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Fluchtziel Erde
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eBook342 Seiten4 Stunden

Fluchtziel Erde

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Über dieses E-Book

Jan hält die bedrückende Enge in der entlegenen Mondstation nicht länger aus. Er sehnt sich zurück zur Erde und sucht nach einem Weg, zu ihr zu gelangen. Da bricht unerwartet eine schreckliche Katastrophe über den Mond herein, die alles Leben auszulöschen droht. Im allerletzten Moment gelingt es Jan, zusammen mit einer Handvoll seiner Mitschüler zu fliehen.
In einem viel zu kleinen Raumschiff starten sie gemeinsam zu einer ungewissen und gefährlichen Flucht mit der letzten Hoffnung, in den Tiefen des Weltalls Rettung zu finden. Ihre Lage wird immer aussichtsloser. Zu groß sind die Gefahren und die Hindernisse, die den jungen Raumfahrern ein Entkommen unmöglich machen.
Alles scheint verloren, als sich die Kinder untereinander zerstreiten. Ein verzweifelter Kampf ums Überleben beginnt. Kann Jan sich und die anderen retten? Wird er die Erde jemals wiedersehen?
SpracheDeutsch
Herausgeberneobooks
Erscheinungsdatum29. Mai 2017
ISBN9783742785992
Fluchtziel Erde

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    Buchvorschau

    Fluchtziel Erde - Frank Springer

    Widmung

    Ein Weltraumabenteuer

    für Daniel, Julian, Mika und Jerrik

    Titelgestaltung: Dorothea Schmalkoke

    1. Sternenlicht und Schulstress

    Hier draußen im Weltall, wo keine Atmosphäre ihr Licht trübte, leuchteten die Sterne besonders klar und deutlich. Jan hatte die Rückenlehne des Liegesessels weit nach hinten gekippt und blickte durch die dicken Fensterscheiben, die ihn vor der Luftleere des Weltraums schützten, zu den unzähligen fernen Sonnen hinauf, die ihre Strahlen durch das All zu ihm schickten. Es war sein Lieblingsplatz, den er, so oft es möglich war, aufsuchte. An diesem Ort mochte er stundenlang liegen und in das unendlich tiefe Schwarz des Kosmos starren. Hier konnte er für einige Zeit die bedrückende Enge in der Mondstation vergessen.

    „Mondstation, was für ein Name? War es doch nicht der irdische Mond, der damit gemeint war und der mit seinem vertrauten Antlitz sanftes Licht auf die Erde warf, sondern irgendein Mond in einer fernen Galaxie, der um einen namenlosen Planeten kreiste. Ebenso wie die Station, die auf seiner Oberfläche errichtet worden war, besaß er keinen Namen, sondern lediglich eine Kennung aus Buchstaben und Ziffern, die sich Jan nicht merken wollte. Auch das Zentralgestirn dieses fremden Sonnensystems, das alle in der Station nur kurz „die Sonne nannten, erinnerte mit seinem unwirklich blassblauen Licht in keiner Weise an die gute alte Sonne, die Jan von der Erde her kannte.

    Wenn er so dalag und teilnahmslos in den Himmel schaute, musste Jan an seine Heimat denken, die er vor vier Jahren verlassen hatte, und daran, wie er damals als Kind über weite Wiesen lief, auf denen er mit seinen Freunden herumtollte. Dann glaubte er, den sommerlichen Duft der vielen Tausend bunten Blüten riechen zu können, obwohl er hier in der Mondstation nur die sterile Luft aus der Wiederaufbereitungsanlage atmete. Schmerzlich vermisste Jan die Erde und die Freiheit, die er auf ihr genoss. Bei diesen Gedanken wurde ihm schwer ums Herz und ein drückendes Gefühl breitete sich in seiner Magengegend aus.

