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Der Lutheraner
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eBook272 Seiten3 Stunden

Der Lutheraner

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Über dieses E-Book

Martin Luther hat die Kirche reformiert. Doch auch nach dem Augsburger Frieden und den Verhandlungen in Münster und Osnabrück war ein friedliches Nebeneinander von evangelischen und katholischen Christen in Europa nicht überall möglich.

Der Roman "Der Lutheraner" erzählt von den Höhen und Tiefen im Leben des Bergbauern Rupert Embacher, der Verluste erleiden und Demütigungen ertragen muss, nur weil er seinen Glauben leben will.

Anfang des 18. Jahrhunderts bewirtschaftet er das Gut Großenberg als Lehnsmann für den Erzbischof von Salzburg. In seinem alltäglichen Leben wird er von der Obrigkeit unterdrückt und kontrolliert. Seine Eheschließung wird willkürlich hinausgezögert und die Beerdigung seines Vaters auf dem Dorffriedhof wird ihm verweigert, weil er, wie auch weitere Dorfbewohner, der Lehre des Martin Luther anhängen. Er muss er sich heimlich mit anderen Gleichgesinnten treffen, um in der Bibel zu lesen, zu beten und zu singen. Das ist oft mit großen Schwierigkeiten verbunden.

Ein neu gewählter Erzbischof verfolgt ein ehrgeiziges Projekt. Er will das Land von dem angeblich falschen Glauben säubern und in ein rein katholisches Land verwandeln. Rupert Embacher und seine Familie sowie andere Bergbauern sollen aus dem Land gewiesen werden oder sie müssen sich zur heiligen römischen Kirche bekennen. Sie wenden sich an viele Institutionen, um Hilfe zu bekommen. Doch im Jahre 1732 werden sie vom Erzbischof aus dem Land vertrieben. Der preußische König Friedrich Wilhelm I. nimmt sie in seinem Land auf, denn Ostpreußen ist wegen vieler Todesfälle durch die Pest eine verwilderte Provinz. Der König möchte wieder Bauern und Handwerker dort ansiedeln und auch die Trakener-Pferdezucht neu beleben. Da kommen ihm die 20 000 Salzburger Emigranten sehr gelegen…..

Der Roman basiert auf einer wahren Begebenheit. Die Autorin selbst ist eine Embacher-Nachfahrin.
SpracheDeutsch
Herausgeberneobooks
Erscheinungsdatum20. Okt. 2015
ISBN9783738043853
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    Buchvorschau

    Der Lutheraner - Dr. Edelgard Moers

    Das Buch

    Der Bergbauer Rupert Embacher bewirtschaftet das Gut Großenberg als Lehnsmann für den Fürsterzbischof von Salzburg. In seinem alltäglichen Leben wird er von der Obrigkeit unterdrückt und kontrolliert. Seine Eheschließung wird willkürlich hinausgezögert und die Beerdigung seines Vaters auf dem Dorffriedhof wird ihm verweigert, weil er, wie auch weitere Dorfbewohner, der Lehre des Martin Luther anhängen. Ein neu gewählter Fürsterzbischof verfolgt ein ehrgeiziges Projekt. Er will das Land von dem angeblich falschen Glauben säubern und in ein rein katholisches Land verwandeln.

    Rupert und seine Familie sowie andere Bergbauern werden bespitzelt und verhöhnt. Ihnen wird Rebellion vorgeworfen. Sie sollen aus dem Land gewiesen werden oder sie müssen sich zur heiligen römischen Kirche bekennen. Der König von Preußen verspricht ihnen eine neue Heimat, in der sie ihren Glauben leben können.

    Die Autorin erzählt in dem Buch von den Höhen und Tiefen im Leben eines Bergbauern im 18. Jahrhundert, der Verluste erleiden und Demütigungen ertragen muss.

    Die Autorin

    Edelgard Moers, Dr. phil, Autorin von Schul- und Fachbüchern.

    Der Lutheraner ist ihr erster Roman.

