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Die Frau im Strom: Kriminalroman
Die Frau im Strom: Kriminalroman
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eBook196 Seiten2 Stunden

Die Frau im Strom: Kriminalroman

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Über dieses E-Book

Liebe, Lust, Leidenschaft bis hin zu sexueller Abhängigkeit einerseits, Karrieresucht und Angst vor dem sozialen Abstieg andererseits sind die Triebkräfte für das gewaltsame Ende einer heimlichen Affäre. Wie aus den Vernehmungsprotokollen hervorgeht, diskutierten Sasse und Edith fünfundneunzig Tage lang die verschiedenen Möglichkeiten, Liesbeth Koslowski aus der Welt zu schaffen. Dabei gelangen sie zu immer tieferen Einsichten über den Mord, so daß sie am Ende ihrer Überlegungen imstande waren, systematisch vorzugehen.
Karl-Heinz Jakobs erzählt in diesem Roman die von ihm sorgfältig recherchierte Geschichte eines fast perfekten Verbrechens, das 1959 in einer Kleinstadt in der DDR - begünstigt durch die gesellschaftlichen Umstände - geschehen ist und bei der Bevölkerung wie ihrer Obrigkeit Unruhe und Unmut auslöste, wenn auch aus unterschiedlichen Motiven.
SpracheDeutsch
Herausgeberneobooks
Erscheinungsdatum10. Sept. 2017
ISBN9783742775771
Die Frau im Strom: Kriminalroman

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    Buchvorschau

    Die Frau im Strom - Karl-Heinz Jakobs

    Erstes Kapitel

    Wenn ich nunmehr anhebe, die Geschichte eines Mordes zu erzählen, der unsere kleine Stadt vor mehr als zwanzig Jahren so sehr durcheinanderbrachte und manchen von uns zu unbedachten Äußerungen und Handlungen trieb, daß die Obrigkeit schon einen Aufruhr kommen sah und, fix, wie sie immer ist, Anweisungen gab, zuerst örtliche Polizeitruppen, später eine kleinere Armeeformation zusammenzuziehen, wenn ich also nach so langer Zeit von Vorfällen berichte, deren Zusammenhänge damals keiner von uns richtig begriff, sogar ich nicht, der das alles doch zum Greifen nah erlebte, so geschieht das nicht, weil ich die Sache für begraben und vergessen halte und glaube, man. könne nun in Ruhe drüber plaudern. Vielmehr erzähle ich von den Geschehnissen damals in Traun, wo sich der Fall abspielte, uns allen zur Warnung, denn ich glaube, daß sie sich jederzeit wiederholen können. So grundlegend haben sich die Verhältnisse seit jenen Tagen nicht gewandelt. Es brauchen nur einige äußerliche Dinge zufällig aufeinanderzutreffen, ein tatenfroher und erfolggewohnter Täter, ein von Angst und Gläubigkeit getriebener geistiger Urheber und eine dünkelhafte Obrigkeit. Bei dem Mord an Liesbeth Koslowski, von dem ich erzähle, wurde kein Blut vergossen. Das Mädchen war nicht erwürgt worden und nicht vergiftet. Die Leiche wurde nach zehn Tagen mühseliger Suche ohne Hautabschürfung, ohne blauen Fleck weit vom Tatort entfernt aus der Elbe?geborgen, und Doktor Feininger bescheinigte am Ende Untersuchung Tod durch Ertrinken und, was uns alle verblüffte, Schwangerschaft im sechsten Monat. Polizeileutnant Stein aber, der die Ermittlungen leitete, war nach langwierigen Verhören und Befragungen der Überzeugung, daß es ein Unfall gewesen sei. Das war im Juni. Einen Monat später, als .in der Stadt das Gerücht umging, Liesbeth Koslowski habe sich das Leben genommen, bekam Stein Briefe vom Vater der Verunglückten.

