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Schuld, die dich schuldig macht
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eBook377 Seiten5 Stunden

Schuld, die dich schuldig macht

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Über dieses E-Book

Um der Rache eines verbitterten Vaters zu entkommen, flieht Mia in die Abgeschiedenheit Afrikas. Erst das Zusammentreffen mit ihrer großen Liebe veranlasst sie, die sichere Umgebung zu verlassen. Sie folgt ihrem Herzen – in die Großstadt London.
Dort holt ihre Vergangenheit sie ein!
SpracheDeutsch
Herausgeberneobooks
Erscheinungsdatum16. Jan. 2015
ISBN9783738011791
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    Buchvorschau

    Schuld, die dich schuldig macht - Angelika B. Klein

    Überschrift

    SCHULD

    die dich

    schuldig macht

    von Angelika B. Klein

    www.facebook.com/AngelikaB.Klein

    Alle Handlungen und Personen in diesem Roman sind frei erfunden. Sollten sich einzelne Namen oder Örtlichkeiten auf reale Personen beziehen, so sind diese rein zufällig.

    © 2014 Angelika B. Klein

    Für meine

    geliebten Eltern,

    die meine Erfahrungen

    leider nicht mehr mit mir teilen durften

    PROLOG

    Er spürt, wie das kalte Wasser an seinen Knöcheln emporsteigt. Das gläserne Gefängnis lässt keine Flucht zu. Seine Beine sind mit Fußfesseln am Boden verankert, seine Arme mit Gurten auf seinem Rücken fixiert. Panik kriecht in ihm hoch. Er schaut in ihr Gesicht und sieht, wie sich ihre Tränen einen Weg über ihre Wangen bahnen. Das Wasser steigt immer weiter, schnell und unerlässlich. Es hat bereits seine Knie erreicht. Er möchte ihr noch so viel sagen, aber ihm fallen nicht die richtigen Worte ein. Sie ruft ihm etwas zu, was er jedoch in der mittlerweile übermächtigen Angst, die ihn ergreift, nicht versteht. Das Wasser hat seine Hüfte erreicht.

    Er öffnet seinen Mund, jedoch entweicht lediglich ein schlotterndes Stöhnen seinen Lippen. Das Wasser ist so kalt! Sein ganzer Körper zittert vor Kälte. Ein letztes Mal unternimmt er den Versuch, seine Arme oder Beine von den Fesseln zu befreien. Vergeblich! Das Wasser steht ihm wortwörtlich bis zum Hals. Er würde ihr so gern ein letztes Mal sagen, wie sehr er sie liebt. Er öffnet den Mund und schluckt augenblicklich das einströmende Wasser. Es bleiben ihm nur noch Sekunden, dann bekommt er keine Luft mehr! Ein letztes Mal saugen sich seine Lungen mit Sauerstoff voll, dann steigt der Wasserpegel über seine Nase. Unter Wasser öffnet er die Augen und schaut sie weiterhin an. Plötzlich wird er ganz ruhig. Die Angst und die Panik fallen von ihm ab. Er akzeptiert sein Schicksal. Eine wärmende Ruhe umschließt ihn. Er lächelt sie ein letztes Mal erfüllt von Liebe an, dann schließt er seine Augen und wird von einem schwarzen Nichts umhüllt.

    Kapitel 1

    Laute Rufe reißen mich aus meinen Gedanken. „Mia, Mia!", höre ich eine Jungenstimme aufgeregt meinen Namen rufen. Ich stürme aus der Hütte und sehe Kojo, der mit seinem jüngeren Bruder auf dem Arm auf mich zugelaufen kommt.

    Mein Blick fällt sofort auf das stark blutende Bein des kleinen Jungen. „Kojo, was ist passiert?", frage ich besorgt. Ich nehme ihm den sechsjährigen Jungen ab und trage ihn schnell in die Steinhütte, welche als Krankenzimmer umfunktioniert wurde.

    „Tidjani ist auf einen großen spitzen Stein gestürzt. Zuerst wollte er weiterlaufen, aber es hört nicht auf zu bluten!", erzählt Kojo besorgt. Er macht sich große Sorgen um seinen Bruder. Wenn er mit dem Jüngeren allein unterwegs ist, trägt er, obwohl er selbst erst zwölf ist, die alleinige Verantwortung. Das wurde ihm von seinem Vater eingeschärft.

