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Diamanten aus Afrika
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eBook258 Seiten3 Stunden

Diamanten aus Afrika

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Über dieses E-Book

Benjamin und sein Freund Saban kämpfen im Berlin des Jahres 1888 gegen Kriminelle, die Rohdiamanten aus der Kolonie Deutsch-Südwestafrika für politische Zwecke missbrauchen wollen.
SpracheDeutsch
Herausgeberepubli
Erscheinungsdatum15. Feb. 2012
ISBN9783844218886
Diamanten aus Afrika

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    Buchvorschau

    Diamanten aus Afrika - Manfred Rehor

    Ankunft in Hamburg, Frühjahr 1888

    Die Haut des Jungen war schwarz, noch dunkler als die von Benjamin, und sein Haar war kraus. Während der Überfahrt hatte Benjamin ihn mehrmals kurz gesehen, aber da war der Junge mit Ruß und Kohlenstaub bedeckt gewesen. Er arbeitete wahrscheinlich als Heizer unten an der riesigen Dampfmaschine des Schiffes. Eben kam er wieder aus einer Luke hoch an Deck.

    Benjamin machte seinen Vater auf ihn aufmerksam. Doch bis der hinsah, war der schwarze Junge wieder verschwunden.

    „Warum interessierst du dich für ihn?", fragte sein Vater.

    „Er sieht aus, als ob er Angst hat", antwortete Benjamin.

    Benjamins Vater wandte sich an den Ersten Offizier und erkundigte sich, ob ein Afrikaner unter der Mannschaft sei.

    „Nein, Herr Legationsrat, lautete die Antwort. „Wo sollte der auch herkommen? Wir pendeln nur zwischen London und Hamburg.

    „Erkundigen Sie sich bitte beim Kapitän, verlangte Benjamins Vater. „Vielleicht weiß er etwas.

    Der Erste Offizier fasste das als Beleidigung auf, wie Benjamin an dessen mahlenden Kiefern erkannte. Aber er gehorchte, denn Benjamins Vater war nicht irgendwer, sondern der Geheime Legationsrat Gregor Liersch. Ein Sonderbevollmächtigter von Fürst Bismarck bei der deutschen Botschaft in London, ausgestattet mit einem Diplomatenpass. Der Legationsrat befand sich auf dem Weg nach Berlin, um Bismarck in einer dringenden politischen Angelegenheit persönlich zu sprechen. So viel wussten die Offiziere an Bord, und deshalb genoss Gregor Liersch eine besondere Stellung. Allerdings stimmte das mit der dringenden politischen Angelegenheit nicht so ganz. Benjamin und sein Vater waren auf einer Urlaubsreise, in deren Anschluss ein Besuch in Berlin geplant war. Fürst Bismarck wollte den Legationsrat zwar sprechen, hatte aber gleich mitteilen lassen, dass das bis nach dem Urlaub Zeit habe.

    Der Erste Offizier kam zurück und salutierte zackig. „Der Kapitän lässt ausrichten, dass sich an Bord unseres Schiffes keine Afrikaner befinden, auch keine Amerikaner oder andere Personen dunkler Hautfarbe. Nach einem Seitenblick auf Benjamin fügte er hinzu: „Jedenfalls nicht unter der Besatzung. Noch einmal salutierte er, dann ging er davon, bevor der Legationsrat eine weitere Frage stellen konnte.

    „Du hast dich also geirrt, Benjamin, sagte Gregor Liersch. „Wahrscheinlich war es ein Junge mit sonnengebräunter Haut, der durch den vielen Kohlenstaub schwarz aussah.

    „Er ist Afrikaner, beharrte Benjamin. „Ich irre mich nicht.

    Wie sollte er auch, stammte doch seine eigene Mutter aus Afrika. Er selbst war also halb Afrikaner, weil sein Vater sich während einer diplomatischen Mission in Afrika in seine Mutter verliebt und sie geheiratet hatte. Benjamin war nie in Afrika gewesen, aber er spürte seine Verbundenheit zu diesem Kontinent, wann immer die Rede darauf kam. Er war sich sicher, in dem fremden Jungen fast ein Ebenbild seiner selbst entdeckt zu haben.