    Mit ihrem Mann wohnt sie in Dorsten.

    www.edelgardmoers.de

    Erweitertes Impressum

    Printausgabe:

    © HW-Verlag Dorsten

    Alle Rechte bei der Autorin

    Lektorat: Gaby Poetsch

    Umschlaggestaltung: Jürgen Moers

    Druck: eCO2_print, Dorsten, Printed in Germany

    1. Auflage 2014

    HW-Verlag

    Wischenstück 32

    46286 Dorsten

    Tel. 02369 1760

    Fax: 02369 5191

    hw.wenig@t-online.de

    ISBN-10   3-932801-61-X

    ISBN 13   978-3-932801-61-7

    EAN          9783932801617

    Goldegg, im Jahre 1715

    Rupert Embacher wollte nach der Trauerfeier zu Ehren des verstorbenen Nikolaus Steiner gerade die Kirche verlassen und hinüber zum Gottesacker gehen. Doch der Pfarrer kam direkt auf ihn zu und hielt ihn am Ärmel fest.

    »Mir ist zu Ohren gekommen, dass Ihr der verbotenen Religion zugetan seid. Ihr trefft Euch mit Gleichgesinnten«, zischte er und seine Augen funkelten wild.

    »Das muss ein Missverständnis sein, Hochwürden. Ich gehöre keiner falschen Religion an«, beschwichtigte ihn der junge Mann und strich sich das Haar aus der Stirn. Der Kirchenmann keifte aufgebracht weiter. »Wartet nur ab, wenn Ihr lutherisches Gedankengut in Euch tragt, werdet Ihr auf ewig in der Hölle schmoren!"

    »Mein Vater und ich sind fromme Leute und wir halten die Gebote ein.«

    »Nichts haltet ihr ein. Ihr vergiftet mit den ketzerischen Reden die Köpfe der Gläubigen und verursacht Aufruhr. Der Teufel macht sich an eure Seelen heran.«

    Rupert schüttelte fassungslos den Kopf. Am liebsten hätte er mit heftigen Worten reagiert, die ihm schon auf seiner Zunge lagen. Doch dann besann er sich. Freundlich, aber bestimmt verabschiedete er sich. Er war verärgert, dass ihn der Pfarrer aufgehalten hatte. Denn eigentlich wollte er mit Maria, der Tochter des Posenigg-Bauern vom Rohrmoos-Hof sprechen, zu der er während der Messe immer wieder hingeschaut hatte. Er beschleunigte seine Schritte, um die Gemeinde, die hinter dem Sarg herlief, einzuholen.

    Auf dem Friedhof fiel sein Blick wieder auf die zierliche, junge Frau, die gerade etwas Erde über den Sarg warf und dann der Witwe ihr Beileid aussprach. Auch er schloss sich dem Ritual an. Mehrmals suchte er den Anblick Marias, die einen Kopf kleiner war als er und die mit ihrem Trachtenkleid, dem schwarzen eng geschnürten Mieder und den zu einem Kranz geflochtenen Haaren sein Herz schneller schlagen ließ.

    Beim Leichenschmaus trafen sich ihre Blicke. Die junge Frau schaute ihm geradewegs in seine blauen Augen und lächelte ihn an. Ihr sinnlicher Mund und ihr Lachen betörten ihn, besonders dann, wenn sich ihre Grübchen zeigten.

    Auf dem Rückweg nach Hause war Rupert aufgewühlt. Er hatte schon mehrmals erlebt, dass die Mädchen aus dem Dorf seine Nähe suchten, um mit ihm zu reden und zu scherzen. Dadurch fühlte er sich geschmeichelt. Sie sprachen in seiner Gegenwart ernsthaft von ihren Träumen und Zukunfts-vorstellungen. Der junge Mann hörte ihnen gerne zu und bestärkte sie in ihren Gedanken und Gefühlen. Aber er verstand es auch, geistreiche Späße zu machen und brachte die Mädchen zum Lachen. Doch Maria löste etwas in ihm aus, was er bisher nicht kannte. Bei ihrem Anblick überkamen ihn körperliche Regungen und das Verlangen nach Zärtlichkeiten.

