This is my China: Post aus 183 Tagen in China
Von Martina Schermer
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Über dieses E-Book
Martina Schermer hat sechs Monate lang in China gelebt. Sie ist sechs Monate lang hineingewachsen in das alltägliche Leben in der quirligen Millionenmetropole Shànghǎi. Sie hat gelernt, sich mit chinesischer Stoik in überfüllte Metrozüge zu quetschen, hat sich mit chinesischen Freundinnen zum Tanzen aufgebrezelt, hat mit chinesischen Kollegen Büroalltag geteilt. Sie hat Freunde gewonnen – aus China, aus Italien, Frankreich, Spanien. In einer WG, in der die Zimmertemperatur im Winter ohne Heizung auf 5 Grad Celsius sinkt, ist sie mit ihren neuen Gefährten zusammengerückt. Sie hat Arnaud beim Gitarrespielen zugehört, mit Shirley gelacht, bis der Bauch schmerzte, mit Facundo Spaghetti gekocht. Sie ist gereist: zum Familienbesuch mit einer chinesischen Freundin, mit einer Italienerin zum Perlenkauf nach Zhūjì, nach Tibet – in eine bunte, eine arme, eine andere Welt.
Über all das hat Martina geschrieben. E-Mails an die Familie und Freunde daheim. Reise- und Lebensberichte, die immer länger wurden, je weiter sie sich auf die fremden Lebensgewohnheiten eingelassen hat. Dabei konnte es passieren, dass man in einem süßen Stollen auf ein Stück salzige Salami beißt oder im Badezimmer der Gastfamilie so lange nach dem Klo sucht, bis man kapiert, dass der Duschabfluss alles in die Kanalisation befördert. Oder man gerät auf einen Markt, auf dem Eltern mit Annoncen herumwedeln, auf denen sie ihre gerade erwachsenen Kinder zum Heiraten feilbieten, aus Angst, ihnen entginge eine gute Partie. In diesen "Briefen" an die Heimat ist ein China zu entdecken jenseits stereotyper Medienberichte, in denen doch nur von der Wirtschaftsmacht Chinas, vom fernöstlichen Konkurrenten die Rede ist.
Martina Schermer
Martina Schermer wurde 1981 in Ingolstadt an der Donau (Bayern) geboren. Seit 2006 lebt und arbeitet sie in Düsseldorf. Von September 2011 bis Februar 2012 verbrachte sie einen beruflich bedingten Aufenthalt in Schanghai, China. Sie begann, ihre Erlebnisse aufzuschreiben, und schickte diese als E-Mails an Freunde und Bekannte nach Deutschland. Dieses Buch ist die überarbeitete Zusammenfassung der originalen Berichte.
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Buchvorschau
This is my China - Martina Schermer
Vorwort
Die Welt ist ein Dorf geworden. Menschen machen in den entlegensten Gegenden des Globus Urlaub, jetten von Kontinent zu Kontinent. Trotzdem gibt es noch das Unentdeckte, Unbekannte – das, wovon zu erzählen lohnt: Es ist der Alltag in fernen Ländern. Der Alltag in China zum Beispiel.
Martina Schermer hat sechs Monate lang in China gelebt. Sie ist sechs Monate lang hineingewachsen in das alltägliche Leben in der quirligen Millionenmetropole Shànghǎi. Sie hat gelernt, sich mit chinesischer Stoik in überfüllte Metrozüge zu quetschen, hat sich mit chinesischen Freundinnen zum Tanzen aufgebrezelt, hat mit chinesischen Kollegen Büroalltag geteilt. Sie hat Freunde gewonnen – aus China, aus Italien, Frankreich, Spanien. In einer WG, in der die Zimmertemperatur im Winter ohne Heizung auf 5 Grad Celsius sinkt, ist sie mit ihren neuen Gefährten zusammengerückt. Sie hat Arnaud beim Gitarrespielen zugehört, mit Shirley gelacht, bis der Bauch schmerzte, mit Facundo Spaghetti gekocht. Sie ist gereist: zum Familienbesuch mit einer chinesischen Freundin, mit einer Italienerin zum Perlenkauf nach Zhūjì, nach Tibet – in eine bunte, eine arme, eine andere Welt.
