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Rückblende auf Paris: Roman
Rückblende auf Paris: Roman
Rückblende auf Paris: Roman
eBook305 Seiten3 Stunden

Rückblende auf Paris: Roman

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Über dieses E-Book

Eine Mitarbeiterin und ein Mitarbeiter einer großen, international tätigen Kosmetikfirma stellen bei einem Treffen in München fest, dass sie sich Aufschreibungen über ihre "Pariser Tage" gemacht haben.
Sie waren sich vor einiger Zeit bei einem von der Firma in Paris zur Adventszeit veranstalteten Mitarbeitertraining zum ersten Mal begegnet und hatten unabhängig voneinander festgehalten, wie sich in diesen Tagen ihre Beziehung entwickelte, bis hin zu einem dramatischen Ende, das der frühere Partner der Frau, der ihr nach Paris nachreiste, ausgelöst hatte.
SpracheDeutsch
Herausgeberepubli
Erscheinungsdatum13. Aug. 2012
ISBN9783844229868
Rückblende auf Paris: Roman

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    Buchvorschau

    Rückblende auf Paris - Walter Flemmer

    Walter Flemmer

    Rückblende auf Paris

    Roman

    Imprint

    Rückblende auf Paris

    Walter Flemmer

    published by: epubli GmbH, Berlin, www.epubli.de

    Copyright: © 2012 Walter Flemmer

    ISBN 978-3-8442-2986-8

    Das ist nicht möglich, sagt Nicole und springt auf. Ihr Stuhl fällt um. Die Leute an den anderen Tischen schauen überrascht zu uns herüber. Ich hebe den Stuhl schnell auf. Nicole setzt sich, stützt die Ellbogen auf den Tisch und legt ihren Kopf in die Hände. Sie sieht mich an und durch mich hindurch.

    Du bist überrascht? frage ich. Warum eigentlich?

    Ich kann dir nicht glauben, sagt Nicole. Nimmst du mich auf den Arm? Was bezweckst du damit? Schon die Vorstellung: Wir zwei sitzen im selben Hotel und schreiben am Abend nieder, was am Tag geschehen ist, kommt mir wie ein schlechter Witz vor. Ich jedenfalls werde dir nicht zeigen, was ich notiert habe.

    Was ist ungewöhnlich daran, dass ich mir Notizen gemacht habe? Seit meiner Studentenzeit habe ich immer meine Schreibmappe dabei. Allerdings notiere ich meist Geschäftsvorgänge. Ich könnte die Notizen auch in ein Bandgerät diktieren. Aber mein Handbetrieb ist halt eine alte Gewohnheit. Im übrigen wirst du dich daran erinnern, dass in unseren Trainings immer wieder darauf hingewiesen wird, wie wichtig es ist, am Ende eines Arbeitstages die Resultate festzuhalten.

    Versteh ich nicht, sagt Nicole. Damit konnte ich mich nie anfreunden. Die Tage in Paris damals, die waren eine Ausnahme. Ich habe nie ein Tagebuch geführt. Meine Pariser Notizen sind auf Firmenpapier geschrieben, jede Seite trägt den Firmenkopf. Ich hatte mich spontan entschieden, ein paar Beobachtungen zu notieren. Wenn du nicht gewesen wärst, hätte ich keine Zeile zu Papier gebracht.

    Und warum willst du mir nicht zeigen, was du geschrieben hast? Fürchtest du dich? Vor mir, vor dir? Ich weiß doch alles über dich.

    Alles? fragt Nicole. Das sagt sich so leicht. Was weißt du über mich? Was ich dir erzählt habe. Was habe ich dir erzählt? In den paar Stunden, den paar Tagen. Ein wenig mehr, später im Krankenhaus vielleicht. Du würdest erschrecken. Ich habe immer wieder erfahren müssen, dass Rückblicke alte Wunden aufreißen. In der Psychotherapie ist das Wundenaufreißen ja zur Methode gemacht worden. Schritt um Schritt wird dir das Fleisch von den Knochen geholt. Ich bin längst nicht mehr sicher, ob man diese Methode noch anwenden soll.

