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Tausche gebügelte Ehe gegen Risiko
Tausche gebügelte Ehe gegen Risiko
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eBook315 Seiten4 Stunden

Tausche gebügelte Ehe gegen Risiko

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Über dieses E-Book

Zwei vor, eins zurück, einmal aussetzen, einen Mitspieler rauswerfen, selbst rausgeworfen werden, würfeln, warten auf die Sechs.
Mit ihrem Ehemann Erik war Hella im sicheren Kästchen angekommen, aber das Spiel war für sie gelaufen Sie war aus dem Rennen und im Abseits gelandet.
Anfang fünfzig akzeptiert Hella die alten von Konventionen bestimmten Spielregeln nicht länger. Sie trennt sich von ihrem Mann und der Villa und geht eine Liebschaft mit Naftali, einem Stadtstreicher, ein. Von nun an lässt sie sich von ihrem Herzen und ihren Hormonen leiten. Ihr Leben gerät dabei aus den Fugen und in Gefahr, aber nicht in Monotonie oder Stillstand. Nach einer Odyssee voller Leidenschaft, Ängsten und Zweifeln sieht sie Licht am Ende des Tunnels.
Darum handelt dieses Buch, von Holzwegen und Umwegen, bis Hella es endlich geschafft hat ans Ziel zu kommen und zu erkennen, was für sie das Richtige ist.
SpracheDeutsch
Herausgeberneobooks
Erscheinungsdatum23. Apr. 2018
ISBN9783742741257
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    Buchvorschau

    Tausche gebügelte Ehe gegen Risiko - Brigitte Körner

    1

    Ein Tag wie jeder andere, wenn Hella nicht dieser Pfeil getroffen hätte. Beim Frühstück ahnte sie noch nichts davon und vor allem nichts von den Folgen. Auch als sie das Haus verließ und ihrem Mann Erik „Tschüs!" zurief, war es wie jeden Morgen. Sie stieg auf ihr Fahrrad und machte sich auf den Schulweg. In Gedanken war sie schon bei ihrer Klasse, da hielt sie unterwegs etwas Unvorhergesehenes auf. Es war ein Plakat, das sie wie ein Magnet anzog. Es zog sie so in seinen Bann, dass sie nicht mehr weiterfahren konnte, sondern stattdessen mit solcher Wucht auf die Bremse trat, dass sie um ein Haar kopfüber über den Lenker gestürzt wäre. Es zwang sie anzuhalten und vom Fahrrad abzusteigen. Was sie erblickte, war nicht einfach irgendein Plakat von der Sorte, wie sie haufenweise an jeder Ecke herumhängen und die Stadt zumüllen. Es war nicht die übliche Werbung für Dinge, die sie nichts angingen und nichts mit ihr zu tun hatten. Was sie jetzt aufhielt, war eine Erscheinung der besonderen Art. Es traf sie ins Mark und ließ ihr Herz so laut klopfen, dass es in den Ohren dröhnte. Sie kniff die Augenlider zusammen und befahl sich ruhig zu bleiben und regelmäßig zu atmen. Sie drehte den Kopf mit einem Ruck in eine andere Richtung weg von dem Plakat, wandte sich aber gleich wieder zurück und spürte eine Welle des Glücks, die sie vom Kopf bis zu den Fußspitzen einhüllte. Sie hatte sich nichts eingebildet. Er war noch da, dieser braun gelockte Adonis auf dem Plakat. An ihm kam sie nicht vorbei. Nie in ihrem Leben bisher hatte sie so einen wunderschönen Mann gesehen, solch ein Bild von einem Mann. Verwirrt ließ sie ihren Blick hin und her wandern. Sein Gesicht war schmal und von dunkelbraunen Locken umrahmt. Die vollen, perfekt geschwungenen Lippen waren leicht geöffnet, als wollte er ihr etwas sagen. Es war nicht nur dieser verführerische Mund, der zu ihr sprach, es waren vor allem seine Augen. Sie hatten ein Blau, das Erinnerungen an Ferien am Mittelmeer wach rief, das warme Sommerabende heraufbeschwor, an denen man mit einem Glas Wein in der Hand auf der Terrasse irgendeiner Taverne saß, es war das Blau der Ägäis im Hochsommer. Sie flüsterten von Verheißung, brachten in Hella die viel beschworenen unbekannten Saiten zum Klingen, rührten etwas tief in ihrem Innersten an und erweckten es zum Leben. So ermuntert ließ sie ihre Augen mit großem Vergnügen weiterwandern. Was ihr da gegönnt wurde, war ein Genuss. Ihr Blick spazierte über den Hals bis zu den breiten Schultern, hin und her über diesen nackten, muskulösen Oberkörper. Makellos wie der Körper einer griechischen Statue, aber nicht kalt und steinern, sondern voll pulsierendem Leben, hocherotisch, geradezu animalisch.

