Und waren voll Trauer und Sehnsucht: Anmerkungen über die dunkle Seite der Liebe
Von Sebastian Kreuz
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Über dieses E-Book
Der Autor verzichtet darauf, sattsam Bekanntes aus Philosophie, Theologie, Psychologie oder empirischer Sozialforschung zusammenzutragen, sondern entwickelt eine eigene Theorie über das neben dem Tod größte Mysterium der menschlichen Existenz: die Liebe zwischen zwei Menschen.
Dabei meint er das Wesen der Liebe vor allem in ihren dunklen Seite erkennen zu können: Liebe, die scheitert; Liebe, die krank macht; Liebe, die dem Tod nahekommt.
Der Titel "Und waren voll Trauer und Sehnsucht" ist dem Märchen "Die Nixe im Teich" der Gebrüder Grimm entnommen. Dieser tragischen Geschichte zweier Liebender und ihres verzweifelten Bemühens um Rettung widmet sich das dritte Kapitel des Buches.
Dem Leser wird die Bezugnahme auf biblische, mythologische und literarische Quellen leicht gemacht: Zu Kapitelbeginn werden die jeweils wichtigen Textauszüge vorangestellt. Wenn theologische oder philosophische Vorkenntnisse vonnöten sind, werden sie in anschaulicher und verständlicher Weise vermittelt.
Immer geht es um das Universelle, den unveränderlichen Kern der Liebe, was der Autor auch in der Übertragung auf die Gegenwart und die Gültigkeit für die Jetztzeit nachweist. Manche Fragen unserer Zeit erscheinen so in einem neuen Lichte. Kann es wahre Liebe zwischen einem alten Mann und einer jungen Frau geben? Warum werden Hochzeiten als Event gefeiert? Warum fühlt sich Liebeskummer wie eine Krankheit an?
Ein Ratgeber zur gelingenden Liebe ist das Buch nur bedingt, aber zu einem tieferen Verständnis vor allem der scheiternden Liebe will es einen wichtigen Beitrag leisten. Die Lektüre empfiehlt sich deshalb für jene, die schon schmerzliche Erfahrungen diesbezüglich gemacht haben. Auch Frauen, die neugierig sind, wie ein Mann die Liebe sieht, zumal einer, der an das ewig Weibliche im Unterschied zu den vergänglichen Männern glaubt, werden an der Lektüre Gefallen finden.
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Buchvorschau
Und waren voll Trauer und Sehnsucht - Sebastian Kreuz
Vorwort
Der Verlust eines Beines mag im allgemeinen für ein ernstlicheres Unglück angesehen werden als der Verlust einer Geliebten.
Dennoch wäre eine Tragödie, deren Katastrophe auf den Verlust eines Beines hinausliefe, durchaus lächerlich.
Das Unglück, das im Verluste der Geliebten liegt, hat dagegen, so gering es auch an und für sich erscheinen mag, zu mancher schönen Tragödie Anlass gegeben.
Adam Smith
Warum lieben Menschen?
Eine Antwort auf diese Frage kann nicht gegeben werden, da Liebe sich nicht mit dem Instrumentarium einer Wissenschaft, die nach Gründen forscht, begreifen lässt.
Liebe ist selbst ein Erster Grund, dem keine Ursache mehr vorgelagert ist und deshalb ein Fall für die Philosophie. Das ist zumindest die Auffassung der Schrift, die Sie gerade in Händen halten.
Liebe zwischen zwei Menschen unterschiedlichen oder gleichen Geschlechts ereignet sich grundlos, bedingungslos, ursachenlos. Sie kennt in ihrer Entstehung keine Notwendigkeit, keinen Nutzen, keinen Sinn und keinen Zweck. Noch deutlicher wird das, wenn sie von uns Besitz ergreift, ohne dass Aussicht auf Erfüllung bestünde, und sie ganz und gar den Hauptbestrebungen unseres Daseins zuwiderläuft, wie eine infektiöse Erkrankung angeflogen kommt und primär als Schmerz empfunden wird. Dennoch ist sie vorhanden und wirkt als dunkle Macht in uns . Auf die Liebe Hoffende oder (vorübergehend) glücklich Liebende verkennen das zuweilen und dichten ihr allerlei Phantastisches und Romantisches an, verknüpfen und verwechseln sie mit Empfindungen und Bestrebungen, die ihren Ursprung jenseits der Liebe haben.
