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Philosophenkönig – eine Einführung
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eBook469 Seiten6 Stunden

Philosophenkönig – eine Einführung

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Über dieses E-Book

Dieses eBook stellt eine Einführung in die Philosophie dar und richtet sich sowohl an Studienanfänger als auch an Philosophie-Neugierige außerhalb der Universität. Es wird durch ein Computerspiel und eine Internetseite (philosophenkoenig.com) ergänzt. Diese Internetseite beinhaltet eine Vielzahl weiterer Materialien, darunter zu jedem der besprochen Philosophen

eine ausführliche, kommentierte und regelmäßig ergänzte Literaturliste,

eine ständig erweiterte Sektion mit Leserfragen sowie

Exkurse zu ergänzenden Themen (z.B. "Heidegger und der Nationalsozialismus").

Darüber hinaus finden sich dort

das Computerspiel "Philosophenkönig" zum freien Download sowie eine ausführliche Installations- und Spielanleitung,

eine Sektion mit Leserfragen zum Buch und zur Philosophie allgemein,

Exkurse zu übergreifenden philosophischen Themen (z.B. "Was ist eigentlich ein Paradigma?") sowie

allgemeine Literaturtipps zur Philosophie und Links zu philosophisch interessanten Seiten im Internet.
SpracheDeutsch
Herausgeberepubli
Erscheinungsdatum13. März 2015
ISBN9783844232523
Philosophenkönig – eine Einführung

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    Buchvorschau

    Philosophenkönig – eine Einführung - Martin Arnold Gallee

    Philosophenkönig – eine Einführung

    Impressum

    Philosophenkönig – eine Einführung

    Martin Arnold Gallee

    Copyright: © 2015 Martin Arnold Gallee

    published by: epubli GmbH, Berlin

    www.epubli.de

    ISBN 978‐3‐8422‐3252‐3

    Inhaltsverzeichnis

    Titel

    Impressum

    Vorwort

    Kapitel 1 – Einleitung

    Kapitel 2 – Sokrates

    Kapitel 3 – Platon

    Kapitel 4 – Aristoteles

    Kapitel 5 – René Descartes

    Kapitel 6 – John Locke

    Kapitel 7 – Immanuel Kant

    Kapitel 8 – Georg Friedrich Wilhelm Hegel

    Kapitel 9 – Friedrich Nietzsche

    Kapitel 10 – Ludwig Wittgenstein

    Kapitel 11 – Martin Heidegger

    Kapitel 12 – Philosophie als Perspektive

    Literatur

    Zugang zur Internetseite

    Fußnoten

    Vorwort

    Dieses eBook stellt eine Einführung in die Philosophie dar und richtet sich sowohl an Studienanfänger als auch an Philosophie‐Neugierige außerhalb der Universität. Es wird durch das Computerspiel Philosophenkönig und die Internetseite www.philosophenkoenig.com ergänzt, die über den Code am Ende des Textes (im Abschnitt Zugang zur Internetseite) zugänglich ist. Diese Internetseite beinhaltet eine Vielzahl weiterer Materialien, darunter zu jedem der besprochen Philosophen

    eine ausführliche, kommentierte und regelmäßig ergänzte Literaturliste,

    eine ständig erweiterte Sektion mit Leserfragen sowie

    Exkurse zu ergänzenden Themen (z.B. „Heidegger und der Nationalsozialismus").

    Darüber hinaus finden sich dort

    das Computerspiel Philosophenkönig zum freien Download sowie eine ausführliche Installations- und Spielanleitung,

    eine Sektion mit Leserfragen zum Buch und zur Philosophie allgemein,

    Exkurse zu übergreifenden philosophischen Themen (z.B. „Was ist eigentlich ein Paradigma?") sowie

    allgemeine Literaturtipps zur Philosophie und Links zu philosophisch interessanten Seiten im Internet.

    Das vorliegende eBook ist aus einer Reihe von Lehrveranstaltungen hervorgegangen, die ich über mehrere Jahre hinweg u.a. an der Universität Stuttgart gehalten habe. Ich bedanke mich herzlich bei allen Teilnehmern, die durch ihr Interesse und ihre rege Mitarbeit zur Entstehung dieser Einführung mit beigetragen haben.


    Bevor es losgeht, noch eine kurze Anmerkung zu den Fußnoten. Bei den meisten eReadern erscheinen aus Platzgründen keine Fußnoten zusammen mit dem Text, vielmehr kann jede Fußnote einzeln angeklickt und gelesen werden. Das ist zwar zur Papierform eine deutliche Veränderung, hört sich aber dennoch schlimmer an, als es ist. Sie können es gerne hier gleich mit Fußnote 1 versuchen, anschließend kommen Sie mit einem Link (etwa auf dem iPad), der Back-Taste (zum Beispiel beim Kindle) oder einfach einem Klick auf das Fußnotenzeichen wieder zurück. Das kleine Ausrufezeichen neben der Fußnote ist zu Ihrer Orientierung gedacht – es zeigt an, dass diese Fußnote über eine bloße Quellenangabe hinaus geht[1]!.

    Sie können aber in den Fußnoten auch einfach so stöbern, im Inhaltsverzeichnis gelangen Sie über den letzten Eintrag (Fußnoten) direkt dorthin. Wenn Sie dort auf ein Fußnotenzeichen klicken, finden Sie sich anschließend an der entsprechenden Stelle im Text wieder.