    Manchmal träumte er nachts davon, Maria an verdeckten Stellen zu berühren und das zu tun, was die Natur mit den beiden Geschlechtern vorgesehen hat.

    In den vergangenen Jahren hatte er mehrmals wahrgenommen, wie sich seine Eltern ansahen und miteinander sprachen, wenn sie glaubten, unbeobachtet zu sein. Ihm gefiel, wie sein Vater mit den Fingerspitzen sanft über die Wange der Mutter streichelte und ihr mit dem Zeigefinger auf die Nasenspitze stupste, seine Mutter daraufhin ihrem Mann liebevoll etwas ins Ohr flüsterte. Die Zärtlichkeit, die die beiden miteinander verband, wärmte sein Herz. »So muss es also sein«, dachte er jetzt. »Ja, so muss es sein, wenn zwei Menschen zusammengehören, wenn Mann und Frau miteinander glücklich sind.«

    Am Abend nach getaner Arbeit stellte Rupert den Besen in die Scheune, zog seine Jacke an, richtete einen prüfenden Blick auf die Hosenbeine und schnippte ein paar trockene Grashalme weg. In diesem Moment kam sein Vater mit dem Wanderstab aus der Haustür, setzte den Filzhut auf und nickte ihm zu.

    Die beiden Männer waren zu einem geheimen Treffen der Lutheraner unterwegs, zu dem der Unterwirt Hans Lodermoser aus St. Veit eingeladen hatte.

    Der Weg war schmal und schlängelte sich durch ausgedehnte Wiesen und Felder. Der Duft von frisch gemähtem Gras drang in Ruperts Nase. Von hier oben hatte er einen weiten Blick auf die Mühle unten am Taxbach und die dahinter liegenden Bauernhöfe. Am Horizont leuchteten die Felsen der Hohen Tauern, die von der Abendsonne angestrahlt wurden. Das Korn stand hoch und verbarg den Blick auf die Wanderer in der Abendstunde. Hinter ihnen ging die Sonne leuchtendrot unter.

    Nun wurde der Weg holprig. Während Rupert aufpasste, dass er nicht ins Stolpern geriet, erinnerte er sich an den Tag, als ihn sein Vater zum ersten Mal zu einer geheimen Versammlung mitgenommen hatte. Es war an seinem sechzehnten Geburtstag. Unbändiger Stolz hatte ihn damals erfasst, denn er gehörte nun zu den Männern, die ein Geheimnis miteinander verband.

    »Da sind wir«, sagte der Vater leise und schaute sich nach allen Seiten um. Die Bäuerin öffnete auf ihr Klopfen hin sehr vorsichtig die Tür und winkte ihre Gäste in die Stube. Einige Männer saßen schon auf der umlaufenden Bank oder auf Holzschemeln und sprachen miteinander.

    Mit einem freundlichen Kopfnicken wurden die beiden Ankömmlinge begrüßt. Nach kurzer Zeit kamen weitere Männer dazu und die Sitzplätze wurden knapp.

    Rupert sah sich um. Er kannte die Männer. Einige waren aus Goldegg, andere aus Schwarzach oder aus St. Veit. Gleich darauf sprach der Unterwirt Hans Lodermoser zu den Gästen.

