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Das Geheimnis der Glashütte
Das Geheimnis der Glashütte
Das Geheimnis der Glashütte
eBook374 Seiten5 Stunden

Das Geheimnis der Glashütte

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Über dieses E-Book

Durch die Intrigen eines Grafen verloren die Brüder Johann und Heinrich die väterliche Glashütte. Seitdem schmuggeln sie Pottasche über die bayerisch-böhmische Grenze. Eines Tages begegnet ihnen das Waisenmädchen Bärbel. Sie verliebt sich sofort in Johann, ohne dass es dieser bemerkt. Um den Grafen doch noch zur Rechenschaft zu ziehen, begibt sich Johann auf eine abenteuerliche Reise quer durch Deutschland und Frankreich. Wird Bärbel auf ihn warten?

Theo Auer entführt in diesem mitreißenden und spannenden Roman den Leser in die Zeit der Koalitionskriege. Er beschreibt das Alltagsleben im 18. Jahrhundert und gewährt sogar Einblicke in die Machenschaften am französischen Hof.
SpracheDeutsch
Erscheinungsdatum9. Feb. 2017
ISBN9783475546310
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    Buchvorschau

    Das Geheimnis der Glashütte - Theo Auer

    Glossar

    I

    Vom »Schwirzen«

    Schimpfend und fluchend rutschte mein Bruder Heinrich auf dem Moos hangabwärts. Mit knapper Not konnte er sich an einer Wurzel festklammern und wieder hocharbeiten. Ich wartete auf ihn und schnappte nach Luft wie ein Fisch auf trockenem Land.

    »’s geht schon noch, Heinrich«, feuerte ich ihn an. Er war ein Bär von einem Mannsbild und hatte Kraft wie ein Ochse. Aber Laufen, gar Bergauflaufen, nein, das war nicht seine Stärke. Es war nicht mehr weit ins Bayerische, aber mit einem halben Zentner Pottasche auf dem Rücken und auf der Flucht vor den böhmischen Zöllnern, da hatte der Spaß ein Loch. Ums Haar hätten sie uns eingefangen dort unten am Teufelssee. Wir hatten uns bereits in Sicherheit gewähnt. Denn unser Kauderer, der Eibl-Hias, hatte uns erklärt, dass die Zöllner heute auf der Arberseite, dem Stangenruck zu, patrouillieren würden. Prustend und hechelnd ging es weiter bergauf.

    Dann sahen wir sie endlich, die weiß-blauen Stangen: die Grenze! Noch ein Stück hinüber in ein wildes Staudengebüsch, da sahen wir die Zöllner heranstapfen. In ihren schweren, grün-braunen Uniformen spähten sie herüber, machten aber keine Anstalten, weiterlaufen zu wollen.

    Wenn sie uns weiter verfolgt und uns womöglich auf der bayerischen Seite geschnappt hätten, so hätte uns das auch nichts genützt. Kein Hahn hätte danach gekräht, hätten sie uns ins Böhmische verschleppt und eingesperrt. Aber sie nahmen Zunder und Pulver von den Pfannen ihrer Donnerbüchsen und verschnauften, bevor sie zurück ins Böhmische marschierten.

    Mein Bruder und ich waren »Schwirzer«. So nannte man hierzulande die Schmuggler, weil man sich, um unerkannt zu bleiben, auf der Tour das Gesicht mit Ruß schwärzte. Zwei Dinge waren es im Wesentlichen, die über die Grenze nach Böhmen geschmuggelt wurden. Das war zum einen Salz. Böhmen war ein salzloses Land. Und zum anderen war es Pottasche. Die Pottasche brauchten die Glasmacher zur Glasproduktion. Und davon konnten sie nie genug haben. Der Salzschmuggel war zwar das bessere Geschäft, aber da kamen kleine Leute wie wir nicht dran.

    Der Salzschmuggel war längst in festen Händen. Mit einem halben Zentner – und mehr konnte man zu Fuß nicht so weit tragen – war da nichts anzufangen. Dieses Geschäft hatten die hohen Herren fest im Griff. Sie betrogen da zwar ihren eigenen Kurfürsten, aber das war ihnen ziemlich egal. Umso mehr freuten sie sich, wenn sie einen kleinen Schwirzer in Eisen legen lassen konnten. Der Salzschmuggel war eine Domäne der Herren von Nothafft in Runding oder der Rabensteiner im Zwieseler Winkel.