    Kapitel 1

    Einleitung

    Zu den größten Merkwürdigkeiten, die auf die Neuankömmlinge in der Philosophie warten, gehört der Mangel an Einführungen in unser Fach. Nicht, dass es nicht einige Bücher mit den Worten Einführung in die Philosophie als Titel geben würde, darunter ausgezeichnete, für Einsteiger hervorragend geeignete Beispiele[1]!. Das Problem dabei ist allerdings, dass es sich bei genauerer Betrachtung um Einführungen in das Denken einzelner Philosophen handelt. Richard David Precht bemerkt in diesem Sinn, „dass es nur sehr wenige befriedigende Einführungen in die Philosophie gibt. […] Was sich als systematische Einführung ausgibt, präsentiert zumeist eine Abfolge von Denk­strö­mun­gen"[2]. Das scheint zunächst keinen wesentlichen Unterschied zu machen – Philosophie wird doch schließlich von Philosophen betrieben. Da müsste man eigentlich erwarten, dass sich aus den vielen Einzeldarstellungen von Philosophen irgendwann auch ein einheitliches Gesamtbild der Philosophie einstellt.

    Unglücklicherweise ist aber genau das nicht der Fall. Auch noch so viele gelungene Darstellungen des Denkens einzelner Philosophen erbringen nicht notwendigerweise eine einheitliche Darstellung der Philosophie. Es ist sogar eher das Gegenteil der Fall: Je mehr Philosophen man bezüglich ihrer Argumente befragt, desto widersprüchlicher und unklarer wird das Gesamtbild. Es ist, als würden alle diese Denker zwar unter der Flagge der Philosophie segeln, aber auf unterschiedlichen Schiffen und vor allem mit völlig verschiedenen Kursen. Früher oder später stellt sich daher die Frage: Was ist eigentlich das Gemeinsame, Philosophische an diesen Einzelperspektiven? Gibt es so etwas überhaupt? Und warum ergibt sich aus dem Denken einzelner Philosophen kein einheitliches Gesamtbild der Philosophie?

    Um mit der letzten Frage zu beginnen: Die Gründe dafür sind (sicher auch aufgrund der zweiteinhalbtausendjährigen Geschichte der Philosophie) vielfältig, den größten Anteil hat aber ohne Zweifel der folgende Aspekt. Bis auf sehr wenige Ausnahmen scheint es Philosophen bis heute schwer zu fallen, sich selbst den Spiegel vorzuhalten und über sich und ihr philosophisches Tun nachzudenken. Dass heißt natürlich nicht, dass in der Philosophie nicht nachgedacht würde – im Gegenteil. Ein Blick in irgendeinen Bibliothekskatalog, eine Verlagsbroschüre oder im Internet das Verzeichnis lieferbarer Bücher (VLB)[3]! zeigt, dass die Produktion philosophischer Gedanken und Werke auf Hochtouren läuft und dabei immer weitere Themenbereiche umfasst. Darunter finden sich neben traditionellen Beispielen wie der Erkenntnis, der Sprache und dem Handeln auch neuere Interessengebiete von Philosophen, zum Beispiel die Technik oder die Medien. Ein Thema wird man auf der Liste der Dinge, mit denen sich die Philosophen von der Antike bis zur Gegenwart auseinandergesetzt haben, aber nur relativ selten finden: die Philosophie selbst.

    Während sich bei der Betrachtung und Darstellung des Denkens einzelner Philosophen also recht zügig ein einheitliches Gesamtbild hinsichtlich der Teile der Welt einstellt, mit denen sich die Philosophie beschäftigt (etwas wissenschaftlicher ausgedrückt: ihr Objektbereich), bleibt die Frage offen, was eigentlich das Besondere, Philosophische an der Behandlung dieser Themen ausmacht (also die Methode). Die Antwort auf diese Frage bleiben die allermeisten Philosophen durch die gesamte Geschichte hindurch schuldig. Das war vor ein paar hundert oder tausend Jahren nicht weiter problematisch, denn die Philosophie hatte bei der Beschäftigung mit ihren Themen keine Konkurrenz. Mit der Entstehung der verschiedenen Wissenschaften aber hat sich das grundlegend geändert. Das menschliche Handeln wird zum Beispiel auch in der Ökonomik zum Thema gemacht, mit dem Erkennen setzt sich die Hirnforschung auseinander. Linguisten gehen den Rätseln der Sprache auf den Grund, und in den Ingenieurwissenschaften wird der Zugriff auf die Technik immer präziser und effizienter. Die Philosophie hat bei der Behandlung dieser oder anderer Themen also kein Monopol mehr, was von ihren Vertretern bis heute weitgehend ignoriert wird – mit der Folge, dass in der öffentlichen Diskussion die Philosophie weitgehend ignoriert wird.

    Die erste und wichtigste Aufgabe einer Einführung in die Philosophie, ist also, genau das zu sein: eine Darstellung dessen, was alle ihre Repräsentanten gemeinsam haben und was damit den Kern der Identität unseres Fachs ausmacht, also eine Antwort auf die Frage: ‚Was ist die Philosophie?’.