Über all das hat Martina geschrieben. E-Mails an die Familie und Freunde daheim. Reise- und Lebensberichte, die immer länger wurden, je weiter sie sich auf die fremden Lebensgewohnheiten eingelassen hat. Dabei konnte es passieren, dass man in einem süßen Stollen auf ein Stück salzige Salami beißt oder im Badezimmer der Gastfamilie so lange nach dem Klo sucht, bis man kapiert, dass der Duschabfluss alles in die Kanalisation befördert. Oder man gerät auf einen Markt, auf dem Eltern mit Annoncen herumwedeln, auf denen sie ihre gerade erwachsenen Kinder zum Heiraten feilbieten, aus Angst, ihnen entginge eine gute Partie.
In diesen „Briefen" an die Heimat ist ein China zu entdecken jenseits stereotyper Medienberichte, in denen doch nur von der Wirtschaftsmacht Chinas, vom fernöstlichen Konkurrenten die Rede ist. Martina Schermer nimmt mit in die Wohnzimmer, Garküchen, kleinen Läden, großen Supermärkte, in die Clubs der nimmermüden Metropole, in die überfüllten Straßen, die aufgeräumten Schnellzüge, und dem Leser begegnet Amüsantes, Befremdliches, Erstaunliches. Denn dieses Buch ist die Beschreibung des Aufregendsten, das man in einem fremden Land erleben kann: Alltag teilen, heimisch werden, leben.
Dorothee Krings
千里之行 – qiān lǐ zhī xíng
Eine Reise von 1.000 Meilen [beginnt mit dem ersten Schritt]
(Lǎozǐ)
Ich verlasse Deutschland am Dienstag, den 31. August 2011. Mein Rückflug: der 29. Februar des darauffolgenden Jahres. Dazwischen nur China. Mein Arbeitgeber hatte ein Austauschprogramm ins Leben gerufen. Ich bewarb mich, weil sich irgendwo tief in meinem Herzen Fernweh regte, und habe einen Platz bekommen. Meine Füße haben noch nie asiatischen Boden betreten. Und jetzt würden sie es sechs Monate lang, genau 183 Tage, tun. Im Flugzeug, als einer der wenigen Europäer unter mehr als 300 Chinesen, mache ich meinen Kopf frei. Von allen Stereotypen, Vorurteilen. Will vollkommen unbefangen sein. Um dieses Land kennenzulernen, von dem ich bislang eben nur sämtliche Stereotypen und Vorurteile aus den Medien kenne. Als ich an diesem Mittwoch lande, ist mein Kopf leer.
Und beginnt sich wieder zu füllen, nach und nach, mit Bildern, Wörtern, Orten, Menschen, Erlebnissen. Ich beginne, alles, was mir begegnet, niederzuschreiben. Dies ist die Post aus 183 Tagen in China.
Sorry, no English
Freitag, 3. September 2011
Mit meinem Koffer bin ich 500 Gramm unter dem Limit der erlaubten 23 Kilogramm. Und auch das 10 Kilogramm zu schwere Handgepäck bekomme ich – mit all meiner Leibeskraft mimend, es sei federleicht – unkontrolliert ins Flugzeug gehievt. So weit alles glatt gelaufen. Würde da nicht über die gesamte Flugzeit von zehneinhalb Stunden ein übel riechender Mensch neben mir sitzen. Weinen muss ich, weil er so stinkt. Ich tue kaum ein Auge zu.
An meinem ersten Abend habe ich eine spontane Wohnungsbesichtigung um 10 Uhr. Ich bitte das Hotelpersonal, mir die Adresse in chinesischen Lettern auf einen Zettel zu schreiben, strecke dem Taxifahrer diesen entgegen und lasse das nächtliche Shànghǎi an mir vorbeiziehen. Der potenzielle Mitbewohner ist ein netter Schwede, mit dem ich gleich bei einem chinesischen Pflaumenwein zusammensitze. Aber er entscheidet sich leider gegen mich, weil ich nur sechs Monate bleiben werde, und er zehn.
Shànghǎi ist eine sehr wilde Stadt, UNGLAUBLICH riesig.
In der Nähe meines Hotels gibt es einen Brunnen, eine Fußgängerbrücke und fünf Straßen, allesamt mörderisch gefüllt mit Autos, Motorrädern, Bussen, Fahrradfahrern, Fußgängern – und einer Martina, die versucht, lebendig über die Straße zu kommen.