    Du hast Erfahrungen mit der Psychotherapie? frage ich überrascht.

    Ja, die hab ich, antwortet Nicole. Und was soll dabei herauskommen, in die eigene Hölle hineinzuschauen? Denn die Hölle, das sind immer wir selbst, nicht, wie Sartre gemeint hat, die anderen. Wir gehen von einer Hölle in die andere. Und die Frage ist nur, wie und ob wir uns in der Hölle einrichten wollen. Manchmal kann es in der Hölle ja angenehm warm sein, fleischlich zugehen. Und man begegnet in der Hölle sicher auch Partnern und kann sich ganz den unheiligen Bedürfnissen widmen. Aber mir ist die Lust vergangen, noch einmal in die Hölle hinabzusteigen. Weder meine Hölle lockt mich, noch deine.

    Wer sagt dir denn, dass meine Vergangenheit ähnlich höllische Anlässe zu bieten hat?

    Jeder sitzt auf seiner Hölle, und es ist gut, wenn man sich mit einem breiten Hintern auf den Deckel hockt.

    Wir könnten doch die Probe aufs sogenannte Exempel machen. Was wäre, wenn beim Lesen unserer Pariser Niederschriften auch ein wenig Himmel zutage käme? Könnte doch sein. Ich verspreche dir, dass ich mich auch an recht himmlische Augenblicke erinnern werde.

    Die Augen Blicke, ja, die hat es gegeben, sagt Nicole versonnen. Trotzdem: ich weiß, die Schrecken würden zu viele Schatten werfen.

    Ich bin anderer Meinung, sage ich. Warum bist du nur so misstrauisch, warum willst du allem eine schlechte Seite abgewinnen? Du stellst dir immer einen negativen Ausgang vor. Du gehst nicht offen auf die Situation zu. Immer siehst du Untergänge, malst sie dir aus.

    Ich habe meine Erfahrungen gemacht, sagt Nicole.

    Auch ich bin doch eine deiner Erfahrungen.

    So könnte man es nennen.

    Nicht nur in Paris.

    Gerade in Paris. Und du hast die Schrecken ausgelöst.

    Deine Schrecken. Aber die zählen nicht, wenn ich die positiven Erfahrungen dagegenhalte.

    Gut, die gab's natürlich. Du, eine positive Erfahrung. Klingt nicht schlecht, sagt Nicole und lächelt dazu.

    Wir haben uns in München wieder getroffen. Nicole hat Hamburg verlassen. Sie ist nach Regensburg versetzt worden. In meine Nähe. Ich musste ihr also wieder über den Weg laufen. Regensburg wird von München aus betreut. Ich kann mir nicht vorstellen, dass sie in meine Nähe gewollt hat. Doch wer kann sich heute schon aussuchen, wo er arbeiten will. Nicole hätte auch nach London oder Budapest versetzt werden können. Unser Konzern ist weltweit aktiv.

    Worüber denkst du nach? Fragt Nicole.

    Ich hatte geglaubt, Paris sei das Ende gewesen. Nein, nicht Paris, sondern was danach kam.

    Das Ende wovon? Dein Ende, mein Ende? Und nun sitz ich dir wieder gegenüber in diesem Café, und wir schauen auf den Englischen Garten hinaus. Die alte Dame dort drüben am anderen Tisch mag denken, wir seien ein Liebes oder Ehepaar, das schnell für eine Stunde aus dem Büro entflohen ist.

    Ja, ich habe geglaubt, wir hätten uns damals in Paris alles gesagt.

    Man sagt sich niemals alles. Und dann wächst einfach Gras darüber. Monate vergehen, vielleicht Jahre, ehe man sich wieder erinnern kann.

