Swimmingpool-Kinder: Science-Fiction-Roman
Von Cornelia Jönsson
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Über dieses E-Book
Allerdings kann er sich der Liebe nicht ewig widersetzen. Zu allem Überfluss schenkt er sein Herz einem Mann, eine lebensbedrohliche Situation für beide.
Aber mit der Liebe kommt auch die Sehnsucht nach Geschichten, nach Erzählungen.
Samisor gibt seinen Impulsen nach langer Zeit nach. Und er macht dabei Bekanntschaft mit subversiven Untergrundkämpfern.
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Buchvorschau
Swimmingpool-Kinder - Cornelia Jönsson
Die Swimmingpool-Kinder
1
Als im Jahre 2222 die Grenzen der alten Welt eingerissen wurden zugunsten einer neuen, von der Konzernunion geschaffenen Weltordnung, hatte Samisor Taffi Glück.
Er war damals fünf Jahre alt und ging in der Küche gemeinsam mit seinem großen Bruder der Mutter auf die Nerven, die verzweifelt versuchte, herauszufinden, wo der Herd steckte.
Samisors Familie war gerade auf Geheiß des Konzerns, für den sein Vater als Schlosser arbeitete, aus ihrer neuiberischen Heimat weggezogen in eine ganz andere, weit entfernte Gegend, die Europanien hieß.
In Europanien war alles sehr bunt und hektisch. Es gab große, hohe Häuser in allen möglichen Farben mit breiten, glänzenden Fensterfronten. Durch die weitläufigen Straßenschluchten zwischen den Häusern glitten runde, bunte Fahrdosen. An den Häuserfassaden rankten sich weitere Fahrbahnen in die Höhe. Über den Gebäuden fegten Flugdosen durch die Luft.
Es war ganz anders hier als in Samisors Heimat, denn Europanien gehörte zum reichen Teil der Welt. Das hatte Samisors Familie, die aus einem kleinen Dorf nahe dem Urwald kam, natürlich gewusst, weswegen sie sich sehr gefreut hatte, vom Konzern hierher umgesiedelt zu werden.
Aber als sie erst einmal hier waren, stellte sich heraus, dass es für Fremde unglaublich schwer war, sich in Europanien zurechtzufinden, weil eben einfach alles anders war. Und man fragte besser niemanden nach Erklärungen, denn daran würden die Leute ja erkennen, dass man nicht von hier war, und mit Fremden durfte man alles machen, was man wollte.
Die anderen Kinder könnten dann zum Beispiel Samisors weniges Spielzeug beschlagnahmen. Wobei das nicht wirklich schlimm wäre, denn Samisor wusste sowieso nicht, was er mit seinem Spielzeug anfangen sollte. Sein altes von zu Hause hatte er, kaum, dass er angekommen war, beim Konzern abgeben müssen und als Ersatz schenkten sie ihm neues, europanisches.
Dieses europanische Spielzeug war nun aber sehr eigenartig. Die Kinder hierzulande spielten offensichtlich nicht mit Stofftieren oder Puppen, wie Samisor das von zu Hause kannte. Das Spielzeug hier war eher abstrakt geformt. Es war rund oder eckig, hart oder weich, immer kunterbunt und vor allen Dingen unberechenbar. Manchmal, wenn man es irgendwie drückte, oder ein Geräusch machte, zum Beispiel husten musste, oder wenn man sich in einer bestimmten Weise bewegte, dann tat das so genannte Spielzeug plötzlich die komischsten Dinge. Die einzelnen Spielsachen gingen aufeinander los und schlugen sich kaputt, sie ergriffen die Flucht, oder aber sie rotteten sich zusammen und stürzten sich gemeinsam auf Samisor. Der bekam furchtbare Angst und wusste nicht, wie er das Spielzeug wieder bändigen sollte. Also fesselte er schließlich die Spielsachen mit Kabeln und steckte sie in eine große, durchsichtige Tasche (damit alle wussten, dass er durchaus Spielzeug besaß, denn das musste man schließlich als europanisches Kind), die er mit einem Vorhängeschloss fest verriegelte.
Seine Eltern hatten ihn beschworen, bloß niemandem von seiner Angst vor dem Spielzeug zu erzählen, also behauptete er immer, er hätte unangenehme Erfahrungen mit Dieben gemacht. Das brachte ihm eine milde Verachtung und einen gewissen Spott ein, mehr Ärger aber nicht.
Gefährlicher als das Spielzeug waren die Schulstunden, zum Beispiel der Verteidigungsunterricht.
Jeden Monat entwickelten die Konzerne neue Waffen, die speziell für das Kindermilitär gedacht waren und die Lehrer in der Schule erklärten dann den Umgang mit der neuen Waffe.
