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Wolfsmeldungen
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eBook222 Seiten3 Stunden

Wolfsmeldungen

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Über dieses E-Book

Hast Du auch ein Herz für Wölfe, oder fließt in Deinen Adern gar Wolfsblut? Dann begleite Klaus Keller doch einfach auf die Pirsch; Keller versteht was von Wölfen! Wundere Dich dann aber nicht, wenn Du mit ihm unversehens in der Wolfsschlucht landest – jenem schaurigen Ort in Webers Oper "Der Freischütz". Denn Du wirst Dich in einer Gesellschaft wiederfinden, von der es heißt: "sie überschreiten Recht und Plicht". Dabei fällt auf, dass eine Handvoll korrumpierter Politiker, längst Marionetten einer oligarchisch gelenkten Basisdemokratie, die wieder eingewanderten Wölfe als willkommenen Blitzableiter einer in Angst und Schrecken versetzten Gesellschaft missbrauchen. Probates Mittel reaktionärer Machtcliquen im Umgang mit Einwanderern, Fremden, Minderheiten.
Als es zur Begegnung der Wölfin F 14, Hauptfigur der Novelle "Wolfsmeldungen", mit ihrem ärgsten Widersacher, Oswald Freigänger, seineszeichens konservativer Staatsrat im Wallis kommt, endet das Zusammentreffen zwischen Jäger und Gejagter für beide im Desaster. Und auch für Klaus Keller steht keinesfalls fest, ob er aus der Geschichte, in die er da reingeraten ist, mit heiler Haut davonkommt. Immerhin scheinen weibliche Intuition und ein Apell zurück zur Natur und Menschlichkeit ein Ausweg aus dem sich abzeichnenden Fiasko zu eröffnen; nach uns die Sintflut war gestern. Auch wenn ein glücklicher Ausgang nur noch im Märchen möglich erscheint – in einem Wolfsmärchen eben. Und dazu bilden die grandiose Bergwelt des Wallis und die dunkle Hintergrundmusik aus dem "Freischütz" Kulisse und Dramaturgie gleichermaßen.
Solltest Du aber, wie eine dumpf in ihrer Angst vor sich hinbrütende Minderheit, die Ausrottung der Wölfe fordern, dann könnten die "Wolfsmeldungen" vielleicht doch zu Besinnung und Umdenken beitragen. Es wäre uns, künftigen Generationen – und den Wölfen zu wünschen.
SpracheDeutsch
Herausgeberneobooks
Erscheinungsdatum6. März 2017
ISBN9783742794987
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    Buchvorschau

    Wolfsmeldungen - Rudi Kynast

    Editorische Angaben

    Erstausgabe © by Rudi Kynast, 2016

    www.wolfsmeldungen.com

    Alle Rechte vorbehalten

    Gestaltung: Sonja Greb, Meilen

    Umschlagbild: Bea Waldera-Kynast

    Widmung

    meinen Schweizer Freunden

    Vorwort

    Wenn der in die Jahre gekommene Wirtschaftswissenschaftler, Jäger und – eher unfreiwillige – Schriftsteller Klaus Keller gewusst hätte, dass seine Altersflucht in die Schweiz auf direktem Wege in die Wolfsschlucht führt, hätte er sich diesen Schritt reiflich überlegt. Zumindest hätte er sich der weisen Worte des Hofnarren Hans Kuony aus Stocken aus dem Jahre 1315 erinnern sollen, der vor der legendären Schlacht am Morgarten seinen Habsburgischen Kriegsherrn mit den Worten gewarnt hatte: «Ihr geratet wohl, wie ihr wollt in das Land Schwyz hinein kommen, jedoch geratet keiner, wie ihr wieder wollt heraus kommen.» Und so sieht sich denn Keller zuerst unversehens mit der leidigen «Wolfsfrage» konfrontiert, der er im Auftrag eines lokalen Käseblattes als Gelegenheitsschreiber nachzugehen hat, um dann unversehens inmitten der globalen Wolfsökonomie zu landen, die auf Schweizer Nährboden, getragen von einer Clique rechtskonservativer und neoliberaler Politgrössen wahre Urständ‘ feiert. Und so fühlt sich Klaus Keller berufen, am Ende seines Lebens angekommen, die Geschichte mit den Wölfen und der Wolfsökonomie aufzuschreiben. Dabei bringt er dem Leser die Wölfe näher und kratzt am Hochglanzlack der umsichgreifenden Wolfsökonomie. Um dieser Einhalt zu gebieten, bedarf es allerdings eines Leitwolfes, der mit Mut und Entschlossenheit die Geschicke in die Hand nimmt. Auf einen solchen aber wartet die Gesellschaft wohl immer vergebens. Immerhin steigt Keller, verzagt zwar in die Wolfsschlucht ab und wird Zeuge, wie immer noch perfidere Freikugeln gegossen werden. Wie und ob er aus der Wolfsschlucht und überhaupt aus dem Land Schwyz wieder herauskommt, bleibt offen. Sicher aber ist eines: Die gierigen Wölfe in ihrer Mordlust sind allemal sympathischer als die der Geld- und Machtgier verfallenen Eliten.

