Aggressive Kinder: Ursachen Entwicklung Heilung
Von Kristine Tauch
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Über dieses E-Book
"Wenn auch der Schwerpunkt auf der Aufarbeitung dieser bekannten und anerkannten Theorie [Bindungstheorie] liegt, so gelingt es der Kandidatin doch durch die vorzügliche Darstellung der Voraussetzungen, der empirischen Erhebungen und der neueren Weiterentwicklungen dieser Theorie, aktuelle Perspektiven für professionelles Handeln in der Heilpädagogik zu entwickeln und eine Arbeit vorzulegen, die für Pädagogen, Therapeuten und Eltern in gleicher Weise gewinnbringend zu lesen ist." Auszug aus dem Zweitgutachten der Diplomarbeit, Prof. Dr. Jörg Bürmann, Johannes-Gutenberg-Universität Mainz
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Buchvorschau
Aggressive Kinder - Kristine Tauch
Impressum
Aggressive Kinder
Ursachen Entwicklung Heilung
Copyright: © 2014, Kristine Tauch
Am Alten Dreisch 44b
33605 Bielefeld
Tel.: 0049 (0)521 938 311 94
Email: info@integra-lernwerkstatt.de
Website: www.integra-lernwerkstatt.de
Cover Design
M.B.M. Murshid
Cover Bild
© shocky – Fotolia.com
Widmung
Für meine Eltern
0. Vorwort im Dezember 2014
Liebe Leserin, lieber Leser!
Vor gut 12 Jahren habe ich mich im Rahmen meines Diplom-Pädagogik Studiums an der Johannes-Gutenberg-Universität in Mainz intensiv mit dem Thema Aggression im Kindesalter beschäftigt. Insbesondere die Auseinandersetzung mit der Bindungstheorie hat mir in allen meinen praktischen Tätigkeiten, in Kindergärten, Grundschulen und weiterführenden Schulen sowie im Umgang mit gesellschaftlich benachteiligten Jugendlichen, einen hohen Dienst erwiesen. Wäre mir nicht klar gewesen wie sehr die frühen Bindungen das Selbstwertgefühl und die Verletzlichkeit des Kindes prägen können und welche Verstrickungen in familiären Beziehungen zu welchen Symptomen führen können, so hätte ich so manches Mal sicher weniger feinfühlig auf die mir anvertrauten Heranwachsenden reagiert. Und ich hätte meine Rolle als (späte) Bindungsfigur unterschätzt und die Verantwortung, die mit dieser Rolle einhergeht.
Die Bindungstheorie und ihre Implikationen sind in ihrer Reichweite und Relevanz aus pädagogischen Handlungsfeldern nicht wegzudenken. Und ebenso gehört dieses Wissen meines Erachtens in die Hausapotheke einer jeden Familie. Denn sie lehrt uns miteinander feinfühlig umzugehen, Kinder mit ihren Bedürfnissen und in ihrem Selbstausdruck wahrzunehmen und sie stark zu machen für eine Welt voller Risiken – und voller Aggressionen.
Aktuell ist die gesamte nordrhein-westfälische Schullandschaft dem Inklusionsgedanken unterworfen, und bei reinen Gedanken ist es nicht geblieben. Gymnasien öffnen sich für Förderschüler, Förderschulberufskollegs öffnen Hauptschülern ohne REHA-Status ihre Pforten, Gesamt- und Gemeinschaftsschulen fressen die Reste von Haupt- und Realschulen auf und vereinen diese mit umfassenden Lehrplänen von Förderschul- bis Gymnasialniveau. Alle sind hier willkommen! Schön! …
Schon in meiner Studienzeit habe ich begeistert in integrativen Schulen hospitiert in denen Schüler und Schülerinnen ohne und mit Behinderungen gemeinsam unterrichtet wurden. Mit Erfolg! Denn die Klassen waren mit jeweils zwei Lehrkräften besetzt, die räumliche Ausstattung war hervorragend, behinderte Kinder hatten jeweils einen Zivildienstleistenden zur Seite, es gab extra Unterrichtsstunden zum Thema „Sozialverhalten" und, und nun kommt das Entscheidende, die Lehrkräfte hatten aus tiefer Überzeugung ihren Arbeitsort gewählt. Es waren Lehrerinnen und Lehrer, die nicht bindungsscheu waren, sondern im Gegenteil neben ihrer fachlichen Arbeit die Beziehungsarbeit als Bestandteil ihrer Aufgabe ansahen.