    Dass ich ein Schmuggler wurde, hatte seinen Grund darin, dass man anders in diesen Zeiten kaum Geld verdienen konnte. Das Geld im bayerischen Land war wie ausgekämmt. Selbst der Kurfürst hatte, wie man hörte, einen Haufen Schulden. Aber dem war das wohl egal. Er brauchte ja nur die Steuern und Abgaben erhöhen. Und das tat er auch, in diesem Jahr des Herrn 1795.

    Ich war gelernter Glasmacher. Das hatte ich vom Vater, der unter dem Arbersrigl, im Stangenruck-Gebiet, eine große Glashütte betrieben hatte.

    In einer Glashütte wurde damals aber keineswegs nur Glas erzeugt. Eine Glashütte versorgte ihre Mitarbeiter und deren Familien mit allem, was man zum Leben brauchte. Sie war also gleichzeitig Landwirtschaft, Getreidemühle, Bäckerei, Schmiede, Metzgerei, Fischerei, Schneiderei, Schusterei, ja selbst eine arzneikundige Person durfte nicht fehlen. Nicht zu vergessen das Recht zum Bierbrauen. Ohne einen ordentlichen Rausch zur rechten Zeit waren viele der Arbeiter auf die Dauer in der Abgeschiedenheit einer Glashütte nicht zu halten. So ein Hüttenherr war damals schon jemand!

    Später waren wir in Bodenmais, wo uns der Bergamtsverwalter Schmid mit Heimtücke und böser List schließlich von Haus und Hof vertrieb. Mein Vater starb darüber. Meine Mutter hatte als Inhäuslerin, als Dienstmagd, beim Böhm, einem Oberrieder Bauern, nur ein mühsames Fortkommen.

    So haben wir neun Kinder geschaut, dass wir der Mutter bald nicht mehr auf der Tasche gelegen haben. Zu Anfang habe ich als »Eintragbub«, wie man das nannte, verschiedene Hilfsdienste in der Bodenmaiser Glashütte verrichtet. Später habe ich dort als Glasbläser gearbeitet. Aber Geld hab ich da so gut wie nie gesehen. Ein Ganserl oder einen Scheffel Korn hab ich gekriegt. Und wie oft ich nachfragen musste, bis ich es gekriegt hab! Dabei bin ich noch nie ein Faulenzer gewesen. Das Arbeiten haben wir Kinder alle gelernt. Aber der Bergamtsverwalter hat mich immer öfter spüren lassen, dass ich »dem Hainz seiner« bin. Der Sohn des Mannes, den er vertrieben hatte.

    Mit siebzehn hab ich ihm die Arbeit vor die Füße geworfen und mein Bündel gepackt. Dann war ich als Aschenbrenner beim Balthasar Frisch von der Lohberger Glashütte. Dort erhielt ich doch im Monat, neben Kost und Naturalien, einen Gulden und 48 Kreuzer Lohn. Das war damals schon viel, denn Bargeld war eine rare Sache. Im ganzen Bayernland.

    Beim Aschenbrennen hat man die umgestürzten Bäume zu Asche verbrannt, aus der dann die Pottasche gewonnen wurde. Ich kam bald auf die Idee, das Geschäft selbst zu machen. Die Glashütten auf der böhmischen und der bayerischen Seite wurden immer mehr und konnten gar nicht genug Pottasche bekommen. Der Zentner kostete hier im Bayerischen fünf Gulden, im Böhmischen aber bereits neun Gulden und achtzig Kreuzer. So kann man sich leicht ausrechnen, wie lange ich auf der Glashütte hätte schaffen müssen, um den Verdienst zu erreichen, den mir eine Tour ins Böhmische einbrachte.

    Für dieses Mal waren wir den Zöllnern entwischt. Richtig gesehen hatten sie uns überhaupt nicht. Die Hänge zum Teufelssee hinunter waren eine echte Wildnis, wo man schon auf zwei, drei Schritte an jemanden herankommen musste, um ihn richtig zu erkennen.

