Stieg Larsson lebt!: Entfremdung I
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FIKTION ODER LEGENDE? Im Mai 1998 äußerte Stieg Larsson seinem Kollegen Henrik Kristiansson gegenüber die Idee für ein Buch, in dem er ein traumatisches Erlebnis aus seiner Jugend verarbeiten wollte. Die beiden Journalisten saßen in Stockholm bei einem Bier zusammen und spannen gemeinsam die Fäden für einen komplexen 2-teiligen Roman, dessen Kern das von Larsson selbst erlebte Verbrechen bilden sollte. 2004 verstarb Larsson, ohne dass aus der Idee für den Roman mehr geworden wäre. Auch Aufzeichnungen gab es keine. Lediglich für den Arbeitstitel (auf Deutsch etwa: "Die Pyramide, die in sich zusammenfiel") hatte Larsson noch Verwendung: Er ging auf in dem Originaltitel des dritten Millennium-Bandes (auf Deutsch etwa: "Das Luftschloss, das in die Luft gesprengt wurde"). Auf einer Germanisten-Fachtagung im italienischen Bozen 2013 traf Kristiansson im Anschluss an eine Autorenlesung den in deutscher Sprache schreibenden Westschweizer Independent-Autor Didier Desmerveilles, der ihm von seiner Hommage-Reihe "Die Legende lebt" erzählte, die sich damals noch im Planungsstadium befand. Desmerveilles zeigte sich von der Plot-Idee zu "Die Pyramide, die in sich zusammenfiel" sofort angetan und versprach ein Exposee zu verfassen, das er Kristiansson im Dezember 2013 vorlegte.
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Buchvorschau
Stieg Larsson lebt! - Didier Desmerveilles
Statt eines Vorworts
Am 09.01.2016 18:29 schrieb Henrik Kristiansson
Lieber D.,
vielen Dank für die Zusendung des fast fertigen Manuskripts. Seit Bozen ist viel Zeit vergangen und ich denke immer wieder gern an die Lesung mit dem Rumänendeutschen zurück, dessen Namen ich mir wohl nie merken werde... Hast du »Der blinde Masseur« inzwischen gelesen? Wahrscheinlich nicht, denn du hast mit den Nacharbeiten zur »Pyramide« genug zu tun. Du bittest um ein kritisches Urteil und meine Antwort kommt spät, hoffentlich nicht zu spät. Aber auch ich versinke in Arbeit. Bitte sieh mir die Verspätung nach. Nun, mein Deutsch ist nicht gut genug, um stilistische Feinheiten beurteilen zu können; andererseits wurden ja auch Stiegs Bücher nicht in erster Linie wegen ihrer kunstvollen Sprache von so vielen Lesern weltweit verschlungen. Mir ist allerdings aufgefallen, dass du in einigen Abschnitten sehr lange Sätze hast. Anders als deine Lektorin stören mich die leicht ins Philosophische abdriftenden Passagen nicht. Ich glaube, Stieg hätte das geliebt. Ein Autor muss sich seinem Lektor (pardon, seiner Lektorin) gegenüber auch mal durchsetzen, sonst wird ein Roman schnell zu einem austauschbaren Produkt!
