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Sannall der Erneuerer
Sannall der Erneuerer
Sannall der Erneuerer
eBook275 Seiten3 Stunden

Sannall der Erneuerer

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Über dieses E-Book

Ein 5000 Jahre altes Amulett und ein 15-jähriger Junge entscheiden über die Zukunft der Welt. Ägypten im Jahre 1886: Jeremiah ist fünfzehn Jahre alt und soll in Ägypten zum Magier ausgebildet werden. Doch als der berühmteste lebende Magier verschwindet, schickt man Jeremiah auf die Suche nach ihm. Dabei gerät er in den Kampf zwischen den Mächten der Magie und der Technik, die um die Vorherrschaft auf der Welt ringen. Auf einer abenteuerlichen Reise, die ihn von Ägypten über Paris und London nach Amerika führt, lernt Jeremiah die guten und die schlechten Seiten von Technik und Magie kennen. Am Ende liegt es an ihm, zu entscheiden, wer als Sieger aus dem Kampf hervorgeht und die Zukunft bestimmen wird.
SpracheDeutsch
Herausgeberepubli
Erscheinungsdatum9. Nov. 2011
ISBN9783844213041
Sannall der Erneuerer

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    Buchvorschau

    Sannall der Erneuerer - Manfred Rehor

    Sannall der Erneuerer

    Fantasyroman

    von M. E. Rehor

    Imprint

    Sannall der Erneuerer

    M. E. Rehor

    published by: epubli GmbH, Berlin, www.epubli.de

    Copyright: © 2011 M. E. Rehor - http://tinyurl.com/merehor

    Titelfotos: Crit - photocase.com / waldmeister - photocase.com

    ISBN 978-3-8442-1304-1

    - - -

    Weitere Bücher von M. E. Rehor

    Der Nebelkontinent - Fantasyroman

    Czordan und der Millionenerbe - Kriminalroman

    Gerrit aus Neukölln - Jugendkrimi

    Freiheit und Liebe - Historischer Roman

    - - -

    Die Personen und Begebenheiten in diesem Buch sind der Phantasie des Autors entsprungen. Ähnlichkeiten mit realen Personen oder Begebenheiten sind rein zufällig.

    ÄGYPTEN IM MÄRZ 1886

    Gonther Virlan, Magier

    Eine offene Kutsche fuhr am frühen Morgen durch die Gassen der ägyptischen Hafenstadt Alexandria. Der kühle Wind vom Meer her vertrieb den Dunst des Vortags und lockte die Bewohner aus ihren Häusern. Ziegen irrten auf der Suche nach ein paar grünen Grashalmen durch die Innenhöfe der verschachtelten Wohnblöcke.

    Der Kutscher feuerte sein Gespann an und nahm keine Rücksicht auf Menschen oder Tiere. Schimpfworte rufend sprangen Passanten aus dem Weg oder drückten sich gegen die Hauswände, um nicht von den Rädern erfasst zu werden. Der Kutscher brüllte auf sie herunter und drohte mit der Peitsche, wenn jemand wütend die Fäuste nach ihm schüttelte.

    Auf der Rückbank saß sein Fahrgast, ein ganz in Schwarz gekleideter Europäer. Der schien den Aufruhr nicht zu bemerken. Mit konzentriertem Blick starrte er ins Leere. Erst als die Kutsche auf dem Platz vor dem Bahnhof von Alexandria hielt, kam Leben in ihn. Er kletterte heraus und klopfte sich den Staub aus der Kleidung.

    „Wie versprochen, Sir, sagte der Kutscher. „Rechtzeitig vor Abfahrt des Zuges.

    Der Mann nickte und warf ihm ein Geldstück zu. Der Kutscher sah sich die Münze an und bekam große Augen: „Gold! Danke, Sir! Gute Reise, Sir!"

    Mit schnellen Schritten ging der Mann zum Eingang des Bahnhofs. An dem imposanten, frisch renovierten Gebäude hingen noch die Plakate von der Eröffnungsfeier der neuen Bahnlinie, die von hier aus in den Süden Ägyptens führte. Über Kairo und Giseh bis ins fruchtbare Gebiet des El-Faijum reichte die Strecke bereits. Die Plakate priesen diese Bahnlinie als ein Wunderwerk der Technik, finanziert und gebaut von dem amerikanischen Milliardär Raymond A. Cyros.