    Dies war, neben dem Eisenbach, dem Weißriegel und dem Osser, die beste Schwirzertour. Aber warum waren heute die Zöllner da? Die Tipps des Eibl aus der Lam, von dem wir unsere Pottasche hatten, waren bisher immer gut gewesen. Er hatte Beziehungen ins Böhmische. Seine Base hatte einen Böhmischen geheiratet. Und diese Kontakte wusste er zu nutzen. Am Ende auch gegen uns? Das musste ich noch herausfinden. Aber vorher wollte, nein musste ich ein weiteres Mal ins Böhmerland. Wir wollten ja unsere Pottasche, die wir jetzt notgedrungen wieder auf die bayerische Seite der Grenze herübergeschleppt hatten, drüben an den Mann bringen. Eine halbe Stunde blieben wir noch im Unterholz, nachdem die Schritte der abziehenden Zöllner verklungen waren. Vorsichtig nach allen Seiten schauend krochen wir schließlich heraus.

    »Was jetzt?«, fragte der Heinrich.

    »Wir gehen durch die Seewand hindurch und hinüber zur Eisendorfer Hütte.« Das war zwar viel mühsamer, aber in jedem Fall sicherer. Selbst wenn die Zöllner damit rechneten, dass wir noch einmal hineingingen ins Böhmische, dann würden sie keinesfalls in die Seewand einsteigen. Die Seewand über dem Teufelssee ist zwar keineswegs eine blanke Felswand, sondern ein steiler Abhang, der mit Felsbrocken und umgestürzten Bäumen übersät ist. Aber es war dort mühsam und gefährlich genug. Zumal mit dem schweren Sack kamen wir immer wieder aus dem Gleichgewicht und ins Straucheln.

    Es war schon heller Mittag, als wir Eisenstraß erreichten, die erste Ortschaft im Böhmischen. Beim Prunner kehrten wir ein. Zu einem Krug Scheps, dem landläufigen Dünnbier, kauten wir unsere Brotkrusteln und hörten, dass die Zöllner schon seit einer Woche am Teufelssee patrouillierten. Und das sollte dem Eibl entgangen sein?

    »Heinrich«, sagte ich, »ich möchte fast glauben, dass uns der Eibl absichtlich zum See geschickt hat.«

    Der Heinrich machte ein ungläubiges Gesicht. »Warum sollte er denn das tun?«

    Viel konnte ich dazu nicht sagen. Ich hatte halt so meine Vermutungen. Am Ende wollte er das Schwirzen selber in die Hand nehmen? Möglicherweise war ihm der Verdienst als »Kauderer«, das war ein Aufkäufer, ein Zwischenhändler für die Pottasche, nicht mehr genug?

    »Weißt, Heinrich«, erklärte ich meinem jüngeren Bruder, »wir werden ihn einfach zur Rede stellen. Dann sehen wir schon, was passiert.«

    »Wie du meinst«, gab er zurück. Heinrich war ein starker und seelenguter Kerl. Aber den Finessen und Hinterhältigkeiten böswilliger, habgieriger Leute war er nicht gewachsen. Vielleicht deshalb, weil er sich selber keinerlei Gemeinheiten ausdenken konnte. Er meinte, dass alle Leute so gutwillig wären wie er selber.

    »Es ist Zeit«, sagte ich, »wenn wir abends wieder zurück sein wollen, dann müssen wir weiter!« Wir bezahlten die zwei Kreuzer für das Dünnbier und marschierten weiter zur Eisendorfer Glashütte, wo wir vor dem Haus des Hüttenherrn unsere Säcke abstellten. Vier Kinder zwischen sechs und zwölf Jahren rannten heraus und sprangen um uns herum.

    »Die Schwirza, die Schwirza, die Schwirza, die san da!« So riefen und sangen sie. Für die Kinder waren wir Abenteurer und geheimnisvolle Leute. Was ja auch nicht ganz unrichtig war. Obwohl ich es nie so angeschaut habe. Für mich war es eine, ja die einzige Möglichkeit, relativ schnell zu Geld zu kommen.

    Ziegler, der Hüttenmeister, kam von der Glashütte herüber. »Setzts euch, Boum«, rief er, und wir ließen uns auf der Bank vor dem Haus nieder.

    »War recht schwer heut, Hüttenmeister!« Der Heinrich schnaufte tief durch. »Hätten uns fast erwischt!«

    Der Ziegler rang die Hände. »Es ist ein Kreuz. Seit drei Tagen ist der Glasofen schon kalt, weil ich keinen Fluss mehr hab.«

    Fluss, das ist ein anderes Wort für die Pottasche. Die Glasmacher nennen es so, weil die Pottasche der Zusatz bei der Glasproduktion ist, der das Gemenge schmelzen lässt, »in Fluss« bringt.