Stieg war selbst ein sehr nachdenklicher Mensch, und wenn Tim Rasmussen kein gutes Haar an der Natur des Menschen lässt, hätte das, glaube ich, Stiegs Beifall gefunden, auch wenn er selbst sich nicht so stark wie du auf religiös-existenzielle Fragestellungen eingelassen hat (jedenfalls nicht in seinen Romanen). Was du aus dem Plot gemacht hast, den Stieg mir ja damals in Stockholm nur ganz grob umrissen hat und den ich dir in Bozen wiederum nur in einer stark skelettierten Form weitersagen konnte, finde ich beachtlich. Respekt dafür! Es ist ja so ein bisschen wie mit diesem Kinderspiel, wo man seinem Nachbarn etwas ins Ohr flüstert, der das Gehörte dem Nächsten weitersagen muss und am Ende viel Gelächter entsteht, wenn der Letzte in der Reihe dann vor allen preisgeben muss, was er gehört hat. Gibt es das bei euch auch? Wir haben das als Kinder oft gespielt. Nun, ich finde, dass du kein Gelächter riskierst. Der Kern, dieses in den Abgründen der menschlichen Seele geborene grausame Verbrechen, ohne das Stieg vielleicht ein ganz anderer Mensch geworden wäre, ist in deinem Manuskript immer noch das Kraftzentrum der Handlung und hat auch nichts von seiner Kraft eingebüßt. Es trägt den ganzen Roman, auch die komplexe Handlung, die du um dieses Zentrum herum erdichtet hast. Und du hast recht: Im Grunde wäre »Stieg Larssons Geheimnis« auch ein passender Titel für das Buch, denn so paradox es klingen mag: Dieser Albtraum, den man seinem schlimmsten Feind nicht wünscht, ist letztlich der Schlüssel zu seinem Werk und das Geheimnis seines Erfolges. Den Originaltitel kann man nicht mehr verwenden, weil er in »Luftslottet som sprängdes« aufgegangen ist. Außerdem haben die deutschen Übersetzungen sowieso immer ganz andere Titel gehabt als im Schwedischen. »Entfremdung« finde ich daher auch gut. Mit beiden Lösungen kann ich gut leben. Und wenn es eine größere Sache wird, entscheiden am Ende sowieso die Marketingstrategen eines Verlags und du hast eine Sorge weniger! Was den Handlungsort angeht, muss ich dir gestehen, dass ich trotz deiner vielen einleuchtenden Argumente immer noch ein bisschen Bauchschmerzen damit habe! Andererseits hast du recht: Die Winter sind wohl auch in Schleswig-Holstein trübe, nass und dunkel, und es spielt wirklich nur eine geringe Rolle, ob man im Spätherbst drei oder sechs Stunden Tageslicht hat. Vielleicht sollte ich selbstkritischer sein. Vielleicht ist das nur blöder Lokalpatriotismus und der Stolz darauf, dass gerade mein Land so berühmte Kriminalschriftsteller hervorgebracht hat, dass ich mich jetzt mit der Verlagerung der Geschichte nach Norddeutschland so schwertue? Ich denke, ich muss meine Eitelkeit da ein bisschen bezähmen, und ich denke, dass Stieg, der über seine Romane immer so nüchtern sprach und urteilte, sich darum auch nicht großartig scheren würde. Aber es fühlt sich auch jetzt immer noch sonderbar an für mich: ein Stieg-Larsson-Roman ohne Schweden? Was ist das denn? Ich bin gespannt, wie die Leser darüber urteilen werden. Sollen sie also ihr Urteil fällen und ich schweige jetzt zu dem Thema. Denn eigentlich bin ich sehr froh, dass ich auf dich gestoßen bin, damals bei der Lesung in Bozen, und die Chemie zwischen uns beiden Literaturfreunden so gut war, dass ich am Ende dir und niemand anders den »Pyramiden«-Plot anvertraut habe. Ob es dein Buch (soll ich sagen: unser?) eines Tages auch auf Schwedisch geben wird? Das ist eine heikle Frage, denn es ist klar, dass sie unmittelbar dein Talent als Autor berührt. Denn es reicht sicher nicht aus, einen Plot von Stieg Larsson aufzumöbeln und nachzuerzählen, man muss auch die Gabe haben, in