PORTALFEUER: Science-Mystery
Von Michael Stuhr
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Über dieses E-Book
Jeffs Vater verdient beim Wachdienst der Moulder-Oil-Company nicht schlecht, und die Familie ist zufrieden. Eines Tages wird er aber bei einem Dienstunfall schwer verletzt.
Jeff und seine Schwester versuchen herauszubekommen, warum der Unfall vertuscht werden soll; statt auf Antworten stoßen sie aber nur auf immer neue Fragen: Wie kommt ein haiähnliches Wesen mitten ins Weideland? Warum beschäftigt die Förderfirma einen Astrophysiker? Und die größte Frage von allen lautet: Wo kommt eigentlich das Öl her, das Moulder wieder zu einer reichen Stadt gemacht hat?
Ein spannender Actionroman um junge Leute auf der Suche nach der Wahrheit, geschrieben vom Verfasser der Reihe "Das Team".
282 Standardseiten
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Buchvorschau
PORTALFEUER - Michael Stuhr
PROLOG
EIN TAG IM HERBST
NEBENWELT
Der Drache trieb mit ruhigen Bewegungen seiner Schwingen in den höheren Schichten der Atmosphäre dahin, aber er war wachsam. Er hatte lange keine Nahrung gehabt und der Hunger war um diese Jahreszeit besonders gefährlich. Schon bald würde die kalte Witterung ihn zu träge für die Jagd werden lassen, und wenn er den Winter überleben wollte, musste er vorher noch Beute machen. Schon jetzt war es an manchen Tagen so kalt, dass die Beutetiere sich in ihren Höhlen verkrochen und von ihren Vorräten lebten.
Sanft griff der Wind unter die grauen, ledrigen Schwingen und der Drache schwebte ohne jede Kraftanstrengung hoch über einem nebelverhangenen Wald flacher, farnähnlicher Gewächse, als er plötzlich einen schwachen, rötlichen Blitz und eine Bewegung in der Ferne wahrnahm.
Sofort ruckte der flache Kopf herum. Er verlagerte sein Gewicht, ließ sich in einer lang gezogenen Kurve näher herantreiben und benutzte das Fernaugenpaar.
Die starke Vergrößerung zeigte ein leichtsinniges Lebewesen, das einsam auf dem flachen, von dichtem Schlingkraut überwachsenen Boden stand. Der große Kopf und die zwei Beine ließen keinen Zweifel zu: Ein Beutetier! Es strahlte einen unverkennbaren Impuls von Angst aus.
Der Drache stellte fest, dass sein Opfer unbewaffnet war. Er hatte es schon erlebt, dass Beutetiere sich wehrten. Noch heute spürte er die Narbe, die eine tiefe Wunde von einem angespitzten Stock hinterlassen hatte. Nicht, dass es der Beute letzten Endes etwas geholfen hätte, aber es hatte den Drachen vorsichtig gemacht.
Von diesem Tier hier drohte keine Gefahr. Der Drache bewegte seine Schwingen ein wenig und ließ sich in einer großen Schleife tief hinabsinken, um sich in eine günstige Angriffsposition zu bringen. Die Nebelfetzen über dem überall wuchernden Schlingkraut gaben ihm gute Deckung. Kaum eine Handbreit über dem Boden glitt er schlangengleich mit hoher Geschwindigkeit dahin. Noch hatte die Beute ihn nicht bemerkt. Die bernsteinfarbenen Augäpfel rollten eine Vierteldrehung weit und das Pupillenpaar für den Nahbereich kam unter den knochigen Augenwülsten zum Vorschein.
Plötzlich flimmerte die Luft hinter der Beute und aus dem Nichts tauchten zwei weitere Beutetiere auf. Auch sie strahlten die typischen Impulse aus, die irgendwo zwischen Besorgnis und Angst lagen. Auch sie waren unbewaffnet. Der Drache kümmerte sich nicht um sie. Er hatte sein Opfer bereits ausgewählt und hielt unbeirrt darauf zu.