Die Unfähigkeit der Gegenwart, das Wesen der Liebe zu begreifen, hängt wesentlich mit der radikalen Nutzenorientierung unserer Zeit zusammen. Alles muss irgendeinem Zweck gehorchen, wird gemessen, gewogen und beurteilt hinsichtlich des Nutzens, den es den Menschen als Individuen oder als Gesellschaft liefert. Was bringt es? Was kommt dabei heraus? Welchen Platz nimmt es in der Evolution ein? Welchen Anteil hat das Gehirn?
Damit kann Liebe nicht dienen. Sie ist kein Auswurf der Sexualität, kein Trick der Natur, kein neurologisches Phänomen und auch keine Verheißung auf außerirdisches, jenseitiges Glück. Sie kommt aus dem Nichts, taugt zu rein gar Nichts, verschwindet im Nichts.
Soziale Beziehungen, zu denen auch sexuelle Umgangsformen und Ehekonstellationen zählen, unterliegen dem historischen Wandel; der Kern der Liebe zwischen zwei Menschen aber scheint festgefügt und unwandelbar, so dass die großen Liebesgeschichten aus Mythologie, Dichtung und Film mehr verraten als sozialempirische Befunde der Gegenwart.
Als kosmischer Grundton und gestaltloser Hauch einer Hinterwelt kann Liebe nur ins Leben treten, wenn Haftungsvoraussetzungen vorhanden sind, die dem Allgemeinen seine konkrete Erscheinung verleihen. Es sind die Eintrittsbedingungen, die Verfassung der Individuen beim Erwachen der Liebe, die ihr ein dauerhaftes Gepräge geben, darin dem Eingangsmotiv einer Sinfonie ähnlich, das zu Beginn erklingt und allem was folgt seine Signatur verleiht. Familiäre Bindungen, Freundschaft, Partnerschaft verändern sich im Gang der Zeit, lösen sich oft notwendig aus den Entstehungsbedingungen ab. Liebe aber hat nur Bestand, solange das Eröffnungsmotiv nicht verstummt, was Liebenden im fortgeschrittenen Alter eine gewisse Jugendlichkeit verleiht, stammt doch die Grundmelodie ihrer Vereinigungssehnsucht aus einer längst vergangenen Zeit, in der sie noch jung waren. Beim Verlust des Urmotivs verschwindet die Liebe aus der Beziehung zweier Menschen. Übrig bleiben zwei, die „fassungslos geworden und verloren in den Kaffeetassen rühren, wie es Erich Kästner traurig-nüchtern im Gedicht über die „Sachliche Romanze
beschreibt.
Beliebtheit, Kontaktfähigkeit, Glücksempfinden, Gesundheit, Zufriedenheit, Karriere, Bildung, Kindererziehung – für alles gibt es Programme, Konzepte, zu erwerbende Kompetenzen, die ein Maximum an Gelingen verheißen.
Erfolgsstreber, Kalorienzähler, Karriereplaner, Kompetenzförderer, Glücks- und Nutzenmaximierer mögen die Vorstellung von etwas Unbeherrschbarem nicht. Albträume, Angst, Krankheit, Verzweiflung, Depression und Begegnung mit dem Tode erinnern uns daran, dass die Planbarkeit Grenzen hat.
Liebe zeigt jedem, der von ihr befallen und verlassen wird – ob im kurzen Glückstaumel, im tiefsten Leid oder im schmerzlosen Verklingen -, dass es eine Macht außerhalb des Gestaltens, Wollens, Strebens und Machens gibt, die ungefragt die Seele besetzt, beherrscht und wieder aufgibt, ob es passt oder nicht.
1. Kapitel: Die Erfindung der Liebe im Paradies
Der Mensch im Paradies, Genesis 2,4 – 2, 25
4 Als Gott, der HERR, Erde und Himmel machte,
5 gab es zunächst noch kein Gras und keinen Busch in der Steppe; denn Gott hatte es noch nicht regnen lassen. Es war auch noch niemand da, der das Land bearbeiten konnte.
