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Die Höhle: Das Grauen aus der Vergangenheit
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Die Höhle: Das Grauen aus der Vergangenheit
eBook521 Seiten7 Stunden

Die Höhle: Das Grauen aus der Vergangenheit

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Über dieses E-Book

Ein Erdbeben in der Nähe von Köln, nicht natürlichen Ursprungs, bringt eine Höhle zutage. Die Höhlenforscherin Dr. Petra Althing erforscht die Höhle, stößt dabei auf mysteriöse Holzkisten mit unerwartetem Inhalt. Was findet sie dort? Wie ist ihr Professor von der Uni, Werner Tiefental, in die Sache verwickelt? Es beginnt eine Jagd auf unglaubliche Kreaturen. Eine Jagd, die weit in die Vergangenheit reicht. Werden sie das Geheimnis um die Kisten lösen?
SpracheDeutsch
Herausgeberneobooks
Erscheinungsdatum17. Aug. 2014
ISBN9783847656661
Die Höhle: Das Grauen aus der Vergangenheit

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    Buchvorschau

    Die Höhle - Ralf Feldvoß

    Widmung

    Es ward Abend

    Die Sonne verschwand

    Hinter dem Horizont

    Versank immer tiefer

    Doch dann stieg sie wieder auf

    Erhob sich glühend und feuerrot

    Der Horizont erhellte sich

    Schien zu brennen

    Immer heller, immer gleißender das Licht

    Die Sonne wuchs und wuchs

    Zog einen rauchenden Schweif

    Die Luft immer heißer

    Die Sonne immer größer, immer näher

    Alles Leben verkroch sich

    Die Sonne schlug ein

    Umhüllt von ihrem Schweif

    Versank in der Erde

    Ward nicht mehr gesehen

    Die Erde zerstört

    Die Sonne versunken

    Es ward Nacht

    Ruhe und Dunkelheit kehrten ein

    Aber für wie lange

    Prolog

    Freitag, 02. Juli

    Engelskirchen bei Köln, Haus der Familie Westerfeld

    Julia Westerfeld hatte sich nach getaner Hausarbeit auf das beige Sofa zurückgezogen. Sie genoss ihren zweiten Tee an diesem Tage, eine Pfefferminz- Karamellmischung mit einem Spritzer Zitronensaft und sah sich im Fernsehen eine Dokumentation über die ECTA an.

    Die ECTA war eine europäische Vereinigung, die European Capitol Train Association. Gegründet wurde sie zum Bau von hochmodernen Bahnstrecken zwischen den Hauptstädten der EU.

    Aus aktuellem Anlass wurde im Kölner Regionalfernsehen diese Dokumentation gesendet, da sich die Standorte der beiden Bauabschnitte der ersten Strecke zwischen Paris und Berlin in unmittelbarer Nähe befanden. In ein paar Tagen, so war der Plan, sollten die beiden Strecken zusammengeführt und somit die erste Trasse fertiggestellt werden.

    Vor etwa zwei Jahren war die Entscheidung zugunsten dieser Strecke gefallen. Wie aus dem Bericht hervorging, mit etlichen Diskussionen. Jeder der Vertreter der einzelnen Staaten hatte natürlich seine Argumente, die aus deren Sicht dafür sprachen, dass ihre Stadt eine der ersten Ziele sein sollte. Schließlich fiel die knappe Entscheidung für Paris-Berlin.

    Die Strecke führte an Köln vorbei und auch an Engelskirchen, dem Wohnort der Westerfelds. Vorbei war zwar nicht der richtige Ausdruck, denn es waren ausschließlich unterirdische Strecken, die gebaut werden sollten, aber darüber, wo genau die Strecken verliefen, wurde absolutes Stillschweigen bewahrt, aus Angst vor terroristischen Anschlägen. Niemand mochte ein Szenario erleben, wie es am elften September 2001 die Stadt New York musste.

    Gerade als ein Interview mit dem Vorsitzenden der ECTA, dem Schotten Ian McAllister, gezeigt wurde, kamen die Kinder Elise und Jonah, zehn und dreizehn Jahre alt, ins Wohnzimmer.

    Die Geschwister wollten mit ihren Fahrrädern einen Ausflug in das nahe gelegene Naturschutzgebiet im Süden Engelskirchens unternehmen und dort ein Picknick machen. Es waren Sommerferien und es war ein wunderschöner Julitag. Genau richtig, um vorm anstehenden Urlaub noch mal so etwas zu unternehmen.

    Das Haus der Westerfelds lag am südlichen Ortsrand von Engelskirchen. Es hatte ein großes Grundstück von etwa 500 Quadratmetern. Am Ende des Grundstückes gelangte man in ein kleines Waldstück, bestehend hauptsächlich aus Nadelbäumen, Kiefern und Fichten. Hier im Garten des Hauses fühlte man sich auch fast wie im Urlaub. Aber eben nur fast, es war dann doch noch etwas anderes zu verreisen.

    Warum macht Ihr das Picknick nicht bei uns im Garten?, hatte Julia die beiden gefragt.

    Ach Mama, es ist so ein schöner Tag, da kann man doch Radfahren und Picknick wunderbar miteinander verbinden., quengelte Jonah.

    Na gut, ist ja richtig. Fahrt aber nicht zu weit weg und passt auf Euch auf. Wisst Ihr denn schon, wo Ihr hin wollt?

    Runter ins Naturschutzgebiet.

    Passt dann aber auf, wenn Ihr über die Landstraße fahrt und dass Ihr mir ja pünktlich zum Abendbrot wieder zu Hause seid! Spätestens um 19 Uhr. Und morgen geht Ihr gar nicht weg, ich muss nachher noch Wäsche waschen für den Urlaub und ihr wolltet mir bei den letzten Vorbereitungen helfen.

    Na klar Mama, kein Problem! Ich stell mir einfach eine Erinnerung ins Handy, dann sind wir garantiert pünktlich heute Abend. Elli, kommst Du? Ich bin fertig., rief er seiner Schwester zu, die allem Anschein nach noch im Bad war.

    Moment noch Jonnie, bin noch auf´m Klo!, kam dann auch die passende Antwort.