    Ich lege Tidjani auf das lange Holzbrett, welches auf vier hohe stabile Füße genagelt als Untersuchungstisch dient und betrachte mir sein Bein genau. Oberhalb des rechten Knies klafft eine fünf Zentimeter lange und ziemlich tiefe Schnittwunde, die unaufhaltsam blutet.

    „Kojo, schnell bring mir die Tücher dort drüben. Kojo läuft zu dem kleinen Tischchen und reicht mir die frischen aufeinandergestapelten Wundkompressen. Ich bedecke die Wunde mit zwei Tüchern und weise Kojo an: „Drück fest drauf und lass nicht los! Kojo legt seine Hand auf die Kompressen und drückt zu. Ein leises Wimmern entweicht Tidjanis Lippen. Ich finde, dass sich der Jüngere ausgesprochen tapfer verhält, angesichts der schmerzhaften Verletzung. In seinen Augen erkenne ich Angst, aber keine Träne verlässt seinen Körper. Ich drehe mich zu meinem Instrumentenschrank um und hole eine Betäubungsspritze, Nadel und Faden sowie Jod. Vorsichtig steche ich links und rechts der Wunde in die Haut und injiziere 2 ml Lidocain. Danach säubere ich die Wunde großflächig mit Jod und beginne, den Schnitt zu verschließen.

    Während ich zügig, aber sorgfältig einen Stich nach dem anderen durchführe, versuche ich Tidjani abzulenken: „Erzähl mir, wie das passiert ist, Tidjani. Wie schaffst du es, in einer Steppe übersät mit hohem Gras auf den einzigen großen Stein zu fallen, der rumliegt?"

    Tidjani schaut mich tadelnd an: „Das war mir vorherbestimmt! Vater sagt, wenn du dich verletzt, will dir die Natur damit zeigen, dass du bereit bist einen weiteren Schritt zu gehen, um ein Mann zu werden. Ich habe nicht geweint. Tapfere Männer weinen nicht!"

    Selbst jetzt, nachdem ich bereits zwei Jahre hier meinen Dienst verrichte, überrascht mich immer wieder die Tapferkeit und der Mut der Jungen und Männer, die zum Teil täglich ihr Leben riskieren, um die Familie und das Dorf zu ernähren.

    Ich bin gerade mit dem letzten Stich fertig und verknote die Enden des Fadens, als ich erneut meinen Namen höre: „Mia, bist du da?" Abgehetzt erscheint Anna, die 18-jährige Studentin aus Hamburg, die hier ein freiwilliges soziales Jahr absolviert, in der Tür.

    Während ich die frisch genähte Wunde meines jungen Patienten verbinde frage ich: „Was ist los, Anna? Du bist ja ganz außer Atem."

    Mit kurzen Worten erzählt sie: „Es ist Kefira, es ist bei ihr soweit, du musst schnell kommen!"

    „Kefira? Jetzt schon? Wo ist Mona?"

    Anna schüttelt den Kopf und antwortet: „Die ist in Samroni, bei einer schweren Geburt mit Steißlage".

    Oh nein! Bitte nicht! Kefiras Geburtstermin ist erst in vier Wochen und Mona ist die einzige Hebamme im Dorf. Ausgerechnet heute ist sie in Samroni, das liegt zwei Stunden entfernt. Ich habe ihr zwar des Öfteren bei Geburten geholfen und auch einiges über die ausübende Kunst der Hebamme gelernt, aber ich war noch nie allein verantwortlich für die Gesundheit von Mutter und Kind.

    Schnell verbinde ich Tidjanis Bein fertig und schaue mich suchend in der Hütte um. Wo ist der Geburtskoffer? Mist, den hat natürlich Mona dabei. Dann muss es eben ohne gehen. Ich eile zur Tür hinaus und laufe zu Kefiras Strohhütte. Anna folgt mir mit ein paar Metern Abstand. Bereits von draußen höre ich das jammernde Stöhnen der werdenden Mutter und trete zügig in den dunklen Raum ein. Jamal, Kefiras Ehemann, steht neben dem Bett und hält besorgt ihre Hand. Sie sind beide erst 19 Jahre alt und es ist ihr erstes Kind, daher wissen beide noch nicht, was auf sie zukommt.