6 Nur aus der Erde stieg Wasser auf und tränkte den Boden.
7 Da nahm Gott, der HERR, Staub von der Erde, formte daraus den Menschen und blies ihm den Lebensatem in die Nase. So wurde der Mensch ein lebendes Wesen.
8-9 Dann legte Gott im Osten, in der Landschaft Eden, einen Garten an. Er ließ aus der Erde alle Arten von Bäumen wachsen. Es waren prächtige Bäume und ihre Früchte schmeckten gut. Dorthin brachte Gott den Menschen, den er gemacht hatte.
In der Mitte des Gartens wuchsen zwei besondere Bäume: der Baum des Lebens, dessen Früchte Unsterblichkeit schenken, und der Baum der Erkenntnis, dessen Früchte das Wissen verleihen, was für den Menschen gut und was für ihn schlecht ist.
10 In Eden entspringt ein Strom. Er bewässert den Garten und teilt sich dann in vier Ströme.
11 Der erste heißt Pischon; er fließt rund um das Land Hawila, wo es Gold gibt.
12 Das Gold dieses Landes ist ganz rein, außerdem gibt es dort kostbares Harz und den Edelstein Karneol.
13 Der zweite Strom heißt Gihon; er fließt rund um das Land Kusch.
14 Der dritte Strom, der Tigris, fließt östlich von Assur. Der vierte Strom ist der Eufrat.
15 Gott, der HERR, brachte also den Menschen in den Garten Eden. Er übertrug ihm die Aufgabe, den Garten zu pflegen und zu schützen.
16 Weiter sagte er zu ihm: »Du darfst von allen Bäumen des Gartens essen,
17 nur nicht vom Baum der Erkenntnis. Sonst musst du sterben.«
Die Erschaffung der Frau
18 Gott, der HERR, dachte: »Es ist nicht gut, dass der Mensch so allein ist. Ich will ein Wesen schaffen, das ihm hilft und das zu ihm passt.«
19 So formte Gott aus Erde die Tiere des Feldes und die Vögel. Dann brachte er sie zu dem Menschen, um zu sehen, wie er jedes Einzelne nennen würde; denn so sollten sie heißen.
20 Der Mensch gab dem Vieh, den wilden Tieren und den Vögeln ihre Namen, doch unter allen Tieren fand sich keins, das ihm helfen konnte und zu ihm passte.
21 Da versetzte Gott, der HERR, den Menschen in einen tiefen Schlaf, nahm eine seiner Rippen heraus und füllte die Stelle mit Fleisch.
22 Aus der Rippe machte er eine Frau und brachte sie zu dem Menschen.
23 Der freute sich und rief:
»Endlich! Sie ist's!
Eine wie ich!
Sie gehört zu mir,
denn von mir ist sie genommen.«
24 Deshalb verlässt ein Mann Vater und Mutter, um mit seiner Frau zu leben. Die zwei sind dann eins, mit Leib und Seele.
25 Die beiden waren nackt, aber sie schämten sich nicht voreinander.
(zit. n. Gute Nachricht Bibel)
Wahre Geschichten
Über Ehe und Familie gibt es keine wahren Geschichten. Es gibt taugliche und weniger taugliche, zeitgemäße und weniger zeitgemäße Anschauungen darüber, aber keine, die universelle Gültigkeit beanspruchen könnte. Das hängt damit zusammen, dass Ehe und Familie - aus der Gesellschaft stammend - dem historischen Wandel unterliegen. „Ein weltlich Ding" eben, wie Luther lapidar vermerkt. Jede Generation bestimmt neu, was darunter zu verstehen sei. In der pluralisierten Gegenwart wird diese Herkules-Aufgabe sogar jedem Individuum, jedem Paar einzeln aufgebürdet – mit dem Resultat, dass immer mehr scheitern.