Die Gestalten bewegten sich unsicher, sahen nach hier und nach dort, aber den mit hoher Geschwindigkeit angreifenden Drachen bemerkten sie nicht. Zu perfekt verschwamm das blasse Grau der schuppigen Haut in den Nebelfetzen.
Im letzten Moment bewegte der Drache seine Schwingen und schoss vor den wie erstarrt dastehenden Gestalten aus dem Dunst empor. Die Angstimpulse verstärkten sich zu einem einzigen gemeinsamen Aufschrei.
Es war ein sehr großes Beutetier, aber es leistete nicht den geringsten Widerstand und es hatte auch gar keine Chance dazu. Die mächtigen Kiefer schlossen sich krachend um den Schädel, und der Schwung des Drachen fegte sein Opfer von den Füßen. Der leblose Körper wurde noch ein Stück weit mitgerissen. und sank dann kraftlos nieder.
Eilig hockte der Drache sich mit halb abgespreizten Schwingen in Drohhaltung über seine Beute, um seinen Anspruch auf das Futter zu sichern, denn er spürte, dass ein raubgieriger Konkurrent in der Nähe war.
Hass- und Neidimpulse aussendend kam ein weit kleinerer Drache über das Schlingkraut herangeschossen. Er sah sehr hungrig aus und seine Gedanken waren ganz auf Angriff ausgerichtet.
Der Drache über der Beute machte sich bereit, um sein Fressen zu kämpfen. Sein Gegner kam flach über dem Boden mit rasender Geschwindigkeit auf ihn zu, aber dann war er plötzlich in einem rötlichen Blitz verschwunden.
Der Drache blieb noch ein paar Augenblicke lang in seiner bedrohlichen Verteidigungspose und beobachtete misstrauisch die treibenden Nebelfetzen. Als sein Gegner nicht wieder auftauchte, entspannte er sich schließlich und begann zu fressen. Ab und zu sah er sich sichernd um, aber da war nichts und niemand mehr. Auch die beiden anderen Beutetiere waren verschwunden. Der Drache kümmerte sich nicht darum. Er würde jetzt für lange Zeit nicht mehr hungrig sein und er konnte den Winter überleben. - Das war das Einzige, was wichtig war.
KAPITEL 1
DONNERSTAG, 04:37 AM
MOULDER-CITY
Der schwere Peterbilt-Truck zog eine Fahne aus schwarzen Rußwolken hinter sich her, als er den Highway erreichte und Geschwindigkeit aufnahm. In der morgendlichen Stille war das Geräusch des mächtigen Dieselmotors meilenweit zu hören, das immer wieder aufdröhnte, als der Fahrer hochschaltete, Die mehr als einen Meter hohen Reifen unter dem randvollen Tankauflieger begannen auf dem Asphalt zu singen, als die Tachonadel über die Fünfzig-Meilen-Marke stieg. Noch nahm der Fahrer das Gas nicht zurück. Mehr als achttausend Gallonen Premium-Benzin im Rücken ließ er den Truck mit fünfundsechzig Meilen in der Stunde den Highway rund um Moulder-City entlangschießen. Er hatte es eilig, denn der Disponent der Moulder-Oil-Company hatte ihm gerade mal einen einzigen Tag für die Fahrt zu den Tankstellen in Galveston gegeben.
Rechts zogen die letzten Häuser der Stadt vorbei und voraus kreuzte die Interstate. Die Siebe der Schalldämpfer waren nicht mehr ganz in Ordnung, und beim Herunterschalten wehten ein paar glimmende Rußpartikel aus dem hoch aufragenden Doppelauspuff über den Tankauflieger. Der Fahrer merkte nichts davon, oder es machte ihm nichts aus. Zügig bog er auf die Interstate ab und wechselte sofort in den nächsthöheren Gang, als er die freie Strecke vor sich hatte.