    „Kefira, es wird alles gut, atme ruhig ein und aus, fordere ich sie auf. An Jamal gerichtet frage ich: „In welchen Abständen kommen die Wehen?

    Jamal schaut mich mit großen Augen an. Klar, blöde Frage. Hier im Herzen Afrikas, einem kleinen Dorf namens Mandala in Sambia, 200 km von der nächsten größeren Stadt Kabwe entfernt, schert man sich nicht um die Uhrzeit. Mir bleibt also nichts anderes übrig, als selbst den Abstand zwischen zwei Wehen festzustellen.

    Vorsichtig spreize ich Kefiras Beine und taste mit meinem Finger nach dem Muttermund. Oh mein Gott! Er ist bereits vollständig geöffnet und ich spüre auch schon das Köpfchen, wie es nach unten drückt. In diesem Moment kommt die nächste Wehe und Kefira fängt an zu pressen. Mit einem lauten Schrei hört sie auf und fällt erschöpft und mit schmerzverzerrtem Gesicht in ihr Kissen. „Kefira, wie lange hast du schon Presswehen?, frage ich besorgt. Kefira antwortet mir jedoch nicht. Mein Blick sucht Anna: „Anna, seit wann bist du da?

    Hilflos antwortet sie: „Ich bin ungefähr seit einer halben Stunde da. Ich kam zufällig an der Hütte vorbei und habe sie schreien gehört. Der Dorfarzt war gerade bei ihr, hat aber nach einiger Zeit besorgt den Kopf geschüttelt und die Hütte wieder verlassen. Erst danach hat mir Jamal erlaubt Mona oder dich zu holen." In solchen Situationen werde ich so wütend auf die Kultur und das Verhalten der Eingeborenen. Sie sind so stur, was die moderne Medizin angeht. Wenn sie wirklich schon so lange in den Presswehen liegt und das Kind immer noch nicht weiter nach unten gerutscht ist, muss ich davon ausgehen, dass Kefira und ihr Kind es nicht alleine schaffen. Der Geburtskanal ist zu eng, ich muss nachhelfen.

    Mein Gehirn arbeitet auf Hochtouren. Was würde Mona jetzt machen? Die Zange! Mist, die ist im Geburtskoffer! Kefiras lauter Schrei reißt mich aus meinen Überlegungen. Jetzt nur keine Panik aufkommen lassen! Was kann ich als Geburtszange verwenden? Suchend schaue ich mich in der spärlich eingerichteten Hütte um. Mein Blick fällt auf eine große Schüssel in der Ecke der Hütte, daneben liegen zwei Holzlöffel. Etwas Passenderes entdecke ich auf die Schnelle nicht.

    Das Adrenalin schießt mir in den Körper. Mit deutlichen kurzen Sätzen befehle ich:

    „Anna, nimm die beiden Holzlöffel und säubere sie so gut es geht."

    „Jamal, bring mir saubere Tücher."

    Zu Kefira sage ich mit beruhigender aber eindringlicher Stimme: „Kefira, ich muss deinem Kind helfen, es schafft es nicht alleine. Du darfst nicht mehr pressen, hörst du? Kefira stöhnt vor Schmerzen. „Kefira, du darfst nicht mehr schieben, erst wenn ich es sage, das ist wichtig. Ich nehme ein leichtes Nicken von Kefira wahr und bereite mich auf meine erste Zangengeburt ohne Zange vor.

    Anna gibt mir die beiden sauberen Holzlöffel, während Jamal die Tücher neben mich auf das Bett legt. Plötzlich kommt mir ein Gedanke: Das Kind muss an den Holzlöffeln entlang nach außen gleiten… die Oberfläche der Holzlöffel …. sie ist zu rau. Verdammt! Ich schaue mich im Raum um.

    Anna bemerkt meine suchenden Blicke und versucht mit zur helfen: „Mia, kann ich dir irgendwie helfen?"