Geschichten über die Liebe dagegen schöpfen ihre Wahrhaftigkeit aus der Unwandelbarkeit und Unvergänglichkeit ihrer Substanz. Ob Liebe als die edelste aller menschlichen Empfindungen gelten kann, mag dahingestellt sein. Zweifellos ist sie aber die Leidenschaft, die am wenigsten sozialen Veränderungen unterworfen ist und am ehesten Anspruch auf Ewigkeit im Sinne von Wesenhaftigkeit beanspruchen kann. Was nicht bedeutet, dass die Liebe zwischen zwei Menschen unvergänglich sei. Ganz im Gegenteil, oft währt sie kürzer als die Ehe oder der familiäre Zusammenhalt, doch erweist sich ihr Wesenskern in einer wundersamen Weise als zeitlos, so dass man zur Frage nach der Liebe einen 2000 Jahre alten Mythos genauso heranziehen kann wie den Traum der letzten Nacht. Vielleicht ist die Liebe von allen großen Ideen und Wesenheiten, die Theologie oder Philosophie proklamieren, die einzige, deren beständiger Kern nicht nur postuliert wird, sondern durchgängig nachweisbar ist – nicht in der Sozialgeschichte der Menschheit, aber in den überlieferten und täglich neu entstehenden Geschichten, in unser aller Empfinden.
Die Unteilbarkeit der Liebe
Im Glück ist die Liebe eine Angelegenheit zweier Menschen, im unglücklichen Falle nur die einer Person, deren Gefühl unerwidert bleibt. Wir können als Gruppe gemeinsam Freude und Leid empfinden, mit anderen emotional übereinstimmen. Sogar Sex ist in der Gruppe möglich. Liebe jedoch ist unteilbar. Zwei Liebenden ist es nicht möglich, eine dritte oder vierte Person an ihren Gefühlen teilhaben zu lassen, sie sind dabei auf sich gestellt und sondern sich im Falle starker Gefühle sogar ab. Ja, der Verdacht liegt nahe, dass zwei innigst Liebende in ihrem Empfinden letztlich getrennt bleiben. Nur in wenigen außergewöhnlichen Momenten gelingt die Vereinigung, das Vergessen von Ich und Du, die Verschmelzung. Oft nagt der Zweifel. Werde ich in gleicher Weise geliebt wie ich liebe? Für kein anderes Gefühl sucht der Mensch so angestrengt nach Beweisen im Tun und Lassen der Person, deren Liebe man ersehnt. Auch sich selbst prüft der Mensch: Ist es wirklich Liebe, was ich empfinde?
Im Liebesleid wird ein Verlassener, Verletzter zum denkbar einsamsten Menschen der ganzen Welt. Eine Synchronisation mit den Gefühlen anderer ist unmöglich. Somit trifft die Unteilbarkeit der Liebe das Erste und Letzte dessen, was über sie überhaupt ausgesagt werden kann.
Bei vielem, was unser Leben bestimmt, wird dessen Bedeutung erst offenbar, wenn es schwindet, verloren geht oder mutwillig zerstört wird. Den schuldhaften Bruch der Freundschaft nennen wir Verrat, die schuldhafte Verletzung der Liebe Betrug. Im ersten Falle wird ein Konsens, eine (vielleicht unausgesprochene) Vereinbarung gebrochen, im zweiten ein Heiligtum zertrümmert. Freundschaft beruht auf wechselseitigem Verstehen und einem Mindestmaß an Übereinstimmung, Liebe in ihrer prinzipiellen Unteilbarkeit bedarf keines Konsenses, keiner Gleichheit, keines Gleichklangs. Nicht die Sehnsucht nach Verständigung und Übereinkunft, sondern die nach Vereinigung treibt sie an. Das macht sie brüchiger als Freundschaft. Von Liebe allein kann deshalb eine dauerhafte Beziehung zwischen zwei Menschen nicht gespeist werden.