Das Geräusch des Trucks war noch nicht in der Ferne verklungen, als bereits der nächste Tanklastzug den Highway erreichte.
Knapp eine halbe Meile von der Stelle entfernt, an der der Highway und die Interstate sich kreuzten, drehte Jeffrey O´Bannion sich im Bett um und murmelte im Schlaf ein paar unverständliche Worte. Eigentlich störte ihn das entfernte Geräusch der Tag und Nacht vorüberziehenden Tanklaster nicht, aber seit er mit seiner Familie hierhergezogen war, träumte er jede Nacht davon, einen schweren Truck zu lenken, der nach und nach immer mehr außer Kontrolle geriet. Der Traum endete jedes Mal damit, dass er völlig hilflos mit hoher Geschwindigkeit auf eine Stadt zu raste, ohne abbremsen zu können.
Obwohl es recht nahe an den zwei Hauptverkehrsadern von Moulder lag, war das Haus, das die O´Bannions jetzt seit einem Vierteljahr bewohnten so etwas wie ein Paradies für Jeff. Sein Vater war bis vor kurzem bei der Militärpolizei in Fort Worth gewesen und so hatte die Familie in all den Jahren nur die engen Unterkünfte kennen gelernt, die man den Soldatenfamilien zur Verfügung stellte. Hier dagegen bewohnte Jeff zusammen mit Shereen, seiner knapp ein Jahr älteren Schwester, das gesamte Dachgeschoss, in dem es sogar ein eigenes Badezimmer gab. `Luxus pur´, fand Jeff, und da konnte ihn das bisschen Gebrumme von den Schnellstraßen rundum nicht wirklich stören.
Schon bog der nächste Tanklaster auf die Interstate ein und das auf- und abschwellende Motorgeräusch drang aus der Ferne durch die halb geöffneten Fenster herein. Irgendein lockeres Blech schepperte an dem Fahrzeug. Weit vor der Stadt leuchtete es über den alten Ölfeldern kurz rötlich auf, wie von einem fernen Gewitter. Jeff drehte sich wieder auf die andere Seite und schlief weiter.
Bislang war Jeffrey O´Bannion nicht sehr vom Leben verwöhnt worden. Mit seinen siebzehn Jahren war er mit der Familie zusammen schon viermal umgezogen, was für ein Soldatenkind eigentlich noch ziemlich wenig ist. In den verschiedenen Schulen, die er in Andrews, Mannheim und Fort Worth besucht hatte, hatte er Zwölfjährige getroffen, deren Väter schon fünfmal versetzt worden waren.
Einerseits hatte Jeff dieses Leben recht interessant gefunden. Besonders die zwei Jahre in Deutschland hatten ihn sehr beeindruckt. Dass es ein Land geben könnte, in dem Baseball nahezu unbekannt war und selbst Jugendliche in aller Öffentlichkeit rauchten, ohne dass sich jemand daran störte, das hatte er nicht vermutet. Und dann gab es da noch die Autobahnen...
Jeffs Vater hatte sich, als sie nach Deutschland gekommen waren, in einem Anfall von Leichtsinn einen gebrauchten Dreier-BMW von einem Kameraden gekauft, der in die Staaten zurückging. Eines Nachmittags, Jeff war mit seinem Vater unterwegs gewesen, um ein paar Besorgungen zu machen, waren die beiden auf die Idee gekommen, mal auszuprobieren, was der Wagen so leistete. Kurz entschlossen war Jeffs Dad auf die Autobahn Richtung Heidelberg eingebogen und hatte Vollgas gegeben. Niemals im Leben würde Jeff den Stolz vergessen, als der Wagen nach einigem Anlauf auf der schnurgeraden Strecke die unglaubliche Geschwindigkeit von über hundertachtzig Stundenkilometern erreichte. Mit voll durchgetretenem Gaspedal hatten sie alle anderen Fahrzeuge überholt und weit hinter sich gelassen. – Mehr als hundertzehn Meilen in der Stunde! Jeff und sein Dad hatten sich in diesem Augenblick wie die Könige der Autobahn - ach was - wie die Könige der Welt – gefühlt, bis plötzlich ein mit Bauarbeitern besetzter und mit Farbkübeln und einer Aluleiter auf dem Dach beladener Omega-Kombi lässig an ihnen vorbeigezischt war.