    „Ich brauche etwas, um die Löffel rutschiger zu machen. Creme, Fett oder Ähnliches", antworte ich hektisch. Ich finde nichts, was sich nur annähernd eignen würde. Nach kurzem Überlegen sprintet Anna aus der Hütte und verschwindet um die Ecke. Erneut schreit Kefira auf. Ich kann nicht mehr länger warten, sonst wird es wirklich gefährlich für Mutter und Kind.

    Ich positioniere mich zwischen den Beinen der Schwangeren und schiebe vorsichtig einen der Löffel in ihre Vagina ein. Kefira stöhnt unter den Schmerzen laut auf. In diesem Moment fliegt die spärliche Holztür auf und Anna stürmt herein. In der Hand hält sie eine Schüssel mit einer weißen festen Masse darin. Sie reicht mir die Schüssel und erklärt atemlos: „Das ist das Einzige was ich gefunden habe, aber das müsste gehen, oder?" Ich rieche an der weißen Masse und verziehe augenblicklich mein Gesicht. Igitt!

    „Was ist das?", rufe ich Anna entgegen.

    Betreten schaut sie mich an und meint: „Das ist Schweineschmalz. Es ist fettig, das wolltest du doch!"

    „Ja, danke Anna." Ich habe keine andere Wahl, als das Schweineschmalz zu verwenden. Schnell reibe ich beide Löffel mit dem Fett ein und führe erneut zuerst einen Löffel in Kefira ein. Nachdem dieser problemlos hineingerutscht ist, setze ich den zweiten Löffel an und schiebe ihn vorsichtig in die Vagina. Da Kefira eine Erstgebärende ist, ist der Geburtskanal dementsprechend eng und ich muss mich anstrengen, um den zweiten Löffel in seine richtige Position zu bringen.

    Anna, die mittlerweile völlig aufgelöst neben mir steht, schluchzt: „Du verletzt doch den Kopf des Kindes, wenn du ihn mit den harten Löffeln packst und rausziehst."

    Gestresst aber konzentriert antworte ich: „Nein, ich packe das Kind doch nicht. Ich erweitere nur den Weg, damit das Kind durch passt. Es rutscht an den Löffeln entlang. Sollte es zumindest, wenn alles gut geht." Den letzten Satz flüstere ich fast nur noch zu mir selbst.

    Kefira gibt laute animalische Geräusche von sich und Jamal macht Anstalten, das Vertrauen in mich zu verlieren und mich von seiner Frau wegzuziehen. Ängstlich ruft er: „Hör auf, du bringst sie ja um. Das Kind wird alleine kommen, die Götter werden ihm auf die Welt helfen. Lass sie in Ruhe, geh weg!"

    „Anna, bring Jamal raus, bevor er hier noch durchdreht!", schreie ich genervt. Anna springt auf und zieht Jamal zur Tür hinaus.

    Die beiden Löffel liegen an ihren vorgesehenen Positionen. Mit aller Kraft ziehe ich sie auseinander. Ich versuche zu erkennen, wie weit ich den Geburtskanal öffnen muss. Kefira schreit mittlerweile durchgehend ohne Pause. Ihr Bauch zieht sich zusammen, die nächste Presswehe kommt. „Kefira, jetzt schiebe so fest zu kannst. Schiebe dein Kind zu mir raus. Kefira presst und ich sehe, wie der Kopf des Kindes langsam in den Geburtskanal rutscht. Die Wehe ist vorbei. „Atme tief durch, Kefira. Einmal noch, dann hast du es geschafft. Mit der nächsten Wehe schiebst du noch einmal so fest du kannst! Schweißüberströmt nickt sie mir zu. Sie versucht tief durchzuatmen, trotz der Schmerzen. Die nächste Presswehe kommt. Kefira drückt mit aller ihr noch zur Verfügung stehenden Kraft und ein kleines Köpfchen mit schwarzen nassen Haaren bahnt sich den Weg nach draußen. Das Schwierigste ist geschafft. Mit der nächsten Wehe ziehe ich vorsichtig die Löffel heraus, wodurch mir der Körper des Kindes entgegen flutscht. Ein kleines, zerknittertes und laut schreiendes Bündel liegt auf der Decke vor mir. Kefira lässt sich erschöpft und erleichtert zurückfallen.

