Afghanistan Horsegirl
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Über dieses E-Book
Der Roman ist durchgehend von der ersten bis zur letzten Seite äußerst spannend und fesselnd, in unausgesetzten überraschenden Wendungen wie alles in Afghanistan, dabei sehr unterhaltsam und voll atmosphärischer Wärme.
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Buchvorschau
Afghanistan Horsegirl - Norbert F. Schaaf
Norbert F. Schaaf
AFGHANISTAN HORSEGIRL
Abenteuer und Liebe im Afghanistan-Krieg
Roman
IMPRESSUM:
AFGHANISTAN HORSEGIRL
Norbert F. Schaaf
Copyright 2011 Norbert F. Schaaf
published at epubli GmbH, Berlin
www.epubli.de
ISBN 978-3-8442-0736-1
Dieser Roman versteht sich zugleich als Hommage an sowie auch als Gegenentwurf zu Texten von Joseph Kessel (Les Cavaliers / Die Steppenreiter), Ernest Hemingway (For Whom the Bell Tolls / Wem die Stunde schlägt) und Konstantin Simonow (Живые и мервтые / Die Lebenden und die Toten), alle unbestritten unübertreffliche Lehrmeister mit – aus heutiger Sicht – nicht nachahmenswerten, ja abschreckenden Tendenzenin Chauvinismus, Machismo und Ideologie. Freilich auch für die Tönung dieser Geschichte wird einmal die Zeit des Farbwechsels kommen – unausbleiblich.
Die Protagonistin ist emanzipiert, statt sich dem Patriarchat unterzuordnen, der Protagonist baut Brücken, statt sie zu sprengen, und beide denken frei und kritisch, statt sich in eine Ideologie zu fügen.
Inhaltsverzeichnis
1 Das Spielfeld
2 Die Seilbrücke
3 Die Höhle
4 Die Schlucht
5 Die Höhe
6 Die Hütte
7 Das Dorf
8 Der Basar
9 Die Teestube
10 Der Engpass
11 Der Rastplatz
12 Das Hochplateau
13 Die Steinbrücke
14 Die Steppe
15 Die Balkenbrücke
16 Die Piste
17 Die Stadt
18 Das Spielfeld
1 Das Spielfeld
Afghanistan ist das Land der Überraschungen – insofern war es nicht ganz so überraschend, dass es Hermann Karfurt in diesem Jahr gelang, sich frei zu machen, um zum ersten Mal das große Herbst-Buskaschi miterleben zu können, zumindest seinen Beginn, bis sein Freund und Fahrer Haschem den Pick-up repariert haben würde, mit dem sie zu einer Schlucht in einem nicht allzu weiten Gebirgstal zu fahren hatten, um eine zerstörte Drahtseilbrücke instandzusetzen.
Bei seinen drei Militäreinsätzen in Afghanistan zuvor war Hilfe für die Bevölkerung angesagt gewesen, und als es darauf ankam, konnte er sich wie die anderen Kameraden kaum selbst helfen, geschweige denn zum Beispiel einem Kind, vielleicht zehn Jahre alt, das im Hof eines Lehmhauses von einem zottelbärtigen Erwachsenen offenbar brutal vergewaltigt wurde. Hermann hatte das Kindergesicht nicht gesehen, das der Mann unter seinem Gewand mit sichtlichem Kraftaufwand an seinen Schoß drückte, nur den kleinen knienden, bebenden Kinderkörper vom gekrümmten schmächtigen Rücken bis zu den schmalen dreckigen Fußsohlen, die gekreuzte längliche Striemennarben aufwiesen. Ein scharfer Befehl seines Patrouillenführers hatte ihn jäh los und seinen Blick von der gewalttätigen Szene weggerissen. Ihre Aufgabe am Hindukusch sei nicht Einmischung in die einzelnen Belange der einheimischen Bevölkerung, sondern ihr Schutz insgesamt, dazu Aufbauhilfe und Verteidigung der Demokratie. Geschützt hatten sie sich hauptsächlich selbst, aufgebaut im Wesentlichen ihr eigenes Camp, und eine Volksherrschaft zum Verteidigen war auch nicht in Sicht. Nach seiner Abmusterung und Promotion in Deutschland war Hermann sogleich nach Afghanistan zurückgekehrt, um einer Nichtregierungsorganisation seine Kenntnisse und Fähigkeiten als Bauingenieur im Brückenbau zur Verfügung zu stellen, und er war bereits lange genug vor Ort, dass sein rötlicher Bart ihm bis aufs obere Brustbein reichte.