    Was war da passiert, fragte sie sich erschrocken und betrachtete die Stücke von zerrissenen Fesseln, die an seiner Brust und seinem Waschbrettbauch herunterhingen.

    SEI WIE DU DICH FÜHLST

    stand am unteren Rand des Plakates. Der Mann war kein Jüngling mehr. Mag sein, dass er sie gerade deshalb so bezauberte, dass sie sich einbildete, seine Haare und seine Haut zu spüren, wenn sie ihn nur lange genug betrachtete. Sie schloss die Augen und sog die Luft ein. Erschrocken riss sie die Augen wieder auf.

    „Bloß nicht durchdrehen und auch noch seinen Duft schnuppern wollen! Es ist ja lachhaft, was hat mich denn erwischt?"

    Sie biss sich auf die Lippen und hörte, wie ihre Zähne knirschten. Es kostete Mühe sich aus dem Bannkreis dieses Mannsbildes wegzubewegen, ihm den Rücken zuzuwenden und sich auf das Fahrrad zu setzen. Mit aller Kraft trat sie in die Pedale ohne sich noch einmal umzudrehen.

    Den Vormittag in der Schule brachte sie hinter sich. Gedanken an den Plakatmann lagen auf Eis.

    Auf dem Heimweg lauerte er ihr wieder auf. Er brachte sie wie heute Morgen dazu das Fahrrad anzuhalten und abzusteigen, damit sie ihn in Ruhe betrachtete. Je länger sie ihn mit den Blicken abtastete, desto größer wurde ihr Verlangen. Wie gern hätte sie die Sehnen und Muskeln seiner Arme gefühlt, wie aufregend musste es sein diese vollen Lippen zu spüren. Wie lechzte sie danach ihren Kopf an seine Brust zu schmiegen und seinen Herzschlag zu hören. Ihr Puls lief auf Hochtouren, das Herz hämmerte und die Zunge klebte am Gaumen. Der Schweiß strömte am Rücken und dem Gesicht herunter und brannte in den Augen. Die Wimperntusche hielt dieser Attacke nicht stand. Sie verlief und verschmierte so sehr, dass sie alles wie durch einen dunklen Nebel sah.

    „Wenn du wüsstest, wie ich mich fühle, flüsterte sie, „beschissen, einfach beschissen.

    Nachmittags korrigierte sie zuhause in ihrem Arbeitszimmer eine Klassenarbeit und belohnte sich zwischendurch mit einer Pause, in der sie sich einen Tagtraum mit dem Plakatmann gönnte. Sie war nahe dran, seine braunen Locken zu ertasten. Leider durfte sie sich dafür nicht länger als dreißig Minuten zugestehen, der halbe Klassensatz war noch nicht benotet. Sie musste sich beeilen, wenn sie ein leckeres Abendessen zubereitet haben wollte, bevor Erik heimkam. Das war er nach seinem anstrengenden Arbeitstag gewohnt. Er verteidigte seine Prinzipien vehement und hatte sie auch schon bei der Entscheidung für Hella als seine passende Ehefrau beachtet.

    „Wie war dein Tag?", wollte Erik während der Abendnachrichten im Ersten wissen und knackte dabei mit den Fingerknöcheln.

    „Sehr schön."

    „Gab es was Besonderes?"

    „Alles wie immer."

    „Und das ist sehr schön. So ist es nun mal bei langweiligen Leuten." Wieder dieses Knacken.