    Rudi Kynast 2016

    I Wolfsschlucht

    Als sie seine Fährte gekreuzt hatte, wusste sie, dass er ihr folgen würde. Lange hatte sie das Grünerlengestrüpp, wo er zuletzt seine Duftmarke gesetzt hatte, geprüft, bis für sie feststand, dass er erst den alten Wolfswechsel Richtung Griespass, jener «grünen» aus Fels, Eis und Schnee einst willkürlich gezogenen Grenze zwischen dem oberen Wallis und Italien eingeschlagen hatte, um dann wenige hundert Meter unterhalb der Gletscherzunge die Blockhalden zu queren und dann die Baumgrenze zu erreichen. Sie nässte, als sie sich entschloss, parallelversetzt unterm garstig aufgekommenen Föhnsturm den Wolfspass anzunehmen. Dabei hielt sie im Gegensatz zum Rüden kaum Abstand zur Endmoräne des Gletschers, so dass sie sich bald im Spaltengewirr der weit nach Osten ausfransenden Gletscherzunge bewegte. Schon war sie versucht, den Weg über die weiten Firnflächen, in Richtung der im Mondlicht blinkenden Gratlinie einzuschlagen, um den messerscharfen Eiskristallen des Gletscherstroms auszuweichen, als eine innere Warnung sie davon abhielt, die sanften Wellenzüge der mit butterweichem Firn überzogenen Spalten weiter zu queren. Sie verliess den ausapernden, sterbenden Gletscher über die linke Seitenmoräne. Am Rand der oberen von Altschnee bedeckten Felsblöcke hielt sie inne und leckte die wunden Pfoten, als ihr ein neuerlicher Sturmangriff den äusserst feinen, verführerischen Duft von Beute zutrug. Schräg oberhalb des Blockriegels, unter dem sie kurz Rast und Deckung vor den wütenden Sturmattacken gesucht hatte, eräugte sie eine Steingeiss, die ein schwaches, im letzten Juli erst spät gesetztes und nur mit Mühe über den Bergwinter gebrachtes Kitz säugte. Die Wölfin machte sich flach und schob sich Meter um Meter in Richtung der sicheren Beute, stets das Gelände im Auge behaltend, wo weitere Stücke des Steinwildrudels ihrer gewahr werden konnten und in wilder Flucht ihren Angriffsplan vereiteln würden. Aber das Muttertier war mit ihrem Nachwuchs allein und sicherte nur gelegentlich gegen den immer stärker aufkommenden Südföhn. Als die Wölfin noch zehn, fünfzehn Gänge entfernt war, gab sie die Deckung auf und war in drei Riesensätzen über ihrer Beute, während das Muttertier polternd die Steinrassel herunterpreschte. Sie schüttelte das verendende Jungtier, von dessen Äser Milchschaum vermischt mit hellrotem Lungenschweiss auf die dichten Polster der Krähenbeeren spritzte, ritzte mit ihren Fangzähnen die zarte Decke zwischen den Hinterläufen des Steinkitzes auf und frass sich mit gierigem Heisshunger in die dampfenden Eingeweide des noch schwach zuckenden Beutetiers. Dann zog sie den Kadaver mühelos hinter einen Steinblock und leckte sich die rote Wolfsschnauze, nässte erneut und verschwand bald in der Deckung der alpinen Hochstauden und im Erlengestrüpp des Chietals. Dort rastete sie diesmal ausgiebiger, bis sich erstes Morgenlicht über den weiten Firnfeldern des Rhonegletschers zeigte. Wenn der Rüde jetzt unterhalb ihres Einstands auf Beutezug war, musste ihm der Wind ihre Witterung zutragen. Sie wurde unruhig und gewann im zügigen Troll die lichte Baumzone des hochalpinen Lärchenwaldes, in dem sie immer weiter westwärts schnürend bis zum Einbruch der Dämmerung weitere zehn Tageskilometer gedeckt von Unterholz und weit ausladenden Traufbäumen des Lärche- Fichtenhochwalds zurücklegte. Als sie den steingrauen Schatten schräg unterhalb des von ihr eingeschlagenen Wechsels wahrnahm, unternahm sie ein paar rasche Fluchten steil bergauf. Mit Abstand folgte der Wolfsrüde. Dann mit einem Ausfallschritt, der einen Angriff vorgab und von einem heiseren Bellen begleitet war, stellte sie sich dem zurückprellenden Rüden entgegen. Annäherung und Abwehrattacken wechselten mehrfach bis sie duldete, dass der Rüde mit hoch erhobenem Fang, den er sich immer wieder leckte, dicht hinter der Wölfin einschwenkte. Dann blieb sie abrupt stehen, drehte die Lunte beiseite und liess sich vom starken Wolfsrüden besteigen. Mehr als eine Stunde hingen die Tiere aneinander, bis sich der Rüde seitlich abgleiten liess. Beide Tiere schienen jetzt unbeteiligt abwarten zu wollen, bis die Schnalle der Wölfin endlich ihren Zangengriff löste. Der Rüde verharrte noch einige Minuten unschlüssig in der Nähe der Wölfin, hob dann an niedrig hängendem Geäst ausgiebig das Bein und trollte sich. In den nächsten Wochen aber blieb er unsichtbar in ihrer Nähe.