    Der Mann in Schwarz eilte an diesen Plakaten vorbei, ohne sie zu beachten. Seine Aufmerksamkeit galt zwei Bettlern, die in der Nähe herumlungerten. Ihr Verhalten kam ihm seltsam vor. Sie wichen seinen Blicken aus und duckten sich weg, anstatt ihn mit Bitten zu bedrängen, wie er es von orientalischen Bettlern gewohnt war.

    Dass sein Misstrauen berechtigt war, sah er nicht mehr. Kaum hatte er den Bahnhof betreten, warfen die beiden Bettler ihre Verkleidung ab. Sie zogen lange Säbel hervor und postierten sich mit grimmigen Mienen vor dem Eingang. Kein weiterer Fahrgast würde an ihnen vorbeikommen, um den nächsten Zug zu erreichen.

    Oben an den Bahngleisen warteten an diesem Morgen nur einige Engländer auf den ersten Zug nach Süden. Mit Tropenhelmen und Fächern gegen die erwartete Hitze des Tages gerüstet, standen sie neben ihrem umfangreichen Gepäck. Sie unterhielten sich lautstark in dem arroganten Tonfall der englischen Oberschicht.

    „Die Kosten sollen immens gewesen sein. Aber für diesen in die Technik vernarrten Yankee spielt das offenbar keine Rolle."

    „Hat das Empire nicht schon genügend Eisenbahnlinien in Ägypten gebaut?"

    „Nicht so moderne, wie ich zugestehen muss. Schauen Sie sich das an!"

    Im Westen, wo in der Ferne die Lokschuppen und Wassertanks standen, stieg eine weiße Wolke in die klare Morgenluft. Langsam fuhr eine Lokomotive aus dem Depot in den Bahnhof ein, die ein Monster unter ihresgleichen war: doppelt so lang wie normale Loks, jedoch erstaunlicherweise ohne einen Tender. Sie war vollständig mit metallisch spiegelnden Blechen verkleidet. Die Waggons, die sie hinter sich herzog, waren ebenfalls in ihren Ausmaßen rekordverdächtig. Die getönten Fensterscheiben und polierten Seitenflächen zeigten einen Luxus, der dem Orientexpress angemessen gewesen wäre, aber nicht einer Eisenbahn, deren Aufgabe es war, ein paar Touristen in die Wüste zu transportieren.

    Die Engländer fanden diesen Aufwand ganz selbstverständlich. Sie achteten nicht auf die letzten beiden Waggons des Zuges. Das waren einfache, halboffene Güterwagen, in denen man ein paar Holzbänke festgeschraubt hatte. In diesen Waggons durften die Einheimischen reisen, die sich eine normale Fahrkarte nicht leisten konnten.

    Während der Zug hielt und die wenigen Passagiere einstiegen, kam der Mann in Schwarz die Bahnhofstreppe hoch. Er sah sich kurz um und ging zum Fahrkartenschalter.

    „Medinet im El-Faijum, erster Klasse", forderte er und zog ein paar Geldscheine hervor.

    „Würden Sie mir bitte Ihren Namen nennen, Sir?"

    „Wozu das denn?"

    „Neue Vorschrift, Sir, antwortete der Schalterbeamte mit einer Miene, als wäre die Frage eine persönliche Beleidigung. Da sein Gegenüber zögerte, sagte er noch einmal mit Nachdruck: „Ihr Name, bitte!

    „Gonther Virlan."

    „Beruf?"

    „Magier."

    Unbeeindruckt füllte der Schalterbeamte ein Formular aus, zählte das von Virlan gereichte Geld nach und gab ihm dann den Fahrschein. „Der Zug fährt in wenigen Minuten ab, Sir. Ihr Abteil befindet sich im ersten Waggon."

    Gonther Virlan drehte sich um und musterte die Lokomotive und die Wagen. Er deutete auf ein Symbol aus verschlungenen Buchstaben, das neben jeder Waggontür angebracht war. „RAC? Was bedeutet das?"

    „Das sind die Initialen von Mister Raymond A. Cyros, dem Besitzer dieser Eisenbahnlinie."

    „Cyros? Man hätte meinen können, Gonther Virlan spreche vom Teufel, so spuckte er den Namen aus. „Ich fahre nicht in einem Zug, der Cyros gehört!

    „Ein anderer Zug fährt leider nicht, Sir. Mister Cyros hat das Monopol für alle Nord-Süd-Verbindungen in Ägypten erworben. Wenn Sie in den El-Faijum wollen, bleibt Ihnen nur die Wahl zwischen unserer Eisenbahn und einer Kamelkarawane."