    An dieser Stelle scheint sich aber ein gravierendes Problem aufzutun. Denn wenn, wie soeben erläutert, die Philosophen aller Zeitalter nicht in der Lage waren, schlüssig und vor allem einheitlich die Frage nach der Philosophie zu beantworten – woher soll eine solche Antwort denn dann kommen? Wo, wenn nicht in den Büchern der einzelnen Philosophen soll sich die Identität der Philosophie verbergen? – Man könnte sich nun die Meinung Immanuel Kants zu eigen machen, der bei seiner Auseinandersetzung mit Platon in der Kritik der reinen Vernunft einfach vorschlägt, „durch die Vergleichung der Gedanken, welche ein Verfasser über seinen Gegenstand äußert, ihn sogar besser zu verstehen, als er sich selbst verstand […]"[4]!. Anders gesagt und auf unser Thema bezogen: Die einzelnen Philosophen haben zwar alle über die Philosophie geschrieben – sie wussten es nur nicht. Und deshalb ist es legitim, ein einheitliches Gesamtbild der Philosophie auf ihre Werke quasi zu projizieren. Es ist offensichtlich, dass ein solches Vorgehen den betroffenen Denkern nicht gerade Respekt zollt, und Kant wurde wegen der gerade zitierten Haltung wohl nicht ganz zu Unrecht immer wieder der Vorwurf der Arroganz gegenüber Platon gemacht.

    Hier wird deshalb ein anderes Vorgehen gewählt, welches die Literaturlage (also die Tatsache, dass die Philosophie in philosophischen Werken regelmäßig zu kurz kommt) nicht ignoriert, den behandelten Philosophen aber auch nicht eigenmächtig Worte in den Mund legt. Das, was im Rahmen dieser Einführung als Identität der Philosophie dargestellt wird, ist als Hypothese zu verstehen, also als ein Vorschlag, der sich bei der Darstellung der einzelnen Philosophen zu bewähren hat. Mit anderen Worten: Wenn in den folgenden Kapiteln das Denken von Sokrates bis Martin Heidegger im Einzelnen besprochen wird, dann geschieht dies also sozusagen unter der Als‐Ob‐Annahme, dass dem ein einheitliches Bild dessen zugrunde liegt, was Philosophie ist und worum es ihr geht. Dabei ist dieser Weg sicherlich der schwierigere und erfordert weitaus mehr gedankliche Arbeit, als dem Kollektiv der Philosophen schlichtweg ein bestimmtes, ihnen unbewusstes Bild von Philosophie zu unterstellen. Er ist aber auf der anderen Seite nicht nur intellektuell redlicher und wissenschaftlich angemessener – er legt sich vor allem bei jedem Schritt Rechenschaft über sich selbst ab, und genau das ist es ja, was oben an der Philosophie bemängelt worden war: dass sie zwar einen klaren Blick auf viele Dinge in der Welt hat, aber eben keinen Blick auf sich selbst, keinen Blick auf diesen ihren Blick selbst.

    Nachdem nun ausführlich der Status dessen geschildert wurde, was innerhalb dieser Einführung unter Philosophie verstanden wird, ist es nun höchste Zeit, auch auf den Inhalt einzugehen. Was also hier hypothetisch mit Philosophie gemeint ist und sich daher im Folgenden bezüglich unterschiedlicher Einzelphilosophien zu bewähren hat, ist die Frage nach dem Weltbezug des Menschen. Die Philosophie, wie sie hier verstanden wird, beschäftigt sich folglich immer auf die eine oder andere Art und Weise mit der Begegnung des Menschen mit der Welt, den sich dabei ergebenden einzelnen Berührungspunkten und dem Umgang mit ihnen. Wie ausdifferenziert und speziell dieses Thema im Rahmen der Schilderung der Werke einzelner Philosophen also auch besprochen wird, stets stellt hier die Frage nach dem menschlichen Weltbezug den Hintergrund der Schilderung des Denkens dieser Philosophen dar. Der Gesichtspunkt des Verhältnisses von Mensch und Welt ist somit der Ariadnefaden, der uns dabei helfen soll, uns im Labyrinth der Philosophie zu orientieren, von dem sich allerdings erst noch zeigen muss, ob er diese Aufgabe auch erfüllt. Mit Goethe gesprochen: Der Weltbezug des Menschen ist ein „prägnanter Moment"[5] in der philosophischen Landschaft, der uns hoffentlich den nötigen Überblick verschafft. Goethes Ausdruck ist im Übrigen auch deshalb für den hier gewählten Ansatz geeignet, weil das Thema des menschlichen Weltbezugs nicht völlig von außen an die Philosophie herangetragen wird. Dieser Aspekt wird im Gegenteil bei einigen Denkern tatsächlich ausdrücklich zur Sprache gebracht – nur wird ihm dort eben nicht die Bedeutung für die Philosophie insgesamt beigemessen, die er im Rahmen dieser Einführung hat. So, wie ein Hügel immer schon Teil einer Landschaft ist, aber erst dann zum ‚prägnanten Moment’ wird, wenn man sich auf ihn stellt und sich umsieht.

    Welche Teile dieser Landschaft, also welche Philosophen wir dabei genau betrachten werden und vor allem: wo die Reihe der Philosophen beginnt, die im Rahmen dieser Einführung besprochen werden, wird anhand der Namen der folgenden Kapitel klar. Dort wird dann, beginnend mit Sokrates, auch im Einzelnen erläutert, wie sich deren jeweiliges Philosophieren als Spezialfall der allgemeinen Frage der Philosophie nach dem menschlichen Weltbezug verstehen lässt.