    Weiber, typisch. murmelte Jonah vor sich hin.

    Zehn Minuten später waren sie unterwegs. Es waren schon ungewöhnliche Geschwister. Nie hatte es irgendwelchen Streit zwischen den beiden gegeben. Jonah und Elise hielten zusammen, wie Pech und Schwefel. Da konnte kommen, wer oder was auch immer wollte.

    Klar hatte auch jeder seine eigenen Freunde, aber hätte man sie gefragt, wer denn jeweils der beste Freund war, hätten beide die Schwester, bzw. den Bruder genannt.

    Fröhlich irgendwelche Melodien vor sich hin pfeifend fuhren sie auf ihren Rädern dahin, die Satteltaschen prall gefüllt mit vielen Leckereien. Solch ein Picknick machten die beiden häufiger, aber stets außerhalb, was ihre Eltern nie so recht verstanden haben, hatten sie doch extra der Kinder wegen sich für dieses Haus mit dem großen Garten entschieden.

    Naturschutzgebiet bei Engelskirchen

    Nach knappen zwei Stunden hatten die Geschwister Westerfeld eine Stelle im Naturschutzgebiet gefunden, die ihnen zusagte. Sie breiteten die Decke auf dem Boden aus, legten ihre mitgebrachten Sachen darauf und deckten sich damit ihre Tafel. Nachdem sie sich vorläufig satt gegessen und getrunken hatten, legten sie sich entspannt in die Sonne und genossen die Ruhe an diesem wunderschönen Tag.

    Hast Du eigentlich Angst vorm Fliegen? fragte Elise ihren großen Bruder. In zwei Tagen würden sie die erste Flugreise ihres Lebens antreten, und dann gleich richtig weit, nach Mauritius sollte es gehen.

    Ihre Eltern hatten für diese Reise lange sparen müssen. Die Raten für das Haus waren doch relativ hoch, so dass keine großen Sprünge möglich waren. Nachdem ihr Vater aber vor einem halben Jahr befördert worden war, er arbeitete als Rechtsanwalt in einer großen Kanzlei, konnte sich die Familie dadurch nun endlich diesen lange gehegten Wunsch erfüllen.

    Ich weiß nicht, hab´ ich noch nicht drüber nachgedacht. Ich freu´ mich einfach und mach´ mir keine großen Gedanken.

    Aber ist es denn nicht gefährlich? Man hört doch immer wieder von Abstürzen.

    Das Flugzeug ist das sicherste Verkehrsmittel der Welt, kannste überall lesen. Außerdem kommen zum Beispiel im Straßenverkehr mehr Menschen pro Jahr ums Leben, als bei einem Flugzeugabsturz., versuchte Jonah seine Schwester zu beruhigen.

    Na ja, wenn Du das sagst.

    Sag ich! Und jetzt lass´ uns die Sonne weiter genießen und nicht über solche schrecklichen Dinge nachdenken. Breit grinsend nahm er seine Schwester in den Arm.

    Auch wenn sie wahrscheinlich wusste, dass er es nicht böse gemeint hatte, war es ihm doch lieber, das durch diese Geste deutlich zu machen.

    Faul und glücklich lagen sie nun still nebeneinander auf der Decke. Die Welt konnte so ruhig und friedlich sein. Konnte.

    Denn der Frieden währte nicht lange. Plötzlich gab es ein lautes Krachen, wie als wenn mehrere dicke Baumstämme gleichzeitig zerbarsten. Es hörte sich zwar relativ weit entfernt an, aber trotzdem schauten sich die beiden beunruhigt an.

    Was war denn das? Elise hatte vor großer Furcht ihre hellblauen Augen weit aufgerissen.

    Keine Ahnung. Aber so, wie sich das angehört hat, war es nicht in der Nähe.

    Damit hatte sich Jonah aber geirrt, denn auf einmal begann die Erde zu wackeln, begleitet von dem gleichen Krachen wie zuvor, diesmal aber lauter und näher.

    Erst war es so, als wenn jemand an der Decke zurren würde, doch das Wackeln und Zittern wurde immer stärker.

    Oh mein Gott, ich glaub´ das ist ein Erdbeben! Elli, schnell, hilf mir die Sachen einzupacken, damit wir verschwinden können!

    Blankes Entsetzen war in ihre Gesichter gefahren. Erdbeben? So was gibt’s doch nur in Amerika oder Japan, aber doch nicht hier! Es wurde immer schlimmer, erste kleine Risse taten sich im Erdboden neben der Picknickdecke auf.

    Jonnie, beeil Dich! rief Elise ihrem Bruder zu, die Stimme, ein einziger Ausdruck ihrer Angst.

    Bin gleich soweit, fahr Du schon mal los!

    Doch dazu kam es nicht mehr. Völlig unvermittelt tat sich die Erde auf, genau neben ihrem Picknickplatz. Es geschah so schnell, dass keiner von beiden noch rechtzeitig reagieren konnte. Zunächst war es nur ein schmaler Riss, doch schon im nächsten Moment ein großer Spalt. Immer weiter öffnete sich der Erdboden. Jonah und Elise begannen hinunterzurutschen, sie suchten nach irgendetwas, woran sie sich festhalten könnten, aber es gab nichts. Ihre mitgebrachten Sachen fielen an ihnen vorbei in die Tiefe, das Besteck, die Gläser, die Vorratsdosen.

    Jonnie, ich falle!

    Versuch Dich mit den Fingern im Boden festzukrallen!

    Ein weiterer Erdstoß ließ sie den Halt gänzlich verlieren. Glücklicherweise rutschten die Fahrräder an ihnen vorbei, die sie etwas abseits abgestellt hatten und verkanteten sich in dem Spalt, so dass die Geschwister von den Rädern aufgefangen wurden. Sie schauten sich erleichtert an und wussten nicht, ob sie vor Angst, oder vor Glück weinen sollten.