    Ohne den Schalterbeamten einer Antwort zu würdigen, machte Gonther Virlan kehrt und ging zu dem genannten Waggon. Der Schaffner, ein muskulöser Mann in Uniform, der an der Tür wartete, kontrollierte die Fahrkarte und fragte dann: „Ihr Gepäck, Sir?"

    „Ich habe keines."

    Der verwunderte Schaffner warf hinter Virlans Rücken dem Mann am Fahrkartenschalter einen Blick zu. Der Schalterbeamte machte mit dem Daumen der rechten Hand die Geste des Halsabschneidens. Verstohlen grinste der Schaffner und nickte zustimmend. Gonther Virlan stieg derweil ein, ohne etwas davon zu bemerken. Der Schaffner pfiff auf seiner Trillerpfeife, bevor auch er in den anfahrenden Zug sprang.

    Langsam glitt die mächtige Maschine aus dem Bahnhof und rollte zwischen den bescheidenen Hütten der Stadt Alexandria hindurch. Dann durchquerte sie die Zeltsiedlungen der Fellachen, die sich am Rande der Stadt niedergelassen hatten. Die Einheimischen in den Straßen neben den Gleisen staunten das Ungetüm an, das wie der Bote eines kommenden neuen Zeitalters der Technik durch ihre ärmliche Heimat zog.

    Außerhalb der Wohngebiete beschleunigte der Zug und fuhr in raschem Tempo nach Süden.

    Gonther Virlan schlenderte den Gang des Waggons entlang und sah in die einzelnen Abteile. Sie waren luxuriös ausgestattet, mit gepolsterten Sitzen, edlen Hölzern und Messingapplikationen. Aber sie waren alle leer. Kein einziger anderer Passagier befand sich in diesem Waggon. Virlan setzte sich in eines der Abteile und lauschte dem eintönigen Rattern der Räder auf den Schienen.

    Er war kurz vor dem Einnicken, als ein leises, sirrendes Geräusch ihn hochschrecken ließ, dessen Quelle er nicht feststellen konnte. Obwohl es noch angenehm kühl war, traten feine Schweißperlen auf seine Stirn. Irritiert massierte er sich die Schläfen, blinzelte mit den Augen und stand auf. Mit unsicheren Schritten ging er zu der Verbindungstür zum nächsten Waggon. Die Tür war verschlossen.

    Virlan presste seine rechte Handfläche auf das Schloss und murmelte einige magische Worte. Aber das Schloss widerstand. Ungläubig wiederholte er den Versuch, ebenso erfolglos.

    Wütend machte er kehrt, blieb dann aber mitten im Gang stehen. Seine Augen zuckten und sein Gesicht verzog sich zu einer schmerzerfüllten Grimasse. Mit den Händen begann er, magische Gesten auszuführen, die ihm Schutz bieten sollten gegen das Böse, das nach ihm griff. Ein schimmerndes Feld entstand um ihn, doch es war instabil und löste sich gleich wieder auf. Laut stöhnend brach Gonther Virlan zusammen und blieb bewusstlos liegen.

    Gleich darauf öffnete sich die Verbindungstür zum nächsten Waggon und der Schaffner kam herein. Er war in Begleitung eines fülligen älteren Mannes, der auffallend klein und gut gekleidet war und einen Backenbart nach amerikanischer Mode trug.

    Der Schaffner drehte den Körper des Bewusstlosen auf den Rücken, so dass der kleine Mann das Gesicht sehen konnte. „Ist er das, Mister Cyros?"

    „Gonther Virlan, sagte Raymond A. Cyros, „wie schön, dass wir uns unter solchen Umständen wiedertreffen. Er tastete die Brust des Magiers ab und fand ein kleines Amulett, das Virlan an einer goldenen Kette um den Hals trug. Der tropfenförmige Edelstein in der Mitte des Amuletts strahlte ein sanftes Licht aus. Sobald Cyros das Amulett berührte, erlosch das Leuchten des Steins.

    Cyros nahm eine Pinzette aus der Tasche und brach damit den Edelstein aus dem Amulett heraus. Er legte ihn in eine Schatulle, nicht größer als eine Schnupftabakdose, die er in seiner Westentasche verstaute. Dann gab er dem Schaffner einen Wink: „Bringen Sie ihn in die Sicherheitszelle in meinem Privatwaggon!"

    „Jawohl, Mister Cyros!"