    Bisher ging es in diesem Kapitel vorwiegend um das vor allem für Neulinge in der Philosophie verwirrende Problem, dass es in Bezug auf ihr Fach kein einheitliches Verständnis und folglich auch kaum auf das Fach als Ganzes gerichtete Einführungen gibt. – Darüber hinaus besteht noch eine zweite Schwierigkeit, die allerdings nicht beim Einstieg in die Philosophie, sondern erst ein wenig später, also sozusagen ein Stück waldeinwärts, wartet. Der Münchner Philosophieprofessor Wolfgang Stegmüller hat dieses Problem, das nicht nur, aber besonders auf akademische Neuankömmlinge (also Studenten des Fachs in den ersten Semestern) lauert, schon im Jahr 1960 präzise auf den Punkt gebracht. Stegmüller hatte immer wieder beobachtet,

    dass Philosophiestudenten sich frühzeitig jener philosophischen Richtung verschreiben, die sie zufälligerweise als erste kennen lernten oder die ihnen von einem ihrer Vertreter in besonders eindringlicher Weise vorgetragen wurde, ohne dass sie über andere philosophische Denkweisen hinreichend oder auch nur ungefähr informiert gewesen wären.[6]

    Leider beschränkt Stegmüller seine zutreffende Bemerkung auf die Stundenten der Philosophie und vergisst zu erwähnten, dass der Glaube an den Absolutheitsanspruch von Wahrheiten in der Philosophie bei weitem nicht auf diese beschränkt ist. Er findet sich genauso bei deren Lehrern, also den Dozenten – mit dem kleinen, aber wichtigen Unterschied, dass Letztere keinen Anfängerstatus als Erklärung oder Entschuldigung vorzuweisen haben.

    Was also in der Philosophie gerade am Anfang Not tut, ist – über die Vermittlung von Inhalten hinaus, wenn auch natürlich auf ihnen aufbauend – der stetige Hinweis auf die Perspektivität dieser Inhalte. Dabei scheint die Zuordnung von Inhalten und Perspektiven bzw. den dahinter stehenden Personen zunächst, gerade in einem Buch, kein besonderes Problem zu sein. Schließlich stehen die Inhalte jeweils in einem bestimmten Kapitel – und das ist wiederum einem bestimmten Philosophen gewidmet. Nur findet eben das Nachdenken über Philosophie (vom Reden ganz zu Schweigen) nicht im Medium des Papiers statt; und die zahlreichen Positionen und Personen gedanklich (und dann im Gespräch) immer korrekt zusammenzuhalten, ist schon eine wesentlich verzwicktere Aufgabe – vor allem, wenn von den Personen die meisten den Eindruck zu erwecken versuchen, die von ihnen präsentierten Inhalte seien nicht etwa nur ihrer subjektiven Sicht der Dinge entsprungen, sondern vielmehr die absolute, objektive Wahrheit, auf die letztlich jeder kommt, wenn er nur lange genug nachdenkt. Die Philosophie, also die Liebe zur Weisheit, auf diese Art mit dem Stein der Weisen zu verwechseln ist am Schärfsten von Friedrich Nietzsche kritisiert worden, daher wird sich das Kapitel, das ihm gewidmet ist, ausführlich mit dieser Frage beschäftigen. Wie Stegmüllers Hinweis deutlich zeigt, wird Nietzsches Forderung nach einer konsequenten Perspektivierung der Philosophie bis heute weitgehend ignoriert. An diesem generellen Missstand wird natürlich auch diese Einführung nicht viel ändern können, allerdings soll auf diesen Gesichtspunkt ein besonderes Augenmerk gelegt werden. (Das gilt in noch stärkerem Maß für das Computerspiel Philosophenkönig. Denn obwohl dessen Inhalt der Menge nach deutlich über dieses eBook hinausgeht, stellt dort die korrekte Zuordnung von philosophischen Positionen zu bestimmten Personen und umgekehrt – also genau die gerade erwähnte Perspektivierung – die einzige Möglichkeit dar, Punkte zu sammeln.)

    Dabei muss aber auch eine Frage berücksichtigt werden, die Nietzsche selbst von seinem Publikum gestellt bekam: Wenn Philosophie keine absolute, objektive Wahrheit hervorbringt – was unterscheidet sie dann von völlig willkürlichem Gerede? Anders gefragt: Gibt es einen Unterschied zwischen ‚subjektiv’ und ‚ziellos’? Und worin besteht dieser? Solche Fragen scheinen auf den ersten Blick von ausschließlich geistesgeschichtlicher Natur zu sein, das aber wäre ein Fehlschluss. Nicht nur, dass die Entstehungsperiode der Philosophie in der griechischen Antike in den einschlägigen historischen Darstellungen immer wieder als „religiös stark erregte Zeit"[7] beschrieben wird, was auch als Charakterisierung zumindest von Teilen unserer Gegenwart nicht unangemessen erscheint. Darüber hinaus wird auch heute Zweifeln an der absoluten Wahrheit religiöser Wertesysteme der Vorwurf der Willkür sowie des Relativismus gemacht[8]!. – Die Frage, wie Philosophie perspektivisch und dennoch nicht willkürlich sein kann ist also letztlich identisch mit der Frage nach der Möglichkeit einer Welt, in der eine Vielzahl an grundlegenden Sichtweisen nebeneinander existieren können, die dennoch prägnant und eigenständig genug sind, um Menschen eine lebenslange Identifizierung mit ihnen zu erlauben. Das wird im Übrigen nicht das letzte Mal bleiben, dass sich die Philosophie hier als weitaus aktueller als ihr Ruf erweist.