Nun befand er sich unverhofft inmitten einer Zuschauermenge, die fieberhaft des Beginns des traditionellen afghanischen Reiterspiels harrte, und er wähnte sich gleich auch mitten im Film „Die Steppenreiter nach dem gleichnamigen Roman von Joseph Kessel, den er zur Einstimmung auf Land und Leute sowie den Militäreinsatz gesehen und das Buch gelesen hatte wie auch Konstantin Simonows „Die Lebenden und die Toten
sowie Ernest Hemingways „Wem die Stunde schlägt" – allesamt Bücher und DVDs aus dem elterlichen Wohnzimmerregal.
In Hermanns Ohren erschallten plötzlich mächtig dröhnend die Langtrompeten der Reiterstaffel des Provinzgouverneurs in den frühen, klaren, sonnendurchfluteten Tag. Der kalte Fallwind von den nahen, mit ewigem Schnee gedeckten Bergen war stark abgeflaut und wehte nun leicht und stetig, kühl und erfrischend über die weite Steppenlandschaft im hohen Norden Afghanistans und die Haut von Hermanns hoch aufgekrempelten Armen. Er ließ seinen Blick schweifen über das Plateau, unweit der Provinzhauptstadt Kundus gelegen, das abgesteckt war von farbenprächtigen flatternden Fahnen und Flaggen, Wimpeln und Standarten. Das ausgedehnte Kampffeld war gleichwohl überschaubar, damit die Zuschauer jeden Winkel einsehen und nichts und niemanden aus den Augen verlieren konnten.
Nördlich sah Hermann die sich gleich hinter der Landstraße erhebende niedrige, felsige Hügelkette, den östlich sich lang hinstreckenden hohen Wall als Begrenzung der Hochebene, die südlich sich aneinanderreihende endlose Kette von Lastwagen und Autobussen, wie aus dem Film, nur ein wenig moderner in der Technik, doch ebenso bemalt mit Blumen, Vögeln und Säugetieren in schreienden Farben, und die westlich eine kleine Dorfgemeinschaft bildenden frisch gestrichenen blauen und rosafarbenen Lehmhütten. Wo Hermann auch hinschaute am langgezogenen Spielfeldrand, überall wimmelte es von Menschen, die in solchen Massen erschienen waren, dass sämtliche Ortschaften ringsum wie ausgestorben waren.
Die allermeisten waren bereits frühmorgens zu Fuß hergekommen, zum Teil viele Meilen weit, und immer noch trafen neue Wanderer ein. Müde und durstig stürmten viele sogleich in die Chaikhanas, Teestuben in größerer Zahl, eigens für diesen Tag aufgebaut, oder zu den ebenso zahlreichen Buden, errichtet von cleveren Kaufleuten, die bereits seit dem ersten Sonnenlicht Früchte aller Art verkauften wie Orangen, Weintrauben, Granatäpfel und Melonen.
Gutbetuchte riefen mit gellender Stimme einen der Batschas zu sich, ärmlich gekleidete Diener, die mit Wasserpfeifen herumeilten und für jeden betörenden Zug daraus eine kleine Bezahlung einsteckten.