    Cyros ging mit beschwingten Schritten voraus. Der Schaffner hob Gonther Virlan hoch, warf ihn sich über die Schulter wie einen Sack und folgte dem Milliardär.

    Jeremiah Kendall, Novize

    „Die Eroberung der Welt durch Magie ist eine Aufgabe, zu der wir alle unseren Beitrag leisten müssen. Und damit meine ich auch dich, Jeremiah Kendall!", grollte Sungear, der Vorleser, von seinem Stehpult herüber.

    Jeremiah zuckte zusammen, als er seinen Namen hörte. Er zwinkerte seinem Freund Wynfried zu, mit dem er eben noch getuschelt hatte. Dann wandte er sich mit einer Miene übertriebener Aufmerksamkeit und Ehrfurcht an den Vorleser. „Ich bin begierig, Eure Weisheit zu hören", sagte er die rituellen Worte, die jedoch so gar nicht in den Frühstückssaal passten. Die anderen Novizen an dem langen Tisch kicherten.

    Sungear, ein völlig überfetteter, glatzköpfiger Mönch, warf einen bösen Blick in die Runde und fuhr fort, mit monotonem Singsang aus alten Papyrusrollen zu rezitieren. Dabei trat ein abwesender Ausdruck in seine Augen, über denen keine Brauen wuchsen und die in seinem feisten Gesicht wie große, grüne Knöpfe wirkten. Ob er wirklich glaubte, dass die Jugendlichen im Saal zuhörten, wusste niemand zu sagen. Vielleicht berauschte er sich nur an der magischen Wucht der Worte, die er in den kehligen Lauten einer längst ausgestorbenen Sprache intonierte.

    Das Vorlesen von Papyrustexten während der Mahlzeiten gehörte zu den Ritualen, die der große Meister Gonther Virlan persönlich eingeführt hatte. Damals, bei der Gründung dieser unterirdischen Akademie.

    Nicht einmal Jeremiah wagte es, diese Tradition in Frage zu stellen. Obwohl eine zwanzig Jahre alte Tradition gar nicht so viel ist, dachte er, während er lustlos in seinem Frühstück stocherte, einer großen Schale Hirsebrei mit Datteln. Zumindest verglichen mit dem Alter der unterirdischen Räume, in denen sich die Akademie befand. Aber solche Gedanken behielt er besser für sich. Sein Ruf als Querkopf und Zweifler trug ihm schon genug Ärger ein.

    „Heute sind die Vorleser und Magier ziemlich nervös, flüsterte Wynfried. „Sollen wir unseren Plan nicht besser verschieben?

    Mit einer Handbewegung bedeutete Jeremiah ihm, still zu sein. Selbst diese kleine Geste entging Sungear nicht, wie ein kurzes, abfälliges Zucken seiner Mundwinkel erkennen ließ. Aber im Gegensatz zu anderen Tagen war es heute ein gutes Zeichen für Jeremiah, dass Sungear ihn besonders im Auge behielt. Es deutete darauf hin, dass Jeremiahs Vorhaben gelingen könnte. Sobald Sungear seine Lesung beendete, kam der entscheidende Moment: die Verteilung der Tagesaufgaben an die Novizen. Aber noch war es nicht so weit.

    Jeremiahs Blick schweifte an den Wänden entlang, die aus uralten Ziegeln gemauert waren. Zwanzig Meter unter der Erde befanden sie sich hier. Genauer gesagt, unter der Wüste am Rande des ägyptischen El-Faijum-Gebietes, einem der frühesten Siedlungsgebiete in der Geschichte der Menschheit. Vor fünftausend Jahren hatten Magier, deren Namen und Absichten längst vergessen waren, diese unterirdische Anlage erbaut. Durch die Wände der Räume liefen magische Felder, die an Stärke alles übertrafen, was man sonst auf der Welt kannte. Die in die Decken eingelassenen Glassteine lieferten echtes Tageslicht als wären es Fenster, und das mittels einer Magie, von der nicht einmal Jeremiahs Lehrer eine Vorstellung hatten. Ähnlich verhielt es sich mit der frischen Luft, die unablässig aus den porösen Ziegelwänden strömte.

    Die Erbauer nutzten die Anlage damals nur wenige Jahrzehnte lang. Dann verschwanden sie, ohne in den Geschichtsbüchern Spuren zu hinterlassen. Jeremiah dachte jedoch nicht weiter über diese rätselhaften Erbauer nach. Er interessierte sich in letzter Zeit eher für moderne Dinge. Dampfschiffe, zum Beispiel, oder Eisenbahnen. Leider war alles Moderne in der magischen Akademie unerwünscht. Aktuelle Zeitungen und Bücher über Technik gab es zwar, aber sie wurden weggeschlossen.