    Die Pariser Tage sind noch nicht überstanden, denke ich. Nicole hat recht. Sie werden nie überstanden sein. Nicht der letzte unserer Dezembertage. Jetzt weiß ich: auch Nicole hat sich Notizen gemacht. Aber Paris war für sie doch nicht die Hölle. Die Hölle wird von den anderen angeschürt.

    Du fürchtest dich also? frage ich noch einmal.

    Nein, antwortet Nicole. Aber ich habe nur für mich geschrieben. Ich habe weder an dich, noch an einen anderen Leser gedacht. Du musst mir meine Gedanken lassen.

    Wie du meinst, sage ich, doch vielleicht interessiert dich, was ich in dieser, unserer Woche niedergeschrieben habe. Mag sein, dass du in meinen Zeilen gar nicht vorkommst. Ich hätte keine Probleme, dir meine Notizen zum Lesen zu geben.

    Das glaub ich nicht, sagt Nicole. Aber zugegeben, ich wüsste gerne, was du gedacht hast, als du mich zum ersten Mal gesehen hast. Vom ersten Eindruck hängt doch alles ab.

    Neugierig?

    Ein wenig. Aber vielleicht sollten wir die Vergangenheit doch besser ruhen lassen. Vorbei ist vorbei.

    Du willst ablenken.

    Kann sein.

    Willst du meine Geschichte kennen lernen?

    Welche Geschichte? fragt Nicole. Was heißt Geschichte? Wirklichkeit. Ja, alles war doch wirklich in den Pariser Tagen, damals. So unwirklich wirklich, so wirklich schön und schrecklich.

    Glaubst du an die Wirklichkeit?

    Unsere Wirklichkeit.

    Könnte ein Traum gewesen sein, füge ich hinzu.

    Dann also willst du mir deinen Traum erzählen, sagt Nicole. Einen Traum, der einige Tage gedauert hat. Eine Wirklichkeit, in die du hineingeträumt hast.

    Nein, Nicole, mein Traum gegen deinen Traum. Jetzt will ich wissen, was du geträumt, gedacht hast.

    Du handelst mit mir?

    Nicole weiß, dass ich nicht mit ihr handeln will. Setzt sie mir ihren Widerstand nur scheinbar entgegen? Meine Neugierde. Ist Neugierde wichtig? Was haben wir uns noch zu entdecken nach den Pariser Tagen? Jede Entdeckung ist gefährlich. Was haben wir einander noch nicht gesagt? Alles! Alles ist verborgen geblieben, zugedeckt von einer fressenden Gegenwart. Alles? Würde uns nicht jede Frage hinter die Gegenwart zurück, stören, einander endgültig entfremden? Aber die Kapitel waren doch schon geschlossen. Warum jetzt ein neuer Eintritt in das Leben des anderen? Ahne ich, dass mich der Eintritt schrecken wird? Warum habe ich die Notizen nicht verbrannt? Warum hat Nicole, was sie aufgeschrieben hat, nicht vernichtet? Der neue Eintritt. Kann er nicht auch Bestätigung des Glücks sein? Unseres Glücks. Doch dieses Glück ist nicht herauszunehmen aus der Unmittelbarkeit jener Tage. Warum es der Mühsal der Wiederholung aussetzen? Wir haben unser Glück erfahren. Nur eine Andeutung. Das Unwiederholbare lässt sich nicht festkleben, einordnen. Wenn man einmal das Glück über die Ordnung gestellt hat, kann man dann in die Ordnung zurückkehren? Man muss.

    Was denkst du? fragt Nicole. Du hast nur noch wenige Minuten Zeit. Ich muss gehen. Meine Zeit läuft ab, ach, ich könnte auch sagen, unsere Zeit verstreicht.

    Ich werde dich im Wagen zum Flugplatz bringen. Auf den Nebenstrecken kann ich schnell fahren.

    Was denkst du? fragt Nicole noch einmal und steht auf.

    Ich denke darüber nach, ob ich recht daran getan habe, auf meine Notizen hinzuweisen.