Am Rande des Feldes, dem Hügel gegenüber auf der anderen Seite der Landstraße, waren fünf Zeltpavillons aufgestellt. In den beiden rechten saßen hohe afghanische Würdenträger jeweils aus der Region sowie den Nachbarprovinzen, Clanchefs und Stammesfürsten, etliche von ihnen in Kleidung und mit Schmuckwerk westlicher Art, freilich die Köpfe bedeckt mit den traditionellen Kulas, während die linken für Ausländer von Rang bestimmt waren, jeweils aus muslimischen Ländern sowie Staaten der Ungläubigen. Der mittlere Pavillon, auf einem Podest mit erhöhtem Dach, worin purpurrote Sessel standen, darunter ein hoher als Sitz des Generalgouverneurs aller Nordprovinzen, war noch unbesetzt in erwartungsvoller Leere.
Etliche Fernsehkameras waren aufgebaut, auf Brettergerüsten und Kränen, sowie zwei riesige Übertragungsleinwände zu beiden Seiten, und über ungezählte Lautsprecher ertönte von einer Kommentatorentribüne her unvermittelt eine plärrende Stimme: „Hier in der Distrikthauptstadt auf dem Gelände von Magrabi wird heute auf Geheiß unseres ehrwürdigen Generalgouverneurs das erste Herbst-Buskashi abgehalten. Derjenige unter euch auserwählten Chapandas, der den kopflosen Hammel um die beiden Fahnen in blau und gelb herum trägt und sie wieder im Zielkreis ablegt, wird die Gouverneursstandarte erhalten. Das bedeutet, dass er Meister-Chapandas von ganz Nordafghanistan diesseits des Hindukusch ist. Der Sprecher wiederholte seine Ansage in englischer Sprache mit starkem Akzent, und um die anwesenden Fremden näher über Grund und Art des mächtigen Spektakels aufzuklären, fuhr er in der fremden Sprache fort mit gehobener Stimme, die das Gelärm des Publikums jedoch zunächst kaum zu durchdringen vermochte. „... zu den Spielregeln
, war mit einiger Anstrengung zu vernehmen, bevor etwas Ruhe in die Zuschauerreihen einkehrte. „Ein für die Zucht ungeeigneter Hammel ist geschlachtet und sein Kopf abgeschlagen worden. Aus Rücksicht auf die Jugend einiger Mitspieler wurde heute darauf verzichtet, den Hammelkadaver zusätzlich zu beschweren durch Zustopfen mit Sand und Einschütten von Wasser. In der Mitte des Spielfeldes, genau im Zentrum des großen Kreidekreises, wurde ein Loch gegraben und der Kadaver hineingelegt. Er ist kaum auszumachen, da das Loch gerade so tief ist, dass sich das Fell auf gleicher Höhe befindet wie der Erdboden. Unweit des Loches ist ein kleiner Mittelkreis mit Kreide ausgemalt, der Hallal genannt wird, was soviel bedeutet wie `der Kreis der Gerechtigkeit´. Zu beiden Seiten des Hallals ist nahe dem Spielfeldrand jeweils ein Fahnenmast eingepflanzt. Am heutigen Tag sind drei Dutzend Reiterspieler, die Chapandas, ausgewählt, die sich rings um das Loch mit dem Kadaver versammeln. Nach dem Startsignal stürmen alle auf den enthaupteten Kadaver zu, beugen sich tief vom Pferd, um den kopflosen Hammel an einem Bein zu packen. Wer ihn zu fassen bekommt, nicht unbedingt nur ein einzelner, reitet mit ihm davon. Die anderen nehmen die Verfolgung auf, indes versucht wird, mit dem Kadaver den blauen Mast im Osten zu erreichen und zu umrunden. Ist dies gelungen, muss der Hammelkadaver über das gesamte Feld zum gelben Mast im Westen getragen werden und um ihn herum bis zurück zum Hallal, wo er abzulegen ist. Sieger ist derjenige, dessen Hand den enthaupteten Hammel auf den weißen Mittelkreis wirft. Doch bis zum endlichen Sieg werden Kämpfe zu sehen sein, zähes Gerangel, ungestüme Hetzjagden, rüde Angriffe, erbitterte Verfolgungen in wildem, verbissenem Getümmel. Dabei erlaubt sind Schläge jedweder Art, mit der Peitsche, dem Ellbogen, der Faust oder der flachen Hand. Irgendwann, von Stunde zu Stunde, von Hand zu Hand, von Sattel zu Sattel, wird der Kadaver dem Ziel näher gebracht, sind erst die beiden Masten umritten. Endlich hält ihn ein Spieler gepackt, galoppiert, den letzten Rivalen ausweichend oder ihn zu Boden werfend, mit dem Kadaver in der Hand bis zu dem weißen Kreidemal und schleudert, was von dem Hammel noch übriggeblieben ist, auf den ..."