    Er erinnerte sich an das, was ihm früher sein Großvater erzählt hatte. Das war zu der Zeit, als Jan noch bei seinen Eltern lebte und sie jeden Sonntag Großvater zum Kaffeetrinken besuchten. Er war schon sehr alt, fast hundert Jahre, aber trotzdem rüstig. Nach der Kaffeetafel nahm er den Jungen auf seine Knie und beschrieb ihm mit einprägsamen Worten die Erlebnisse seiner eigenen Kindheit. Wie gebannt lauschte Jan seinen beeindruckenden Ausführungen. Er konnte kaum glauben, was er von dem gütigen, alten Mann über die Vergangenheit erfuhr.

    Früher lebten unglaublich viele Menschen auf der Erde, viel mehr, als sich Jan vorstellen konnte. Nach und nach verbrauchten sie die Rohstoffe und Bodenschätze, die ihnen der Planet bot. Die Ressourcen wurden immer knapper, bis abzusehen war, dass die Menschheit so nicht überleben konnte. Verheerende Kriege um die letzten Reserven brachen aus. Aber schnell wurde allen Beteiligten klar, dass ihre Feldzüge mehr Material verschlangen, als sie an Gewinn versprachen.

    Weniger aus Einsicht, als aus der schlichten Not heraus beendeten die verfeindeten Länder ihr Kriegstreiben und schlossen sich zusammen. Die Nationalstaaten wurden aufgelöst und gingen in einer großen Gemeinschaft auf. Zuerst vereinigten sich die Weltmächte, danach folgten die kleineren Staaten innerhalb kurzer Zeit. Die einzige Möglichkeit, an die dringend benötigten Rohstoffe zu gelangen, war, diese nicht länger auf der Erde zu suchen. Wissenschaftler hatten inzwischen entdeckt, dass es diese für die Menschheit so kostbaren Schätze auf den unzähligen Himmelskörpern zu finden gab, die in den Weiten des Weltalls verstreut lagen.

    Um ihrem unausweichlichen Ende zu entkommen, fügten sich alle Menschen zu einer einzigen, allumfassenden Nation von Raumfahrern zusammen, die in einem riesigen Kraftakt mit den letzten verfügbaren Reserven eine Raumflotte erschufen, die die Bodenschätze auf fernen Planeten ausbeuten sollte. Die Raumschiffe starteten und flogen zu den unterschiedlichsten Zielen. Tatsächlich fanden die Menschen dort reichlich von dem, wonach sie auf ihrem Heimatplaneten verzweifelt gesucht hatten und was ihr Weiterleben ermöglichen sollte. Aber anstatt ihren neu gewonnenen Reichtum zurück zu ihrer Herkunft zu bringen, gründeten sie überall an den Fundstätten Kolonien.

    Immer mehr Menschen verließen die Erde und folgten in den Weltraum. Während die Kolonien zunehmend aufblühten und ihr Wohlstand auf bisher ungeahnte Maße wuchs, verarmte ihr Heimatplanet zusehends. Zurück blieben diejenigen, die nicht zu den neuen Siedlungen reisen wollten oder konnten. So auch Jans Großvater mit seiner Familie. Da nur noch wenige Menschen auf der Erde lebten, reichten die vorhandenen Rohstoffe nun aus, um ihnen ein bescheidenes Dasein zu erlauben.

    Nach einigen Jahrzehnten hatte sich die ausgebeutete Natur von dem Raubbau, der an ihr betrieben worden war, erholt und die ehemaligen menschlichen Wirkungsstätten zurückerobert. Die Luft war wieder sauber und der Himmel strahlend blau. Das Wasser in den Flüssen, Seen und Meeren wurde allmählich klar und rein. Tiere und Pflanzen bevölkerten die Erde und breiteten sich auf ihr aus. Nur die verbrauchten Bodenschätze blieben für immer verloren. Die verbliebenen Bewohner verließen die großen Städte und zogen aufs Land, um von dessen Erträgen leben zu können. Die großen Industrieanlagen verfielen und die Ballungszentren verwaisten zusehends. Ihre Überreste wirkten wie riesenhafte Mahnmale gegen die Verschwendungssucht der Menschheit.