    »Viermal in der letzten Woche haben die Zöllner Fluss-Schwirzer abgefangen. Aber ich hab mir gesagt, der Johann und der Heinrich, die Hainz-Buben, die lassen sich nicht fangen.«

    Ich nickte. »Beinah hätten sie sich doch fangen lassen. Aber daran sind nicht wir schuld, und auch die anderen nicht, die erwischt worden sind. Weißt, wer das war, die da aufgegriffen worden sind?«

    Der Hüttenmeister brummte: »Freilich weiß ich’s. Der Groner mit seinem Buben, der Grassl-Johann vom Hoisl-Hans und der Fechter mit seine Inhäusler. Zusammen fünfeinhalb Zentner Fluss.«

    Ich schaute zum Ziegler hoch, der vor mir stand. »Den Kauderer kenn ich, für den die alle geschwirzt haben. Und wo hat man sie erwischt?«

    »Alle am Teufelssee. Wieso die alle grad da hinunter gegangen sind, wo justament die Zöllner gewartet haben?«

    »Ich glaub, dass ich schon eine Ahnung hab. Was zahlst denn?«

    »Ich hab schon einen Buben nach Eisenstein hinübergeschickt. Aber die wollen fünfzehn Gulden für den Zentner. Da kann ich gleich zumachen.«

    Jetzt ging mir ein Licht auf! »Weißt, Ziegler, so unverschämt will ich nicht sein. Aber zwölf Gulden musst schon zahlen.«

    Er schlug die Hände über dem Kopf zusammen. »Ein Sündengeld, aber was soll ich machen? Ich bring’s euch raus.«

    Zwölf Gulden zahlte er uns getreulich auf die Hand. Der Heinrich hat seinen Mund gar nicht mehr zugebracht. Das war für einen Inhäusler der Lohn für ein ganzes Jahr harte Arbeit.

    »Wollts über d’ Nacht bleiben, oder müsst ihr gleich zurück?«

    Es war der Brauch, dass die Schwirzer, wenn nötig, umsonst ein Nachtquartier und ein Abendessen bekamen.

    »Wir wollen mit einer Brotzeit zufrieden sein, Ziegler, wollen heut noch zurück.«

    »Auch recht«, meinte er, rief seine Frau und hieß sie uns eine Mahlzeit vorbereiten. Nachdem wir geschmaust und des Hüttenmeisters gutes Bier getrunken hatten, machten wir uns wieder auf den Weg.

    »Heinrich«, sagte ich nach einer Weile, »merkst was?«

    »Jaja«, gab er zurück, »du hast den Ziegler ganz schön übers Ohr gehauen.«

    »Ach Unsinn, der war im Grunde froh, dass er nur zwölf Gulden hat zahlen müssen. Die anderen hätten ihm fünfzehn abgenommen. Hast es doch selber gehört. Nein, ich mein’ was anderes!«

    Heinrich marschierte neben mir her, ohne den Kopf zu heben. Er war mir ernsthaft böse. Seiner Meinung nach hatte ich dem Ziegler zu viel Geld abgenommen. »Was hätte ich denn sonst merken sollen?«

    Ich stieß ihn in die Seite. »Mensch, Heinrich! Hintereinander vier Schwirzer abgefangen! Überleg doch! Und alle am Teufelssee! Und alles Schwirzer vom Eibl! Merkst immer noch nix?«

    Es riss ihn herum. »Holla, du meinst doch nicht, dass uns der Eibl wirklich absichtlich dorthin geschickt hat? Warum denn?« Der Heinrich war in seiner Gutmütigkeit wirklich zu begriffsstutzig.