    Hella überhörte die Frechheit und das Knacken und konzentrierte sich auf die Nachrichten. Vor dem Einschlafen im Ehebett sah sie ihren Plakatmann ganz deutlich vor sich, seine muskulösen Schultern, seine Brust und seine Arme, seine langen Beine. Mit strahlend blauen Augen schaute er von der Mauer herab. Er lächelte ihr so verheißungsvoll zu, wie nur er es vermochte, keine Frage, er meinte sie.

    Am nächsten Morgen fuhr sie etwas früher los als sonst. Sie wollte mehr Zeit für ihr Rendezvous haben. Schon aus der Entfernung erkannte sie ihn, um ein Haar hätte sie ihm gewunken. Im letzten Moment hielt sie sich zurück, das war doch albern, sie war kein Teenager mehr. Kurz vor dem Plakat stieg sie von ihrem Rad ab. Sie ging einige Schritte zurück und betrachtete das Mannsbild aus der Entfernung von einigen Metern. Sie besah ihn von oben bis unten und genoss jedes Detail. Wie gern hätte sie seine Muskeln unter dem festen Jeansstoff gefühlt. Sie legte den Kopf in den Nacken und sah ihm in die tiefblauen Augen.

    „Wenn ich ihn länger anschaue, legen diese Augen meinen Willen lahm und ich kann nicht weiterfahren. Nur jetzt nicht den Verstand verlieren!, redete sie sich zu. „Den Vormittag muss ich überstehen. Bis bald! Sie riss sich von dem Bild los und schwang sich aufs Rad.

    In der Schule arbeitete sie so entspannt wie lange nicht mehr. Sie kontrollierte in keiner Klasse die Hausaufgaben, es war ihr völlig gleichgültig, ob die einer gemacht hatte und ob die Schüler sie überhaupt verstanden hatten. Sie irritierten weder die Unruhe während des Unterrichts noch die Änderung des Stundenplans, die in der großen Pause von der Schulleiterin angeordnet wurde. Hella dachte nur an den unverschämt gut aussehenden Plakatmann. Nach der Schule traf sie ihn auf dem Heimweg wieder. Sie stellte sich ihm gegenüber und sog mit großer Wiedererkennensfreude sein Bild in sich auf. Zu ihrem Kummer fing es an zu regnen, zuerst leicht, bald heftiger. Erschrocken stellte sie fest, dass sich am oberen Rand das Papier ein wenig wellte.

    „Es muss etwas geschehen und zwar sobald wie möglich. Warum bin ich nicht gleich darauf gekommen? Ab morgen wird alles anders", murmelte sie zum Abschied und drehte ihr Rad herum.

    Hatte sie da eine Bewegung, ein Zucken seiner Muskeln gespürt? Oder zuckten nur ihre Hände? Sie schüttelte den Kopf und fuhr sich mit beiden Händen über die Augen. Ein letzter Blick und sie musste sich trennen. Unterwegs auf dem Nachhauseweg versetzte sie der Regen in die allergrößte Unruhe. „Wie lange kann mein wunderschönes Mannsbild diesen Regen verkraften? Hoffentlich nimmt er keinen Schaden bei diesem Wetter! Atemberaubend, wie andere Männer aussehen können."

    „Hörst du mir eigentlich zu?", wollte Erik beim Abendessen von ihr wissen.

    „Na klar", sagte sie.

    „Und wovon habe ich geredet?"

    „Von der Firma", sagte sie auf gut Glück.

    „Und was hältst du von dem ganzen Schlamassel?"

    „Du kriegst das schon hin", antwortete sie lahm.

    „Ihr Lehrer in eurem Elfenbeinturm habt ja keine Ahnung, wie es draußen in der freien Wirtschaft zugeht. So gut wie ihr hätte ich es auch gern."

    Diese Litanei kannte sie bis zum Abwinken. Noch mehr davon wollte sie sich nicht zumuten. Sie sah ihm zu, wie er mit einer raschen Handbewegung den Kronkorken seiner zweiten Bierflasche wegschnippte und sie zum Mund führte. Gläser nahm er nur, wenn Gäste da waren. Das waren dann eher Weingläser. Die Gäste sollten ihn für einen Weintrinker halten.

    „Wo ist unser Fotoapparat?", fragte Hella.

    „Da, wo er hingehört, in der Kommode. Wofür willst du ihn denn haben?"

