Amerikas Helden: Capriccios I
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Buchvorschau
Amerikas Helden - Klaus Werner Hennig
Auf dem Kriegspfad
Nun ist es wieder soweit, Manöver im Krisengebiet, wir haben uns den Krieg nahezu vor die eigene Haustür platziert. Das hat aber gedauert. Nun gibt es demnächst für uns richtig Krieg, so mit Raketen, Bomben, Granaten, auch Toten und Verwundeten zuhauf. Na endlich, nicht mehr auszuhalten, nur noch Gespräche über Bäume und Steine, Verse über den Dorftümpel, seine Entengrütze, den Giersch, der hoch zum Giebel kriecht, den Ginster der schwefelgelb am Wegrand glüht, über das Biotop in einer Regenpfütze mit Pantoffeltierchen, Mückenlarven, Landblutegel, am Horizont verschwimmt ein weißes Segel.
Um uns herum all die Jahre hindurch war es dermaßen friedlich, auf Dauer nicht auszuhalten: Die Märkte brechend voll mit Waren aus aller Welt, die Inflationsrate so niedrig, wie nie zuvor. Allerdings gab es immer mehr Arbeitslose, die Unruhe stiften, die den Sozialfonds in die Höhe treiben, die Wirtschaftskrise mit dem Mindestlohn anheizen. Die könnten nun allesamt soldatisch sinnvoll eingegliedert werden für den guten Zweck, unsere Leistungsträger zu schonen, zu verbergen in einem sicheren Versteck: bei Mutti auf dem Schoß oder hinten in unserem Garten bloß.
Ein transatlantisches Sturmtief erstreckt sich bis zum Uralgebirge, verdrängt die subtropische Warmluft, die uns seit fünfundzwanzig Jahren einlullt in Friedensillusion und Wohlstandswahn. Zwar gab es irgendwo in der Welt immer ein bisschen Krieg, ein kleines Gewitter mit Hagelschlag, an dem wir teilhaben durften, aber doch nicht vor unserem Gartenzaun, vom Schlafzimmerfenster aus zu überschauen und zu hören, wie es munter blitzt und knallt. Aus dem Drei-D-Fernseher dräut ein Kanonenrohr, über der Sesselecke durchstößt es die Zimmerdecke, ein gepanzertes Kettenfahrzeug rammt die Giebelwand, das Haus stürzt ein, oder bilden wir uns das bloß ein?
Kaltluft polaren Ursprungs erfasst den Kontinent. Versiegt der Golfstrom, bricht eine neue Eiszeit an. Nördlich des Schwarzen Meeres, entlang der Luftmassengrenze, entladen sich schwere Unwetter. Unsere Kanzlerin verspricht sofortige Abhilfe über Twitter. Sie lässt für Milliardäre in Kiew Rettungsschirme made in Germany, aus Spendengeldern finanziert, verfrachten und versichert den baltischen Staaten, wir europäischen Demokraten lassen euch im Verteidigungsfall gegen den Russen keinesfalls im Stich.
Guttenberg sei Dank, er hat die Wehrpflicht abgeschafft. Es gibt kein Geflenne, kein Geschrei, nur Manneszucht im Söldnerheer. Schließlich ist Deutschland wieder wer. Der Präsident verkündet ohne Scheu, wir dürfen schießen auf alle, die nicht hören wollen und uns nicht vorschriftsmäßig grüßen, wie die faulen, frechen Griechen, hochverschuldet, ohne Geld, wissen nicht, was sich gehört in einer freien Welt.
Für den Frieden muss man etwas tun!
Die Schwarzfahrerin
Im allerletzten Moment, bevor sich die Türen schlossen, sind am vorderen und hinteren Perron blaugrau uniformiert ein Mann und eine Frau zugestiegen. Niemanden auslassend, arbeiten sich die Kontrolleure, vom Jagdfieber auf Schwarzfahrer getrieben, beidseitig durchs Gewühl zur Mitte hin. Ihr Job, den Bus bis zum nächsten Halt zu durchkämmen. Keiner darf ihnen entwischen. Sie kennen sämtliche Ausreden und Tricks. Die Fahrpreise sind hoch – ja, das sind sie – aber Schwarzfahren kommt wesentlich teurer.