    In der Ferne tauchten die Lichter des Hamburger Hafens in der Abenddämmerung auf. Noch eine Viertelstunde, dann würde der Dampfer anlegen. Es war Zeit, sich um das Gepäck zu kümmern. Schnell sammelten sich die Passagiere. Jeder wollte ganz vorne sein, sobald die Matrosen die Gangways anlegten. Die einfachen Reisenden drängelten sich in einer lautstarken Menge, diejenigen der Ersten Klasse standen hochnäsig im Hintergrund. Für sie gab es eine eigene Gangway, über die sie direkt zu den wartenden Droschken und Kutschen gelangten, während ihre Dienerschaft und einige Helfer die Koffer verluden.

    Benjamin stand mit seinem Vater an der Reling und sah dem Treiben zu. Sie hatten keine Eile, weil sie erst am folgenden Morgen weiterreisen wollten.

    Das Gewirr von Menschen unten am Kai lichtete sich allmählich, Pferdeomnibusse und Droschken fuhren los und brachten die Passagiere in die Stadt.

    Hinter Benjamins Rücken ertönte Geschrei. Er drehte sich um und sah einen Matrosen, der den schwarzen Jungen mit einem Tauende bedrohte, während ein zweiter Matrose versuchte, den Jungen festzuhalten.

    „Verdammter blinder Passagier!, fluchte der Matrose. „Das werden wir dir ein für alle Mal austreiben. Er schlug mit dem Tauende zu.

    Der Junge riss sich im letzten Moment los. Das Tau pfiff durch die Luft, während der Junge davonrannte. Er kam wenige Meter entfernt an Benjamin vorbei, sprintete die Gangway der Ersten Klasse hinunter und stieß dabei eine vornehme Dame in einem weißen Kleid beiseite. Die Dame kreischte auf; erst vor Schreck und dann vor Ärger, als sie den großen schwarzen Fleck auf ihrem Kleid sah, den der Zusammenstoß hinterließ.

    Im Zickzack rannte der Junge weiter, dem Schutz der Lagerhallen entgegen, die in einiger Entfernung standen.

    „Ich bin gleich wieder da", rief Benjamin seinem Vater zu und spurtete hinter dem Jungen her.

    Eine der Lagerhallen wurde nicht mehr genutzt. Vor ihrer halboffenen Türe stapelte sich Bauschutt, die Fenster waren zerschlagen. Die Arme der Kräne oben an den Luken standen schief oder waren abgebrochen. Auf diese Lagerhalle hielt der Flüchtige zu. Benjamin war noch fünfzig Meter hinter ihm, als der Junge durch die Tür ins Innere verschwand.

    Benjamin folgte ihm. Doch kaum war er drinnen, blieb er stehen. Es war finster hier. Nur eine Ahnung von Licht kam durch ein paar kaputte Fensterscheiben herein.

    „Wo bist du?, rief Benjamin. „Ich tu dir nichts, ich will dir helfen!

    Keine Antwort. Benjamin hielt einen Moment die Luft an, um nicht durch sein eigenes hektisches Atmen abgelenkt zu werden. Doch der Lärm, der vom Kai herüber drang, machte es unmöglich, leise Geräusche zu hören, wie sie ein Mensch verursachte, der durchs Dunkel schlich.

    Noch einmal rief Benjamin, dann ging er vorsichtig daran, das Innere der Halle zu erkunden. Seine Augen gewöhnten sich an das schwache Licht, er erkannte Kisten, Gerümpel, eine alte Kutsche mit gebrochenem Hinterrad. Hinter der Kutsche bewegte sich etwas. Benjamin ging darauf zu. Seine Hände tasteten nach Halt, während er über den Schutt stieg, der im Weg lag. Er griff in Dreck und Spinnweben, als er das brüchige Leder des Kutschenaufbaus anfasste.

