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Das utopische Theater: Von Brecht bis Müller - vier Jahrzehnte DDR-Theater - Rezensionen
Das utopische Theater: Von Brecht bis Müller - vier Jahrzehnte DDR-Theater - Rezensionen
Das utopische Theater: Von Brecht bis Müller - vier Jahrzehnte DDR-Theater - Rezensionen
eBook551 Seiten6 Stunden

Das utopische Theater: Von Brecht bis Müller - vier Jahrzehnte DDR-Theater - Rezensionen

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Über dieses E-Book

Die Sammlung von Theaterrezensionen aus vier Jahrzehnten DDR-Theater vermittelt - zwangsläufig aus der Sicht des Kritikers - ein Bild von der ästhetischen Vielfalt dieser Bühnenkunst, ihrer tiefen Verwurzelung im Volk wie in humanistischer deutscher Tradition. Das Bild ergibt sich vor allem aus den Inszenierungen von Werken Bertolt Brechts und Heiner Müllers sowie von neuen Werken der Dramatiker Peter Hacks und Volker Braun. Das Bild wird komplettiert durch die Dokumentation der tiefgründigen szenischen Auseinandersetzungen mit Werken Shakespeares, Goethes, Schillers, Hauptmanns und Gorkis sowie weiteren Werken der Weltdramatik.
Ergebnis war de facto ein utopisches Theater, in seiner progressiv humanistischen Ästhetik seiner Zeit weit voraus, die diktatorischen Züge der Gesellschaft ignorierend und über sie hinaus weisend. Seine primär ergötzende, sekundär sowohl aufklärerische als auch didaktische Funktion zerbrach in dem Maße, in dem der entstandene reale Sozialismus dem von den Bühnen postulierten Geist widersprach. Aus kritischer Übereinstimmung mit der historisch neuen Gesellschaft wurde kritische Distanzierung. Das macht die besondere, geschichtlich absolut einmalige Qualität dieser deutschen Bühnenkunst aus.
Dafür ein wenig Bewusstsein zu wecken und also einen aufrichtigen Umgang mit deutscher Theatergeschichte zu stimulieren, ist mein inniges Anliegen.
SpracheDeutsch
Herausgeberneobooks
Erscheinungsdatum10. Dez. 2014
ISBN9783738006223
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    Buchvorschau

    Das utopische Theater - Gerhard Ebert

    Vorwort

    Lassen Sie mich bitte mit einem Zitat beginnen, mit einer ästhetischen Maßgabe Bertolt Brechts (1898-1956), dem Klassiker des utopischen Theaters der DDR. Ich brauche ihn als Kronzeugen. In seinem „Kleinen Organon für das Theater aus dem Jahre 1948 schrieb er: „Das Theater muss sich in der Wirklichkeit engagieren, um wirkungsvolle Abbilder der Wirklichkeit herstellen zu können und zu dürfen… Es macht die praktikablen Abbildungen der Gesellschaft, die dazu imstande sind, sie zu beeinflussen, ganz und gar als ein Spiel: für die Erbauer der Gesellschaft stellt es die Erlebnisse der Gesellschaft aus, die vergangenen wie die gegenwärtigen, und in einer solchen Weise, daß die Empfindungen, Einsichten und Impulse genossen werden können, welche die Leidenschaftlichsten, Weisesten und Tätigsten unter uns aus den Ereignissen des Tages und des Jahrhunderts gewinnen. Sie seien unterhalten mit der Weisheit, welche von der Lösung der Probleme kommt, mit dem Zorn, in den das Mitleid mit den Unterdrückten nützlich sich verwandeln kann, mit dem Respekt vor der Respektierung des Menschlichen, das heißt Menschenfreundlichen, kurz mit all dem, was die Produzierenden ergötzt.

    In der Tat: Das Theater der DDR unterstellte sozialen Gemeinsinn der Bürger und versuchte, sie zu „ergötzen", ihnen Impulse für das Leben zu geben. Insofern war es - historisch einmalig und wahrscheinlich unwiederholbar - ein utopisches Theater. Im unerschütterlichen Bekenntnis zu Antifaschismus und Frieden und im tiefen Glauben an gesellschaftlichen Fortschritt entstanden vor allem in den Jahren der aufstrebenden Republik faszinierende, darunter alsbald weltberühmte Inszenierungen.

    Es geschah dies trotz bornierter Enge parteipolitischer Erwartungen. Diese gipfelten in der Forderung an die Theater, mit Stücken und Aufführungen unmittelbar zur Unterstützung der jeweils jüngsten Parteibeschlüsse beizutragen. Die nach dieser Maxime entstandenen Produktionen blieben bedeutungslos. Direkte politische Eingriffe wie das Verbot von Inszenierungen, zum Beispiel das des „Schwitzbad" von Majakowski 1959 an der Berliner Volksbühne, konnten Geburt und Entwicklung einer historisch neuen Theaterkunst nicht aufhalten.

    Das Berliner Ensemble unter Bertolt Brecht und Helene Weigel war schon bald nach seiner Gründung 1949 geradezu ein Mekka des Theaters. Erinnert sei an Aufführungen wie „Mutter Courage und ihre Kinder (1949 und 1951) mit Helene Weigel und Ernst Busch, „Herr Puntila und sein Knecht Matti (1949) mit Leonard Steckel und Erwin Geschonneck, „Die Mutter (1951) mit Helene Weigel und Ernst Busch, „Der kaukasische Kreidekreis (1954) mit Helene Weigel und Ernst Busch, „Leben des Galilei" (1956) mit Ernst Busch. (Leider war ich in dieser Zeit noch Student.)