    »Weil dann die Preise steigen. Darum! Ich wette mit dir, dass er ganz dumm schaut, wenn wir daherkommen, und ich wette nochmals, dass er dann keine Pottasche für uns zum Schwirzen hat!«

    Es war schon ein besonderer Anblick, wie dem Heinrich nun der Kamm schwoll. »Du meinst also, er will die Preise hochtreiben und dann das Schwirzen selber übernehmen?«

    »Dass er das selber übernimmt, glaube ich eher nicht. Aber die Kauderer werden halt keine freien Schwirzer mehr zulassen wollen. Die werden ihre eigenen Schwirzer losschicken, damit sie diesen Verdienst auch noch in die eigene Tasche schieben können.«

    Heinrich schnaubte. »Das werden wir ihm abgewöhnen. Uns an die Böhmen zu verraten! Den kauf ich mir!«

    Jetzt musste ich ihn wieder bremsen. Wenn sich der Heinrich jemanden »kaufte«, dann war das für den Betroffenen gewöhnlich recht schmerzhaft. Ein blutig geschlagener Schädel war da das Mindeste. Aber so etwas konnten wir momentan überhaupt nicht gebrauchen. Außerdem war der Eibl-Wirt in der Lam ein angesehener Bürger und wir beide nur zwei dahergelaufene Schwirzer. Wie schnell konnte man da mit dem Landrichter in Kötzting Bekanntschaft machen. Darauf hatte ich gar keine Lust.

    »Weißt, Heinrich, es nützt uns gar nichts, wenn wir den Eibl grün und blau schlagen, wir müssen das anders anfangen. Im Grunde tut er uns ja einen Gefallen!«

    Der Heinrich schaute mich verblüfft an. »Einen Gefallen? Ja wie denn das?«

    »Wir haben jetzt an die fünfundzwanzig Grenzgänge hinter uns. Was glaubst du, wie viel Geld wir in der Zwischenzeit verdient haben?«

    Mein Bruder musterte mich neugierig. »Weiß nicht, das Geld hast ja du in Verwahrung.«

    »Es sind jetzt 123 Gulden. Zwanzig haben wir der Mutter hinübergebracht.«

    »Öha, das ist aber ein Haufen Geld!«

    Ich dämpfte seine Begeisterung. »So viel Geld ist das noch gar nicht. Aber für das, was ich vorhabe, könnte es reichen.«

    Der Heinrich war ein einziges Fragezeichen. »Und was tun wir dann?«

    »Weißt Heinrich, die Mutter hat uns Lesen, Schreiben und Rechnen beigebracht. Das können wir jetzt bald brauchen.«

    Heinrich verstand immer noch nicht. »Pass auf, wir fangen jetzt ein eigenes Geschäft an. Das Geld langt für einen großen Eisentiegel, in dem wir unsere Pottasche sieden können, und einen Kalzinierofen bauen wir uns selber. Wir werden jetzt selbstständige Aschenbrenner. Selber brennen und sieden – und schwirzen tun wir unsere War’ auch noch. Dann können wir richtig Geld verdienen. Und dann reicht es auch einmal für eine große Anklag gegen den Bergamtsverwalter, der unserm Vater und uns so bös mitgespielt hat!«

    Das war eine lange Rede für mich. Ich bin sonst kein Mann vieler Worte. Aber den Bergamtsverwalter von seinem hohen Ross herunterstoßen, das war eine Sache, für die ich mich begeistern konnte. Wir hatten den Betrug schon ein paar Mal vor das Pfleggericht in Viechtach gebracht. Aber unsere Klage wurde überhaupt nicht zugelassen, geschweige denn verhandelt. Der Bergamtsverwalter Schmid, der doch als Repräsentant des kurfürstlichen Bergamtes auftrat, hatte genug Einfluss, um die Klagen immer wieder abweisen zu lassen. Arme Leute wie wir hatten die Prozesskosten im Voraus zu erlegen. Eine Untersuchung durch das Bezirksgericht in Straubing, wohin die Macht des Bergamtsverwalters nicht reichte, würde uns etliche Hundert Gulden im Voraus kosten.

    »Wenn uns die Arbeit gar zu viel wird, dann holen wir uns noch den Sebastian und den Sepperl. Das schaffen wir schon!«

    »Aber wir haben doch keinen Wald und nicht einmal das Recht zum Aschenbrennen«, gab der Heinrich zu bedenken.

