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Schinkengang: Eine Spur im Sand
Schinkengang: Eine Spur im Sand
Schinkengang: Eine Spur im Sand
eBook385 Seiten6 Stunden

Schinkengang: Eine Spur im Sand

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Über dieses E-Book

Diagnose Leukämie – Gaby von der Heydt erzählt in dieser sehr persönlichen Geschichte anschaulich vom Alltag im Krankenhaus und dem Kampf gegen ihre schwere Krankheit. Nach einer dramatischen Wende geht es plötzlich um Leben und Tod. Die große Unterstützung von Familie, Freunden und Gospelchor hilft ihr bei diesem schwierigen (Schinken-) Gang. Authentisch beschreibt sie ihre vielfach auch positiven Erfahrungen, ohne dabei ihren Sinn für Humor zu verlieren. Die Klinik wird fast zur Heimat, bevor sie sich Schritt für Schritt und mit großem Enthusiasmus ihr normales Leben zurück erobert.

Deutlich wird in dieser Geschichte, dass man die Hoffnung niemals aufgeben sollte. Die Autorin erlebt in dieser für sie schwierigen Zeit eine wahre Achterbahnfahrt der Gefühle. Wichtig ist für sie, dass ihr Arzt ihr immer wieder Mut macht und an die Regenerationskraft des Körpers glaubt. Die kleinsten Fortschritte haben eine essentielle Bedeutung, und plötzlich nimmt sie das Leben völlig anders wahr. Nur der Moment zählt.

Auch für Klinikpersonal ein durchaus erhellender Einblick in die Perspektive einer zeitweise komplett hilflosen Patientin. Insbesondere die Bedeutung des einfühlsamen Umgangs des Pflegepersonals mit den Patienten wird in dieser Geschichte offensichtlich.
SpracheDeutsch
Herausgeberepubli
Erscheinungsdatum3. Juli 2016
ISBN9783741829345
Schinkengang: Eine Spur im Sand
Autor

Gaby von der Heydt

1969 in Kiel geboren, absolvierte sie nach dem Abi eine Bankausbildung und arbeitete acht Jahre in einer Kieler Bank. Seit dem Jahr 2000 arbeitet sie (mit Unterbrechungen) in der Schuldnerberatung. Nach einer schweren Erkrankung entschloss sie sich, ihre Erfahrungen während dieser dramatischen und am Ende auch euphorischen Zeit zu veröffentlichen.

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    Buchvorschau

    Schinkengang - Gaby von der Heydt

    Impressum:

    Schinkengang – Eine Spur im Sand

    Oktober 2015

    5. Kapitel (1. Teil): Beate von der Heydt

    Coverdesign: Swantje Roersch

    Porträtfoto: Janosch Wanschura

    Vertrieb durch www.epubli.de

    ISBN 978-3-7375-6728-2 

    Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Jede Form der Vervielfältigung, in gedruckter oder digitaler Form, sowie das Verbreiten – auch in Ausschnitten - bedürfen der Genehmigung der Autorin. Die Namen der beteiligten Personen sind überwiegend geändert.

    Inhalt des Buches:

    Diagnose Leukämie – Gaby von der Heydt erzählt in dieser sehr persönlichen Geschichte anschaulich vom Alltag im Krankenhaus und dem Kampf gegen ihre schwere Krankheit. Nach einer dramatischen Wende geht es plötzlich um Leben und Tod. Die große Unterstützung von Familie, Freunden und Gospelchor hilft ihr bei diesem schwierigen (Schinken-) Gang. Authentisch beschreibt sie ihre vielfach auch positiven Erfahrungen, ohne dabei ihren Sinn für Humor zu verlieren. Die Klinik wird fast zur Heimat, bevor sie sich Schritt für Schritt und mit großem Enthusiasmus ihr normales Leben zurück erobert.

    Besonders für Klinikpersonal ein durchaus erhellender Einblick in die Perspektive einer zeitweise komplett hilflosen Patientin.

    Zur Autorin:

    1969 in Kiel geboren, absolvierte Gaby von der Heydt nach dem Abi eine Bankausbildung und arbeitete acht Jahre in einer Kieler Bank. Seit dem Jahr 2000 ist sie in der Schuldnerberatung tätig. Nach einer schweren Erkrankung entschloss sie sich, ihre Erfahrungen während dieser dramatischen und am Ende auch euphorischen Zeit zu veröffentlichen.

    06.04.2011:

    Es ist 21.00. Die Tür öffnet sich, die Ärztin kommt herein. „Es geht los", sagt sie. Mitgebracht hat sie einen großen Blutbeutel, den sie jetzt an den Infusionsständer hängt. 880 ml seien es, erzählt sie.

    Jetzt ist es also so weit. Auf die Knochenmarktransplantation bereite ich mich seit Monaten mental und praktisch vor. Nach ca. drei Monaten Aufenthalt im Städtischen Krankenhaus und vier Chemotherapien soll nun hier in der Spezialklinik der letzte Schritt zur Heilung erfolgen.

    Es ist still im Zimmer, draußen nächtliches Dunkel.