Die Rückfahrt war dann wesentlich langsamer und recht schweigsam verlaufen. Erst kurz vor Mannheim war es Jeffs Dad dann eingefallen, dass Opel ja zum General-Motors-Konzern gehörte und es deswegen ja eigentlich ein amerikanischer Wagen gewesen war, der sie überholt hatte. - Wenigstens ein kleiner Trost!
Jeffs Mutter und Shereen hatten übrigens nichts von dieser Eskapade erfahren. In stillschweigender Übereinkunft hatten Jeff und sein Dad niemals etwas davon erzählt. Die beiden Frauen hielten nämlich alles, was über das in den Staaten übliche Speed-Limit von fünfundfünfzig Meilen hinausging, für glatten Selbstmord.
Der BMW war nach der Versetzung des Vaters nach Fort Worth in Deutschland zurückgeblieben und als Danny und Paddy geboren wurden, war mit den kleinen, sportlichen Autos sowieso Schluss gewesen. Jetzt waren Familienkutschen angesagt, und Jeffs Mom hatte einen Mitsubishi-Minivan bekommen. Von seiner Abfindung, die er von der Army erhalten hatte, hatte Jeffs Dad sich dann einen Chevy-Suburban gekauft. Ein Wal von einem Auto, aber mit reichlich Platz für alle.
Die letzte Station des unruhigen Soldatenlebens war also Fort Worth gewesen, und Jeff hatte die leise Hoffnung, hier in Moulder vielleicht einmal Freunde zu finden, von denen er sich nicht schon bald wieder trennen musste. Sein Vater hatte jetzt einen sehr gut bezahlten Job beim Werksschutz der ‚Moulder-Oil-Company‘, und es sah so aus, als könne die Familie hier endlich einmal so etwas wie Wurzeln entwickeln.
Was Jeff anging, so hatte das bislang aber noch nicht so gut geklappt. In seinem bisherigen Leben war er immer und überall der Neue und der Fremde gewesen, sodass er aus dieser Rolle auch jetzt nicht so leicht herausfinden konnte. Er litt nicht wirklich darunter; es war nur so, dass er im Umgang mit seinen Altersgenossen immer noch eine gewisse Distanz wahrte, und das kam hier in Moulder nicht so gut an. So beschränkten sich Jeffs Kontakte auf zufällige Treffs in Hamburgerbuden und Milchbars und auf seltene private Besuche, aber eine richtige Freundschaft hatte sich daraus bislang nicht entwickelt.
Das Leben in Moulder-City kam Jeff sowieso seltsam vor: Es gab hier viele, die, wie die O´Bannions, von außerhalb hierhergezogen waren. Eigentlich war Moulder bis vor ein paar Monaten eine ebenso sterbende Stadt gewesen, wie alle Gemeinden hier in der Gegend. Der ganze Reichtum der Gegend hier war dem Erdöl zu verdanken gewesen. Von Jahr zu Jahr war die Fördermenge jedoch gesunken, und niemand, der ein wenig vom Ölgeschäft verstand, machte sich Illusionen darüber, woran das lag: Die Vorkommen unter dieser Region von Texas waren völlig erschöpft, und die ehemals reichen Städte verödeten nach und nach. Die Facharbeiter waren in Scharen fortgezogen, um woanders Arbeit zu finden und viele Geschäfte hatten schließen müssen, weil nach und nach die Kundschaft ausgeblieben war.