    Ich wies mit der Hand um mich herum. »Ist das nicht Wald genug? Genug für uns alle? Und überhaupt, ich will ja keinen Waldfrevel begehen. Nein, da wo sonst keiner hinkommt, weil es zu mühsam oder zu gefährlich ausschaut, da brennen wir die abgebrochenen und faulen Bäum’ ab.«

    Der Heinrich schaute mich zweifelnd an. »Und wenn uns die Aschenbrenner von den Glashüttn erwischen?«

    »Da, wo wir brennen, da sind keine anderen! Wir gehen in die Wildnis, hinter den Osser, auf Hammern zu.«

    Mein Bruder war noch nicht überzeugt. Aber ich fand, dass wir die Bosheit und Habgier der Kauderer für unsere eigenen Zwecke nutzen sollten. Wenn diese die Preise hochtreiben wollten, dann sollte uns das nur recht sein. Wir produzierten unsere Pottasche dann selbst und konnten die Kauderer immer unterbieten. Dabei würden wir trotzdem noch gut verdienen. Es war mir klar, dass sie versuchen würden, uns zu bekämpfen. Aber wir würden uns unserer Haut schon wehren.

    Inzwischen waren wir längst wieder im Bayerischen. Beim Hoisl-Hans in der Sommerau bewohnten wir ein aufgelassenes Inhäusl. Die Bauern im Lamer Winkel hatten harte Zeiten durchzumachen. Manches Inhäusl stand leer, weil die Bauern so viele Ehhalten gar nicht mehr versorgen konnten. Für einige Kreuzer im Jahr durfte man ein solches Häusl bewohnen. Die Einrichtung war natürlich recht primitiv. Für die Erhaltung musste man auch selbst sorgen.

    Über die Einöde Oberhaiderberg stiegen wir hinab zur Sommerau. Es war ein mühsames Gehen. Über Wurzelstöcke und wüstes Dickicht kamen wir immer weiter bergab. Es dunkelte schon, als wir schließlich unsere kleine Hütte erreichten. In der Herdstatt war noch etwas Glut vom Morgen, und bald flackerte ein gemütliches Feuer, das uns wärmte und unsere Nachtsuppe zum Sieden brachte. Steinmüde wie ich war, schlief ich auf meinem Strohlager mitten in meinen Überlegungen für die Zukunft ein.

    Am Morgen war es unangenehm kühl. Ich schlüpfte unter meiner Decke hervor und fröstelte ordentlich, bis ich mit einigen Birkenspänen das Feuer von Neuem in Gang gebracht hatte. Allmählich wurde es wieder warm in unserer Behausung.

    Sie bestand aus rohen Balken und Brettern, deren Ritzen mit Lehm und Moos abgedichtet waren, und hatte nur einen einzigen Raum. Darin standen zwei primitive Bettstellen, wo eine Schütt Stroh mit einem Rupfentuch überdeckt war. Die große Herdstelle war aus Feldsteinen errichtet und mit Lehm verfugt. Die Fenster wurden mit Tuch oder Ziegenleder verhängt. Im Winter wurden sie einfach zugenagelt. Der Schnee lag hier ohnehin oft bis über die Fenster hinauf. Dann war es drin mollig warm. Nur das Dach musste immer wieder abgeschaufelt werden, damit es nicht unter der Schneelast zusammenbrach.

    Aber noch war es nicht so weit. Jetzt, Mitte September, waren nur die Nächte empfindlich kühl. Im Wald wurde es nun wieder angenehmer. Die lästigen Mücken- und Fliegenschwärme, die im Hochsommer den Aufenthalt dort zu einer echten Qual machen konnten, verschwanden allmählich. Heinrich, dieser Halunke, blinzelte unter seiner Felldecke hervor. Ich war sicher, er war längst wach und hatte nur gewartet, bis ich das Feuer wieder angemacht hatte.

    Zum Frühstück gab es eine Brühe mit Graupen. Die kochte ich ordentlich dick ein, damit zwei junge Burschen wie wir auch richtig satt wurden.

    Inzwischen wusch ich mich am Quellbachl, das hinter unserer Hütte ins Tal hinab zum Weißen Regen sprudelte.

    »Heinrich, du Faulpelz«, rief ich nach vorne, »raus, und wasch dir den Schlaf aus den Augen.« Da kam er schließlich angetappt.

    Nach dem Frühstück gürtete ich mein Wams und steckte mir das Terzerol in den Gurt. Ich hoffte ja, dass ich den Schießprügel nicht brauchen würde. Aber man konnte nie wissen. Ich zog die Jacke darüber. Wenn ich sie lose hängen ließ, konnte man die Waffe kaum sehen. Den Hirschfänger hatte ich ohnehin in meiner Hose.

    Der Heinrich wurde blass um die Nase. »Willst den Eibl erschießen?«, fragte er erschrocken.