    Vor der Eingangstür, die zwei Stufen tiefer als das Trottoir lag, was mit dem Hinweis rot auf weiss «Vorsicht Stufe» kommentiert war, hatte sich eine Wand aus Stimmengewirr und kaltem Rauch gebildet. Letzteres war mit einem provisorischen Hinweisschild, laminiert schwarz auf rot und der Einladung «fumoir» erklärlich, obwohl der Spätwinterföhnsturm, vergeblich zwar, für Verwirbelung der selbst für Schweizer Wirtshäuser ungewohnten Duftmarke sorgte. Das Stimmengewirr, das beim Öffnen der schweren, dunklen Eichenholztür zum an- und abschwellenden Lärm wurde, in das sich Wortfetzen mischten, kam von mehreren Wirtshaustischen, an denen ausschliesslich Männer in olivgrünen Joppen und camouflagebekleckerten Hosen sassen. Und obwohl Klaus Keller die «vorsichtigen Stufen» registriert hatte, war er beim Eintreten doch noch ins Stolpern geraten und fiel so, als wolle er die Mauer aus Schall und Rauch durchbrechen, buchstäblich mit der Tür ins Haus, wo ihn eine weitere Wand aus Bierdunst und abweisenden Blicken auffing. Worauf das Stimmengewirr immerhin abschwellend reagierte und sich dem Vorsitzenden, der als solcher erkennbar war, weil er am Kopf des Tisches mit dem schmiedeeisernen Stammtischschild sass, Gelegenheit bot, die Sitzung mit den Worten zu eröffnen: «Mi fa a», was Keller unmissverständlich mit «wir fangen an» interpretierte.