    Dunkelrot ist auch das Blut, ich muss spontan an Ochsenblut denken. Vor Jahren kaufte ich bei einem Antiquitätenhändler eine alte Holztruhe. Er erzählte mir begeistert, dass diese Truhe damals in Ochsenblut getaucht und somit bombenfest versiegelt worden sei. Seine Begeisterung sprang auf mich über und seither habe ich eine positive Assoziation, was Ochsenblut angeht.

    Ich stelle mir intensiv vor, dass dieses „Ochsenblut", nämlich Knochenmark, in mir ein kräftiges Immunsystem aufbaut und die Krankheit wirksam bekämpft. Kraftvoll sieht die Infusion aus und genauso soll sie auch wirken, bitte!

    „Haben Sie einen Glücksbringer?", fragt die Ärztin und blickt auf meine Hände, in denen ich das Geschenk meines Onkels halte. Ich erzähle, dass mein Onkel, der in Singapur lebt, mir bei seinem letzten Besuch diesen Talisman mitgebracht hat. Darauf zu sehen ist ein Drache, der mich beschützen soll. Ich finde, das passt doch gerade in diesem Moment.

    Einige Tage später: Mir machen immer noch die Nachwirkungen der Chemo zu schaffen, sprich mir ist oft übel. Die Schwestern sagen, das sei normal. Meine Schwester hat mir gesalzene Chips mitgebracht, die ich essen darf, ein Lichtblick.

    Von einem Bekannten bekomme ich heute eine Mail. Er schreibt, im letzten halben Jahr sei viel passiert. Da kann ich mithalten, denke ich.

    1. Kapitel:

    „Leben ist, was uns zustößt, während wir uns etwas ganz Anderes vorgenommen haben." Henry Miller

    25. November 2010:

    Ich komme ins Krankenhaus, es ist abends gegen acht, im Aufnahmezimmer stehen diverse Ärzte um mich herum und schauen besorgt. Ich bekomme Angst. Nach längerem Warten auf Blutwerte kommt eine junge Ärztin zu mir. Sie sagt: „Sie machen sich jetzt bestimmt ganz viele Sorgen und legt tröstend ihre Hand auf meinen Arm. Ich gucke sie fragend an. Sie meint: „Irgendwas stimmt nicht, und das müssen wir morgen genauer abklären. Mir wird das Herz noch schwerer. Die Ärztin redet noch eine Weile mit mir, dann gehe ich zu meinen Eltern und meiner Schwester, um sie zu informieren. Alle gemeinsam gehen wir zur Station, auf der ich in dieser ersten Nacht übernachten soll. Ein übereifriger Pfleger empfängt mich. Er will mir den kompletten organisatorischen Ablauf erklären. Ich bin nur müde und möchte meine Ruhe. In meinem Zimmer sind noch zwei weitere Frauen untergebracht. Es ist schon dunkel, alles wirkt sehr bedrückend. Ich nehme eine Schlaftablette, bin aber trotzdem morgens um vier Uhr wach.

    Am Vormittag erscheint ein Arzt, Dr. Graf, und lehnt sich an den Tisch gegenüber von meinem Bett. Er fragt: „Sie wissen, warum Sie hier sind? Ich nicke. Er fragt weiter: „Das Wort Leukämie ist sicher schon mal gefallen? Ich sage ja und denke, nein, bitte nicht. Dann erzählt er, dass der Oberarzt sich das Blut angesehen hat, und dass es sich bei meiner Krankheit zu 70% um Leukämie handelt. Ich sage stur: „70%, dann kann es ja auch noch etwas Anderes sein."

    Dann sagt er plötzlich: „Also, ganz ehrlich, ich glaube, es IST eine Leukämie."

    Ich bin sprachlos. Gucke ihn hilflos an. Er erklärt mir, es seien schon relativ viele kaputte Zellen im Blut, 30%. Ich weiß nicht, was ich sagen soll und frage schließlich: „Und woher kommt so etwas? „Tja, meint er, „wenn man nicht gerade in der Nähe eines Atomkraftwerkes wohnt, dann ist das einfach ein Schicksalsschlag!" Der Arzt klärt mich dann über den weiteren Verlauf auf. Er sagt, dass ich mindestens die nächsten acht Wochen hier bleiben muss und zwei Chemoblöcke bekommen werde. Ich frage, ob ich nicht mal Weihnachten nach Hause darf. Er antwortet, wahrscheinlich nein. Nach den acht Wochen wird es eine Pause von zwei Wochen zu Hause geben, anschließend folgen noch so genannte Erhaltungs-Chemotherapien. Ich habe Mühe, das alles zu erfassen.

    „Das war immer mein größter Horror, sage ich nachdenklich, „eine Chemotherapie machen zu müssen. „Das ist für jeden der größte Horror", antwortet Dr. Graf.

    Meine Bettnachbarin erzählt, dass sie sich über jedes Jahr freut, welches sie noch erlebt (Inzwischen habe ich erfahren, dass sie ein relativ großes inoperables Geschwür im Bauch hat). Mir wird ganz anders. Dr. Graf sagt daraufhin sehr bestimmt, dass es in meinem Alter für die Ärzte nur ein Ziel gibt: Heilung! Das beruhigt mich ein wenig.