    Der nächste Stoß nahm ihnen allerdings die Entscheidung darüber ab. Die Erde wackelte heftig hin und her, der Spalt öffnete sich ein Stückchen weiter wodurch die Fahrräder sich aus ihrer Verankerung lösten und scheppernd in ein über fünfzehn Meter tiefes Loch fielen. Die Geschwister Elise und Jonah Westerfeld fielen kreischend und mit Todesangst in den Augen hinterher. Verzweifelte Versuche, sich irgendwo an der vorbei fliegenden Wand festzuhalten, schlugen fehl. Stattdessen schürften sie sich die Fingerkuppen auf. So fielen sie weiter, bis sie mit dem gesamten Schwung des Sturzes auf den harten Boden am Grunde des Lochs aufschlugen.

    Ein paar Minuten später hatte sich die Erde wieder beruhigt. Außer in dem Naturschutzgebiet war sonst nirgendwo in der Umgebung etwas Nennenswertes von dem Erdbeben zu spüren gewesen. Übrig blieb lediglich ein etwa zwei Mal zwei Meter großes Loch im Boden, wo kurz vorher noch die Geschwister gemütlich auf ihrer Decke gelegen hatten. Und ein Spalt, der sich quer durch das Naturschutzgebiet entlang zog.

    Engelskirchen, Haus der Familie Westerfeld

    Es war kurz vor halb acht am selben Abend, als sich die Haustür öffnete und Patrick Westerfeld nach Hause kam. Endlich Urlaub! Nach seiner Beförderung Ende Dezember des Vorjahres hatte er sich lediglich eine Woche im Frühjahr gegönnt. Doch nun standen die ersehnten drei Wochen an.

    Julia, wo bist Du?, rief er fröhlich ins Haus hinein nachdem er durch die Tür getreten war.

    Oh Patrick, endlich! Julia kam ihm entgegen gelaufen, offensichtlich furchtbar aufgewühlt.

    „Ich bin völlig verzweifelt. Die Kinder! Sie sollten spätestens um sieben zum Abendbrot zu Hause sein und sind immer noch nicht da! Sie haben sich nicht gemeldet und ihre Handys sind scheinbar ausgeschaltet. Ich mache mir ernsthaft Sorgen! Die beiden sind doch sonst nicht so."

    Komm Schatz, beruhige Dich doch erst mal. Was hatten sie denn vor, wo wollten sie hin? Es gibt wahrscheinlich eine ganz plausible Erklärung dafür. Akkus leer, die Zeit vergessen, oder so was in der Art.

    Sie wollten ein Picknick im Naturschutzgebiet machen und sind mit ihren Rädern los, so gegen zwölf war das. Tränen schossen Julia in die Augen woraufhin Patrick sie beruhigend in den Arm nahm.

    OK. Wir versuchen sie noch mal zu erreichen. Hast Du bei ihren Freunden mal nachgefragt, ob sie vielleicht dort bei jemand sind?

    Nein., schluchzte sie.

    Also gut, Du rufst ihre Freunde an und ich versuche sie über ihre Handys zu erreichen.

    Bei ihren Freunden waren sie nicht, wie die jeweiligen Eltern mitteilten. Und auch die Handys waren nach wie vor nicht eingeschaltet. Nun machte sich auch Patrick Sorgen. Normalerweise waren ihre Kinder die Zuverlässigkeit in Person.

    Keine zehn Minuten später saß das Ehepaar Westerfeld im Auto, auf dem Weg ins Naturschutzgebiet, um Elise und Jonah zu suchen.

    Naturschutzgebiet bei Engelskirchen

    Weißt Du, ob sie hier irgendwo einen Lieblingsplatz oder so haben? fragte Patrick, als sie angekommen waren.

    Nein, keine Ahnung., schniefte Julia. Sie konnte und wollte ihre Tränen nicht zurückhalten.

    Dann müssen wir auf gut Glück suchen. Patrick stieg aus, ging um das Auto und öffnete die Beifahrertür.

    „Komm Julia. Hier rumsitzen hilft uns nicht." Fast widerwillig stieg sie aus. Sie hätte es nicht erklären können, aber irgendwie sträubte sie sich gegen die Suche.

    Nach zwei Stunden gaben sie verzweifelt auf und kehrten zum Auto zurück. Es war einfach ein zu großes Gebiet mit viel zu vielen Möglichkeiten, wo sie sein könnten.

    Lass´ uns die Polizei verständigen, die haben doch noch ganz andere Möglichkeiten, als wir. Wir laufen hier doch nur planlos durch die Gegend. Das bringt doch nichts. Ja, ich denke Du hast Recht.

    Völlig verängstigt, was mit ihren Kindern passiert sein mag, setzte Julia sich wieder ins Auto. Währenddessen rief Patrick bei der Polizei an. Er schilderte der Dame vom Notruf die Situation, was sie bisher unternommen hatten und wo sie sich gerade aufhielten.

    Sie schicken uns einen Streifenwagen. sagte er, als er sich zu Julia ins Auto setzte.

    Einen Streifenwagen? Die sollen gefälligst mit einer Suchmannschaft hier anrücken und nicht nur mit einem läppischen Streifenwagen!

    Julia Westerfeld wusste nicht, ob sie nun mehr wütend auf die Polizei, oder besorgt um ihre Kinder sein sollte.

    Nun beruhige Dich doch bitte etwas, Schatz. Die wissen schon was sie tun. Die haben doch schließlich tagtäglich mit vermissten Personen zu tun., versuchte Patrick seine Frau etwas zu trösten, strich ihr dabei mit der Hand über den Kopf. Sie schüttelte ihn ab, zu groß waren die Sorgen um Elise und Jonah. Ja, ja, sicher, die hatten da sicherlich mehr Erfahrung, aber hier ging es jetzt um IHRE Kinder!

    Kurze Zeit später tauchte ein Scheinwerferpaar auf der Landstraße auf. Als sie näher kamen wurde deutlich, dass es der angekündigte Streifenwagen war.

    Guten Abend! Sind Sie die Eheleute Westerfeld?, fragte der Wachtmeister.

    Das sind wir.

    Dann erzählen Sie bitte noch einmal, was passiert ist.

    Die Beamten nahmen die Aussagen auf. Viel konnten sie ihnen nicht sagen, wussten sie ja selber nicht genau, was passiert sein könnte.