    Natürlich reizte das Jeremiah um so mehr, einen Blick hineinzuwerfen. Darüber hatte er sich am frühen Morgen auch mit seinen beiden Freunden Yblah und Wynfried unterhalten. Wynfried prahlte wieder einmal: „Ich habe es mit eigenen Augen gelesen: Die modernste Eisenbahn der Welt fährt jetzt hier in der Nähe vorbei!"

    „Wo steht das"?

    „In der Cairo Times, die Walera regelmäßig bekommt. Ich konnte einen Blick reinwerfen, als ich in seinem Büro war."

    „Einmal möchte ich so eine Maschine sehen", sagte Yblah.

    „Ich auch, gab Jeremiah zu. „Wie wär's? Kommende Nacht?

    „Bist du verrückt? Wir wissen nicht einmal, wo genau die Bahnstrecke verläuft. Und wenn wir erwischt werden, kommen wir dieses Mal nicht mehr so glimpflich davon."

    „Ich will schon lange einen neuen Zauber an Sungear ausprobieren, sagte Jeremiah. „Das ist die passende Gelegenheit. Ich beeinflusse ihn so, dass er mich gegen seinen Willen zum Bibliotheksdienst einteilt. Dort finde ich schon eine Möglichkeit, in die Kammer mit den modernen Schriften zu kommen und mir die Zeitung anzusehen.

    „Schon wieder so eine Idee von dir, die uns jede Menge Strafarbeiten einbringen wird."

    „Na, und? Macht ihr mit?"

    Klar machten sie mit. Und so hatte Jeremiah noch vor dem Frühstück das magische Ritual ausgeführt. Nichts wirklich Kompliziertes, es dauerte nur ein paar Minuten. Aber Sungear, dem fetten Vorleser, würde den ganzen Tag über der Name Jeremiah Kendall im Kopf herumschwirren, zusammen mit diffusen Bildern von alten Folianten, Papyrusrollen und Keilschrifttafeln.

    Es war gefährlich, magische Sprüche auf Vorleser loszulassen, denn Magie war deren Beruf und Berufung. Jeremiah allerdings glaubte sich das erlauben zu können, denn seine magischen Fähigkeiten übertrafen schon jetzt die der meisten Lehrkräfte.

    Er merkte auf, denn Sungears monotoner Singsang ging nun über in einen befehlenden Tonfall. Sungear legte die Papyrusrollen beiseite und begann mit der Verteilung der alltäglichen Pflichten der Novizen. Exerzitien, Küchendienst, Bibliotheksdienst – jeder bekam seine Aufgabe für diesen Tag zugewiesen, ganz nach Sungears Belieben.

    Es gab keinen festen Plan dafür; die Vorleser entschieden täglich neu. Dabei wurde natürlich darauf geachtet, dass die nicht so strebsamen Novizen die unbeliebteren Arbeiten zugeteilt bekamen. Das war die einzige Art von Bestrafung, die es in der Akademie gab. Deshalb war dieser Moment am Morgen immer besonders spannend. Jeremiah zwinkerte Wynfried und Yblah zu, als es so weit war.

    „Jeremiah Kendall, du hast heute ... Sungear zögerte und schien einen Moment unkonzentriert, bevor er fortfuhr: „... Bibliotheksdienst.

    „Sehr gut", rutschte es Wynfried heraus.

    Sungear runzelte die Stirn und verdonnerte Wynfried prompt zum Küchendienst. Auch der Dritte im Bunde der Tunichtgute in der Akademie kam heute nicht gut weg: Yblah wurde zum Putzen eingeteilt.

    Nachdem alle Novizen mit ihrer Tagesaufgabe bedacht waren, erhoben sie sich schweigend und verließen den Speisesaal. Jeremiah, Wynfried und Yblah gingen zufrieden nebeneinander her. Sie sahen nicht, dass Sungear hinter ihrem Rücken grinste, während er ihnen nachsah.

    Die Jungs hätten unterschiedlicher nicht sein können. Jeremiah war eindeutig ein Europäer, groß gewachsen, schlank, mit dunklen, lockigen Haaren. Yblah dagegen war Schwarzafrikaner, etwas kleiner als Jeremiah und außerordentlich kräftig. Wynfried schließlich mit seinem rotblonden Haar, den Sommersprossen und der pummeligen Figur stammte aus Amerika.