    Zwei Monate später brachte die junge, eher schmächtige Wölfin F 14 zwei kräftige Welpen zur Welt. Sie war im März letzten Jahres in die Talregion unterm Grimsel an der jungen Rhone und ihren wild zerklüfteten Seitentälern eingewandert und hatte sich dort mit M 28, über den es mehrere gesicherte Nachweise gab, gepaart. Wollten sie und ihr Nachwuchs überleben, so galt es jetzt nach der Schneeschmelze rasch an Beute zu kommen. Wolfsmilch war in den ersten Wochen gefragt. Anders als manche ihrer Artgenossen, mied die Wölfin Menschen, deren Siedlungen und das Nutzvieh. Ja selbst bei der Welpenaufzucht billigte sie dem starken Rüden nur eine Nebenrolle zu, die sich darauf beschränkte, dass er sein Revier markieren und von anderen Artgenossen freizuhalten hatte. F 14 war ursprünglich ein Gehegewolf, ausgebrochen aus einem Wildpark in der Nähe von Winterthur. An Menschen gewohnt und trotzdem oder gerade deswegen von panischer Angst gegenüber den Zweibeinern beseelt, fristete sie ihr Dasein im Verborgenen. Da bot die Waldzone an den Taleinhängen die besten Verstecke. Und Beutetiere, die wann immer es ging die offenen Flächen mieden, gab es hier auch. In den Bachbetten am Rand der grauweissen Lawinenkegel wurde manchmal noch Fallwild vom letzten schneereichen Winter frei. Dann hatten sich in der Nähe vom Aas Kolkraben niedergelassen, die bei der Annäherung der Wölfin rasch von ihrer Beute abliessen und abwartend in den nahen Fichtenwipfeln aufbaumten. Kaum hatte aber die Wölfin einen Fetzen aus dem verendeten Stück herausgerissen und war in Richtung des umgestürzten Wurzeltellers verschwunden, unter dem die Welpen, bald schon mit geöffneten, blauen Augen das Muttertier erwarteten, da hatten sich die blauschwarzen Vögel mit dem beeindruckenden Schnabel auf der Beute wieder niedergelassen und schon nach zwei, drei Tagen waren selbst von einem starken Hirsch nur noch Gerippe, Deckenfetzen und das abgetrennte Haupt mit dem Geweih, an dem mancher Jäger seine Freude gehabt hätte, übriggeblieben. Dann galt es, selbst wieder auf Beutefang zu gehen. Aber ohne Rudel, das bei Wölfen eine effiziente Jagdgemeinschaft bildet, waren selbst die aus den tieferen Tallagen zurückkehrenden und vom langen Winter ausgezehrten Rothirsche keine einfache Beute. Die leichte Wölfin indessen war sich ihres Jagdvorteils, der in einer explosiven Schnelligkeit bestand, bewusst. Während das Wolfsrudel ein schwächeres oder krankes Stück aus einem Sprung Rehe, einer Rotte Sauen oder aus einem Rotwildrudel fixierte, dann lang über steile Hänge, durch dichtes Unterholz oder entlang der Talaue hetzte, die Jäger sich dann teilten und in einer weit ausholenden Zangenbewegung der Beute den Weg abschnitten, um es dann von der Flanke her anzufallen, hatte sich die Wölfin den Überraschungseffekt, der sich in engen Schluchten bietet, zu eigen gemacht. Dort wo die Wechsel der Beutetiere einen Bachlauf schnitten, holte sie zu einer kurzen Hatz aus und oft gab es kein Entrinnen aus dem tosenden Dobel. Diese Jagdmethode hatte sie schon im Gehege angewandt, um vor den in vorderster Reihe auf den Wärter wartenden Alphatieren einen Happen zu schnappen und vor der wütend anstürmenden Meute in der hintersten Ecke ihres Unterstandes zu verschwinden. Dort, geborgen von drei Seiten des Bretterverschlags, wusste sie sich der Angriffe zu wehren und selbst die Leitwölfin konnte der sich entschlossen stellenden schmächtigen Wölfin die Beute nie streitig machen.