    Überragende Regie-Persönlichkeiten wie Bertolt Brecht, Erich Engel und Benno Besson am Berliner Ensemble sowie Wolfgang Langhoff, Wolfgang Heinz und Karl Paryla am Deutschen Theater Berlin, Fritz Wisten an der Berliner Volksbühne und Maxim Vallentin am Maxim Gorki Theater beförderten und pflegten eine künstlerische Qualität, die international höchste Anerkennung genoss. Das Wirken dieser Künstler beflügelte junge Regisseure und Darsteller wie auch junge Schriftsteller. Dramatiker wie Peter Hacks, Volker Braun und Heiner Müller forderten ästhetisch heraus. Es entstand eine opulente sozial-realistische Bühnenkunst, die sich nicht in einem platten Naturalismus erschöpfte, sondern offen war für vielfältige Spielweisen.

    Je unfähiger sich indessen die Führung der DDR erwies, die Widersprüche des neuartigen antikapitalistischen Systems zu lösen und demzufolge Verkrustungen und Verstörungen zunahmen und das Land schließlich regelrecht stagnierte, desto komplizierter wurde die Situation für das Theater. Seine Funktion, den Zuschauer zu ergötzen, kaum begriffen und noch kaum erblüht, erwies sich als utopisch und verkümmerte. Die Künstler griffen zurück auf alte erprobte Mittel, schockierten ihre Zuschauer wieder im Sinne eines kritischen, schließlich eines verstörenden Realismus. Symptomatisch dafür der Weg von Bertolt Brecht zu Heiner Müller. Zuversicht und Vertrauen bei Brecht, das Tor zu einer neuen, menschenwürdigeren Gesellschaft in Deutschland aufgestoßen zu wissen, und schließlich Wut, Ohnmacht und Verzweiflung bei Müller über das offenbare Scheitern des historisch ersten Versuchs, auf deutschem Boden eine humanistische sozialistische Gesellschaft zu errichten.

    Knapp vier Jahrzehnte dieses Theaters eines wahrhaft historischen Aufbruchs hat der Autor vorliegender Publikation von 1955 bis 1990 theaterkritisch begleitet, zunächst als junger Redakteur des „SONNTAG, dann als freier Mitarbeiter der Zeitungen „Theater der Zeit, „Junge Welt und „Neues Deutschland. Dabei hat er sich - stets auch selbst auf der Suche - mehr oder weniger glücklich an den Maßgaben Brechts orientiert und sieht keinen Grund, dies zu verleugnen. Vergnügung als nobelste Funktion des Theaters, und zwar nicht als Selbstzweck, sondern als ein Ereignis unterhaltsamen Leben-Lernens, als ästhetische Hilfe bei der Vermenschlichung der Gesellschaft wie jedes einzelnen Bürgers bleibt die Hoffnung.

    Ein wenig fragwürdig allerdings lesen sich aus heutiger Sicht die in meinen Kritiken zuweilen nassforsch postulierten Bezüge zur Gesellschaft und der diesen Kritiken innewohnende unbedingte Glaube an den neuen deutschen Staat und die Richtigkeit des eingeschlagenen Weges. Da obwaltete eine doktrinäre schwarz-weiß Mentalität insbesondere in der Beurteilung der BRD, wie sie umgekehrt heutzutage freilich auch bezüglich der untergegangenen DDR zu beobachten ist.

    Wie auch immer: Unverwechselbare künstlerische Leistungen sind und bleiben historische Tatsache als Bestandteil deutscher Theatergeschichte nach der Zerschlagung des faschistischen Deutschlands. Nachkommenden dokumentarisches Material an die Hand zu geben, um ihnen eine differenzierte und  lebenswahre Sicht zu ermöglichen, scheint dringend geboten.

    Berlin 2014

    Gerhard Ebert

    „Der gute Mensch von Sezuan"

        von Bertolt Brecht,

    DDR-Erstaufführung am Volkstheater Rostock,

    Regie Benno Besson

    Der Engel der Vorstädte

    Mit der DDR-Erstaufführung des Parabelstückes „Der gute Mensch von Sezuan" von Bertolt Brecht hat sich das Volkstheater Rostock in die erste Reihe der Theater unserer Republik gespielt. Noch wichtiger ist: Brechts episches Theater, das Theater der nackten Erkenntnis, hat bei einem Publikum gesiegt, das zum ersten Male die desillusionierende Theaterkunst Brechts erleben konnte; erleben freilich nicht im althergebrachten Sinne, sondern eben im Sinne des bewußten, des betrachtenden Erlebens.

    Einfach ist Brechts Parabel. Shen Te, ein armes Menschenkind in der Provinz Sezuan des vorrevolutionären Chinas, eine Prostituierte aus Not, beherbergt drei Götter, die auf die Erde gekommen sind, um gute Menschen zu suchen. Weil Shen Te ein guter Mensch ist, schenken ihr die Götter tausend Silberdollar. Für das Geld kauft sich Shen Te einen kleinen Tabakladen. Bald muß sie feststellen, daß man vom „Gut sein" in einer Ausbeutergesellschaft nicht leben kann, daß man vielmehr unter die Räder kommt. Shen Te jedoch will leben. Sie verkleidet sich als Vetter Shui Ta und läßt die armen Menschen für sich arbeiten. Doch die ausgebeutete Menge meint, Shui Ta habe Shen Te, den Engel der Vorstädte, ermordet, um sich deren Eigentum anzueignen. Man bringt Shui Ta vor Gericht, und dort enthüllt Shen Te die grausame Wahrheit: Der böse Shui Ta ist Shen Te, der gute Mensch von Sezuan! Shen Te ruft die Götter um Hilfe an, aber die ziehen sich in ihr Nichts zurück.

