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Werten heißt, den Menschen kennen: Die Entdeckung eines nicht-realistischen Wert-Objektivismus
Werten heißt, den Menschen kennen: Die Entdeckung eines nicht-realistischen Wert-Objektivismus
Werten heißt, den Menschen kennen: Die Entdeckung eines nicht-realistischen Wert-Objektivismus
eBook577 Seiten6 Stunden

Werten heißt, den Menschen kennen: Die Entdeckung eines nicht-realistischen Wert-Objektivismus

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Über dieses E-Book

In diesem Buch wird die Frage diskutiert, wie moralische Urteile wahr sein können, wenn es nichts gibt - keinen Gott, keine platonische Idee des Guten oder ähnliches - das diese Wahrheit begründen könnte.

Alle, die sich schon einmal gefragt haben, wie sie jemandem an den Kopf werfen können: "Du liegst falsch, und ich habe recht!" - werden in diesem Buch Anregungen finden, wie mit dieser Frage umzugehen ist.
SpracheDeutsch
HerausgeberBooks on Demand
Erscheinungsdatum8. Jan. 2018
ISBN9783746086811
Werten heißt, den Menschen kennen: Die Entdeckung eines nicht-realistischen Wert-Objektivismus
Autor

Volker Harting

Volker Harting hat nach zwei Umwegen aufgegeben und allen Gegengründen zum Trotz doch Philosophie studiert. Die metaethische Debatte hat ihn dabei am meisten fasziniert: Was tun wir eigentlich, wenn wir moralische Urteile fällen? Hauptberuflich arbeitet er mit seiner Frau in einer Jugendherberge am Nationalpark Hainich. Im Winter findet er regelmäßig Zeit, sich den großen Fragen zu widmen.

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    Buchvorschau

    Werten heißt, den Menschen kennen - Volker Harting

    wird.

    It is seldom or never found, when a false taste in poetry or eloquence prevails among any people, that it has been preferred to a true, upon comparison and reflection. It commonly prevails merely from ignorance of the true, and from the want of perfect models, to lead men into a juster apprehension, and more refined relish of those productions of genius. When these appear, they soon unite all suffrages in their favour, and, by their natural and powerful charms, gain over, even the most prejudiced, to the love and admiration of them. The principles of every passion, and of every sentiment, is in every man; and when touched properly, they rise to life, and warm the heart, and convey that satisfaction, by which a work of genius is distinguished from the adulterate beauties of a capricious wit and fancy.³

    1. Die Ablehnung der moralischen Wertesphäre

    1.1 Meine Prämisse: Keine Prämissen! Auch Naturalismus

    genannt

    Allgemein anerkannte moralische Intuitionen bilden den Rahmen, innerhalb dem metaethische Untersuchungen abgehandelt werden. Es ist anerkannt, dass tiefgreifende Revisionen unserer moralischen Praxis ein recht verlässliches Zeichen dafür wären, dass ein Gedankengang, der zu solchen Schlussfolgerungen führte, fehlerbehaftet sei.⁴ Ich bin nicht sicher, inwiefern ich in meinen Ausführungen ebenfalls von dieser – nennen wir es – Denkblockade behindert werde. Es ist klar, dass niemand eine Theorie vertreten will, die willkürlichen Mord, Kindesmisshandlungen oder die Gräueltaten der Nazis rechtfertigen würde. Ich übrigens auch nicht. Allein dies als „Denkblockade" zu bezeichnen, ist schon ein Tabubruch. Nichtsdestoweniger ist Offenheit angezeigt – und ich kann nur bereits an dieser Stelle versichern, dass am Ende meiner Abhandlung solche Dinge durchaus mit vollem Recht abgelehnt werden können.

    Den Weg dorthin wollen wir uns aber nicht durch Denkverbote verbauen. Daher möchte ich bei der Auswahl meiner Prämissen so sparsam wie möglich vorgehen und versuchen, auch die impliziten, immer mitgedachten, aber selten ausgesprochenen Prämissen – und dazu gehören auch verbotene Ergebnisse – soweit es geht aus dem Spiel zu lassen. Wenn die Gefahr besteht, in ein solches Fahrwasser zu geraten, werde ich das zur Sprache bringen.

    „Voraussetzungsfreiheit" wird das Stichwort sein, unter dem ich zu verschiedenen Gelegenheiten darauf Rückbezug nehmen werde. Dieser Begriff verspricht aber mehr, als er halten kann. Tatsächlich sind auch damit schon eine ganze Menge Vorentscheidungen getroffen. Eine Skepsis gegenüber dem Augenschein bleibt selten unbegründet, wenn sie erst einmal als Haltung gewählt wurde. Dennoch gibt es bestimmte Phänomene und Strukturen, die nicht in Zweifel gezogen werden. Die Gültigkeit basaler aussagenlogischer Verknüpfungen wie modus ponens, oder der Satz vom ausgeschlossenen Dritten usw. werden beispielsweise nicht angekratzt, aber auch bestimmte empirisch ermittelte (und damit vielleicht nicht ganz so feststehende?) Denkmuster wie das Phänomen der Kausalität werden anerkannt.

    Auf Deutsch: „Voraussetzungsfreiheit" impliziert einen methodischen Naturalismus. Was damit gemeint sein soll, bedarf freilich der Erläuterung. Der locus classicus in der Metaethik definiert einen Gegenstandsbereich als natürlich, wenn er als Forschungsgegenstand der Naturwissenschaften oder der Psychologie auftaucht.⁵ Dies ist freilich eine sehr spezifische und auch recht vorwegnehmende Einteilung, die übrigens die Gefahr birgt, dass ein Gegenstand, der aktuell und absehbar nicht Gegenstand der genannten Disziplinen ist, voreilig als nicht-natürlich aus der Betrachtung ausgeschlossen wird. Wer sagt aber, dass bestimmte Phänomene wie z.B. „moralische Entitäten" nicht in zweihundert Jahren doch einmal Gegenstand dieser Wissenschaften sein sollten? Vielleicht gibt es sogar physikalisch erkennbare Seelen, die nur noch nicht entdeckt wurden, weil bestimmte elektromagnetische Wellenmuster noch nicht entsprechend entschlüsselt wurden usw.