    »Es ist gut, dass ihr gekommen seid«, sagte er und schaute bedrückt in die Runde. »Der Pfarrer verlangt von uns sehr viel. Wir sind aber nicht mit allem einverstanden. Schon seit langer Zeit beklagen wir die Missstände. Wir sträuben uns gegen den Marienkult und glauben nicht daran, dass die Mutter Jesu leibhaftig in den Himmel aufgestiegen ist und nun Gott um die Vergebung der Sünden der Menschen bittet. Wir lehnen die Heiligenverehrung ab, denn wir glauben nicht, dass Gott diese Menschen nach seinem Ebenbild geschaffen hat und dass die Bekreuzigung vor einer Figur oder Reliquie Gnade bringen soll. Nur Jesus Christus vermittelt zwischen den Menschen und Gott. Niemand sonst. Wir glauben auch nicht, wie die Getreuen des Papstes uns einreden wollen, dass Gott aus dem Himmel heraus in das Geschehen auf der Welt eingreift und Wunder vollbringt. Das sind falsche Auslegungen.«

    Die Anwesenden hörten aufmerksam zu und nickten. Dann redete der Unterwirt weiter. »Wir sehen mit Sorge, dass die Papisten den Anweisungen aus Rom eine größere Bedeutung zukommen lassen, als den Inhalten der Bibel. Wir widersetzen uns, Fastentage einzuhalten, weil sie keine Bedeutung für uns haben. Besonders betroffen macht uns, dass der Pfarrer uns in seiner Ansprache innerlich nicht mitnimmt, dass er keine Worte für uns hat, die uns aufbauen und dass er für uns kein Vorbild ist. Die Messe hält er in lateinischer Sprache, die wir nicht verstehen, und sein Lebenswandel ist wenig fromm. Diese Kirche brauchen wir nicht.«

    Es ertönte heftiges, zustimmendes Gemurmel. Als es abge-klungen war und niemand noch etwas vorzubringen hatte, stimmte der Unterwirt ein Lied an. Die Anwesenden sangen voller Inbrunst mit. Rupert wusste, dass es Martin Luther geschrieben hatte und dass er es selbst in der Öffentlichkeit nicht singen durfte.

    Hans Lodermoser ergriff wieder das Wort und wandte sich den versammelten Gläubigen zu. »Wir sind hier zusammen gekommen, um Gottes Wort in unserer Sprache zu hören und um daraus Trost und Kraft zu schöpfen.« Dann nahm er die aufgeschlagene Bibel in die Hand, las eine Stelle aus dem Römerbrief des Apostel Paulus vor, verknüpfte sie mit Aussagen von Martin Luther und regte eine Diskussion an.

    Nachdem der Unterwirt das geheime Treffen beendet hatte, machten sich Vater und Sohn auf den Weg nach Hause. Rupert gingen viele Gedanken durch den Kopf. Wieder einmal wurde ihm der Konflikt bewusst, in dem er und seine gesamte Familie sich befanden. Entweder musste er sonntags den andächtigen Kirchengänger vortäuschen und sich für seinen Seelentrost heimlich mit den Abtrünnigen treffen oder er bekannte sich zu den Papisten und verschloss einfach die Augen vor der Wirklichkeit. Doch mit dem Glauben, so wie ihn die Kirche vorlebte, war er nicht einverstanden. Das wurde ihm deutlich.

    »Was hat der Unterwirt gesagt? Wir müssen keine Bußwerke tun, um von Gott angenommen zu werden. Wir können uns immer seiner bedingungslosen Liebe gewiss sein. Der Pfarrer hat in der Messe noch nie so zu den Gläubigen gesprochen, auch vom Vikar kam nichts dergleichen«, ging es im durch den Kopf. Die Kraft der Worte war so eindringlich, dass es Rupert noch stärker zur Botschaft Martin Luthers hinzog.

    Der Mond stand hoch über den Bergen, als Vater und Sohn wieder in Goldegg am Gut Großenberg ankamen. Leise betraten sie das Haus. Alles war ruhig. Die anderen Bewohner schliefen schon.

    Rupert ging die Treppe hinauf, öffnete die Tür zu seiner Kammer, die er sich mit seinen anderen Brüdern teilte, und legte sich ins Bett. Seine Gedanken ließen ihn nicht zur Ruhe kommen. Aber er hatte ein gutes Gefühl. »Gottes Wort bedeutet Freiheit«, dachte er. »Es nimmt mir die Sorge um die eigene Rechtfertigung vor Gott und bestärkt mich in allem, was ich tue.« Die Lehre des Reformators beschäftigte ihn noch lange in dieser Nacht, bis er endlich einschlief.