Auch Moulder-City hatte kein Geld mehr gehabt und selbst dringend notwendige Reparaturen waren vom Rat der Stadt aus finanzieller Not auf die lange Bank geschoben worden. Viele Häuser hatten leer gestanden und Moulder war langsam zur Geisterstadt geworden.
Draußen, im weiten Weideland, hatte es nicht besser ausgesehen: Die alten Bohrlöcher und Pipelines waren verfallen, und so manche Erdölraffinerie rostete in den Weiten des Graslandes still vor sich hin, bis vielleicht einmal die Demontagetrupps kamen und allen verwertbaren Schrott abholten.
In diese allgemeine Stimmung des schleichenden Untergangs hinein war die Nachricht, dass die Moulder-Oil-Company ein neues, reichhaltiges Vorkommen entdeckt hatte, wie eine Bombe eingeschlagen. Die Fachleute meinten zwar, dass auch diese Quelle nach wenigen Wochen versiegen würde, aber das war nicht so. Tag und Nacht wurden Millionen von Barrels besten Rohöls durch die Pipelines in die neu erbaute Raffinerie der Moulder-Oil-Company gepumpt, und Güterzüge und Tanklaster verteilten den wertvollen Treibstoff über das ganze Land.
Das wertvolle Öl sprudelte nun schon seit Monaten, und der ‚M.O.C.‘ gelang es sogar, ihre Fördermenge von Woche zu Woche zu steigern. Ganz gleich, was die Fachleute meinten: die M.O.C. stellte Arbeitskräfte ein und die Menschen kamen von weither, um sich ihren Anteil am unverhofften Reichtum zu sichern.
So war auch Jeffs Familie hierhergeraten; mitten hinein in den neuen Ölboom von Moulder. Alles sah sehr gut aus: Die Stadt blühte gewissermaßen über Nacht zu neuem Leben auf. Die M.O.C. zahlte gut. Die Häuser der Angestellten waren gepflegt und geräumig, auf den Straßen der Stadt wurde der Asphalt ausgebessert und nirgendwo sonst in der Region sah man so viele neue, große und teure Autos auf den Parkplätzen der Supermärkte.
Alle Geschäfte der Stadt, vom Drugstore bis zum Klempner, lebten vor allem von dem Geld, das die Moulder-Oil an ihre mehr als zweitausend Angestellten auszahlte, und solange alles glatt lief, fragte niemand danach, wie so etwas möglich war.
Es sah wirklich so aus, als würde es mit Moulder-City für viele Jahre nur noch bergauf gehen, denn noch ahnte niemand, dass der neue Reichtum nur darauf beruhte, dass die M.O.C. das Tor zur Hölle aufgestoßen hatte - und es nicht wieder zu schließen vermochte.
KAPITEL 2
DONNERSTAG, 04:30 PM
DAS INSEKT
Der dunkelgrüne Chevy Suburban bog in einem weiten Bogen in die Straße ein und Jeff nahm seine Schultasche vom Bürgersteig auf. Eigentlich hätte er schon lange zu Hause sein können, aber heute Morgen war sein alter Honda-Scooter nicht angesprungen und er hatte sich von seiner Mutter zur Schule bringen lassen.
Jeff hob grüßend die Hand und der Chevy fuhr an den Randstein. Wegen der abgedunkelten Scheiben war vom Wageninneren kaum etwas zu erkennen.
Kühle Luft mit einem Hauch von feuchter Windel wehte Jeff entgegen, als er die Tür öffnete und den Fuß auf das Trittbrett setzte. Er stellte zuerst die Schultasche in den Fußraum und stieg dann ein.
Hi, Dad!
Jeff zog die Tür ins Schloss. Wo kommen die denn her?
Er zeigte mit dem Daumen über die Schulter in Richtung Rücksitz, wo Danny und Paddy, die knapp anderthalbjährigen Zwillinge, in ihren Kindersitzen saßen.