    Andere Begriffe des Natürlichen sprechen z.B. von der „absoluten Konzeption des Universums und wieder andere gehen von einer prozeduralen Bestimmung aus. Neil Roughley beispielsweise schlägt fünf Verständnisse des Begriffs „Naturalismus vor:

    (N1) A philosophical approach is naturalist iff its procedures are consistent with the assumption that its subject matter has come into being a [sic!] result of evolutionary processes

    (N2) […] iff its procedures are compatible with those of the natural sciences

    (N3) […] iff its aims and procedures are aims and procedures of the natural sciences

    [(N4) in Bezug auf den moralischen Naturalismus entspricht der o.g. Definition Moores]

    (N5) [entspricht der Definition Hares:] „Ethical naturalism is the doctrine that evaluative – and normative – concepts pick out only properties belonging to the causal, empirically accessible order of things and nothing more."

    Oben habe ich von einem methodischen Naturalismus gesprochen. Dieser grenzt sich ab von einem metaphysischen Naturalismus. Letzterer behauptet, dass der gemeinte Gegenstandsbereich sich komplett in natürlichen Ausdrücken beschreiben lässt. Er geht also davon aus, dass alle gemeinten Dinge natürlich sind. Was natürlich ist, ist dann noch eine Frage der Festsetzung, aber mit dem Disziplinenkriterium von Moore gibt es da einen ganz brauchbaren Kandidaten. So kann man Naturalist in Bezug auf Erdbeeren sein, was eine ganz häufig vertretene Position ist. Andere sind Naturalisten in Bezug auf moralische Werte und stellen sich der Aufgabe, moralische Werte als natürliche Gegenstände oder Relationen umzuerklären. Wohl niemand ist Naturalist in Bezug auf Zahlen. Will meinen: Es ist in Ordnung, wenn man in Bezug auf die einen Dinge einen metaphysischen Naturalismus vertritt, in Bezug auf andere aber nicht. (N4) und (N5) sind naturalistische Haltungen in Bezug auf die Moral.

    Der methodische Naturalist versucht seine Erkenntnisse wie die Naturwissenschaftler zu gewinnen. Demnach müsste er sich zur Empirie im Gegensatz zur Dogmatik bekennen. Wohl bekennt sich heutzutage kaum jemand zu einem dogmatischen Ansatz, weil das Wort einen unphilosophischen Beigeschmack hat, jedoch sind empirische Untersuchungsmethoden in der Philosophie nicht gerade häufig zu finden (Gedankenexperimente kann man kaum dazuzählen). Dogmatische Wissenschaften sind die Rechtswissenschaft und die Theologie, und dort steht man wohl auch dazu. Die Philosophie gehört m.E. jedoch nicht dazu, da ihr die positivistische Grundhaltung fehlt. Einen empirischen Ansatz wie in den Naturwissenschaften habe ich aber in den Vorbemerkungen für die Philosophie als unüblich ausgeschlossen. Eine „natürliche Methode in der Philosophie impliziert auch nicht, dass die Gegenstände, die da erforscht werden, ihrerseits notwendigerweise Gegenstände der physischen oder naturwissenschaftlich fassbaren Welt sind. Was bleibt dann von der natürlichen Methode? Mein Vorschlag: Es wird vorausgesetzt, dass sich die untersuchten Gegenstände so verhalten, dass sie mit dem naturwissenschaftlichen Paradigma kompatibel sind. (N2) und (N3) sind daher zu spezifische Formulierungen. Das heißt für mich, dass ich mich als methodischer Naturalist zu der oben als (N1) genannten Konzeption bekennen muss. Meine Vorgehensweise muss mit der Annahme kompatibel sein, dass meine Untersuchungsgegenstände durch evolutionäre Prozesse entstanden sind. Das impliziert, dass auch im Untersuchungsgegenstand vom ausschließlichen Bestehen von Kausalrelationen ausgegangen werden kann. Was weiter mit evolutionären Prozessen gemeint sein kann, soll im späteren Verlauf der Arbeit besprochen werden. Insbesondere will ich aber bereits an dieser Stelle ausschließen, dass die Methode das Vertreten einer wie auch immer gearteten „evolutionistischen Ethik präjudiziert. Was damit ausgeschlossen wird – wie gesagt: später.

    1.2 Was ist normativ? Charakterisierung der moralischen

    Wertesphäre

    1.2.1 Vorüberlegungen

    Sehr platt ausgedrückt: Wenn Vorstellung und Wirklichkeit auseinandertreten, können zwei Situationen vorliegen. Im einen Fall haben wir es mit einem Irrtum zu tun – das ist das deskriptive Verständnis. Im anderen Fall haben wir es mit einer „Nötigung" zu tun – das ist das normative Verständnis.

    Im ersten Fall ist die Wirklichkeit mehr oder weniger feststehend. Ggf. handelt es sich um eine bereits vollzogene Entwicklung, ggf. auch um einen vorhersehbaren Zustand, dessen Erfüllung als sicher gilt. Eine Vorstellung, die diese Zustände implementieren kann, ist korrekt; das Gegenteil davon ist der Irrtum. Im zweiten Fall gibt es eine als „korrekt" gedachte Vorstellung der Wirklichkeit, während die Wirklichkeit (noch) veränderlich oder als veränderlich (z.B. durch anderes Verhalten) gedacht werden kann. In diesem Fall sind Handlungen (also bewusste, zielgerichtete Tätigkeit), die den tatsächlichen Zustand mit der als korrekt gedachten Vorstellung der Welt in Übereinstimmung bringen, rational. Die handelnde Person, die sich einem solchen Auseinandertreten von korrekten und tatsächlichen Zuständen gegenübersieht, sieht sich einer Nötigung ausgesetzt.

