erlebte er sie unkompliziert und sogar ein wenig vergnügt, aber niemals ausgelassen. Während zwanzig Minuten vertiefte sich Serenus in den Anblick ihres Gesichtes, eines ebenmäßigen Ovals, einem Frauenportrait von Modigliani ähnlich, nur nicht so schmal, sondern etwas rundlicher. Sie hatte grüne Augen und einen wohlgeformten Mund, den er gerne geküsst hätte.

    Wieder einmal ging es nach Feierabend ins Bermuda. Es stand ein langes Wochenende bevor, denn morgen war Gründonnerstag. Ralf erzählte, dass er die freien Tage am Lago Maggiore verbringen würde. Serenus schniefte theatralisch und stieß unter gespieltem Schluchzen hervor: „Wie kann ich ohne dich fünf christliche Feiertage überleben? Das ist noch schlimmer als am Kreuz zu sterben."

    Walli streichelte ihm tröstend die Wange und sagte: „Komm doch zu Planet Motion. Das wird dir gefallen. Planet Motion wird dein erstes und letztes Trance Rave werden."

    „Höre auf meine Schwester", bestärkte ihn Ralf. „Planet Motion ist exzeptionell. Wirklich. Selbst wenn du nie auf eine Technoparty gehen wolltest."

    Walli erzählte, wie sie vor fünf Jahren mit der Produktion von Planet Motion gestartet war. Sie hatte gehört, dass die Stadt an Karfreitag und Ostern keine Sportveranstaltungen erlaubte und dass deshalb die Adenauer-Sporthallen Jahr für Jahr verschlossen blieben. Sie hatte sofort erkannt, dass die Örtlichkeiten für ein fünftägiges Event geradezu prädestiniert waren. Planet Motion war ein solch fulminanter Erfolg, dass sie es immer wieder, Ostern für Ostern, aufs Neue veranstaltete, dieses Jahr zum fünften Mal. Walli griff in ihre Handtasche und überreichte Serenus ein Ticket im Format einer Postkarte.

    „Das ist ein VIP-Pass, erklärte sie ihm. „Damit kannst du den Gästeeingang und die Backstage-Lounge benutzen und ohne zu bezahlen so viele Drinks bestellen, bis du tot umfällst. Sie beugte sich an sein Ohr und flüsterte: „Der VIP-Pass gilt auch für Deine Begleitung."

    Serenus vertiefte sich in die metallisch glänzenden Hologramme, die aus der Karte ein fälschungssicheres Ticket machten, und dachte nach.

    „Jetzt wird aber bloß nicht schwermütig", neckte ihn Ralf, „deiner Bina wirst du auf Planet Motion bestimmt nicht begegnen."

    Serenus hob den Blick und erwiderte: „Ich weiß nur nicht, ob ich die richtige Garderobe für diesen Anlass besitze."

    Walli lachte schallend: „Das Hinterletzte wäre Jack Wolfskin. Ebenso peinlich wären Anzug und Schlips. Modisch und schrill ist perfekt, aber schwarz geht auch, denn dann sieht man dich nicht im Dunkeln."

    Er stieg absichtlich ein paar Haltestellen zu früh aus und ging eine Viertelstunde zu Fuß. Auf dem Weg rauchte er zwei Zigaretten, die er mit Hanföl präpariert hatte. Aber erst nachdem er seinen VIP-Pass gezeigt hatte und in die Katakomben der Adenauer-Sporthallen hinuntergestiegen war, setzte die Wirkung ein.

    In den Kellergeschossen herrschte schwarze Finsternis, die von zuckenden Laserstrahlen, Stroboskopen und Projektionen zum pulsierenden Halbdunkel einer verglühten Galaxis gemildert wurde. Aus den Musikboxen schallte etwas, was Serenus noch nie gehört hatte. Diese Klänge und Rhythmen waren reduziert, repetitiv und redundant. Die sich überlagernden Geräusche erinnerten ihn an einen Waschsalon, in dem alle Maschinen gleichzeitig in Betrieb waren. Ohne instrumentale Schwingungen, nur mit den im Computer gesponnenen Fäden wurde dieser synthetische Stoff gewoben. Ein paar Tage später erklärte ihm Walli, dass es sich bei dem Stil um progressive Trance handelte.

    Serenus brauchte einige Zeit, um seine Sinne mit dem seismischen Grollen und dem kosmischen Wetterleuchten vertraut zu machen. Allmählich gewannen Musik und Licht Konturen, und er konnte seine Aufmerksamkeit den anwesenden Individuen zuwenden.

    Zuerst fiel ihm auf, dass die männlichen Gäste in der Minderzahl waren. In den Diskotheken, die er besucht hatte, verhielt es sich meist umgekehrt, aber hier kamen zwei Frauen auf einen Mann. Zudem herrschte Geschlechtertrennung. Die Boys bildeten ihre eigenen Cliquen und ebenso blieben die Girls unter sich. Die Jungs tanzten meistens alleine und gelegentlich auch zu zweit, während mehrere Mädchen immer in der Gruppe zusammen tanzten. Zudem erkannte Serenus, dass sich die beiden Geschlechter auf ganz verschiedene Weise herausgeputzt hatten. Die Männer hatten sich chic gemacht und sahen aus wie junge Künstler, die zur Verleihung eines Förderpreises antraten. Sie trugen weit geschnittene Hemden mit ungewöhnlichen Mustern und weiße oder ausgebleichte Jeans mit so engen Röhren, dass die Beine im Verhältnis viel zu dünn erschienen. Serenus hatte noch nie so viele hübsche Jungs auf einem Haufen gesehen.