    „Ich will dir nichts tun, wiederholte er halblaut. „Ich heiße Benjamin und stamme aus Afrika. Du auch?

    Er umrundete die Kutsche und hoffte, den Jungen nun vor sich zu sehen, aber da war niemand. Enttäuscht setzte er sich auf einen Stapel Säcke, die irgendein grobkörniges Material enthielten, vielleicht verdorbene Kaffeebohnen, die herausrieselten. Plötzlich spürte er jemanden hinter sich. Bevor er sich umdrehen konnte, drückte sich kühles Metall an seine Kehle. „Ich habe ein Messer, sagte eine Stimme auf Deutsch, aber mit einem deutlichen Akzent. „Was willst du?

    Benjamin saß regungslos und bewegte nur die Lippen, als er antwortete: „Ich bin halber Afrikaner. Ich kenne sonst keine Afrikaner in Deutschland. Deshalb will ich mit dir reden. Wer bist du und wo kommst du her?"

    „Ich heiße Saban. Wo ich herkomme, spielt keine Rolle. Ich muss nach Berlin. Deshalb habe ich mich an Bord des Schiffes geschmuggelt. Die Heizer haben mir geholfen, weil ich mitgearbeitet habe. Aber die anderen Matrosen mögen keine blinden Passagiere."

    „Mein Vater und ich fahren nach Süddeutschland, Urlaub machen, aber danach auch nach Berlin. Wir könnten uns in Berlin treffen. Wenn du kein Geld für die Fahrt hast, leihe ich dir welches."

    Benjamin fühlte, wie das Messer von seiner Kehle weggenommen wurde. Er wollte sich umdrehen, doch Saban befahl: „Rühr dich nicht! Warum bist du ein halber Afrikaner?"

    „Meine Mutter kommt von dort. Mein Vater ist Deutscher. Er wartet auf dem Schiff."

    „Ich habe von ihm gehört, und von dir. Die Heizer sagen, er sei ein Politiker. Sie halten nicht viel von Politikern. Bist du in Deutschland aufgewachsen?"

    „Ja, auf dem Rummel. Ich war Darsteller in einer Kuriositätenschau, aber mein Vater wusste nichts ..." Benjamin unterbrach sich, weil Saban an ihm vorbei sprang und nun vor ihm stand.

    „Gib mir Geld, forderte Saban und streckte die Hand aus. „Schnell!

    Anstatt das zu tun, starrte Benjamin das Messer an, das Saban immer noch in der Hand hielt.

    Saban bemerkte es und steckte das Messer weg. „Man muss immer bereit sein, sich zu wehren", erklärte er.

    Benjamin zog das Bündel deutscher Geldscheine heraus, das ihm sein Vater als Taschengeld für den Urlaub und den Aufenthalt in Berlin gegeben hatte.

    Saban schnappt das Geld aus Benjamins Hand und stopfte es sich in die Hosentasche. „Danke. Ich gebe es dir irgendwann zurück. Wie heißt du und wo wohnst du in Berlin?"

    „Benjamin Liersch. Frag im Hotel Zentral am Gendarmenmarkt nach Legationsrat Liersch. Wir werden allerdings erst in einigen Wochen in Berlin sein."

    „Jemand kommt", sagte Saban. Er warf sich herum und rannte davon.

    „Warte!, rief Benjamin ihm nach. Er wollte Saban folgen, doch vom Eingang her kamen zwei Männer auf ihn zu. Benjamin erkannte vor dem Hintergrund der Lichter des Hafens, dass es der Matrose mit dem Seilende und sein Kumpan waren. „Haben wir dich endlich du schwarzer Affe!, schrien sie. „Jetzt bekommst du, was du verdienst."

    Benjamin sah ihnen furchtlos entgegen. „Saban ist weg", erklärte er, als sie ihn erreichten.