    Es wäre ohnehin irgendwann an der Zeit gewesen, dass sie sich diesen immer wiederkehrenden Angriffen stellen und mit einem entschlossenen Zupacken, bei dem es bei Wölfinnen nicht selten um Leben und Tod geht, ihren Anspruch auf eine Alphatierrolle anmelden würde. Der Leitwolf, der oft auch eine Wölfin ist, bestimmt sich nämlich nicht nach Alter und Stärke eines Tieres, sondern nach der Rolle, die in der Gemeinschaft eingenommen wird. Und da hatte sich die Wölfin inzwischen gehörigen Respekt verschafft. In diesen Unterstand verkroch sie sich auch immer dann, wenn Gehegebesucher in die Nähe des doppelt gespannten Sicherheitszauns kamen. Es geschah nicht selten, dass die Wölfe mit Steinwürfen einer Horde wild gewordener Schulklassenkinder aus ihrer Tagesruhe aufgeschreckt wurden und, wenn gar eines der Tiere getroffen wurde und aufheulte oder wütend knurrend sich zum Scheinangriff den Störenfrieden näherte, die kreischenden Quälgeister in wilder Flucht auseinanderstoben. Diesem Treiben hielt sich die Wölfin immer fern. Als eines Tages die Gattertür, warum auch immer, offen stand, verschwand das Rudel in die Freiheit. Für die meisten Tiere währte diese allerdings nicht lange und da sich die Wölfe nicht einfangen liessen und nur ein älterer Rüde mit dem Narkosegewehr ins Reich der Wolfsträume geschickt werden konnte, aus dem er sich bald in der Realität eines privaten Geheges eines vernarrten Schäferhundehalters zwecks «genetischer Aufwertung» wiederfand, wurde das stets in Siedlungsnähe anzutreffende Rudel Stück um Stück zusammengeschossen. Die Wölfin aber blieb verschwunden und da nach einigen Wochen die Suche eingestellt wurde, galt sie fortan als herrenloses Wildtier und unterlag somit dem fragilen Schutz der Berner Artenschutzkonvention. Davon konnte die Wölfin aber ebenso wenig wissen als vom Umstand, dass ihr genetischer Fingerabdruck anhand von Kot- und Haarproben, die man schon zu früherer Zeit im Gatter festgehalten hatte, feststand. Und so wurde ihr die Kennung F 14 verliehen. F 14 aber war und blieb unsichtbar und hinterliess weit und breit keine weiteren Spuren.

    Allerdings hatte eben auch ein Klaus Keller die Fährte der Wölfin gekreuzt - um der Genauigkeit Genüge zu leisten, man hatte ihn auf sie angesetzt - und obwohl er sie nie zu Gesicht bekommen sollte, stand für ihn fest, dass er ihr bis zum Ende dieser Geschichte folgen würde. Für uns als deren Leser mag manches in der Geheimsprache unverständlichen Jägerlateins verborgen bleiben; bei näherer Betrachtung geht es ziemlich banal um die Grundfragen des Lebens von Fressen und Fortpflanzung. Worauf sich andererseits, Klartext gesprochen, auch die menschlichen Beobachtungen Kellers mühelos reduzieren lassen.

    Lasst lustig die Hörner erschallen

    Der Vorsitzende des sich eben in konstituierender Sitzung formierenden «Antiwolfkomitees» hiess Georg Schnoddrig. Er begrüsste in unverfälschtem Walliser Ditsch die «anwesenden Damen und Herren», obwohl weder Abwesende noch Damen anwesend waren. Klaus Keller war versucht, diese kleinen Bonmots in bissigen Randnotizen festzuhalten, die er später in seinem Bericht vielleicht vermerken würde. Aber dann liess er davon ab, weil er als Pressevertreter extra begrüsst wurde, obwohl, wie der Vorsitzende festhielt, die Versammlung zwar öffentlich sei, man aber dennoch nicht vorgehabt habe, die Öffentlichkeit durch Medienpräsenz herzustellen. Wenn aber der Herr Keller nun schon mal da wäre… Herr Keller konnte es sich nicht verkneifen, wenigstens diese Sonderform von Öffentlichkeit zu vermerken.