    Durch die Schreie des Neugeborenen angelockt, erscheinen Anna und Jamal in der Hütte. Nachdem ich die Nabelschnur abgeklemmt, durchtrennt und die Atemwege des Kindes notdürftig vom Schleim befreit habe, reiche ich das Bündel Kefira, die es sofort liebevoll in die Arme schließt. „Du hast eine gesunde Tochter, Kefira." Jamal nimmt mich dankbar in den Arm und entschuldigt sich für sein aufgebrachtes Verhalten. Nach ein paar Minuten drückt Kefira die Nachgeburt heraus. Ich wickle sie in ein Tuch und übergebe sie Jamal. Für ihn ist es wichtig, den Mutterkuchen, wie es die Tradition vorschreibt, weiterzuverarbeiten.

    Nachdem ich mich noch einmal vergewissert habe, dass es Mutter und Kind gut geht, verlasse ich mit Anna die Hütte und gehe zurück zu meiner Steinhütte. Erst jetzt bemerke ich, welche Anspannung und Sorge mich die letzten Minuten ergriffen hat. Mir tut jeder einzelne Muskel im Körper weh und ich bin unsagbar müde.

    Erst spät am Abend kommt Mona zurück. Noch auf dem Weg zu unserer Hütte, welche wir uns teilen, erfährt sie durch Jamal von der ungewöhnlichen Geburt.

    Sie betritt unser Haus und nimmt mich augenblicklich in den Arm. „Mia, meine Süße! Stimmt es, was ich eben von Jamal gehört habe? Du hast eine Zangengeburt durchgeführt?"

    Müde bestätige ich ihre Frage: „Ja, mit etwas Improvisation."

    „Ich bin so stolz auf dich!", lobt mich Mona. Sie ist für mich wie eine Mutter und erzählte mir einmal abends, dass sie, wenn sie eine Tochter hätte, sich wünschte, sie wäre wie ich.

    Wir setzen uns an unseren provisorischen Tisch und unterhalten uns über die beiden schwierigen Geburten des heutigen Tages.

    Abends in meinem Bett, besser gesagt auf der Liege, welche mir als Bett dient, lasse ich den Tag nochmals an mir vorbeiziehen. So anstrengend er auch war, ich bin froh, dass ich mich vor zwei Jahren entschieden habe, nach Afrika zu gehen und für die Hilfsorganisation UNICEF zu arbeiten. In meinem vorherigen Leben ist so einiges schief gelaufen und ich habe hier neue Freunde und eine neue Aufgabe gefunden. Einer der Gründe, warum ich mich für das Dorf Mandala entschieden habe war, dass die Umgangssprache hier Englisch ist. Obwohl das Dorf nur ca. 120 Einwohner zählt, davon ca. 50 Kinder jeden Alters, wird man hier geschätzt für das was man tut und nicht für das, was man hat. Ich kann mir nicht vorstellen, jemals wieder in die hektische, laute und materiell-orientierte Welt zurückkehren zu müssen. Allerdings bin ich gerade einmal 25 Jahre alt, was das Leben noch mit mir vorhat, lässt sich nicht erahnen.

    Kapitel 2

    DREI JAHRE ZUVOR

    Isabel betritt das Schwesternzimmer der Station B des Kinderkrankenhauses München. „Guten Morgen Lotti.", begrüßt sie die etwas ältere Nachtschwester.

    Diese schaut von ihrem Bericht auf und antwortet: „Guten Morgen Isi".

    Isabel holt sich eine Tasse Kaffee und setzt sich zu Lotti, die eigentlich Lieselotte heißt, an den Tisch. Sie wartet kurz, bis diese ihren Satz zu Ende geschrieben hat und erkundigt sich dann: „War heute Nacht irgend was Besonderes?"

    Lotti schaut von ihrem Geschriebenen auf und berichtet: „Miriam von Zimmer 12 hat sich übergeben, es geht ihr aber jetzt wieder besser. Lisa auf der 14, hatte starke Schmerzen, ich habe ihr 250 mg Paracetamol gegeben. Und wir haben einen Neuzugang auf der 18. Ein fünfjähriger Junge, Luca, mit einem Fieberkrampf." Isabel nickt konzentriert und trinkt einen Schluck von ihrem Kaffee.