    Doch die Matrosen hörten nicht auf ihn. Einer packte ihn schmerzhaft an den Armen und zwang ihn in die Knie, der andere holte mit dem Tau aus und schlug zu.

    „Ich bin nicht Saban!", schrie Benjamin, dem nun aufging, dass sie ihn mit dem blinden Passagier verwechselten. Sie erkannten in dem Halbdunkel der Lagerhalle seine dunkle Haut, die breite Nase und die schwarzen Kraushaare. Das genügte den Matrosen offenbar, um sicher zu sein, den Richtigen vor sich zu haben.

    Das Tau schlug durch Jacke und Hemd hindurch schmerzhafte Striemen in Benjamins Haut. Er versuchte, sich zu befreien, schaffte es aber nicht. Immer wieder schrie er, er sei der Falsche.

    „Wir prügeln dich tot, du Ratte, als Warnung für andere deiner Sorte", lautete die einzige Entgegnung, die er bekam. Wieder holte der Matrose aus.

    Eine scharfe Stimme befahl: „Aufhören!"

    Benjamins Vater und der Erste Offizier des Schiffes kamen heran. Der Offizier trug eine Petroleumlampe, mit der er die Szene beleuchtete.

    „Ihr geht aufs Schiff!, wies er die Matrosen an. „Dort steht ihr bis auf weiteres unter Arrest. Mit ein paar knappen Worten entschuldigte er sich dann bei Legationsrat Liersch für den Vorfall – nicht jedoch bei Benjamin, was den ziemlich wütend machte. Doch Benjamin war zu sehr damit beschäftigt, gegen den brennenden Schmerz in seinem Rücken anzukämpfen, und gegen die Tränen, die ihm deswegen zu kommen drohten. Deshalb sagte er nichts.

    Der Offizier kehrte aufs Schiff zurück, um Maßnahmen zu ergreifen, wie er beim Weggehen sagte.

    Benjamin ging mit seinem Vater langsam aus der alten Lagerhalle zu der wartenden Kutsche, die sie zu ihrem Hotel bringen würde. Ihm fiel auf, dass er von den umstehenden Menschen angestarrt wurde, aber das widerfuhr ihm wegen seiner Hautfarbe häufiger. Besonders ein elegant gekleideter Mann mit Backenbart konnte den Blick nicht von ihm wenden. Auffallend war jedoch nicht nur das Interesse dieses Mannes, sondern dass er sich in Begleitung mehrerer Hafenarbeiter befand, die ihrem Aussehen nach auch Raufbolde und Ganoven hätten sein können. Benjamin hatte den Mann während der Überfahrt auf dem Schiff gesehen. Er fragte sich, warum diese merkwürdige Gruppe am Kai stand, aber als die Kutsche losfuhr, vergaß er sie wieder.

    Ihr vierwöchiger Urlaub führte Benjamin und seinen Vater in einem Bogen von Hamburg über Hannover und Frankfurt nach Süddeutschland. In der Nähe von München besuchten sie ein Hotel, das zwar nicht den gehobenen Standard bot, den der Legationsrat sonst für sich beanspruchte. Aber die Inhaber waren ein freundliches Ehepaar, das Benjamin aus seiner abenteuerlichen Zeit auf dem Rummel kannte. Man sprach viel über die gemeinsamen Erlebnisse und die schöne Zukunft, die man sich erhoffte. Vater und Sohn wanderten im Bayerischen Wald, sie besuchten Dresden und kamen schließlich nach Berlin. Fast fünf Wochen waren vergangen, seit sie in Hamburg an Land gingen.

    Benjamin ahnte nicht, was er in dieser Zeit in der Hauptstadt verpasste.

    Sabans Weg nach Berlin

    Die Begegnung mit dem dunkelhäutigen Jungen brachte Saban durcheinander. Es lebten also auch Menschen in Deutschland, die aus Afrika stammten – oder bei denen mindestens ein Elternteil Afrikaner war. Das hatte er sich bisher nicht vorstellen können.