    Im ersten Fall wird gelegentlich von einer „mind-to-world direction of fit gesprochen, d.h. die Vorstellungen müssen sich den Gegebenheiten anpassen. Im zweiten Fall wird von einer „world-to-mind direction of fit gesprochen, d.h. die Gegebenheiten müssen sich der Vorstellung anpassen. Dies setzt freilich entsprechendes Handeln voraus. Treten eine veränderliche Vorstellung von der Wirklichkeit (z.B. meine Überzeugung davon) und die tatsächlichen Gegebenheiten auseinander (also im Falle eines Irrtums), kann ebenfalls von einer Nötigung gesprochen werden: Es gibt eine „Normativität der Wahrheit", insofern die Tatsachen Ihre Anerkenntnis einfordern.

    Dies klingt alles etwas unübersichtlich. Gebräuchlich handeln deskriptive Beschreibungen davon, was ist, und normative Beschreibungen von dem, was sein soll. Was ist nun mit diesem „soll" gemeint?

    Denken wir an die Beschreibung „korrekt gedachte Vorstellung, so könnte damit ein „idealer Zustand gemeint sein. Das wäre gewissermaßen die platonische Herangehensweise, die davon ausgeht, dass es so etwas wie die Uridee des Zustands gibt, der als zu erreichendes Ziel metaphorisch gesprochen „im Raum steht. „Soll meinte damit, dass dieser Zustand zu erstreben ist, insofern er das Ideal ist. Hierin versteckt sich eine geradezu mystische Eigenschaft, dass bestimmte Dinge einfach ihr „gesollt sein" beinhalten. Bei genauer Betrachtung ist das ein Implikat, das nicht jeder zu unterstützen geneigt ist. Allerdings ist zu würdigen, dass dieser Ansatz erklären kann, dass es ganz bestimmte Dinge sind und eben keine anderen, die gesollt werden und dass diese Gesolltheit eine objektive Eigenschaft derjenigen Zustände ist.

    Was viele aber meinen, wenn sie irrtümlich oder umgangssprachlich das Wort „ideal verwenden, ist „optimal. Damit gemeint ist ein Zustand, der sein „Gesollt-sein" nicht dem Umstand zu verdanken hat, dass er ein gleichwie platonisches Ideal verkörpert sondern weil er den besten Nutzen verspricht. Dieser beste Nutzen impliziert jedoch einen Standpunkt, der von Interessen geprägt ist, die bedient oder behindert werden können. Das „Sollen" entspringt daher den Subjekten, die die sich in dem Zustand realisierenden Interessen vertreten oder anerkennen. Was zufällig diesen Interessen entspricht, kann daher als normativ, gesollt, gelten. Dass sich diese gesollten Dinge bei zweifellos vielen heterogenen Interessen nicht decken, ist kaum zu vermeiden. Diese Auffassung erntet ebenso wie der o.g. Platonismus Widersprüche, nur stützen sich diese Widersprüche hier auf Bedenken, dass viele die Objektivität des Normativen nicht aufzugeben bereit sind.

    Diese Arbeit sucht in dem Dilemma zwischen diesen beiden Positionen einen Ausweg zu finden, zwischen einem m.E. unplausiblen weil „mystischen aber dafür objektivistischen, normativen Platonismus und einem nicht weniger unplausiblen, weil „willkürlichen, also beliebigen, normativen Subjektivismus. Ich erhebe übrigens keinen Anspruch auf diese Begriffe. So kann statt Platonismus auch Realismus und kurioserweise auch Idealismus genutzt werden; Subjektivismus kann durch Antirealismus, ggf. sogar Idealismus ersetzt werden; wie bereits erwähnt muss man immer dazusagen, was man gerade meint. Später werde ich hier verbindlicher.

    1.2.2 Zwei wesentliche Arten von Normativität

    Nun ist alles natürlich noch komplizierter. Wenn ich im vorigen Abschnitt von „Gesolltheit gesprochen habe, ist damit noch nicht gesagt, dass auch dieses Phänomen seine Schattierungen besitzt. Zunächst habe ich von der „Normativität der Wahrheit gesprochen, d.h. dass beispielsweise auch die Tatsachen korrekt wiedergebende Auffassungen einen Anspruch auf Anerkenntnis erheben. Aber es mag auch Normen des Kunstschönen geben, oder Normen der Etikette, wobei die einen z.B. Ansprüche auf die Realisierung von Kunstidealen (egal, ob platonisch oder subjektiv verstanden) erheben, die anderen aber auf besondere Umgangsformen im gesellschaftlichen Verkehr. Verwandter mit unserem Kontext sind die Normen der praktischen Rationalität, die die Ergreifung der richtigen Mittel zur Verwirklichung bestimmter Zwecke (instrumentelle Normen) oder das Befolgen der richtigen Vorgehensweise zum Erreichen ferner Ziele (prudentielle Normen) uvm. einfordern. Zu guter Letzt scheint es auch moralische Normen zu geben, die die Verwirklichung des Guten beanspruchen.

    Es lassen sich aus solchen Beispielen zwei Arten von Normativität identifizieren, die man mit Kant hypothetische und kategorische Normativität benennen könnte. Hypothetische Normativität ist dann zu finden, wenn die Abweichung der Zustände vom Soll-Zustand kontingent ist, d.h. wenn das zufällige Bestehen bestimmter Präferenzen, Konventionen o.ä. eine Änderung des vorliegenden Zustandes erforderlich macht. Kategorisch ist die Normativität, die eine Änderung des Zustandes simpliciter einfordert, unabhängig vom Bestehen von zufälligen Ansprüchen von Personen. Moralische Normen, so meint man, fallen unter diese Kategorie.