    Nach einigen Minuten steht sie auf und beginnt ihren morgendlichen Rundgang durch die Patientenzimmer. Als letztes geht sie zu Zimmer 18, öffnet nach kurzem Anklopfen die Tür und tritt ein.

    Eine kleine zerbrechliche Gestalt blickt ihr aus dem großen Bett entgegen. Lächelnd geht sie zum Fenster und zieht die Gardinen zur Seite. Sonnenstrahlen durchfluten das freundlich eingerichtete Einbett-Zimmer. „Guten Morgen Luca, sagt sie freundlich. Der Junge schaut sie mit großen Augen an. Isabel nimmt sich das Patientenblatt, welches am Fußende in einer Halterung steckt und überfliegt schnell die wichtigsten Daten. „Du kommst also aus Italien? Verstehst du mich? Sprichst du deutsch?

    Ein schüchternes Lächeln huscht über Lucas Gesicht: „Ja".

    „Wie geht es dir heute?", fragt sie ihn freundlich und ruhig.

    Tränen steigen ihm in die Augen während er wimmert: „Ich will nach Hause zu meiner Mama."

    Isabel liebt ihren Job als Kinderkrankenschwester, aber solche Situationen fürchtet sie, denn es gibt keine Regel, wie man sich am besten verhält. Auf jedes Kind muss man anders eingehen, wenn es Heimweh hat. Langsam setzt sie sich zu ihm aufs Bett und legt seine kleine Hand in ihre. „Wie alt bist du denn Luca?", fragt sie behutsam.

    Er schaut ihr in die Augen und antwortet schluchzend: „Fünf."

    „Schon fünf? Dann hast du sicherlich einen Superhelden, den du ganz toll findest."

    Luca braucht nicht lange zu überlegen: „Ja, Spiderman!", ruft er stolz.

    „Wow! Spiderman! Ja, der ist wirklich toll!, bemerkt Isabel bewundernd. „Was gefällt dir an Spiderman denn besonders gut? Ihre Taktik scheint aufzugehen.

    Luca ist gedanklich so mit seinem Superhelden beschäftigt, dass seine Tränen mittlerweile getrocknet sind und er sich aufgeregt aufsetzt. „Er ist stark und hat nie Angst. Außerdem besiegt er die Bösen und er kann mit seinem Spinnennetz so schnell nach oben fliegen, dass ihn keiner mehr sieht."

    Isabel holt ein Fieberthermometer aus ihrer Tasche und zeigt es Luca. „Weißt du was das ist?, fragt sie ihn geheimnisvoll. Der Junge schüttelt den Kopf. „Das ist ein Fieberthermometer. Ich lege es dir unter den Arm und wir warten bis es piepst. Und während wir warten, erzähle ich dir ein Geheimnis. Luca wird neugierig und hebt freiwillig seinen rechten Arm, damit Isabel das Thermometer darunter legen kann.

    Dann greift Isabel erneut in die Tasche ihrer Schwesterntracht und holt drei verschiedenfarbig verpackte, kleine runde Bonbons hervor. Die haben sich in so manchen Situationen schon bewährt. Langsam öffnet sie die Hand. Lucas Blick fällt auf die Süßigkeiten. Irritiert kräuselt er die Stirn. In verschwörerischem Ton fängt Isabel leise an zu sprechen: „Pass auf, das sind drei ganz besondere Bonbons." Sie lässt diesen Satz auf Luca wirken. Er reißt die Augen neugierig auf.

    „Das Rote… das verleiht dir Powerkraft. Aber nicht so eine Kraft, mit der du Autos heben kannst oder große Männer durch die Luft schleudern. Nein, es gibt dir die Kraft mit allem fertig zu werden, was dir Angst macht. Wenn du es isst, wird alles, wovor du gerade Angst hast, harmlos und gut."

    Lucas Augen werden immer größer und er will sich sofort das rote Bonbon schnappen. Isabel schließt jedoch schnell die Hand und schüttelt den Kopf. „Nein, warte!" Luca zieht seine Hand zurück und hört ihr weiter gespannt zu.