    Max Koslowski war Schmied von Beruf und dem Glauben nach Adventist. Er schrieb, daß er den Direktor unserer Grundstücksverwaltung, Gustav Sasse, beschuldige, sich der Liesbeth entledigt zu haben, weil sie von ihm schwanger war. Den von Koslowski so schwer Beschuldigten .kannte Stein seit Ewigkeiten, und da auf dem Freund nicht der leiseste Verdacht ruhte, weil er sich zur Tatzeit weit vom Tatort entfernt aufgehalten hatte, was von vielen Zeugen bestätigt worden war, besuchte er Sasse eines Abends in der Wohnung und machte ihm Vorwürfe.

    Wieso erfahre ich erst jetzt, daß Liesbeth .Koslowski von dir ein Kind erwartete?

    Sasse, knapp vierzig, hochgewachsen, grau meliertes Haar, sagte mit wohltonender Stimme, in der Leid und Zerknirschung mitschwangen:

    O Gott, o Gott, was hab ich getan.

    Stein war verärgert über den Freund und ließ ihn jammern.

    Ausgerechnet mir muß es passieren, rief Sasse, immer bin ich moralisch und politisch und moralisch sauber gewesen.

    Hör auf zu lamentieren, sagte Stein unwirsch.

    Ich hab alle belogen, die mir vertrauten, rief Sasse, zerknirscht allem Anschein nach.

    Wir wissen jetzt, sagte Stein, daß du Liesbeth Koslowski geschwängert hast, aber das interessiert uns nicht mehr, denn der Alte behauptet, du hast seineTochter umgebracht.

    Ich? rief Sasse erstaunt. Ich? Wie hätte ich das anstellen können? Ich war ganz woanders zu der Zeit, als Lieschen, er hielt einen Augenblick inne und verbesserte sich, als Liesbeth Koslowski verunglückte.

    Das weiß ich, sagte Stein ungeduldig, glaubst du, ich würde nachts in Zivil zu dir kommen, wenn ich nicht wüßte, daß du der Täter nicht sein kannst?

    Täter, sagte Sasse traurig, ich dachte immer, solche Worte kommen nur in Kriminalromanen vor.

    Hätte ich Zweifel an deiner Unschuld, sagte Stein, so würde ich dich vorladen.

    Unschuld, Schuld, sagte Sasse, auch so schreckliche Wörter.

    Außerdem würde ich den Fall wegen Befangenheit abgeben, sagte Stein.

    Sasse, dem die Tränen kamen, streckte beide Arme aus, die Handgelenke übereinandergelegt, und rief:

    Nimm mich fest. Sperr mich ein.

    Obwohl Stein wütend auf den Mann war, der ihm erst jetzt seine Beziehung zu der Verunglückten eingestand und der sich nun lächerlich aufführte, konnte er ein Auflachen nicht unterdrücken, und er sagte:

    Keiner denkt daran, dich festzunehmen, außerdem legt man die Handgelenke nicht übereinander bei der Festnahme, das tat man früher, als die Polente den Verbrecher mit Stricken fesselte, heute haben wir Handschellen, und dann liegen die Handgelenke nebeneinander.

    Sasse korrigierte sofort die Art, wie er die Hände dem Polizisten entgegengestreckt hatte, und rief:

    Ich habe mein Leben verpfuscht.

    Sie behaupten in ihren Briefen an uns, sagte Stein eine Woche später zu Koslowski, den er vorgeladen hatte, daß Herr Sasse Ihre Tochter umgebracht hat.

    Koslowski schwieg verstockt.

    Haben Sie mich verstanden?

    Koslowski antwortete nicht, er blickte zu Boden, als ob es da Wer Weiß was zu entdecken gäbe.

    Soll das bedeuten, sagte Stein, daß Sie eine Anzeige aufgeben wollen?

    Wegen was? fragte Koslowski.

    Wegen Mord, sagte Stein gereizt.

    Meine ermordete Tochter, .sagte Koslowski aus-weichend, ohne den Kopf zu heben.

    Was ist mit Ihrer Tochter? rief Stein.

    Wird jetzt beleidigt, sagte Koslowski vorwurfsvoll, nicht genug, daß sie sie ermorden, jetzt beleidigen sie sie noch.

    Wer? rief Stein, wer sind die, von denen Sie sprechen?