Vieltausendfache Schreie erstickten seine Worte: „Hallal, Hallal! brüllte die Menge, „Hallal, Hallal!
Und die Hallal-Rufe wollten gar nicht verstummen, zigtausend Mal als Echo zurückgeworfen von Wänden und Felsen. Als die Rufe endlich verebbten, fügte der TV-Kommentator abschließend hinzu: „Man wünscht unendlich viel Freude am Spiel des großen Dschingis-Khan."
Die Menge klatschte begeistert Beifall, die Gäste in den Pavillons dezent und gönnerhaft.
Nur ganz allmählich flaute der Applaus ab. In gebannter Faszination starrte die afghanische Bevölkerung unentwegt zur Tribüne mit den ausländischen Fremdlingen hinüber. Nur galt ihr begieriges Augenmerk keineswegs den auswärtigen und teils hochdekorierten Politikern, Militärs, Topmanagern, Botschaftern oder Konsuln, sondern ausschließlich deren Damenbegleitung. Nirgends sonst in der Menschenmenge war ein einziges weibliches Wesen auszumachen, weil weder diesseits noch jenseits des Hindukusch nach Sittsamkeit und Brauch eine Frau an einer öffentlichen Veranstaltung teilnehmen durfte. Nicht einmal die Präsidentengattin – wie früher die Königin – wäre bei einem Buskashi zugelassen worden.
Eine Bewegung aus den Augenwinkeln erregte Hermanns Aufmerksamkeit: Der Beginn des Schauspiels rückte wohl in greifbare Nähe, da zwei Gardefeldwebel an den Ehrentribünen vorbeischritten, die hinter sich her den kopflosen Kadaver eines fetten Hammels zogen. Gemessenen Gleichschrittes marschierten sie auf das Spielfeld und legten ihre animalische Fracht nahe dem mit Kreide ausgemalten `Kreis der Gerechtigkeit´ ab in das vorbereitete Loch.
Unvermittelt wieder trompeteten – lauter und feierlicher – die länglichen Blechblasinstrumente. Eine Wagenkolonne hielt auf der Straße hinter den Pavillons. Hermann vernahm Waffenklirren und Hackenzusammenschlagen, die Menschenmassen jubelten. Kadhir Shah, der Generalgouverneur aller Nordprovinzen, betrat, eskortiert von großem Gefolge, mit zeremoniellen, wohlgesetzten Schritten den mittleren Pavillon. Zugleich erklang das scharfe Kommando zum Beginn der feierlichen Parade, die das Buskashi einleitete.
Von Süden her näherte sich den Ehrentribünen eine Reiterstaffel mit fünf Trompetern voran, gefolgt – auf prachtvollem Araberhengst – von einem noch jungen Obristen, einem Verwandten des Provinzgouverneurs, dem die Leitung des Kampfspiels anvertraut war. Dahinter ritten, Seite an Seite, in festliche Chapans aus grüner Seide mit schmalen weißen Streifen gehüllt, die Spielführer aus den verschiedenen Regionen, die stolz ihre jeweilige Buskashi-Mannschaft anführten. Abschließend erschienen, in einer Reihe und breiter Phalanx, auf den prachtvollsten Pferden ihrer Provinzen, die kampfbereiten Chapandas, sechs mal sechs an Zahl.
