Entdecken Sie Millionen von E-Books, Hörbüchern und vieles mehr mit einer kostenlosen Testversion

Nur $11.99/Monat nach der Testphase. Jederzeit kündbar.

Anfang vom Ende: Hitlers Jahre in München
Anfang vom Ende: Hitlers Jahre in München
Anfang vom Ende: Hitlers Jahre in München
eBook266 Seiten4 Stunden

Anfang vom Ende: Hitlers Jahre in München

Bewertung: 0 von 5 Sternen

()

Vorschau lesen

Über dieses E-Book

1914. Adolf Hitler versucht sich in München, in Schwabing, als Kunstmaler durchzusetzen. Er scheitert. Mit Kriegsbeginn bewirbt sich Hitler beim Bayerischen Militär. Er wird als Melder an die Front gechickt. Nach dem verlorenen Krieg ist das Chaos groß: Hungersnot, Arbeitslosigkeit, rasante Geldentwertung. Kaiser und König haben abgedankt, linke Parteien übernehmen die Macht. Obskure Geheimbünde und Parteien aller Art schießen wie Pilze aus dem Boden. Adolf Hitler arbeitet für die Behörden als Spitzel. Er beobachtet auch die Deutsche Arbeiter Partei. Ihr tritt er bei, wird ihr Wortführer und nennt die Partei um in NSDAP. Das enttäuschte Bürgertum und die Großindustrie unterstützen die neue Hitler Partei. 1923. Mit General Ludendorff macht Hitler einen Putsch. Im Bügerbräukeller lässt er die Regierung verhaften, ernennt sich selbst zum neuen Regenten und marschiert mit SA-Männern zum Odeonsplatz. Hier nun stellt Polizei und Militär sich den Aufständischen entgegen. Die rechte Rebellion scheitert. Hitler flieht, wird aber aufgespürt und verhaftet.
SpracheDeutsch
HerausgeberLicorix
Erscheinungsdatum1. Dez. 2016
ISBN9783958496101
Anfang vom Ende: Hitlers Jahre in München

Ähnlich wie Anfang vom Ende

Ähnliche E-Books

Biografien – Geschichte für Sie

Mehr anzeigen

Ähnliche Artikel

Verwandte Kategorien

Rezensionen für Anfang vom Ende

Bewertung: 0 von 5 Sternen
0 Bewertungen

0 Bewertungen0 Rezensionen

Wie hat es Ihnen gefallen?

Zum Bewerten, tippen

Die Rezension muss mindestens 10 Wörter umfassen

    Buchvorschau

    Anfang vom Ende - Felix Demant-Eue

    Ende

    1. Wenn die Ordnung schwindet.

    Der 18. Januar 1914 war ein kühler Tag. Nieselregen ließ das Straßenpflaster im Schein der Laternen matt schimmern. Es war noch früh. Gerade hatte die Kirchturmuhr von St. Joseph sieben Uhr geschlagen. Mürrisch und noch völlig unausgeschlafen folgte der Delinquent verschüchtert dem Beamten. Den Kragen seines abgewetzten Mantels hoch geschlagen, den Kopf gesenkt, schlurfte er in ausgetretenen Schuhen neben dem Polizisten her. Das hagere, eingefallene Gesicht, die ungesund graue Haut, der ungepflegte Schnauzbart, das schlecht geschnittene Haar und sein gebeugter Gang ließen einige frühe Passanten mitleidig aufblicken.

    Wieder so ein armer Teufel, dachten sie, der von der Polizei in aller Frühe ins Präsidium verbracht wird. Aber hier in Schwabing trieb sich auch eine ganze Reihe arbeitsscheues Gesindel herum. Es war nur gut, wenn die Polizei da hart durchgriff.

    Frau Sondermann betrat in Begleitung ihres Jüngsten, des dreizehnjährigen Ferdinand, das Schneidergeschäft in der Schleißheimer Straße Nummer 34. „Was will denn die Polizei von dem?", fragte sie noch in der Tür und blickte dem Abgeführten nach.

    „Ich weiß nicht. Aber irgendwas wird er schon auf ´m Kerbholz ha'm, dieser Österreicher", erwiderte die Frau des Schneidermeisters.