Wie mächtig Liebe tatsächlich ist, spürt ein Mensch zuerst im Augenblick ihres Entstehens und dann wieder im Vergehen, so wie die Sonne unsere größte Aufmerksamkeit dann erweckt, wenn sie auf- oder untergeht. Niemand käme auf die Idee, sie zu beobachten und sich an ihrer Schönheit zu erfreuen, wenn sie mitten am Tag ihren Dienst als Wärmequelle und Lichtgeber tut. Wir nehmen dankbar an, dass sie die uns umgebenden Dinge und uns selbst erkennen lässt, oder genießen nach dunklen Tagen ihre Wärme – am besten mit geschlossenen Augen. In ihrem „An-sich-Sein" aber beschäftigt sie uns vorrangig in den Momenten ihres Erscheinens und Verschwindens. Hier liegt die Faszination für den Sonnenauf- und Untergang verborgen, nur hier wird die Sonne als Sonne gesehen - und nicht hinsichtlich der Zwecke, die sie erfüllt.
Mit der Liebe verhält es sich nicht anders. Während sie vorhanden und tätig ist, haben wir wenig Veranlassung, sie zu ergründen. Sie gibt – darin der Sonne gleich – dem Leben die notwendige Wärme und das rechte Licht zum Blick auf die Dinge, die sind. Als Liebe nehmen wir sie in ihrem Herrschaftsanspruch über die Seele erst bewusst wahr, wenn sie uns ereilt, entschwindet oder wir sie zerstören.
Wenn Liebe zu Ende geht, ist die Notwendigkeit, darüber zu reflektieren, größer als im Moment des Entstehens, wo sie mit Wucht die Sinne vereinnahmt und den Verstand lähmt. Erst wenn das Objekt der Liebe, der (einst) geliebte Mensch, entschwindet, haben wir Veranlassung und Verstandeskraft gleichermaßen, ernsthaft nachzudenken und dem großen Schmerz in geistiger Gegenwehr zu trotzen. Deshalb thematisieren die Geschichten, die der Einleitung folgen werden, in der Hauptsache das Ende der Liebe.
Platon setzt im Höhlengleichnis die Sonne mit der Idee des Guten gleich. Zur (Idee der) Liebe passt die Sonnensymbolik fast noch besser.
Die Sonne der Liebe
Wenn die Liebe im philosophischen Sinne eine Idee ist, bedeutet das, dass ihr Ursprung außerhalb der sichtbaren und empirisch fassbaren Welt liegt und sie in das Leben der Menschen „strahlt - darin der Sonne gleich. Und auch wenn diese unsichtbar bleibt, Licht und Wärme aktuell nicht spendet, ist ihre Wirkung vorhanden und stützt unser Planetensystem auch im Status der nächtlichen Abwesenheit vom Zentrum her. Dazu passt die Symbolik des Mondes, in der Vorstellung vieler Kulturen der weiblichste aller Planeten, dem die deutsche Sprache unsinnigerweise einen männlichen Artikel zugeschrieben hat. Von der Existenz der Sonne erfahren wir des Nachts durch Luna, die ihr Licht reflektiert. Auf Erden spiegelt sich die Liebe in einem höheren Maße in Frauen, ihren Gesichtern und ihrem Gebaren wider als in den diesbezüglich eher „unterbelichteten Männern
. Die „Frau in der Mitte, so nennt das Johannes-Evangelium die Hauptfigur, in deren tragischer Geschichte unsere Suche nach dem Wesen der Liebe ihren Anfang nehmen wird. Auch in den weiteren Liebesgeschichten spielen Frauen als „Träger
und Gesicht der Liebe die Hauptrolle.
Wir sind heute – ebenso wie die griechische Antike – der Auffassung, dass es wahre Liebe auch zwischen Mann und Mann sowie zwischen Frau und Frau geben kann. Dem möchte ich nicht widersprechen. Beim gegenwärtigen Erfahrungs- und Entwicklungsstand der westlichen Zivilisationen erscheint es fast zwangsläufig, die sozialen und (finanz)rechtlichen Implikationen der bürgerlichen Ehe und Familie in vollem Umfang auf gleichgeschlechtliche Lebenspartnerschaften zu übertragen. Das Wesen der Liebe aber lässt sich besser in der innigen Gemeinschaft zweier vom Geschlecht her verschiedener Menschen ergründen.