    Haben Sie noch mal versucht Ihre Kinder auf den Handys zu erreichen?

    Kurz bevor Sie kamen - nichts - keine Antwort, keine Verbindung. Nur jeweils die Mailbox.

    OK, wir kümmern uns darum. Wir werden einen Suchtrupp in das Gebiet schicken und einen weiteren Streifenwagen anfordern, der sie nach Hause bringen und bei Ihnen bleiben wird. Dort warten Sie dann bitte, bis Sie etwas von uns hören. Sind Ihre Kinder denn schon häufiger einfach von zu Hause weggelaufen?

    Sie sind nicht weggelaufen! Julia schrie es dem Beamten förmlich ins Gesicht. Was bilden Sie sich ein, einfach zu behaupten, sie wären weggelaufen?

    Wissen Sie, so was kommt häufiger vor, als man denken mag.

    Aber nicht unsere Kinder, wir sind eine sehr, sehr glückliche Familie! Wissen Sie überhaupt, was das bedeutet, eine glückliche Familie zu sein?

    Gut, gut, wie Sie meinen. Herr Westerfeld, wären Sie in der Lage selber zu fahren?

    Ich weiß nicht genau, ich glaube, es wäre besser, wenn einer Ihrer Kollegen mit unserem Wagen fahren würde.

    Engelskirchen, Haus der Familie Westerfeld

    Eine Stunde später waren Sie wieder zu Hause angekommen. Das Haus wirkte auf die beiden leer und unausgefüllt. Es fehlte das Lachen, das Herumtoben der Kinder. Beide waren absolute Wunschkinder gewesen. Entsprechend wurde von Geburt von Jonah an das Leben größtenteils auf die Kinder zugeschnitten. In diese Welt passte einfach nicht, dass die beiden einfach so verschwanden. Und es passte auch nicht zu den beiden. Viel zu folgsam und vernünftig sind sie gewesen. Vor allem, wovor hätten sie weglaufen sollen? Sie hatten alles, was man sich wünschen konnte. Zumindest hatte es nie Anzeichen gegeben, dass sie wegen irgendetwas unglücklich sein könnten.

    Die beiden Streifenpolizisten blieben im Haus. Einerseits, um unüberlegte Handlungen zu verhindern, besonders Julia wäre in der momentanen Verfassung einiges zuzutrauen gewesen, andererseits aber auch, um im Notfall die Westerfelds so schnell wie möglich zurück ins Naturschutzgebiet fahren zu können.

    Die folgenden Stunden verstrichen wie in Zeitlupe. Es kam ihnen so vor, als würde die Zeit still stehen. Die andauernde Ungewissheit ließ sie nicht ruhen. Julia ging immer wieder von einem Kinderzimmer zum anderen und zurück. Einfach, um so wenigstens eine gewisse Nähe zu ihren Kindern zu haben, in Gedanken bei ihnen zu sein.

    Patrick jedoch schien es besser hinzubekommen, ein wenig zur Ruhe zu kommen. Er saß in seinem grünen Ohrensessel im Wohnzimmer. Ob er wirklich zur Ruhe kam? Er starrte, seitdem sie wieder zu Hause waren, eigentlich nur Löcher in die Luft.

    Die Warterei war nervenzerfetzend und mit jeder Minute, die verstrich, schwand die Hoffnung der Eltern auf eine gute Nachricht. Hörte man doch immer wieder, je länger es dauerte, umso schlimmer die Nachricht.

    Mittlerweile war es nach Mitternacht geworden, als sich plötzlich eines der Funkgeräte der Beamten krächzend meldete. Einer der beiden verließ den Raum, um im Nebenzimmer die Nachricht zu empfangen. Er wollte damit verhindern, dass Herr Westerfeld durch seinen Gesichtsausdruck bereits ahnen konnte, was geschehen war.

    Es dauerte nicht lange, da kam der Beamte wieder rein und setzte sich auf das Sofa neben Herrn Westerfeld und berichtete ihm, so vorsichtig und einfühlend wie möglich, was er soeben erfahren hatte.

    Mit jedem Wort mehr wich langsam jegliche Farbe aus Patricks Gesicht. Entsetzen machte sich bei ihm breit, und Unglaube, so schien es. Aber ein Blick in die Augen des Beamten zeigte ihm deutlich, dass dies die Wahrheit war, was ihm gerade mitgeteilt wurde. Ein Gefühl von unendlicher Trauer und Wut auf den, oder die Verantwortlichen machte sich breit, nur wusste er nicht, wem er die Schuld geben sollte.

    Möchten Sie es Ihrer Frau mitteilen, oder soll das einer von uns lieber übernehmen?

    Patrick erhob sich langsam aus seinem Sessel. Er war völlig durcheinander, das durfte einfach nicht wahr sein, das konnte nicht wahr sein. Er musste sich abstützen beim Aufstehen, so wackelig war er auf den Beinen. Wortlos schritt er aus dem Raum und ging in den Flur, zur Treppe, in die obere Etage. Ganz langsam, als wenn er noch nie über eine Treppe gegangen wäre, schritt er Stufe für Stufe hinauf. Antwort genug für den Beamten.

    Seine Frau saß in Jonahs Zimmer auf seinem Bett, mit dem Lieblingskuscheltier in den Armen. Es war der schon total ausgeblichene und abgenutzte Steiff-Bär, den Jonah von seinen Großeltern zur Geburt bekommen hatte, aber von ihm trennen wollte und konnte er sich nicht. Jonah hatte ihn zu gerne.

    Als Julia ihren Mann im Türrahmen stehen sah, genügte ihr ein einziger Blick auf seine fast zwei Meter große Gestalt. Die Körpersprache und der Blick seiner haselnussbraunen Augen sagten alles, was gesagt werden musste. Es war Nachricht gekommen, Nachricht die keiner von beiden hören wollte.

    Sie schaute ihn erwartungsvoll an, in der Hoffnung, sich vielleicht doch getäuscht zu haben. Patrick sah die Frage in ihren Augen und schüttelte zur Antwort lediglich den Kopf. Julia begann langsam am ganzen Körper zu zittern. Es begann an den Füßen, zog über die Beine bis hinauf zum Oberkörper bis es schließlich das Kinn erreichte. Und da brach es aus ihr heraus. Die Tränen schossen ihr in die Augen und aus ihrer Kehle entrang sich ein gequälter, lang gezogener Schrei.