    „Ist ja auch kein Leben, was der Kerl führt. Viktoria Sondermann schüttelte verächtlich ihren Kopf. Dann nahm sie das Kopftuch ab, lockerte ihren wärmenden Schal und sagte, beinahe vorwurfsvoll: „Hab´ ihnen doch gleich gesagt, dass sie mit diesem Untermieter vielleicht Schwierigkeiten kriegen, liebe Frau Popp. Sie entnahm ihrer Einkaufstasche ein geblümtes Sommerkleid, faltete es auseinander und reichte es der Schneiderin.

    „Ich bring´s Ihnen jetzt schon, da ham ´s Zeit mit der Änderung. Viktoria blickte an sich herab. „Ein bisserl weiter machen, wie immer, lächelte sie leicht errötend. Frau Popp nickte verständnisvoll.

    Meister Popp kam herein. Er trug einen dicken Stoffballen auf dem Arm. „Grüß Gott, Frau Sondermann, sagte er und ließ den Stoffballen auf einen Tisch fallen. „Grüß dich, Bub. Ich begreif nicht, warum die Gendarmen immer in aller Früh die Leut´ abholen. Er schüttelte über solches Verhalten den Kopf. „An der Tür geklopft hat der Polizist, dass ein Toter davon hätte aufwachen können. Mussten diesen Kerl erst aufwecken. Der schläft aber auch immer bis in die Puppen. Treibt sich ganze Nächte rum. Sollte lieber schau ´n, dass er ´ne Arbeit kriegt, der Faulenzer."

    „Aber, mein Lieber, warf seine Frau ein, „er ist doch Künstler.

    „Ich werd auch Künstler", ereiferte sich Ferdinand.

    „Untersteh dich!, rief Viktoria. „Geh zur Polizei, wie Onkel Alex, oder zum Militär, wie dein Vater. Oder willst du später vielleicht so wie dieser österreichische Hungerleider ´rumlaufen?

    Ferdinand blickte beschämt zu Boden. Viktoria Sondermann fuhr fort: „Hab´ Ihnen doch gesagt, liebe Frau Popp, mit dem Untermieter werden Sie Ihre Schwierigkeiten kriegen, so wie der ausschaut. Wie lang ist er denn jetzt schon bei Ihnen?"

    „Seit letztem Jahr. Seine Miete hat er aber immer bezahlt."

    „Und wo kommt der her?"

    „Aus Wien, hat er gesagt. Will hier in München Architektur studieren, wenn er genug Geld beieinander hat. Will seine Bildchen verkaufen."

    „Nun ja, die Bildchen sind ja auch recht hübsch, die er malt und auf der Strass´ verkauft, meinte Viktoria, „aber ob das zum Leben reicht?

    „Vielleicht wird er ja mal berühmt und reich, so wie der Lenbach", warf Ferdinand ein.

    „Vielleicht marschierst du jetzt ab zur Schule, Bub. Aber dalli!", mahnte ihn seine Mutter. Ferdinand packte seinen Schulranzen und trottete zur Tür.

    „Servus, Ferdi", riefen Herr und Frau Popp dem Jungen nach.

    Aus dem Nieselregen wurde nach und nach Schnee. Winzige Flocken wirbelten herum. Ferdinand blickte in den grauen Himmel. Er hoffte sehnsüchtig, dass es bald richtig schneien würde. Dann könnte er mit seinem Freund Christian am Monopteros Schlitten fahren. Mit dem neuen Schlitten, den er zu Weihnachten bekommen hatte. Oder sie könnten eine Schneeballschlacht machen.

    Die Straße herunter kam ein Tross Reiter. Ferdinand erkannte, dass es ein Regiment der Hofwache aus der Türkenkaserne war, welches zu seinem morgendlichen Ausritt aufs Oberwiesenfeld zog. Er winkte den Soldaten zu, bewunderte ihre Uniformen. Die Pferde schnaubten, ihre Hufeisen ließen hin und wieder auf dem Pflaster kleine Funken auf stieben. Wenn er einmal zu den Soldaten ging, dann wollte er unbedingt zur Kavallerie, da war sich Ferdinand sicher. Und nicht so einen langweiligen Posten haben wie sein Vater, der Tag ein Tag aus in der Kaserne Dienst tat, nun, da er befördert worden war. Andererseits bewunderte er seinen Vater, der es vom einfachen Soldaten zum Hauptmann gebracht hatte. Und das war viel, denn die höheren Posten im Militär wurden vorwiegend von Adeligen besetzt.