    „Sie wirken auf mich gar nicht wie eine Leukämie-Patientin, bemerkt er dann noch und erzählt, dass diese Art von Patienten oft mit Lungenentzündungen oder ähnlichen Krankheiten eingeliefert werden. „Und Sie wirken so fit auf mich. Meine Hausärztin hatte vor einigen Tagen noch zu mir gesagt: „Sie sehen aus wie der Tod auf Latschen!" Alles ist relativ.

    Jedoch führt seine Aussage dazu, dass ich ihm die Diagnose nicht glaube. In der letzten Zeit hatte ich häufig Probleme mit Durchfall und Magenkrämpfen, woraufhin ich schließlich zu meinem Internisten gegangen bin. Er plante eine Magen- und Darmspiegelung. Vorher wurde noch ein Blutbild gemacht. Das Medikament für die Darmspiegelung stand bei mir schon im Kühlschrank, aber einen Tag vor der geplanten Einnahme rief der Arzt mich an und sagte, dass das Blutbild so schlecht sei, dass auf keinen Fall eine Darmspiegelung gemacht werden könnte. Nach einigem Überlegen kamen wir darauf, dass dies mit einem Medikament zu tun haben könnte, das ich über längere Zeit eingenommen hatte.

    Es war ein Antidepressivum, und als Nebenwirkung war angegeben: „Akut gesenkte Knochenmarkfunktion". Das passte also. Nur leider hatte sich das Blutbild in drei Wochen ohne das Medikament nicht wesentlich verbessert, und mir ging es immer schlechter. Ich konnte fast nichts mehr essen und trinken und fühlte mich nur noch schlapp und war ziemlich verzweifelt! Es befanden sich aber noch keine kaputten Zellen im Blut. Als es mir nachfolgend immer schlechter ging, schlug meine Hausärztin vor, mich im Krankenhaus durchchecken zu lassen.

    Und jetzt: Leukämie? Ich kann das nicht glauben.

    Dr. Graf äußert dann noch so etwas wie: „Sie werden heute nicht sterben: Und ich antworte: „Na, heute vielleicht nicht…, und er sagt: „Das wusste ich, dass Sie das jetzt sagen."

    Er verlässt schließlich das Zimmer, und ich bemerke erstaunt: „Ich kann nicht mal heulen." Tatsächlich, ich bin im Schockzustand, keine Träne fließt. Ich gehe dann zu meinen Eltern, die draußen warten, und überbringe ihnen diese schreckliche Nachricht. Sie sind natürlich auch völlig geschockt und entsetzt.

    Wenig später wird eine Knochenmarkpunktion durchgeführt, die ich gar nicht so schlimm finde, aber meine Bettnachbarin wird schon beim Zuschauen bleich. Noch am selben Vormittag werde ich auf die Leukämiestation (M24) verlegt.

    Dort bittet mich die Schwester, zunächst im Aufenthaltsraum Platz zu nehmen, da mein Zimmer noch nicht hergerichtet ist. Ich sitze hier mit meiner Tasche, und plötzlich kommen mir dann doch die Tränen. Es ist alles so entsetzlich!

    Die Schwester holt mich schließlich und bringt mich in mein Zimmer. Ich bin positiv überrascht. Es ist ein großes Einzelzimmer mit zwei großen Fenstern und hohen Fensterbänken. Nebenan befindet sich ein Badezimmer. Ich packe langsam meine Sachen aus und setze mich aufs Bett. Am ersten Tag passiert noch nicht viel. Es wird eine Braunüle gelegt, denn ab sofort wird mehrfach täglich Blut abgenommen.

    Die Schwestern und Pfleger sind sehr nett. Ich sehe auch andere Patienten, die auf dem Flur spazieren gehen. Die meisten haben keine Haare mehr. Die Frauen tragen im Gegensatz zu den Männern meist Tücher.

    Am nächsten Tag scheint die Sonne, auf der Station ist es hell. Ich habe Glück, in mein Zimmer scheint die Sonne, und das ist sehr angenehm. Als ich mein Handy aufladen will, finde ich mein Aufladegerät nicht. Da ich sicher bin, dass ich es dabei hatte, muss es auf der letzten Station liegen geblieben sein. Daher mache ich mich auf den Weg. Da ich noch keine Chemotherapie bekomme, darf ich die Station verlassen. Ich steige in den Fahrstuhl, und dort steht schon Dr. Graf Er fragt: „Na, wo wollen Sie denn hin?, und ich erzähle ihm, dass ich auf der Station M21 was vergessen habe. Ich sage nachdenklich: „Das war gestern alles ein bisschen viel für mich. Er blickt mich an, als wenn er sagen will: „Und heute nicht mehr?", aber er sagt nichts. Ich steige schließlich aus, gehe auf die Station und entdecke tatsächlich, dass in der Schublade in meinem Nachtisch noch einige Dinge von mir liegen geblieben sind, u. a. auch mein Aufladegerät. Das ist sehr gut, denn ich darf mit meinem Handy auf der Station telefonieren. Das Telefonieren ist ansonsten auch übers Festnetz möglich, aber dazu muss man zuerst eine Karte an einem Automaten aufladen, und dieser Automat befindet sich am anderen Ende der Klinik. Ich gehe trotzdem in den nächsten Tagen zu dem Automaten und richte das entsprechend ein. Es ist allerdings erschreckend, wie schnell diese Karte wieder leer ist! Ich beschließe daher, mich nur noch anrufen zu lassen oder vom Handy aus zu telefonieren.