    Man kann allerlei Namen für diese Unterscheidung geben; schön finde ich beispielsweise außer „hypothetisch/kategorisch die Bezeichnungen „motivationale Normativität und „autoritative Normativität" von David Copp.⁷ Motivational ist die Normativität, die sich aus bestimmten Beweggründen in den bewertenden oder handelnden Subjekten speist, während autoritative Normativität diejenige ist, die ohne solche Motivationserklärungen auskommt, die ihr Befolgt-werden schlechthin unbedingt einfordert.

    Im motivationalen Fall ergeben sich die Normen aus dem Innehaben eines bestimmten Standpunktes, der sich durch das Vorhandensein von Interessen charakterisieren lässt. Die Norm wird dann durch die Inhaber solcher Interessen vertreten. Sie wird von denen, die ihr zustimmen, ohne die zugehörigen Interessen zu haben, anerkannt. Hingegen resultiert die Anerkenntnis einer autoritativen Norm überhaupt nicht aus dem Bestehen gleichlautender Interessen. Vielmehr wird angenommen, dass eine solche Norm Bestandteil unserer Welt ist, so wie ein Gegenstand eine bestimmte Farbe oder Form hat oder so wie mein Bleistift existiert und vor mir auf dem Tisch liegt. So ist für die Anerkenntnis einer autoritativen Norm eben auch kein Interesse erforderlich, sondern die schlichte Wahrnehmung dieses Features der Welt, die Einsicht in die normative Gegebenheit, das Verständnis der Situation – solcherart es auch nötig ist, um mir Kenntnis über die Lage meines Bleistifts zu verschaffen, oder dass der Heizkörper weiß gestrichen ist.

    Es ist nachvollziehbar, dass ein Vertreter eines autoritativen Normativitätsverständnisses in der Moral sich tendenziell dazu hinreißen lässt, das Bestehen moralischer Tatsachen als unspektakuläres, geradezu selbstverständliches Phänomen unserer Welt einzustufen. Beide Ansichten begünstigen sich wechselseitig. Entsprechendes gilt im anderen Fall: Wer das „ontologische Bestehen" (diesen Pleonasmus werde ich sicherlich öfters bringen) moralischer Tatsachen bezweifelt, wird auch Schwierigkeiten mit dem autoritativen Charakter solcher Normen haben. Ohne dass dies analytisch unausweichlich wäre, kann daher die Tendenz vermutet werden, dass sich Vertreter eines motivationalen Normativitätsverständnisses eher zu einer subjektivistischen Auffassung moralischer Phänomene bekennen, während das Vertreten eines autoritative Normativitätsbegriffes sich leichter an die objektivistische, platonistische Sichtweise anschmiegt.

    1.2.3 Wahrheit vs. Anerkenntnis

    Ein weiteres Unterscheidungskriterium ergibt sich aus der Frage, welchen semantischen Status die Äußerung moralischer Beurteilungen innehat. Handelt es sich bei Ausdrücken moralischer Normen um Propositionen, so wie sie in der überwiegenden Zahl der Fälle auch formuliert werden? In diesem Fall können sie wahr oder falsch sein. Oder handelt es sich bei solchen Ausdrücken um nicht-propositionale Gebilde, die lediglich im propositionalen Gewand vorgetragen werden? Solche Ausdrücke könnten tatsächlich imperative Handlungsempfehlungen sein oder Ausrufe wie „Ey!" mit einem ablehnenden Unterton. Solche nicht-propositionalen Ausdrücke haben keinen Wahrheitswert, können also weder wahr noch falsch sein.

    Die eine Klasse von Ausdrücken wird kognitivistisch, also wahrheitsfunktional verstanden, die andere nonkognitivistisch. Interessant sind aber nicht die Namen, sondern was passiert, wenn man sich einem Ausdruck anschließt, der entweder wahrheitsfunktional ist oder nicht. Stimme ich einer wahren Aussage zu, so vertrete ich eine richtige Überzeugung. Stimme ich aber einem Ausdruck zu, der keinen Wahrheitswert besitzt, so kann es sich dabei ja nicht um eine Überzeugung handeln. In diesem Fall möchte ich von einer Einstellung oder Haltung sprechen. In einer wahren Aussage drückt sich demnach eine richtige Überzeugung aus, mit einem nichtpropositionalen Ausdruck wird hingegen eine Einstellung formuliert.

    Im Folgenden werden die Begriffe Aussage und Ausdruck durchaus absichtlich verwendet, und zwar dergestalt, dass eine Aussage tatsächlich propositionalen Charakter hat, während ein Ausdruck diesen Charakter möglicherweise nicht hat. Auch eine Aussage ist ein Ausdruck, aber eben mit der zusätzlichen Eigenschaft der Propositionalität.

    Um unsere Vorurteile über die häufig zusammen auftretenden philosophischen Meta-Überzeugungen weiterzuspinnen, möchte ich noch hinzufügen, dass die propositionale Auffassung moralischer Äußerungen wohl häufiger mit dem platonistischen und autoritativen Modell vorkommen wird, während die nonkognitive Auffassung sich leichter mit dem subjektivistischen Modell und der motivationalen Normativität arrangieren lässt. Obwohl ich übrigens in dieser Arbeit einen subjektivistischen Ansatz vertreten werde, kann ich am Ende dennoch mit propositionalen Äußerungen aufwarten, die normative Überzeugungen zum Ausdruck bringen.