    Brecht schließt in einem Epilog mit der Aufforderung ans Publikum, überall dort die Gesellschaftsordnung zu ändern, wo — wie einst in China — ein guter Mensch böse werden muß, um leben zu können.

    Benno Besson, der Gastregisseur vom Berliner Ensemble, hat in Käthe Reichel, der „Grusche der „Kreidekreis-Inszenierung in Frankfurt (Main), eine überragende Darstellerin der Doppelrolle Shen Te/Shui Ta gefunden. Käthe Reichels Spiel als Shen Te ist von bestrickender Herzlichkeit, Natürlichkeit und Wärme und zugleich von einer hinreißenden schauspielerischen Intensität, gar nicht verfremdet im Sinne Brechts, sondern zutiefst durchlebt. Käthe Reichel ist eine überragende Sprecherin Brechtscher Verse, sie führte die Aufführung zum Sieg, und neben ihr zu bestehen, war für ihre Mitspieler nicht leicht. Erfreulich daher, daß das Ensemble trotz der ungewohnten Aufgabe mit ihr wuchs, so daß — abgesehen von einigen sprachlichen Mängeln — von einer geschlossenen Ensembleleistung gesprochen werden muß.

    Wochenpost, 28. Januar 1956

    „Der Lohndrücker"

    von Heiner Müller,

    Uraufführung am Schauspielhaus Leipzig,

    Regie Günter Schwarzlose

    Neue Stücke - neue Probleme

    In einer Studio-Inszenierung wurde Heiner Müllers Szenenfolge „Der Lohndrücker nun endlich der Öffentlichkeit vorgestellt. Die Aufführung ist eine beachtliche Ensembleleistung der Leipziger Künstler, die Müllers „Lohndrücker (und Baierls „Feststellung") neben der normalen Probenarbeit einstudierten. Daß dabei ein echter Theaterabend zustande kam, soll hier vorweggenommen und dafür plädiert werden, beide Stücke schleunigst in den Abendspielplan aufzunehmen.

    Feststand, daß die Erprobung des Stückes wichtige Aufschlüsse geben würde über die neue Dramatik, ihre Darstellung und ihre Publikumswirksamkeit. Wenn nun die Kritik herausfinden sollte, Theaterstücke wie „Der Lohndrücker", welche die Exposition des Konfliktes, seine Entwicklung, Austragung und Lösung nur in filmartig aufblendenden Szenen und Szenchen liefern, seien wegweisend für die neue Dramatik, muß sie damit rechnen, daß flinke Ästheten sehr bald eine passende Theorie zur Hand haben, vor der dann die Dramatiker sitzen wie die Kaninchen vor dem Licht. Sie muß sich das also gut überlegen.

    Selbst bei den günstigen Leipziger Bühnenverhältnissen wurde offenkundig, daß dieses Stück enorme Anforderungen an die Technik stellt. (Das Bühnenbild wurde im Hinblick auf Gastspiele relativ praktisch gebaut von Harald Reichert.) Aber das interessiert erst in zweiter Linie. Wichtiger ist: Da Müller die Aussage jeder einzelnen Szene geradezu wie mit Zeitraffer und Lupe komprimiert, so daß der Inhalt seine knappe, verdichtete Form fast zu sprengen scheint, eine Qualität, die vom Darsteller wie vom Zuschauer Konzentration auf den wesentlichen Vorgang erzwingt, gibt er sozusagen nur die markanten Drehpunkte seiner Handlung. Dem jungen Regisseur Günter Schwarzlose ist es zwar gelungen, nahezu jeder Szene jene Dichte, jene drangvolle Gewichtigkeit zu verleihen, die der Text verlangt, und gleichzeitig den Handlungsbogen durchzuhalten beziehungsweise sichtbar zu machen (die Realisierung des Stückes auf der Bühne ist also möglich), aber er kann nicht verhindern, daß die zahlreichen Pausen Aufmerksamkeit absorbieren. Der Autor sollte sich auf spezifisch dramatische Gestaltungsprinzipien besinnen und die Erneuerung des Theaters nicht durch eine Art abgewandelte Filmtechnik suchen. Hier liegt eine gewisse Gefahr, die verknappende, ungestische Behandlung des Konfliktes zur Manier zu machen.

    Der neue Inhalt macht das Stück schon heute zu einem theatergeschichtlichen Ereignis. Die Pionierarbeit von Karl Grünberg und Hermann-Werner Kubsch in den ersten Jahren unseres Aufbaus, ihr Vorstoß zu neuen Inhalten in der Dramatik ist nicht vergessen. Aber was damals noch nicht mehr als ein Versuch werden konnte, das ist heute, einige Jahre danach, das sozial realistische Abbild eines bestimmten Abschnittes unserer Entwicklung, aus der Erfahrung gestaltet und deshalb gültiger in seiner künstlerischen Aussage.

    1948/49 in einem volkseigenen Betrieb. Balke, ein Maurer, der erkannt hat, was es heißt, für sich selbst zu schaffen, demzufolge nach neuen Normen arbeitet und mehr verdient, wird von der Belegschaft des Betriebes als Lohndrücker beschimpft. Als er mit zwei Kollegen, die er für die Arbeit gewinnen kann, kurzfristig einen Ringofen reparieren will, wird seine Arbeit sabotiert, er selbst verprügelt. Er weiß, was er will, dennoch droht er zu verzagen. Da hilft die Partei. Schließlich erkennt auch einer seiner Gegner, worum es geht, und hilft ihm. Dieses Geschehen aus dem Jahre 1948, heute auf der Bühne betrachtet, weckt Optimismus im Zuschauer; denn der weiß, so ist es gewesen, aber so ist es nicht mehr; inzwischen gibt es viele Balkes. Und seine Gegner, die auch noch heute im Parkett sitzen, werden nachdenklich gestimmt. Wir hoffen daher, dem Stück bald auf anderen Bühnen zu begegnen.