    Ja, du hast damit angefangen. Entweder verbrennen wir die paar Seiten oder wir müssen sie doch dadurch aus der Welt schaffen, dass wir sie lesen. Ich die deinen und du die meinen. Du könntest mir deine Notizen nach Regensburg schicken. Sieht so aus, als bliebe uns doch keine andere Möglichkeit. Gut, dann schick ich sie nach Regensburg.

    Nein.

    Was heißt das?

    Dass ich dir meine Notizen nicht schicken werde.

    Gut, dann also nicht, sagt Nicole kurz und geht einen Schritt auf die Garderobe zu.

    Ich hole dir den Mantel, sage ich, muss aber vorher noch bezahlen.

    Ich habe den Eindruck, dass Nicole sich zurückziehen möchte. Was habe ich falsch gemacht? Aber ich will lesen, was sie geschrieben hat.

    Als wir in meinen Wagen zum Flughafen fahren, kommt kein Gespräch in Gang. Nicole sitzt, wie ich zu spüren meine, steif neben mir, verspannt und blickt geradeaus. Auch ich bleibe stumm. Ich schalte kurz den Verkehrsfunk an, dann drehe ich den Knopf des Autoradios gleich wieder ab. Nicoles Rock ist ein wenig hochgerutscht. Sie hat ihre Beine fest geschlossen. Ihre Hände liegen im Schoß.

    Ich will wissen, was du geschrieben hast, unterbreche ich das Schweigen.

    Wäre es nicht besser, wir würden nicht mehr darüber reden, antwortet Nicole.

    Ich hatte den Eindruck, auch dich würde interessieren, was ich in Paris empfunden habe. Du drehst dich im Kreis herum. Was willst du wirklich?

    Weiß ich denn nicht, was du in Paris empfunden hast?

    Also, du bringst deine Seiten das nächste Mal mit, und ich bringe mit, was ich geschrieben habe.

    Das nächste Mal? fragt Nicole. Wenn wir uns auf der nächsten Regionalkonferenz treffen? Du gibst mir deine Papiere, ich gebe dir meine. Warum eigentlich nicht. Nur so scheinen wir das Geschriebene unschädlich machen zu können.

    Mir ist ein anderer Einfall gekommen, sage ich. In drei Wochen werde ich in Baden Baden sein. Am Freitag dienstlich ich könnte ein Wochenende dranhängen. Ich fahre mit dem Wagen. Du könntest am Samstag kommen. Ich lade dich für ein Wochenende nach Baden Baden ein. Mai in Baden Baden. Ist das nicht eine gute Idee? Und wir lesen uns vor, was wir damals geschrieben haben. Nicole sieht mich an, zögert mit der Antwort, dann aber sagt sie:

    Du hast Einfälle. Und wie stellst du dir das Informationswochenende vor?

    Ich möchte, dass wir zur gleichen Zeit erfahren, was einer über den anderen gedacht hat, Schritt um Schritt, das heißt, Seite um Seite.

    Dann also Testamentseröffnung in Baden Baden, meint Nicole überraschend locker.

    Hast du Angst? frage ich.

    Angst? Wovor? Die Pariser Tage sind doch vorüber.

    Ich stelle den Wagen im Parkhaus ab, begleite Nicole zum Lufthansaschalter. Wir verabschieden uns mit einer angedeuteten Umarmung.

    Ich bestelle ein Zimmer in Bad Hotel Zum Hirsch, von dem der Prospekt sagt, sein Publikum sei gutbürgerlich, aber auch distinguiert. Ich fahre mit dem Wagen nach Baden Baden und hole Nicole in Oos ab. Sie kommt aus Frankfurt. Als ich sie anrief, um nach der Ankunftszeit des IC zu fragen, war sie eher kurz angebunden als erfreut, so, als hätten wir einen Geschäftstermin zu vereinbaren.