    Die Reiter waren lärmend vorüber gezogen. Noch lange hörte Ferdinand das Getrappel der Hufe, welches von den Häuserwänden widerhallte. Eine Wolke von Pferdegeruch hing über der Straße. Ferdinand dachte an seinen Freund Christian. Der konnte mit Pferden gut umgehen. Fast in seiner ganzen freien Zeit arbeitete er in den Stallungen der Reitschule. Schon öfter hatte Ferdinand ihn dorthin begleitet, ihm geholfen die Boxen auszumisten, die Gäule zu striegeln. Und immer wenn Ferdinand dann aus den Ställen nach Hause kam, schimpfte seine Mutter mit ihm, weil er so erbärmlich stank. „Du sollst dich nicht mit diesem Lümmel, diesem Weber Christian, herumtreiben. Das ist unter unserem Niveau. Der Kerl ist schon zweimal sitzen geblieben, er ist dumm und faul und ein schlimmer Rabauke."

    Und wenn der Vater am Wochenende heim kam, setzte es was mit dem Rohrstock. Aber das war Ferdinand egal. Schließlich war Christian sein Freund. Und Freundschaft ist etwas ganz Besonderes, dass hatte er in dem Roman Ohm Krüger gelesen. Zudem war Christian sehr stark, alle fürchteten ihn. Und solange Christian sein Freund war, traute keiner der Schulkameraden ihn, den kleinen Ferdi, wegen seiner schmächtigen Statur zu hänseln.

    Tatsächlich hatte es die ganze restliche Woche über kräftig geschneit. Am Sonntag, gleich nach dem Essen, war Ferdinand dann mit seinem Schlitten los gezogen. Was für ein herrlicher Tag das gewesen war, freute sich Ferdinand. Sie hatten sich mit den Buben aus dem Lehel eine Schneeballschlacht geliefert, später gemeinsam Mädchen gejagt und mit Schnee eingerieben. Zum Schluss hatte Ferdinand seinen Freund Christian noch zu den Stallungen der Tierärztlichen Hochschule begleitet. Nun eilte er in der Dunkelheit des frühen Abends nach Hause.

    „Nein, er ist wieder frei", hörte Ferdinand seinen Onkel sagen, gerade als er die Wohnstube betrat. Polizeiinspektor Alexander Breitner saß im Armsessel, sein Vater, der Hauptmann, stand im wärmenden Hausmantel ihm gegenüber. Er blickte aus dem Fenster. Ferdinands Schwester Marianne brachte gerade die Aufschnittplatte fürs Abendbrot herein. Im Schein der Deckenleuchte schimmerte ihr Haar golden auf.

    „Das lob´ ich mir, verkündete Onkel Alexander, den alle Alex nannten, und sah auf die große Standuhr, „pünktlich auf die Minute ist der junge Herr. Ferdinand ging auf seinen Onkel zu, machte einen Diener und reichte ihm die Hand. „Braver Bub", brummelte Alex und streichelte Ferdinand übers Haar, was dieser überhaupt nicht leiden konnte.

    „Er hat sich wieder den ganzen Tag herumgetrieben, quengelte Marianne, „und ich hab´ der Mutter geholfen. Sie hob stolz ihren bezopften Kopf, streckte ihr Kinn vor und schritt hoheitsvoll aus dem Zimmer. Hauptmann Karl-Friedrich Sondermann reckte sich, trat vom Fenster zurück, nahm sein Monokel ab und ließ sich am gedeckten Esstisch nieder. „Was hat man ihm denn vorgeworfen, diesem windigen Österreicher?", fragte er den abendlichen Besucher.

    „Er hat Stellungsflucht begangen, so hat man ihn gesucht."