    ****

    »Maria, ich freue mich, dich zu sehen!« Rupert kam gerade aus dem Gasthof Schubhard, gleich hinter der Kirche, hatte sich dort mit einigen Burschen getroffen, ein kühles Bier mit ihnen getrunken und über das bevorstehende Tanzfest gesprochen. Nun wollte er zurück nach Hause. Bei dem Anblick der jungen Frau klopfte sein Herz schneller. Er bewunderte ihre zierliche Figur und hatte das Gefühl, sie sein Leben lang beschützen zu wollen.

    »Ich habe gerade einen Korb gesponnener Wolle zur alten Burgsteinerin gebracht«, sagte Maria ein wenig verlegen und blieb dicht bei ihm stehen.

    »Magst du am nächsten Sonntag mit mir am See tanzen gehen?«, fragte er und verlor sich dabei in ihren Augen.

    »Ja, gerne«, lachte sie ihn strahlend an und errötete dann leicht.

    »Ich hole dich von zu Hause ab«, schlug er vor. Sie nickte und erwiderte: »Wir werden bestimmt viel Spaß haben.«

    Die Vorfreude ließ den jungen Mann auf seinem Weg nach Hause fast schweben.

    Am Abend sollte wieder eine geheime Versammlung stattfinden. Die Lutheraner trafen sich in Schwarzach bei Hans Clingler, dem Holzerbergbauer.

    Es war noch hell und warm, als Rupert und sein Vater dort eintrafen, denn der Sommer hatte sich endlich in den Bergen niedergelassen.

    In der Stube war es angenehm kühl. Die Fenster waren geöffnet. Weil diese Seite zum Innenhof gerichtet war, hatten die Anwesenden keine Befürchtungen, von ungebetenen Zu-hörern belauscht zu werden.

    Hans Clingler begrüßte die Gläubigen. Wegen der dichten Augenbrauen, der zotteligen Haare und durch den langen Bart war nicht viel von seinem Gesicht zu erkennen. Aber seine wachen Augen nahmen die Anwesenden in der Stube nacheinander aufmerksam wahr. Er stimmte das Lied Ein feste Burg ist unser Gott an und alle Anwesenden sangen voller Inbrunst mit.

    Dann schaute er auf ein Schriftstück und verkündete: »Von Joseph Schaitberger haben wir einen Sendbrief erhalten. Er schreibt: Wer Jesus suchen will, der schaue nicht im Rosengarten nach, sondern muss das Kreuz auf sich nehmen und ihn an dem traurigen Ölberg suchen. Wenn es heißen wird: Dies musst du glauben oder alles verlassen, so bitte ich euch, macht keinen Gott aus den vergänglichen Gütern, sondern seid beständig im Glauben, weichet nicht von dem, der euch erschaffen und erlöset hat und durch den ihr auch hofft, einmal selig zu werden.«

    Der Holzerbergbauer legte das Papier zur Seite, hob den Kopf und schaute wieder in die Runde. »Joseph Schaitberger hält von Nürnberg aus Kontakt zu uns. Ihm ist viel Unrecht geschehen. Doch nie hat er sich einschüchtern lassen, obwohl er vom Erzbischof und seinen Häschern verhört, gefoltert und schließlich ausgewiesen wurde. Nie ist er vom Glauben abgefallen. Immer wieder hat er angemahnt, dass man Gott mehr gehorchen muss als den Menschen. Auch uns will Joseph Schaitberger Mut zusprechen.«

    »Es ist gut, dass er an uns denkt und uns mit seinen Worten bestärkt. Seine Frömmigkeit soll uns als Vorbild dienen. Wir halten an unserem Glauben fest«, bekannte Georg Schwaiger. Michael Burgsteiner meldete sich zu Wort. »Wir müssen auch standhaft bleiben, selbst wenn die Kirchenmänner uns das Leben schwer machen.« Ein zustimmendes Raunen ging durch den Raum.