Die anderen Kinder fanden sich in der Regel schnell zurecht, weil die neuen Waffen sich nur unwesentlich von denen des Vormonats unterschieden.
Für Samisor hingegen war es schwieriger, denn er kannte diese hoch technisierten Waffen ja gar nicht.
Sicher hatte er sie schon einmal gesehen. Als er nämlich noch in Neuiberien lebte, kamen regelmäßig die Ordnungskinder vom europanischen Militär, um die neuiberischen Kinder umzubringen, die nicht effektiv genug arbeiteten.
Aber das war eine völlig andere Perspektive gewesen.
In der ersten Verteidigungsstunde war Samisor kurz davor, einfach zu fragen, wie denn diese Dinger nun im Allgemeinen zu handhaben seien. Denn er war ein kluger Junge, und wenn man ihm die Sache einmal in Ruhe erklärt hätte, hätte er sich sicher sehr schnell sehr gut zurecht gefunden mit all den Waffen. Aber er traute sich nicht. Er hatte Fragen im Verdacht, ziemlich gefährliche Wesen zu sein.
Die Lehrer wiederum halfen Samisor beim Eingewöhnen deswegen nicht, weil sie schlichtweg nicht wussten, dass er ein Fremder war. Samisors Familie kam mit einer ganzen Schwemme von Gastarbeitern nach Europanien, die alle gleichzeitig ihre Kinder an der Schule anmeldeten. Irgendwie gingen Samisor und sein Bruder mit ihren für Neuiberirer ungewöhnlich hellen Haaren dabei unter. Und das war auch gut so. Wie sich bald herausstellte, war es nämlich üblich, Kinder aus Afrikanien, zur Not auch aus Neuiberien als Versuchspersonen nach vorne zu bitten, damit ihre Mitschüler die neuen Waffen erst einmal im friedlichen Rahmen der Schule ausprobieren konnten, bevor sie zu einem richtigen Einsatz geschickt wurden. Weil aber die Versuchskinder nach einem Mal alle aufgebraucht waren (Wer Tote vernichtete, fiel wegen Nicht-Effizienz durch), verstand der kleine fünfjährige Samisor ein für alle Mal - und das war wahrscheinlich das Wichtigste, was er je verstanden hatte, wichtiger, als das man Mamas frischen Kuchen nicht heimlich naschen darf – wie gefährlich Fragen sein können.
Aber zurück zum Anfang der Geschichte: Samisor und sein großer Bruder ärgerten ihre Mutter, die den Herd suchte. Die neue Küche war riesig, alles aus Stahl und Glas, es gab viele helle Lämpchen in den unterschiedlichsten Farben, die Kacheln waren mit lustigen bunten Motiven bemalt, man konnte an einer langen amerikanischen Bar sitzen und die Beine baumeln lassen.
Der Vater, so hatten sie verabredet, sollte nach der Arbeit einkaufen gehen. Dann würde die Mutter, während er sich erholte, das Abendessen zubereiten.
Aber Samisors Mutter fand den Herd nicht und sie hegte die Befürchtung, dass in Europanien vielleicht gar keine Herde existierten. Und der Herd war nicht das Einzige, was fehlte. Samisors Mutter konnte auch keinen Kühlschrank finden. Selbst in ihrem kleinen neuiberischen Dorf am Rande des Urwalds hatten sie einen Kühlschrank besessen, sogar mit einem Tiefkühlfach, also müsste es doch in ihrer neuen Küche im reichen, modernen Europanien eigentlich nur so wimmeln von Kühlschränken, dachte Frau Taffi. Und es müsste Mixer geben und Schneidemaschinen, Küchenmaschinen, Geschirrspülmaschinen, all das, wofür sie zwischen den Seifenopern immer geworben hatten im neuiberischen Fernsehen.
Auf diese Geräte konnte Samisors Mutter natürlich verzichten, aber sie wusste nicht, wie die Menschen hierzulande ohne Herde kochten und folglich aßen. Ihr Mann, der versprochen hatte, das herauszufinden, war immer noch nicht von der Arbeit zurück, und wenn er käme, würde er hungrig sein. Falls er käme. Sie musste momentan ständig damit rechnen, dass er nicht von der Arbeit zurückkehrte, denn man hatte ihn geholt, um an irgendwelchen Bauarbeiten mitzuwirken, bei denen sehr giftige Gase freigesetzt wurden. Wahrscheinlich konnte man sich mit entsprechenden Anzügen und Masken vor ihnen schützen, aber sicher war das nicht. Sonst hätten ja auch Europanier den Job machen können.
Während Samisor, sein Bruder und die inzwischen völlig verzweifelte und auch hungrige Frau Taffi in der großen Küche jeden Winkel durchstöberten, in jeder einzelnen