    „Oha, tönte der Hauptmann, „wollte sich also vor dem Militärdienst drücken; er klemmte sein Monokel wieder ein und blickte streng auf seinen Sohn. „Sich vor ´m Militärdienst zu drücken, dass ist äußerst verwerflich, mein Sohn. Militärdienst muss sein, sonst lernt ihr Burschen keine Disziplin. Hände vorzeigen! Ferdinand trat zu seinem Vater, hielt ihm beide Hände hin, zuerst die Handflächen noch oben, dann die Handflächen nach unten. Karl-Friedrich nickte zufrieden. „Wegtreten, befahl er.

    Als wenn ich ´s geahnt hätte, dachte Ferdinand und war froh sich gleich nach dem Betreten der Wohnung ausnahmsweise Gesicht und Hände gründlich gewaschen zu haben.

    „Ja und nun, setzte Alex seinen Bericht fort, „muss dieser Rumtreiber nach Salzburg. Wie aus dem Protokoll hervorgeht, hat er beim österreichischen Konsul gejammert, dass er doch Waise sei und so viel Schwierigkeiten hätte seinen Lebensunterhalt als Künstler zu verdienen. Da hatte der Konsul ein Einsehen und gewährte diesem Nichtsnutz einen kleinen Aufschub. Denn eigentlich hätte dieser Mensch, einen komischen Namen hat er, Hiller oder so ähnlich heißt er, ja in Linz zur Musterung gemusst. Er machte eine Pause, beugte sich etwas vor, schaute flüchtig  nach Ferdinand dann wieder den Hauptmann an und flüsterte, „und das hab´ ich aus gut unterrichteten Kreisen, man munkelt der Kerl sei  homosexuell. Zumindest verkehrt er mit so einigen stadtbekannten Typen."

    Die Mutter kam ins Wohnzimmer, hinter ihr stolzierte Marianne herein. Sie trug den Brotkorb, stellte ihn auf den Tisch. „Bitte Platz zu nehmen, sagte Viktoria. Polizeiinspektor Breitner erhob sich aus dem Sessel am Fenster, ging zum Tisch. Ferdinand stellte sich hinter dem Stuhl auf, der sein Stammplatz war. Der Vater steckte sein Monokel in die Brusttasche des Hausmantels, strich ihn glatt, rückte seinen Stuhl am Kopfende des Tischs zurecht, setzte sich und kommandierte: „Essen fassen.

    Viktoria seufzte leicht, ließ sich auf ihrem Platz nieder und sagte: „Lieber Karl-Friedrich, du weißt ich mag diesen Militärjargon nicht. Nicht bei uns zu Hause."

    Ferdinand setzte sich, ebenso seine Schwester, der Onkel nahm Platz. Die Mutter ermahnte die Tischrunde: „Lasst uns beten." Sie taten es. Der Hauptmann nahm einen kräftigen Schluck aus seinem Bierhumpen. Onkel Alex trank ebenfalls. Ferdinand hatte riesigen Hunger. Alle aßen schweigend.

    Nach dem Essen machte es sich Karl-Friedrich in seinem Armsessel bequem, nachdem er zuvor, wie jeden Sonntagabend, die alte Standuhr aufgezogen hatte. „Solange deine Frau, Anneluise, in Weilheim bei ihren Eltern ist, kannst du jederzeit zu uns zum Essen kommen, lieber Alex", wandte er sich an seinen Schwager, der ihm gegenüber auf einem gepolsterten Stuhl Platz genommen hatte.

    Die Petroleumlampe auf der Anrichte erhellte nur eine Ecke des Zimmers, der restliche Raum lag im Dämmerlicht. Der Hauptmann bevorzugte an den langen, dunklen Winterabenden, wie er sich gern auszudrücken pflegte, den gemütlichen Schein glorreicher, vergangener Zeiten. Denn diese Lampe aus poliertem Messing mit einem von Jagdszenen verziertem Glaszylinder, war ein Geschenk seines Vaters, der als junger Mann im siegreichen Krieg gegen die Franzosen Siebzig-Einundsiebzig hohe Auszeichnungen erhalten hatte.