    Auch die Regierung der großen Raumfahrtnation gab ihren Sitz auf der Erde auf und siedelte in eine der neuen, großen Kolonien um. Von dort aus lenkte sie die Geschicke des sich ausbreitenden Weltraumreiches. Die Raumschiffe wurden bald so groß, dass sie nicht mehr von der Oberfläche der Erde aus starten oder auf ihr landen konnten. Daher wurde in ihrem Orbit eine riesige Raumstation als Umschlagplatz für Waren und Güter sowie zum Umsteigen für Weltraumreisende gebaut. Mit dem zunehmenden Verkehr wuchs die Orbitalstation, bis sie gigantische Ausmaße erreicht hatte und mehr Menschen auf ihr lebten, als auf dem Planeten zurückgeblieben waren.

    Die meisten von denen, die irgendwo im Kosmos auf einer Raumstation oder in einer Kolonie geboren worden waren, kannten die Erde nur aus Erzählungen. Voller Verachtung blickten sie auf diesen ausgebeuteten und ausgeplünderten Himmelskörper herab, der in ihren Augen nichts weiter als ein Armenhaus im Universum war. Diejenigen, die von der Erde abgewandert waren, wünschten sich nie mehr dorthin zurück, auch wenn sie im Weltraum nur untergeordnete Stellungen bekleideten. Selbst die Bewohner der Erdorbitalstation wären niemals bereit gewesen, die Erdoberfläche freiwillig zu besuchen, obwohl sie sich direkt vor ihren Augen in unmittelbarer Nähe befand. Für sie bot dieser heruntergewirtschaftete Planet nichts, was einen Besuch wert gewesen wäre.

    Jan hatte unter den Entbehrungen und den Einschränkungen gelitten, die er damals in seiner Heimat ertragen musste. Wenn jemand diesen primitiven Verhältnissen entgehen wollte, dann musste er in den Weltraum auswandern und in einer der vielen Kolonien sein Glück versuchen, denn nur dort konnte er eine gute Ausbildung und die Aussicht auf einen Arbeitsplatz mit angemessener Entlohnung erhalten. Jeder, der irgendwie konnte, nutzte die seltene Gelegenheit, die Erde zu verlassen, während die Zurückgebliebenen mit niederen Tätigkeiten mehr schlecht als recht ihren Lebensunterhalt verdienten.

    Nachdem Jans Bruder mit fünfzehn Jahren die Schule beendet hatte, gab es für ihn keine Möglichkeit, in den Weltraum auszuwandern. Er musste die Familie verlassen, um in einer weit entfernten Stadt eine gering bezahlte Arbeit anzunehmen. Trotzdem war er froh, dass er überhaupt eine Anstellung gefunden hatte. Jan, der bis dahin stolz zu seinem älteren Bruder aufgesehen hatte, wusste, dass ihm ein ähnliches Schicksal bevorstand, wenn nicht ein Wunder geschah.

    Daher war Jan überglücklich, als er wenig später zu seiner Tante und seinem Onkel auf die Mondstation durfte. Aufgeregt und voller Neugier ging er an Bord des riesigen Raumschiffes, das ihn in ein neues, vielversprechendes Leben bringen sollte. Nach einer sechswöchigen Reise mit Überlichtgeschwindigkeit erreichte Jan sein Ziel. Zunächst war alles für ihn ungewöhnlich und beeindruckend. Damals als zehnjähriger Junge war er überwältigt von dem Wohlstand gewesen, den er nun genießen durfte. Jedoch schon innerhalb kurzer Zeit spürte er, welch hohen Preis er dafür gezahlt hatte und wünschte sich zurück auf die Erde.

    Hier in der Station zählten nur Fleiß und Leistungswille. Von den Kindern wurde erwartet, dass sie ihre Ausbildung auf dem schnellsten Weg vorantrieben, um eine der vielen Aufgaben übernehmen zu können. Zeit zum Spielen blieb Jan nicht. Seine Freiheit, die er in seiner Heimat so geschätzt hatte, galt hier nichts. Während die anderen Kinder miteinander wetteiferten, wer der Tüchtigste von ihnen sei, sträubte sich Jan gegen diesen Leistungsdruck und verweigerte sich immer mehr.