    In den ersten Tagen warte ich darauf, dass ein Arzt erscheint und mir mitteilt, dass sie sich geirrt haben. Ich bin nach wie vor davon überzeugt, dass das Antidepressivum diese schlechten Blutwerte verursacht. Ja, ich bete darum, dass es so sein möge! Schließlich besucht mich der Oberarzt. Er erklärt mir ganz klar, dass es sich eindeutig um eine Leukämie handeln würde, und zwar um eine so genannte AML. Er weiß nur zu diesem Zeitpunkt noch nicht, um welche Unterart es geht. Offensichtlich gibt es bei dieser Krankheit viele mögliche Varianten. Einige sind aggressiv, andere sind es weniger.

    Diese endgültige Aussage ist wiederum ein Schock! Jetzt gibt es kein Entrinnen mehr. Ich frage den Oberarzt, ob mir bei der Chemo zwingend die Haare ausfallen. Er antwortet: „Ja, die Haare werden Sie bei uns auch los, aber ich verspreche Ihnen, die kommen alle wieder!" Das tröstet mich im Moment nicht so richtig! Der größte Horror war für mich immer, dass meine Haare nach einer Chemo ausfallen. Vor einigen Jahren wollte mir eine Friseurin weismachen, dass ich kreisrunden Haarausfall hätte. Ich habe einige sehr unruhige Nächte verbracht, bis eine Hautärztin mich schließlich beruhigte und sagte, es sei alles ok!

    Viel schlimmer ist aber jetzt, dass ich nicht weiß, wie gefährlich diese Krankheit für mich werden wird. Diese innere Unruhe macht mich ganz krank bzw. noch kränker als ich eh schon bin! Ich maile einer Mitsängerin aus meinem Gospelchor:

    30.11.2010:

    Hallo Maria… mir geht´s schlecht. Bei mir wurde Leukämie diagnostiziert. Bitte sprich noch nicht darüber, Heiko wird es am Samstag bei der Probe bekannt geben. Ich bin im Städtischen Krankenhaus und werde die nächsten acht Wochen hier bleiben. LG, Gaby

    Am nächsten Tag bringt meine Schwester Beate mir meinen Laptop mit. Ich habe gehört, dass man in der Klinik W-LAN nutzen kann. Ich frage die Schwestern danach, aber keiner kennt sich so richtig aus. Schließlich rät mir eine Schwester, zu einem anderen Patienten, nämlich zu Herrn K. zu gehen. Dieser nutzt bereits das Internet. Er hat sich bereit erklärt, mir das Prozedere zu erklären. Ich gehe also zu seinem Zimmer und klopfe an. „Herein, ertönt es von drinnen. Ich öffne die Tür und sehe einen sympathisch aussehenden ca. 60 Jahre alten Mann auf seinem Bett liegen. Er lächelt mich freundlich an und bittet mich, mich zu setzen. Wir unterhalten uns. Er meint, wir könnten ruhig „Du sagen, da wir doch in einem Boot säßen. Er heißt Achim. Ich frage ihn, wie das mit dem Internet funktioniert, und dabei stellt sich heraus, dass ich mit Windows Vista W-LAN hier nicht nutzen kann. Er hatte das gleiche Problem und hat sich daraufhin einen Internet-Stick gekauft. Das klappt inzwischen problemlos. Ich beschließe, meine Schwester zu bitten, mir einen solchen Stick zu besorgen.

    Achim und ich sprechen auch über die Leukämie. Ich erzähle ihm, dass sich in meinem Blut 30% kaputte Zellen befinden, dass ich aber noch auf das endgültige Ergebnis der Untersuchung warten muss. „30%?" fragt er, und meint, das wäre ja nix, er hätte 85%. Viel später stellt sich heraus, dass wir von zwei verschiedenen Werten reden. Ich rede von den kaputten Zellen im Blut, er redet über die kaputten Zellen im Knochenmark. In meinem Knochenmark befinden sich zu diesem Zeitpunkt 80% unreife Zellen, aber das erfahre ich erst später.

    Achim erzählt jetzt, dass er auch unter AML leidet und dass er bereits die zweite Chemo durchläuft. Die erste hat perfekt angeschlagen, und die unreifen Zellen sind jetzt unter 5%, und das ist normal. Weiter berichtet er, dass er die Chemo bislang gut überstanden hat. Und er macht mir Mut. „Na klar schaffen wir das!", sagt er so entschlossen, dass sogar ich das einen Moment lang fest glaube. Er erzählt auch, dass es bei den anderen Patienten gut läuft. Als ich sein Zimmer verlasse, fühle ich mich besser.