    Baden Baden hat mich immer bedrückt. Ich wehre mich gegen die Ansammlung von Wohlhabenheit und Leerlauf. Ich habe den Luxus, den man dieser Stadt zuschreibt, nie begriffen oder gespürt, habe keinen Zugang gefunden zu dem Exquisiten und Extravaganten, auch wenn mich schon einmal im Frühjahr die Düfte der Oleander und Magnolienbäume im Kurpark betäubt haben. Aber was war die Eleganz von Baden Baden gegen die von Paris oder Florenz? Gutes Essen in eines der umliegenden Winzerdörfer. Was sonst? Ein Abend im Rebland mit Nicole. Doch kein Kurkonzert.

    Baden Baden, die Sommerhauptstadt Europas in der Belle Epoque, damit habe ich mich nicht anfreunden können. Eine Stadt des Luxus, des Überflusses. Natürlich, wenn man in die Auslagen der Juweliere am Kurhaus blickt. Ich bin nie lange stehen geblieben. Baden Baden als Refugium des Überflusses in einer freien und gesunden Gesellschaft. Frei vielleicht, aber sie, die Reichen und Luxusbesessenen sind doch nach Baden Baden gefahren, weil sie sich kurieren lassen wollten von eingebildeten Krankheiten. Einmal war ich in der Spielbank. Nicht um zu spielen, sondern um zuzusehen. Fasziniert hat mich eine alte Dame, die stundenlang verlor und doch nicht vom Spiel lassen konnte, wollte. Elegantes Publikum? Im Spielsaal, im Sommer, 1862 wurde das Theater mit der Oper Beatrice und Benedict von Hector Berlioz eröffnet, habe ich gelesen. Heute gehen wohl mehr Menschen in die Caracalla Thermen als ins Theater. Die heilende Kraft des Mineralwassers. Nicole und ich werden keine Zeit haben, die Heilkraft zu erproben.

    Aber vielleicht wieder ein Spaziergang durch den in Blüten ertrinkenden Park. Ja, die hohen Bäume, die weit ausgreifenden Äste, der sorgfältig geschnittene Rasen, die Brücke über das Flüsschen, gepflegte Luxusnatur für einige Tage.

    Diesmal vermag die Erwartung auf Nicole die bürgerliche Behäbigkeit zu verdrängen. Nicole ist vor mir eingetroffen. Ich habe mich um drei Minuten verspätet. Nicole steht neben dem Koffer vor dem Bahnhofsgebäude. Taxifahrer spielen Karten, eingesunken auf Klappstühlen sitzend.

    Hallo! Nicole winkt. Da bist du ja.

    Entschuldige, ich bin zum Hotel gefahren und habe meine Sachen auf das Zimmer gebracht. Meine Frau komme nach, habe ich gesagt, ich muss sie vom Bahnhof abholen.

    Deine Frau? Nicole hat einen spöttischen Zug um die Mundwinkel, als sie mir die Frage stellt. Dir sieht man doch den Junggesellen aus zehn Metern Entfernung an.

    In Baden Baden und insbesondere im Bad Hotel Zum Hirsch ist man aber verheiratet. Oder soll ich dich in einem anderen Hotel einquartieren?

    Verheiratet für ein Wochenende, ich habe nichts dagegen. Aber wenn du deine Absicht wahrmachen willst, dann werden wir nicht viel Zeit fürs Eheleben haben.

    Hast du so viel geschrieben?

    Warte es ab.

    Ich umarme Nicole, streiche mit der rechten Hand das lange braune Haar, das ihr über die Schulter fällt, zur Seite und umfasse ihr Kinn.

    Gut siehst du aus. Neuer Cashmere Mantel. Dunkelblau steht dir. Mag ich zu deinem Haar.

    Schön, ja? Darf ich einsteigen? Nimm den Koffer.