    Mit Tränen in den Augen beobachtete Jan das Himmelszelt und trauerte seiner glücklichen Kindheit nach, die er zu Hause bei seinen Eltern verbracht hatte. Selbst das Licht der Sterne empfand er hier oben im All als unterkühlt und leblos. Er vermisste die Sanftheit ihres Funkelns, das ihm von der Erde her vertraut war. Sein Wunsch, dorthin zurückzukehren, wuchs in ihm und wurde stärker und stärker. Mit den Augen suchte er das Firmament ab und hoffte, irgendwo in dem undurchdringlich tiefen Schwarz die irdische Sonne zu entdecken. Dabei wusste er, dass das unmöglich war, da sie viel zu weit entfernt war. Dennoch suchte er dort draußen mit seinen Blicken die Freiheit, die er hier drinnen nicht fand.

    Insofern hatte Jan großes Glück, denn das Appartement von Tante Martha und Onkel Wilhelm war eines der wenigen in der Mondstation, das einen Raum mit Fenstern zum Weltraum besaß. Nur weil seine Tante eine einflussreiche Position als Leiterin der wissenschaftlichen Abteilung innehatte, stand ihnen dieses Privileg zu. Für die beengten Verhältnisse in dieser Station war die Wohnung sogar geräumig. Immerhin hatte Jan sein eigenes Zimmer, wenn es auch winzig war. Die Angestellten und Arbeiter mussten sich mit ihren Familien deutlich engere Behausungen teilen. Ihre Wohnstätten hatten keine Fenster, durch die er hätte die Sterne betrachten können.

    Gerade hatte Jan ein unerfreuliches Gespräch mit Tante Martha über sich ergehen lassen müssen. Wie meistens ging es um seine schulischen Leistungen. Wenn sich eines in den vergangenen Jahrzehnten nicht verändert hatte, dann war das die Schule. Zwar hatte man versucht, die Kinder mit Computern und neunen Medien zu unterrichten, aber es stellte sich heraus, dass der Unterricht im Klassenverband mit persönlicher Anwesenheit der Mitschüler und des Lehrers am effektivsten war.

    Jan ging nicht gerne in die Schule der Mondstation, sondern hasste sie aus voller Überzeugung. Er lehnte dieses gesamte System ab, das seine Persönlichkeit und Freiheit unterdrückte und einzig darauf ausgerichtet war, effektive Arbeitskräfte heranzubilden. In seiner alten Schule auf der Erde war er einer der besten Schüler in seiner Klasse gewesen, aber hier war er mit Abstand der Schlechteste. Er hatte keinerlei Interesse, dem Unterricht zu folgen, der ihn zu einem kleinen Rädchen im großen Getriebe machen sollte.

    Zweimal musste Jan eine Klassenstufe zurücktreten, weil er das Unterrichtsziel nicht erreicht hatte. Wenn er ein weiteres Mal das Klassenziel verfehlte, würde er aus der Schule ausgeschlossen und müsste als ungelernte Hilfskraft für einen Hungerlohn arbeiten oder zur Erde zurückkehren. Zwar wünschte sich Jan nichts sehnlicher als die Heimkehr, aber er wollte seine Eltern nicht enttäuschen. Sie waren unendlich stolz auf ihn und freuten sich, dass er es einmal besser haben sollte als sie. Alles gaben sie für ihn, damit er bei seinen Verwandten in der Mondstation eine gute Ausbildung bekommen konnte. Sogar den teuren Flug in diesen entlegenen Winkel des Weltraums hatte sie von ihrem mühsam Ersparten bezahlt. Nein! Er durfte seinen Eltern nicht diese maßlose Enttäuschung bereiten. Jan war ratlos.