    »Blödsinn«, gab ich zurück, »ich will mich nur meiner Haut wehren können, wenn es nötig sein sollte.«

    Dann marschierten wir hinaus in die Lam. Eine gute Stunde Wegs war es dorthin. Beim Eibl war die Gaststube schon offen. Aber es war noch kein Mensch da. Nun, wer hätte sich um diese Jahreszeit auch schon am Vormittag ins Wirtshaus setzen können. In der Lam gab es keine Müßiggänger. Wenn auch einige Schlitzohren und Gauner darunter waren, arbeitsam waren die Leute hier alle. Das ging hier im Waldland gar nicht anders. Der Winter war lang und hart. Und alle hatten schwer zu tun, um genug Lebensmittel für die eigene Versorgung zu beschaffen. Da konnte man keine Faulenzer durchfüttern.

    Wenn ab Dezember der Schnee oft bis zu vier oder fünf Fuß hoch lag, dann war selbst die Holzarbeit im Wald nicht mehr möglich. Die Stämme für die Holztrift mussten mit dem ersten und letzten Schnee herangeschafft werden.

    »Holla, Wirtschaft«, rief ich. Nun hörte man den schweren Schritt des Eibl, der auf seinen Holzschuhen heranpolterte. Ich schaute zur Türe, weil ich sein Gesicht sehen wollte, wenn er uns erkannte. Es war wirklich ein bemerkenswerter Anblick. Er stand in der Türe, riss Augen und Mund auf und starrte uns sprachlos an. Dann wechselte sein Gesichtsausdruck. Das schlechte Gewissen ließ ihn geradezu schrumpfen, und die Angst stand ihm ins Gesicht geschrieben. Er fing an zu stottern:

    »Ja is’ des … dass ihr heut doch … Das gibt’s doch …!?«

    »Was hast denn, Eibl? Was gibt’s denn net?«

    Er wand sich. »Ich hab halt nicht ’glaubt, dass ihr heut …«

    Ich fiel ihm ins Wort: »Wir kommen doch immer am Tag nach der Tour!«

    »Ach so, ja, … da hab ich grad gar nicht drangedacht.«

    Ich setzte gleich nach: »Weil’s so gut ’gangen ist, könntst uns gleich wieder einen Zentner geben. ’s Geld hab ich gleich mit’bracht.«

    Er verdrehte scheinheilig die Augen: »Würd euch ja gern was mitgeben. Aber ich hab nix. Ist rar worden in der letzten Zeit!«

    Ich ließ nicht locker: »Wann sollen wir denn dann wieder kommen?«

    Er schaute drein wie ein getretener Hund. Ich hab noch niemals jemanden so schlecht lügen gesehen. »Ich kann’s nicht sagen«, jammerte er, »vielleicht nächste Woch, vielleicht auch erst in vierzehn Tagen.«

    »Na gut«, gab ich ihm Bescheid, »wir schauen halt dann gelegentlich wieder vorbei.« Ich stand auf.

    »Tut das«, sagte er, sichtlich erleichtert, weil wir uns zum Gehen wendeten. »Wenn ich wieder was hab, dann geb ich’s euch natürlich.«

    Ich ließ den Heinrich vor mir hergehen und drehte mich in der Türe noch einmal um: »In der letzten Woch, Eibl, sind vier Schwirzer von den böhmischen Zöllnern gefangen worden, weil man sie verraten oder falsch geschickt hat. Diesen Denunzianten suchen wir jetzt. Ich bin sicher, wir werden ihn auch finden. Du kannst dir denken, was dem passiert!«

    Der Eibl schrumpfte noch weiter in sich zusammen und stotterte etwas hinter uns her. Aber wir waren schon draußen.

    Nachdem wir ein Stück vom Wirtshaus weg waren, hielt mich der Heinrich an: »Und was jetzt?«

    »Komm nur«, sagte ich, »wir müssen hinaus zum Vogl nach Kummersdorf.«

    Der Heinrich blieb stehen. »Was willst denn beim Vogl? Der is doch auf der Gant! Den hat doch der Landrichter von Kötzting!«

    »Auf der Gant« sagte man, wenn einer seine Schulden nicht bezahlen konnte, also Konkurs machte. Da kam es schon vor, dass ihn der Landrichter festhalten ließ, um auch den letzten Kreuzer ausfindig zu machen.