Die Reiterkämpfer trugen keine Chapans, sondern unterschiedliche BuskashiGewänder, je nach ihrer Herkunftsregion, eigens angefertigt für dieses festliche HerbstBuskashi. Die Kameras schwenkten langsam über die Reihe der Reiter auf ihren Rössern und schließlich in Großaufnahme von Kopf zu Kopf, von Gesicht zu Gesicht, von Augenpaar zu Augenpaar, das leuchtete vor Ehrgeiz und Ruhmsucht, ein Champion des Buskashi zu werden und damit eine bekannte Größe, ja ein Held in der Region und in ganz Nordafghanistan. Staunendes Raunen und verzückte Bewunderungsrufe ertönten bei jedem Gesicht, das auf den Großbildleinwänden erschien, besonders freilich bei einem grimmigen, tief zerfurchten sowie einem ganz jungen mit glatter Haut und schwarzem Flaum über dem schön geschwungenen Mund, dem Grübchenkinn und den leicht rosigen Wangen, denen beide spezieller Applaus zuteilwurde.
Letzterer, ein ganz junger Mensch, der Hermann sofort besonders beeindruckte, ritt mit entschlossener Miene ganz am Schluss seiner Mannschaft – wohl der Jugendlichkeit wegen und nicht aus Mangel an Fähigkeit und Tapferkeit. Wurde doch niemals ein Unwürdiger und Unerprobter in die Reiterreihen der Buskashi-Spieler aufgenommen. Gleichwohl der junge Mensch, in ebensolcher Kleidung wie die anderen, in enger Gemeinschaft mit ihnen ritt, konnte er sich des Gefühls nicht erwehren, weit von ihnen entfernt zu sein. Ihre zur Schau gestellte einfältige Eitelkeit bereitete ihm nur pure Abscheu. Ihnen genügte es wohl zu paradieren wie dressierte Bergaffen, den Ruhm zu teilen mit fünfunddreißig anderen. Und wären wir nur zu zweit, überlegte der junge Mensch, so wäre doch einer zuviel. Wie ich sie zutiefst verachte in meinem innersten Gemüt, diese Herrenreiter, die mich gleichwohl nötigen, besser zu sein als sie, wesentlich besser. So sinnierte der junge Mensch, indessen Kadhir Shah stehend und mit einer Hand an seiner Persianer-Kula die Reiterschar grüßte.
Vor dem Generalgouverneur lag auf der Balustrade die Ehrenstandarte, die der Sieger dieses Buskashi aus seiner hoheitsvollen Hand würde empfangen dürfen und mitnehmen für ein volles Jahr in seine Heimatregion.
Sie ist mein, dachte der junge Mensch auf seinem zähen, temperamentvollen Pferd, mein, mein und nur mein. Diese Trophäe, die erste, die je von einem Menschen wie mir in die Steppe hinaus getragen werden würde ...
Er blickte auf zu einer der Großbildleinwände, die jene Standarte zeigte, danach in langsamem Schwenk die Reihe der Chapandas und schließlich das erwartungsheischende Publikum: Reihe um Reihe schauten unter Turbanen Mützen, Kappen und Kulas, hingebreitet wie ein unendlicher Teppichläufer, die Gesichter hervor, aus deren Zügen ihre unterschiedliche Herkunft abzulesen war: Ebenen, Gebirge, Täler, Wüsten, Steppen, Einwanderungen und Eroberungen, und darunter ein männliches Gesicht mit westlichen Zügen, ausnehmend hellen rotblonden Haarlocken und rötlichen Bartstoppeln sowie auffallend blassen, wasserblauen Augäpfeln – ein Fremder und Ungläubiger, doch immerhin nicht in Uniform.
Der Generalgouverneur hob die flache Hand, um Ruhe zu gebieten, und schaute würdig nach rechts und links. Allmählich kehrte Stille ein. „Ich erkläre das Buskashi für eröffnet, verkündete Kadhir Shah feierlich in das hingehaltene Mikrofon und in das Schweigen der Menge, darin sensationsgierige, wettlüsterne, ungeduldige Erwartung lag. „Möge der Beste gewinnen. So Allah will.
Kadhir Shah nahm Platz. Das Buskashi nahm seinen Lauf.