    Seine Tante hatte nicht das geringste Verständnis für Jans Probleme. Sie war äußerst zielstrebig und erfolgreich. Sie kannte nichts anderes als ihre Arbeit und verlangte von sich selbst und anderen stets Höchstleistung und volle Einsatzbereitschaft. Nur so hatte sie es zur Leiterin der wissenschaftlichen Abteilung schaffen können. Begriffe wie Freizeit oder Erholung waren ihr fremd. Zu ihrer Zerstreuung trieb sie Sport, wobei sie ebenfalls zu höchsten Leistungen strebte. Tante Martha besaß nichts Herzliches und strahlte keinerlei menschliche Wärme aus. Sie verströmte nur die Kälte einer perfekt funktionierenden Maschine.

    Jan hörte, wie sich leise hinter ihm der Zugang öffnete. Dieser Raum mit den Fenstern zum Weltraum wurde „die Veranda" genannt, obwohl kaum etwas an ihm an eine Veranda erinnerte, die Jan von der Erde kannte. Zur Sicherheit war diese Kammer durch eine stabile Tür, die bei einer Beschädigung der Glasscheiben oder bei Wartungsarbeiten an den Fenstern luftdicht verschlossen werden konnte, vom restlichen Wohnbereich abgetrennt. Durch diese Sicherheitstür trat Onkel Wilhelm ein und setzte sich neben Jan auf einen der Liegesessel.

    Er war der jüngere Bruder von Jans Vater und ein gutmütiger, verständnisvoller Mensch. Darin unterschied er sich grundsätzlich von seiner Tante. Jan fragte sich, weshalb diese beiden, die verschiedener kaum sein konnten, zusammengekommen waren. Er vermutete, dass dies für seinen Onkel der einzige Weg gewesen war, um die Erde verlassen und in den Weltraum auswandern zu können, während Tante Martha nur einen Vater für ihren Nachwuchs suchte, der ihr möglichst wenig widersprach. Onkel Wilhelm arbeitete in der Verwaltung der Mondstation auf einem unbedeutenden Posten, der keine großen Herausforderungen an ihn stellte. Er hatte sich mit seinem Schicksal abgefunden und dachte nicht daran, etwas an seinem uninteressanten Leben ändern zu wollen, sondern genoss die Vorteile, die es ihm bot.

    „Du musst deine Tante verstehen. Sie macht sich große Sorgen um dich", begann Onkel Wilhelm in einem einfühlsamen Ton, nachdem er tief geseufzt hatte.

    Jan antwortete nicht, sondern hatte seine Augen weiterhin auf die Sterne gerichtet.

    „Du weißt, dass es eine einmalige Gelegenheit für dich ist, hier auf der Station sein zu dürfen, fuhr der Onkel fort. „Du kannst Kariere machen, zu Wohlstand und hohem Ansehen gelangen. Bitte, tu etwas für die Schule und wirf diese großartige Chance nicht einfach weg!

    Oft, viel zu oft hatte Jan diese Worte bereits gehört. Er hörte sie wieder und immer wieder, aber sie erreichten ihn nicht, sondern prallten an ihm ab.

    Ohne eine Antwort von Jan abzuwarten, sprach Onkel Wilhelm weiter: „Alles, alles kannst du hier bei uns werden, was du willst. Deine Eltern werden stolz auf dich sein. Denk auch an die beiden! Sie haben große Hoffnungen in dich gesetzt. Bitte, enttäusche sie nicht!"

    ‚Alles, was du willst’, wiederholte Jan still in seinen Gedanken. Aber was wollte er? So werden wie seine Tante oder sein Onkel mit Sicherheit nicht. Seine Eltern enttäuschen wollte er erst recht nicht. Er wusste nur, dass er wieder zurück auf die Erde wollte, suchte aber nach einem Weg, bei dem er seinen Eltern die große Enttäuschung ersparen konnte.

    „Ich weiß nicht, was ich mit dir machen soll, setzte der Onkel seinen Monolog fort. „Ich begreife dich nicht. Jeder andere wäre froh, wenn er diese Möglichkeiten hätte, die dir hier geboten werden, aber du lässt sie einfach nur ungenutzt verstreichen.