    »Der Vogl hat im letzten Jahr noch Aschen gesotten. Vielleicht hat sein Weib den Eisentiegel noch. Den könnten wir dann billig kriegen. Die ist sicher froh, wenn sie ein paar Gulden sieht!«

    Der Eisentiegel zum Pottaschensieden war ein recht teures Gerät. Das war ein starker, gehämmerter Eisenkessel, der ein ordentliches Feuer aushalten musste. Weil man ihn befeuerte, bis auch der letzte Tropfen Wasser aus der Aschenlauge verdampft war.

    So marschierten wir über Haybühel und Ottenzell hinaus nach Kummersdorf.

    »Sag bloß nix von dem Eisentiegel«, wandte ich mich an den Heinrich, »die darf gar nicht merken, dass wir deswegen gekommen sind.«

    Der Heinrich zuckte nur die Schultern. »Das Reden musst sowieso du übernehmen.«

    Die wenigen Getreideflächen in den Riedhügeln waren längst abgeerntet. Die Bauern waren nun dabei, die Kartoffeln zu graben.

    Das war ein mühsames Geschäft. Mit dem Erdäpfelpflug wurden die Bodenfrüchte an die Oberfläche gebracht, wo die Frauen und Kinder sie dann in die Körbe sammelten. Als wir noch Kinder waren, haben wir dabei oft geholfen. Danach haben wir der Mutter einen Korb voll, das war unser Lohn, nach Hause gebracht.

    In Kummersdorf war die Voglin dabei, die Kartoffeln mit der Hacke aus der Erde zu holen. So war es noch mühseliger und dauerte entsprechend länger. Das zeigte, dass man beim Vogl nicht einmal mehr eine Milchkuh besaß, die man hätte einspannen können.

    »Grüß dich, Voglin«, rief ich ihr zu, »hast noch zwei Hacken? Dann helf’ma dir!«

    Sie schaute zu uns herüber: »Ja da schau her, die Schwirzer wollen auch einmal was Richtiges arbeiten! Freilich, im Schupfen stehen noch a paar.«

    Wir gingen zu dem Anbau hinter dem Haus, wo das Werkzeug an der Wand lehnte. Ein paar Bodenhacken waren auch dabei. Wir nahmen uns zwei davon, zogen die Jacken aus und gingen hinüber zum Feld. Mein Terzerol hatte ich in die Jacke gesteckt. Die Voglin überließ uns das Aushacken und machte sich daran, mit den Kindern die Kartoffeln einzusammeln. Das tat ordentlich gut, einmal wieder richtig zuzulangen. Es war allerdings nicht nur eine Sache der Kraft! Man musste die Hacke schon mit Gefühl behandeln. Die Kartoffeln sollten ja nicht zerschlagen, sondern nur herausgeholt werden. Natürlich ging das mit uns beiden nun schneller voran. Nach einer Stunde waren wir den Einsammlern bereits um fünf Reihen voraus.

    »Tuts langsam, Buam«, rief die Voglin herüber, »ich geh jetzt Mittagessen herrichten. Sonst kommen die Kinder net nach.«

    »Ist schon recht.« Ich winkte ihr hinüber.

    Es dauerte nicht lange, bis sie uns hineinrief. »’s Essen ist fertig, kommts rein!«

    Wir gingen mit den Kindern hinüber zum Häusl, das oben auf der Höhe am Waldrand stand. Hinter dem Häusl stieg der Wald zum Hohen Bogen an. Wir ließen uns rund um den Tisch nieder, wo in einer Schüssel die gelben Schornbladl in einer fetten Soße schwammen. Die Arbeit hatte uns Appetit gemacht, und so hieben wir kräftig ein.

    »Hätt euch gern noch eine Milchsuppn gemacht. Aber die Kötztinger Gendarmen haben uns auch noch die Kuh aus dem Stall geholt. Ich weiß nicht, wie es noch weitergehen soll. Wenn’s meinen Paul nicht bald auslassen, wird’s schlimm. Im Novembrari soll ich noch vier Gulden ›Gült‹ aufbringen. Ich weiß nicht, wo ich’s hernehmen soll. Zahl ich nicht, vertreibens’ uns vom Hof! Wir sind’s ja vom letzten Jahr noch schuldig.«

    Verzweiflung klang aus ihrer

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