    NEEEIIIIN!!!!

    Naturschutzgebiet bei Engelskirchen

    Schweigend saßen Julia und Patrick auf der Rückbank im Streifenwagen. Die Beamten fuhren sie zum Fundort ihrer Kinder in das Naturschutzgebiet. Der Hauptkommissar vor Ort hatte darauf bestanden, dass sie zur Identifizierung persönlich dort erschienen. Es war ihnen nicht leicht gefallen, sich mit auf den Weg zu machen, wussten sie ja nicht, was sie dort erwarten würde. Entsprechend wollten sie auch nicht aussteigen, als sie angekommen waren. Schweren Herzens taten sie es dennoch, wobei Julia von Patrick gestützt werden musste.

    Geh Du alleine, ich glaube, ich schaffe das nicht! bat Julia ihren Mann unter Tränen. Patrick fasste ihre Hand und drückte sie zärtlich.

    Wie Du meinst, dann sage ich Bescheid, dass einer der Beamten bei Dir bleibt. So ließ sich Patrick von dem anderen Beamten zum Fundort bringen.

    Dort angekommen kam ein untersetzter, aber kräftig gebauter Mann in einem grauen Trenchcoat auf sie zu und begrüßte Patrick.

    Hauptkommissar Welp, guten Abend. Herr Patrick Westerfeld, nehme ich an?

    Ja, der bin ich. Wo sind meine Kinder?

    Patrick wollte es hinter sich bringen. Ein unbeschreiblicher Schmerz für Eltern, wenn sie ihre Kinder zu Grabe tragen müssen und unter solchen Umständen natürlich noch viel mehr. Somit wollte er schnell Gewissheit haben, ob es sich tatsächlich um seine Kinder handelte.

    Bevor ich Sie zu den Kindern bringe… es ist kein schöner Anblick, um es vorsichtig auszudrücken. Sie entscheiden, wie viel Sie sehen wollen, die Gesichter müssen sein, wegen der Identifikation.

    "Was heißt kein schöner Anblick? Woran sind sie gestorben?"

    "Das kann abschließend nur die Autopsie klären, was genau die Todesursache war. Offensichtlich sind sie in eine etwa fünfzehn Meter tiefe Erdspalte gestürzt, mitsamt ihren Fahrrädern. Durch den Aufprall haben sie definitiv tödliche Verletzungen davongetragen, aber ob diese Verletzungen die tatsächliche Todesursache war, oder ob sie vielleicht sogar vorher umgebracht wurden…

    Wieso sie allerdings in die Spalte gestürzt sind… keine Ahnung. Ungeklärt ist darüber hinaus, wo diese Erdspalte überhaupt auf einmal herkommt. Da tappen wir auch noch total im Dunkeln."

    Wissen Sie, Herr Kommissar, das ist mir ziemlich egal, wo diese Erdspalte herkommt. Was mich interessiert, ist, warum und wie sind meine Kinder dort hineingefallen.

    Entschuldigen Sie, natürlich. Eine Frage habe ich aber noch, bevor ich Sie zu den Kindern führe. Wir haben eine Decke und mehrere Lebensmittel dort unten gefunden. Haben Sie dafür eine Erklärung?

    Sie wollten hier ein Picknick machen, mehr weiß ich auch nicht. Reicht es nicht, wenn ich die Räder als die unserer Kinder identifiziere. Ich weiß nicht, ob ich den Anblick meiner Kinder ertragen kann.

    Es tut mir sehr leid, aber das muss leider sein. Es könnte ja auch sein, dass die Räder gestohlen wurden und wir haben gar nicht ihre Kinder dort gefunden.

    Wohl kaum, wenn Sie sagen, Sie haben dort auch Reste des Picknicks gefunden.

    Man weiß nie, Herr Westerfeld. Wenn Sie mir jetzt bitte folgen würden.

    OK, bringen wir es hinter uns. antwortete Patrick, begleitet durch einen tiefen Seufzer.

    Hauptkommissar Welp führte ihn in das Zelt, in das die Leichen gebracht worden und dort aufgebahrt waren. Zwischen den beiden Liegen blieben sie stehen.

    Bereit Herr Westerfeld?

    Ja. brachte er unter Mühen hervor. Sein Mund und seine Kehle fühlten sich an, als hätte er gerade ein Glas Sand getrunken, so trocken und kratzig.

    Als der Gerichtsmediziner die Decken zurückwarf, hatte Kommissar Welp gerade noch dazu ansetzen wollen, ihm zu sagen, dass vorläufig nur die Gesichter der Kinder gezeigt werden sollen. Doch da war es bereits zu spät. Es eröffnete sich ein Bild des Grauens. Die Todesursache war für Patrick eindeutig, da war niemand anderer beteiligt. Völlig zertrümmert lagen die nackten Leichen, von denen wenigstens das Blut schon abgewaschen war, auf den Bahren. Die völlig verdreckte Kleidung lag in einem Behälter am Kopfende der Liegen.

    Die Köpfe waren noch die Körperteile, die den geringsten Schaden genommen hatten, sodass es zumindest zu einer zweifelsfreien Identifikation kommen konnte.

    Der Rest aber sah aus, wie von einem LKW zerquetscht. Gliedmaßen, die um bis zu hundertachtzig Grad verdreht waren; mehrere abgetrennte Finger, die nur an die Hand, an der sie sich einst befanden, dazu gelegt worden waren. Ebenso ein Fuß, ein fast komplett durchtrennter Oberschenkel. Der Brustkorb einer der beiden Leichen war so stark eingedrückt, dass man meinen könnte, darunter die Liege erkennen zu können. An unzähligen Stellen standen Knochen aus dem Fleisch hervor, die sich hindurch gebohrt hatten.

    Patrick Westerfeld drehte sich unvermittelt um und übergab sich auf den Kittel des Gerichtsmediziners, der hinter ihm stand. Bei den Leichen handelte es sich eindeutig um Elise und Jonah.