    Hans Lodermoser machte ein finsteres Gesicht und schimpfte: »Sie reden uns einen strengen Gott ein, der jeden bestraft, der die Traditionen nicht pflegt oder seine Sünden nicht vollständig beichtet.«

    Die Bauern hatten immer wieder erlebt, dass das Handeln ihres Pfarrers Simon Eckart und auch des Vikars Georg Wanninger nicht ihre Zustimmung fand. Sie waren enttäuscht, weil die Kirchenvertreter ihre Sorgen und Bedürfnisse nicht ernst nahmen und stattdessen zeterten und drohten.

    Georg Schwaiger hob die Hand. »Wir wissen, dass Gott uns so annimmt, wie wir sind, selbst wenn unser Handeln in der Vergangenheit nicht immer richtig war. Er bleibt uns immer zugewandt, trotz unserer Unvollkommenheit und trotz unserer Zweifel. Der Glaube an ihn reicht aus. Wir brauchen keine Vermittlung durch den Pfarrer oder die Kirche und den ganzen Sermon. Wir brauchen auch keine Beichte durch einen Pfarrer und die Auferlegung einer Buße. Den Papst lehnen wir ab. Er stört den Religionsfrieden, weil er sich anmaßt, der Stellvertreter Jesu Christi zu sein.«

    Hans Clingler nahm die auf dem Tisch liegende Bibel in die Hand. »Ja, leider ist es so, dass sie die Dogmen sogar über die Heilige Schrift stellen. Doch nur was hier steht, hat für uns Gültigkeit. Die Bibel wird durch nichts als durch sich selbst ausgelegt und sie bestimmt die Glaubensinhalte. Das hat Martin Luther gesagt. Gott hat es nicht nötig, Sünden durch das Verbringen im Fegefeuer auszugleichen. Er ist gerecht und nur er allein kann Schuld vergeben. Jeder Gläubige kann direkt mit ihm Zwiesprache halten und wird von ihm angenommen. Gott hat Jesus auf die Erde geschickt, um den Menschen nahe zu sein, um mit dem Teufel zu streiten und ihn zu besiegen. Durch Erzählungen aus der Heiligen Schrift lernen wir Gott besser kennen.«

    Der Holzerbergbauer schaute in die Runde und versicherte sich der Zustimmung der Anwesenden. Dann las er das Gleichnis vom verlorenen Sohn vor. Die Zuhörer ließen noch einige Minuten lang den Inhalt still nachwirken.

    Vorsichtig formulierte Rupert seine Gedanken. »Bei dem Gleichnis vom verlorenen Sohn ist der Schweinestall der Ort der größten Verzweiflung und auch der Veränderung. Hier entscheidet sich der junge Mann für die Rückkehr und hofft auf die Güte des Vaters. Noch bevor er Worte finden muss, kommt ihm der Vater entgegen und nimmt ihn ohne Vorbehalte und Schuldzuweisungen auf. Es ist eine sehr berührende Erklärung für Gott, die Jesus uns da gibt. In einem anderen Gleichnis erzählt er von einem verlorenen Schaf. Er will damit auf das Bild vom guten Hirten aufmerksam machen und zeigen, dass Gott uns vor dem Verlorengehen bewahrt. Diese beiden Bibelstellen machen uns Mut und geben uns Hoffnung.«

    Hans Clingler nickte zustimmend, weil Rupert eine Diskussion über verschiedene Vorstellungen von Gott in Gang gebracht hatte. Georg Hundrieser, der Obereggbauer, saß an der anderen Seite des Tisches und beugte sich zu ihm herüber. »Ja, aus diesen Gleichnissen erfahren wir, dass er niemanden im Stich lässt, auch wenn sich jemand mal falsch verhalten hat.«