    Was nun die Darstellung der einzelnen philosophischen Ansätze im Rahmen dieser Einführung angeht, so soll, wie gesagt, der Aspekt des menschlichen Weltbezugs einen thematischen Leitfaden bilden und damit umzäunen, was sich sonst recht unverbunden unter der Überschrift Philosophie finden lässt. Anhand dieses Leitfadens lassen wir uns in den folgenden Kapiteln also auf das Werk jeweils eines Philosophen ein. Dabei zeigt allerdings die Erfahrung immer wieder, dass in den einführenden Darstellungen solcher Werke (natürlich von dem an sich sinnvollen Wunsch nach Überschaubarkeit geleitet) mittels Absatz- und Unterüberschriften eine Struktur erzeugt wird, die sich so im Original nicht finden lässt. Um das Beispiel von oben abzuwandeln: Die Hilfslinien auf einer Landkarte fügen einem Ausschnitt der Natur ein Gitternetz hinzu, das sich zur Orientierung eignet, das aber natürlich nicht als Teil der Landschaft verstanden werden darf. Und genau diese Gefahr besteht bei vielen Darstellungen von Philosophen, weil leicht der Eindruck entsteht, Strukturprinzipien wie die Einteilung in Abschnitte seien den entsprechenden Werken entnommen – während sie in Wahrheit auf die Landschaft dieser Werke projiziert werden, um sich in ihnen besser orientieren zu können. Daraus folgt aber auch, dass es unter Umständen noch ganz andere Wege durch diese Landschaft gegeben hätte – man kann nur eben nicht wählen, wovon man nichts weiß.

    Aus diesem Grund soll hier dem Leser bzw. der Leserin zumindest soviel an Deutungshoheit überlassen werden, dass die einzelnen Kapitel zwar jeweils einen Argumentationsstrang vorlegen und versuchen, die entsprechende Philosophie einheitlich darzustellen. Darüber hinaus ist aber auf Strukturierungen bewusst verzichtet worden, um die Möglichkeit zu geben, sich auch formal einen eigenen Reim auf die Philosophen und ihre Werke zu machen. Die vorliegende Einführung versteht sich also insofern als Lese- und Arbeitsbuch, als man sich ihr am Besten mit Auge und (elektronischem) Stift widmet. Wer das tut, wird feststellen, wie sehr selbst die einfachsten Einteilungen und Notizen das Bild verändern, das man sich von einer Philosophie macht – oder, wie Nietzsche bereits vor fast 125 Jahren bemerkte: „Unser Schreibzeug arbeitet mit an unseren Gedanken"[9].

    Kapitel 2

    No picture available

    Sokrates (469 – 399 v. Chr.)

    Die Tatsache, dass wir unsere philosophische Reise mit Sokrates beginnen lassen, wirft im Anschluss an das in der Einleitung Gesagte natürlich einige Anschlussfragen auf, zum Beispiel: Inwiefern war Sokrates der erste Philosoph? Gab es nicht schon vor ihm Menschen, die sich grundlegende Fragen über die Welt gestellt und darauf teilweise tiefschürfende Antworten gegeben haben? Und deutet die Vielzahl an verschiedenen Denkern, die in unterschiedlichen Zusammenhängen als ‚erster Philosoph’ bezeichnet wurden und werden, nicht darauf hin, dass ein solcher Titel nur völlig willkürlich, also grundlos vergeben werden kann?

    Um mit der letzten Frage zu beginnen: überhaupt nicht! Denn offensichtlich hängt das Verständnis eines Menschen als Philosoph davon ab, was für ein Verständnis bzw. welchen Begriff von Philosophie man vertritt, das gilt für den ersten ebenso wie für den zweiten oder den letzten Philosophen. Und obwohl jedem sein Philosophiebegriff natürlich selbst überlassen bleibt – steht dieser fest, ist damit auch die Menge der Menschen festgelegt, die unter den Begriff fallen: die Philosophen. Und dann ist es nur noch ein chronologisches Problem, unter ihnen einen ganz bestimmten zu ermitteln – den aller ersten Philosophen.

    Wie erläutert, liegt dieser Einführung ein Philosophiebegriff zugrunde, demzufolge sich die Philosophie auf unterschiedliche Art und Weise mit der Weltbegegnung des Menschen auseinandersetzt. Alle hier dargestellten Denker haben sich also – sportlich ausgedrückt – dadurch als Philosophen qualifiziert, dass ihr Werk sich entweder mit dieser Frage beschäftigt oder doch zumindest mit ihrer Hilfe verstehbar ist. Mit diesem Philosophiebegriff in der Hand gestaltet sich die Suche nach dem ersten Philosophen nun zwar nicht von selbst, aber doch wesentlich einfacher. Denn jetzt zeigt sich, dass es zwar bereits lange vor Sokrates Denker gab, die sich mit der Welt beschäftigt haben, nur spielte dabei (zum Beispiel bei der Beobachtung der Natur) der Mensch keinerlei Rolle; und wo der Mensch in den Mittelpunkt gestellt wurde (etwa in der Medizin), da wurde er isoliert als Einzelwesen betrachtet und nicht in Bezug auf seine Begegnung mit der Welt.