    Samstag, 03. Juli

    Köln, Gerichtsmedizin

    Patrick erinnerte sich noch gut an das graue, sechsstöckige Gebäude in dem die Gerichtsmedizin untergebracht war und sich nun vor ihm erhob. Eine hässliche Fassade, deprimierend und traurig wirkend, passte es zu seiner Gemütsverfassung. Er kannte es aus beruflichen Gründen. Es gab den ein, oder anderen Fall, wo ihn die Ermittlungen hierher geführt hatten.

    Nachdem er das Gebäude durch die zweiflügelige Eingangstür betreten hatte, stand er in der kalten Empfangshalle, begleitet wurde er von den beiden Beamten, die schon die Nacht über bei ihm gewesen waren. Einer der beiden Beamten ging zur Information, an der ein Pfleger saß, um zu fragen in welchem Raum sich die Kinder befanden.

    Der Pfleger wirkte nicht so, als mache ihm seine Arbeit an diesem herrlichen und sonnigen Samstagmorgen viel Freude. Nach seinen geröteten Augen zu schließen, hatte er in der vergangenen Nacht auch nicht viel Schlaf bekommen.

    Guten Morgen …. Peter, las der Beamte vom Namensschild ab. Wo finden wir Dr. Höning? Wir werden erwartet.

    Der Pfleger blätterte daraufhin in irgendwelchen Unterlagen. Mit wem haben Sie den Termin? lallte er. Es musste wirklich eine sehr kurze Nacht gewesen sein, ein Duftgemisch aus Bier, Schnaps und Zigaretten wehte ihnen aus dem Mund des Pflegers entgegen.

    Dr. Höning, Pathologie., antwortete der Beamte, nun schon leicht genervt.

    „Dr. Höning, Dr. Höning...", murmelte der Pfleger leise vor sich hin und nahm sich ein Register, in dem die einzelnen Stationen verzeichnet waren.

    Mit offensichtlichen Mühen blätterte Peter durch die Unterlagen vor ihm. Es schien ihm schwer zu fallen, sich zu konzentrieren.

    Ah hier. Drittes Untergeschoss, Zimmer U-3.13. Die Fahrstühle finden Sie den Gang links runter.

    Danke.

    Gemessenen Schrittes gingen sie in die genannte Richtung. Unten angekommen suchten sie nach dem genannten Zimmer, in dem sich der Pathologe Dr. Höning befinden sollte. U-3.01, U-3.02, U-3.03 … U-3.13. Sie blieben vor der Tür stehen und klopften.

    Moment, bitte! hörten sie eine hohe, rauchige Stimme sagen. Einen Augenblick später wurde die Tür geöffnet und vor ihnen stand ein hagerer Mann von etwa einem Meter achtzig. Seine stark ergrauten Haare standen wild vom Kopf ab. Patrick musste unwillkürlich an das berühmte Foto von Albert Einstein denken. Selbst der etwas irre Blick war zutreffend, nur dass Dr. Höning eine Nickelbrille mit extrem dicken Gläsern trug, so dass der Eindruck des verrückt Seins dadurch noch verstärkt wurde. So wurde man also, wenn man jahrelang mit Toten zu tun hatte, dachte Patrick bei sich. Ob das wirklich der Doktor war? Das Namensschild am Kittel wies ihn jedenfalls als diesen aus.

    Wer sind Sie denn und wer hat Sie hier heruntergelassen? Ich habe gleich einen Termin.

    Der Portier. Dies ist Patrick Westerfeld, der Vater der beiden Kinder, die bei Ihnen sind.

    Ach ja, richtig. Kommen Sie doch bitte herein. Setzen Sie sich, Kommissar Welp wartet bereits. Darf ich Ihnen einen Kaffee, oder ein Glas Wasser anbieten?

    Ein Wasser, danke., antwortete Patrick abwesend.

    So wirr, wie der Doktor wirkte, so penibel aufgeräumt und ordentlich war sein Labor. Keine Unterlagen, die wild durcheinander herumlagen. Es gab keine offenen Getränkedosen, keine Essensreste, oder ähnliches. Der Edelstahl der Schränke glänzte überall, als wären die Oberflächen gerade erst gründlich gereinigt worden.

    Dr. Höning kam mit einem Glas Wasser für Patrick und einem Becher dampfenden Kaffee für sich aus der kleinen Teeküche. Die beiden Beamten hatten dankend die Frage nach einem Getränk abgelehnt. Er setzte sich zu ihm an den Schreibtisch.

    Wen hatten Sie denn erwartet?, wurde Dr. Höning von Patrick gefragt.

    Ian McAllister von der ECTA. Er wollte wissen, ob es möglich sei, dass die Bauarbeiten der Bahntrasse Paris-Berlin, sie werden sicher aus den Medien davon gehört haben, mit dem Tod der beiden Kinder in Verbindung stehen könnten. Dabei ist die Todesursache so klar wie selten, wenn wir hier Leichen rein bekommen. Innere Quetschungen, Knochenbrüche, die zu starken inneren Verletzungen und Blutungen lebenswichtiger Organe geführt haben. Bei dem Jungen ist der Brustkorb so stark eingedrückt und deformiert worden, dass dadurch die Lunge regelrecht zerfetzt wurde. Bei dem Mädchen haben wir starke Risse in der Leber und im Herzen festgestellt, hervorgerufen durch geborstene Knochen, die sich teilweise in die Organe gebohrt haben. Die Verletzungen herauszufiltern, die die entscheidend tödlichen waren, ist bei dieser Vielzahl absolut unmöglich. Als offizielle Todesursache haben wir die Stürze aus knapp fünfzehn Metern Höhe im Totenschein eingetragen. So etwas überlebt kein Mensch.

    Bei diesen Ausführungen wurde Patrick immer bleicher. Die Erinnerungen an die Nacht vorher kamen durch die Worte, die er hörte, schmerzlich wieder hoch. Der Pathologe schien dies jedoch nicht zu bemerken, für ihn war es sein Beruf und so dachte er in diesem Moment nicht darüber nach, dass hier der Vater der beiden Kinder saß.