    »Auch wir sollen Menschen vergeben, wenn sie nicht den richtigen Weg eingeschlagen haben. In der Vergebung steckt eine ungeheure Kraft«, meinte Georg Schwaiger. »Das ist es, was Jesus uns sagen will, wenn er von der Güte seines Vaters erzählt. Probleme werden nicht gelöst, wenn wir nur darauf hoffen, dass Gott sich darum kümmert. Er erwartet von uns Handlungen, die im Glauben begründet sind.«

    In Gedanken sah Rupert den zeternden Kirchenmann vor sich und sagte: »Ja, nur wenn wir vergeben, können wir friedlich zusammen leben. Das ist der einzige Weg für uns und der ist richtig. Wir wollen all denen verzeihen, die uns Unrecht getan haben. Doch wie schön wäre es, wenn der Pfaffe an einen Ort der Veränderung gelangen könnte.« Seine spöttisch gemeinten Worte hatten eher einen verzweifelten Beigeschmack, denn er wusste, was alle in dem Augenblick dachten. Der Pfarrer führte nur das aus, was der Fürsterzbischof anordnete, der nicht nur die kirchliche, sondern auch die politische Macht im Land verkörperte.

    Doch diese Situation konnten die Männer nur beklagen, ändern konnten sie sie nicht. So tauchten sie weiter in die Diskussion über das Gleichnis ein. Rupert fragte sich, ob es richtig vom Vater sei, für den zurückgekehrten Sohn ein Fest auszurichten, ob er sich seinem anderen Sohn gegenüber gerecht verhalten habe und ob nicht auch der Daheimgebliebene der verlorene Sohn sei. Er regte durch seine Impulse die Diskussion weiter an. Die Anwesenden tauschten lebhaft ihre Gedanken aus. Für sie waren diese Gespräche wohltuende Seelsorge. Zum Abschluss erinnerte der Holzerbergbauer daran, dass auch die Musik für Lutheraner wichtig sei und stimmte ein Lied zur Erbauung der Gäste an.

    Rupert hatte durch das Auslegen der Botschaften und durch die Lieder und Gebete einen wertvollen Schatz, den kein Mann der Kirche ihm nehmen konnte.

    Kurz nach Sonnenuntergang waren Vater und Sohn wieder zu Hause. Auf dem Hof war es still. Bis auf die beiden Heimkehrer hielten alle Bewohner ihre Nachtruhe. Leise schlich Rupert in seine Kammer, ging zum Waschtisch, goss etwas Wasser aus dem Krug in die Schüssel und wusch sein Gesicht und seine Hände, trocknete sich ab und ließ sich müde ins Bett fallen.

    In dieser Nacht hatte er einen unruhigen Schlaf. Seine Träume waren ein Wechselspiel von Angst und Lust zugleich. Er überschritt darin alle Grenzen des Seins. Einmal schreckte er hoch, weil er sich vom Pfarrer verfolgt fühlte, der ihn anbrüllte, weil er den Rosenkranz nicht inbrünstig genug gebetet hätte. Dann erblickte er Simon Hochleitner, der sich hinter einem Holzstapel versteckt hielt und ihn bei den Bibellesungen mit den anderen Männern belauschte. Ganz deutlich sah er das Gesicht von Maria vor sich, wie sie ihn anlachte und wie er dann mit ihr hoch oben auf der Alm tanzte. Doch dann taumelte sie und war auf einmal verschwunden. Er suchte sie überall, doch sie war nicht mehr da. Diese Bilder wiederholten sich bis zum Morgengrauen mehrmals. Schweißgebadet erwachte er und vergewisserte sich durch das hereinbrechende Morgenlicht, dass der Tag bereits begonnen hatte. Das schob die Träume nun endgültig fort und er stand abrupt auf, denn die Arbeit rief.

    Nach der Stallarbeit am nächsten Sonntag gesellte er sich zu den anderen Bewohnern des Gutes Großenberg, die an einem großen Tisch unter dem dicken Kastanienbaum saßen. Die Sonne schien, die Luft war klar und die Sicht unendlich weit. Im Süden ragten hinter der Kornmühle am Taxbach,

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