Ein winziges Persönchen wuselt zur Mitte, trachtet zu entkommen. Aussichtsloses Unterfangen. Die nächste Haltestelle zu weit, die Kontrolleure zu routiniert. Unscheinbar, zwischen ihren Plastiktüten, kauert sie sich auf den Boden hin. Verräterisch strahlt der wirre, schlohweiße Haarschopf der alten Frau. Von hinten und vorne umzingelt, in die Zange genommen, begrüßen die Beamten sie wie eine alte Bekannte. Die Frau erhebt sich, lächelt versonnen, als ginge sie hier alles nichts an. Auf das stereotype „den Fahrschein bitte zur Kontrolle, streicht sie über ihr Haar, hält eine Hand ans Ohr, verzieht fragend den Mund, stößt unvermittelt hervor: „Schönes Wetter heute, nicht wahr?
Die Fahrgäste um sie herum schauen schadenfroh zu. Pech gehabt, Madam. Jeder ist sich selbst der Nächste, mit sich selbst zufrieden, so es ihn nicht erwischt hat.
Gertrude Fingerlein, sechsundachtzig Jahre, Rentnerin, hat Zeit ihres Lebens geschuftet, zog sich selber die Hosen an, arbeitete, so man ihr Arbeit gab, packte an, half jedem, der sie darum bat, war stets Kumpel, Kamerad, stand ihren Mann, landete in einer Putzkolonne, beim Malochen ging sie hurtig voran, buckelte sich ab. Müßiggang kannte sie nicht. Trotzdem, ihre Altersrente heute ist gottesjämmerlich: fünfhundertsechzig Euro monatlich, dreihundertfünfzig die Miete, einhundertzwanzig für Gas, Wasser, Heizung und Licht, da bleiben knapp neunzig zum Leben. Wie der Bischof von Limburg, so verschwenderisch wie ein Kirchenfürst, kann sie das Geld nicht ausgeben. Mit ihren sechsundachtzig geht sie noch putzen, drei Euro fünfzig pro Stunde bar auf die Hand, es ist eine Schande, und von dem bisschen knappst sie für ihren Jungen, der sie mitunter besucht, noch ab. Beim Sozialamt die karge Rente aufstocken lassen, käme Gertrude Fingerlein nicht in den Sinn. Nein, in ein Altersheim sperrt sie niemand ein. Lieber lebte sie wie ein Hund auf der Straße.
Selbstverständlich sammelt sie Pfandflaschen aus Abfalleimern, stibitzt Essbares vom Kaufmarkt, wenn sie Hunger hat: Mundraub werde nicht bestraft, das habe schon ihre Großmutter gesagt. Steht doch in der Bibel: Wenn du in den Weinberg eines andern kommst, darfst du so viel Trauben essen, wie du magst, bis du satt bist, nur darfst du nichts in ein Gefäß tun. Aber in Deutschland sieht die Rechtslage anders aus, da wird Ladenraub auf Strafantrag verfolgt, selbst wenn es einen hungert, und er flink alles verschlingt. Aus Prinzip fährt Gertrude Fingerlein schwarz, um zu ihren Putzstellen zu gelangen. Sie verkörpere nicht mal die halbe Portion Lebendgewicht anderer und soll den vollen Fahrpreis zahlen? Die paar Pimperlinge, die sie sich mit Putzen mühselig verdient, kann sie dafür nicht verschwenden. Am Monatsende versorgt sie sich zuweilen von der Tafel, anfangs furchtbar blamabel, mit der Zeit empfindet sie nichts Schlimmes mehr dabei. Ich bin ein Mensch, allerdings alt, aber noch bin ich frei, möchte hingehen, wohin ich will, teilhaben am