Gegenüber dem Hotel steht ein völlig leeres Shoppingcenter, das in China hergestellte Produkte internationaler Marken zu europäischen Preisen feilbietet. Dort lande ich am ersten Abend gleich mal auf der Suche nach etwas Essbarem: Im 3. Stock gibt es ein Restaurant. Die Karte ist glücklicherweise bebildert, und so zeige ich auf ein vertraut aussehendes Gericht. Was kommt, sieht genauso gut aus und schmeckt auch so: frittierte Hähnchenstücke mit mildem Chili, Erdnüssen und Sesam. Allerdings habe ich vergessen, dass Chinesen grundsätzlich das ganze Tier verspeisen, und so falle ich in meinen ersten sieben Stunden in Shànghǎi beinahe einem Hühnerknochen zum Opfer. In panischer Angst zuzle ich die Hälfte der insgesamt um die fünfzig Stückchen ab (mit Stäbchen). Schmecken tut es ja fantastisch. Aber die andere Hälfte muss ich übrig lassen. Das war schließlich ein ganzes Huhn, das da mit dem Hackebeil zerteilt und in die Pfanne geworfen worden war. Da ich noch so viel auf dem Teller habe, beachtet mich die Bedienung nicht. Ich weiß schon gar nicht mehr, wie ich die Stäbchen noch auf dem Teller positionieren soll, um deutlich zu machen, dass ich bezahlen möchte. Da beschließe ich, aus meinem „Chinesisch für Dummies-Buch einen Satz auswendig zu lernen. Und so übe ich zehn Minuten lang „Qing jiézhàng
und winke die Bedienung herbei. Ich sage es einmal, zweimal. Die Bedienung sieht mich nur hilflos an, verbeugt sich und sagt: „Sorry, no English."
Essen ist ein großes Thema. An meinem ersten Arbeitstag sitzen meine chinesischen Kollegen mit großen Augen am Tisch und amüsieren sich prächtig, als ich Frosch, Aal und sonstiges Getier vorgesetzt bekomme. Ist zwar eine Überwindung, aber schmecken tut es (bis auf den Frosch).
Meine Kollegen sind supernett. Sie applaudieren sogar, als ich meine Geschenke – Lindt-Schokolade und Killepitsch – ausgepackt habe. Und die eine Chinesin begrüßt mich unverblümt mit den Worten: „You are much more beautiful than I expected." Ob das nun nett gemeint war, weiß ich bis heute nicht.
Ein sehr junges Team jedenfalls, allesamt sehr lustig und hilfsbereit. Die meisten Namen kann ich noch nicht wirklich aussprechen. Glücklicherweise nennt sich mein Zimmerkollege Elvis.
Eine Wohnung habe ich jetzt immer noch nicht, auch nicht drei Besichtigungen später. Denn irgendwas passte immer nicht: weit zur U-Bahn, arroganter Mitbewohner. Aber für das Wochenende ist noch mal ein Besichtigungsmarathon angesagt. Mein Hotel ist ja noch bis Sonntag gebucht.
Viel mehr gibt es von den ersten 55 Stunden in China noch nicht zu erzählen. Da es hier schon fast Mitternacht ist und ich gerade erst von der Arbeit gekommen bin, musste ich übrigens im Hotel Essen bestellen. Und wo bestellen die, wenn nichts anderes mehr auf hat? Genau, bei McDonald’s. Prima. Da sitz ich nun mit meinen Pommes und Burger mitten in Shànghǎi. Der Vorsatz, nie bei Fast-Food-Ketten zu essen, hat schon mal nicht wirklich lange gehalten.
Na dann, das Abenteuer kann beginnen!
Shirley schläft im Schrank
Sonntag, 11. September 2011
Mein Kollege John und ich sind auf Hardcore-Wohnungssuche. Ich habe Annoncen auf den internationalen Plattformen durchsucht, er hat Makler vor Ort kontaktiert. Leider war er etwas naiv bezüglich der Mietpreise, die inzwischen in Shànghǎi herrschen. Die Wohnungen, die wir uns ansehen, sind es schon wert, sie gesehen zu haben – aber nicht aus dem Grund, dort einziehen zu wollen. In einem Hochhaus, das aussieht, als würde es im nächsten Moment in sich zusammenfallen, wohnt eine chinesische Studentin und sucht eine Mitbewohnerin. Unglücklicherweise hat John vergessen zu fragen, ob sie Englisch spricht – sie tut es natürlich nicht. Und somit stehen wir da und können kein Wort miteinander kommunizieren. Dazu sieht es in der Wohnung aus wie auf einer Müllhalde, und es riecht wie in einer Großküche, die seit sieben Monaten nicht mehr gesäubert wurde. Alles starrt vor Dreck, das Bad ist vom letzten Duschen überflutet. In dieser Wohnung will ich nicht einmal etwas mit Handschuhen berühren. Und durch dieses ganze Chaos stakst elegant eine zerzauste Katze.