    Jetzt kommen sie alle und sagen, sie hat sich das Leben genommen, sagte Koslowski, und das ist nicht wahr, ein gläubiger Mensch bringt sich nicht um.

    Sie bleiben also bei Ihrer Beschuldigung gegen Herrn Sasse? sagte Stein.

    Es kann nur er gewesen sein, sagte Koslowski.

    Warum, Herr Koslowski, sagte Stein, haben Sie Ihren Verdacht nicht schon beim ersten Verhör geäußert?

    Meine Tochter ist tot, sagte Koslowski, außer Gott, dem Herrn, kann keiner sie lebendig machen, aber jetzt sag ich lieber die Wahrheit und laß mich einsperren.

    Warum sollte Sie jemand einsperren wollen? fragte Stein ungeduldig.

    Ich weiß nicht, sagte Koslowski ausweichend.

    Bei uns wird keiner eingesperrt ohne Grund, sagte Stein.

    Koslowski schwieg.

    Dann werden wir jetzt die Anzeige aufsetzen, sagte Stein, Hetty, rief er, .und aus dem Nebenzimmer kam eine kleine Frau, auch sie in Leutnantsuniform, wir haben ein Protokoll aufzunehmen, und er diktierte:

    Am Soundsovielten, da setzen wir das heutige Datum ein, um zehn Uhr fünfzehn, erschien vor dem Revier soundso der Schmied soundso, Religion evangelisch. Nein, sagte Koslowski; adventistisch.

    Das ist dasselbe, sagte Stein, Religion evangelisch, und erklärte, daß er den Bürger Gustav Sasse, von Beruf Direktor der hiesigen Grundstücksverwaltung, beschuldigt, Liesbeth Koslowski ermordet zu haben. Als Grund dafür brachte er vor , seine Tochter habe ein Kind von Herrn Sasse erwartet, was der bestätigte.

    Stein wandte sich an Koslowski:

    So, und nun den Beweis.

    Letzten Sommer, sagte vor sich hin brütend Koslowski, wollte er mit meiner Tochter in den Westen.

    Was? rief Stein.

    Meine Tochter hatte schon ihr Sparkonto aufgelöst, sagte Koslowski.

    Herr Sasse wollte abhauen? rief Stein.

    Ich hab es verhindert, sagte Koslowski und lächelte listig, denn ich hab ihr doch das Geld weggenommen.

    Das stimmt, sagte Sasse, als er wenige Stunden später in Steins Büro saß, aber die Idee kam nicht von mir. Liesbeth sagte, wir sollten alles hinter uns abbrechen, meine Familie stehe unserem Glück im Weg.

    Stein, in Uniform und mit umgeschnallter Pistole,saß aufgerichtet am Schreibtisch und grübelte.

    Ich habe schwere Fehler begangen, sagte Sasse, der mit den Tränen rang, ich bin verheiratet und hab einen Sohn von neun Jahren und entjungfere, ohne rot zu werden, ein siebenundzwanzigjähriges Mädchen.

    Mann, sagte Stein, hier geht es um Mord.

    Weil ich mich in ein hübsches und unschuldiges Weib verknalle, sagte Sasse und weinte, werde ich treulos gegenüber meiner Frau und dem"Kind, treulos gegenüber der Gesellschaft, er schluchzte.

    Ich überlege, sagte Stein, ob ich den Fall nicht wegen Befangenheit abgeben soll.

    Als Sasse gegangen war, rief Stein Hetty zu sich.

    Er mußte zugeben, sagte Stein zornig, daß die Verunglückte von ihm ein Kind kriegt, und er mußte zugeben, daß er mit ihr abhauen wollte.

    Wer weiß, sagte Hetty, was er noch wird zugeben müssen, wenn wir mehr über ihn wissen.