    Während er sich im Dunkel der Hafenanlagen ein Versteck für die Nacht suchte, ließ ihn der Gedanke nicht los, diese Menschen müssten auch bereit sein, ihn und seine Sache zu unterstützen. Vielleicht gab es in Berlin, dem Ziel seiner Reise, noch mehr von ihnen. Er würde sich umhören, sobald er dort war.

    Das Nachdenken macht ihn unaufmerksam. Als er einen passenden Unterschlupf entdeckte, einen windgeschützten Bretterverschlag in einer dunklen Ecke, ging er einfach darauf zu. Er war noch zwei Schritte davon entfernt, als sich jemand von hinten auf ihn warf und ihn zu Boden drückte, so dass er sich nicht mehr bewegen konnte.

    „Rühr dich nicht, sonst passiert was!", befahl eine raue Männerstimme.

    Saban spürte, wie der Angreifer seine Position so änderte, dass er ihn mit den Knien am Boden hielt. Die linke Hand umfasste Sabans Nacken, mit der Rechten tastete er Sabans Kleidung ab. Er fand das Messer und die Geldscheine, die Saban erst vor einer Viertelstunde von Benjamin bekommen hatte.

    „Geld?, fragte die Männerstimme verblüfft. „Wieso treibt sich jemand, der Geld hat, nachts hier herum? Mit dir stimmt etwas nicht, Junge.

    Das Messer erwähnte der Mann nicht, er schien es für normal zu halten, bewaffnet zu sein. „Wie heißt du?", fragte er.

    „Saban."

    „Blöder Name. Woher?"

    „Mit dem Schiff aus London."

    „Lüg mich nicht an. Niemand fährt mit einem Bündel Geld von London nach Hamburg und läuft dann direkt ins schlimmste Hafenviertel."

    „Ich bin als blinder Passagier mitgefahren, weil ich das Geld noch nicht hatte. Die Scheine hat mir vorhin jemand geschenkt."

    Der Mann lachte laut auf und ließ Saban los. „So einer bist du also. Ja, das kenne ich! Immer mal wieder ‚schenken‘ auch mir Leute ihr Geld. Manche freiwillig, wenn ich in der Innenstadt bettle, manche nicht so freiwillig, wenn ich mich selbst bediene. Was ich nur tue, wenn die Not groß ist, versteht sich. Man ist ja ein anständiger Mensch, nicht wahr?"

    Saban stand auf und drehte sich um. Der Mann, der ihn angefallen hatte, ging in den Bretterverschlag und entzündete eine Kerze. Er sah schlimmer aus als die Obdachlosen, die Saban in London angetroffen hatte. Wild wucherndes, weißes Haar bedeckte Kopf und Gesicht. Eine krumme Nase hing weit über den grinsenden Mund, in dem von Zigarrenrauch gelb gefärbte Zähne zu sehen waren. Der Mann trug abgerissene Kleidung und einen schief aufgesetzten Hut mit einer Vogelfeder im Hutband.

    So aufmerksam, wie Saban den Mann musterte, wurde er seinerseits betrachtet. „Schau an, ein Afrikaner, sagte der Mann. „Einer, der Deutsch spricht. Südwestafrika, vermute ich mal, aus der Kolonie. Was verschlägt denn einen wie dich hierher? Und dann fügte er ein paar kaum verständliche Worte in Sabans Muttersprache hinzu: eine Begrüßungsformel und ein wüstes Schimpfwort.

    Überrascht antwortete Saban in derselben Sprache, aber der Mann verstand ihn nicht.

    „Ist lange her, dass ich dort unten war, Kleiner. Trockene Gegend, war nichts für mich. Lieber hier ein Penner sein, als dort unten Soldat spielen. Aber ihr seid anständige Leute, ihr Schwarzen. Hier, nimm deinen Kram zurück. Er hielt Saban das Messer und das Geld entgegen. „Ich heiße Roland. Du kannst mich Rolli nennen, das tun alle. Wegen meines Vornamens und weil ich mal so dick war, dass man mich hätte rollen können. Ist lange her, lange her.