Und genau an dieser Stelle hinkt für mich die Umsetzung der Inklusion in Teilen des deutschen Schulwesens. Diese Art der Beziehungsarbeit, die außergewöhnliche Schüler und Schülerinnen brauchen, insbesondere lernschwache und emotional auffällige Kinder (wobei ich davon ausgehe, dass gute Bindungen und Beziehungen allen Kindern gut tun), wurde bisher hauptsächlich von Förderschullehrern geleistet, die meistens in sehr kleinen Gruppen unterrichten.
Der typische Fachlehrer der Realschule XY hat nicht nur wenig Zeit für Bindungsarbeit, er hat im schlechtesten Fall auch gar keine Ahnung davon! Das sei ihm nicht vorzuwerfen, denn seine Intention ist höchstwahrscheinlich, sein Fachgebiet didaktisch ansprechend zu vermitteln. Das ist sein Job.
Ausgehend davon, dass viele Lehrkräfte auf die Themen „Beziehungsarbeit und „Verhaltensstörungen
in Studium und Referendariat nicht hinreichend vorbereitet wurden, halte ich die Lage der Nation, in der die Katastrophenmeldungen aus „Inklusionsversuchen sich in Grenzen halten, für lobenswert. Oder ist das die Ruhe vor dem Sturm? Werden unsere Lehrer und Lehrerinnen es schaffen im Zuge der steigenden Anforderungen an die eigene emotionale Offenheit und Bindungsfähigkeit zu wachsen und durch persönliche Entwicklung und Umstrukturierungen von schulischen Ressourcen das große Inklusionsvorhaben zu meistern? Oder braucht es für die Begegnung mit aggressiven und auffälligen Kindern doch eine beschützte und sehr überschaubare Atmosphäre mit ganz besonders ausgebildeten Menschen, den „Sonderpädagogen
, damit Heilung geschehen kann?
Kristine Tauch, Diplom-Pädagogin
P.S.: Alle in der vorliegenden Arbeit genannten Standpunkte werden mit empirischen Befunden belegt. Den ungeduldigen Lesern empfehle ich die präzisen Zusammenfassungen jeden Kapitels sowie den Ausblick am Ende zu lesen.
Bitte denken Sie auch daran: Eine ehrliche und freundliche Rezension stärkt die Bindung der Leser zur Autorin und sorgt für ein Lächeln in deren Gesicht. Danke!
1. Einleitung
Die Bindungstheorie ist von John Bowlby begründet worden und erfreut sich heute großer Bedeutsamkeit. Ich werde sie in dieser Arbeit in ihren Grundzügen und den für die Heilpädagogik mit verhaltensgestörten Kindern relevanten Ausformungen untersuchen.
1.1 Intention und Ziel der Arbeit
Pädagogen in diversen Bereichen der Jugendhilfe und Jugendfürsorge, aber auch Lehrer und Erzieher in Kindertagesstätten werden mit Verhaltensstörungen bei Kindern konfrontiert, die nicht selten eine aggressive Komponente haben. Jüngste Nachrichtenberichte weisen auf eine erschreckende Gewaltbereitschaft nicht nur bei amerikanischen Kindern, sondern auch in unserer jungen Generation in Deutschland hin. Wenn Kinder aufgrund von Gewalttaten vor Gericht müssen, dann ist neben der Frage ihrer Schuldigkeit auch immer die Frage nach einem versteckten Schuldigen zu stellen. Wer hat das Kind angestiftet, wer hat es so weit gebracht eine solche Tat zu vollziehen? Zwei Antworten stehen dabei zur Diskussion, zum einen wird die Familie des Täters, zum anderen die gesellschaftliche Situation verantwortlich gemacht. Gesellschaftliche Faktoren, die Aggressionen fördern können, sind sicherlich die Gewaltverherrlichung in den Medien (Videos, Comics, Internet, Fernsehen etc.), der wir ständig begegnen und die leistungsorientierte und emotionslose Atmosphäre der meisten Schulen. Es ist eine Schande, dass zu jeder Tageszeit Gewalt auf dem Fernsehprogramm steht, und dass schon kleine Kinder sich in Videospielen gegenseitig tot schießen dürfen. Hier stellt die Gesellschaft der Familie eine große Aufgabe: Sie soll ihre Kinder von all dem abschirmen, was eigentlich für sie produziert wird. Für Eltern bedeutet das, eine Reihe von Verboten aufzustellen, die den Umgang mit Medien betreffen. In der Schule erhalten Kinder nur dann Anerkennung, wenn sie die geforderten, streng definierten Leistungen erbringen. Die Eltern müssen daheim den Leistungsdruck aus der Schule abfangen, indem sie ihre Kinder zu Hause wieder ein Kind sein lassen, das Geborgenheit suchen darf. Es ist eine schwierige Anforderung, aber viele Eltern meistern diese. Sie bieten somit ihrem Kind Schutz vor der Außenwelt, behüten es vor schlechten Einflüssen oder geben ihm die Stärke, sich selbst beschützen zu können. Die Medien oder die Gesellschaft im Ganzen als alleinige Übeltäter hinzustellen, würde der Komplexität der kindlichen Entwicklung nicht gerecht werden. Das würde auch nicht erklären, warum so viele Kinder nicht verhaltensauffällig werden. Ob ein Kind für negative gesellschaftliche Einflüsse anfällig ist oder nicht, hängt mit seiner inneren Sicherheit und Stabilität zusammen. Das Fundament für diese Eigenschaften wird während der ersten Lebensjahre in der frühen Eltern-Kind-Bindung gebildet.