    Gemeinsam gingen sie die Akte durch, überprüften, ob sie nichts Verdächtiges übersehen hätten. Es war eine einfache Geschichte. In Traun, dreißigtausend Einwohner, gibt es eine Grundstücksverwaltung, in der acht Frauen und vier Männer beschäftigt sind. Die Frauen sind im Alter von siebenundzwanzig bis neunundfünfzig, drei Männer über sechzig, Direktor Sasse aber ist neununddreißig. Durch gewinnendes Wesen, durch selbstsicheres Auftreten,Beredsamkeit und Freundlichkeit hat er Vertrauen gewonnen bei Untergebenen und Vorgesetzten. Die Frauen wetteifern, ihm gefällig zu sein. Zwischen Weihnachten» und Neujahr, als Annelie, Sasses Ehefrau, mit dem Sohn verreist. ist, beginnt er, leichtsinnigerweise, wie er Stein gesteht, ein Verhältnis mit der Kollegin Koslowski. Er lädt sie zu dienstlicher Beratung in die Wohnung ein. Der Geschlechtsverkehr hat Folgen. Die heimlich Geliebte bittet ihn, daß er sich von Frau und Familie trennt. Ein halbes Jahr später an einem schönen Tag im Juni fahren Direktor Sasse, Liesbeth Koslowski und die Gewerkschaftsvorsitzende Edith Schilder, deren Name in diesem Buch hier zum erstenmal genannt wird, nach Wiesenthal, einem Dörfchen an der Elbe,wo sie mit örtlichen Verantwortlichen über neue Bauvorhaben beraten. Sasse hat anschließend noch ein vertrauliches Gespräch mit Bardeck, Horowitz, Debasse, Kotarski und Bürgermeister Herbert Kahn.

    Die Freundinnen Liesbeth und Edith nützen die unerwartete Freizeit zu einem Spaziergang an die Elbe, von dem aber nur eine zurückkehrt. Es ist ein schöner, milder Sommertag. Auf der Elbe Schiffe mit Girlanden und Musik. Die Maurer, die hinter dem Deich an einem Rinderstall arbeiten, sehen von der Elbe kommend eine Frau über den Deich klettern, die weint, die um Hilfe schreit und während des Laufens mehrmals zu Boden stürzt. Hilfe, Hilfe; schreit sie, ihre Freundin sei eben verunglückt, und wenn nicht sofort Hilfe kommt, wird sie ertrinken.

    Liesbeth Koslowski habe sich auf die Buhne gewagt, schreit Edith noch, dabei sei sie abgerutscht und von der dort sehr starken Strömung abgetrieben worden.

    Die Maurer werfen ihr Werkzeug fort, klettern über den Deich und rennen zum Wasser. Von der Verunglückten fehlt jede Spur. Eine Woche später wird die Leiche zwölf Kilometer von der Unfallstelle entfernt geborgen.

    Damals in dem schmucklosen Polizeibüro allein mit der Akte, in der alles niedergeschrieben war, was sie ermitteln konnten, war es für Stein und Hetty schwer, sich von dem Gedanken frei zu machen, daß sie einen Unfall bearbeiteten.`Für Mord hatten sie das Motiv gefunden, die Schwangerschaft, hatten aber keinen Täter, und Selbstmord als Motiv schied aus, wie Max Koslowski glaubhaft erklärte.

    Direktor Sasse und die Leitenden von Wiesenthal, Bardeck, Horowitz, Debasse, Kotarski und Bürgermeister Herbert Kahn, beendeten die Sitzung und eilten zum Unfallort. Edith Schilder, von Weinkrämpfen geschüttelt, brauchte seelische Tröstung. Bardeck nahm sie mitleidig in den Arm, und sie weinte sich an seiner Brust aus, bis sie nicht mehr konnte. Ein Jahr später, wenn Richter Pinthus das Todesurteil gegen sie und Sasse verkündet, wird sich Edith an diesen Augenblick erinnern.

    Sie wird sich erinnern, wie Bardeck sie streichelt. Sie wird sich erinnern, wie unaufhaltsam die Tränen fließen und wie allmählich ihr Gesicht von der einen Grimasse wechselt zur anderen. Bis Edith, unbemerkt von allen, verborgen das Gesicht an der Brust von Bardeck, heimlich lacht vor Erleichterung und Glück, dann Freudentränen vergießt, während alle noch denken, sie weint aus Schmerz um die tote Freundin. Was ich auf diesen Seiten erzähle, das ist die Geschichte eines heimtückischen Mordes, verübt im Juni.