    1.2.4 Moralische Erkenntnis

    Diese Überlegungen haben auch Auswirkungen auf die Frage, ob und wie es moralisches Wissen geben kann. Versteht man Wissen klassischerweise als gerechtfertigte, wahre Überzeugung, so steht die Verwendung des Wissensbegriffes nur dem zu, der moralische Äußerungen propositional auffasst. Wer gerechtfertigter Weise eine propositional verstandene, wahre, moralische Aussage glaubt, weiß, wovon sie berichtet.

    Handelt es sich bei dem Sachverhalt aber gar nicht um eine Aussage sondern eine nicht-propositionale Äußerung, so kann nicht von Wissen gesprochen werden, da es sich nicht um eine Überzeugung handelt. Es ist jedoch nicht ausgeschlossen, dass auch solche Haltungen gerechtfertigter oder ungerechtfertigter Weise vertreten werden können, z.B. weil sie in irgendeinem Sinne angemessen oder nicht angemessen sind. Wer eine nichtpropositional verstandene, normative Äußerung vertritt, erkennt sie an.

    Wir unterscheiden also zwischen dem Wissen einer wahren moralischen Überzeugung und der Anerkennung einer gerechtfertigten moralischen Haltung. Wieder kann antizipiert werden, dass der platonistische Ansatz mit dem autoritativen Normativitätsverständnis und der propositionalen Semantik eher die Möglichkeit von moralischem Wissen zugesteht, während der subjektivistische Ansatz mit dem motivationalen Normativitätsverständnis und der nonkognitivistischen Semantik eher mit moralischer Anerkennung einhergeht. Freilich sind diese Tendenzen nicht unvermeidbar und andere Kombinationen sind möglich.

    1.2.5 Direktiven, Evaluationen

    In den vorigen Abschnitten wurden die zentralen Themen der Metaethik behandelt, nämlich die Frage nach der ontologischen, normativen, motivationalen und epistemologischen Dimension moralischer Ausdrücke. Diese Themen werden uns das ganze Buch über beschäftigen. Welche Form aber nehmen moralische, oder allgemeiner: normative Ausdrücke ein? Thomson unterscheidet zwischen Direktiven und Evaluationen.⁸ Erstere bringen zum Ausdruck, was sein soll, letztere bringen zum Ausdruck, wie etwas einzuschätzen ist. Beide unterscheiden sich von deskriptiven Ausdrücken, die berichten, wie etwas faktisch ist.

    Direktiven und Evaluationen als normative Ausdrücke zusammenzufassen und gleichzeitig abzuarbeiten birgt die Gefahr, dass man den spezifischen Eigenarten dieser Ausdrucksformen nicht genügend Rechnung trägt. Insbesondere evolutionistische Theorien könnten hier Schwierigkeiten bekommen, denn Direktiven können – wenn nach ihnen gehandelt wird – durchaus evolutionär wirksam sein. Wenn bestimmte Handlungsweisen abgelehnt und daher nicht durchgeführt werden, können bestimmte evolutionäre Vorteile, die solche Handlungsweisen hätten, nicht realisiert werden – und vice versa. Welchen evolutionären Einfluss Evaluationen jedoch haben sollten, ist nicht so leicht ersichtlich. Dass bestimmte Dinge wertgeschätzt werden, hat ja auf den ersten Blick keine überlebensrelevanten Konsequenzen. Hingegen ist ja nicht gesagt, dass bestimmte Evaluationen nicht generell handlungswirksam sein könnten. Die Ablehnung bestimmter Verhaltensweisen oder deren Billigung kann durchaus auch evolutionär relevante Konsequenzen haben, wie übrigens Direktiven auch evolutionär völlig unwirksam sein können.

    Damit ist folgendes nicht gesagt: Weder kann festgestellt werden, dass sich aufgrund evolutionistischer Vorbehalte die Gleichbehandlung von Evaluationen und Direktiven verbietet, noch kann aufgrund dieser Überlegungen etwas pauschal für oder gegen evolutionistische Moraltheorien gesagt werden, noch können wir sicher sein, dass die Gleichbehandlung von Evaluationen und Direktiven ggf. keine Schwierigkeiten bereitet. Ich möchte im Folgenden schlechtweg die Gleichbehandlung wagen und kann bereits vorwegnehmen, dass zumindest in dieser Arbeit keine ernstzunehmenden Schwierigkeiten dabei aufgetreten sind. Ich möchte mit einer Vorentscheidung für den Zweifelsfall keine argumentativen Vorbehalte zugunsten einer bestimmten Auslegung (z.B. einer evolutionistischen) voraussetzen, auch wenn die Frage „Was sollen wir tun? im Gegensatz zu „Was sollen wir meinen? in der Moral stets klar im Vordergrund steht. Zumindest mittelbar könnte man auch meinen, dass Evaluationen die allgemeineren moralischen Ausdrücke sind, da sie ggf. Direktiven auslösen und lenken können.

    1.2.6 Werte, Normen, Überzeugungen, moralisch und normativ

    Beschließen wir diese einleitenden Bestimmungen noch mit dem Hinweis auf die Verwendungsweise bestimmter Begriffe. Aus Gründen der besseren Lesbarkeit ist zwar die Einheitlichkeit nicht immer vollständig zu gewährleisten, aber ich versuche durchaus bestimmte Unterscheidungen konsequent durchzuhalten: Werte können kaum anders als moralisch verstanden werden, deshalb eignet ihnen phänomenologisch der autoritative Charakter, von dem gerade gesprochen wurde. Wenn ich sicher gehen will, diesbezüglich nicht missverstanden zu werden, spreche ich auch von „moralischen Werten und meine damit ontologisch unabhängig bestehende Wertsachverhalte. Normen verstehe ich hier nüchterner, d.h. sie haben nicht zwingenderweise einen autoritativen Charakter. Normen sind der Oberbegriff, unter den auch Werte fallen können. Sie können evaluativ oder direktiv verstanden werden. Manchmal gelingt es mir nicht, das Wort „Wert zu vermeiden, wenn es sich dabei um eine ganz deskriptive Angelegenheit handelt. Ich versuche, solche Vorkommen zu kennzeichnen. Ab dem dritten Kapitel, also nachdem die wesentlichen Vorbehalte zu moralischen Werten geklärt wurden, werde ich in Bezug auf diese Unterscheidung wieder nachlässiger, zugunsten einer intuitiveren Redeweise.