    Ein deutlicher Hinweis darauf, dass Sokrates tatsächlich der Erste war, der sich dieser Frage gewidmet hat und insofern zu Recht als erster Philosoph gilt, ist die Tatsache, dass er sich hinsichtlich der Welt nicht für globale Zusammenhänge (beispielsweise astronomische Berechnungen der Planetenbahnen) oder abstrakten Grundlagen (z.B. der Frage nach dem wichtigsten der Elemente) interessierte. Er stellte vielmehr den Teil der Welt in den Mittelpunkt, an dem der Mensch der Welt tatsächlich begegnet: die menschliche Lebenswelt. Um diesen Berührungspunkt von Mensch und Welt (man könnte etwas übertrieben von der Mensch-Welt-Schnittstelle sprechen) gruppiert Sokrates nun sein Denken. Die Welt ist für ihn als Philosophen nur interessant, insoweit sie für den Menschen relevant ist.

    Einer der bedeutendsten römischen Gelehrten und Politiker, Marcus Tullius Cicero (106‐43 v. Chr.), hat etwa zwei Jahre vor seinem Tod dieser Ausnahmestellung von Sokrates in seinen Gesprächen in Tusculum ein literarisches Denkmal gesetzt:

    Sokrates hat als Erster die Philosophie vom Himmel herunter gerufen und sie in den Städten angesiedelt, sie sogar in die Häuser hineingeführt und sie gezwungen, nach dem Leben, den Sitten und dem Guten und Schlechten zu forschen.[1]

    Obwohl es sich hier zwar zunächst so anhört, als sei Sokrates für Cicero zwar ein Meilenstein, aber nicht der Beginn der Philosophie, steht auch für Cicero die Rolle von Sokrates fest – er ist der „Vater der Philosophie"[2]!. Das ist, wie gesagt, an sich auch überhaupt kein Problem – problematisch ist in einem solchen Zusammenhang nur, wenn das eigene Begriffsverständnis verschwiegen oder dem Gesprächspartner ein solches verweigert wird (oder aber, was leider auch nicht eben selten geschieht, beides zusammen). Aus der Perspektive unseres Philosophiebegriffs liegt die Interpretation des von Cicero Gesagten jedenfalls nunmehr klar auf der Hand: Sokrates war der erste Philosoph, weil er sich als Erster mit der menschlichen Lebenswelt, also mit der Frage nach dem Verhältnis von Mensch und Welt, auseinandergesetzt hat.

    Bevor wir auf die Inhalte dieser Philosophie zu sprechen kommen, sind allerdings noch einige kurze Bemerkungen zur Quellenlage angebracht. Denn ausgerechnet zum Gründervater der Philosophie besitzen wir nur einen sehr bescheidenen und darüber hinaus auch noch indirekten Zugang. Die Erklärung dafür ist zunächst relativ simpel: Sokrates hat keine eigenen Schriften hinterlassen, alles, was er zu sagen hatte, hat er buchstäblich auch nur gesagt. Wir sind zur Rekonstruktion seiner Philosophie somit auf fremde Quellen angewiesen, wobei sich die vier wichtigsten bzw. ihre Autoren in ihrem jeweiligen Werkumfang, ihrer Bedeutung und in ihrer Beziehung zu Sokrates zum Teil erheblich unterscheiden. Keine dieser Quellen bietet darüber hinaus ein unverzerrtes, vollständiges Bild von Sokrates und seiner Philosophie, wir können also letztendlich nur in ihrer Gesamtschau und im kritischen Gegenprüfen hoffen, diesem so nahe wie möglich zu kommen.

    Da wäre zunächst, um mit einem positiven Beispiel zu beginnen, der Athener Politiker und Offizier Xenophon (ca. 426‐355 v. Chr.), der Sokrates als dessen Schüler aus nächster Nähe kannte und in drei Schriften – nämlich den Erinnerungen an Sokrates, der Apologie und dem Symposion – versuchte, die Persönlichkeit, aber auch die Lehre seines Meisters darzustellen und darüber hinaus auf praktische Lebensumstände anzuwenden. Während er dabei allerdings ein sehr genaues Bild des Menschen Sokrates zeichnet, bleiben die philosophischen Aspekte eher im Dunkeln, darüber hinaus ist Xenophon in strittigen Fragen natürlich nicht neutral, sondern steht ganz offensichtlich noch unter dem Einfluss seines charismatischen Lehrers. Bezeichnend für das innige Verhältnis der Beiden ist die Darstellung in Raffaels berühmtem Bild Die Schule von Athen (1511), wo Xenophon direkt neben Sokrates steht und ihm andächtig zuhört.

    Offene Sympathie ist bei der zweiten Quelle, dem Schriftsteller Aristophanes (ca. 448‐ca. 385 v. Chr.), zwar nicht das Problem, dafür aber das Gegenteil. Sokrates wird in der einflussreichen Komödie Die Wolken (423 v. Chr.) als streitsüchtiger Wortverdreher dargestellt, der die Götter leugnet und darüber hinaus einen verderblichen Einfluss auf die Jugend ausübt. Obwohl diese und weitere Vorwürfe offensichtlich durch eine tiefe Abneigung motiviert sind und wegen ihrer übertriebenen Darstellung auch keine inhaltliche Substanz besitzen, waren sie alles andere als unbedeutend. Nicht nur, dass die Wolken bis heute zu den bedeutendsten Werken antiker Literatur zählen; etwa 25 Jahre nach ihrer Veröffentlichung, als Sokrates in Athen vor Gericht gestellt und schließlich zum Tod durch den Giftbecher verurteilt wurde, enthielt die Anklage viel von dem, was bereits Aristophanes behauptet hatte.