    Die Aufführung ist eine Kollektivleistung, steht jedoch im Zeichen eines Darstellers. Horst Hiemer gibt den Balke. Hiemer ist ein junger begabter Schauspieler. Vor wenigen Jahren von der Theaterhochschule zur Leipziger Bühne gekommen, spielt er jetzt zum ersten Male eine große Rolle der sozialistischen Dramatik. Und das Beglückende tritt ein: Hier trifft sich — wie zu Lessings Zeiten der bürgerliche Schauspieler mit der bürgerlichen Rolle — der neue, sozialistische Darsteller mit der neuen, sozialistischen Rolle. Da steht ein kluger, bewußter und einfacher Arbeiter auf der Bühne, beherrscht, konzentriert, nicht ohne Widersprüche. Welch besonnene Energie steckt in ihm, gepaart mit Bescheidenheit, Stolz und Kraft! Wenn er dem hochnäsig-ungläubigen Ingenieur seinen Plan zeigt, ist er fast schüchtern, aber wißbegierig zugleich und selbstbewußt.

    Aus der Vielzahl der Darsteller sei noch genannt Martin Knapfel als Arbeiter Krüger, sehr treffend in der Charakterisierung eines Arbeiters, dessen Klassenverbundenheit ihn schließlich zum Handeln zwingt. Prägnante Charaktere geben auch Ivan Malré als Arbeiter Zemke, Gerd Fürstenau als Arbeiter Lerka und Günter Grabbert als Parteisekretär Schorn. Manfred Zetzsche sollte die Figur des Arbeiters Karras von vornherein um einiges widersprüchlicher anlegen, damit seine Aktion im letzten Bild, nämlich die Hilfe für Balke, glaubhafter wird.

    Das Publikum, am Premierentag nach einstündiger voraufgehender Feier etwas nervös und unkonzentriert, hatte anfangs sichtlich Mühe, der knappen Handlung zu folgen. Von der eigenen Phantasie hinzusetzen zu lassen, was der Autor nicht ausspricht, ist ohnehin ungewohnt und bereitet einige Schwierigkeiten. Die Zuspitzung des Konfliktes fand schließlich das ungeteilte Interesse, und die Zustimmung am Schluß war ehrlich und klar.

    SONNTAG, 6. April 1958

    „Marie Hedder"

    von Gerhard Fabian,

    Uraufführung am Theater Greifswald,

    Regie Horst Reinecke

    Dramatisches Neuland

    Man könnte einen Streit vom Zaune brechen über die Frage, ob es denn typisch sei, daß die Mutter zweier unehelicher Kinder nicht in eine LPG aufgenommen wird, weil sie im Dorf als Hure verschrien ist. Gewiß ist dies sozusagen ein Fall am Rande, nicht geeignet, die historischen Veränderungen auf dem Dorf in ihrer ganzen Breite zu spiegeln; aber er ist aus dem Leben gegriffen, und im Moment über seine Abseitigkeit zu diskutieren, hieße unserer Gegenwartsdramatik einen Bärendienst erweisen. Wir müssen fragen: Ist es dem Autor Gerhard Fabian gelungen, diesem Vorfall auf der Bühne dramatisches Leben einzuhauchen und ihn in solche gesellschaftlichen Zusammenhänge zu stellen, daß die Tendenz der Entwicklung auf dem Lande sichtbar wird?

    Die Geschichte spielt 1954 in einem Dorf der Deutschen Demokratischen Republik. Marie Hedders Mutter ist gestorben. Marie bleibt zurück mit zwei Kindern. Allein kann sie den Hof nicht bewirtschaften. Sie will in die LPG eintreten. Aber die Genossenschaftsbauern wollen sie nicht aufnehmen, da sie eine Hure sei und der Ruf der LPG nicht geschädigt werden dürfe. Der Autor läßt keinen Zweifel darüber, daß der Vorwurf der Bauern ungerechtfertigt ist. Doch Werner Mertens, Maries ehemaliger Verlobter, der sie mit den Kindern vorfand, als er nach Gefangenschaft und Aufenthalt in Westdeutschland ins Dorf zurückkehrte, glaubte den Gerüchten und trennte sich von ihr. Fritz Ligowski, Vater des einen Kindes, ansonsten verheiratet, hat Marie Hedder erpreßt, indem er ihr Maschinen und Saatgut lieh. Er ist ihr ärgster Gegner in der Genossenschaft, denn er will sein Handeln vertuschen und Marie in die Stadt abschieben. Krischan, ein alter Bauer, versucht vergebens, die Genossenschafter zur Aufnahme der Marie Hedder zu bewegen. Auch alle seine Appelle an Mertens, ihr zu helfen, sind vergebens. Endlich kommt Mertens dahinter, daß Ligowski der Marie zwar nachstellt, aber abgewiesen wird. Das macht ihn stutzig und schließlich beginnt er einzusehen, daß er ihr gegenüber unrecht gehandelt hat. In einer klärenden Aussprache kommen sich beide wieder näher. Nun verteidigt Mertens seine Marie und drängt auf einer Versammlung Ligowski in die Enge, so daß dieser Farbe bekennt,

    Die dramatische Gestaltung des Konfliktes hat eine wesentliche Qualität: Die Existenz der landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft wird bereits als selbstverständlich gezeigt und der Eintritt in die LPG als erstrebenswertes Ziel. Das Publikum ist daher mit Krischan empört darüber, daß die Bauern so stur sind, Marie den Eintritt zu verweigern. So wird das Ganze keine Lektion über die Vorzüge der LPG, sondern ein Schauspiel über Widersprüche in den gesellschaftlichen Beziehungen der Menschen, die sich aus den neuen gesellschaftlichen Verhältnissen ergeben.