    In den nächsten Tagen lerne ich Dr. Jost kennen. Meine Familie und Freunde halten ihn zunächst für einen Pfleger, weil er einen Zopf trägt, aber er ist der Stationsarzt. Und ein sehr netter noch dazu. Wie sich herausstellen wird, ist er äußerst einfühlsam und motivierend. Rückblickend muss ich sagen, dass die erste Zeit ohne ihn sehr viel schwieriger hätte sein können. Diese Diagnose muss man erst einmal verarbeiten, und das ist ein längerer Prozess.

    Dr. Jost kommt zu mir, um Blut abzunehmen, und ich sage „Hallo, Dr. Jost!. Er meint, das „Doktor sei zu viel, da er keinen Doktortitel hätte. Das wäre ihm nie wichtig gewesen. Und dann fragt er mich: „Haben Sie noch Nerven für eine gute Nachricht? Und ich antworte: „Immer! Und er erzählt mir, dass meine Variante der Leukämie eine günstige sei! Ich habe eine gute Mutation, wie er es ausdrückt. Eine, die man mit Vitamin A bekämpfen kann. Das Vitamin A zwingt diese mutierten Zellen zu reifen. Dr. Jost. sagt: „Es gibt Fälle, da fragt man sich, wie soll man das nur in den Griff kriegen? Und in Ihrem Fall denkt man, wenn nicht das, was dann? Und dann sagt er noch: „Es klingt zwar makaber, aber Sie sind die ideale Patientin. Das klingt wirklich makaber unter diesen Umständen. Er erklärt mir, dass ich insofern gute Voraussetzungen habe als dass ich jung bin (Danke! Immerhin bin ich 41) und keine Vorerkrankungen habe. Dadurch besteht eine gute Chance, die Chemo möglichst unbeschadet zu überstehen. Ich bin erleichtert und rufe sofort meine Eltern an, um ihnen diese gute Nachricht zu übermitteln. Auch sie sind froh, dies zu hören!

    Nachmittags kommt meine Freundin Simone vorbei. Sie leidet unter MS und ist gehbehindert. Für längere Strecken nutzt sie einen Rollstuhl, und in diesem rollt sie in mein Zimmer. Ich freue mich, sie zu sehen! Kurz darauf kommt auch Herr Jost und möchte die Aufklärung bezüglich der anstehenden Chemotherapie durchführen. Ich möchte, dass Simone bleibt, und sie ist einverstanden. Herr Jost erklärt mir genau, was in den nächsten Tagen passieren wird. Vorrangig redet er darüber, mit welchen Risiken die Therapie verbunden ist. „Sie bekommen alles, was wir haben, sagt er und meint damit, dass alles versucht wird, die Krankheit zu heilen. In diesem Zusammenhang erwähnt er auch, dass ich von jetzt an durchgängig die Antibabypille nehmen sollte. Ich frage erstaunt: „Warum das denn?, und er antwortet tatsächlich: „Wir wollen verhindern, dass in dieser Zeit ein Kind entsteht. Ich bin sprachlos. Sehe mich hier in dieser Atmosphäre in meinem Krankenbett liegen. Der Arzt spürt meine Verwunderung und sagt: „Wir haben hier schon die dollsten Dinge erlebt!, worüber ich trotz allem doch grinsen muss. Als Single sehe ich da keine „Gefahr". Die Pille dient aber wohl hauptsächlich dazu, dass in der Zeit der Therapie keine Blutung entsteht, wie mir Herr Jost weiter erklärt.

    Dann erzählt er, was in der Chemo alles auftreten KANN, und die Liste ist so lang und unerfreulich, dass mir ganz anders wird! Simone sitzt die ganze Zeit ruhig neben mir und hört aufmerksam zu. Ich bin so froh, dass ich mir das nicht allein anhören muss. Als Herr Jost fertig ist, fragt er, ob ich noch Fragen habe. Ich sage leise: „Lassen Sie mich hier raus."

    Er sagt, dass er mich nicht gegen meinen Willen hier festhalten kann und dass ich natürlich jederzeit gehen könnte. Ich weiß es ja auch, aber die Alternative wäre eben, mein Testament zu machen, und das ist für mich keine Alternative. Insofern ist da die Wahl zwischen Pest und Cholera, und ich entscheide mich für Pest.

    Als der Arzt das Zimmer verlassen hat, atmen Simone und ich hörbar durch. Ich muss erst einmal verdauen, was ich gerade gehört habe. Ich frage mich, wie ich das alles schaffen soll. Vieles habe ich schon über Chemotherapien gehört, vor allem, dass einem davon enorm übel wird. Ich bin sowieso sehr dünn und habe immer Mühe, mein Gewicht zu halten. Wie soll ich bloß eine solche Therapie überleben? Und dann die Sache mit den Haaren…meine Haare sind mir so wichtig, sie sind sehr dick, schulterlang und leicht kraus. Ich kann und möchte mir meinen Anblick ohne Haare einfach nicht vorstellen.