    Jan spürte, dass seine Stimme nun erregter und ungeduldiger klang. Er konnte verstehen, dass sich Onkel Wilhelm Sorgen machte. Der jedoch verstand Jans tatsächliche Sehnsüchte und Bedürfnisse nicht.

    Traurig blickte er seinen Onkel an und antwortete emotionslos: „Du hast ja recht, Onkel Wilhelm, aber ich bin eben so. Ich kann nicht anders."

    Der Onkel seufzte erneut, klopfte Jan auf die Schulter, erhob sich und ging. Jan wendete sich wieder den Sternen zu. Statt auf der Erde zwar arm, aber dafür glücklich zu sein, befand er sich weit weg von ihr auf einem tristen Mond ohne Namen. Nur weil es hier ein besonderes Erz im Überfluss gab, das sonst überall im Universum selten war und dringend benötigt wurde, hatte man diesen Außenposten der Menschheit auf dem unwirtlichen und kargen Himmelskörper in lebensfeindlicher Umgebung errichtet.

    Die Mondstation war eine der am weitesten von der Erde entfernten Niederlassungen der Menschen. Es gab nur wenige Kolonien, die noch weiter außerhalb lagen. Hier war mit Abstand der einsamste Ort, den Jan sich vorstellen konnte, denn nicht nur bis zur Erde war die Entfernung unvorstellbar groß, sondern auch zu den anderen menschlichen Ansiedlungen, die im Weltall weit verteilt waren.

    Alle sechs Wochen holten unbemannte Frachter das abgebaute Erz ab und brachten es an die verschiedenen Orte, an denen es gebraucht wurde. Zweimal im Jahr kam ein bemanntes Versorgungsraumschiff von einer der größeren Kolonien in diese Abgeschiedenheit, um neue Vorräte, frische Arbeitskräfte, Ersatzteile und Dinge des täglichen Bedarfs, die nicht auf der Mondstation hergestellt werden konnten, mitzubringen. Auf seinem Rückflug nahm es die Menschen mit, deren Arbeitsverträge beendet waren und die in einer anderen Kolonie ihr Glück versuchen wollten.

    Wenn eines der Versorgungsschiffe die Mondstation erreichte, herrschte große Aufregung. Es brachte nicht nur seine Fracht und neue Leute mit, sondern auch interessante Neuigkeiten aus den Kolonien. Meist blieben die Schiffe ein bis zwei Wochen, bevor sie ihre Rückreise antraten. In dieser Zeit versuchten die Bewohner der Station, der Besatzung des Raumfahrzeugs möglichst viele Informationen darüber zu entlocken, was draußen in Welt vor sich ging.

    Zwar gab es auch Hyperraumfunk für die Kommunikation zwischen den Kolonien und der Mondstation, aber der benötigte fast ebenso lange wie die Raumschiffe, die mit Überlichtgeschwindigkeit durch den Hyperraum flogen. Einmal im Monat durfte Jan seinen Eltern eine kurze Nachricht damit schicken, auf die er drei Monate später eine Antwort erhielt. Seit über einem Jahr war in einer Nachbargalaxie ein Quasar ungewöhnlich aktiv. Dabei sendete dieser Himmelskörper so starke Radiowellen aus, dass dadurch der Hyperraumfunk gestört wurde und selbst diese spärliche Informationsquelle ausfiel. Umso wichtiger waren daher die Nachrichten, die die Versorgungsschiffe mitbrachten.

    Diese Raumfahrzeuge waren so riesig, dass sie nicht landen konnten, sondern im Orbit um den Mond kreisen mussten. Kleinere Schiffe starteten von der Mondstation, um Ladung und Passagiere auszutauschen. Erst vor zwei Wochen war ein Versorgungsschiff eingetroffen. Jan versuchte, von der Mannschaft etwas über die Erde zu erfahren, aber keiner wusste etwas zu berichten. Kaum jemand außer Jan interessierte sich für so einen armseligen Planeten. Vor einigen Tagen war das Schiff wieder aufgebrochen, nachdem es seine Ladung gelöscht und einige Passagiere an Bord genommen hatte. Gerne wäre Jan mit ihnen geflogen.