    Er wird drei Monate später im September durch Zufall aufgedeckt, die Strafen, verhängt ein Jahr nach dem Mord: Tod für Edith Schilder und Gustav Sasse. Später wird das Todesurteil umgewandelt in lebenslängliche Haft. Sasse starb im Gefängnis nach acht Jahren aus Gram über die verpfuschte Karriere, indes die Täterin ungebrochen der Gnade der Behörden entgegensah. Mit gutem Grund, denn sie durfte nach zwanzig Jahren als freier Mensch die Anstalt verlassen. Wenn die Strafen damals so hoch ausfielen, dann deswegen, weil das Gericht den Mordfall als eine nicht mehr zu überbietende Hinterhältigkeit einschätzte, begangen von Menschen, die nicht mehr besserungsfähig seien. Möglich allerdings ist auch, daß bei der Urteilsfindung politische Erwägungen eine Rolle gespielt haben.

    Stein, sagte Hetty, nachdem sie die Akte durchgesehen hatten, wenn .es nicht Unfall ist, sondern Mord, dann hat es Edith Schilder getan.

    Wie heißt du eigentlich richtig? fragte Stein.

    Madelaine, sagte Hetty, Madelaine Nickel.

    Ach, sagte Stein.

    Ja, sagte Hetty.

    Sasse ist der Betriebsdirektor, sagte Stein, Edith Schilder die Gewerkschaftsvorsitzende Wir alle wissen, daß die beiden sich nicht ausstehen können. Oder gibt es eine außerdienstliche Beziehung zwischen ihnen?

    Wenn es so einfach wäre, sagte Hetty, hätten wir den Fall gelöst und müßten hier nicht Überstunden schieben.

    Zweites Kapitel

    Als Stein nach Traun kam, war Hetty schon da. Jeder nannte sie so. Auch die Asozialen, so wurden damals Gesetzesverletzer bezeichnet; für die war sie Leutnant Hetty, ein Name, den sie achtundvierzig, neunundvierzig in Berlin erworben hatte, als sie im Prostituierten- und Taschendiebsmilieu ihre ersten Erfolge erzielte, und den sie pflegte wie einen akademischen Grad. Sie liebte sorgfältige Protokolle, die Stein haßte, und verfaßte sie in einem Stil, der bildhaft war, deftig manchmal, und der Stein jedes mal überraschte.

    Er war ein eigensinniger Beamter. Von Schreibtischkriminalisten und Kriminalakademikern hielt er in plebejischem Hochmut nichts. War stolz auf seine Herkunft als Sohn eines an Steinlunge-verstorbenen Bergmanns und einer kleinen, flinken Person, die in fremden Häusern saubermachte. Viel hielt er von der Art seiner Verhöre, die den Verhörten nicht kränkten. Viel hielt er von seiner praktischen Erfahrung und den Kontakten zu allen Schichten der Bevölkerung in Traun. Er pflegte sich in Kneipen umzusehen und bei Empfängen. War Mitglied des Klubs der Intelligenz, der sich im Grünen Salon des Stadtkrugs zusammenfand.

    Nichts, sagte er, geht in der Stadt vor, ohne daß ich es erfahre.

    Mit den Kriminellen in der Stadt ging er väterlich um, obwohl er erst fünfunddreißig war in jenem Jahr, als Liesbeth Koslowski ertrank. Die Delikte, die in Traun vorkamen, waren Ladendiebstahl, Raubüberfall, heimliche Prostitution, Herabwürdigung des Staatsoberhauptes, Sittlichkeitsvergehen gegen Kinder, Unterschlagung. Fahrraddiebstahl kam in Traun öfter vor als Autodiebstahl. Ganz und gar unsinnig erschien ihm der Gedanke an einen Mord.

    Daß Sasse ihn so lange hatte belügen können, war ihm unverständlich und erschreckte ihn. Es war eine

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