    Den Schock der Diagnose habe ich noch nicht verdaut. Wie auch, in den paar Tagen? An einem Tag bin ich besonders unruhig und deprimiert. Ich bekomme daraufhin ein Medikament zur Beruhigung, Tavor heißt es. Nie gehört, denke ich. Aber diesbezüglich kenne ich mich auch nicht aus. Ich nehme die Tablette und nach einer halben Stunde bin ich total entspannt und gut drauf! Meine Eltern, die mich gerade mal wieder besuchen, sind völlig irritiert. Aber ich habe das Gefühl: Es ist alles gar nicht so schlimm. In den folgenden Tagen bitte ich öfter um eine solche Pille, aber beim allerersten Mal hat sie am besten gewirkt. Wahrscheinlich hätte man bei mir schon beim zweiten Mal die Dosis erhöhen müssen, um die gleiche Wirkung zu erzielen. Merkwürdig.

    In diesen Tagen telefoniere ich mit Hajo, einem Bekannten, der in der Suchtbetreuung arbeitet und erzähle ihm davon. Er fragt: „Wie heißt denn das Zeug? und ich sage: „Tavor oder so ähnlich.

    „Was?, ruft er entsetzt, „Du nimmst Tavor? „Ja, antworte ich, „das ist die reinste Glückspille! „Naa, sagt er gedehnt, dann kannst Du ja nachher bei mir von Tavor entgiften. Bei diesem Gedanken muss ich lachen, warum auch immer! Aber natürlich werde ich auch nachdenklich. Es scheint ein Teufelszeug zu sein. Auch die Ärzte wollen mir das Medikament nach ein paar Tagen nicht mehr geben. Die Schwester erzählt mir, dass man das höchstens zwei Wochen nehmen soll, bevor man abhängig wird. Es wird also Zeit, dass ich damit wieder aufhöre. Ich frage, ob ich nicht wieder mein Antidepressivum nehmen könnte. Schließlich war dies offensichtlich nicht der Grund für meine Beschwerden. Aber die Ärzte zögern.

    Ich telefoniere auch mit Dwight, einem Freund in Berlin. Er sagt: „Gaby, iss auf keinen Fall das Essen dort! Das Essen im Krankenhaus ist extrem geringwertig, davon wird kein Mensch gesund. Iss auf keinen Fall das Brot! Ich frage: „Sag mal, geht’s noch? Was soll ich denn Deiner Meinung nach machen? Ich bin hier eingesperrt!! Er schlägt vor, dass ich mir von meinen Besuchern reihum etwas mitbringen lassen soll. Nachdem Dwight und ich früher häufiger bei Mc Donalds essen waren, ist er inzwischen zum Ernährungs-Apostel mutiert.

    In den nächsten Tagen merke ich aber, dass er recht hat. Gerade das Brot schmeckt hier überhaupt nicht. Ich bitte daraufhin doch meine Familie, mir regelmäßig Brot mitzubringen, was sie auch umgehend tut.

    Eine meiner besten Freundinnen lebt in Neuseeland. Von ihr erhalte ich am 30.11.2010 folgende Email:

    Liebe Gaby, es ist kurz vor Mitternacht und ich hab' einen Flug gebucht!! Am 13. Januar lande ich in Hamburg! Und spätestens am 14. Januar bin ich bei dir!

    Bis heute Abend deiner Zeit am Telefon! Take good care xxx Inga

    Hey, was für eine tolle Aussicht! Ich schreibe ihr sofort begeistert zurück und kann es nicht fassen, dass sie extra wegen mir aus Neuseeland angereist kommt. Da ich selbst vor einigen Jahren dort war, weiß ich, wie anstrengend und lang die Reise ist.

    Am nächsten Tag erscheint Frau Dr. Berger, um den zentralen Venen-Katheter (ZVK) zu legen. Das scheint eine größere Aktion zu sein und wird entsprechend vorbereitet. Es wird eine sterile Fläche geschaffen, und alle notwendigen Instrumente werden darauf angeordnet. Mir ist leicht mulmig zumute. Frau Dr. Berger erklärt mir, dass sie versuchen wird, den ZVK im Arm zu legen. Sollte dies nicht funktionieren, bleibt nur der Hals. Hilfe!

    Schließlich beginnt sie und es fängt mit einem schmerzhaften Einstich im rechten Arm an. „So, das war das Schlimmste, meint sie. Dann versucht sie, diesen dünnen Schlauch durch die Vene in Richtung Herz zu schieben. Eine Weile klappt es auch, aber dann bleibt sie stecken. Trotz aller Bemühungen geht es nicht weiter. „Oh nein, denke ich. Irgendwann gibt sie auf und sagt, dass wir es am linken Arm probieren werden. Mein Herz schlägt ein bisschen schneller, als sie es kurz darauf links probiert. Wieder der Schmerz beim Einstich. Ich halte den Atem an, und sie schiebt den Schlauch hoch. Es funktioniert. Hurra! Der Gedanke, dieses Ding am Hals zu haben, ist furchtbar. Da ist der Arm doch die wesentlich angenehmere Alternative.