Die „internationalen Wohnungen sind vom Standard her besser, aber auch hoffnungslos überteuert. Bei einer Besichtigung kommen die Mitbewohner nicht mal auf das Klopfen des Maklers aus den Zimmern heraus. Der peinlich berührte Makler versucht zu retten: „Ja, sie würden sich wirklich sehr freuen, wenn Du bei ihnen einziehen würdest.
In einer weiteren Wohnung ist das Zimmer mini-mini, aber die Mitbewohner sehen supernett aus. Bei der sage ich sofort zu. Der Makler allerdings hält mich noch hin. Am Samstagnachmittag gebe ich meine Zusage. Der Makler schreibt zurück, ich solle Sonntag früh noch mal anrufen. Das tue ich, und man vertröstet mich auf den Nachmittag. Am Sonntagmittag ziehe ich aus dem Hotel aus, bringe meine Sachen ins Büro. Dann fahre ich zu Carrefour (so eine Art französisches Kaufland, sehr verbreitet in China), kaufe Bettzeug und so allerhand Alltagskram. Um 4 Uhr nachmittags treffen mein Kollege und ich uns im Maklerbüro. Ich unterschreibe und ziehe sofort ein. Somit war ich nur fünf Stunden obdachlos, und alles ist gut gegangen – auf den letzten Drücker.
Die ganze Aufregung und der anhaltende Jetlag haben zur Folge, dass ich nachts nicht schlafen kann. Um halb 2 Uhr früh klopfe ich bei Shirley, meiner neuen Mitbewohnerin, und frage, ob sie mit mir reden möchte. Ich völlig verheult und verdreht ob der Schlaflosigkeit. Sie holt Arnaud, den anderen Mitbewohner, und die beiden sitzen mit mir auf dem Sofa und füttern mich besorgt mit Keksen. Etwas beruhigter versuche ich wieder zu schlafen – geht aber nicht. Rufe meine Eltern an. Um 3 Uhr, um halb 6 Uhr. Dann schlafe ich endlich ein. Bis der Wecker um 7 Uhr morgens läutet. Erst in der zweiten Nacht schlafe ich besser, in der dritten Nacht dann durch.
Behörden, Behörden
Am Montag nach meinem Einzug – nach eben nur eineinhalb Stunden Schlaf – muss ich noch zum Gesundheitscheck. Die Fragen nach Lepra, Cholera und Pest habe ich alle schon in Deutschland verneint. Hier in China nun noch ein zweites Mal. Respekt gebührt der chinesischen Abfertigung. Der Warteraum ist vollgestopft mit Ausländern, die sich um eine Aufenthaltserlaubnis bewerben. Die insgesamt zehn medizinischen Untersuchungen gehen im Akkord voran. 1. Arzt: Pulsmessung, 2. Arzt: Ultraschall, 3. Arzt: Lungen abgehört – Takt: ein Ausländer pro Minute, zehn Minuten pro Ausländer. Die Arztpraxis in Deutschland hat insgesamt fünf Tage gebraucht. Ich musste dreimal hin, davor einmal in eine andere Praxis zum Röntgen. Beim eigentlichen Check hatte mich die Ärztin dann gar nicht untersucht, ich musste den Fragebogen selbst ausfüllen, die Laborergebnisse waren verspätet. Viermal bin ich durch die halbe Stadt gefahren. Und anschließend habe ich eine Rechnung über 225 Euro bekommen. In China gibt es zehnmal so viel Service für ein Viertel des Preises.
Erschreckt hat mich nur hier in Shànghǎi: Nach den Aufregungen der letzten Tage sitze ich hier in China mit dem niedrigsten Blutdruck aller Zeiten und drei Kilo weniger als zwei Wochen zuvor.
Einen Tag später muss ich bei der Polizei zur Registrierung antreten, ein weiterer Schritt bei den Behördengängen. Die Human-Resources-Assistentin meiner Firma hat mir Adresse, Öffnungszeiten und Formularnamen sorgsam auf ein kleines Zettelchen geschrieben. „8 – 20 Uhr steht da, und so stehe ich um 8 Uhr morgens bereit in der lokalen Polizeistation. Es ist niemand da. Irgendwann kommt eine Angestellte an den Schalter, winkt mich zu sich herüber. Ich zeige ihr meinen Zettel. Sie nimmt einen Stift, streicht die „8:00 Uhr
durch, schreibt „8:30 Uhr" hin