    „Für ein paar Aufnahmen von meiner Klasse."

    Er sah sie über seine Lesebrille hinweg an und wiegte den Kopf hin und her. „Heute habe ich eine Überraschung für dich, ich glaube, das interessiert dich."

    „Was gibt`s denn?", fragte sie höflich.

    Erik langte über den Couchtisch und griff nach ihrer Hand.

    „Du hast mir doch mal von deinen echten Käthe-Kruse-Puppen erzählt. Wie sauer und gekränkt du warst, als dein Vater sie dir geklaut hat."

    „Daran kannst du dich noch erinnern?"

    „Und ob."

    „Ja und?"

    „Am Schwarzen Brett in der Kantine bietet jemand solche Puppen an. Willst du eine haben? Ich könnte sie kaufen."

    „Im Ernst? Das ist süß von dir. Danke. Sehr, sehr lieb. Sie war überrascht und musste schlucken. „Aber es sind nicht meine Puppen, nicht Ursel, Klaus und Margit. Wenn wir Kinder oder Enkel hätten, vielleicht. Aber trotzdem danke. Sie drückte und streichelte über den Couchtisch hinweg seine Hand.

    „Schade, ich hätte dir gern eine Freude gemacht. Sollen wir sie uns nicht wenigstens mal ansehen?"

    Sie schüttelte den Kopf. Das war wirklich lieb von ihm, dass er ihre Wunden aus der Kindheit lecken wollte. Allein, wie ernst Erik ihren Kummer nahm, rührte sie. Daran wollte sie heute im Bett denken, wenn er an sie heranrücken würde.

    Mitten in der Nacht wachte sie auf. Erik lag neben ihr und schnarchte, es kam ihr noch lauter vor als sonst. Bis zur Bettkante rückte sie von ihm weg. Seine Wärme, sein Geruch, seine Geräusche verhinderten, dass sie erneut einschlief. Stattdessen ließ sie ihre Vergangenheit Revue passieren.

    Damals auf dem Standesamt hatte sie nicht gelogen, höchstens ein bisschen. Sie wollte diesen Mann, der ihr gleich den Ring überstreifen würde, heiraten. Er würde in guten und schlechten Zeiten zu ihr stehen. Auf ihn könnte sie sich verlassen, so strebsam und bodenständig wie er war. Ob sie ihn liebte? Was ging das den Standesbeamten an? Unter Liebe versteht alle Welt etwas anderes. Diese alberne Verliebtheit wie in Teeniezeiten, meinte er die? Von Amts wegen sollte er ihnen für eine Ehe, nicht für eine leidenschaftliche Affäre Glück wünschen.

    Vor blinder Liebe hatte ihre Mutter sie schon, seitdem sie mit Puppen spielte, gewarnt. Ihr Vater ging fremd, wenn es sich ergab und hat es sogar zu einem außerehelichen Kind gebracht, zu ihrer Halbschwester. Kennen gelernt hatte Hella sie nie, die Gelegenheit dazu hatte sie bei seiner Beerdigung versäumt. Wenn Hella damals gewusst hätte, dass sie kommen würde, wäre sie auch zum Friedhof gefahren. Vielleicht war sie nett, Hella wusste nur, dass sie zehn Jahre jünger war als sie selbst und Johanna hieß. Johanna nach ihrem Vater Johann. Heute nahm sie ihr nicht mehr übel, dass der Vater ihr Hellas Puppen geschenkt hatte. Er tat es heimlich, der Feigling, weil er wusste, wie sehr Hella an ihren Käthe-Kruse-Puppen hing. Margit, Klaus und Ursel hatten echte Haare und sahen sie aus blauen Augen an, als würden sie alles verstehen, was sie ihnen anvertraute. Sie hatte sie gehegt und gepflegt und ihnen sorgfältig die Kleider, Schuhe, Jacken und Mützen an- und ausgezogen, die ihre Mutter genäht und gestrickt hatte. Und eines Tages waren sie verschwunden, ohne die allerkleinste Vorwarnung. Als sie wieder einmal mit ihnen spielen wollte und sie nach langer, gründlicher Suche nicht fand, fragte sie die Mutter, ob sie sie weggeräumt hätte. Ihre Mutter machte ein erschrockenes Gesicht und half beim Suchen. Aber nur kurz, dann ließ sie sich auf den Stuhl im Kinderzimmer sinken und presste zwischen zusammengebissenen Zähnen: „Dass er es wagt, dass er die Stirn hat", hervor.