    Normative Überzeugungen sind propositional verstandene Überzeugungen über normative Sachverhalte. Das Gegenteil könnten deskriptive Überzeugungen sein, jedoch habe ich mich für die Ausdrucksweise der „nichtnormativen Überzeugungen" entschieden, um die Disjunktion zu verdeutlichen. Nicht-normative Überzeugungen sind Allerweltsauffassungen über das Bestehen von nicht-normativen Tatsachen wie raum-zeitliche Position, Eigenschaften von Gegenständen, Relationen, aber auch über Kausalketten und deskriptive Sachverhalte über wertende Wesen wie z.B. deren konative Zustände.

    Moralische Überzeugungen oder gar moralische Wertüberzeugungen sind propositional verstandene Überzeugungen über das Bestehen moralischer Sachverhalte inkl. der damit verbundenen Implikationen über deren autoritative Normativität.

    1.2.6 Exkurs: Zwei Einordnungen von Realismus und Antirealismus

    Ohne dass sich das nachweisen ließe, bin ich durchaus von der Realität der Außenwelt überzeugt. Dass soundsoviele Bücher in meinem Regal stehen (was ich gerade sehen kann), oder dass mein Auto neben dem Haus steht (was ich gerade nicht sehen kann), sind Überzeugungen, an deren konstitutiver Unabhängigkeit von mir oder von sonst jemandem, der zufällig etwas darüber meinen kann, ich keinen Zweifel hege. Freilich habe ich (oder meine Frau, ich weiß es nicht mehr) die Bücher in das Regal gestellt, und das Auto habe ich gestern neben dem Haus abgestellt, und insofern sind diese Umstände freilich von menschlichem Einfluss nicht frei – diese Abhängigkeiten sind jedoch trivial. Rechts von mir wachsen viele Bäume und links von mir liegt gerade Schnee auf dem Feld – an beiden Umständen hat sicherlich kein Mensch seinen Einfluss gehabt. Ich habe keinen Anlass, an diesen Tatsachen zu zweifeln. Ich bin sicher, dass jeder Mensch, der mich jetzt besuchen würde, dieselben Eindrücke davon erhielte und wir uns darüber verständigen könnten. Unabhängig davon, ob wir uns darüber verständigen könnten und unabhängig davon, ob es überhaupt jemals Menschen gegeben hätte (vielleicht wäre das Feld statt mit Schnee auch mit Bäumen bedeckt, man weiß es nicht), würden ceteris paribus rechts von der Stelle, wo ich mich gerade befinde, Bäume stehen und links davon – vielleicht auch (Über die Bedeutung von rechts und links ohne jemanden, der in eine bestimmte Richtung schaut, rede ich jetzt nicht, genauso wenig über die Frage, ob Bäume tatsächlich Bäume sind, wenn es nichts gibt, das sie so nennt; immerhin ist Materie dort in einer bestimmten Weise artikuliert, die ich nicht anders als „baumartig" beschreiben kann). Eine Debatte über die Abhängigkeit der Außenwelt von einem perzipierenden Bewusstsein („esse est percipi") mag es einmal gegeben haben, aber gegenwärtig scheint sie nicht von vordringlicher Wichtigkeit, falls es sie überhaupt gibt.

    Wir reden aber auch von Dingen, die sich nicht so leicht als Bestandteil der Außenwelt verstehen lassen: Von der Schönheit der Blumeninsel Mainau, der Pracht eines Pfauen, von der Güte der Mutter Theresa, der Grausamkeit des Krieges. Wir sagen, dieses Blumengesteck ist dekorativ, jenes Gesetz ist gerecht, wir mögen eine Beleidigung verletzend nennen, oder ein Foto misslungen. Es gibt durchaus unterschiedliche Deutungen dieser Beispiele. Die einen sehen die Äußerungen als genau das an, was sie vorzugeben scheinen: Aussagen über den Zustand der Welt. Ihnen zufolge handelt es sich bei Schönheit und Grausamkeit im Groben und Ganzen genauso um Gegenstände und Eigenschaften in der Welt, wie die Bäume hinter meinem Fenster welche sind, oder wie die Farbe vom Schnee oder, noch besser, weil keine Verwechslung mit sogenannten sekundären Qualitäten möglich ist, wie die Rechteckigkeit meiner Schreibtischplatte. Diese Gegenstände und Eigenschaften bestünden auch, wenn es kein Bewusstsein darüber gäbe und niemanden, der sie erlebt. Vertreter dieses Verständnisses würden eine Komposition von Bach auch dann für wertvoll halten, wenn niemand sie jemals hören könnte und ein gerechtes Gesetz auch dann gut nennen, wenn es niemanden gäbe, der unter dieses Gesetz fallen würde. Wir nennen diese Leute zunächst gar nicht unverfänglich, und weil mir gerade nichts besseres einfällt: Realisten. Genauer: Wert-Realisten. Es wird gleich alles deutlicher werden.