jener besonderen Weise den Nerv der Zeit treffen (oder den Nerv des Lesers?), wie es Stieg offenbar in allen drei Büchern gelang. Wäre Stieg noch am Leben, hätte er das Buch vielleicht als »Jugendsünde« veröffentlicht. So wie du es geschrieben hast, klingt in der Tat vieles für mich wie von einem noch nicht ausgereiften Stieg. Man könnte die »Pyramide« als Frühwerk auffassen, in dem vieles von dem schon angelegt ist, was Stieg Larsson zu so überwältigender Größe verholfen hat, aber es hat sich noch nicht zu voller Pracht entfaltet. Die Konturen von Mikael sind schon zu erkennen, aber eine Lisbeth muss erst noch geboren werden aus dem Unrat dieser Welt und der Erfahrungen, die wir in ihr machen, je länger wir leben. (Das klang jetzt total nach Stieg, oder?) Deine Charlotte ist dagegen, wie ich dir schon früher schrieb, eine eher blasse Figur. In ihr sind zwar Abgründe angelegt, aber diese Abgründe sind kleine Dellen im Vergleich zu den Tiefen, die Lisbeth durchschritten hat. Aber das Thema hatten wir schon und ich möchte mich nicht wiederholen. Mögen nun andere darüber urteilen, was an dem Buch gelungen und was weniger gelungen ist. Jedenfalls wünsche ich dir viel Glück mit dem Projekt. Ich staune schon jetzt darüber, welches Potential eine Idee haben kann, die die Ausgeburt einer Südtiroler Bierlaune ist. Ich finde es nett, dass du mich im Vorwort des Buches erwähnen möchtest, aber ich sage es noch einmal klipp und klar: Mein Anteil an diesem Buch ist der allergeringste und allerunbedeutendste, den man sich in dieser Schriftstellerwelt nur erdenken kann. Mein ganzes Verdienst besteht darin, eines Abends mit einem Kollegen, der später zur Legende werden sollte, in der Kneipe gesessen und mit ihm ein bisschen rumgesponnen zu haben. Und, na gut, mein Gedächtnis arbeitet vielleicht ganz gut und die Geschichte hat Stieg quasi überlebt, und das zufällig in meinem Geist. Aber ansonsten? Stieg allein die Ehre! Und wenn das Buch von David Lagercrantz nicht so unglaublich unlarssonhaft (unlarssonlike, kann man das ins Deutsche so übersetzen?) geworden wäre, hätte ich vielleicht wirklich mit Norstedts Kontakt aufgenommen, wie du schon damals in Bozen rietest, und wir hätten heute so was wie den achten Harry Potter auf dem Markt. Aber man muss sich mit Recht fragen, ob Stieg an diesem ganzen Rummel und nicht zuletzt an den finanziellen Dimensionen, die der Umgang mit seinem Werk angenommen hat, überhaupt seine Freude gehabt hätte. Sicher, jeder lebt gern gut und Stieg hätte ohne Frage viele sinnvolle Ideen gehabt, hätte Amnesty unterstützen oder das Geld in sozialpolitisch bedeutende Projekte stecken können, aber im Kern seines Wesens war er immer ein schlichtes Gemüt ohne Allüren. Und dazu passt diese Independent-Produktion, die du anvisierst, perfekt! Lieber D., lass es mich wissen, wenn du noch irgendetwas brauchst. Ich habe dir mit Fragen zu Details der Geschichte oft nicht weiterhelfen können, aber ich finde, was du daraus gemacht hast, wirklich gelungen. Und ich sage dir ganz offen: Ich liebe die Internatsgeschichte und überhaupt den zweiten Teil und ich sehe nicht, wie Stieg gerade die ersten Kapitel des zweiten Teils besser hätte schreiben können. Und ich liebe Alfred Eisenkrug. Der Mann hat das Zeug zum Kult! Das ist, neben aller Kritik, die ich dir bisher während des Schaffensprozesses zugemutet habe, doch auch mal ein Ansporn, oder? Danke nochmals für das Herzblut, das du bisher schon in das Projekt hast einfließen lassen, ohne zu wissen, ob sich der Aufwand je auszahlen wird. Meine besten Wünsche begleiten dich und wenn du mal nach Schweden kommst... Du weißt ja...