Das Signal zum Aufstellungnehmen ertönte aus den Trompeten. Im Schritt führten die sechsunddreißig Reiter ihre Pferde, mit ernsthaften Mienen und schweigsam, auf das Loch mit dem Hammelkadaver zu und nahmen im Kreis ringsherum Aufstellung. Die meisten Pferde standen ruhig, nur einzelne tänzelten ein wenig nervös, während man auf das Startsignal wartete. Ein Feldwebel pflanzte die Standarte auf dem Spielfeld vor den Tribünen auf und salutierte, bevor er wieder den Kampfplatz zu den Tribünen hin im Paradeschritt verließ.
Als das Startsignal mit scharfem Trompetenstoß erschallte, rührte sich zunächst keiner. Mit einem Mal aber hoben sich wie in einer einzigen Bewegung sechsunddreißig Peitschen, und unter wildem Kampfgeschrei ihrer Reiter stürmten die Pferde vorwärts. Im Bruchteil einer Sekunde war aus dem festlich geordneten Trupp ein ungestümer, durcheinanderwirbelnder Haufen aus Pferden und Reitern geworden. Schreie und Flüche wurden ausgestoßen, Peitschenschläge knallten hernieder, wieder und wieder. Pferde bäumten sich steil empor, mit den Vorderhufen die Luft schlagend, und fielen wieder zu Boden. Chapandas, an die Flanken ihrer Reittiere geklammert und mit nur einem Fuß im Steigbügel, tasteten, die Köpfe im wirbelnden Staub, mit rauen Händen und derben Fingernägeln auf dem steinigen Erdboden nach dem Hammelkadaver, um ihn auszugraben und zu packen, an einem Bein, am Schwanz, wild entschlossen, ihn an sich zu reißen. Kaum aber war es einem geglückt, da griffen bereits andere, genauso kraftvolle, Gier erfüllte Hände nach dem kopflosen Aas, während unablässig derbe, kraftvoll geführte Peitschenschläge auf sie einprasselten.
Ein einziges Reiterpaar, das Tier mit aufmerksamen Augen und Ohren, der Mensch mit jugendlichem, konzentriertem Gesicht, hielt sich außerhalb des Getümmels. Die Kerle hier sind noch närrischer als bei uns, dachte der junge Mensch, derweil seine kühlen Augen den Kampf stoisch verfolgten. Hier wie dort hieß dieses erbitterte Gerangel, lediglich ganz vergebens seine Kraft zu vergeuden. Hier wie dort wurde derjenige, dem es endlich gelang, mit dem Aas davonzureiten, sogleich von den anderen verfolgt und schnellstens eingeholt und mit heftigen Peitschenhieben bedacht. Dabei wissen sie es ebenso gut wie ich, dachte der junge Mensch noch und ließ kopfschüttelnd sein Pferd noch ein Stück zurückweichen. Es war eines dieser speziell gezüchteten Buskashi-Pferde, die die seltensten und gegensätzlichsten Befähigungen auf sich vereinigten, Temperament und Geduld, äußerste Schnelligkeit und ungeheure Körperkraft, die Kühnheit des Wolfes und das Geschick des dressierten Hundes, ohne die sie sonst niemals vom scharfen Galopp in den Stand, von Verfolgung in Flucht, vom listigen Ausbruch zu offenem Kampf überzugehen vermochten, und das bei dem leisesten Wink von Oberschenkel, Zügel oder Sporen.
Der junge Mensch beobachtete die sich abkämpfenden, aufeinander einschlagenden Reiter, allesamt vom selben trügerischen Rausch besessen. Nein, ich habe mich nicht getäuscht, dachte er weiter bei sich, alle sind sie unwissende Hohlköpfe. Schon waren ihre festlichen Gewänder besudelt von Schweiß und Schaum, von Staub und Blut. Und ihre vom Lehm der Erde beschmutzten und von Peitschenhieben gezeichneten Gesichter drückten nichts weiter aus als den Trieb primitiver Wildheit.
Sie spielen, um zu spielen, dachte der junge Mensch mit den weichen Zügen weiter, ich spiele, um zu gewinnen.