    Sie sah Hella dabei nicht an. Heute noch hatte Hella das Bild ihrer Mutter vor Augen, wie sie mit hängenden Schultern auf dem Kinderstuhl kauerte. Ihre Augen stierten durch Hella hindurch ins Leere. Hella bekam es mit der Angst zu tun und traute sich nicht zu fragen, was die Mutter meinte. Eine Woche später kam sie dahinter. Sie lag schon im Bett und hörte, wie sich die Eltern stritten. Sie hasste diese Streitereien und wollte nichts davon mitbekommen. Jetzt spitzte sie aber die Ohren, denn es ging um sie und ihre kostbaren Puppen.

    „Sie spielt doch kaum noch damit, sagte der Vater. „Mit den Puppen habe ich sie schon lange nicht mehr gesehen. Aus dem Alter ist sie raus.

    „Wann solltest du sie auch sehen, so selten wie du zu Hause bist. Die Stimme der Mutter klang schrill. „Du glaubst doch nicht, dass ich für deinen Bankert gestrickt und genäht habe. Du machst vor nichts Halt. Es ist die Höhe.

    Hella hatte die Decke über den Kopf gezogen und nur noch ihr eigenes Schluchzen gehört. Sie kam auch nicht drunter hervor, als die Decke von ihren Tränen durchnässt war. Niemand sollte sie hören, der Vater nicht und die Mutter auch nicht.

    „Heirate um Gottes Willen keinen attraktiven Mann! Von allen Ratschlägen, mit denen die Mutter Hella bedacht hat, wurde ihr dieser am dringlichsten ans Herz gelegt. „Was hast du davon, wenn andere Frauen hinter ihm her sind? Hätte ich doch nur bei einem soliden Mann zugegriffen anstatt mich für einen Schaumschläger und Schönling wie deinen Vater zu entscheiden. Suche dir einen bodenständigen Mann, einen, der ein paar Jahre älter ist und sich schon die Hörner abgestoßen hat. Weiter wollte ihre Mutter in der sexuellen Aufklärung nicht gehen. „Hör auf deine Mutter, wiederhole nicht meinen Fehler! Ich habe bitter bereut und dafür gebüßt. Sei nicht so eine dumme Pute, wie ich es war!" Gewappnet mit diesen Ratschlägen wurde Hella erwachsen.

    Bei der Hochzeit glaubte Hella, dass sie alles richtig gemacht hätte. Erik war zwölf Jahre älter als sie, also ein Mann mit Erfahrung, wie er gern durchblicken ließ. Er war nicht wie ihr Vater, er hatte kein außereheliches Kind und ging nicht mal fremd. Da war sie ganz sicher, er war viel zu bequem für den Aufwand, zu dem er sich bei einem Seitensprung aufraffen müsste. Ihm reichte das eine Mal in der Woche mit ihr. Dass irgendeine Kollegin oder Mitarbeiterin Herzklopfen bekam, sobald sie in seine Nähe geriet, konnte sie sich nicht vorstellen. Es gab keinen Grund dafür. Er war nicht der Typ, der Frauenherzen höher schlagen ließ. Das tun die witzigen, schlagfertigen Männer, die mit ihrem Charme brillieren. Zu der Sorte zählte Erik nicht. Es machte keine Frau kribbelig, wenn er in ihre Nähe kam, wozu auch, was hätte Hella denn davon gehabt? Er war nicht hässlich, aber gut aussehend und anziehend ist anders. Das war er von Anfang an nicht, jedenfalls nicht, seitdem sie sich kannten. Er war gern zu Hause, im Wohnzimmer vor dem Fernsehapparat, aber auch in der Küche. Hin und wieder kochte er, vor allem für Gäste. Die waren dann hingerissen von seinem Menü. Ihr schmeckte es auch, aber bis es dazu kam, knirschte sie jedes Mal mehrfach mit den Zähnen. Um ihm beim Kochen nicht die Laune zu verderben, schluckte sie ihren Unmut hinunter und bat ihn nicht mehr, die Kartoffel- und Gemüseschalen in den Müll zu werfen, anstatt sie auf der Arbeitsplatte liegen zu lassen. Sie unterbrach auch ständig ohne aufzumucken die eigene Tätigkeit, wie aufräumen, Tisch decken oder ihre Arbeit am Schreibtisch, weil er weder die Gewürze noch die nötigen Utensilien sofort fand und von ihr verlangte, dass sie sie ihm suchte. Während der Vorbereitungen war er der Chefkoch und sie seine Küchenhilfe, die Rollenverteilung war eindeutig. Wenn er später von den Gästen für das leckere Essen gelobt wurde, freute Hella sich mit ihm. Es war schön einen Mann zu haben, der gut kochte. So ein Glück hatte nicht jede Frau.