    Während Xenophon und Aristophanes vor allem durch ihre jeweilige Haltung Sokrates gegenüber als Quelle problematisch erscheinen, ergibt sich im Fall der nächsten beiden Autoren ein ganz anderes Problem: Der Sokrates-Schüler Platon sowie dessen Schüler Aristoteles sind als Philosophen selbst dermaßen ambitioniert, dass die Gefahr besteht, dass sie Sokrates durch die Brille ihres eigenen Denkens wahrnehmen bzw. darstellen.

    Das gilt für Platon, der Sokrates bereits im Alter von zwölf Jahren vorgestellt und erst mit Zwanzig sein Schüler wird, natürlich nicht von Anfang an. Wie wir im Rahmen des Platon-Kapitels aber ausführlich sehen werden, muss in vielen Fällen zwischen dem ‚platonischen’ Sokrates, der im Werk Platons auftaucht, und dem ‚historischen’ Sokrates, der uns auch unabhängig von Platon bekannt ist, unterschieden werden. Dies umso mehr, als sich in Platons Schriften die mit Abstand ausführlichste Schilderung der Philosophie Sokrates´ findet – dieser taucht in fast allen Platonischen Dialogen sogar als wichtigster Teilnehmer auf. Dazu kommt, dass Platon seinem Lehrer ebenfalls tief verbunden ist, bezeichnenderweise schreibt auch er eine Apologie, also eine Verteidigungsschrift für Sokrates. Die Diskussion darüber, wie getreu Platon die Sokratischen Ansichten wiedergibt, ist uralt und hält bis heute an. Dabei gibt es für die Authentizitätsvermutung ebenso gute Argumente wie für die Behauptung, Platon habe seine eigenen Ansichten hinter dem Namen seines Lehrers versteckt. Die Kritiker Platons führen etwa an, er habe in seinen Dialogen seine eigene Meinung nie ausdrücklich vertreten, schon aus diesem Grund brauche er seinen Lehrer als Sprachrohr[3]!. Zu den eher philosophischen Argumenten werden wir im nächsten Kapitel kommen. Zu Platons Gunsten wird oft ein Satz genannt, der in seinem Zweiten Brief vorkommt und auf eine – milde gesagt – ungewöhnliche Art und Weise zu der Thematik Stellung nimmt. Dort schreibt Platon also selbst: „Es gibt keine Schrift Platons und wird keine geben; und das, was jetzt dafür gilt, stammt vielmehr von einem Sokrates, der schön und gut geworden ist"[4]!. Die Frage, wie authentisch die Sokratische Position genau in Platons Dialogen dargestellt wird, kann hier natürlich nicht gelöst werden. In der wissenschaftlichen Forschung hat man sich mittlerweile weitgehend auf die Formel geeinigt, dass in der frühen Phase des Schaffens Platons Sokrates´ Perspektive noch sehr originalgetreu wiedergegeben wird, während der mittlere und späte Platon hier schon wesentlich vehementer sein eigenes Denken in seine Dialoge einfließen lässt und wir also in seinen Schriften nicht dem historischen, sondern vielmehr dem ‚platonischen’ Sokrates begegnen. In dieser Einführung werden Sokrates nur die Aspekte seines Denkens zugerechnet, die heute ohne Zweifel als seiner Philosophie entsprechend angesehen werden, in einigen Fällen wird auf Platons Zutaten bei der Darstellung seines Lehrers hingewiesen.

    Aristoteles schließlich hat Sokrates nicht mehr persönlich kennengelernt, auch äußert er sich bei Weitem nicht so häufig zu ihm bzw. durch ihn wie Platon. Es ist allerdings davon auszugehen, dass er im Rahmen seines Studiums bei Platon in dessen Athener Akademie ausführlich mit mündlichen und schriftlichen Schilderungen des Sokratischen Denkens in Kontakt gekommen ist. Es muss auch hier berücksichtigt werden, dass dessen Darstellung im Rahmen des Schrifttums von Aristoteles, des Corpus Aristotelicum, möglicherweise eine Färbung erhält, der Sokrates selbst nicht zugestimmt hätte. Das gilt insbesondere für die von Aristoteles begründete strikte Trennung von theoretischer und praktischer Philosophie. Weil Aristoteles andererseits an Platon wesentlich offener Kritik übt als dieser an Sokrates, wird Aristoteles nicht selten auch zu Rate gezogen, um das von Platon erzeugte Sokratesbild zu korrigieren. Das ist auch hier an einigen Stellen der Fall.