    „Das Gelbe …. das gibt dir Powergeschwindigkeit. Wenn du das isst, kannst du superschnell laufen. Und das Blaue … das macht dich unsichtbar."

    Aufgeregt platzt Luca heraus: „Echt, richtig unsichtbar? Dass mich keiner mehr sieht? Dann kann ich meine Schwester ärgern, ohne dass sie merkt, dass ich es bin?"

    „Nein so ganz funktioniert es nicht. Die Kräfte sind nur da, um dich zu beschützen. Wenn dich etwas bedroht oder du vor etwas Angst hast, dann hilft es dir. Das Blaue macht dich nur soweit unsichtbar, dass dir nichts passieren kann."

    Isabel nimmt Lucas Hand und legt die Bonbons vorsichtig in seine kleine Handfläche. Leise sagt sie: „Überleg aber genau, wann du sie benutzt. Du hast nur diese drei Stück!" Ehrfürchtig nickt Luca und überlegt wo er sie verstecken könnte. Er greift nach seinem dunkelbraunen Teddy, öffnet die kleine Tasche der roten Latzhose und steckt die Bonbons einzeln hinein. Dann verschließt er den Reißverschluss wieder sorgfältig und legt sein Stofftier neben sich.

    Plötzlich piepst das Thermometer. Isabel holt es unter Lucas Achsel hervor und stellt beruhigend fest, dass seine Temperatur im Normalbereich liegt.

    Sie steht auf und notiert die neuen Daten auf dem Krankenblatt.

    „Bist du eine gute Fee?", fragt Luca geheimnisvoll.

    „Eigentlich nicht, aber ich habe das Glück, dass ich kleinen Kindern diese Bonbons geben darf."

    „Mit deinen langen blonden Haaren schaust du aber aus wie eine Fee", flüstert er ehrfürchtig.

    „Ich muss jetzt noch die anderen kranken Kindern besuchen, aber ich komme später noch einmal zu dir, ja?", sagt Isabel lächelnd, steht auf und verlässt das Zimmer.

    Kapitel 3

    HEUTE

    Wie jeden Morgen bin ich bereits sehr früh wach. Der Hahn kräht und das Treiben im Dorf beginnt. Ich gehe zum einzigen Brunnen im Dorf und schöpfe einen Eimer frisches Wasser. In unserer Wohnhütte wasche ich mich und putze mir schnell die Zähne. Glücklicherweise bin ich, was meine kurzen dunkelbraunen Haare angeht, sehr anspruchslos und benutze auch kein Make-up. Das wäre in dieser Umgebung auch eher hinderlich und nicht sehr sinnvoll.

    Mittags sind die meisten Einwohner mit ihren täglichen Aufgaben beschäftigt. Die Frauen putzen die Hütten, bereiten das Essen zu, kümmern sich um die Kinder und die Männer sind unterwegs im Busch auf der Jagd. Heute übernimmt Anna die Dorfschule. An drei Tagen in der Woche unterrichte ich die Kinder in Lesen, Schreiben und Rechnen. Anna unternimmt mit den Kindern an den verbleibenden beiden Tagen Reisen in die Welt der Biologie, Erdkunde oder Geschichte. Dabei stößt sie oft an ihre Grenzen, da gerade die älteren Kinder von der Biologie der heimischen Pflanzen mehr Ahnung haben, als irgendein Lehrer.

    Ich überprüfe gerade die Restbestände unserer Medikamente, als ich zwei Fahrzeuge höre. Neugierig trete ich aus der Tür und halte mir eine Hand über die Augen, um sie vor der blendenden Sonne abzuschirmen. Zwei Jeeps fahren die staubige Straße bis zur Dorfmitte entlang. Die Fahrzeuge halten und es steigen jeweils drei Personen aus. Einer trägt eine Kamera, einer ein Stativ und ein großes Mikrofon und eine Frau einige Fotoapparate. Verdammt, wie haben die sich denn hierher verirrt? Mona kommt aus unserer Hütte und geht sogleich auf die Neuankömmlinge zu. Ich ziehe mich zurück in mein Haus und schließe die Tür hinter mir. Die werden hoffentlich bald bemerken, dass sie hier falsch sind und wieder weiterfahren.