In herzlicher Verbundenheit
Henrik
Prolog
Sie floh. Niemals zuvor hatte sie so etwas empfunden, so eine totale, umfassende, existentielle Angst. Es war die Angst vor dem Nichts, dem Ausgelöschtsein, dem Dunkel der unendlichen Nacht. Aus ihr schöpfte sie die geradezu übermenschliche Kraft, mit der es ihr gelang, sich von ihrem Peiniger loszureißen. Blindlings, richtungslos hastete sie durch das Dickicht. Eine aus ihrer Nachtruhe aufgescheuchte Krähe schwang sich mit einem ärgerlichen Krächzen in die kühle Luft empor. Zwischen den düsteren Wolken ließ sich das blasse Antlitz des Mondes sehen. In der Ferne irgendwo heulte ein Uhu. Sie hatte keine gute Stelle gewählt. Dichtes Gebüsch und die Zweige eng stehender Bäume wehrten sich gegen ihr Eindringen mit fauchenden Peitschenhieben. Fichtennadeln zerkratzten ihr Hände und Gesicht. Schließlich stolperte sie und fiel. Sie fühlte die widerliche Hand des Peinigers ihren Fußknöchel umklammern. Dann stürzte er sich auf sie, und ihr Herz schien stillzustehen. Noch einmal wehrte sie sich verzweifelt, schlug um sich, kratzte, biss. Dabei verhedderte sich ihre Hand in einem Metallband, das ihr Feind um den Hals trug. Als sie sich davon freizumachen versuchte, bekam sie etwas Festes zwischen die Finger. Aus einem Impuls heraus zerrte sie daran. Es gab nach. Sie verschloss es in ihrer Faust, als könnte darin eine letzte Rettung liegen wie von einem magischen Amulett. Dann trafen sie auf einmal überall schmerzhafte Schläge, Schläge wie von einer Keule, so hart, so grausam, eine wüste, wütende Kanonade, die ihren Widerstand zertrümmerte. Eine monströse Klinge blitzte eine Zehntelsekunde lang über ihrem geschundenen Körper im fahlen Mondlicht auf, ein rötliches Schimmern. Blut. Ihr Blut. Nein, nein, schrie sie. Oder dachte sie es nur? Konnte sie noch schreien? Jetzt erst begann ein grausam stechender Schmerz in Bauch und Brust zu wüten. So viel Schmerz ist Tod. Das spürte sie und spürte den Tod in ihre Glieder kriechen, den kalten, finsteren, den unwillkommenen Gast. War das das Ende? Ach nein, bitte nicht! Sie liebte das Leben so sehr. Sollte sie wirklich den Tag nicht wiedersehen? Sollte in einer solchen Nacht alles enden? Ach, lieber Gott, falls du dort irgendwo bist, bitte, bitte, bitte nicht!
1 Der Fund
Auf einer Länge von exakt 98,7 Kilometern durchschneidet an ihrem südlichen Ende der Nord-Ostseekanal die Halbinsel Jütland und auf ihr das nördlichste deutsche Bundesland. Von der Kieler Bucht schlängelt sich die künstliche Wasserstraße, die eine der meistbefahrenen der Welt ist, an Rendsburg vorbei südwestwärts durch die norddeutsche Landschaft, gesäumt von Feld, Wald und Wiesen, wird dabei von zwei Autobahnen sowie der einzigartigen Rendsburger Schwebebahn überbrückt und an ihrem Endpunkt bei Brunsbüttel schließlich, die Türme eines maroden Atomkraftwerks im Rücken, eins mit der Elbe. Wie an der Hand einer großen Schwester strömt sie nach dieser Vereinigung hinaus in die unendliche Weite der rauen, nicht selten stürmischen Nordsee.
Natürlich haben sich die Schleswig-Holsteiner in ihrer schlichten Art nach hundert Jahren längst an dieses künstliche Gewässer in ihrem Binnenland gewöhnt. Keiner lebt mehr, der noch wüsste, wie es ohne den Kanal einmal war. Aber irgendwie ein komisches Ding, das der Ordnung der Natur gemäß hier nicht hingehört, ist es doch. Das spürt jeder, besonders dort, wo Wald an den Kanal grenzt. Hier kann es nämlich einem Wanderer, der sich im Wald verlaufen hat, durchaus passieren, dass in der Lichtung, der er sich hoffnungsvoll zu nähern meint, aus herbstlichen Nebelschwaden, wie von Geisterhand bewegt, ganz unvermittelt gespenstische Ozeanriesen vor seinen Augen auftauchen, und er wird Mühe haben, diesen zu trauen. Wer rechnet schließlich damit, mitten im Wald auf riesige Frachter und Passagierschiffe zu stoßen? Wüsste nicht jeder um die wirtschaftliche Notwendigkeit, der der Kanal seine Entstehung verdankt, er hielte diesen Giganten mitten im schleswig-holsteinischen Binnenland beim ersten Anblick für eine verrückte Laune der Natur.