    Jan war verzweifelt. Er sehnte sich zurück auf die Erde. Selbst wenn er hier in der Schule gut vorankäme, würde er noch drei Jahre bis zum Abschluss benötigen. Danach müsste er eine Ausbildung absolvieren, die mindestens drei weitere Jahre oder länger dauern würde. Frühestens in sechs Jahren könnte er also in seine heiß ersehnte, vertraute Umgebung zurückkehren. Dann wäre er zwanzig Jahre alt und bereits ein junger Mann. Wobei äußerst fraglich war, ob er das alles in der dafür vorgesehenen Zeitspanne schaffen würde. Jan mochte nicht daran denken. Diese unerträglich lange Zeit könnte er niemals überstehen.

    Auch wenn der Mond, auf dem Jan festsaß, nach seinem Rhythmus um seinen Planeten kreiste, der wiederum in seinem eigenen Tempo seine Bahn um das Zentralgestirn zog, so hatte man die Zeitrechnung in Jahren, Monaten, Wochen und Tagen beibehalten, wie sie auf der Erde galt. Hier in der Mondstation gab es ohnehin keinen Unterschied zwischen Tag und Nacht und keine Jahreszeiten.

    2. Verbotene Spiele

    Jan hatte einige Zeit betrübt zu den Sternen aufgesehen, als er hörte, wie sich erneut die Tür öffnete.

    „Na, was macht mein fauler Cousin? Liegt er wieder rum und tut nichts?", plärrte Mechthild los, als sie die Veranda betrat.

    Jan entgegnete nichts. Er hasste seine Cousine. Mit ihren kurzen, blonden Haaren und ihrem schlanken, sehnigen Körper sah sie wie ihre Mutter aus. Auch sonst glich sie Tante Martha in jeder Beziehung. Sie war auf übermenschliche Weise fleißig und strebsam. Obwohl Mechthild mit ihren dreizehn Jahren ein Jahr jünger war als Jan, ging sie in seine ehemalige Klasse, da sie aufgrund ihrer herausragenden Leistungen eine Klassenstufe übersprungen hatte. Sofort hatte sie es dort zur Klassenbesten geschafft.

    Jan konnte nicht verstehen, dass Lernen ihr so viel Spaß machte. Selbst in ihrer Freizeit lernte sie freiwillig und genoss das Vergnügen, das sie dabei empfand. Wenn Mechthild einmal nicht etwas für die Schule tat, dann trieb sie Sport wie ihre Mutter. An ihrem Verhalten war nichts von dem eines Kindes oder einer Heranwachsenden. Sie war nichts anderes als eine originalgetreue Kopie ihrer Mutter. Nach Jans Meinung war sie sogar schlimmer als das.

    Mechthild versuchte nicht zu verbergen, dass sie sich für etwas Besseres hielt. Sie behandelte Jan arrogant von oben herab und sah in ihm einen arbeitsscheuen Nichtsnutz. Deutlich zeigte sie Jan, dass sie ihn verachtete, weil er nicht annähernd so fleißig und pflichtbewusst war wie sie. Jan litt darunter und verabscheute sie deswegen. Seit zwei Wochen machte Mechthild ein Praktikum bei ihrer Mutter in der Wissenschaftsabteilung. Dadurch war sie noch eingebildeter als ohnehin schon. Stolz zeigte sie allen die blauen Schulterstücke an ihrem Anzug, durch die sie als Angehörige des Wissenschaftspersonals zu erkennen war.