Mit einer jähen Bewegung musste er sein Pferd, ein fahlgelb-hellbrauner Schecke, zurückhalten, das ungestüm vorwärts drängte. Der nicht besonders große, noch junge, freilich feurige Hengst schüttelte Kopf und Mähne. Der junge Mensch tätschelte den Pferdehals. „Du willst auch gerne spielen, sagte er halblaut vor sich hin. „Aber noch nicht. Du musst lernen, dich zurückzuhalten. Für den einzigen, für den letzten Sieg. Ich weiß ja, dass es nicht leicht ist, ich weiß es. Nein, leicht ist es gewiss nicht ...
Und er erinnerte sich unvermittelt daran, wie er als sehr junger Mensch sich vorgenommen hatte, alle Reiter an Ungestüm und Leidenschaft zu übertreffen, einen Turban auf dem Kopf und irgendwann die Kappe der Chapandas. Und er hatte seine Lektion, vom Vater und vom Onkel, den Unwissenden, den Ahnungslosen, sehr gründlich gelernt: „Wem Allah die Stärke der Schultern und Arme versagt hat, der muss seinen Verstand benutzen und schulen. In den Ohren klang ihm noch Vaters gönnerische, hämische Stimme, die noch anfügte: „Du armer Schwächling, du! Sieh dir meinen Körper an. Nun, und deiner? Was bildest du dir ein, auf meine Art und Weise Buskashi reiten zu können?
Es war eine entsetzliche, eine schmähliche Demütigung. Und doch eine heilsame, eine lehrreiche Lektion. „Es war wesentlich leichter, sagte der junge Mensch, ohne sich bewusst zu sein, ob er zu sich selbst, zu seinem Pferd oder zum Vater sprach, „als sich peitschen, treten und zertrampeln zu lassen – wie diese dort ...
Und der junge Mensch erinnerte sich an das Gelächter und die Verachtung, die ihm entgegengebracht wurden, anfangs – als er den Chapan, den traditionellen, schafwollgefütterten, vom Hals bis Fuß reichenden Kaftan der nördlichen Steppenreiter, übergezogen hatte – wenn er sich weigerte, wie die anderen inmitten der Herde zu spielen. Aber er hatte es ignoriert und sich darüber hinweggesetzt, hatte Muskeln und Lungen geschont und auf den günstigen Moment gelauert wie ein Falke. Und schließlich war der junge Mensch, als einsamer Reiter, frisch und gelassen, dicht am Ziel und auf einem noch unverbrauchten, kräftigen Pferd, zum Angriff übergegangen und davongestürmt und hatte gewonnen, eins ums andere Mal gewonnen, dann immer und überall, bei den Buskashis seiner Region. Hohngelächter und Beschimpfungen waren längst schon verstummt.
Heute wollen sie gar nicht mehr aufhören, fuhr es dem jungen Mensch durch den Kopf, mit zusammengekniffenen Augen das Kampfgetümmel betrachtend, der Blick des Generalgouverneurs macht sie noch wilder als gewöhnlich. Gleichzeitig ging ihm durch den Sinn: Ruht aber der Blick des Großgouverneurs nicht auch auf mir? Und sieht er nicht auch, wie ich hier abseits stehe, ein feiger, von der Meute verschreckter Hund? In der Region und den benachbarten Provinzen weiß eigentlich jeder, wer ich bin, und niemand würde sich einer Täuschung hingeben. Vor dem Großgouverneur jedoch, vor den vielen fremden Würdenträgern – wer bin ich für sie? Nur ein feiger Hund, nichts sonst.
Und heute war er nur als Ersatzspieler für einen ausgefallenen Kämpfer in die Auswahl der Reiter gekommen, seiner früheren Verdienste und seiner Bekanntheit als provinzieller Erfolgsspieler wegen, aber nicht zuletzt wegen seiner beharrlichen, willensstarken, siegesgewissen schönen Augen.
Seine Faust, feingliedrig und sehnig, umklammerte den