    Neben den genannten vier Quellen hat es im Lauf der Jahrtausende unzählige weitere Versuche der Darstellung von Sokrates´ Leben und Philosophieren gegeben. Als einer der prominentesten wäre etwa noch der Historiker Diogenes Laertios (3. Jahrhundert n. Chr.) zu nennen, der um 220 n. Chr. ein ausführliches Werk über Leben und Lehre der Philosophen verfasste, in der Sokrates und seinem Verhältnis zu Platon einiger Platz eingeräumt wird. Über die zeitliche Distanz hinaus kann aber auch dieses Werk nicht mit neuen, unabhängigen Quellen dienen, oft fehlen diese sogar ganz. Auch steht erneut der philosophische Ansatz deutlich im Schatten von Persönlichkeit und Biographie[5]!.

    Im Anschluss an diese Schilderung der Quellenlage bleibt zunächst offen, ob die oft zu beobachtende Hervorhebung der praktischen Lebensumstände und der Taten Sokrates´ nur der Schwierigkeit geschuldet sind, an direktere Informationen bezüglich seines philosophischen Ansatzes zu kommen, oder ob sich dahinter mehr verbirgt. An dieser Stelle wäre auch die Frage zu stellen, warum Sokrates kein schriftliches Werk hinterlassen hat, schließlich hätte er als freier Bürger Athens alle Möglichkeiten dazu gehabt und stand als eifriger Leser dem Medium der Schrift offensichtlich auch nicht grundsätzlich negativ gegenüber. Jedenfalls berichtet Platon in seinem Dialog Phaidon und seiner Apologie über Sokrates´ ausführliche Lektüre der Schriften des Naturforschers Anaxagoras (ca. 500-428 v. Chr.), und auch Xenophon zitiert in seinen gerade erwähnten Erinnerungen an Sokrates diesen mit den Worten, er habe „die Schätze der Weisen aus vergangener Zeit, die diese uns in ihren Schriften hinterlassen haben"[6], gerne und mit Gewinn studiert. Nur für seine eigenen Erkenntnisse kam ihm eine solche Art der Vermittlung offensichtlich nie in den Sinn – warum nicht?

    Als wir soeben Platon und Aristoteles im Vorgriff dafür kritisiert haben, ihre eigenen philosophischen Vorstellungen in ihre Schilderung von Sokrates einfließen zu lassen, war das durchaus als allgemeiner Hinweis zu verstehen: Man sollte sowohl bei der Darstellung als auch bei der Lektüre einer Philosophie zumindest immer versuchen, sich das eigene Vorverständnis dieser Philosophie klarzumachen und nötigenfalls auch zurückzustellen[7]!. Ist das Bewusstsein dafür erst einmal geweckt, liegt der nächste Schritt praktisch fest: Denn nicht erst die Darstellung, sondern bereits die Fragen, die wir an einen Philosophen stellen, sind von unseren eigenen Vorstellungen geprägt, ob diese uns nun bewusst sind oder nicht. In diesem Sinne können wir uns nun selbst den Spiegel dahingehend vorhalten, ob unserer Frage nach dem fehlenden Sokratischen Schrifttum möglicherweise eine Vorannahme zugrunde liegt, die von Sokrates schlicht nicht geteilt wurde. Hat, mit anderen Worten, die Tatsache, dass uns keine Schriften von Sokrates vorliegen, womöglich nicht nur praktische Ursachen, sondern steht mit den Inhalten seiner Lehre im Zusammenhang, ist also Teil seiner Philosophie? Wir werden später auf diese Frage zurückkommen.

    Wer wie wir sofort nach den Schriften eines Philosophen fragt, geht offensichtlich recht unbedarft davon aus, dass sich die Inhalte von dessen Lehre durch den Akt des Lesens aneignen lassen, warum sollten wir uns schließlich sonst der Mühe der Lektüre unterziehen? Das aber setzt voraus, dass sich das, was der Philosoph mitteilen möchte, im Medium der Schrift fassen lässt – und genau darin liegt der springende Punkt. Wie der folgende kurze Ausschnitt aus Xenophons Erinnerungen zeigt, haben bereits seine Zeitgenossen Sokrates auf dieses Thema angesprochen. Diesem geht es aber offenbar um eine ganz andere Art der Vermittlung seiner Philosophie, wie er Hippias bei der Diskussion um das Thema Gerechtigkeit klarmacht.

    Hippias: Es ist genug, dass du die anderen stets zum besten hältst, sie ausfragst und in die Enge treibst, deinerseits aber niemandem Rede stehst und nicht deine Meinung preisgeben willst.

    Sokrates: Wie, oh Hippias, hast du nicht bemerkt, dass ich nie aufhöre, an den Tag zu legen, was ich für Recht halte?

    Hippias: Und wie ist dein Reden darüber?

    Sokrates: Nicht durch Worte, sondern durch die Tat lege ich es an den Tag. – Und ist die Tat nicht ein besserer Beweis als das Wort?[8]

    Was hier zunächst deutlich wird, ist, dass sich Sokrates nicht etwa nur über die Schrift kritisch äußert, sondern sogar über die Sprache an sich. Während sich ein gewisser Vorbehalt gegenüber dem leicht Dahingesagten bis heute in vielen Sprachen zeigt (‚Worte sind nur Schall und Rauch’, ‚Talk is cheap’ etc.), hat die hier zitierte Stelle einen tieferen Hintergrund, bei dem es zwischen Platon und seinem Lehrer ohne Zweifel keine inhaltlichen Differenzen gab. Denn beide vereinte eine tiefe Abneigung gegen eine zu ihrer Zeit sehr einflussreiche Schule – die Sophistik. Obwohl sich auch die Sophisten selbst in grundlegenden

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