    Der Kachelofen verbreitete eine wohlige Wärme. Das Laufwerk der Standuhr ächzte, dann schlug es acht. Karl-Friedrich beugte sich zur Seite und öffnete den Deckel einer kleinen hölzernen Truhe. Er  hielt sie Alex hin. Der griff hinein, nickte dankbar, lächelte dem Hauptmann zu und nahm eine der dunkelbraunen duftenden Zigarren heraus. Er drehte sie andächtig zwischen Zeigefinger und Daumen leicht hin und her. Dann hielt er sie sich unter die Nase, schnupperte daran, dass sein Schnauzbart zitterte und schmunzelnd sagte er: „Es geht doch nichts über einen gemütlichen Abend daheim."

    Auch der Hauptmann hatte sich inzwischen eine Zigarre ausgesucht, schloss mit großem Bedacht den Deckel des Kästchens und stellte es auf das kleine Tischchen neben seinem Armsessel. Danach griff er eine winzige Schere, schnitt besonnen einen kaum sichtbaren Keil in das Mundstück der Zigarre, leckte sie kurz an, steckte sie in den Mund, legte die Schere zurück, nahm eine Streichholzschachtel und entzündete zischend ein Schwefelholz. Der aufflammende Zündkopf reflektierte sich gelblich-rot im grau matten Fensterglas. Kurz schienen hinter der Scheibe tanzende Schneeflocken auf. Alex blickte hinaus. „Jetzt ist ´s doch noch Winter worden", meinte er nachdenklich. Dann schwiegen beide Männer und rauchten.

    „Nichts gegen unseren König, unterbrach Karl-Friedrich die besinnliche Ruhe und stieß eine Qualmwolke aus, die langsam um die Petroleumlampe waberte, „aber Ludwig III. interessiert sich so gar nicht für Politik. Sitzt da auf seinem Gut in Leutstetten, kümmert sich um sein Weidevieh und produziert Milch.

    „Nun, Landwirtschaft hat er schließlich studiert. Aber davon einmal abgesehen ist er sehr an moderner Technik interessiert, warf Alex ein, „und das ist doch auch ein Vorteil.

    „Wenn er sich nur mehr ums Militär kümmern würde. In diesen unruhigen Zeiten ist das unabdingbar, ja, von allergrößter Wichtigkeit. Mahnend hob Karl-Friedrich die Hand mit der qualmenden Zigarre. „Zumal sich Großbritannien, Frankreich und Russland gegen unseren Kaiser Wilhelm, gegen das deutsche Reich zusammen getan haben. Und Österreich, unser Verbündeter, hat ständig Probleme in seinen östlichen Provinzen. Der Hauptmann ließ die Hand mit der Zigarre sinken. Er blickte nachdenklich auf die glimmende Spitze.

    Alex, ihm gegenüber, legte seinen Kopf in den Nacken, stieß den Zigarrenrauch in kleinen Kringeln gegen die Zimmerdecke aus, neigte sich vor und seufzte. Schließlich blickte er sich kurz nach allen Seiten um und sagte dann: „Wir haben Hinweise, dass eine so genannte Serbische Akademische Lesegruppe nichts anderes ist als eine gefährliche, radikale Gruppe von Panslawisten. Viele Studenten aus Russland und Serbien gehören ihr an. Und das ist nur die Spitze des Eisbergs, so zu sagen. Solche subversiven Umtriebe müssen wir streng im Auge behalten." Er unterstrich jedes seiner Worte, indem er die Zigarre zwischen Ring- und Mittelfinger haltend mit ihr in die Luft stach und so mit ihrer Glutspitze auf imaginäre Feinde zielte.

    „Bayern könnte bei einem Waffengang seine Position im Reich verbessern und gleichziehen mit dem alles dominierenden Preußen. Nur dann müsste sich Ludwig stärker für das Waffenwesen engagieren, setzte Karl-Friedrich seine Gedanken fort, ohne auf die Worte seines Schwagers einzugehen. Dann machte eine Pause, zog die Stirn in Falten und ergänzte: „Tut er aber nicht. Er ist eben kein Militär, leider. Der Hauptmann schüttelte missbilligend den Kopf. „Ach, es ist eine Schande wie unser König rumläuft; die faltigen Hosen, wie eine Ziehharmonika schlottern sie um die Beine, der unordentlich gewickelte Regenschirm, den er ständig bei sich trägt. Er sah betrübt ins gelbe Licht der Petroleumlampe, blickte dann sein Gegenüber an. „Hätte er als junger Mensch eine strenge militärische Ausbildung genossen, unser König, würde er nicht so rumlaufen, sondern mehr auf sein Erscheinungsbild achten.