    Tut mir leid. Wichtiger scheint mir für Sie zu sein, die eigentliche Ursache für den Sturz herauszufinden, oder?

    Das bringt sie mir auch nicht zurück. Ich weiß nicht, ich hatte mir erhofft, Sie hätten vielleicht irgendwelche ungewöhnliche Spuren an den Leichen entdeckt, die mir Aufschluss hätten geben können.

    Nein. Das einzig Ungewöhnliche sind die vielen Verletzungen, mehr aber auch nicht. Und wenn man die Höhe, aus der die beiden gefallen sind noch mit bedenkt, eigentlich nicht einmal die.

    Danke trotzdem Dr. Höning, dass Sie sich die Zeit genommen haben. Welp machte Anstalten aufzustehen.

    Keine Ursache. Und wenn Sie doch noch Fragen haben sollten, rufen Sie mich gern direkt an. Höning gab ihm eine Karte auf der unter anderem die direkte Durchwahl ins Labor stand, als auch die Mobilnummer.

    Das war der Moment gewesen, in dem sich bei Patrick das Gefühl auftat, dass da etwas dran sein müsse, dass diese Bahngesellschaft schuld war. Vorher hatte er darüber keinen einzigen Gedanken verloren. Doch nun, als genauer darüber nachdachte, kam es ihm absolut plausibel. Unter welchen Umständen auch immer, diese ECTA war Schuld. Über das Wie kann sich die Polizei Gedanken machen.

    Als er von den Beamten hinaus begleitet wurde, nachdem die Formalitäten mit Welp geklärt waren, klopfte es wieder an der Labortür. Dr. Höning öffnete. Vor der Tür stand McAllister. Der Pathologe machte die beiden miteinander bekannt. Die Reaktionen waren total unterschiedlicher Natur. McAllister blickte schuldbewusst, als wenn ihm das Aufeinandertreffen unangenehm war.

    Patrick hingegen hatte nichts als Hass und Verabscheuung in den Augen gehabt. Die Erwähnung der Bauarbeiten hatten für ihn den Schuldigen ohne Zweifel dargelegt.

    Sonntag, 04. Juli

    Engelskirchen, Haus der Westerfelds

    Julia und Patrick saßen in ihrem Wohnzimmer, Julia auf dem Sofa, Patrick in seinem Sessel. Den ganzen Tag über hatten sie kaum gesprochen. Jeder der beiden versuchte auf seine Art und Weise mit dem Unglück fertig zu werden.

    Gerade waren der Bestatter und der Pastor der hiesigen Gemeinde bei ihnen gewesen, um die Formalitäten und den Ablauf der für morgen geplanten Beerdigung zu besprechen. Natürlich fiel es ihnen schwer, darüber zu sprechen. Julia hatte sich weitgehendst raus gehalten, sie konnte es einfach nicht. Sie saß die ganze Zeit stoisch auf dem Sofa und hielt die Lieblingskuscheltiere von Elise und Jonah im Arm. Patrick war auch nicht wohl bei der Sache, aber es musste sein.

    Als es langsam Abend wurde klingelte es zweimal kurz hintereinander. Die Eltern von Julia und Patrick waren angekommen. Von da an hatte Julia wenigstens etwas mehr seelische Unterstützung, die ihr Patrick verständlicherweise nicht so geben konnte, wie es notwendig gewesen wäre.

    Sie gingen früh zu Bett. Der nächste Tag würde sehr schwer werden. Die ganze Familie und die Freunde der Kinder zu diesem traurigen und bitteren Anlass zu sehen, würde eine der schwersten Prüfungen werden, die sie in ihrem Leben zu überstehen hatten.

    Montag, 05. Juli

    Engelskirchen, Friedhofskapelle

    Es war ein Sommer wie aus dem Bilderbuch, fast so trocken und heiß wie 2006, als die Fußballweltmeisterschaft in Deutschland stattfand. Damals war es ein friedlicher Sommer gewesen, auch für die Familie Westerfeld. Doch in diesem Jahr werden sie den Sommer nicht weiter genießen können, sie hatten das Gefühl niemals mehr einen Sommer, ein Weihnachtsfest oder auch nur irgendetwas genießen zu können. Die fröhlichen und unbeschwerten Zeiten in der Familie waren vorüber, nach dem was am vergangenen Freitag geschehen war. Nichts wird mehr so sein, wie es einmal war.

    Julia saß neben ihrem Mann Patrick auf der harten Holzbank in der ersten Reihe der kleinen Kapelle ihres Heimatortes Engelskirchen, gekleidet in ihrem schickesten, schwarzen Kleid. Ihre langen, brünetten Locken hatte sie unter einem schwarzweißen Tuch, die verheulten Augen hinter einer dunklen Sonnenbrille versteckt. Sie war unendlich traurig, konnte es immer noch nicht fassen, dass sie nun hier saßen und ihre Kinder, zu Grabe tragen mussten. Der Schock über den Verlust saß verdammt tief.

    Patrick schien gar nicht anwesend. Er saß stumm neben Julia und starrte geistesabwesend auf die Särge ihrer Kinder Elise und Jonah, die vor dem Altar aufgebahrt waren.

    Die Sonne brannte draußen gnadenlos vom Himmel. Die Hitze war auch hier, innerhalb der Kapelle, deutlich spürbar. Die Fenster schienen die Wärme noch zu verstärken. Nicht wie in all den Filmen, die man gesehen hatte, in denen es während einer Beerdigung stets in Strömen regnete.

    Die Westerfelds hätten es gerne gehabt, wenn die Särge ihrer beiden Kinder offen gewesen wären, um Elise und Jonah wenigstens noch ein letztes Mal sehen zu können.

    Der Bestatter hatte ihnen jedoch mitteilen müssen, dass er es selbst mit dem größtmöglichen Aufwand nicht geschafft hätte, all die Verletzungen soweit zu kaschieren, dass er guten Gewissens offenen Särgen hätte zustimmen können. So waren die Särge zum Leidwesen der Eltern geschlossen aufgebahrt worden. Wenn Julia gewusst hätte, wie sehr ihre Kinder verunstaltet waren, hätte sie auch keine offenen Särge gewollt. Patrick hatte ihr nichts erzählt.