    „So, das muss jetzt erst einmal geröntgt werden, sagt sie. „Ich bestelle einen Transport und Sie sollten den Arm möglichst nicht bewegen. Sie verbindet ihn notdürftig. Der „Transport-Mensch erscheint und ich werde in einem Rollstuhl quer durch die Klinik zur Röntgenabteilung gefahren. Er stellt mich mitten im Warteraum ab, wo bereits andere Patienten warten und sagt, dass ich dann aufgerufen werde. Da sitze ich, rechts neben mir liegt eine alte Dame röchelnd in ihrem Bett, links neben mir sitzt ein Mann im Rollstuhl. „Wie bin ich hier nur gelandet?, frage ich mich verzweifelt. Plötzlich bin ich in einer komplett anderen eigenen Welt, nachdem ich wenige Wochen zuvor noch ganz normal in meinem Job gearbeitet habe. Es fühlt sich nicht gut an. Die Zivis oder sonstigen Mitarbeiter, die für den Transport zuständig sind, stehen in einer Gruppe zusammen an ihrer Station und unterhalten sich. Ich beneide sie. Sie sind gesund und jung und gehen wahrscheinlich noch davon aus, dass ihnen so etwas niemals passieren wird.

    Schließlich erscheint die Röntgenschwester und sagt meinen Namen. Ich melde mich, und sie fragt, ob ich ein paar Schritte laufen kann. „Ja, klar, antworte ich und stehe aus meinem Rollstuhl auf und gehe zu ihr. Als ich Pullover und T-Shirt ausziehe, merke ich, dass der Arm völlig durchgeblutet ist. Die Schwester ist entsetzt. Sie sagt mitfühlend: Mann, was man manchmal so mitmacht! Unglaublich." Sie reinigt den Arm und ich werde geröntgt.

    Danach sitze ich wieder in meinem Stuhl, bis schließlich jemand kommt und mich wieder auf die Station bringt. Als ich am Tresen vorbei geschoben werde, wo Ärzte und Schwestern sich aufhalten, ruft Frau Dr. Berger: „Der ZVK sitzt super!", was mich freut, denn ansonsten hätten wir die ganze Aktion nochmals durchführen müssen bzw. der ZVK hätte korrigiert werden müssen. Kurz darauf wird der Arm richtig verbunden. Und somit bin ich startklar für die erste Chemotherapie.

    Abends bekomme ich Angst: Am nächsten Tag soll es losgehen, und ich fürchte mich vor dem Moment, an dem die Flüssigkeit in mich hineinlaufen wird! Ich warte auf die Nachtschwester. Es handelt sich um die sehr sympathische Schwester Katrin. Schließlich halte ich es nicht mehr aus und suche sie. Ich finde sie einige Zimmer weiter vor der Tür. Und ich frage sie, ob sie noch mal zu mir kommen kann. Ich bin nicht sicher, ob sie normalerweise kommen würde, denn ich bekomme noch keine Therapie, und eigentlich liegt bei mir medizinisch nichts an. Sie verspricht, noch bei mir reinzuschauen, was sie einige Zeit später auch tut. „Ich habe Angst vor der Chemo, sage ich, und sie meint: „Ja, das ist doch ganz klar! Ich fühle mich etwas besser. Sie redet mit mir und sagt, dass es normal sei, dass man davor Angst hat und dass viele gar nicht darüber reden würden, dass es aber besser sei, man tue es! Sie ist wirklich sehr nett und genau im richtigen Job, denke ich. Fragt mich, ob ich noch etwas brauche. Ich nehme eine Schlaftablette, da ich fürchte, in dieser Nacht nicht zu schlafen.

    Ich schlafe dann erstaunlich gut, und schon ist der nächste Tag da. Herr Jost kommt und leitet die erste Infusion ein. Er macht mir Mut: „Diese Infusion ist noch wie Wasser, davon merken die meisten Patienten nicht viel." Na, ich bin gespannt.

    01.12.2010:

    „Liebe Inga, der 14. Januar ist ein echtes Ziel! Ich hoffe, dass bis dahin alles gut läuft. Vor einigen Minuten wurde der Schlauch angesetzt, und jetzt kämpft das Medikament gegen die kaputten Zellen, juchuu. Vorher haben sie noch eine Flüssigkeit gegen Übelkeit durchlaufen lassen.

    Ich habe jetzt fast Hunger. Nachher kommt Berit, meine Kindergartenfreundin aus Lübeck. Ich muss sagen, dass ist der einzig positive Aspekt an dieser Krankheit, dass alle Leute von nah und fern kommen und mich unterstützen. In den letzten Wochen fühlte ich mich doch manchmal eher allein, viele Leute hatten keine Zeit, und mir ging´s ja auch nicht gut. Im Moment denken alle an mich, ständig ruft jemand an, meine Mutter ruft jeden Morgen an, Beate zwischendurch auch, Du, und noch so einige andere. Das ist ein gutes Gefühl. Die letzten Tage waren der Hammer, weil so viel auf mich einstürmte. Ich war sehr froh, dass gestern Nachmittag Simone hier war und mir beistand. Und wenn Du erst hier sitzt! Oh, da kommt Berit! LG, Gaby"