    Erik hatte gute Seiten, im Laufe ihrer gemeinsamen Zeit hatte Hella sich das zunehmend vorgehalten. Vor drei Wochen hatte er ihr zum Fünfzigsten rote Rosen geschenkt.

    „Für deinen Mann bleibst du immer zwanzig", hatte ihr Bruder gesagt und auf den Strauß gedeutet.

    „Du hast gut reden, deine Frau hat im Juni Geburtstag, fuhr Erik ihn an. „Weißt du, was die jetzt kosten? Wenn Hella ebenfalls...

    Er sprach den Satz nicht zu Ende oder sie hatte nicht weiter zugehört.

    Erik lud sich das zweite Tortenstück auf den Teller, als Hella und ihr Bruder das erste zur Hälfte aufgegessen hatten.

    „Von dem Käsekuchen muss ich auch gleich probieren", verkündete er unbekümmert.

    Diesen Geburtstagsnachmittag hatte sie noch deutlich vor Augen. Sie wollte nicht feiern und hatte niemanden eingeladen. Ihr Bruder kam trotzdem zum Gratulieren auf einen Kaffee. Erik lästerte über zwei Kolleginnen, wie die aus der Form geraten wären. Dabei lachte er und sein Doppelkinn zitterte. Das konnte auch der gestutzte Vollbart nicht verstecken. Beim Käsekuchen machte er den obersten Knopf seiner Jeans auf. Seine Wampe quoll über den Bund. An ihrem fünfzigsten Geburtstag erschrak Hella, weil sie einen Anflug von Ekel verspürte, während sie ihrem Mann beim Essen zusah.

    „Mit diesem Tortenbauch will er sich heute Nacht bestimmt nicht auf mich legen", dachte sie und spürte so etwas wie Erleichterung.

    An ihrem Fünfzigsten stand eins für sie fest: Auf Sex hatte sie keine Lust mehr, definitiv. Trotzdem wollte sie sich ihrem Mann nicht verweigern, sondern sich der ehelichen Pflicht stellen, wenn auch mit zusammengebissenen Zähnen. Eine andere Entscheidung hatte sie bisher nicht zugelassen, es wäre ihr unfair und ungerecht vorgekommen. Wie hätte sie es denn erklären sollen, wie erklärt man so etwas einem Mann, der sich nichts zuschulden kommen lässt? Ihr Ehemann hatte einen guten Job und war treu. Im Übrigen war sie davon überzeugt, dass ihm nie der Gedanke gekommen war, ihre Ehe infrage zu stellen. Für ihn war alles in Ordnung. Zaghafte Kritik von ihr tat er mit dem Hinweis auf die Wechseljahre ab. Das machte sie dann so sauer, dass sie lieber den Mund hielt. Ihre Ehe sollte weitergehen wie gewohnt und wie bisher. Das wollte sie nicht gefährden, da schien es besser, ihn einfach machen zu lassen. Schließlich waren sie miteinander verheiratet. Und auch wenn sie keine Lust mehr auf Sex hatte, weil sie es nicht mehr lustvoll erlebte, so fand sie es doch nicht schlimm. Es als Zumutung zu bezeichnen, wäre übertrieben. Eine Zumutung war es für sie nicht, sie hätte es nur lieber gelassen. Wenn Erik seine Einmal-die-Woche-Nummer haben wollte, zogen sie das durch. Danach drehte sie sich zur Seite und versuchte schnell einzuschlafen. Er fiel sofort in seinen gewohnten Tiefschlaf und schnarchte Sekunden später. Darum hatte sie ihn jedes Mal beneidet.