Deine Mutter ist mit Edna Blenheim nach Dallas gefahren. Irgendein plötzlicher Notfall in Ednas Familie. – Da hat sie mir die beiden zur Firma gebracht. Deswegen auch die Verspätung. Hab fast ´ne halbe Stunde gebraucht, die Sitze hier einzubauen.
Oh!
, sagte Jeff mitfühlend und traute sich kaum, seine Bitte auszusprechen, denn schließlich kam sein Vater gerade von der Arbeit. – Trotzdem musste es sein. Äh, könnten wir noch kurz bei ‚Tools & Parts‘ vorbeifahren?
, fragte er. Ich bräuchte ´ne neue Zündkerze für den Scooter.
Hast du die denn immer noch nicht gewechselt?
, seufzte Steve O´Bannion und sah seinen Sohn vorwurfsvoll an. Die war doch schon lange fällig.
Man spart, wo man kann!
, meinte Jeff und grinste. Hat doch bislang noch funktioniert.
Ist auch ´ne Einstellung
, meinte der Vater gleichmütig und bog in die Straße ein, an der der Werkzeugladen lag.
Zehn Minuten später hatte Jeff sich die neue Kerze besorgt und sie waren endlich auf dem Heimweg.
Zurzeit war Moulder-City eine einzige Baustelle und sie mussten einen Umweg fahren, weil die Straße, die in ihr Viertel führte, gerade neu geteert wurde. Aber auch sonst sah man überall Scharen von Handwerkern herumlaufen, die Häuser renovierten. Telefonleitungen wurden verlegten und lange ungenutzte Geschäftsräume wurden nach den Wünschen der neuen Besitzer ausgebaut.
Die ganze Stadt war im Aufbruch: Gipskartonplatten und Profilschienen standen und lagen auf den Bürgersteigen herum, Bauholz war in den Vorgärten aufgestapelt und überall parkten die Lieferwagen der Handwerker. Über der ganzen Stadt lag eine Aura hektischer Betriebsamkeit und darauf, dass Moulder bis vor einigen Monaten fast eine Geisterstadt gewesen war, wäre ein zufälliger Besucher niemals gekommen.
Beiß?
, kam Paddys Stimme zaghaft vom Rücksitz. Die Stimme klang ängstlich und Jeff drehte sich auf seinem Sitz halb um. Beiß?
, fragte Paddy wieder. Er saß stocksteif in seinem Kindersitz und schielte mit halb abgewandtem Gesicht auf ein großes graues Insekt, das auf seinem nackten Ärmchen herumkroch.
Beiß!
, meinte Danny, Paddys Zwillingsbruder, fachmännisch vom Nebensitz aus, was bedeuten sollte, dass er überzeugt war, dass das Insekt gefährlich sei.
Das Tier sah mit seinem fast fingerlangen Körper wirklich ziemlich bedrohlich aus. Mit einer raschen Bewegung schob Jeff seinen Oberkörper zwischen den Sitzlehnen hindurch und wischte es von Paddys Arm herunter. Es fiel auf die Sitzbank und Jeff gab ihm schnell noch einen Schubs, der es auf den Boden des Wagens beförderte. Dann schnappte er sich Paddys Arm und sah kurz nach, ob das Tier zugestochen hatte.
Aua!
, behauptete Paddy und strahlte seinen großen Bruder mit leuchtenden Augen an.
Kein Aua!
Jeff ließ den Arm wieder los. Hast Glück gehabt.
Lück!
, bestätigte Danny vom Nebensitz her und quiekte vergnügt.
Das Insekt war auf den Rücken gefallen und einfach so liegen geblieben. Jeff zog die Augenbrauen zusammen und beugte sich ein wenig zu dem Tier hinab. Es schien ihm nicht gut zu gehen, denn es machte keinerlei Anstalten, zu fliehen oder anzugreifen. Es lag einfach nur da und wackelte ein wenig