    Der Polizeiinspektor nickte zustimmend. „Ja, irgendwie flößt er keinen Respekt ein, das ist wohl wahr. Wenn ich da an Wilhelm II. von Preußen denke, das ist schon eine imposante Erscheinung."

    „Ausgerechnet jetzt macht Bayern überhaupt keinen guten Eindruck. Der eigentliche Thronfolger, der Otto, nicht zurechnungsfähig, wenn ich das mal so sagen darf, und Ludwig untätig wie sein Vorgänger. Traurig ist das."

    Die Männer pafften schweigend ihre Zigarren.

    Föhnwetter hatte den Schnee schmelzen lassen. Für Anfang Februar war es eigentlich viel zu warm. Viktoria betrat die Schneiderei Popp. „Grüß Gott, Frau Nachbarin. Ist mein Sommerkleid fertig?"

    Die Schneiderin nickte beflissen. „Freilich. Aber woll´n Sie ´s jetzt etwa schon anzieh´n?"

    „Nein, wenn man auch meinen könnt der Frühling ist ausgebrochen."

    „Wird schon noch mal kalt wer´n, bin ich sicher, Frau Popp ging in den rückwärtigen Raum und holte das frisch gebügelte Kleid. Sie kam zurück und legte es sorgfältig zusammen. „Nun wird’s wieder passen, sagte sie und lächelte ihre Kundin an, „hab´ die Nähte ausgelassen, so etwa drei Zentimeter ist ´s jetzt weiter."

    Viktoria Sondermann nickte zufrieden.

    „Stell´n Sie sich vor, lieber Frau Sondermann,, schüttelte Schneiderin Popp ihren Kopf, „da ist doch unser Untermieter, dieser Adolf Hitler, dieser Österreicher, gar nicht zum Militär kommen. Die in Österreich konnten ihn nicht brauchen, zu kränklich, zu schwach. Sie hielt inne, strich mit der flachen Hand über den geblümten Kleiderstoff, entfernte einen winzigen Fussel, blickte zu ihrer Kundin auf und fuhr in einem anklagenden Ton fort: „Aber der junge Mann isst ja auch nichts Gescheit´s. Sitzt die meiste Zeit im Caféhaus rum, hat aber kein Geld, um sich mal richtig satt zu essen. Ich hab´ ihm gesagt, er soll sich eine Arbeit suchen. Aber da winkt er ab, will er nicht. Ich bin Künstler, hat er gesagt. So was! Sie schüttelte erneut ihren Kopf. „Was aus dem noch werden soll? Denn von seinen Bildchen kann er nicht leben, nie nicht, betonte sie.

    „Vielleicht wird er ja noch mal vernünftig. Vielleicht findet er eine Frau. Dann wird er schon ernsthaft werden, glauben Sie mir. Viktoria nahm das Kleid, legte es vorsichtig über ihren Arm. „Ich hab´ gehört, der Kerl hat für Frauen nichts übrig. Hab´ ich gehört, wiederholte Viktoria flüsternd.

    „Ach, das ist ja furchtbar, wenn ´s stimmt, furchtbar, schüttelte Frau Popp ihren Kopf. Dann hielt sie inne und fragte unvermittelt: „Wird’s so gehen?

    „Ich hab ´s ja nicht weit."

    Polizeiinspektor Alexander Breitner ließ sich von seinen beiden Agenten Bericht erstatten. „Haben Sie sich ´s notiert, Krause?", fragte er, als dieser seine mündlichen Ausführungen über die Arbeiterversammlung der SPD im Kindl-Keller beendet hatte. Der Angesprochene nickte und reichte seinem Vorgesetzten ein beschriebenes Blatt. Breitner las:  Wir werden jeden Versuch vereiteln Europa in einen Krieg zu stürzen. Wenn ein Mann von Blut und Eisen wie Bismarck trotz Ausnahmegesetz mit uns nicht fertig geworden ist, wie wollen das die Knirpse fertig bringen, die heute an der Spitze stehen!