    Gerhard Fabian ist begabt. Er schreibt mit viel Liebe zur Sache und mit gesunder Naivität, vielleicht ein wenig zu unbekümmert. Seine Dialoge bedürfen hier und da der straffenden, präzisierenden Bearbeitung, verraten jedoch Blick und Gefühl für dra-matische Steigerungen. Wenn man mit seinem Stück, das nach herkömmlichen drama-tischen Gesetzen gebaut ist, nicht vollauf zufrieden sein kann, dann deshalb, weil er den Konflikt nicht in seiner ganzen Widersprüchlichkeit erschöpft und vielfach über abstrakt Menschliches nicht hinauskommt. Das macht sich besonders bei der Charak-terisierung der Marie Hedder bemerkbar. Sie trägt mehr oder weniger passiv ihr Miß-geschick, rafft sich zwar zur Aussprache mit ihrem ehemaligen Verlobten auf, gibt sich im übrigen aber als die Geduldete. Warum schenkt der Autor dieser Figur nicht eine Portion trotzige, bewußte Aktivität? Das hätte nicht nur der Marie Hedder gedient, sondern dem Realismus des ganzen Stückes. Auf diese Weise hätte sich auch die Rolle der Partei im Dorf besser herausarbeiten lassen. Jetzt blieb sie zu sehr verschwommen.

    Überdies schlägt sich der Autor selbst ein Schnippchen, indem er einen Schriftsteller sich in die Angelegenheit Hedder— LPG einmischen läßt. Dieser junge Mann namens Blauberg will den Konflikt nämlich auf seine Flinke-Feder-Manier lösen und kommt damit zu spät. Er kommt so spät, daß er den Schluß des Stückes verpatzt: Gerade hat sich Ligowski entlarvt, da taucht Blauberg auf und stellt selbstkritisch fest, daß er nie einen guten Roman zustande bringen werde, wenn er wie hier immer zu spät komme. Aber, lieber Gerhard Fabian, das sollte doch wohl nicht bewiesen werden! Daß der Blauberg ein Federfuchser ist, haben wir schon vorher mitbekommen. Jetzt, am Schluß des Stückes, wollen wir uns unsere Genugtuung darüber, daß der Marie Hedder Recht werden wird, nicht zerreden lassen.

    Es gibt, meine ich, zwei Möglichkeiten, das Stück zu inszenieren. Das hängt davon ab, ob man das Verhalten der Bauern, so wie es sich in der Wirklichkeit zugetragen hat, ernst nimmt, oder ob man die Kritik ihres Verhaltens spielt. Die letztere Art der Darstellung scheint mir die realistischere; denn sie sucht die Widersprüchlichkeit der Figuren und gibt sich nicht mit dem vordergründigen Gefühl zufrieden. Horst Reinecke, der Gastregisseur für diese Uraufführung, wählte die erste Möglichkeit. Sie gestattet der Figur der Marie kaum mehr, als Mitleid zu erregen. Erni Wilhelm gibt eine schlichte, bescheidene und einfache junge Frau, die sich in dem neuen Leben auf dem Dorf nur zaghaft zurechtfindet. Damit zeichnet sie genau das Bild der Rolle, das der Autor entwirft. Die Regie hätte es bereichern können, indem sie in der Marie einen gesunden Trotz weckt, ein Aufbegehren gegen die Verbohrtheit der Bauern. Jetzt ge-winnt man den Eindruck, als sei die ganze Aufführung kurz in sentimentale Theatralik getunkt worden, so daß einige verlorene Tropfen hängengeblieben sind, die nun vor unseren Augen vertrocknen. Diesen Eindruck vermögen auch Werner Godemann als Werner Mertens, Alwin Brosch als Krischan und Heinz-Karl Konrad als Fritz Ligowski nicht zu mindern, die ihre Figuren treffend zu charakterisieren wissen.

    Dem Theater in der Universitätsstadt Greifswald gebührt Dank für die Uraufführung dieses Stückes, das mutig in dramatisches Neuland vorstößt. Wir hoffen, unsere kritischen Betrachtungen über das Werk bald an Hand weiterer Aufführungen ergänzen zu können.

    Neues Deutschland, 11. April 1958

    „Das Tagebuch der Anne Frank"

    von Frances Goodrich und Albert Hackett,

    Deutsches Theater Berlin,

    Regie Emil Stöhr

    Warum sind die Menschen so töricht?

    Schweigend erhoben wir uns. Das Schicksal des jüdischen Mädchens Anne Frank, aufgezeichnet von Anne in ihrem Tagebuch, für die Bühne bearbeitet von Frances Goodrich und Albert Hackett, erschütterte auch die Zuschauer in den Kammerspielen des Deutschen Theaters. Viele Tausende vor ihnen — in Deutschland und in anderen Ländern — verließen die Theater ebenso ergriffen und wachgerüt-telt wie sie. Wachgerüttelt? Droht neue, ähnliche Gefahr?

    Am Mittwoch, dem 3. Mai 1944, schrieb die vierzehnjährige Anne: „Warum, wofür ist überhaupt Krieg? Warum können die Menschen nicht in Frieden leben? Warum alle die Verwüstungen? Diese Fragen sind verständlich, aber eine erschöpfende Antwort hat bisher noch niemand gefunden. Ja, warum werden in England stets größere Flugzeuge, noch schwerere Bomben konstruiert und zur selben Zeit Reihenhäuser für den Wiederaufbau? Warum werden täglich Millionen für den Krieg verwendet, aber für die Heilkunde, die Künstler und auch für die Armen ist kein Pfennig verfügbar? Warum sind die Menschen so töricht?"