    Die Frauen schienen sich wie für einen Kindergeburtstag verkleidet zu haben. Sie trugen lauter Babyfarben: rosarot, himmelblau, blassgrün und pastellgelb. Beim Tanzen streckten sie die Hände in die Luft und gestikulierten mit ihren weißen Spitzenhandschuhen, die unter dem ultravioletten Licht wie von selber leuchteten. Manche trugen einen Haarreif, auf dem zwei Kunststoffherzen an Federn wippten. Sie sahen aus wie Kinder von der Venus, die ihre Liebesbotschaft zur Erde brachten. Andere hatten sich, in Anspielung auf Ostern, Hasenohren aus Plüsch aufgesetzt. Stiefelchen in pastellfarbigem Flokati schienen der letzte Schrei zu sein. Die jungen Frauen hatten sich in allen Farben geschminkt und sich Gesicht, Schultern und Dekolletee mit Pailletten bestreut.

    Serenus stand gegen die Squashwand gelehnt und beobachtete eine Gruppe von bunt glitzernden marsianischen Bunnys. Sie hielten pralle Luftballons am Mundstück fest und nahmen in Minutenabständen einen Zug vom Inhalt, was ihnen großes Vergnügen zu bereiten schien. Eine von ihnen war eine vollkommene Schönheit. Ihr Gesicht war mit metallischer Körperfarbe bedeckt und von einer silbernen Kraushaarperücke eingefasst. Sie trug weiße Kleidung. Die winzigen Shorts und das elastische Trägerhemdchen stellten ihre Schultern und Schenkel, ihre Lenden und Leisten zur Schau. Serenus fühlte auf der Stelle ein heftiges sexuelles Begehren nach der Unbekannten. Sie schaute immer wieder in seine Richtung und schickte ihm winzige vertrauliche Signale. Die Mädchen ihrer Gruppe tuschelten miteinander und verließen wenig später den Raum. Sollte er ihnen hinterhergehen oder lieber abwarten, ob er ihnen auf einem anderen Dance Floor wiederbegegnete?

    Doch nach wenigen Minuten kehrte die junge Schönheit zurück, brachte einen Ballon und zwei Becher mit, stellte sich vor ihm hin und bediente ihn. Zuerst bot sie ihm Lachgas an und dann Orangensaft mit Wodka, wieder den Ballon und nochmals den Drink. Serenus beugte sich zu ihrem Ohr und fragte sie: „Kennen wir uns? Wie heißt du?"

    Sie hielt sich den Zeigfinger an die türkis bemalten Lippen. War er nicht genau einem solchen Mund schon einmal begegnet? Wieder reichte sie ihm das Gas und den Drink.

    „Sprichst du kein einziges Wort mit mir?", hakte er nach. Sie schüttelte den Kopf auf eine Art, die keine Einwände duldete.

    „Aber was kann ich denn dann von dir bekommen?", lachte er hilflos.

    Sie öffnete ihr winziges Handtäschchen aus weißem Teddy und nahm ein Döschen heraus. Als sie es öffnete, sah er, dass es zwei Sorten Pillen darin gab. Die einen waren hell und eckig, die anderen dunkel und rund. Sie nahm eine von jeder Sorte und steckte sie ihm in den Mund. Dann reichte sie ihm den Becher und beobachtete ihn. Als er geschluckt hatte, schenkte sie ihm einen anerkennenden Blick. Jetzt öffnete sie ihre Lippen, stellte sich auf die Zehen und begann ihn zu küssen. Dabei hielt sie in der einen Hand den Luftballon und in der anderen den Becher. Serenus hatte seinen ausgetrunken und weggeworfen. Er umschlang ihre Taille und sie ließ sich schmachtend in seine Umarmung fallen.

    Er betrachtete das Platingesicht aus der Nähe, die türkisfarbenen Lider, den gleichfarbigen Mund, die Schicht aus glitzerndem Sternenstaub auf ihren Schultern. In einem Videoclip würde sie jetzt das Mikrophon nehmen und zu singen anfangen. In seinem Griff war das knappe Hemdchen hochgerutscht. Er fasste sie mit beiden Händen unter den Achseln und legte die Daumen auf ihre Brustwarzen. Sie löste sich sofort von ihm und tippte mit dem Finger auf ihr Handgelenk, dorthin, wo sie sonst ihre Armbanduhr trug.

    „Ich soll mich gedulden und dir Zeit lassen?", fragte er sie in ihr Ohr. Sie bejahte mit einem Kopfnicken.

    Sie inhalierten den Rest aus dem Ballon und teilten sich die letzten Schlucke aus ihrem Becher. Gegen die Squashwand gelehnt, heftig knutschend, ließen sie eine Stunde verstreichen, vielleicht auch nur eine halbe. Schließlich nahm sie seine Hand und zog ihn mit sich fort. Offenbar wusste sie, wann und wo sie ihre Freundinnen finden würde. Sie führte ihn durch zwei oder drei Hallen, durch einen Korridor und eine weitere Treppe hinunter. Sie befanden sich auf einem unterirdischen Tennis-Court, auf dem in dieser Karfreitagnacht getanzt wurde. Ihre Freundinnen waren nicht mehr unter sich, sondern es hatten sich ihnen einige Typen angeschlossen, so dass Serenus und seine Miss Sexy nicht mehr das einzige Pärchen waren.

    Jetzt wollte sie mit ihm tanzen und so blieben sie lange auf dem Dance Floor, wo sie sich immer wieder umarmten und küssten. Später steckte sie ihm nochmal zwei Pillen in den Mund, die er mit einem Schluck aus dem Bierbecher eines Fremden hinunterspülte. Längst hatte er das Rätselraten aufgegeben, warum ihm seine neue Bekanntschaft so vertraut vorkam. Er konnte sich nicht an ihr satt sehen und nicht genug bekommen von ihrer Haut und ihren Berührungen.

    Die

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