    Die anderen verstehen diese Äußerungen durchaus ebenfalls als deskriptiv, jedoch mit dem Unterschied, dass sie davon ausgehen, dass diese Äußerungen nur dann einen Sinn haben, wenn es fühlende oder wollende Wesen gibt, die aufgrund ihrer Konstitution Anlass geben, die darin berichteten Umstände als wahr aufzufassen. Ohne diese Subjekte gäbe es die Phänomene nicht, von denen diese besonderen Äußerungen berichten. Ohne Menschen, die die Anmut der Proportionen und die Gewaltigkeit der Bilder nicht einschätzen können, wären ihnen zufolge die Fresken in der Sixtinischen Kapelle von Kindermalereien qualitativ nicht zu unterscheiden. Ohne die Wertschätzung durch Menschen gäbe es keinen qualitativen Unterschied zwischen den Arrangements auf der Mainau und den zusammengewürfelten Mustern, die auf einer Müllhalde vorkommen mögen. Oder, um die oben trivial genannte Abhängigkeit von menschlichen Einflüssen auch hier auszuschließen: Ohne die Wertschätzung durch Menschen gäbe es keinen wertmäßigen Unterschied zwischen der Schönheit einer Seegurke und der eines Delfins, keinen wertmäßigen Unterschied zwischen dem Gestank von faulen Eiern und dem Duft einer Rose. Erst der Mensch betrachtet es als grausam, wenn Sandtigerhaie noch im Mutterleib ihre Geschwister auffressen. Jemand, der glaubt, dass moralische (und gerne auch ästhetische) Werte nur durch menschliches Zutun in die Welt gelangen, ist ein Subjektivist bezüglich moralischer und ästhetischer Werte. Einige nennen diese Position auch Antirealismus, was sicherlich seinen Reiz hat, aber da „Anti" so ablehnend klingt und diese Position ja nicht nur ablehnt sondern auch etwas positives beizusteuern weiß, halte ich mich lieber an die Redeweise vom Subjektivismus.

    Subjektivisten gibt es in zwei Varianten: (1) Konstruktivisten sind den Realisten insofern näher, als sie durchaus von der Wahrheitsfunktionalität moralischer und ästhetischer Wertausdrücke überzeugt sind. Sie sind also wie moralische Realisten durchaus Kognitivisten und sogar Erfolgstheoretiker. Deshalb würden einige sie sogar zu den Realisten zählen. Jedoch gibt es ihnen zufolge keine normierende moralische Wertesphäre, weshalb ich sie lieber zu den Nicht-Realisten zähle.

    (2) Expressivisten hingegen unterscheiden sich von Realisten und Konstruktivisten dadurch, dass sie von der Wahrheitsfunktionalität moralischer und ästhetischer Wertausdrücke nicht überzeugt sind. Ihnen zufolge handelt es sich bei moralischen Aussagen lediglich um eine façon de parler – in Wahrheit aber verbergen sich hinter moralischen Sätzen lediglich nicht-propositionale Äußerungen, die die jeweilige Haltung des Sprechers dem Betrachtungsgegenstand gegenüber zum Ausdruck bringen. Diese „Buh-Hurra-Theorie" fällt damit ins nonkognitivistische Lager. Ich zähle sie aber zum Subjektivismus, weil moralische Wertäußerungen dort, wie die Werturteile im Konstruktivismus, von subjektiven Leistungen abhängen: Ohne fühlendes Wesen keine Werte.

    Bei meiner Dreiteilung halte ich mich an den Vorschlag von Shafer-Landau.⁹ Allerdings ist bereits deutlich geworden, dass eine Taxonomie der metaethischen Positionen alles andere als eindeutig ausfällt. Zu hoffen wäre, dass sich einmal jemand die Mühe macht, alle bisherigen Taxonomieversuche zusammenzufassen und dass auf einer großen Metaethikkonferenz unter Akklamation aller Größen des Faches ein Modell als verbindlich erklärt wird. Bis dahin bleibt es jedem überlassen, seine Arbeit mit einer kurzen Auseinandersetzung über die Einteilung von Realismus, Antirealismus etc. einzuläuten, die dann für die nächsten zweihundert Seiten Gültigkeit besitzt.

    Ich möchte mir auf den nächsten Seiten die Mühe machen, zu demonstrieren, dass es durchaus unterschiedliche taxonomische Ansätze gibt. Das wird niemanden überraschen. Dass diese Einteilungen durchaus zufolge haben, dass daraus ein Vorteil eher zugunsten der einen oder der anderen Position entsteht, sollte jedoch nachdenklich stimmen. Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, dass häufig Vertreter der realistischen Seite die Taxonomie so wählen, dass leichter zugunsten des Realismus entschieden wird und vice versa. Diesen Fehler begehe offenbar auch ich selbst, indem ich den Realismus sehr strikt auf das Zugeständnis einer moralischen Wertesphäre festnagle und ihm damit wenig Spielraum lasse. Diese definitorischen Schachzüge bieten einem Rezensenten sogleich eine Steilvorlage, weil er fast immer petitiöse Argumente bemängeln kann. Ich habe bereits in den Vorbemerkungen angedeutet, dass sich solche Argumentationen wohl nicht ganz vermeiden lassen. Ich hoffe, mich differenziert genug auszudrücken, und dadurch hoffentlich dem Vorwurf zu entgehen, mir durch passende Definitionen das Leben zu leicht zu machen.