    Seit diese Zeilen geschrieben wurden, ist mehr als ein Jahrzehnt vergangen. Und in der Prinzengracht in Amsterdam, wo Anne Frank in ihrem Versteck mit dem geliebten Tagebuch Zwiesprache hielt und verzweifelt Antwort suchte auf die Fragen ihres frühreifen Herzens, dort in der Prinzengracht ist wieder das friedliche, normale Leben eingezogen. Also ist alles schon wieder Historie, würdig lediglich gedenkender Trauer? Nein! Der Tod Anne Franks und ihrer Angehörigen ist kein Einzelschicksal, das wir — zufrieden im Theatersessel sitzend — teilnahmsvoll entgegennehmen und dann vergessen wie eine beliebige Bühnentragödie. Hier sind wir aufgerufen! Und unser ergriffenes Schweigen sei Bekenntnis zur Tat. Vergessen wir nie:

    Ende des Jahres 1939 lebten in Europa 9,5 Millionen Juden, bis 1945 wurden 6 Millionen von ihnen ermordet. Am 9. November 1954 wurde im Bayrischen Rundfunk folgender Kommentar gesprochen: „. . . die wegen Beihilfe zum Totschlag in Bergen-Belsen verurteilte Hertha Ehlert bekommt vom Bund Heimkehrerentschädi-gung. Ein deutsches Gericht lehnte die Rente eines rassisch Verfolgten mit der Be-gründung ab, die fettarme Kost im KZ sei seiner Gesundheit förderlich gewesen ... Wo entschied dieses deutsche Gericht? In dem Staat, in dem 1958 — rund 14 Jahre nach jenem verzweifelten Ruf aus einsamem Versteck — ein Herr Adenauer erklärt, Westdeutschland sei das wichtigste Kriegspotential der USA, und in dem sich ein Herr Strauß ungestraft ein „Rüstungsdreieck Bonn-Rom-Paris zur Herstellung kom-mender Waffen wünschen kann.

    „Warum sind die Menschen so töricht? fragte damals Anne Frank. Und was fragen wir? Packt uns nicht kalter Haß gegen jene Unmenschen, die von Atomwaffen wie von Kinderspielzeug reden, die nach Atomraketen schreien, weil es in Europa „zahlreiche ungelöste territoriale Probleme gäbe? Anne Frank ist tot. Mit ihr viele Millionen unschuldige Opfer jener, die heute in Westdeutschland offen erklären, noch immer nicht genug zu haben. Doch wir versprechen dir, Anne, unschuldiges, lebenshungriges, wissensdurstiges Menschenkind: Du sollst nicht umsonst gemordet sein! —

    Es drängte den Rezensenten, diese Gedanken hier auszusprechen. Die szenische Bearbeitung des Tagebuches durch die beiden amerikanischen Autoren fordert geradezu dazu heraus; denn in ihrer Tragödie von den eingeschlossenen jüdischen Menschen haben sie vor allem den tragischen Untergang des Mädels Anne Frank sichtbar gemacht. Vom ersten kindlich-naiven und ungestümen Besitzergreifen des Versteckes durch Anne, von der Ausgelassenheit gegenüber Peter, vom Trotz gegenüber der Mutter geht ihr Weg bis zu bohrenden Fragen nach dem Sinn des Daseins und schließlich zur gar nicht mehr naiven, sondern zur bewußten Kritik an den Erwachsenen: Ihr habt versäumt, mein junges Leben zu schützen! Blitzschnell wird einem hier die brennende Aktualität bewußt.

    Es handelt sich um eines der bewegendsten Nachkriegsstücke des kritischen Realismus. Durch die Figur der Anne gibt es die unmißverständliche Kritik, ohne daß es eine Lösung andeuten könnte. Die Tragik ist, daß die Lösung, nämlich die Verhinderung des Faschismus, lange Zeit vorher liegen müßte.

    Gespielt werden muß also die kritische Anklage. Die Gestapo, die nicht auftritt, muß als Gegenspieler immer gegenwärtig sein, sie muß als unheilvolle Drohung jede Handlung der Eingeschlossenen mitbestimmen. Sie alle, Otto Frank, seine Frau, die beiden Daans und auch Dussel, haben sich in ihr Schicksal ergeben. Nur ein Schrei gellt auf wie das Wüten eines jungen, verwundeten Tieres — der Annes. Sie allein begreift die Tragik: Ihre Flucht aus dem Leben hätte nicht sein müssen, hätten die Menschen den Faschismus nicht zugelassen.

    Regisseur Emil Stöhr versucht, die Entwicklung Annes bis zu diesem Höhepunkt zu führen, welcher zugleich der des Stückes ist. Aber die zweifellos begabte Kati Székely konnte ihm begreiflicherweise nicht folgen. Das frühreife Mädchen Anne Frank, ihr Maß an Klugheit, Nachdenklichkeit, Empfindungstiefe, ihre kühle und nüchterne Beobachtungsgabe und schließlich ihre schaurige Entschlossenheit, vermag eine Debütantin schwerlich in all ihren Widersprüchen zu geben. Kati Szé-kely spielt vor allem die liebreizende, naiv-dreiste, manchmal aufdringlich ungezo-gene Anne, sie ist aggressiv und schüchtern in ihrer zarten Liebe zu Peter. Doch wenn sie den Erwachsenen ihren aus gequältem Herzen quellenden Notschrei ent-gegen zu schleudern hätte, benimmt sie sich kaum anders als vorher, da sie über-mütig gegen Mutter oder Peter rebelliert. Sie spielt den privaten Trotz, und es sollte gerade hier die erbitterte, bewußte Anklage des jüdischen Menschen schlechthin sein.