    Man wolle entsprechend der Traktandenliste, die auf den Tischen ausliege, zuerst die «Formularien» abhandeln, bis sich die Vertreter aus der Politik einfinden würden. Ja, gewiss, Staatsrat Freigänger habe sein Kommen ganz fest zugesagt. Bevor er nun in die Tagesordnung eintreten werde, und dabei richtete er seinen Blick aus schweinchenkleinen Augen, deren Lider durch rote Pausbacken zusätzlich noch schräg stirnwärts gedrückt waren, auf Keller, möchte er die Presse ersuchen, um eine objektive Berichterstattung bemüht zu sein. Die Versammlung quittierte diesen Aufruf mit unmissverständlich artikulierten Unterstreichungen. So sollte es zumindest später im Protokoll des vorab per Akklamation bestimmten Protokollführers nachzulesen sein. Keller hatte anstatt Unterstreichungen Grunzlaute notiert, strich das aber dann auch. Ja doch, er hatte sich vorgenommen, objektiv über die Gründungsversammlung des «Komitees zur Jagd auf Grossraubwild» zu berichten. Schliesslich war das sein Auftrag als „Berichterstatter" und mit solchen kleinen Aufträgen hielt er sich gerade so eben über Wasser.

    Als die Wahlen nach einer qualvoll langen halben Stunde endlich gelaufen waren, bei denen dann der Vorsitzende in seinem Amt einstimmig bestätigt worden war, ebenso wie sein Protokollführer, der als Verrichtungsgehilfe für klare Verhältnisse im Sinne des Vorstands zu sorgen hatte (was sich später im Vergleich zwischen den Notizen des Pressevertreters und dem Protokoll herausstellte), war für Keller, der natürlich in der hintersten Reihe im «Kühlen Krug» Platz genommen hatte, der Vorstandstisch aus den Rauchschwaden heraus nur mehr undeutlich wahrnehmbar. Traktandum drei nach Namensgebung des Vereins befasste sich mit dem Logo, das man sich geben wolle. Keller wollte diese Marginalie am Rande eigentlich in seinem Bericht auslassen. Nach allerhand gängigen Vorschlägen, die allesamt der Heraldik ortsüblicher Banner entliehen waren, brachte einer der bis dahin nicht in Erscheinung getretenen Grünröcke, der nur zwei leer gebliebene Stühle neben Keller Platz genommen hatte, den Vorschlag «Wolfseisen» ein. Keller horchte auf. Dort wo er herkam, war der Begriff verfassungsrechtlich verboten worden, weil sich einschlägige neonationalistische Gruppierungen mit diesem Emblem «geschmückt» hatten. Und Keller erinnerte sich daran, dass das alte Nazisymbol, wenn man es um 90 Grad drehte, im Entfernten der Darstellung eines Hakenkreuzes glich. Aber das, so vermutete er, war den hiesigen Anwesenden wohl gar nicht bewusst, geschweige denn hatten sie von der Verwendung als Nazisymbol wohl kaum je gehört. Vielmehr konnten einige der anwesenden Jäger auf Nachfrage bestätigen, dass es sich beim Wolfseisen um ein früher sehr gebräuchliches Fanggerät für die Bestien gehandelt haben soll, das einem doppelten, spiegelbildlichen Angelhaken nicht unähnlich sah und ebendiese Wirkungsfunktion innehatte. Keller schauderte beim Gedanken, wie die Wölfe, die auf den Köder hereingefallen waren, unter jämmerlichen Qualen zugrunde gegangen sein mochten. Ihn schauderte derweil noch mehr bei der Symbolik, die vom Logo ausging, das nach den Erklärungen eines Jagdfunktionärs begeistert angenommen worden war. Allerdings, und das notierte Keller auch, war dann die Verwendung des Logos bei einigen Vertretern der Jägerschaft doch auf Bedenken gestossen; nicht ganz zu Unrecht wohl hatten sie eingewandt, dass sich selbst Leute, die dem Wolf hier kein Lebensrecht einräumten, nicht gerne in die Ecke von Tierquälern stellen wollten. Abschuss ja,

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