Gerade der Kontrast zwischen typischer Binnenlandvegetation und der wie aus dem Nichts dahergekommenen wunderbar weiten Welt der Meere, die der Kanal verbindet, macht jedoch seinen eigentümlichen Reiz aus, und deswegen liebte es Tim, sich in seiner Nähe in Begleitung von Cano, einer Hirtenhund-Straßenhund-und-noch-was-anderes-Mischung, so ausgedehnten Spaziergängen hinzugeben. Aus dem Dickicht des Waldes, aus einem Knick oder dem Gebüsch am Rand einer Wiese hervorzutreten und urplötzlich vor leise plätschernden Wassermassen zu stehen, das hatte etwas Unvergleichliches. Manchmal, wenn der Übermut ihn stachelte, kam es auch vor, dass er sich auf einem einsamen Feldweg, der kilometerlang parallel zum Kanal verlief, Wettrennen mit langsam vor sich hin tuckernden Frachtern lieferte, ehe er, zermürbt vom lächerlich geringen, aber stur und unbeirrbar gleichmäßigen Tempo des Schiffes, schließlich aufgeben musste. Zu Fuß hatte nur Cano, schnell wie der Wind und nur durch einen entschlossenen Pfiff seines Herrn zu bremsen, eine Chance mitzuhalten. Mit dem Fahrrad hatten dagegen Herr und Hund, beide, schon so manches Schiff, das sich schwerfällig durch die neun bis elf Meter tiefe und mehr als doppelt so breite Fahrrinne seinen Weg bahnte, hinter sich gelassen – zumindest bis zu dem Punkt, wo sie, von einer Wegbiegung oder der trivialen Kategorie Zeit in eine andere Richtung genötigt, es doch ziehen lassen mussten und ihm auf seinem unaufhaltsamen Weg hinaus in die wunderbar weite Welt der Meere nur nachwinken konnten, gefangen in den Zwängen und Schranken ihrer kleinen Festlandwelt, vielleicht etwas Fernweh im Herzen.
Cano war sein treuer Begleiter auf allen Wegen. Ihm allein galt seine ganze Liebe und Zuwendung. Manchmal schlief der Hund sogar am Fußende seines Bettes und wärmte Tim die Füße. Langeweile blieb Cano erspart. Sein Herr war in der dankbaren Lage, immer genug Zeit für ihn erübrigen zu können. Er konnte sich in der Regel seinen Tag nach Belieben einteilen. Sein wöchentliches Arbeitspensum bei einem Hamburger Verlag für Bildbände, der nicht auf Anwesenheit im Büro bestand, sofern die Arbeit auch anderswo erledigt werden konnte, schaffte er spielend. Und andere Verpflichtungen gab es nicht. Eigentlich war Tims Leben mit dem alten Bauernhof seines Großvaters als Basis eine ausgesprochene Idylle.
Als Herr und Hund an einem trüben Donnerstagmorgen im Oktober ihrer Gewohnheit gemäß um acht Uhr früh das Haus verließen, konnte Tim nichts ahnen von den schicksalhaften Enthüllungen und Verwicklungen, die mit diesem alltäglichen Spaziergang ihren Lauf nahmen, von all diesen ziemlich gruseligen Dingen, die seine ganze, bisher so friedliche Existenz bis in ihre Grundfesten erschüttern sollten. Tim überquerte den kleinen asphaltierten Landweg, an dem der Hof gelegen war, bog nach wenigen Metern in einen schmalen Waldpfad ein und bewegte sich auf den Kanal zu. Er ließ den Hund von der Leine, der schon darauf gelauert hatte und wie gewohnt auch gleich schwanzwedelnd im Unterholz verschwand, immer der Schnauze nach. Von Zeit zu Zeit hörte Tim ihn in der Ferne verzweifelt kläffen. Dann hetzte er vermutlich wieder einem Hasen oder Reh, irgendeinem Wild hinterher, das wie immer unerreichbar blieb. Cano war noch