    Diese letzte, nur großen Theaterabenden eigene menschliche, zugleich gesellschaftliche Widersprüche aufreißende Tiefe war der Aufführung in den Kammerspielen versagt, die im übrigen mit Wolfgang Heinz als Otto Frank, Ursula Burg als Edith Frank, Loni Michelis als Frau van Daan, Werner Pledath als Herr van Daan und Friedrich Richter als Dussel ausgezeichnet besetzt war.

    SONNTAG, Februar 1958

    „Mann ist Mann"

    von Bertolt Brecht,

    Volkstheater Rostock,

    Regie Benno Besson

    Niemand tut diese Inszenierung weh?

    Bertolt Brechts „Mann ist Mann wurde im September 1926 in Darmstadt uraufgeführt. Der bürgerliche Kritiker Bernhard Diebold sah in der Formel „Mann ist Mann eine bolschewistische Losung. Der Mann fühlte sich also getroffen. Doch Brecht selbst scheint damit noch nicht zufrieden gewesen zu sein; denn unter dem Datum vom Oktober 1926 berichtete Elisabeth Hauptmann über den Dichter: „Nach der Aufführung von ,Mann ist Mann' beschafft sich Brecht Arbeiten über den Sozialismus und Marxismus und läßt sich aufschreiben, welche Grundwerke er davon zuerst studieren soll. Aus dem Urlaub schreibt er in einem Brief kurze Zeit später: „Ich stecke acht Schuh tief im ‚Kapital'. Ich muß das jetzt genau wissen ..." Dieses Bedürfnis Brechts trifft zusammen mit den wiederauflebenden revolutionären Kämpfen der deutschen Arbeiterklasse in den Jahren 1927/28.

    Was ging dem voraus? Nach dem ersten Weltkrieg und nach der Inflation war es 1925 vorübergehend zur Stabilisierung des deutschen Kapitalismus gekommen. Die revolutionäre Bewegung der Nachkriegsjahre ebbte zeitweilig ab. In den Betrieben hatte die Einführung des Fließbandverfahrens verstärkte Antreibereien zur Folge. Der Arbeiter am Band wurde zum Objekt, das beliebig ausgewechselt werden konnte: Mann wurde Mann. Die Bourgeoisie triumphierte.

    Diese gesellschaftliche Entwicklung sah der junge Brecht nicht vom Standpunkt der Arbeiterklasse, von wo aus er besonders den schweren Kampf der in einigen deutschen Ländern zur Illegalität gegezwungenen KPD hätte verfolgen können, sondern vom Standpunkt des linken bürgerlichen Intellektuellen, der die Mißstände des Kapitalismus zwar entlarvte, aber nicht die Kräfte sah, die befähigt waren, die Zustände von Grund auf zu verändern. Im Gegenteil! Sein Zweifel an der Kraft des Proletariats — genährt durch die vorübergehende Ebbe in den Klassenkämpfen — fand beredten Ausdruck in der Figur eines Packers, der zum entfesselten Kleinbürger faschistischer Prägung und zum Verräter an seiner Klasse absinkt!

    Brecht erfand die Parabel vom Packer Galy Gay, der einen Fisch kaufen wollte, aber von Kolonialsoldaten zum vierten Mann einer Maschinengewehrabteilung ummontiert wird, weil er nicht „nein sagen kann. Die Formel „Mann ist Mann ist nur der vordergründige Aufhänger für Brechts Absicht zu beweisen, daß der Kapitalismus mit einem Menschen beliebig viel macht, wenn er nicht „nein" sagt.

    Natürlich genügt das „Nein sagen nicht. Brecht schrieb dazu später selbst: „Die heutige Welt ist den heutigen Menschen nur beschreibbar, wenn sie als eine veränderliche Welt beschrieben wird. Wer aber verändern will, muß auch die Ursachen aufdecken, um Erscheinungen richtig deuten zu können. Nun hat aber nicht das Absinken einzelner Arbeiter zu Kleinbürgern oder die Verwandlung der kleinbürgerlichen Massen in wildgewordene Spießer den Faschismus verursacht, sondern das Monopolkapital, das mit den normalen Mitteln der bürgerlichen Demokratie nicht mehr regieren konnte. Deshalb appellierte es an die niedersten Instinkte im Menschen und machte große Teile des Volkes für den Krieg reif. Die Ursachen für das Verhalten des Packers Galy Gay hat Brecht nicht gezeigt.

    Nachdem 1933 der Faschismus in Deutschland jede demokratische Freiheit erstickt hatte, schrieb Brecht 1936: „Die Parabel ,Mann ist Mann' kann ohne große Mühe konkretisiert werden. Die Verwandlung des Kleinbürgers Galy Gay in eine ,menschliche Kampfmaschine' kann statt in Indien in Deutschland spielen. Die Sammlung der Armee zu Kilkoa kann in den Parteitag der NSDAP zu Nürnberg verwandelt werden. Die Stelle des Elefanten Billy Humph kann ein gestohlenes, nunmehr der SA gehörendes Privatauto einnehmen. Der Einbruch kann statt in den Tempel des Herrn Wang in den Laden eines jüdischen Trödlers erfolgen. Das zeigt, wie sehr Brecht „Mann ist Mann als ein Stück des Kampfes gegen den Faschismus gesehen haben wollte.