    Wie immer ist die Suche nach einem Parkplatz vor dem Hotel aussichtslos. Nachdem ich zweimal um den Häuserblock gefahren bin, verlässt ein VW die Parkreihe, die dicht geparkt am Rande des hügelauf führenden Sträßchens steht. Für kurze Zeit kann ich hier den Wagen abstellen. Am Abend, wenn wir aus dem Rebland zurückkommen, werde ich den Wagen ins nahegelegene Parkhaus bringen.

    Wenn du hineinkommst, werden Vorder und Hintermann nicht mehr herauskönnen.

    Ich komme in die Lücke.

    Nimm den Koffer heraus.

    Siehst du, schon gelungen.

    Ich nehme an, sagt Nicole, Kurgäste fühlen sich in diesem Hotel immer noch wohl.

    Freundlicher Service, gediegene Tradition.

    Konntest du kein anderes finden?

    Bei dem Andrang jetzt im Frühling? Zu dir passt das Hotel natürlich nicht.

    Und zu dir?

    Wie man's nimmt. Dusch dich erst mal, dann sieht der Nachmittag gleich anders aus.

    Essen wir hier im Hotel?

    Natürlich nicht. Wir fahren ins Rebland.

    Spargelessen in Baden Baden.

    Ja, mit Schinken und Pfannkuchen.

    Wir werden bald zurück sein? Wir wollten doch ...

    Wie abgesprochen.

    Wir gehen auf das Zimmer. Ich setze mich in einen der Sessel, den ich zum Fenster gerückt habe. Nicole räumt Wäsche aus ihrem Koffer in den Schrank. Dann verschwindet sie im Bad. Sie nimmt ein rostrotes Kleid mit. Sie braucht lange. Ich höre, dass sie duscht. Ich blättere in den Werbebroschüren, die auf einem Tischchen liegen. Baden Baden wird angepriesen. Spaziergänge, Spazierfahrten in die Umgebung. Würde ich eine Woche mit Nicole in Baden Baden verbringen wollen? Dumme Frage. Nicole will wissen, was ich über sie in Paris geschrieben habe, ich will wissen, was sie über mich zu Papier gebracht hat. Das ist alles.

    Als wir am Abend zurückkommen, haben auch die Pensionsgäste das Essen hinter sich gebracht. Im Restaurant im ersten Stock aber sind beinahe alle Tische besetzt. Gedämpftes Reden. Viel Schweigen, Teetassen. Wir gehen auf unser Zimmer. Ich habe Rotwein und Champagner in den Kühlschrank stellen lassen. Nicole macht es sich bequem. Sie hat einen Packen Papier in der Hand. Ihre Pariser Aufzeichnungen.

    Willst du etwas trinken?

    Jetzt wohl nicht.

    Ich klappe meine schwarze Lederschreibmappe auf. Ich muss mit meinen Aufzeichnungen beginnen. Wir haben vereinbart, diese Nacht und wenn nötig, den morgigen Vormittag zum Wechselgespräch unserer Pariser Erfahrungen werden zu lassen, zu einem Gespräch, das auf jeder Seite Selbstgespräch gewesen ist und in dem nicht vorherzusehen war, dass die Teile ineinander passen würden. Aber was heißt ineinander passen?

    Nicole lehnt sich zurück. Ich beginne.

    18. Dezember

    Dienstreise im Dezember. Ich pfeife auf Paris. Die Überstunden, die so zusammenkommen, rechne ich der Firma nicht vor. Kann ich nicht. Vierzehn Wochenstunden sind jetzt beisammen. Leitende Mitarbeiter sind verpflichtet, auch am Samstag oder Sonntag loszufahren, wenn am Montag irgendwo ein Termin angesetzt ist. Stabsbesprechungen werden regelmäßig auf einen ruhigen Samstagvormittag gelegt.

    Sie genießen doch das Privileg der freien Zeiteinteilung, sagte Bill, als im Sommer einer motzen wollte. Die Arbeiterinnen stechen mit der Karte die Zeit. Sie nicht. Wollen auch Sie Karten haben? Wer sticht die Zeit? denke ich. Die Zeit sticht uns. Mich etwa nicht? Jetzt jedenfalls kann ich nichts gegen die Zeit ausrichten.