    In diesem Moment klopft es an der Tür, und meine Freundin Berit erscheint. Sie ist trotz der Schneekatastrophe aus Lübeck mit dem Zug angereist. Wir kennen uns bereits seit Kindertagen. Im Kindergarten schlossen wir Freundschaft und das ist bis heute so. Während ich allein lebe, hat Berit früh geheiratet und drei Kinder bekommen. Ich bin froh, sie zu sehen. Sie hat eine große Tüte dabei und fängt sofort an, diese auszupacken. Als erstes baut sie einen monströsen Überraschungsei - Adventskalender auf meiner Fensterbank auf! Sie weiß, dass ich vorerst nur noch Kinderschokolade essen darf. Normale Schokolade ist aufgrund des Nussanteils und eventueller Keime nicht erlaubt. Dann schenkt sie mir ein großes Poster, auf dem folgender Text steht:

    „Spuren im Sand

    Eines Nachts hatte ich einen Traum:

    Ich ging am Meer entlang mit meinem Herrn.

    Vor dem dunklen Nachthimmel erstrahlten, Streiflichtern gleich, Bilder aus meinem Leben.

    Und jedes Mal sah ich zwei Fußspuren im Sand,

    meine eigene und die meines Herrn.

    Als das letzte Bild an meinen Augen vorüber gezogen war,

    blickte ich zurück.

    Ich erschrak, als ich entdeckte, dass an vielen Stellen meines Lebensweges nur eine Spur zu sehen war.

    Und das waren gerade die schwersten Zeiten meines Lebens.

    Besorgt fragte ich den Herrn: „Herr, als ich anfing, Dir nachzufolgen, da hast Du mir versprochen, auf allen Wegen bei mir zu sein.

    Aber jetzt entdecke ich, dass in den schwersten Zeiten meines Lebens nur eine Spur im Sand zu sehen ist.

    Warum hast Du mich alleingelassen, als ich Dich am meisten brauchte?"

    Da antwortete er: „Mein liebes Kind, ich liebe Dich und werde Dich nie allein lassen, erst recht nicht in Nöten und Schwierigkeiten. Dort, wo Du nur eine Spur gesehen hast,

    da habe ich Dich getragen."

    Margaret Fishback Powers

    Was für ein schöner Text! Ich werde ihn wochenlang täglich mehrfach lesen, und er wird mir helfen. Es wird noch eine Zeit kommen, in der nur eine Fußspur zu sehen ist, aber das weiß ich in diesem Moment zum Glück noch nicht. Im Moment gibt es mir ein gutes Gefühl, dass da jemand sein könnte, der Einfluss auf mein Leben hat und mich in dieser Situation begleitet.

    In unserer Familie sind alle Christen, aber es ist nicht so, dass ich häufig zum Gottesdienst in die Kirche gehe. Vor Jahren fragten mich zwei junge Männer einer Glaubensgemeinschaft, wie ich meinen Glauben lebe, und ich antwortete: „Ich singe!" Denn das tue ich mit Begeisterung, und zwar seit fast 20 Jahren in einem Kieler Gospelchor. Wir gestalten häufig Gospelkonzerte in Kirchen. Die gesungenen Gospels stehen dabei im Vordergrund, aber es ist immer schön, wenn in den Ansagen der Text kurz erläutert bzw. interpretiert wird.

    Berit ist ein positiver und energischer Mensch. Sie sagt: „Gaby, Du schaffst das, und dann kommst Du wieder nach Lübeck, und wir machen alles, was wir uns vorgenommen haben. Sie ist selbst Krankenschwester. Plötzlich entdeckt sie einen Blutfleck auf meinem Bettzeug. „Na, ich glaube, ich werde erst einmal Dein Bett beziehen, beschließt sie. Ich bin leicht entsetzt, weil ich nicht weiß, wie die Schwestern auf diese Einmischung reagieren. Aber Berit lässt sich wie gewohnt nicht irritieren und verlässt den Raum. Kurz darauf kommt sie mit Wäsche zurück. Die Schwestern hatten wohl nichts dagegen. Schnell bezieht sie meine Bettdecke neu und alles ist wieder sauber.

    Dann kommt das Mittagessen. Es gibt gefüllte Paprikaschote. Nachdem ich in den letzten Tagen kaum etwas gegessen habe, habe ich jetzt erstaunlicherweise Appetit. Den Infusionsständer muss ich von jetzt an mitnehmen, denn die Infusion läuft sieben Tage fast durchgängig. Sie wird einmal täglich ausgetauscht, dann kann man eine Pause von etwa 30 min machen, wenn man möchte.

    Ich sitze also neben dem Infusionsständer beim Essen und es erscheint die Oberarztvisite. Das heißt, der Oberarzt kommt mit den weiteren Ärzten und mindestens einer Schwester. Er ist wieder sehr freundlich und sagt u. a.: „Im Moment kann man wohl noch nicht sagen, ob Sie die Chemo vertragen, sie läuft erst seit zwei Stunden."

    Die Oberarztvisite findet einmal wöchentlich statt, und später merke ich, dass die Atmosphäre ganz anders als in einer normalen Visite ist. Alle sind angespannter, auch ich als Patientin bin es.

    Kurz nach der Visite verlässt mich auch Berit, denn sie muss sich wieder durch den Schnee zum Bahnhof kämpfen

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