    Was also liegt näher, als daß man diese Parabel, spielt man sie 1959, in die Kolonie Westdeutschland „verlegt? Weder die bewußten westdeutschen noch die Arbeiter der DDR würden sich getroffen fühlen, im Gegenteil, ihr Blick würde geschärft für die verderbliche Rolle der rechten SPD-Führung, die fleißig Adenauer hilft, die westdeutschen Arbeiter zu Kolonial-Söldnern „umzumontieren. Aber vor einer solchen erregenden, parteilichen Inszenierung scheute Benno Besson in Rostock zurück. Er bemühte sich nicht einmal, dem Stück insofern gerecht zu werden, daß die Aussage Brechts vermittelt und die bestürzende Parallele zu Westdeutschland deutlich wird. Die Rostocker Inszenierung tut niemand weh. Die gesamte bürgerliche Kritik würde sie mit Lob überschütten und sich an der brillanten Form berauschen; aber Besson spielt leider nicht Brecht.

    Brechts Stück „Mann ist Mann ist eine Satire auf einige Folgeerscheinungen der bankrotten bürgerlichen Demokratie, es ist aber auf keinen Fall ein belangloser Zirkus. Das aber kam in Rostock heraus; und das Premierenpublikum war mit Recht verstimmt. Wir schätzen Benno Besson als einen verdienstvollen Regisseur des Berliner Ensembles. Umso mehr müssen wir ihm eine Warnung Brechts ins Gedächtnis rufen, die auf die Rostocker Inszenierung gemünzt sein könnte. Brecht schrieb 1955 in „Einige Irrtümer über die Spielweise des Berliner Ensembles: „Die Form einer Aufführung kann nur gut sein, wenn sie die Form ihres Inhalts ist, nur schlecht, wenn sie es nicht ist. Sonst kann doch überhaupt nichts bewiesen werden."

    Benno Besson beginnt mit einer Fehlbesetzung. Heinz Schubert vom Berliner Ensemble ist ein gestisch vorzüglicher, am Brecht-Stil gewachsener Darsteller. Aber Galy Gay ist er nicht. Wenn ihn seine Frau einen Elefanten heißt, wird's komisch; wenn er ein Gewicht stemmt, wird's wieder komisch; denn er muß sich wirklich anstrengen. Damit ist äußere, formale, falsche Komik dort gesetzt, wo Brecht den Widerspruch aufdecken will, daß in einem so kräftigen, großen Mann eine solche grenzenlose, die eigene Kraft verkennende Ahnungslosigkeit steckt, daß dieser Mann nicht „nein sagen kann, obwohl schon ein Funken Widerstand den Kolonialsöldnern Angst einjagen würde. Dadurch wird auch das Umschlagen des Galy Gay zum „Schlächter verharmlost und die historisch bewiesene Gefährlichkeit dieser Entwicklung travestiert, also Brechts satirisches Lustspiel seines Kerns beraubt.

    Bei Besson folgt ein weiterer Fehler. Anstatt daß die Söldner Uria, Jesse und Polly alle Kraft aufwenden müssen, um diesen Elefanten Gay einfangen zu können, anstatt daß sie also von der Regie klein und dürftig, aber gerade darum gefährlich und brutal gezeigt werden, wobei mit den Mitteln der Verfremdung auch das Wesen der Kolonialarmeen der Gegenwart hätte gezeigt werden können, erhebt sie Besson, setzt er sie auf Stelzen, und macht sie zu Clowns, denen das Ummontieren ein smarter Jux ist; (Gewiß, auch Brecht stellte sie 1931 auf Stelzen, aber nicht, um sie als Clowns zu zeigen, sondern als Ungeheuer. Das war richtig; denn damals drohte schon unmittelbar das Ungeheuer Faschismus.) Bei Besson drehen die Soldaten einfach ein Ding, bei Brecht pfeifen sie auf dem letzten Loch: Wenn es ihnen nicht gelingt, ihre Kampfkraft mit dem Hünen Gay aufzufrischen, ist es schlecht um sie bestellt (was ebenfalls durch die Geschichte längst bewiesen ist).

    In Rostock wird das alles auf den Kopf gestellt. Kein Wunder, daß der so wichtige, den Zuschauer orientierende Zwischenspruch gestrichen wurde. Das Publikum weiß am Ende nur, daß auf der Bühne allerlei absurde Späße getrieben wurden. Mithin handelt es sich weniger um eine realistische Inszenierung, sondern eher um eine Verballhornung des Stückes.

    Neues Deutschland, 22. Februar 1959

    „Wallenstein-Trilogie"

    von Friedrich Schiller,

    Deutsches Theater Berlin,

    Regie Karl Paryla

    Heller Auftakt zum Schiller-Jahr

    Karl Paryla stellte seine Inszenierung mitten in die Problematik unserer Tage: Deutschland ist geteilt. Reaktionäre, antinationale Cliquen haben unsere Heimat gespalten und verdienen daran. Das wahre, bessere Deutschland kämpft unter Führung der Arbeiterklasse für die Einheit der Nation. Von dieser Gegebenheit ging der Regisseur an die Bewältigung des Schillerschen Werkes heran und machte sichtbar, daß scheitern wird, wer gegen oder ohne das Volk handelt.

    „Albrecht Wallenstein verfolgte in Deutschland dasselbe Ziel, das Richelieu in Frankreich gleichzeitig verfolgte: die Herstellung einer rein weltlichen Monarchie, die sich frei von allen konfessionellen Gegensätzen über die hadernden Fürsten erheben, die Klassengegen-sätze im Innern mildern und die gesamte Kraft der Nation nach außen kehren sollte." (Franz Mehring). Aber Wallenstein fand — zum Teil aus eigenem Unvermögen — nicht die Kräfte, auf die er sich bei der Verwirklichung seines Planes hätte stützen können. Sowohl prote-stantische und katholische Fürsten als auch

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