    Alle Bewohner in der Mondstation mussten graue Anzüge tragen, die optimal für das Leben in dieser künstlichen Welt angepasst waren. Die farbigen Schulterstücke gaben zu erkennen, welche Tätigkeit der Träger ausübte und zu welcher Abteilung er gehörte. Nur Schüler, jüngere Kinder und die wenigen Personen, die aus anderen Gründen nicht arbeiteten, trugen graue Schulterstücke in der Farbe des Anzugsstoffes. Mechthild meinte, dass selbst dies zu viel Ehre für ihren Cousin sei und er noch nicht einmal diese einfachen Abzeichen verdient hätte.

    Jan hasste es, diese Uniform tragen zu müssen, in der alle Menschen gleich aussahen. Dadurch verstärkte sich sein Gefühl, nur ein unbedeutender Teil einer großen anonymen Masse zu sein. Auf der Erde kleidete sich jedes Kind und jeder Mensch so, wie es ihm gefiel. Jan hatte Kleidung in den unterschiedlichsten Farben besessen und jeden Tag etwas anderes davon angezogen. Damals war ihm nicht bewusst gewesen, welche Freiheit das für ihn bedeutet hatte, die ihm nun genommen war.

    Ohne auf Jan Rücksicht zu nehmen, setzte sich Mechthild auf einen der Sessel und begann sofort, auf ihrem Handcomputer Aufgaben für die Schule zu lösen. Jans Ruhe war durch ihren Arbeitseifer gestört. So konnte er nicht den Anblick der Sterne genießen und träumen. Er sprang auf und lief in den Wohnbereich.

    Zielstrebig ging er auf die Wohnungstür zu und rief im Vorbeigehen Tante Martha und Onkel Wilhelm zu: „Ich gehe noch etwas spazieren. Ich komme bald wieder."

    „Geh nicht wieder zu diesem Piet! Wir haben dir verboten, ihn zu besuchen. Er ist kein guter Umgang für dich", kommandierte Tante Martha mit strenger Stimme.

    „Nein, ich laufe nur herum, sagte ich doch", entgegnete Jan und verschwand durch die Tür, bevor Tante Martha etwas sagen konnte.

    Draußen auf dem Gang waren nur wenige Menschen unterwegs, sodass Jan kaum jemandem begegnete. In diesem Bereich der Station, in dem das Appartement von Tante Martha und Onkel Wilhelm lag, befanden sich die größeren Wohnungen der leitenden Mitarbeiter. Nur wer hier wohnte oder etwas zu tun hatte, kam hierher.

    Jan folgte dem Gang und bog um mehrere Ecken, bis er eine kleine Einkaufsstraße mit einigen Geschäften erreichte. Es herrschte reges Treiben. Vor einem der Läden drängten sich die Kunden. Jan ließ sich nicht davon beirren und durchschritt die Ladenstraße zügig. An deren anderem Ende fing der Teil der Station an, in dem die einfacheren Mitarbeiter wohnten. Der Junge kämpfte sich durch das unübersichtliche Wirrwarr von Gängen, Abzweigungen, Treppen und Aufzügen. Obwohl überall Wegweiser angebracht waren und die Mondstation nach einem strengen Schema aufgebaut war, musste Jan sich konzentrieren, um sich nicht zu verirren. Wenn er den Weg nicht schon öfter gegangen wäre, hätte er sich mit Sicherheit verlaufen.

    Schließlich erreichte er den Bezirk, in dem die ungelernten Arbeiter und Hilfskräfte lebten. Die Luft war stickig und voller unangenehmer Gerüche. Die Gänge wurden schmaler und stellenweise lag Unrat auf dem Boden. Hier war die drangvolle Enge, die auf der Mondstation herrschte, um ein Vielfaches deutlicher zu spüren.

    Jan kam an einer Bar vorbei, die verrufen aussah und es vermutlich auch war. Gerade als er an der Tür vorbeiging, torkelte ein stämmiger Mann heraus und lallte etwas Unverständliches. Jan verstand den Betrunkenen nicht und wollte weitergehen, aber der Mann stellte sich ihm in den Weg. Ihm wurde übel, als er den alkoholisierten Atem des Muskelprotzes roch. Der Junge versuchte,

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