    Julia und Patrick hatten darauf bestanden, dass keine Orgelmusik gespielt werden sollte, sondern ausschließlich die Lieblingsmusik von Elise und Jonah. So hörten die Trauergäste Lady Gaga und Justin Bieber aus den Lautsprechern, woran sich aber auch keiner störte. Zu Ehren der beiden hätten sie wahrscheinlich alles hingenommen, wäre es auch noch so furchtbar gewesen.

    Julia hing ihren Gedanken nach, an die Ereignisse der letzten Tage. Sie konnte sich nicht wirklich auf die Trauerfeier und die Worte des Pfarrers konzentrieren. Ihr gingen immer wieder die letzten Tage durch den Kopf.

    Als Julia aus ihrer Starre erwachte war die Trauerfeier schon fast zu Ende. Langsam begann sich die Trauergemeinde zu erheben und der Prozession mit den Särgen zur Grabstelle zu folgen. Der Steiff-Bär von Jonah war oben an seinem Sarg befestigt, genauso, wie die Lieblingspuppe von Elise auf ihrem.

    In dem Moment, als die Trauergesellschaft die Kapelle verließ, fuhr eine schwarze Limousine mit abgedunkelten Scheiben vor. Alle Köpfe drehten sich zu dem imposanten Fahrzeug, um zu schauen wer da wohl ankam.

    Es handelte sich um Ian McAllister, den Chef der ECTA. Was konnte der bloß hier wollen? Den meisten war er nur aus dem Fernsehen bekannt, wenn überhaupt. Nicht so jedoch für Patrick. Er hatte ihm bereits in der Gerichtsmedizin in Köln gegenüber gestanden.

    Und nun stand dieser Widerling erneut vor ihm, auf der Beerdigung seiner Kinder! Patrick kochte vor Wut in Angesicht des Mannes, der in seinen und in den Augen der gesamten Familie, verantwortlich für den Tod seiner Kinder war. Sie waren überzeugt davon, dass die Bauarbeiten, in welcher Art und Weise auch immer, für das vermeintliche Erdbeben verantwortlich waren.

    Patrick wollte gerade auf McAllister zustürmen, wurde aber von seinem Schwiegervater und seinem Bruder aufgehalten.

    Lasst mich los! Der hat hier nix verloren! Patrick versuchte sich aus den festen Griffen zu befreien.

    Warte doch erst mal, was er will. Patrick, bitte!, versuchte Max ihn zu beruhigen. Julia brach in Tränen aus, wurde im Kreis ihrer Familie getröstet, was unter diesen Umständen nahezu unmöglich war.

    McAllister trat auf Patrick zu. Herr Westerfeld, ich kann Ihre Reaktion absolut verstehen und nachvollziehen, aber lassen Sie mich bitte im Namen der ECTA und ganz besonders in meinem eigenen, Ihnen mein allerherzlichstes Beileid aussprechen! Ich kann mir vorstellen, wie Sie sich fühlen müssen. Sehen Sie, ich habe meine Frau und meine Kinder bei dem Flugzeugabsturz in Lockerbie verloren. Sie geben mir und meiner Organisation die Schuld. Auch ich gab seinerzeit der Fluggesellschaft die Schuld und wollte mich von niemand von dieser Idee abbringen lassen. Nur mit etwas Abstand musste ich einsehen, dass das falsch war. McAllister machte eine kurze Pause. Ihm viel es nicht leicht hier zu sein, dass sah man ihm an.

    Ich hoffe sehr, dass auch Sie irgendwann zu dieser Einsicht gelangen werden. Ich denke, es handelt sich um eine Verkettung unglücklicher Umstände. Nicht mehr und nicht weniger. Wie gesagt, ich bin nur gekommen, um Ihnen mein tiefstes Beileid auszudrücken. Das habe ich hiermit getan. Ich wusste nicht, wo ich Sie sonst hätte erreichen können, Ihre Adresse wollte man mir nicht geben. Entschuldigen Sie, wenn ich die Trauerfeier gestört haben sollte.

    Einen Dreck wissen Sie!, giftete Patrick ihn an.

    Dafür stören Sie unsere Trauerfeier? Sie sind doch nicht ganz dicht!, erboste sich Patricks Bruder.

    Komm Patrick! Sein Bruder führte ihn fort.

    Wir danken Ihnen für Ihr Mitgefühl, Mr. McAllister. Wenn Sie uns jetzt aber bitte unsere Enkel zu Grabe tragen lassen würden!? Patricks besonnener Schwiegervater konnte den alten Schotten schon irgendwie verstehen.

    Selbstverständlich! Bitte entschuldigen Sie, wenn mein Besuch nicht zum richtigen Zeitpunkt kam.

    Für diesen Satz war Patrick noch nicht weit genug weg, er hatte ihn gehört und fuhr jetzt richtig aus der Haut.

    Nicht der richtige Zeitpunkt? Sie haben sie doch nicht alle! Nie werde ich zu irgendeiner anderen Ansicht kommen, als dass Ihre beschissene Drecksfirma Schuld ist! Und jetzt sehen Sie zu, dass Sie Land gewinnen, sonst können die hier noch ein weiteres Grab ausheben!

    McAllister blickte beschämt drein, drehte sich um und schritt auf die Limousine zu, blickte sich noch einmal kurz um und stieg dann ein. Dann war er auch schon wieder weg.

    Julia musste den Rest der Feierlichkeiten immer wieder von ihren Familienangehörigen gestützt werden, sie war nahe an einem Nervenzusammenbruch. Schlimm genug, wenn die eigenen Kinder vor einem Selbst beerdigt werden müssen, aber der Besuch des ECTA-Präsidenten war zu viel für sie.

    Als die Särge langsam herabgelassen wurden, zogen ein paar Wolken auf und als die Totengräber mit dem Zuschaufeln des Geschwistergrabes begannen, fielen die ersten Tropfen eines lauen Sommerregens.

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    Dienstag, 06. Juli

    Neapel, Vulkanforschungsstation am

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