Da die Rolle der Familie in der Entwicklung eines Kindes so bedeutsam ist, möchte ich genauer betrachten, wie Kinder in ihrer Fähigkeit sich selbst zu beschützen und Gefahren auszuweichen bestärkt beziehungsweise geschwächt werden. Welche innerfamiliären interaktionalen Strukturen kann man ausfindig machen? Welche Funktion hat die Mutter-Kind-Interaktion in den ersten Lebensjahren, wenn die Gesellschaft im weiteren Sinne noch keine Bedeutung für das Kind hat? Ich möchte Erklärungen finden für die Entstehung von Aggression. Jedoch kann ich nicht alle existierenden Theorien zu diesem Thema, wie die Frustrations-Aggressions-Theorie, die lerntheoretisch-kognitiv orientierte Theorie, die Triebtheorie oder die Ethologische Aggressionstheorie, behandeln. Ich werde die Entstehung von Aggression aus bindungstheoretischem Blickwinkel betrachten und durch einen psychoanalytischen Ansatz ergänzen. Dass ich damit nicht alle möglichen Entstehungswege der Aggression abdecke, sei hier voraus geschickt.
Die Eltern-Kind-Bindung und ihre Implikationen für die kindliche Entwicklung sind also das Thema dieser Arbeit. Ich beschäftige mich hier mit den Grundlagen und neueren Entwicklungen der Bindungstheorie und hoffe dadurch neue Einsichten und Ideen für den pädagogischen Umgang mit Kindern mit Verhaltensstörungen zu finden.
1.2 Methode und Themenabgrenzung
In dieser Arbeit berichte ich über den Forschungsstand der Bindungstheorie in Bezug auf das Erklären von kindlichen Verhaltensstörungen und den daraus sich ergebenden pädagogischen Implikationen. Dazu ist es notwendig, die Grundlagen der Bindungstheorie anhand von Originalliteratur der wichtigsten Autoren (Bowlby und Ainsworth) vorzustellen. Die neuere bindungstheoretische Literatur habe ich nach drei Gesichtspunkten ausgewählt: der Aktualität (dem Erscheinungsjahr), Verweisen auf die Autoren in Handbüchern der Bindungstheorie und natürlich nach der Relevanz des Themas für meine Arbeit. Für den heilpädagogischen Bereich verwende ich vor allem sonderpädagogische Literatur sowie einige Werke, die aus einer psychologischen Perspektive geschrieben wurden (zum Beispiel Petermann und Petermann, Heinemann und Hopf). Des Weiteren habe ich Kohuts Narzissmustheorie ausgewählt, um die Entstehung von Aggression zu veranschaulichen. Dabei geht es nicht darum, seine Selbstpsychologie vollständig nachzuzeichnen. Meine Darstellung von Kohuts Aggressionsbegriff mag dadurch verkürzt wirken, ich bin aber überzeugt, dass ich ihn nicht verfremdet habe und dass er eine gute Ergänzung zur Bindungstheorie bietet.
An das Ende der Kapitel 2.1, 2.2, 2.3 und 3.3 stelle ich jeweils eine Zusammenfassung, in der die wichtigsten Zusammenhänge noch einmal überschaubar dargestellt werden. Das erlaubt es mir, im Schlussteil, Kapitel 4, keine ausführliche Zusammenfassung mehr zu geben, sondern nach einem knappen Ergebnisüberblick einen Ausblick auf pädagogische Aufgaben zu gestalten.
Die Überschrift dieser Arbeit macht deutlich, dass hier ausschließlich Erkenntnisse über das Kindesalter referiert werden. Ich beziehe mich insbesondere auf das Kleinkindalter. Die zahlreichen interessanten Befunde der Bindungstheorie über das Jugend- und Erwachsenenalter bleiben weitgehend unberücksichtigt.
Die Bindungstheorie ist, besonders