Liebe zwischen Mann und Mann und Frau und Frau ist unbedingt natürlich und steht in ihrer konkreten Ausformung nicht hinter der von Personen verschiedenen Geschlechts nach. Bei unvoreingenommener Betrachtung müsste auch dem überzeugtesten Hetero die Parallelität beider Liebesweisen einleuchten: gleiche Muster, gleiche Gefühle, gleiche Freuden, gleiche Leiden. Wer mit dem Hinweis auf fehlende Fortpflanzungsfähigkeit homosexuelle Beziehungen gegenüber heterosexuellen herabstuft, hat das Wesen der Liebe nicht verstanden. Sie offenbart sich nämlich keineswegs im Akt der Fortpflanzung. Sie ist kein Trick der Natur, um die Individuen zur Reproduktion und zur Erhaltung der Art zu veranlassen. Dazu reicht der Geschlechtstrieb aus, der unter glücklichen Bedingungen mit der Liebe in Einklang kommt, aber keineswegs die Liebe selbst ist. Gleichgeschlechtliche Beziehungen sind ebenso berechtigt wie die von Frau und Mann; ihnen die volle Rechtsfähigkeit oder familiär-soziale Eignung abzusprechen, ist abwegig und widerspricht allen sozialempirischen Befunden. Aber eines kann sie nicht beanspruchen: eine Verankerung im Metaphysischen. Oder religiös gesprochen: einen Ursprung in der göttlichen Schöpfung. Das berührt aber nur die, die überhaupt einer solchen Welt hinter der Welt bedürfen. Für alle anderen ist dieser Aspekt der Liebe belanglos. Es gibt großartige Geschichten über gleichgeschlechtliche Liebe, aber keinen einnehmenden Mythos, der diese in vor- und außergeschichtliche Dimensionen entrücken könnte. Eine Erzählung, in dem ein Prinz den anderen liebt und heiratet, wäre kein Märchen.
Das gibt es nur in der Realität.
Die größte aller Liebesgeschichten
Die schönste und größte Geschichte vom Anfang und Ursprung der Liebe berichtet von einem Mann, der noch gar nicht weiß, dass er einer ist. Er lebt ruhig und fern von Aufregungen in einem großen Garten, der ihn mit allem Lebensnotwendigen versorgt. Die höhere Macht, der der Mensch-Mann seine Existenz verdankt, hat ihm die Verantwortung für die Flora übertragen, er übt also die Tätigkeit eines Gärtners aus. Es geht ihm gut, die Gartenpflege scheint nicht sonderlich anzustrengen. Es gibt in dieser einfachsten aller Welten nur eine Regel zu beachten. Von den Früchten zweier Bäume darf er nicht essen. Das umfassende Wissen, welches das Obst des ersten verleihen soll, strebt der recht einfältig scheinende Gartenmensch wohl gar nicht an. Was ist das überhaupt? Wissen? Die ihm angedrohte Strafe im Falle des Verzehrs wird er kaum verstanden haben. Sterben wird er! Was soll das sein? Davon hat er keinen Begriff.
Auch das zweite Tabu betrifft einen Baum. Dessen Früchte bieten das Gegengift gegen die todbringende Nebenwirkung des ersten und verleihen „unvergängliches Leben". Was versteht der erste Mensch schon von Leben und Tod? Letzterer ist ihm noch unbekannt, weshalb er auch das Erstere nicht begreifen kann.
Die Unzufriedenheit des Gartenmenschen gilt deshalb auch nicht dem Verbot, die Früchte zweier Bäume zu essen. Hungrig nach Wissen ist er nicht, entgegen der Annahme moderner Bildungspolitik, die darin das größte Verlangen des jungen Menschen erblickt. Und ein Verlangen nach Unsterblichkeit verspürt er angesichts mangelnder Todeserfahrung ebenfalls nicht. Ihm fehlt etwas ganz anderes, so findet auch sein Schöpfer: die Gesellschaft von Lebewesen. Kurzerhand wird der Garten mit Landtieren und Vögeln bevölkert und der Tätigkeitsbereich des Menschen um den eines Wildhüters erweitert. Eine erste intellektuelle Aufgabe ist ihm neben der naturnahen Beschäftigung nun auch gegeben: den Tieren Namen zu geben. Wie er diese Aufgabe erledigt, erfahren