    Die Zeit fährt mich nach Paris. Dieser Bill. Immer die New Yorker Idioten. Vierzehn Wochenstunden? Stimmt nicht ganz. Entweder ein Samstag oder ein Sonntag. Die anderen bummeln ab. Warum wieder Dezember? Warum hat die Zentrale die Tagung in den Dezember gelegt? In die Woche vor Weihnachten. Die in New York setzen sich einfach über alles hinweg. Zentrale Planung. Und doch will niemand von uns in die Zentrale. Wenn, dann müssen sie uns holen. Die Zentrale plant. Mit der Distanz zum Zentrum ist eine gewisse Abnahme der Planungshoheit spürbar. Von New York aus Paris, Mailand, London, München geplant. Integration. Und Hamburg blickt nach München, Mailand schafft Rom an. Frühling in Paris, das wäre ein Angebot gewesen. Aber eine Dezemberwoche mit Regen. Wer sich das ausgedacht hat. Wir wählen nichts aus, wir funktionieren.

    Sie sollen mitdenken, sagte Bill. Ich denke mit, auch wenn ich Bill in der letzten Woche am liebsten geohrfeigt hätte. Dieses Großmaul. Ich spreche Englisch, nicht Amerikanisch. Ich schlag ihm ins Gesicht, hab ich gedacht, als er seinen dicken Hintern auf meinen Schreibtisch niedersetzte. Sie vertragen keine Kritik, Franz? Seien Sie froh, dass ich Sie so direkt angesprochen habe. Wir hätten auch sanften Druck aus der Ferne ausüben können.

    Langsam aushungern, dachte ich, du Schwein, so nicht, nicht jetzt. Jetzt noch nicht? Das ist doch die Firmenphilosophie: Geradeheraus. Sag mir alles ins Gesicht, was du denkst. Ich denke nicht daran. Auch Sie, Bill. Drohen gilt nicht.

    Er will mir seine Gunst entziehen. Wie einem kleinen Kind. Drohen mit dem Liebesentzug. Verlass das Zimmer, ich rede nicht mehr mit dir. Soll ich draußen heulen? In einer halben Stunde werde ich wieder hereingelassen. Gedemütigt. Das Firmenfamilienleben soll weitergehen.

    Jetzt werde ich Sie behandeln wie die anderen, sagte er. Jetzt erst? Weil ich mich geweigert habe, seiner Meinung zu sein. Er soll anschaffen.

    Ok, ich stimme zu. Aber ich bin nicht Ihrer Meinung, Bill.

    Wir brauchen andere Verkaufskonzepte für die Bundesrepublik. Der amerikanische Markt ist nicht auf den deutschen übertragbar. Verdammte Blaupauserei. Andere Konzepte für Plattling und andere für Buxtehude, verstehen Sie mich, Bill? Ich kenne mich in Niederbayern aus. Was wissen Sie von Niederbayern? Ich hab dort drei Jahre gelebt nach dem Krieg. Da gehen Sie im Winter aus dem kleinen Dorf zwei Stunden durch den verschneiten Wald in die Schule. Drum kam ich später ins Internat. Da lernst du, dass die eine andere Seife wollen als ein New Yorker Girl. No Sir. Angepasst, so würde euch die Richtung passen. Keine anderen. Auch für euch keine Extrawürste. Nur wenn wir die Methoden zentral steuern, können wir weltweit den Erfolg halten, den Sie wohl nicht geschaffen haben. Hab ich nicht Bill, hab ich nicht. Sie leben von der Firma! Ich stoß dir die Firma in den Rachen zurück, wenn du noch ein Wort sagst, dachte ich und nickte, als Bill seine flache rechte Hand auf einen Schenkel schlug. Brauchte mich nicht von ihm anpöbeln zu lassen. Zog aber zurück, gab nach, wusste,

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