    Langsam ließ der Inspektor das Blatt sinken, warf noch einmal einen Blick darauf und legte es auf seinem Schreibtisch. „Und das hat diese polnische Schlampe, diese Sozialistin Rosa Luxemburg, wirklich so wörtlich gesagt?, fragte er mit strengem Ton. Krause hatte, während sein Vorgesetzter las, seine rechte Hand lässig in die Hosentasche geschoben. Jetzt zog er sie schnell heraus und nahm Haltung an. „Ja wohl, antwortete er, „wörtlich. Sein Nebenmann nickte beflissen. Dann fügte Krause unaufgefordert hinzu: „Und am End´ hat die Versammlung noch eine Resolution verabschiedet. Darin haben sie festgehalten, dass alle Kriegsvorbereitungen unbedingt verurteilt werden soll ´n.

    Breitner bedankte sich. „Gut, gute Arbeit. Er wedelte mit der linken Hand in Brusthöhe, was bedeuten sollte, dass die beiden Spitzel entlassen waren. Während sie zu Tür gingen sagte er leise, auf das Protokoll blickend. „Der roten Rosa werden wir ´s noch zeigen. Er setzte sich. Es kann doch nicht sein, dass Leute wie diese Rosa Luxemburg einfach die Obrigkeit öffentlich beleidigen. Breitner war empört.

    Was für Auswüchse heutzutage, dachte er. Wie war ´s früher doch so viel gemütlicher. Alles hatte seine Ordnung, alles lief seinen gewohnten Gang. Der König war der König, der Priester der Priester, es gab den Adel und es gab das einfache Volk, Militär und Polizei wurden respektiert. Und heut'? Lauter dahergelaufene Möchtegernpolitiker, sogenannte Volksvertreter, die dem einfachen Mann auf der Strass´ das Blaue vom Himmel versprechen und sie verrückt machen mit ihrem Geschwätz. Parteien, überflüssig wie ein Kropf. Und dann die ganzen Ausländer in der Stadt, vor allem in Schwabing. Gesindel die meisten, arbeitsscheues Gesindel, nichts weiter. Künstler, lächerlich. Was da so einige als Kunst verkaufen, grauenhaft. Dieser Franz Marc, zum Beispiel. Oder dieser August Macke. Und dann die lichtscheuen jungen Figuren im Dunstkreis von diesem Stefan George, diesem Männer liebenden Poeten. Nun, der Thomas Mann, viel bekannter als all die anderen, ist ja recht umgänglich und ein angesehener Bürger. Ebenso Oscar Maria Graf, und auch der sympathische Ludwig Thoma. Aber der Rest? Nur alles Sympathisanten der Linken, alle Vaterlandsverräter! Man wird sie im Auge behalten müssen!

    Alex Breitner griff zum Telefon. „Geben sie mir den Chefredakteur der Münchener Neuesten Nachrichten, dringend, befahl er. Als er mit dem leitenden Redakteur verbunden war sagte er: „Ich hab´ da was für Sie. Das Protokoll der SPD-Versammlung von heute. Ich lass es Ihnen per Boten rüber schicken.

    Es herrschte eine eigenartig nervöse Stimmung in der bayerischen Metropole. Man spürte eine allgemeine Anspannung von der niemand hätte die Ursache benennen können. Es waren nicht die gut besuchten Versammlungen der Arbeiterbewegung, welche verständlicherweise das bürgerliche Lager beunruhigten, an die hatte man sich gewöhnt; und man fühlte sich stark genug den wenigen extremen Randgruppen Paroli bieten zu können. Es waren auch nicht die immer wieder auftretenden Spannungen zwischen den einzelnen anderen politischen Parteien. Es war auch nicht der Wandel durch den allenthalben sichtbaren Fortschritt, der für viele eine Veränderung

    Gefällt Ihnen die Vorschau?
    Seite 1 von 1