    Die Bibliothek, ein Gewirr von niedrigen Räumen und Gängen, befand sich in einem besonderen Flügel der unterirdischen Akademie. Viele der hier gelagerten alten Papyrusrollen und Tontafeln hatten aus demselben Grund die Jahrtausende überdauert wie die Ziegelsteine der Wände: Sie waren mit Magie gesättigt und so gegen Verfall geschützt.

    Jeremiah ging zunächst der Bibliothekarin zur Hand, einer alten Inderin, die einen grün glänzenden Sari trug und nach Sandelholz duftete. Sie zeigte ihm einen großen Stapel Tontäfelchen, die in einem Korb lagen. Sie waren verschmutzt, teilweise zerbrochen, aber alle beschriftet. „Eine kürzlich gefundene Keilschriftensammlung. Du musst die Tafeln aussortieren, die nur mit Handel und Gewerbe zu tun haben. Die brauchen wir nicht."

    Jeremiah griff wahllos einige Tafeln heraus. „Eine Rechnung über den Verkauf von einer Ziege und vier Kruken Getreide, sagte er, nachdem er den Text entziffert hatte. „Und hier: Steuererhöhungen für Bauern, die gegen den Landvogt nicht ehrerbietig waren. Schriftverkehr über eine Schiffsladung Bauholz. Alles maßlos uninteressant. Er warf die Tontafeln wieder zurück in den Korb.

    „Geh vorsichtig damit um, es können auch Tafeln mit magischem Inhalt darunter sein. Erfasse alle Tafeln in dieser Liste und rufe mich, wenn du fertig bist." Nachdem die Bibliothekarin sich davon überzeugt hatte, dass Jeremiah die Keilschriftzeichen gut genug kannte, um keine Fehler zu machen, ließ sie ihn alleine.

    Jeremiah schaltete auf brav und begann mit der Arbeit, denn er wusste, dass sie noch einmal kommen würde, um ihn zu kontrollieren. So geschah es auch. Die Bibliothekarin überprüfte seine Einträge, lobte ihn für seine Sorgfalt und ging wieder. Sie war bekannt dafür, dass sie gerne in einer ruhigen Ecke ein Buch las, während ein Novize ihre Arbeit machte.

    Nun konnte Jeremiah sicher sein, für eine Weile in Ruhe gelassen zu werden. Leise schlich er zu der Tür, die zum verbotenen Teil der Bibliothek führte. Das Türschloss bestand aus einem kleinen Kristall, der magisch bewegt werden musste. Eine schwierige Aufgabe für einen Novizen, aber Jeremiah war seinen Altersgenossen in der Akademie auch in dieser Hinsicht weit voraus. Eine kurze Handbewegung, ein Moment äußerster Konzentration und die Tür schwang geräuschlos auf.

    Der Raum dahinter war groß und hell. In langen Regalen standen Bücher, die nach Ansicht der Magier und Vorleser nicht in die Hände von Novizen gehörten. Manche enthielten Anweisungen für gefährliche magische Rituale, andere beschäftigten sich mit dem Gegenteil von Magie, nämlich mit Technik.

    Auch die Zeitungen und Zeitschriften, die auf Umwegen die Akademie erreichten, wurden hier eingeschlossen. Jeremiah durchsuchte einen Stoß aktueller Zeitungen, die noch nicht einsortiert waren. Er fand das Exemplar der Cairo Times, von dem Wynfried erzählt hatte, und eine Londoner Zeitung, in der ausführlicher über die Eröffnung der neuen Eisenbahnlinie berichtet wurde. Neben einem Bild des Besitzers der Eisenbahn, Raymond A. Cyros, war dort auch eine Karte über ihren Verlauf abgedruckt: von Medinet im El-Faijum bis hoch nach Alexandria, der Hafenstadt am Mittelmeer. Die Strecke verlief nur wenige Kilometer vom Standort der unterirdischen Akademie entfernt.

    Jeremiah riss die Seite aus der Zeitung heraus. Es war unwahrscheinlich, dass in den nächsten Tagen jemand gerade dieses Exemplar lesen würde, deshalb konnte er das Risiko eingehen.

    Gutgelaunt kehrte er zu seinen Tontafeln zurück und arbeitete weiter, bis der Gong zu den Mittagsvorlesungen rief. Während des Essens informierte er Wynfried und Yblah darüber, dass alles geklappt hatte: Kommende Nacht würden sie durch einen alten

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