    Am folgenden Morgen verließ Hella schon um Viertel nach sieben das Haus, obwohl sie die erste Stunde frei hatte. Der Regen hatte gestern Abend bald aufgehört, heute war der Himmel wolkenlos, das helle Morgenlicht schien für die Aufnahmen perfekt. Auf dem Weg zu ihrem Traummann zwang sie sich sein Bild vor ihren Augen wegzuwischen und auf den Straßenverkehr zu achten.

    „Du siehst ihn früh genug, beruhigte sie sich. „Und außerdem hast du bald selbst Fotos von ihm.

    Kurz bevor sie ihn erreicht hatte, erschrak sie zutiefst. „Um Gottes Willen, was war das denn?"

    Ein Kerl im Blaumann war drauf und dran sich an der Plakatwand zu schaffen zu machen. Er hatte schon eine Leiter davor aufgestellt und holte etwas aus seinem Wagen.

    „Halt!", schrie sie, so laut sie konnte.

    Erschrocken sah er sich um. Sie stoppte in voller Fahrt neben ihm.

    „Zuerst muss ich ein Foto machen, bitte geben Sie mir etwas Zeit!", stieß sie hervor.

    Der Mann sah sie erstaunt an. „Warum denn? Warum brauchen Sie davon ein Foto?"

    „Ich kann es erklären, stammelte sie und holte die Kamera aus der Tasche. „Es ist für ein Schulprojekt.

    „Aha. Das hat mir keiner gesagt. Viel Zeit habe ich aber nicht. Ich muss noch mehr Plakate in der Stadt kleben."

    „Es tut mir Leid, dass ich Sie aufhalte."

    „Wenn mich einer informiert hätte, hätte ich mit meiner Arbeit nicht ausgerechnet hier angefangen. Das passt mir jetzt gar nicht."

    „Bitte, seien Sie so nett!", flehte sie und drückte ihm zwanzig Euro in die Hand.

    „Na, das ist aber übertrieben, sagte der Plakatkleber und steckte das Geld ein. „Dann werde ich die Leiter erst mal wegstellen.

    Sie nickte ihm dankbar zu und versuchte ruhiger zu werden. Er zündete sich eine Zigarette an und lehnte sich neben seinem Auto mit dem Rücken zu ihr an einen Pfosten. Sie stellte sich ganz nah an das Plakat heran und betastete verstohlen die langen Beine von ihrem wunderschönen Freund.

    „Wie gut, dass ich so früh gekommen bin, als hätte ich es geahnt", flüsterte sie ihm zu.

    Sie machte die Fotos, eins nach dem anderen, von vorne, von rechts und von links. Sie holte die einzelnen Partien heran, seinen Kopf, sein Gesicht, seine Augen, seinen Hals, seine Brust, seine Arme, seine Hände, seine langen Beine in den Jeans. Sie trat einige Schritte zurück und nahm ihn im Ganzen auf, immer wieder.

    „Jetzt geh ich aber mal ran", schreckte sie die Stimme des Plakatklebers auf.

    Sie sah auf die Uhr. So spät war es schon? Da musste sie sich sputen, um rechtzeitig zum Unterricht zu kommen.

    „Danke, vielen Dank!", rief sie dem Plakatkleber zu, schenkte ihrem Mannsbild noch einen letzten Blick und trat in die Pedale.

    Den Unterricht brachte Hella wie eine Aufziehpuppe hinter sich. Beim letzten Klingeln verließ sie, so schnell es ging, das Schulhaus, schnappte ihr Fahrrad und fuhr wie gejagt nach Hause. Sie hetzte in ihr Zimmer, lud die Bilder auf den Laptop und dann auf einen Stick. Zum Betrachten gönnte sie sich dabei keine Zeit, sie sollten ja so schnell wie möglich entwickelt werden. Bevor sie mit dem Stick in der Tasche das Haus verließ, löschte sie alle Aufnahmen auf dem Fotoapparat. Diese Bilder gehörten nur ihr allein,

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