    Der Mann war alt, Saban schätzte ihn auf sechzig Jahre, und hager. Die hellblauen Augen wiesen einen Stich ins Gelbe auf, wahrscheinlich hatte Rolli in seinem Leben zu viel Alkohol getrunken – oder sich in Afrika eine der Krankheiten eingefangen, die die Leber angriffen. Weiße waren da besonders anfällig, hatte Saban gehört.

    „Setz dich, forderte Rolli und zeigte auf eine Kiste. Er selbst setzte sich ebenfalls. Eine dritte Kiste diente ihm als Tisch, auf dem er sein Abendessen ausbreitete: einen Kanten Brot, einen geräucherten Fisch, ein Stück stinkenden Käse und eine Literflasche Bier. „Du bist eingeladen, Kleiner.

    Saban, der mindestens einen Kopf größer war als Rolli, lehnte lächelnd ab. „Ich habe auf dem Schiff gegessen. Die Heizer haben mir etwas gegeben, weil ich ihnen geholfen habe."

    „Umso besser, bleibt mehr für mich. Rolli begann zu essen. „Jetzt erzähl, was du in Hamburg treibst. Noch dazu ausgerechnet hier, bei den alten Lagerhallen.

    „Ich will nach Berlin. Mit dem Kanzler sprechen, Fürst Bismarck", erklärte Saban, der zunehmend Vertrauen zu dem alten Mann fasste.

    „Bismarck? Rolli lachte. „Warum nicht gleich mit dem Kaiser?

    „Geht denn das?"

    „Nein, natürlich nicht. Genauso wenig, wie du mit Bismarck sprechen kannst. Du noch weniger als ich; und ich schon gleich gar nicht. Dazu müsstest du mindestens ein Von-und-zu sein, mit Adelstitel. Oder ganz viel Geld haben. Ein paar Millionen, und alle Türen stehen dir offen. Auch die von Bismarck. Sogar vom Kaiser sagt man, er sei manchmal klamm und empfange deshalb Leute, die bereit sind, ihm Geld zu leihen."

    Verblüfft hakte Saban nach: „Der Kaiser muss sich Geld borgen?"

    „Gerüchte, alles nur Gerüchte, beschwichtige Rolli. „Es geht ja nicht darum, dass er die Palastmiete für den nächsten Monat nicht bezahlen könnte. Aber ein paar Millionen hier und ein paar Millionen da tun seiner Schatulle sicherlich auch gut.

    „Millionen habe ich nicht."

    „War ja nur ein Beispiel. Wegen des Kaisers. Rolli nahm einen kräftigen Schluck aus der Bierflasche. „Um Bismarck steht es auch nicht besser. Was willst du denn von ihm?

    Saban druckste herum. „Es gibt da ein Problem bei meinen Leuten in Afrika. Ich glaube, dass er nichts davon weiß. Wenn ich ihm davon erzähle, hilft er uns vielleicht. Schließlich ist Südwestafrika jetzt eine deutsche Kolonie, also ist die deutsche Regierung auch für uns da."

    Rolli schob die Reste seiner Mahlzeit beiseite und legte die Beine auf die Kiste, die ihm als Tisch diente. Aus einer Tasche seines Mantels zog er einen Zigarrenstumpen, den er mit kennerischer Miene musterte, bevor er sich zu Seite beugte, um ihn an der Flamme der Kerze anzuzünden. Atemberaubender Gestank breitete sich in dem Bretterverschlag aus.

    „Bismarck hilft dir nur, wenn es ihm mehr nützt als dir. Er soll kein angenehmer Mensch sein, was das angeht. Aber vielleicht kann ich dir helfen, und wenn es nur mit einem guten Ratschlag ist. Ich hab ne Menge gesehen in meinem Leben, das darfst du mir glauben. Also spuck es aus!" Mit den letzten Worten spuckte Rolli

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