    Nachfolgend möchte ich also zwei Taxonomien beleuchten und vorstellen, inwiefern sie von verschiedenen Dingen handeln, obwohl sie häufig die gleichen Begriffe verwenden, sowie inwiefern sich daraus Konsequenzen für die Einordnung verschiedener metaethischer Positionen ergeben. Da es offenbar so viele dieser Einordnungen gibt wie es Bücher und Aufsätze gibt, kann ich zu diesem Thema keinen state of the art benennen. Ich greife mir also beinahe wahllos zwei Vertreter heraus: Geoffrey Sayre-McCord sowie Franz von Kutschera. Ersterer wurde zu diesem Thema im englischsprachigen Raum viel zitiert und hat mit einem einschlägigen Aufsatz gewissermaßen bezüglich dieser Diskussion den Stein ins Rollen gebracht. Letzterer ist dank seiner voluminösen Lehrbücher für den deutschsprachigen Raum wohl als Autorität zu bezeichnen, wenn er auch in der metaethischen Debatte (wohl aufgrund ihrer sprachlichen Anglophilie) nicht unbedingt häufig in Erscheinung tritt. Wen dieser Exkurs nicht interessiert, der kann die nächsten Seiten überblättern, denn erst danach geht mein eigentlicher Gedankengang weiter.

    1.2.6.1 Ist Realismus eine politische Kategorie?

    Es gibt viele gute Gründe, einen moralischen Realismus zu vertreten, von denen ich einige unten nennen werde. Es erscheint als kontraintuitiv, das alltäglich beobachtbare Sprachspiel, das ganz ungezwungen die Existenz von moralischen Werten und Wahrheiten vorauszusetzen scheint, in einer antirealistischen Weise umzudeuten. Allerdings muss man feststellen, dass im Grunde erst die sich in diesem Prozess äußernde Skepsis gegenüber dem Augenscheinlichen der Anlass für die Erforschung dieses wichtigen Bereichs des menschlichen Lebens ist. Und so ist es nicht verwunderlich, dass es durchaus eine ganze Reihe von Vertretern antirealistischer Positionen gibt, die das geforderte Erklärungsgeschäft recht erfolgreich durchführen.¹⁰ Kurios in dem Zusammenhang ist die offenbare Bereitschaft vieler Denker auf diesem Gebiet, die jeweils andere Position als die zurzeit gängige Lehrmeinung vorzustellen: Aus Sicht eines Antirealisten wie Blackburn ist der (moralische) Realismus die naheliegende Position, welcher die zunächst kontraintuitive antirealistische Sicht erst entgegengehalten werden muss. Aus Sicht von Realisten wie Railton, Shafer-Landau, Halbig oder Kutschera muss der Realismus in einem weithin antirealistischen Umfeld verteidigt werden, um wieder zu seinem Recht zu kommen. Es ist mir nicht ersichtlich, ob gerade ein moralischer Realismus oder ein Antirealismus die dominante Ansicht ist. Und selbst wenn es eine dominante Ansicht geben sollte, so gibt man mit dem Bekenntnis für oder gegen die eine oder andere Position nicht mehr preis, „als indem man sich räuspert.¹¹ Das liegt natürlich daran, dass es zunächst einmal schwierig ist, klarzumachen, worum es bei dieser Unterscheidung überhaupt geht – und das ist ja je nach Sachgebiet separat zu betrachten. Offenbar gibt es keine einheitliche Grenzlinie zwischen Realismus und Antirealismus im Allgemeinen und wohl auch keine allgemein anerkannte Grenzlinie im besonderen Fall des moralischen Realismus/Antirealismus. Vielmehr scheinen Grenzziehungen zumeist so angelegt zu werden, dass die verfochtene Position innerhalb des Theoriespektrums möglichst plausibel erscheint, mithin also handelt es sich bei der Grenzziehung um ein synthetisches Produkt.¹² Ich habe jedoch den Eindruck, dass die Bereitschaft, Positionen mit dem Label „Realismus zu etikettieren, größer auszufallen scheint, als Positionen mit dem Label „Antirealismus zu etikettieren, und ich glaube, dass dahinter zumindest latent „politische Gründe stehen. Dies ist im Zusammenhang mit dem vierten und fünften der nachfolgend genannten Gründe für den Realismus zu verstehen: Man macht sich weniger angreifbar für Kritik, wenn man dafür eintritt, dass unsere moralischen Bewertungen mit etwas Echtem, Wahrem zu tun haben. Diese Ansicht scheint in einem proto-Verständnis des Begriffes „Realismus zu stecken, weshalb sogar eine Position wie der von Korsgaard sogenannte „prozedurale Realismus, der ja Shafer-Landau zufolge ganz deutlich auf der subjektivistischen Seite unserer Unterscheidung steht, von ihrem Autor mit dem Label des Realismus etikettiert wird. Da Antirealismus aber schnell (wenn auch irrig) mit Relativismus und Relativismus schnell (wenn auch irrig) mit Amoralismus in Verbindung gebracht wird, wird scheinbar lieber die weiter hergeholte Bezeichnung verwendet, um gewissermaßen bestimmte aus dem Bauch heraus motivierte Bedenken gegen die Position zunächst auszuschließen. So kann sich jemand Realist nennen, und gleichzeitig unabhängig bestehende Werte ausschließen. In Christine Korsgaards Ausführungen zum prozeduralen und substanziellen Realismus wird auch ganz deutlich, dass gegen diejenigen, die beide der beiden Realismus-Versionen ablehnen, massive Vorbehalte bestehen:

    Yet realism is seen by many as the only hope for ethics, the only option to skepticism, relativism, subjectivism, and all the various ways of thinking that the subject is hopeless.¹³

    Der Unterschied zwischen Realismus und Antirealismus besteht dem Vernehmen nach darin, dass für die einen die Moral ein lohnendes Beschäftigungsfeld ist, für die anderen jedoch nicht. Das kann sicherlich keine Definition sein. Sicher ist immerhin, dass es in einem offenbar derart emotional besetzten Thema nur schwierig sein kann, klare Definitionen zu liefern. Im Folgenden will ich an Beispielen verdeutlichen, inwiefern die Debatte um die Grenzziehung problematisch ist.

    1.2.6.2 Railtons multidimensionaler Ansatz

    Peter Railton zum Beispiel nennt ganze dreizehn

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