    Wenig später erscheint Mona in meiner Hütte: „Mia, das sind drei Promis, die für den Red-Nose-Day zu uns kommen. Sie wollen sich alles ansehen und werden auch für dieses Dorf eine großzügige Spende leisten."

    Ich verziehe mein Gesicht. „Mona, du weißt, dass ich nichts mit der Presse und dem Fernsehen zu tun haben will."

    „Ich weiß, aber für unser Dorf ist das wirklich wichtig."

    „Wie kommen die überhaupt auf uns? Sind die nicht normalerweise nur in Kabwe oder Samroni?"

    „Ja, aber dieses Mal wollten sie ein wirklich kleines Dorf zeigen, bei dem eben noch nicht so viel investiert wurde. Das macht sich wohl im Fernsehen besser und ist für die Zuschauer interessanter."

    „Und wie lange bleiben die hier? Dann geh ich solange zum Hügel und du kannst ihnen alles zeigen."

    Mona antwortet zerknirscht: „Das ist eben das Problem… die bleiben drei Tage hier."

    „Drei Tage!, rufe ich entsetzt und etwas zu laut. „Wie soll ich mich drei Tage lang verstecken?

    „Gar nicht! Ich erkläre ihnen einfach, dass du nicht gefilmt und fotografiert werden willst. Das müssen sie akzeptieren."

    „Was willst du ihnen sagen? Meine Kollegin war zu Hause eine Kriminelle und ist hier untergetaucht? Oder willst du ihnen eine Phobie gegen Kameras aufbinden?" Mein Tonfall wirkt leicht sarkastisch.

    „Jetzt mach dir mal keine Sorgen. Ich regle das schon irgendwie!" Mona nimmt mich beruhigend in den Arm und verlässt dann wieder die Hütte.

    Unruhig laufe ich in der engen Hütte auf und ab. Ich befürchte, dass das nicht gut geht. Warum müssen die Promis auch ausgerechnet in unser Dorf kommen? Es gibt genug andere kleine Dörfer im Umkreis von 500 km. Ich habe mir vor zwei Jahren nicht ohne Grund dieses Dorf ausgesucht. Weit ab von jeglicher Zivilisation und uninteressant für Touristen. Mona ist die einzige, die über meine Vergangenheit Bescheid weiß und so soll es auch bleiben.

    Erst später, als Mona wieder auftaucht und mir berichtet, dass die Neuankömmlinge eine Erkundungsfahrt in den Busch unternehmen, traue ich mich wieder aus dem Haus. Ich besuche Kefira mit ihrem Baby. „Hallo Kefira, wie geht es dir?"

    Sie lächelt mich an: „Danke gut. Ich bin so froh, dass du mir gestern geholfen hast. Alleine hätte ich das nicht geschafft."

    „Schon gut, ich bin froh, dass alles geklappt hat. Wie geht es deinem Baby?"

    „Gut, sie ist sehr brav und schläft viel."

    „Darf ich sie mir ansehen? Ich würde sie gerne nochmal kurz untersuchen, ob alles in Ordnung ist. Kefira hebt das kleine Bündel aus dem Holzbettchen und reicht es mir. „Hat sie schon einen Namen?, frage ich interessiert.

    „Sie soll Mandisa heißen", antwortet Kefira.

    „Das ist ein schöner Name. Was bedeutet er?", will ich wissen.

    „Mandisa bedeutet die Süße."

    „Ja, das passt. Sie ist wirklich süß."

    Nachdem ich die kleine Mandisa eingehend untersucht habe und mir sicher bin, dass es ihr gut geht, kehre ich in mein Arzthaus zurück.

    Ich sortiere gerade das neu eingetroffene Verbandsmaterial in eine Schublade, als ich hinter mir die Türe höre und jemand herein kommt. In der Annahme, dass es sich um Mona handelt, lästere ich, während ich mich umdrehe, mit dem Blick noch auf die Schublade gerichtet: „Na, sind die feinen Herrschaften schon in ihr Hotel …." Erschrocken schaue ich

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